Die Frage der Laienanalyse  

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Die Frage der Laienanalyse. Unterredungen mit einem Unparteiischen. (Leipzig, Wien und Zürich: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, 1926) is an essay by Freud on lay analysis. It is translated in English as The Question of Lay Analysis (1926).

Full text

Sigm. Freud

Die Frage der

Laienanalyse



INTERNATIONAL

PSYCHOANALYTIC

UNIVERSITY

DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN



SIGM. FREUD

DIE FRAGE DER LAIENANALYSE


DIE FRAGE DER

LAIENANALYSE

UNTERREDUNGEN MIT EINEM UNPARTEIISCHEN

VON

SIGM. FREUD


1926

Internationaler Psychoanalytischer Verlag Leipzig /Wien/ Zürich




ALLE RECHTE,

INSBESONDERE DIE DER ÜBERSETZUNG,

VORBEHALTEN


COPYRIGHT IQ26

BY „INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER

VERLAG, GES. M. B. H.«, WIEN, VII.


DRUCK DER VERNAY A.-G., WIEN, IX., CANISIUSGASSE 8-IO


EINLEITUNG


Der Titel dieser kleinen Schrift ist nicht ohne weiteres verständlich. Ich werde ihn also erläutern: Laien =Nichtärzte und die Frage ist, ob es auch Nicht- ärzten erlaubt sein soll, die Analyse auszuüben. Diese Frage hat ihre zeitliche wie ihre örtliche Bedingtheit. Zeitlich insoferne, als sich bisher niemand darum ge- kümmert hat, wer die Psychoanalyse ausübt. Ja, man hat sich viel zu wenig darum gekümmert, man war nur einig in dem Wunsch, daß niemand sie üben sollte, mit verschiedenen Begründungen, denen die gleiche Abneigung zugrunde lag. Die Forderung, daß nur Ärzte analysieren sollen, entspricht also einer neuen und anscheinend freundlicheren Einstel- lung zur Analyse - d. h. wenn sie dem Verdacht ent- gehen kann, doch nur ein etwas modifizierter Ab- kömmling der früheren Einstellung zu sein. Es wird zugegeben, daß eine analytische Behandlung unter Umständen vorzunehmen ist, aber wenn, dann sollen nur Ärzte sie vornehmen dürfen. Das Warum dieser Einschränkung wird dann zu untersuchen sein.


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örtlidi bedingt ist diese Frage, weil sie nidit für alle Länder mit gleicher Tragweite in Betracht kommt. In Deutschland und Amerika bedeutet sie eine aka- demische Diskussion, denn in diesen Ländern kann sich jeder Kranke behandeln lassen, wie und von wem er will, kann jeder, der will, als „Kurpfuscher" beliebige Kranke behandeln, wenn er nur die Ver- antwortlichkeit für sein Tun übernimmt. Das Gesetz mengt sich nicht früher ein, als bis man es zur Sühne einer Schädigung des Kranken angerufen hat. In Österreich aber, in dem und für das ich schreibe, ist das Gesetz praeventiv, es verbietet dem Nichtarzt, Behandlungen an Kranken zu unternehmen, ohne deren Ausgang abzuwarten.* Hier hat also die Frage, ob Laien =Nichtärzte Kranke mit Psychoanalyse behan- deln dürfen, einen praktischen Sinn. Sie scheint aber auch, sobald sie aufgeworfen wird, durch den Wordaut des Gesetzes entschieden zu sein. Nervöse sind Kranke, Laien sind Nichtärzte, die Psychoanalyse ist ein Verfahren zur Heilung oder Besserung der nervösen Leiden, alle solche Behand- lungen sind den Ärzten vorbehalten; folglich ist es nicht gestattet, daß Laien die Analyse an Nervösen üben, und strafbar, wenn es doch geschieht. Bei so einfacher Sachlage wagt man es kaum, sich mit der Frage der Laienanalyse zu beschäftigen. Indes hegen


  • ) Das Gleiche in Frankreich.


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einige Komplikationen vor, um die sich das Gesetz nidit kümmert, die aber darum doch Berücksichtigung verlangen. Es wird sich vielleicht ergeben, daß die Kranken in diesem Falle nicht sind wie andere Kranke, die Laien nicht eigentlich Laien und die Ärzte nicht gerade das, was man von Ärzten er- warten darf und worauf sie ihre Ansprüche gründen dürfen. Läßt sich das erweisen, so wird es eine berechtigte Forderung, das Gesetz nicht ohne Modi- fikation auf den vorüegenden Fall anzuwenden.


Ob dies geschehen wird, wird von Personen ab- hängen, die nicht dazu verpflichtet sind, die Besonder- heiten einer analytischen Behandlung zu kennen. Es ist unsere Aufgabe, diese Unparteiischen, die wir als derzeit noch unwissend annehmen wollen, darüber zu unterrichten. Wir bedauern, daß wir sie nicht zu Zuhörern einer solchen Behandlung machen kön- nen. Die „analytische Situation" verträgt keinen Dritten. Auch sind die einzelnen Behandlungsstun- den sehr ungleichwertig, ein solch - unbefugter - Zuhörer, der in eine beliebige Sitzung geriete, würde zumeist keinen verwertbaren Eindruck gewinnen, er käme in Gefahr, nicht zu verstehen, was zwischen dem Analytiker und dem Patienten verhandelt wird, oder er würde sich langweilen. Er muß sich also wohl oder übel mit unserer Information begnügen, die wir möglichst vertrauenswürdig abfassen wollen.

Der Kranke möge also an Stimmungsschwankungen leiden, die er nicht beherrscht, oder an kleinmütiger Verzagtheit, durch die er seine Energie gelähmt fühlt,


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da er sich nichts Rechtes zutraut, oder an ängstlicher Befangenheit unter Fremden. Er mag ohne Verständ- nis wahrnehmen, daß ihm die Erledigung seiner Berufsarbeit Schwierigkeiten macht, aber auch jeder ernstere Entschluß und jede Unternehmung. Er hat eines Tages - unbekannt, woher - einen peinlichen Anfall von Angstgefühlen erlitten und kann seither nicht ohne Überwindung allein über die Straße gehen oder Eisenbahn fahren, hat beides vielleicht überhaupt aufgeben müssen. Oder, was sehr merk- würdig ist, seine Gedanken gehen ihre eigenen Wege und lassen sich nicht von seinem Willen lenken. Sie verfolgen Probleme, die ihm sehr gleichgiltig sind, von denen er sich aber nicht losreißen kann. Es sind ihm auch höchst lächerliche Aufgaben auferlegt, wie die Anzahl der Fenster an den Häuserfronten zusammenzuzählen, und bei einfachen Verrichtungen, wie Briefe in ein Postfach werfen, oder eine Gas- flamme abdrehen, gerät er einen Moment später in Zweifel, ob er es auch wirklich getan hat. Das ist vielleicht nur ärgerlich und lästig, aber der Zustand wird unerträglich, wenn er sich plötzlich der Idee nicht erwehren kann, daß er ein Kind unter die Räder eines Wagens gestoßen, einen Unbekannten von der Brücke ins Wasser geworfen hat, oder wenn er sich fragen muß, ob er nicht der Mörder ist, den die Polizei als den Urheber eines heute entdeckten Verbrechens sucht. Es ist ja offenbarer Unsinn, er weiß es selbst,


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er hat nie einem Menschen etwas Böses getan, aber wenn er wirklich der gesuchte Mörder wäre, könnte die Empfindung - das Schuldgefühl - nicht stär- ker sein.

Oder aber, unser Patient — sei es diesmal eine Patientin - leidet in anderer Weise und auf anderem Gebiet. Sie ist Klavierspielerin, aber ihre Finger verkrampfen sich und versagen den Dienst. Wenn sie daran denkt, in eine Gesellschaft zu gehen, stellt sich sofort ein natürliches Bedürfnis bei ihr ein, dessen Befriedigung mit der Geselligkeit unverträglich wäre. Sie hat also darauf verzichtet, Gesellschaften, Bälle, Theater, Konzerte zu besuchen. Wenn sie es am wenigsten brauchen kann, wird sie von heftigen Kopfschmerzen oder anderen Schmerzsensationen befallen. Eventuell muß sie jede Mahlzeit durch Erbrechen von sich geben, was auf die Dauer bedrohlich werden kann. Endlich ist es beklagens- wert, daß sie keine Aufregungen verträgt, die sich im Leben doch nicht vermeiden lassen. Sie verfällt bei solchen Anlässen in Ohnmächten, oft mit Muskelkrämpfen, die an unheimliche Krankheitszu- stände erinnern.

Noch andere Kranke fühlen sich gestört in einem besonderen Gebiet, auf dem das Gefühlsleben mit Ansprüchen an den Körper zusammentrifft. Als Männer finden sie sich unfähig, den zärtlichsten Regungen gegen das andere Geschlecht körperlichen


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Ausdruck zu geben, während ihnen vielleicht gegen wenig geliebte Objekte alle Reaktionen zu Gebote stehen. Oder ihre Sinnlichkeit bindet sie an Personen, die sie verachten, von denen sie frei werden möchten. Oder sie stellt ihnen Bedingungen, deren Erfüllung ihnen selbst widerlich ist. Als Frauen fühlen sie sich durch Angst und Ekel oder durch unbekannte Hemmnisse verhindert, den Anforderungen des Geschlechtslebens nachzukommen, oder wenn sie der Liebe nach- gegeben haben, finden sie sich um den Genuß betrogen, den die Natur als Prämie auf solche Ge- fügigkeit gesetzt hat.

Alle diese Personen erkennen sich als krank und suchen Ärzte auf, von denen man ja die Beseitigung solcher nervösen Störungen erwartet. Die Ärzte führen auch die Kategorien, unter denen man diese Leiden unterbringt. Sie diagnostizieren sie je nach ihren Standpunkten mit verschiedenen Namen: Neurasthenie, Psychasthenie, Phobien, Zwangsneurose, Hysterie. Sie untersuchen die Organe, welche die Symptome geben: das Herz, den Magen, den Darm, die Genitalien und finden sie gesund. Sie raten zu Unterbrechungen der gewohnten Lebens- weise, Erholungen, kräftigenden Prozeduren, toni- sierenden Medikamenten, erzielen dadurch vorüber- gehende Erleichterungen - oder auch nichts. End- lich hören die Kranken, daß es Personen gibt, die sich ganz speziell mit der Behandlung solcher


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Leiden beschäftigen und treten in die Analyse bei ihnen ein.

Unser Unparteiischer, den ich als gegenwärtig vorstelle, hat während der Auseinandersetzung über die Krankheitserscheinungen der Nervösen Zeichen von Ungeduld von sich gegeben. Nun wird er auf- merksam, gespannt, und äußert sich auch so : „Jetzt werden wir also erfahren, was der Analytiker mit dem Patienten vornimmt, dem der Arzt nicht helfen konnte."

Es geht nichts anderes zwischen ihnen vor, als daß sie miteinander reden. Der Analytiker verwendet weder Instrumente, nicht einmal zur Untersuchung, noch verschreibt er Medikamente. Wenn es irgend möglich ist, läßt er den Kranken sogar in seiner Um- gebung und in seinen Verhältnissen, während er ihn behandelt. Das ist natürlich keine Bedingung, kann auch nicht immer so durchgeführt werden. Der Ana- lytiker bestellt den Patienten zu einer bestimmten Stunde des Tages, läßt ihn reden, hört ihn an, spricht dann zu ihm und läßt ihn zuhören.

Die Miene unseres Unpartenschen zeugt nun von unverkennbarer Erleichterung und Entspannung, ver- rät aber auch deudich eine gewisse Geringschätzung. Es ist, als ob er denken würde: Weiter nichts als das? Worte, Worte und wiederum Worte, wie Prinz Hamlet sagt. Es geht ihm gewiß auch die Spott- rede Mephistos durch den Sinn, wie bequem sich mit


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Worten wirtschaften läßt, Verse, die kein Deutscher je vergessen wird.

Er sagt auch: „Das ist also eine Art von Zau- berei, Sie reden und blasen so seine Leiden weg."

Ganz richtig, es wäre Zauberei, wenn es rascher wirken würde. Zum Zauber gehört unbedingt die Schnelligkeit, man möchte sagen : Plötzlichkeit des Er- folges. Aber die analytischen Behandlungen brauchen Monate und selbst Jahre ; ein so langsamer Zauber verliert den Charakter des Wunderbaren. Wir wollen übrigens das Wort nicht verachten. Es ist doch ein mächtiges Instrument, es ist das Mittel, durch das wir einander unsere Gefühle kundgeben, der Weg, auf den anderen Einfluß zu nehmen. Worte können un- sagbar wohltun und fürchterliche Verletzungen zu- fügen. Gewiß, zu allem Anfang war die Tat, das Wort kam später, es war unter manchen Verhältnissen ein kultureller Fortschritt, wenn sich die Tat zum Wort ermäßigte. Aber das Wort war doch ursprünglich ein Zauber, ein magischer Akt, und es hat noch viel von seiner alten Kraft bewahrt.

Der Unparteüsche setzt fort: „Nehmen wir an, daß der Patient nicht besser auf das Verständnis der analytischen Behandlung vorbereitet ist als ich, wie wollen Sie ihn an den Zauber des Wortes oder der Rede glauben machen, der ihn von seinen Leiden be- freien soll?"

Man muß ihm natürlich eine Vorbereitung geben,


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und es findet sich ein einfacher Weg dazu. Man for- dert ihn auf, mit seinem Analytiker ganz aufrichtig zu sein, nichts mit Absicht zurückzuhalten, was ihm in den Sinn kommt, in weiterer Folge sich über alle Abhaltungen hinwegzusetzen, die manche Gedanken oder Erinnerungen von der Mitteilung ausschließen möchten. Jeder Mensch weiß, daß es bei ihm solche Dinge gibt, die er anderen nur sehr ungern mittei- len würde, oder deren Mitteilung er überhaupt für ausgeschlossen hält. Es sind seine „Intimitäten". Er ahnt auch, was einen großen Fortschritt in der psy- chologischen Selbsterkenntnis bedeutet, daß es andere Dinge gibt, die man sich selbst nicht eingestehen möchte, die man gerne vor sich selbst verbirgt, die man darum kurz abbricht und aus seinem Denken verjagt, wenn sie doch auftauchen. Vielleicht bemerkt er selbst den Ansatz eines sehr merkwürdigen psy- chologischen Problems in der Situation, daß ein eige- ner Gedanke vor dem eigenen Selbst geheim gehal- ten werden soll. Das ist ja, als ob sein Selbst nicht mehr die Einheit wäre, für die er es immer hält, als ob es noch etwas anderes in ihm gäbe, was sich diesem Selbst entgegenstellen kann. Etwas wie ein Gegen- satz zwischen dem Selbst und einem Seelenleben im weiteren Sinne mag sich ihm dunkel anzeigen. Wenn er nun die Forderung der Analyse, alles zu sagen, annimmt, wird er leicht der Erwartung zugänglich, daß ein Verkehr und Gedankenaustausch unter so


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ungewöhnlichen Voraussetzungen auch zu eigenarti- gen Wirkungen führen könnte.

„Ich verstehe," sagt unser unparteiischer Zuhörer, „Sie nehmen an, daß jeder Nervöse etwas hat, was ihn bedrückt, ein Geheimnis, und indem Sie ihn ver- anlassen es auszusprechen, entlasten Sie ihn von dem Druck und tun ihm wohl. Das ist ja das Prinzip der Beichte, dessen sich die katholische Kirche seit jeher zur Versicherung ihrer Herrschaft über die Gemüter bedient hat"

Ja und nein, müssen wir antworten. Die Beichte geht wohl in die Analyse ein, als ihre Einleitung gleichsam. Aber weit davon entfernt, daß sie das Wesen der Analyse träfe oder ihre Wirkung erklär- te. In der Beichte sagt der Sünder, was er weiß, in der Analyse soll der Neurotiker mehr sagen. Auch wissen wir nichts davon, daß die Beichte je die Kraft entwickelt hätte, direkte Krankheitssymptome zu be- seitigen.

„Dann verstehe ich es doch nicht", ist die Entgeg- nung. „Was soll es wohl heißen : mehr sagen als er weiß ? Ich kann mir aber vorstellen, daß Sie als Ana- lytiker einen stärkeren Einfluß auf Ihren Patienten gewinnen als der Beichtvater auf das Beichtkind, weil Sie sich soviel länger, intensiver und auch indi- vidueller mit ihm abgeben, und daß Sie diesen ge- steigerten Einfluß dazu benützen, ihn von seinen krankhaften Gedanken abzubringen, ihm seine Be-


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fürdbtungen auszureden usw. Es wäre merkwürdig genug, daß es auf diese Weise gelänge, auch rein körperliche Erscheinungen, wie Erbrechen, Diarrhöe, Krämpfe zu beherrschen, aber ich weiß davon, daß solche Beeinflussungen sehr wohl möglich sind, wenn man einen Menschen in den hypnotischen Zustand versetzt hat. Wahrscheinlich erzielen Sie durch Ihre Bemühung um den Patienten eine solche hypnoti- sche Beziehung, eine suggestive Bindung an Ihre Person, auch wenn Sie es nicht beabsichtigen, und die Wunder Ihrer Therapie sind dann Wirkungen der hypnotischen Suggestion. Soviel ich weiß, arbeitet aber die hypnotische Therapie viel rascher als Ihre Analyse, die, wie Sie sagen, Monate und Jahre dauert."

Unser Unparteiischer ist weder so unwissend noch so ratlos, wie wir ihn anfangs eingeschätzt hatten. Es ist unverkennbar, daß er sich bemüht, die Psycho- analyse mit Hilfe seiner früheren Kenntnisse zu be- greifen, sie an etwas anderes anzuschließen, was er schon weiß. Wir haben jetzt die schwierige Auf- gabe, ihm klarzumachen, daß dies nicht gelingen wird, daß die Analyse ein Verfahren sui generis ist, etwas Neues und Eigenartiges, was nur mit Hilfe neuer Einsichten - oder wenn man will, An- nahmen - begriffen werden kann. Aber wir sind ihm auch noch die Antwort auf seine letzten Be- merkungen schuldig.


Was Sie von dem besonderen persönlichen Ein- fluß des Analytikers gesagt haben, ist gewiß sehr be- achtenswert. Ein solcher Einfluß existiert und spielt in der Analyse eine große Rolle. Aber nicht dieselbe wie beim Hypnotismus. Es müßte gelingen, Ihnen zu beweisen, daß die Situationen hier und dort ganz verschiedene sind. Es mag die Bemerkung genügen, daß wir diesen persönlichen Einfluß - das „sugges- tive" Moment - nicht dazu verwenden, um die Lei- denssymptome zu unterdrücken, wie es bei der hyp- notischen Suggestion geschieht. Ferner, daß es irrig wäre zu glauben, dies Moment sei durchaus der Träger und Förderer der Behandlung. Zu Anfang wohl; aber später widersetzt es sich unseren analyti- schen Absichten und nötigt uns zu den ausgiebigsten Gegenmaßnahmen. Auch möchte ich Ihnen an einem Beispiel zeigen, wie ferne der analytischen Technik das Ablenken und Ausreden hegt. Wenn unser Pa- tient an einem Schuldgefühl leidet, als ob er ein schweres Verbrechen begangen hätte, so raten wir ihm nicht, sich unter Betonung seiner unzweifelhaf- ten Schuldlosigkeit über diese Gewissensqual hinweg- zusetzen ; das hat er schon selbst erfolglos versucht. Son- dern wir mahnen ihn daran, daß eine so starke und an- haltende Empfindung doch in etwas Wirklichem begrün- det sein muß, was vielleicht aufgefunden werden kann. „Es sollte mich wundern," meint der Unparteiische, „wenn Sie durch solches Zustimmen das Schuldgefühl

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Ihres Patienten beschwichtigen könnten. Aber was sind denn Ihre analytischen Absichten und was neh- men Sie mit dem Patienten vor ?*



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Wenn ich Ihnen etwas Verständliches sagen soll, so muß ich Ihnen wohl ein Stück einer psychologi- schen Lehre mitteilen, die außerhalb der analytischen Kreise nicht bekannt ist oder nicht gewürdigt wird. Aus dieser Theorie wird sich leicht ableiten lassen, was wir von dem Kranken wollen und auf welche Art wir es erreichen- Ich trage sie Ihnen dog- matisch vor, als ob sie ein fertiges Lehrgebäude wäre. Glauben Sie aber nicht, daß sie gleich als solches wie ein philosophisches System entstanden ist. Wir haben sie sehr langsam entwickelt, um jedes Stückchen lange gerungen, sie in stetem Kontakt mit der, Beobachtung fortwährend modifi^ ziert, bis sie endlich eine Form gewonnen hat, in der sie uns für unsere Zwecke zu genügen scheint. Noch vor einigen Jahren hätte ich diese Lehre in andere Ausdrücke kleiden müssen. Ich kann Ihnen natürlich nicht dafür einstehen, daß die heutige Ausdrucksform die definitive bleiben wird. Sie wissen, Wissenschaft ist keine Offenbarung, sie

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entbehrt, lange über ihre Anfänge hinaus, der Cha- raktere der Bestimmtheit, Unwandelbarkeit, Unfehl- barkeit, nach denen sich das menschliche Denken so sehr sehnt. Aber so wie sie ist, ist sie alles, was wir haben können. Nehmen Sie hinzu, daß unsere Wis- senschaft sehr jung ist, kaum so alt wie das Jahr- hundert, und daß sie sich ungefähr mit dem schwierig- sten Stoff beschäftigt, der menschlicher Forschung vorgelegt werden kann, so werden Sie sich leicht in die richtige Einstellung zu meinem Vortrag versetzen können. Unterbrechen Sie mich aber nach Ihrem Belieben jedesmal, wenn Sie mir nicht folgen können oder wenn Sie weitere Aufklärungen wünschen.

„Ich unterbreche Sie, noch ehe Sie beginnen. Sie sagen, Sie wollen mir eine neue Psychologie vor- tragen, aber ich sollte meinen, die Psychologie ist keine neue Wissenschaft. Es hat genug Psychologie und Psychologen gegeben, und ich habe auf der Schule von großen Leistungen auf diesem Gebiete gehört."

Die ich nicht zu bestreiten gedenke. Aber wenn Sie näher prüfen, werden Sie diese großen Leistungen eher der Sinnesphysiologie einordnen müssen. Die Lehre vom Seelenleben konnte sich nicht entwickeln, weil sie durch eine einzige wesentliche Verkennung gehemmt war. Was umfaßt sie heute, wie sie an den Schulen gelehrt wird? Außer jenen wertvollen sinnes-


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physiologischen Einsichten eine Anzahl von Einteilun- gen und Definitionen unserer seelischen Vorgänge, die dank dem Sprachgebrauch Gemeingut aller Ge- bildeten geworden sind. Das reicht offenbar für die Auffassung unseres Seelenlebens nicht aus. Haben Sie nicht bemerkt, daß jeder Philosoph, Dichter, Histo- riker und Biograph sich seine eigene Psychologie zu- rechtmacht, seine besonderen Voraussetzungen über den Zusammenhang und die Zwecke der seelischen Akte vorbringt, alle mehr oder minder ansprechend und alle gleich unzuverlässig? Da fehlt offenbar ein gemeinsames Fundament. Und daher kommt es auch, daß es auf psychologischem Boden sozusagen keinen Respekt und keine Autorität gibt. Jedermann kann da nach Belieben „wildern". Wenn Sie eine physika- lische oder chemische Frage aufwerfen, wird ein jeder schweigen, der sich nicht im Besitz von „Fachkennt- nissen" weiß. Aber wenn Sie eine psychologische Be- hauptung wagen, müssen sie auf Urteil und Wider- spruch von jedermann gefaßt sein. Wahrscheinlich gibt es auf diesem Gebiet keine „Fachkenntnisse". Jedermann hat sein Seelenleben und darum hält sich jedermann für einen Psychologen. Aber das scheint mir kein genügender Rechtstitel zu sein. Man erzählt, daß eine Person, die sich zur „Kinderfrau" anbot, gefragt wurde, ob sie auch mit kleinen Kindern um- zugehen verstehe. Gewiß, gab sie zur Antwort, ich war doch selbst einmal ein kleines Kind.


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„Und dies von allen Psychologen übersehene .gemeinsame Fundament' des Seelenlebens wollen Sie durch Beobachtungen an Kranken entdeckt haben ?"

Ich glaube nicht, daß diese Herkunft unsere Be- funde entwertet. Die Embryologie z. B. verdiente kein Vertrauen, wenn sie nicht die Entstehung der angeborenen Mißbildungen glatt aufklären könnte. Aber ich habe Ihnen von Personen erzählt, deren Gedanken ihre eigenen Wege gehen, so daß sie ge- zwungen sind, über Probleme zu grübeln, die ihnen furchtbar gleichgiltig sind. Glauben Sie, daß die Schul- psychologie jemals den mindesten Beitrag zur Auf- klärung einer solchen Anomalie leisten konnte ? Und endlich geschieht es uns allen, daß nächtlicherweile unser Denken eigene Wege geht und Dinge schafft, die wir dann nicht verstehen, die uns befremden und in bedenklicher Weise an krankhafte Produkte er- innern. Ich meine unsere Träume. Das Volk hat immer an dem Glauben festgehalten, daß Träume einen Sinn, einen Wert haben, etwas bedeuten. Diesen Sinn der Träume hat die Schulpsychologie nie angeben können. Sie wußte mit dem Traum nichts anzufangen ; wenn sie Erklärungen versucht hat, waren es unpsychologische, wie Zurückführungen auf Sinnesreize, auf eine ungleiche Schlaftiefe ver- schiedener Hirnpartien u. dgl. Man darf aber sagen, eine Psychologie, die den Traum nicht erklären kann,


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ist auch für das Verständnis des normalen Seelen- lebens nicht brauchbar, hat keinen Anspruch, eine Wissenschaft zu heißen.

„Sie werden aggressiv, also haben Sie wohl eine empfindliche Stelle berührt. Ich habe ja gehört, daß man in der Analyse großen Wert auf Träume legt, sie deutet, Erinnerungen an wirkliche Begebenheiten hinter ihnen sucht usw. Aber auch, daß die Deutung der Träume der Willkür der Analytiker ausgeliefert ist, und daß diese selbst mit den Streitigkeiten über die Art Träume zu deuten, über die Berechtigung, aus ihnen Schlüsse zu ziehen, nicht fertig geworden sind. Wenn das so ist, so dürfen Sie den Vorzug, den die Analyse vor der Schulpsychologie gewonnen hat, nicht so dick unterstreichen."

Sie haben da wirklich viel Richtiges gesagt. Es ist wahr; daß die Traumdeutung für die Theorie wie für die Praxis der Analyse eine unvergleichliche Wichtigkeit gewonnen hat. Wenn ich aggressiv er- scheine, so ist das für mich nur ein Weg der Ver- teidigung. Wenn ich aber an all den Unfug denke, den manche Analytiker mit der Deutung der Träume angestellt haben, könnte ich verzagt werden und dem pessimistischen Ausspruch unseres großen Satiri- rikers Nestroy recht geben, der lautet: Ein jeder Fortschritt ist immer nur halb so groß als er zuerst aus- schaut! Aber haben Sie es je anders erfahren, als daß die Menschen alles verwirren und verzerren, was


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in ihre Hände fällt? Mit etwas Vorsicht und Selbst- zucht kann man die meisten der Gefahren der Traum- deutung sicher vermeiden. Aber glauben Sie nicht, daß ich nie zu meinem Vortrag kommen werde, wenn wir uns so ablenken lassen?

„Ja, Sie wollten von der fundamentalen Voraus- setzung der neuen Psychologie erzählen, wenn ich Sie recht verstanden habe."

Damit wollte ich nicht beginnen. Ich habe die Ab- sicht, Sie hören zu lassen, welche Vorstellung von der Struktur des seelischen Apparats wir uns während der analytischen Studien gebildet haben.

„Was heißen Sie den seelischen Apparat und woraus ist er gebaut, darf ich fragen ?"

Was der seelische Apparat ist, wird bald klar werden. Aus Welchem Material er gebaut ist, danach bitte ich nicht zu fragen. Es ist kein psychologisches Interesse, kann der Psychologie ebenso gleichgiltig sein wie der Optik die Frage, ob die Wände des Fernrohrs aus Metall oder aus Pappendeckel ge- macht sind. Wir werden den stofflichen Gesichts- punkt überhaupt bei Seite lassen, den räumlichen aber nicht. Wir stellen uns den unbekannten Apparat, der den seelischen Verrichtungen dient, nämlich wirk- lich wie ein Instrument vor, aus mehreren Teilen aufgebaut, - die wir Instanzen heißen, - die ein jeder eine besondere Funktion versehen, und die eine feste räumliche Beziehung zueinander haben,


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das heißt die räumliche Beziehung, das „vor" und „hinter", „oberflächlich" und „tief" hat für uns zunächst nur den Sinn einer Darstellung der regelmäßigen Auf- einanderfolge der Funktionen. Bin ich noch ver- ständlich?

„Kaum, vielleicht verstehe ich es später, aber jeden- falls ist das eine sonderbare Anatomie der Seele, die es bei den Naturforschern doch gar nicht mehr gibt."

Was wollen Sie, es ist eine Hilfsvorstellung wie soviele in den Wissenschaften. Die allerersten sind immer ziemlich roh gewesen. Open to revision, kann man in solchen Fällen sagen. Ich halte es für über- flüssig, mich hier auf das populär gewordene „Als ob" zu berufen. Der Wert einer solchen - „Fiktion" würde der Philosoph Vaihinger sie nennen - hängt davon ab, wieviel man mit ihr ausrichten kann.

Also um fortzusetzen: Wir stellen uns auf den Boden der Alltagsweisheit und anerkennen im Men- schen eine seelische Organisation, die zwischen seine Sinnesreize und die Wahrnehmung seiner Körper- bedürfnisse einerseits, seine motorischen Akte ander- seits eingeschaltet ist und in bestimmter Absicht zwi- schen ihnen vermittelt. Wir heißen diese Organi- sation sein Ich. Das ist nun keine Neuigkeit, jeder von uns macht diese Annahme, wenn er kein Philo- soph ist, und einige selbst, obwohl sie Philosophen sind. Aber wir glauben nicht, damit die Beschreibung des seelischen Apparats erschöpft zu haben. Außer


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diesem Ich erkennen wir ein anderes seelisches Ge- biet, umfangreicher, großartiger und dunkler als das Ich, und dies heißen wir das Es. Das Verhältnis zwi- schen den beiden soll uns zunächst beschäftigen.

Sie werden es wahrscheinlich beanständen, daß wir zur Bezeichnung unserer beiden seelischen Instanzen oder Provinzen einfache Fürwörter gewählt haben, anstatt vollautende griechische Namen für sie einzu- führen. Allein wir lieben es in der Psychoanalyse, im Kontakt mit der populären Denkweise zu bleiben und ziehen es vor, deren Begriffe wissen- schaftlich brauchbar zu machen, anstatt sie zu ver- werfen. Es ist kein Verdienst daran, wir müssen so vorgehen, weil unsere Lehren von unseren Patienten verstanden werden sollen, die oft sehr intelligent sind, aber nicht immer gelehrt. Das unpersönliche Es schließt sich unmittelbar an gewisse Ausdrucksweisen des normalen Menschen an. „Es hat mich durchzuckt" sagt man; „es war etwas in mir, was in diesem Augenblick stärker war als ich." „C'ätait plus fort que moi".

In der Psychologie können wir nur mit Hilfe von Vergleichungen beschreiben. Das ist nichts Beson- deres, es ist auch anderwärts so. Aber wir müssen diese Vergleiche auch immer wieder wechseln, keiner hält uns lange genug aus. Wenn ich also das Verhältnis zwischen Ich und Es deutlich machen will, so bitte ich Sie, sich vorzustellen, das Ich sei eine Art Fassade


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des Es, ein Vordergrund, gleichsam eine äußerliche, eine Rindenschicht desselben. Der letztere Vergleich kann festgehalten werden. Wir wissen, Rinden- schichten verdanken ihre besonderen Eigenschaften dem modifizierenden Einfluß des äußeren Mediums, an das sie anstoßen. So stellen wir uns vor, das Ich sei die durch den Einfluß der Außenwelt (der Realität) modifizierte Schichte des seelischen Apparats, des Es. Sie sehen dabei, in welcher Weise wir in der Psychoanalyse mit räumlichen Auffassungen Ernst machen. Das Ich ist uns wirklich das Oberflächliche, das Es das Tiefere, von außen betrachtet natürlich. Das Ich hegt zwischen der Realität und dem Es, dem eigentlich Seelischen.

„Ich will Sie noch gar nicht fragen, woher man das alles wissen kann. Sagen Sie mir zunächst, was haben Sie von dieser Trennung eines Ich und eines Es, was nötigt Sie dazu?"

Ihre Frage weist mir den Weg zur richtigen Fort- setzung. Das Wichtige und Wertvolle ist nämlich zu wissen, daß das Ich und das Es in mehreren Punkten sehr von einander abweichen; es gelten im Ich andere Regeln für den Ablauf seelischer Akte als im Es, das Ich verfolgt andere Absichten und mit anderen Mitteln. Darüber wäre sehr viel zu sagen, aber wollen Sie sich mit einem neuen Ver- gleich und einem Beispiel abfinden lassen? Denken Sie an den Unterschied zwischen der Front und


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dem Hinterland, wie er sich während des Krieges herausgebildet hatte. Wir haben uns damals nicht gewundert, daß an der Front manches anders vor- ging als im Hinterland, und daß im Hinterland vieles gestattet war, was an der Front verboten werden mußte. Der bestimmende Einfluß war natürlich die Nähe des Feindes, für das Seelenleben ist es die Nähe der Außenwelt. Draußen - fremd - feindlich waren einmal identische Begriffe. Und nun das Bei- spiel: im Es gibt es keine Konflikte; Widersprüche, Gegensätze bestehen unbeirrt neben einander und gleichen sich oft durch Kompromißbildungen ab. Das Ich empfindet in solchen Fällen einen Konflikt, der entschieden werden muß, und die Entscheidung be- steht darin, daß eine Strebung zugunsten der anderen aufgegeben wird. Das Ich ist eine Organisation, aus- gezeichnet durch ein sehr merkwürdiges Streben nach Vereinheitlichung, nach Synthese; dieser Charakter fehlt dem Es, es ist - sozusagen - zerfahren, seine einzelnen Strebungen verfolgen ihre Absichten unab- hängig von und ohne Rücksicht aufeinander.

„Und wenn ein so wichtiges seelisches Hinterland existiert, wie können Sie mir begreiflich machen, daß es bis zur Zeit der Analyse übersehen wurde?"

Damit sind wir zu einer Ihrer früheren Fragen zurückgekehrt. Die Psychologie hatte sich den Zugang zum Gebiet des Es versperrt, indem sie an einer Voraussetzung festhielt, die nahe genug liegt, aber



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dodi nicht haltbar ist. Nämlich, daß alle seelischen Akte uns bewußt sind, daß Bewußt-sein das Kenn- zeichen des Seelischen ist, und daß, wenn es nicht- bewußte Vorgänge in unserem Gehirn gibt, diese nicht den Namen seelischer Akte verdienen und die Psychologie nichts angehen.

„Ich meine, das ist doch selbstverständlich."

Ja, das meinen die Psychologen auch, aber es ist doch leicht zu zeigen, daß es falsch, das heißt: eine ganz unzweckmäßige Sonderung ist. Die bequemste Selbstbeobachtung lehrt, daß man Einfälle haben kann, die nicht ohne Vorbereitung zustande gekommen sein können. Aber von diesen Vorstufen Ihres Ge- dankens, die doch wirklich auch seelischer Natur ge- wesen sein müssen, erfahren Sie nichts, in Ihr Be- wußtsein tritt nur das fertige Resultat. Gelegendich können Sie sich nachträglich diese vorbereiten- den Gedankenbildungen wie in einer Rekonstruktion bewußt machen.

„Wahrscheinlich war die Aufmerksamkeit abge- lenkt, so daß man diese Vorbereitungen nicht be- merkt hat."

Ausflüchte ! Sie kommen so um die Tatsache nicht herum, daß in Ihnen Akte seelischer Natur, oft sehr komplizierte, vorgehen können, von denen Ihr Be- wußtsein nichts erfährt, von denen Sie nichts wissen. Oder sind Sie zu der Annahme bereit, daß etwas mehr oder weniger von Ihrer „Aufmerksamkeit" hin-


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reicht, um einen nicht seelischen Akt in einen seeli- schen zu verwandeln? Übrigens wozu der Streit? Es gibt hypnotische Experimente, in denen die Exi- stenz solcher nicht bewußter Gedanken für jedermann, der lernen will, unwiderleglich demonstriert wird.

„Ich will nicht leugnen, aber ich glaube, ich ver- stehe Sie endlich. Was Sie Ich heißen, ist das Be- wußtsein und Ihr Es ist das sogenannte Unterbewußt- sein, von dem jetzt so viel die Rede ist. Aber wozu die Maskerade durch die neuen Namen?"

Es ist keine Maskerade, diese anderen Namen sind unbrauchbar. Und versuchen Sie nicht, mir Literatur an- statt Wissenschaft zu geben. Wenn jemand vom Unter- bewußtsein spricht, weiß ich nicht, meint er es topisch, etwas was in der Seele unterhalb des Bewußtseins hegt, oder qualitativ, ein anderes Bewußtsein, ein unterirdi- sches gleichsam. Wahrscheinlich macht er sich überhaupt nichts klar. Der einzig zulässige Gegensatz ist der zwi- schen bewußt und unbewußt. Aber es wäre ein folgen- schwerer Irrtum zu glauben, dieser Gegensatz fiele mit der Scheidung von Ich und Es zusammen. Allerdings, es wäre wunderschön, wenn es so einfach wäre, unsere Theorie hätte dann ein leichtes Spiel, aber es, ist nicht so einfach. Richtig ist nur, daß alles, was im Es vorgeht, unbewußt ist und bleibt, und daß die Vor- gänge im Ich bewußt werden können, sie allein. Aber sie sind es nicht alle, nicht immer, nicht notwendig und große Anteile des Ichs können dauernd unbewußt bleiben.


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Mit dem Bewußtwerden eines seelisdien Vor- gangs ist es eine komplizierte Sache. Ich kann es mir nicht versagen, Ihnen - wiederum dogmatisch - dar- zustellen, was wir darüber annehmen. Sie erinnern sich, das Ich ist die äußere, peripherische Schicht des Es. Nun glauben wir, an der äußersten Oberfläche dieses Ichs befinde sich eine besondere, der Außen- welt direkt zugewendete Instanz, ein System, ein Organ, durch dessen Erregung allein das Phänomen, das wir Bewußtsein heißen, zustande kommt. Dies Organ kann ebensowohl von außen erregt werden, nimmt also mit Hilfe der Sinnesorgane die Reize der Außenwelt auf, wie auch von innen her, wo es zu- erst die Sensationen im Es und dann auch die Vor- gänge im Ich zur Kenntnis nehmen kann.

„Das wird immer ärger und entzieht sich immer mehr meinem Verständnis. Sie haben mich doch zu einer Unterredung über die Frage eingeladen, ob auch Laien = Nichtärzte analytische Behandlungen unternehmen sollen. Wozu dann diese Auseinander- setzungen über gewagte, dunkle Theorien, von deren Berechtigung Sie mich doch nicht überzeugen können?"

Ich weiß, daß ich Sie nicht überzeugen kann. Es hegt außerhalb jeder Möglichkeit und darum auch außerhalb meiner Absicht. Wenn wir unseren Schülern theoretischen Unterricht in der Psychoanalyse geben, so können wir beobachten, wie wenig Eindruck


wir ihnen zunädist machen. Sie nehmen die ana- lytischen Lehren mit derselben Kühle hin wie andere Abstraktionen, mit denen sie genährt wurden. Einige wollen vielleicht überzeugt werden, aber keine Spur davon, daß sie es sind. Nun verlangen wir auch, daß jeder, der die Analyse an anderen ausüben will, sich vorher selbst einer Analyse unterwerfe. Erst im Ver- lauf dieser „Selbstanalyse" (wie sie mißverständlich ge- nannt wird), wenn sie die von der Analyse behaup- teten Vorgänge am eigenen Leib - richtiger: an der eigenen Seele - tatsächlich erleben, erwerben sie sich die Überzeugungen, von denen sie später als Ana- lytiker geleitet werden. Wie darf ich also erwarten, Sie, den Unparteiischen, von der Richtigkeit unserer Theorien zu überzeugen, dem ich nur eine unvoll- ständige, verkürzte und darum undurchsichtige Dar- stellung derselben ohne Bekräftigung durch Ihre eige- nen Erfahrungen vorlegen kann?

Ich handle in anderer Absicht. Es ist zwischen uns gar nicht die Frage, ob die Analyse klug oder un- sinnig ist, ob sie in ihren Aufstellungen recht hat oder in grobe Irrtümer verfällt. Ich rolle unsere Theo- rien vor Ihnen auf, weil ich Ihnen so am besten klarmachen kann, welchen Gedankeninhalt die Analyse hat, von welchen Voraussetzungen sie beim einzelnen Kranken ausgeht, und was sie mit ihm vornimmt. Da- durch wird dann ein ganz bestimmtes Licht auf die Frage der Laienanalyse geworfen werden. Seien Sie


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Die Frage der Laienanalyse


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übrigens ruhig, Sie haben, wenn Sie mir soweit ge- folgt sind, das Ärgste überstanden, alles Folgende wird Ihnen leichter werden. Jetzt aber lassen Sie mich eine Atempause machen.


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Freud, Laienanalyse


III


„Ich erwarte, daß Sie mir aus den Theorien der Psychoanalyse ableiten wollen, wie man sich die Ent- stehung eines nervösen Leidens vorstellen kann."

Ich will es versuchen. Zu dem Zweck müssen wir aber unser Ich und unser Es von einem neuen Gesichtspunkt aus studieren, vom dynamischen, das heißt mit Rücksicht auf die Kräfte, die in und zwischen ihnen spielen. Vorhin hatten wir uns ja mit der Beschreibung des seelischen Apparats begnügt.

„Wenn es nur nicht wieder so unfaßbar wird!"

Ich hoffe, nicht. Sie werden sich bald zurecht- finden. Also wir nehmen an, daß die Kräfte, welche den seelischen Apparat zur Tätigkeit treiben, in den Organen des Körpers erzeugt werden als Ausdruck der großen Körperbedürfnisse. Sie erinnern sich an das Wort unseres Dichterphilosophen: Hunger und Liebe. Übrigens ein ganz respektables Kräftepaar! Wir heißen diese Körperbedürfnisse, insoferne sie Anreize für seelische Tätigkeit darstellen, Triebe, ein Wort, um das uns viele moderne Sprachen beneiden.



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Diese Triebe erfüllen nun das Es, alle Energie im Es, können wir abkürzend sagen, stammt von ihnen. Die Kräfte im Idi haben audi keine andere Her- kunft, sie sind von denen im Es abgeleitet. Was wollen nun die Triebe? Befriedigung, das heißt die Herstellung solcher Situationen, in denen die Körper- bedürfhisse erlöschen können. Das Herabsinken der Bedürfnisspannung wird von unserem Bewußtseins- organ als lustvoll empfunden, eine Steigerung der- selben bald als Unlust. Aus diesen Schwankungen entsteht die Beihe von Lust-Unlustempfindungen, nach der der ganze seelische Apparat seine Tätigkeit reguliert. Wir sprechen da von einer „Herrschaft des Lustprinzips".

Es kommt zu unerträglichen Zuständen, wenn die Triebansprüche des Es keine Befriedigung finden. Die Erfahrung zeigt bald, daß solche Befriedigungssitua- tionen nur mit Hufe der Außenwelt hergestellt wer- den können. Damit tritt der der Außenwelt zuge- wendete Anteil des Es, das Ich, in Funktion. Wenn alle treibende Kraft, die das Fahrzeug von der Stelle bringt, vom Es aufgebracht wird, so übernimmt das Ich gleichsam die Steuerung, bei deren Ausfall ja ein Ziel nicht zu erreichen ist. Die Triebe im Es drängen auf sofortige, rücksichtslose Befriedigung, erreichen auf diese Weise nichts oder erzielen selbst fühlbare Schädigung. Es wird nun die Aufgabe des Ichs, diesen Mißerfolg zu verhüten, zwischen den Ansprüchen des

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Sigm. Freud


Es und dem Einspruch der realen Außenwelt zu ver- mitteln. Es entfaltet seine Tätigkeit nun nach zwei Richtungen. Einerseits beobachtet es mit Hilfe seines Sinnesorgans, des Bewußtseinssystems, die Außenwelt, um den günstigen Moment für schadlose Befriedigung zu erhaschen, anderseits beeinflußt es das Es, zügelt dessen „Leidenschaften", veranlaßt die Triebe, ihre Befriedigung aufzuschieben, ja, wenn es als notwendig erkannt wird, ihre Ziele zu modifizieren, oder sie gegen Entschädigung aufzugeben. Indem es die Regungen des Es in solcher Weise bändigt, ersetzt es das früher allein maßgebende Lustprinzip durch das sogenannte Realitätsprinzip, das zwar die- selben Endziele verfolgt, aber den von der realen Außenwelt gesetzten Bedingungen Rechnung trägt. Später lernt das Ich, daß es noch einen anderen Weg zur Versicherung der Befriedigung gibt als die beschriebene Anpassung an die Außenwelt. Man kann auch verändernd in die Außenwelt eingreifen und in ihr absichtlich jene Bedingungen herstellen, welche die Befriedigung ermöglichen. Diese Tätigkeit wird dann zur höchsten Leistung des Ichs; die Ent- scheidungen, wann es zweckmäßiger ist, seine Leiden- schaften zu beherrschen und sich vor der Realität zu beugen, oder ihre Partei zu ergreifen und sich gegen die Außenwelt zur Wehr zu setzen, sind das Um und Auf der Lebensklugheit.

„Und läßt sich das Es eine solche Beherrschung


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Die Frage der Laienanalyse 37


durch das Ich gefallen, wo es doch, wenn ich Sie recht verstehe, der stärkere Teil ist?"

Ja, es geht gut, wenn das Ich seine volle Organi- sation und Leistungsfähigkeit besitzt, zu allen Teilen des Es Zugang hat und seinen Einfluß auf sie üben kann. Es besteht ja keine natürliche Gegnerschaft zwischen Ich und Es, sie gehören zusammen und sind im Falle der Gesundheit praktisch nicht voneinander zu scheiden.

„Das läßt sich alles hören, aber ich sehe nicht, wo sich in diesem idealen Verhältnis ein Plätzchen für die Krankheitsstörung findet."

Sie haben recht; solange das Ich und seine Be- ziehungen zum Es diese idealen Anforderungen er- füllen, gibt es auch keine nervöse Störung. Die Ein- bruchsstelle der Krankheit liegt an einem unerwarte- ten Ort, obwohl ein Kenner der allgemeinen Patho- logie nicht überrascht sein wird, bestätigt zu finden, daß gerade die bedeutsamsten Entwicklungen und Differenzierungen den Keim zur Erkrankung, zum Versagen der Funktion, in sich tragen.

„Sie werden zu gelehrt, ich verstehe Sie nicht."

Ich muß ein bißchen weiter ausholen. Nicht wahr, das kleine Lebewesen ist ein recht armseliges, ohn-

I mächtiges Ding gegen die übergewaltige Außenwelt, die voll ist von zerstörenden Einwirkungen. Ein pri- mitives Lebewesen, das keine zureichende Ichorgani- sation entwickelt hat, ist all diesen „Traumen" ausge-



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setzt. Es lebt der „blinden" Befriedigung seiner Trieb- wünsdie und geht so häufig an dieser zugrunde. Die Differenzierung eines Ichs ist vor allem ein Schritt zur Lebenserhaltung. Aus dem Untergang läßt sich zwar nichts lernen, aber wenn man ein Trauma glücklich bestanden hat, achtet man auf die Annähe- rung ähnlicher Sitationen und signalisiert die Gefahr durch eine verkürzte Wiederholung der beim Trauma erlebten Eindrücke, durch einen Angstaffekt. Diese Reaktion auf die Wahrnehmung der Gefahr leitet nun den Fluchtversuch ein, der so lange lebensrettend wirkt, bis man genug erstarkt ist, um dem Gefährlichen in der Außenwelt in aktiverer Weise, vielleicht sogar durch Aggression zu begegnen.

„Das ist alles sehr weit weg von dem, was Sie versprochen haben."

Sie ahnen nicht, wie nah ich der Erfüllung mei- nes Versprechens gekommen bin. Auch bei den Le- bewesen, die später eine leistungsfähige Ichorganisa- tion haben, ist dieses Ich zuerst in den Jahren der Kindheit schwächlich und vom Es wenig differenziert. Nun stellen Sie sich vor, was geschehen wird, wenn dieses machtlose Ich einen Triebanspruch aus dem Es erlebt, dem es bereits widerstehen möchte, weil es errät, daß dessen Befriedigung gefährlich ist, eine traumatische Situation, einen Zusammenstoß mit der Außenwelt heraufbeschwören würde, den es aber nicht beherrschen kann, weil es die Kraft dazu noch


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nicht besitzt. Das Ich behandelt dann die Triebgefahr, als ob es eine äußere Gefahr wäre, es unternimmt einen Fluchtversuch, zieht sich von diesem Anteil des Es zurück und überläßt ihn seinem Schicksal, nach- dem es ihm alle Beiträge, die es sonst zu den Trieb- regungen stellt, verweigert hat. Wir sagen, das Ich nimmt eine Verdrängung dieser Triebregungen vor. Das hat für den Augenblick den Erfolg, die Ge- fahr abzuwehren, aber man verwechselt nicht unge- straft das Innen und das Außen. Man kann nicht vor sich selbst davonlaufen. Bei der Verdrängung folgt das Ich dem Lustprinzip, welches es sonst zu korrigieren pflegt, es hat dafür den Schaden zu tra- gen. Dieser besteht darin, daß das Ich nun seinen Machtbereich dauernd eingeschränkt hat. Die ver- drängte Triebregung ist jetzt isoliert, sich selbst über- lassen, unzugänglich, aber auch unbeeinflußbar. Sie geht ihren eigenen Weg. Das Ich kann zumeist auch später, wenn es erstarkt ist, die Verdrängung nicht mehr aufheben, seine Synthese ist gestört, ein Teil des Es bleibt für das Ich verbotener Grund. Die iso- lierte Triebregung bleibt aber auch nicht müßig, sie weiß sich dafür, daß ihr die normale Befriedigung versagt ist, zu entschädigen, erzeugt psychische Ab- kömmlinge, die sie vertreten, setzt sich mit anderen Vorgängen in Verknüpfung, die sie durch ihren Ein- fluß gleichfalls dem Ich entreißt, und bricht endlich in einer unkenntlich entstellten Ersatzbildung ins Ich


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und zum Bewußtsein durch, schafft das, was man ein Symptom nennt. Mit einem Male sehen wir den Sachverhalt einer nervösen Störung vor uns: ein Ich, das in seiner Synthese gehemmt ist, das auf Teile des Es keinen Einfluß hat, das auf manche seiner Tätigkeiten verzichten muß, um einen neuerlichen Zusammenstoß mit dem Verdrängten zu vermeiden, das sich in meist vergeblichen Abwehraktionen gegen die Symptome, die Abkömmlinge der verdrängten Regungen, erschöpft, und ein Es, in dem sich einzelne Triebe selbständig gemacht haben, ohne Rücksicht auf die Interessen der Gesamtperson ihre Ziele ver- folgen und nur mehr den Gesetzen der primitiven Psychologie gehorchen, die in den Tiefen des Es ge- bietet. Übersehen wir die ganze Situation, so erweist sich uns als einfache Formel für die Entstehung der Neurose, daß das Ich den Versuch gemacht hat, ge- wisse Anteile des Es in ungeeigneter Weise zu unterdrücken, daß dies mißlungen ist und das Es dafür seine Rache genommen hat. Die Neurose ist also die Folge eines Konflikts zwischen Ich und Es, in den das Ich eintritt, weil es, wie eingehende Un- tersuchung zeigt, durchaus an seiner Gefügigkeit ge- gen die reale Außenwelt festhalten will. Der Gegen- satz läuft zwischen Außenwelt und Es, und weil das Ich, seinem innersten Wesen getreu, für die Außen- welt Partei nimmt, gerät es in Konflikt mit seinem Es. Beachten Sie aber wohl, nicht die Tatsache dieses


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Konflikts schafft die Bedingung des Krankseins, - denn soldie Gegensätze zwischen Realität und Es sind un- vermeidlich und das Ich führt unter seinen beständi- gen Aufgaben, in ihnen zu vermitteln, - sondern der Umstand, daß das Ich sich zur Erledigung des Kon- flikts des unzureichenden Mittels der Verdrängung bedient hat. Dies hat aber selbst seinen Grund da- rin, daß das Ich zur Zeit, als sich ihm die Aufgabe stellte, unentwickelt und ohnmächtig war. Die ent- scheidenden Verdrängungen fallen ja alle in früher Kindheit vor.

„Welch ein merkwürdiger Weg! Ich folge Ihrem Rat, nicht zu kritisieren, da Sie mir ja nur zeigen wollen, was die Psychoanalyse von der Entstehung der Neurose glaubt, um daran zu knüpfen, was sie zu ihrer Bekämpfung unternimmt. Ich hätte verschie- denes zu fragen, werde einiges auch später vorbrin- gen. Zunächst verspüre ich auch einmal die Versu- chung, auf Grund ihrer Gedankengänge weiter zu bauen und selbst eine Theorie zu wagen. Sie haben die Relation Außenwelt-Ich-Es entwickelt und als die Bedingung^ der Neurose hingestellt, daß das Ich in seiner Abhängigkeit von der Außenwelt das Es be- kämpft. Ist nicht auch der andere Fall denkbar, daß das Ich in einem solchen Konflikt sich vom Es fort- reißen läßt und seine Rüdssicht auf die Außenwelt verleugnet? Was geschieht in einem solchen Falle? Nach meinen laienhaften Vorstellungen von der Na-


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tur einer Geisteskrankheit könnte diese Entscheidung des Ichs die Bedingung der Geisteskrankheit sein. Solch eine Abwendung von der Wirklichkeit scheint doch das Wesentliche an der Geisteskrankheit."

Ja, daran habe ich selbst gedacht, und halte es sogar für zutreffend, wenngleich der Erweis dieser Vermutung eine Diskussion von recht komplizierten Verhältnissen erfordert. Neurose und Psychose sind offenbar innig verwandt und müssen sich doch in einem entscheidenden Punkt voneinander trennen. Dieser Punkt könnte wohl die Parteinahme des Ichs in einem solchen Konflikt sein. Das Es würde in bei- den Fällen seinen Charakter von blinder Unnachgie- bigkeit bewahren.

„Nun setzen Sie fort. Welche Winke gibt ihre Theorie für die Behandlung der neurotischen Er- krankungen?"

Unser therapeutisches Ziel ist jetzt leicht zu umschreiben. Wir wollen das Ich herstellen, es von seinen Einschränkungen befreien, ihm die Herrschaft über das Es wiedergeben, die es infolge seiner frühen Verdrängungen eingebüßt hat. Nur zu diesem Zweck machen wir die Analyse, unsere ganze Technik ist auf dieses Ziel gerichtet. Wir haben die vor- gefallenen Verdrängungen aufzusuchen und das Ich zu bewegen, sie nun mit unserer Hilfe zu korrigie- ren, die Konflikte besser als durch einen Fluchtver- such zu erledigen. Da diese Verdrängungen sehr


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frühen Kinderjahren angehören, führt uns auch die analytische Arbeit in diese Lebenszeit zurück. Den Weg zu den meist vergessenen Konfliktsituationen, die wir in der Erinnerung des Kranken wiederbele- ben wollen, weisen uns die Symptome, Träume und freien Einfälle des Kranken, die wir allerdings erst deuten, übersetzen müssen, da sie unter dem Ein- fluß der Psychologie des Es für unser Verständnis fremdartige Ausdrucksformen angenommen haben. Von den Einfällen, Gedanken und Erinnerungen, die uns der Patient nicht ohne inneres Sträuben mittei- len kann, dürfen wir annehmen, daß sie irgendwie mit dem Verdrängten zusammenhängen oder Ab- kömmlinge desselben sind. Indem wir den Kranken dazu antreiben, sich über seine Widerstände bei der Mitteilung hinauszusetzen, erziehen wir sein Ich da- zu, seine Neigung zu Fluchtversuchen zu überwinden und die Annäherung des Verdrängten zu vertragen. Am Ende, wenn es gelungen ist, die Situation der Verdrängung in seiner Erinnerung zu reproduzieren, wird seine Gefügigkeit glänzend belohnt. Der ganze Unterschied der Zeiten läuft zu seinen Gunsten, und das, wovor sein kindliches Ich erschreckt die Flucht ergriffen hatte, das erscheint dem erwachsenen und erstarkten Ich oft nur als Kinderspiel.


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„Alles, was Sie mir bisher erzählt haben, war Psycho- logie. Es klang oft befremdlich, spröde, dunkel, aber es war doch immer, wenn ich so sagen soll : reinlich. Nun habe ich zwar bisher sehr wenig von Ihrer Psycho- analyse gewußt, aber das Gerücht ist doch zu mir gedrungen, daß sie sich vorwiegend mit Dingen be- schäftigt, die auf dieses Prädikat keinen Anspruch haben. Es macht mir den Eindruck einer beab- sichtigten Zurückhaltung, daß Sie bisher nichts Ähn- liches berührt haben. Auch kann ich einen anderen Zweifel nicht unterdrücken. Die Neurosen sind doch, wie Sie selbst sagen, Störungen des Seelenlebens. Und so wichtige Dinge wie unsere Ethik, unser Gewissen, unsere Ideale, sollten bei diesen tiefgreifenden Störungen gar keine Rolle spielen?"

Sie vermissen also in unseren bisherigen Bespre- chungen die Berücksichtigung des Niedrigsten wie des Höchsten. Das kommt aber daher, daß wir von den Inhalten des Seelenlebens überhaupt noch nicht gehandelt haben. Lassen Sie mich aber jetzt einmal


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selbst die Rolle des Unterbrechers spielen, der den Fortschritt der Unterredung aufhält. Ich habe Ihnen soviel Psychologie erzählt, weil ich wünschte, daß Sie den Eindruck empfangen, die analytische Arbeit sei ein Stück angewandter Psychologie, und zwar einer Psychologie, die außerhalb der Analyse nicht bekannt ist. Der Analytiker muß also vor allem diese Psychologie, die Tiefenpsychologie oder Psychologie des Unbewußten, gelernt haben, wenigstens soviel als heute davon bekannt ist. Wir werden das für unsere späteren Folgerungen brauchen. Aber jetzt, was meinten Sie mit der Anspielung auf die Reinlichkeit?

„Nun, es wird allgemein erzählt, daß in den Analysen die intimsten - und garstigsten Angelegen- heiten des Geschlechtslebens mit allen Details zur Sprache kommen. Wenn das so ist, - aus Ihren psy- chologischen Auseinandersetzungen habe ich nicht entnehmen können, daß es so sein muß, - so wäre es ein starkes Argument dafür, solche Behandlungen nur Ärzten zu gestatten. Wie kann man daran denken, anderen Personen, deren Diskretion man nicht sicher ist, für deren Charakter man keine Bürg- schaft hat, so gefährliche Freiheiten einzuräumen?"

Es ist wahr, die Ärzte genießen auf sexuellem Gebiet gewisse Vorrechte; sie dürfen ja auch die Genitalien inspizieren. Obwohl sie es im Orient nicht durften; auch manche Idealreformer - Sie wissen, wen ich meine - haben diese Vorrechte bekämpft.


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Aber Sie wollen zunächst wissen, ob es in der Analyse so ist und warum es so sein muß? - Ja, es ist so. Es muß aber so sein, erstens weil die Analyse überhaupt auf volle Aufrichtigkeit gebaut ist. Man behandelt in ihr z. B. Vermögensverhältnisse mit eben solcher Ausführlichkeit und Offenheit, sagt Dinge, die man jedem Mitbürger vorenthält, auch wenn er nicht Konkurrent oder Steuerbeamter ist. Daß diese Ver- pflichtung zur Aufrichtigkeit auch den Analytiker unter schwere moralische Verantwortlichkeit setzt, werde ich nicht bestreiten, sondern selbst energisch betonen. Zweitens muß es so sein, weil unter den Ursachen und Anlässen der nervösen Erkrankungen Momente des Geschlechtslebens eine überaus wichtige, eine überragende, vielleicht selbst eine spezifische Rolle spielen. Was kann die Analyse anderes tun, als sich ihrem Stoff, dem Material, das der Kranke bringt, an- zuschmiegen? Der Analytiker lockt den Patienten niemals auf das sexuelle Gebiet, er sagt ihm nicht voraus: es wird sich um die Intimitäten Aires Geschlechtslebens handeln! Er läßt ihn seine Mitteilun- gen beginnen, wo es ihm beliebt, und wartet ruhig ab, bis der Patient selbst die geschlechtlichen Dinge an- rührt. Ich pflegte meine Schüler immer zu mahnen: Unsere Gegner haben uns angekündigt, daß wir auf Fälle stoßen werden, bei denen das sexuelle Moment keine Rolle spielt; hüten wir uns davor, es in die Analyse einzuführen, verderben wir uns die Chance


nicht, einen soldien Fall zu finden. Nun bis jetzt hat niemand von uns dieses Glück gehabt.

Ich weiß natürlich, daß unsere Anerkennung der Sexualität - eingestandener oder uneingestandener Maßen - das stärkste Motiv für die Feindseligkeit der Anderen gegen die Analyse geworden ist. Kann uns das irre machen? Es zeigt uns nur, wie neurotisch unser ganzes Kulturleben ist, da sich die angeblich Nor- malen nicht viel anders benehmen als die Nervösen. Zur Zeit als in gelehrten Gesellschaften Deutschlands feierlich Gericht über die Psychoanalyse gehalten wurde, - heute ist es wesentlich stiller geworden, - beanspruchte ein Redner besondere Autorität, weil er nach seiner Mitteilung auch die Kranken sich äußern lasse. Offenbar in diagnostischer Absicht und um die Behauptungen der Analytiker zu prüfen. Aber, setzte er hinzu, wenn sie anfangen von sexuel- len Dingen zu reden, dann verschließe ich ihnen den Mund. Was denken Sie von einem solchen Beweis- verfahren? Die gelehrte Gesellschaft jubelte dem Redner Beifall zu, anstatt sich gebührender Weise für ihn zu schämen. Nur die triumphierende Sicher- heit, welche das Bewußtsein gemeinsamer Vorurteile verleiht, kann die logische Sorglosigkeit dieses Redners erklären. Jahre später haben einige meiner damaligen Schüler dem Bedürfnis nachgegeben, die menschliche Gesellschaft vom Joch der Sexualität, das ihr die Psychoanalyse auferlegen will, zu befreien. Der eine


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hat erklärt, das Sexuelle bedeute gar nidit die Sexuali- tät, sondern etwas anderes, Abstraktes, Mystisches; ein zweiter gar, das Sexualleben sei nur eines der Gebiete, auf dem der Mensch das ihn [treibende Bedürfnis nach Macht und Herrschaft betätigen wolle. Sie haben sehr viel Beifall gefunden, für die nächste Zeit wenigstens.

„Da getraue ich mich aber doch einmal Partei zu nehmen. Es scheint mir sehr gewagt, zu behaupten, daß die Sexualität kein natürliches, ursprüngliches Bedürfnis der lebenden Wesen ist, sondern der Aus- druck für etwas anderes. Man braucht sich da nur an das Beispiel der Tiere zu halten."

Das macht nichts. Es gibt keine, noch so absurde Mixtur, die die Gesellschaft nicht bereitwillig schlucken würde, wenn sie nur als Gegenmittel gegen die ge- fürchtete Übermacht der Sexualität ausgerufen wird.

Ich gestehe Ihnen übrigens, daß mir die Ab- neigung, die Sie selbst verraten haben, dem sexuellen Moment eine so große Rolle in der Verursachung der Neurosen einzuräumen, mit Ihrer Aufgabe als Unparteüscher nicht gut verträglich scheint. Fürchten Sie nicht, daß Sie durch solche Antipathie in der Fällung eines gerechten Urteils gestört sein werden?

„Es tut mir leid, daß Sie das sagen. Ihr Ver- trauen zu mir scheint erschüttert. Warum haben Sie dann nicht einen anderen zum Unparteiischen ge- wählt?"


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Weil dieser andere auch nicht anders gedacht hätte als Sie. Wenn er aber von vorneherein bereit gewesen wäre, die Bedeutung des Geschlechtslebens anzuerkennen, so hätte alle Welt gerufen : Das ist ja kein Unparteiischer, das ist ja ein Anhänger von Ihnen. Nein, ich gebe die Erwartung keineswegs auf, Einfluß auf Ihre Meinungen zu gewinnen. Ich bekenne aber, dieser Fall liegt für mich anders als der vorhin behandelte. Bei den psychologischen Erörterungen mußte es mir gleich gelten, ob Sie mir Glauben schen- ken oder nicht, wenn Sie nur den Eindruck bekom- men, es handle sich um rein psychologische Probleme. Diesmal, bei der Frage der Sexualität, möchte ich doch, daß Sie der Einsicht zugänglich werden, Ihr stärkstes Motiv zum Widerspruch sei eben die mit- gebrachte Feindseligkeit, die Sie mit so vielen anderen teilen.

„Es fehlt mir doch die Erfahrung, welche Ihnen eine so unerschütterliche Sicherheit geschaffen hat."

Gut, ich darf jetzt in meiner Darstellung fortfahren. Das Geschlechtsleben ist nicht nur eine Pikanterie, sondern auch ein ernsthaftes wissenschaftliches Pro- blem. Es gab da viel Neues zu erfahren, viel Sonder- bares zu erklären. Ich sagte Ihnen schon, daß die Analyse bis in die frühen Kindheitsjahre des Patien- ten zurückgehen mußte, weil in diesen Zeiten und während der Schwäche des Ichs die entscheidenden Verdrängungen vorgefallen sind. In der Kindheit gibt

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es aber doch gewiß kein Geschlechtsleben, das hebt erst mit der Pubertätszeit an? Im Gegenteile, wir hatten die Entdeckung zu machen, daß die sexuellen Triebregungen das Leben von der Geburt an be- gleiten, und daß es gerade diese Triebe sind, zu deren Abwehr das infantile Ich die Verdrängungen vornimmt. Ein merkwürdiges Zusammentreffen, nicht wahr, daß schon das kleine Kind sich gegen die Macht der Sexualität sträubt, wie später der Redner in der gelehrten Gesellschaft und noch später meine Schüler, die ihre eigenen Theorien aufstellen? Wie das zugeht? Die allgemeinste Auskunft wäre, daß unsere Kultur überhaupt auf Kosten der Sexualität aufgebaut wird, aber es ist viel anderes darüber zu sagen.

Die Entdeckung der kindlichen Sexualität gehört zu jenen Funden, deren man sich zu schämen hat. Einige Kinderärzte haben immer darum gewußt, wie es scheint, auch einige Kinderpflegerinnen. Geistreiche Männer, die sich Kinderpsychologen heißen, haben dann in vorwurfsvollem Ton von einer „Entharmlosung der Kindheit" gesprochen. Immer wieder Sentimente an Stelle von Argumenten! In unseren politischen Körperschaften sind solche Vorkommnisse alltäglich. Irgendwer von der Opposition steht auf und denun- ziert eine Mißwirtschaft in der Verwaltung, Armee, Justiz und dergleichen. Darauf erklärt ein anderer, am liebsten einer von der Regierung, solche Konsta-


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tierungen beleidigen das staadiche, militärische, dyna- stische oder gar das nationale Ehrgefühl. Sie seien also so gut wie nicht wahr. Diese Gefühle vertragen keine Beleidigung.

Das Geschlechtsleben des Kindes ist natürlich ein anderes als das des Erwachsenen. Die Sexualfunktion macht von ihren Anfängen bis zu der uns so ver- trauten Endgestaltung eine komplizierte Entwicklung durch. Sie wächst aus zahlreichen Parüaltrieben mit besonderen Zielen zusammen, durchläuft mehrere Phasen der Organisation, bis sie sich endlich in den Dienst der Fortpflanzung stellt. Von den einzelnen Partialtrieben sind nicht alle für den Endausgang gleich brauchbar, sie müssen abgelenkt, umgemodelt, zum Teil unterdrückt werden. Eine so weidäufige Ent- wicklung wird nicht immer tadellos durchgemacht, es kommt zu Entwicklungshemmungen, partiellen Fixie- rungen auf frühen Entwicklungsstufen ; wo sich später der Ausübung der Sexualfunktion Hindernisse ent- gegenstellen, weicht das sexuelle Streben - die Libido, wie wir sagen - gern auf solche frühere Fixierungs- stellen zurück. Das Studium der kindlichen Sexualität und ihrer Umwandlungen bis zur Reife hat uns auch den Schlüssel zum Verständnis der sogenannten se- xuellen Perversionen gegeben, die man immer mit allen geforderten Anzeichen des Abscheus zu be- schreiben pflegte, deren Entstehung man aber nicht aufklären konnte. Das ganze Gebiet ist ungemein in-


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teressant, es hat nur für die Zwecke unserer Unter- redungen nicht viel Sinn, wenn ich Ihnen mehr davon erzähle. Man braucht, um sich hier zurechtzufinden, natürlich anatomische und physiologische Kenntnisse, die leider nicht sämtlich in der medizinischen Schule zu erwerben sind, aber eine Vertrautheit mit Kultur- geschichte und Mythologie ist ebenso unerläßlich.

„Nach alledem kann ich mir vom Geschlechtsleben des Kindes doch keine Vorstellung machen."

So will ich noch länger bei dem Thema verweilen ; es fällt mir ohnedies nicht leicht, mich davon loszu- reißen. Hören Sie, das Merkwürdigste am Geschlechts- leben des Kindes scheint mir, daß es seine ganze, sehr weitgehende Entwicklung in den ersten fünf Lebensjahren durchläuft; von da an bis zur Pubertät erstreckt sich die sogenannte Latenzzeit, in der - nor- maler Weise - die Sexualität keine Fortschritte macht, die sexuellen Strebungen im Gegenteil an Stärke nachlassen und vieles aufgegeben und vergessen wird, was das Kind schon geübt oder gewußt hatte. In dieser Lebensperiode, nachdem die Frühblüte des Geschlechtslebens abgewelkt ist, bilden sich jene Ein- stellungen des Ichs heraus, die wie Scham, Ekel, Mo- ralität dazu bestimmt sind, dem späteren Pubertäts- sturm standzuhalten und dem neu erwachenden se- xuellen Begehren die Bahnen zu weisen. Dieser so- genannte zweizeitige Ansatz des Sexual- lebens hat sehr viel mit der Entstehung der nervösen


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Erkrankungen zu tun. Er scheint sich nur beim Men- schen zu finden, vielleicht ist er eine der Bedingungen des menschlichen Vorrechtes, neurotisch zu werden. Die Vorzeit des Geschlechtslebens ist vor der Psychoana- lyse ebenso übersehen worden, wie auf anderem Ge- biet der Hintergrund des bewußten Seelenlebens. Sie werden mit Recht vermuten, daß beide auch innig zusammengehören.

Von den Inhalten, Äußerungen und Leistungen dieser Frühzeit der Sexualität wäre sehr viel zu be- richten, worauf die Erwartung nicht vorbereitet ist. Zum Beispiel : Sie werden gewiß erstaunt sein zu hören, daß sich das Knäblein so häufig davor äng- stigt, vom Vater aufgefressen zu werden. (Wundern Sie sich nicht auch, daß ich diese Angst unter die Äußerungen des Sexuallebens versetze?) Aber ich darf Sie an die mythologische Erzählung erinnern, die Sie vielleicht aus Ihren Schuljahren noch nicht vergessen haben, daß auch der Gott Kronos seine Kinder verschlingt. Wie sonderbar muß Ihnen dieser Mythus erschienen sein, als Sie zuerst von ihm hör- ten ! Aber ich glaube, wir haben uns alle damals nichts dabei gedacht. Heute können wir auch mancher Mär- chen gedenken, in denen ein fressendes Tier, wie der Wolf, auftritt, und werden in diesem eine Verkleidung des Vaters erkennen. Ich ergreife diese Gelegenheit, um Ihnen zu versichern, daß Mythologie und Märchen- welt überhaupt erst durch die Kenntnis des kindlichen


Sexuallebens verständlich werden. Es ist das so ein Nebengewinn der analytischen Studien.

Nicht minder groß wird Ihre Überraschung sein zu hören, daß das männliche Kind unter der Angst leidet, vom Vater seines Geschlechtsgliedes beraubt zu werden, so daß diese Kastrationsangst den stärk- sten Einfluß auf seine Charakterentwicklung und die Entscheidung seiner geschlechtlichen Richtung nimmt. Auch hier wird Ihnen die Mythologie Mut machen, der Psychoanalyse zu glauben. Derselbe Kronos, der seine Kinder verschlingt, hatte auch seinen Vater Ura- nos entmannt und ist dann zur Vergeltung von seinem durch die List der Mutter geretteten Sohn Zeus entmannt worden. Wenn Sie zur Annahme ge- neigt haben, daß alles, was die Psychoanalyse von der frühzeitigen Sexualität der Kinder erzählt, aus der wüsten Phantasie der Analytiker stammt, so geben Sie doch wenigstens zu, daß diese Phantasie dieselben Produktionen geschaffen hat wie die Phan- tasietätigkeit der primitiven Menschheit, von der Mythen und Märchen der Niederschlag sind. Die an- dere, freundlichere und wahrscheinlich auch zutreffen- dere Auffassung wäre, daß im Seelenleben des Kin- des noch heute dieselben archaischen Momente nach- weisbar sind, die einst in den Urzeiten der mensch- lichen Kultur allgemein geherrscht haben. Das Kind würde in seiner seelischen Entwicklung die Stammes- geschichte in abkürzender Weise wiederholen, wie


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es die Embryologie längst für die körperliche Ent- wicklung erkannt hat.

Ein weiterer Charakter der frühkindlidien Sexu- alität ist, daß das eigentlich weibliche Geschlechtsglied in ihr noch keine Rolle spielt - es ist für das Kind noch nicht entdeckt. Aller Akzent fällt auf das männ- liche Glied, alles Interesse richtet sich darauf, ob dies vorhanden ist oder nicht. Vom Geschlechtsleben des kleinen Mädchens wissen wir weniger als von dem des Knaben. Wir brauchen uns dieser Differenz nicht zu schämen ; ist doch auch das Geschlechtsleben des erwachsenen Weibes ein dark continent für die Psychologie. Aber wir haben erkannt, daß das Mäd- chen den Mangel eines dem männlichen gleichwertigen Geschlechtsgliedes schwer empfindet, sich darum für minderwertig hält, und daß dieser „Penisneid" einer ganzen Reihe charakteristisch weiblicher Reaktionen den Ursprung gibt.

Dem Kind eigen ist es auch, daß die beiden ex- krementeilen Bedürfnisse mit sexuellem Interesse be- setzt sind. Die Erziehung setzt später eine scharfe Scheidung durch, die Praxis der Witze hebt sie wieder auf. Das mag uns unappetitlich scheinen, aber es braucht bekanntlich beim Kind eine ganze Zeit, bis sich der Ekel einstellt. Das haben auch die nicht ge- leugnet, die sonst für die seraphische Reinheit der Kinderseele eintreten.

Keine andere Tatsache hat aber mehr Anspruch




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auf unsere Beachtung, als daß das Kind seine sexu- ellen Wünsche regelmäßig auf die ihm verwandt- schaftlich nächsten Personen richtet, also in erster Linie auf Vater und Mutter, in weiterer Folge auf seine Geschwister. Für den Knaben ist die Mutter das erste Liebesobjekt, für das Mädchen der Vater, so- weit nicht eine bisexuelle Anlage auch gleichzeitig die gegenteilige Einstellung begünstigt. Der andere Eltern- teil wird als störender Rivale empfunden und nicht selten mit starker Feindseligkeit bedacht. Verstehen Sie mich recht, ich will nicht sagen, daß das Kind sich nur jene Art von Zärtlichkeit vom bevorzugten Eltern- teil wünscht, in der wir Erwachsene so gern das Wesen der Eltern-Kind-Beziehung sehen. Nein, die Analyse läßt keinen Zweifel darüber, daß die Wünsche des Kindes über diese Zärtlichkeit hinaus alles an- streben, was wir als sinnliche Befriedigung begreifen, soweit eben das Vorstellungsvermögen des Kindes reicht. Es ist leicht zu verstehen, daß das Kind den wirklichen Sachverhalt der Vereinigung der Geschlech- ter niemals errät, es setzt dafür andere aus seinen Erfahrungen und Empfindungen abgeleitete Vor- stellungen ein. Gewöhnlich gipfeln seine Wünsche in der Absicht, ein Kind zu gebären oder - in unbe- stimmbarer Weise - zu zeugen. Von dem Wunsche, ein Kind zu gebären, schließt sich in seiner Un- wissenheit auch der Knabe nicht aus. Diesen ganzen seelischen Aufbau heißen wir nach der bekannten


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griechischen Sage den Oedipuskomplex. Er soll normalerweise mit dem Ende der sexuellen Frühzeit verlassen, gründlich abgebaut und umgewandelt werden und die Ergebnisse dieser Verwandlung sind zu großen Leistungen im späteren Seelenleben be- stimmt. Aber es geschieht in der Regel nicht gründ- lich genug und die Pubertät ruft dann eine Wieder- belebung des Komplexes hervor, die schwere Folgen haben kann.

Ich wundere mich, daß Sie noch schweigen. Das kann kaum Zustimmung bedeuten. - Wenn die Ana- lyse behauptet, die erste Objektwahl des Kindes sei eine inzestuöse, um den technischen Namen zu gebrauchen, so hat sie gewiß wieder die heiligsten Gefühle der Menschheit gekränkt und darf auf das entsprechende Ausmaß von Unglauben, Widerspruch und Anklage gefaßt sein. Die sind ihr auch reichlich zuteil geworden. Nichts anderes hat ihr in der Gunst der Zeitgenossen mehr geschadet als die Aufstellung des Oedipuskomplexes als einer allgemein mensch- lichen, schicksalgebundenen Formation. Der griechische Mythus muß allerdings dasselbe gemeint haben, aber die Überzahl der heutigen Menschen, gelehrter wie ungelehrter, zieht es vor zu glauben, daß die Natur einen angeborenen Abscheu als Schutz gegen die Inzestmöglichkeit eingesetzt hat.

Zunächst soll uns die Geschichte zu Hilfe kommen. Als C. Julius Caesar Ägypten betrat, fand er die ju-


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gendliche Königin Kleopatra, die ihm bald so bedeu- tungsvoll werden sollte, vermählt mit ihrem noch jüngeren Bruder Ptolemäus. Das war in der ägyp- tischen Dynastie nichts Besonderes; die ursprünglich griechischen Ptolemäer hatten nur den Brauch fort- gesetzt, den seit einigen Jahrtausenden ihre Vor- gänger, die alten Pharaonen, geübt hatten. Aber das ist ja nur Geschwisterinzest, der noch in der Jetztzeit milder beurteilt wird. Wenden wir uns darum an unsere Kronzeugin für die Verhältnisse der Urzeit, die Mythologie. Sie hat uns zu berichten, daß die Mythen aller Völker, nicht nur der Griechen, über- reich sind an Iiebesbeziehungen zwischen Vater und Tochter und selbst Mutter und Sohn. Die Kosmologie wie die Genealogie der königlichen Geschlechter ist auf dem Inzest begründet. In welcher Absicht, meinen Sie, sind diese Dichtungen geschaffen worden? Um Götter und Könige als Verbrecher zu brandmarken, den Abscheu des Menschengeschlechts auf sie zu lenken? Eher doch, weil die Inzestwünsche uraltes menschliches Erbgut sind und niemals völlig über- wunden wurden, so daß man ihre Erfüllung den Göttern und ihren Abkömmlingen noch gönnte, als die Mehrheit der gewöhnlichen Menschenkinder be- reits darauf verzichten mußte. Im vollsten Einklang mit diesen Lehren der Geschichte und der Mythologie finden wir den Inzestwunsch in der Kindheit des Ein- zelnen noch heute vorhanden und wirksam.


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„Ich könnte es Ihnen übelnehmen, daß Sie mir all das über die kindliche Sexualität vorenthalten wollten. Es scheint mir gerade wegen seiner Beziehungen zur menschlichen Urgeschichte sehr interessant."

Ich fürchtete, es würde uns zu weit von unserer Absicht abführen. Aber vielleicht wird es doch seinen Vorteil haben.

„Nun sagen Sie mir aber, welche Sicherheit haben Sie für Ihre analytischen Resultate über das Sexual- leben der Kinder zu geben? Ruht Ihre Überzeugung allein auf den Übereinstimmungen mit Mythologie und Historie?"

Oh, keineswegs. Sie ruht auf unmittelbarer Beob- achtung. Es ging so zu: Wir hatten zunächst den In- halt der sexuellen Kindheit aus den Analysen Er- wachsener, also zwanzig bis vierzig Jahre später, er- schlossen. Später haben wir die Analysen an den Kindern selbst unternommen, und es war kein gerin- ger Triumph, als sich an ihnen alles so bestätigen ließ, wie wir es trotz der Überlagerungen und Ent- stellungen der Zwischenzeit erraten hatten.

„Wie, Sie haben kleine Kinder in Analyse ge- nommen, Kinder im Alter vor sechs Jahren? Geht das überhaupt und ist es nicht für diese Kinder recht bedenklich?"

Es geht sehr gut. Es ist kaum zu glauben, was in einem solchen Kind von vier bis fünf Jahren schon




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alles vorgeht. Die Kinder sind geistig sehr regsam in diesem Alter, die sexuelle Frühzeit ist für sie auch eine intellektuelle Blüteperiode. loh habe den Ein- druck, daß sie mit dem Eintritt in die Latenzzeit auch geistig gehemmt, dümmer, werden. Viele Kinder ver- lieren auch von da an ihren körperlichen Reiz. Und was den Schaden der Frühanalyse betrifft, so kann ich Ihnen berichten, daß das erste Kind, an dem dies Experiment vor nahezu zwanzig Jahren gewagt wurde, seither ein gesunder und leistungsfähiger junger Mann geworden ist, der seine Pubertät trotz schwerer psy- chischer Traumen klaglos durchgemacht hat. Den an- deren „Opfern" der Frühanalyse wird es hoffentlich nicht schlechter ergehen. An diese Kinderanalysen knüpfen sich mancherlei Interessen ; es ist möglich, daß sie in der Zukunft zu noch größerer Bedeutung kommen werden. Ihr Wert für die Theorie steht ja außer Frage. Sie geben unzweideutige Auskünfte über Fra- gen, die in den Analysen Erwachsener unentschieden bleiben, und schützen den Analytiker so vor Irrtümern, die für ihn folgenschwer wären. Man überrascht eben die Momente, welche die Neurose gestalten, bei ihrer Arbeit und kann sie nicht verkennen. Im Interesse des Kindes muß allerdings die analytische Beein- flussung mit erzieherischen Maßnahmen verquickt werden. Diese Technik harrt noch ihrer Ausgestal- tung. Ein praktisches Interesse wird aber durch die Beobachtung geweckt, daß eine sehr große Anzahl


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unserer Kinder in ihrer Entwicklung eine deutlich neurotische Phase durchmachen. Seitdem wir schärfer zu sehen verstehen, sind wir versucht zu sagen, die Kinderneurose sei nicht die Ausnahme, sondern die Regel, als ob sie sich auf dem Weg von der infan- tilen Anlage bis zur gesellschaftlichen Kultur kaum vermeiden ließe. In den meisten Fällen wird diese neurotische Anwandlung der Kinderjahre spontan überwunden ; ob sie nicht doch regelmäßig ihre Spuren auch beim durchschnittlich Gesunden hinter- läßt? Hingegen vermissen wir bei keinem der späte- ren Neurotiker die Anknüpfung an die kindliche Er- krankung, die ihrerzeit nicht sehr auffällig gewesen zu sein braucht. In ganz analoger Weise, glaube ich, behaupten heute die Internisten, daß jeder Mensch einmal in seiner Kindheit eine Erkrankung an Tuber- kulose durchgemacht hat. Für die Neurosen kommt allerdings der Gesichtspunkt der Impfung nicht in Betracht, nur der der Prädisposition.

Ich will zu Ihrer Frage nach den Sicherheiten zurückkehren. Wir haben uns also ganz allgemein durch die direkte analytische Beobachtung der Kinder überzeugt, daß wir die Mitteilungen der Erwachsenen über ihre Kinderzeit richtig gedeutet hatten. In einer Reihe von Fällen ist uns aber noch eine andere Art der Bestätigung möglich geworden. Wir hatten aus dem Material der Analyse gewisse äußere Vorgänge, eindrucksvolle Ereignisse der Kinderjahre rekon-

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struiert, von denen die bewußte Erinnerung der Kranken nichts bewahrt hatte, und glückliche Zufälle, Erkundigungen bei Eltern und Pflegepersonen haben uns dann den unwiderleglichen Beweis erbracht, daß diese erschlossenen Begebenheiten sich wirklich so zugetragen hatten. Das gelang natürlich nicht sehr oft, aber wo es eintraf, machte es einen über- wältigenden Eindruck. Sie müssen wissen, die richtige Rekonstruktion solcher vergessenen Kindererlebnisse hat immer einen großen therapeutischen Effekt, ob sie nun eine objektive Bestätigung zulassen oder nicht. Ihre Bedeutung verdanken diese Begebenheiten na- türlich dem Umstand, daß sie so früh vorgefallen sind, zu einer Zeit, da sie auf das schwächliche Ich noch trau- matisch wirken konnten.

„Um was für Ereignisse kann es sich da handeln, die man durch die Analyse aufzufinden hat?"

Um Verschiedenartiges. In erster Linie um Ein- drücke, die imstande waren, das keimende Sexualleben des Kindes dauernd zu beeinflussen, wie Beobachtungen geschlechtlicher Vorgänge zwischen Erwachsenen oder eigene sexuelle Erfahrungen mit einem Er- wachsenen oder einem anderen Kind, — gar nicht so seltene Vorfälle, - des weiteren um Mitanhören von Gesprächen, die das Kind damals oder erst nachträglich verstand, aus denen es Aufschluß über geheimnis- volle oder unheimliche Dinge zu entnehmen glaubte, ferner Äußerungen und Handlungen des Kindes


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selbst, die eine bedeutsame zärtliche oder feindselige Einstellung desselben gegen andere Personen be- weisen. Eine besondere Wichtigkeit hat es in der Analyse, die vergessene eigene Sexualbetätigung des Kindes erinnern zu lassen und dazu die Einmengung der Erwachsenen, welche derselben ein Ende setzte.

„Das ist jetzt für mich der Anlaß, eine Frage vorzubringen, die ich längst stellen wollte. Worin be- steht also die ,Sexualbetätigung' des Kindes während dieser Frühzeit, die man, wie Sie sagen, vor der Zeit der Analyse übersehen hatte?"

Das Regelmäßige und Wesentliche an dieser Sexualbetätigung hatte man merkwürdigerweise doch nicht übersehen ; das heißt, es ist gar nicht merk- würdig, es war eben nicht zu übersehen. Die sexu- ellen Regungen des Kindes finden ihren hauptsäch- lichsten Ausdruck in der Selbstbefriedigung durch Reizung der eigenen Genitalien, in Wirklichkeit des männlichen Anteils derselben. Die außerordentliche Verbreitung dieser kindlichen „Unart" war den Er- wachsenen immer bekannt, diese selbst wurde als schwere Sünde betrachtet und strenge verfolgt. Wie man diese Beobachtung von den unsittlichen Neigungen der Kinder - denn die Kinder tun dies, wie sie selbst sagen, weil es ihnen Vergnügen macht - mit der Theorie von ihrer angeborenen Reinheit und Unsinn- lichkeit vereinigen konnte, danach fragen Sie mich nicht. Dieses Rätsel lassen Sie sich von der Gegen-




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seite aufklären. Für uns stellt sich ein wichtigeres Problem her. Wie soll man sich gegen die Sexual- betätigung der frühen Kindheit verhalten? Man kennt die Verantwortlichkeit, die man durch ihre Unterdrückung auf sich nimmt, und getraut sich doch nicht, sie uneingeschränkt gewähren zu lassen. Bei Völkern niedriger Kultur und in den unteren Schichten der Kulturvölker scheint die Sexualität der Kinder freigegeben zu sein. Damit ist wahrscheinlich ein starker Schutz gegen die spätere Erkrankung an individuellen Neurosen erzielt worden, aber nicht auch gleichzeitig eine außerordentliche Einbuße an der Eignung zu kulturellen Leistungen? Manches spricht dafür, daß wir hier vor einer neuen Scylla und Charybdis stehen.

Ob aber die Interessen, die durch das Studium des Sexuallebens bei den Neurotikern angeregt werden, eine für die Erweckung der Lüsternheit gün- stige Atmosphäre schaffen, getraue ich mich doch Ihrem eigenen Urteil zu überlassen.


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„Ich glaube, Ihre Absicht zu verstehen. Sie wollen mir zeigen, was für Kenntnisse man für die Ausübung der Analyse braucht, damit ich urteilen kann, ob der Arzt allein zu ihr berechtigt sein soll. Nun, bisher ist wenig Ärztliches vorgekommen, viel Psychologie und ein Stück Biologie oder Sexualwissenschaft. Aber viel- leicht haben wir noch nicht das Ende gesehen?"

Gewiß nicht, es bleiben noch Lücken auszu- füllen. Darf ich Sie um etwas bitten? Wollen Sie mir schildern, wie Sie sich jetzt eine analytische Behand- lung vorstellen? So, als ob Sie sie selbst vorzu- nehmen hätten?

„Nun, das kann gut werden. Ich habe wirklich nicht die Absicht, unsere Streitfrage durch ein solches Experiment zu entscheiden. Aber ich will Ihnen den Gefallen tun, die Verantwortlichkeit fiele ja auf Sie. Also ich nehme an, der Kranke kommt zu mir und beklagt sich über seine Beschwerden. Ich verspreche ihm Heilung oder Besserung, wenn er meinen An- weisungen folgen will. Ich fordere ihn auf, mir in

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vollster Aufrichtigkeit alles zu sagen, was er weiß und was ihm einfällt, und sich von diesem Vorsatz nicht abhalten zu lassen, auch wenn manches ihm zu sagen unangenehm sein sollte. Habe ich mir diese Regel gut gemerkt?"

Ja, Sie sollten noch hinzufügen, auch wenn er meint, daß das, was ihm einfällt, unwichtig oder un- sinnig ist.

„Auch das. Dann beginnt er zu erzählen und ich höre zu. Ja und dann? Aus seinen Mitteilungen er- rate ich, was er für Eindrücke, Erlebnisse, Wunsch- regungen verdrängt hat, weil sie ihm zu emer Zeit entgegengetreten sind, als sein Ich noch schwach war und sich vor ihnen fürchtete, anstatt sich mit ihnen abzugeben. Wenn er das von mir erfahren hat, ver- setzt er sich in die Situationen von damals und macht es jetzt mit meiner Hilfe besser. Dann verschwinden die Einschränkungen, zu denen sein Ich genötigt war, und er ist hergestellt. Ist es so recht?"

Bravo, bravo! Ich sehe, man wird mir wieder den Vorwurf machen können, daß ich einen Nichtarzt zum Analytiker ausgebildet habe. Sie haben sich das sehr gut zu eigen gemacht.

„Ich habe nur wiederholt, was ich von Ihnen ge- hört habe, wie wenn man etwas Auswendiggelerntes hersagt. Ich kann mir ja doch nicht vorstellen, wie ich's machen würde, und verstehe gar nicht, warum eine solche Arbeit soviele Monate hindurch täglich


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eine Stunde brauchen sollte. Ein gewöhnlicher Mensch hat doch in der Regel nicht soviel erlebt, und was in der Kindheit verdrängt wird, das ist doch wahr- scheinlich in allen Fällen das nämliche.

Man lernt noch allerlei bei der wirklichen Aus- übung der Analyse. Zum Beispiel: Sie würden es gar nicht so einfach finden, aus den Mitteilungen, die der Patient macht, auf die Erlebnisse zu schließen, die er vergessen, die Triebregungen, die er ver- drängt hat. Er sagt Ihnen irgend etwas, was zunächst für Sie ebensowenig Sinn hat wie für ihn. Sie werden sich entschließen müssen, das Material, das Ihnen der Analysierte im Gehorsam gegen die Regel liefert, in einer ganz besonderen Weise aufzufassen. Etwa wie ein Erz, dem der Gehalt an wertvollem Metall durch bestimmte Prozesse abzugewinnen ist. Sie sind dann auch vorbereitet, viele Tonnen Erz zu verarbeiten, die vielleicht nur wenig von dem gesuchten kostbaren Stoff enthalten. Hier wäre die erste Begründung für die Weitläufigkeit der Kur.

„Wie verarbeitet man aber diesen Rohstoff, um in Ihrem Gleichnis zu bleiben?"

Indem man annimmt, daß die Mitteilungen und Einfälle des Kranken nur Entstellungen des Ge- suchten sind, gleichsam Anspielungen, aus denen Sie zu erraten haben, was sich dahinter verbirgt. Mit einem Wort, Sie müssen dieses Material, seien es Er- innerungen, Einfälle oder Träume, erst deuten. Das


geschieht natürlidi mit Hinblick auf die Erwartungen, die sich in Ihnen dank Ihrer Sachkenntnis, während Sie zuhörten, gebildet haben.

„Deuten! Das ist ein garstiges Wort. Das höre ich nicht gerne, damit bringen Sie mich um alle Sicher- heit. Wenn alles von meiner Deutung abhängt, wer steht mir dafür ein, daß ich richtig deute? Dann ist doch alles meiner Willkür überlassen."

Gemach, es steht nicht so schlimm. Warum wollen Sie Ihre eigenen seelischen Vorgänge von der Gesetzmäßigkeit ausnehmen, die Sie für die des an- deren anerkennen? Wenn Sie eine gewisse Selbst- zucht gewonnen haben und über bestimmte Kennt- nisse verfügen, werden Ihre Deutungen von Ihren persönlichen Eigenheiten unbeeinflußt sein und das Richtige treffen. Ich sage nicht, daß für diesen Teil der Aufgabe die Persönlichkeit des Analytikers gleichgiltig ist. Es kommt eine gewisse Feinhörigkeit für das unbewußte Verdrängte in Betracht, von der nicht jeder das gleiche Maß besitzt Und vor allem knüpft hier die Verpflichtung für den Analytiker an, sich durch tiefreichende eigene Analyse für die vor- urteilslose Aufnahme des analytischen Materials taug- lich zu machen. Eines bleibt freilich übrig, was der „persönlichen Gleichung bei astronomischen Beob- achtungen gleichzusetzen ist; dies individuelle Mo- ment wird in der Psychoanalyse immer eine größere Rolle spielen als anderswo. Ein abnormer Mensch


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mag ein korrekter Physiker werden können, als Ana- lytiker wird er durch seine eigene Abnormität be- hindert sein, die Bilder des seelischen Lebens ohne Verzerrung zu erfassen. Da man niemand seine Ab- normität beweisen kann, wird eine allgemeine Über- einstimmung in den Dingen der Tiefenpsychologie besonders schwer zu erreichen sein. Manche Psycho- logen meinen sogar, dies sei ganz aussichtslos und jeder Narr habe das gleiche Recht, seine Narrheit für Weisheit auszugeben. Ich bekenne, ich bin hierin optimistischer. Unsere Erfahrungen zeigen doch, daß auch in der Psychologie ziemlich befriedigende Über- einstimmungen zu erreichen sind. Jedes Forschungs- gebiet hat eben seine besondere Schwierigkeit, die zu eliminieren wir uns bemühen müssen. Übrigens ist auch in der Deutungskunst der Analyse manches wie ein anderer Wissensstoff zu erlernen, zum Bei- spiel, was mit der eigentümlichen indirekten Dar- stellung durch Symbole zusammenhängt.

„Nun, ich habe keine Lust mehr, auch nur in Gedanken eine analytische Behandlung zu unter- nehmen. Wer weiß, was für Überraschungen da noch auf mich warten würden."

Sie tun recht daran, eine solche Absicht aufzu- geben. Sie merken, wieviel Schulung und Übung noch erforderlich wäre. Wenn Sie die richtigen Deutungen gefunden haben, stellt sich eine neue Aufgabe her. Sie müssen den richtigen Moment abwarten, um dem




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Patienten Ihre Deutung mit Aussicht auf Erfolg mit- zuteilen.

„Woran erkennt man jedesmal den richtigen Moment?"

Das ist Sache eines Takts, der durch Erfahrung sehr verfeinert werden kann. Sie begehen einen schweren Fehler, wenn Sie etwa im Bestreben, die Analyse zu verkürzen, dem Patienten Ihre Deu- tungen an den Kopf werfen, sobald Sie sie gefunden haben. Sie erzielen damit bei ihm Äußerungen von Widerstand, Ablehnung, Entrüstung, erreichen es aber nicht, daß sein Ich sich des Verdrängten be- mächtigt. Die Vorschrift ist, zu warten, bis er sich diesem soweit angenähert hat, daß er unter der An- leitung Ihres Deutungsvorschlages nur noch wenige Schritte zu machen braucht.

„Ich glaube, das würde ich nie erlernen. Und wenn ich diese Vorsichten bei der Deutung befolgt habe, was dann?"

Dann ist es Ihnen bestimmt, eine Entdeckung zu machen, auf die Sie nicht vorbereitet sind.

„Die wäre?"

Daß Sie sich in Ihrem Patienten getäuscht haben, daß Sie gar nicht auf seine Mithilfe und Gefügigkeit rechnen dürfen, daß er bereit ist, der gemeinsamen Arbeit alle möglichen Schwierigkeiten in den Weg zu legen, mit einem Wort: daß er überhaupt nicht gesund werden will.


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„Nein, das ist das Tollste, das Sie mir bisher er- zählt haben! Ich glaube es auch nicht. Der Kranke, der so schwer leidet, der so ergreifend über seine Beschwerden klagt, der so große Opfer für die Be- handlung bringt, der soll nicht gesund werden wollen ! Sie meinen es auch gewiß nicht so."

Fassen Sie sich, ich meine es. Was ich sagte, ist die Wahrheit, nicht die ganze freilich, aber ein sehr beachtenswertes Stück derselben. Der Kranke will allerdings gesund werden, aber er will es auch nicht. Sein Ich hat seine Einheit verloren, darum bringt er auch keinen einheitlichen Willen auf. Er wäre kein Neurotiker, wenn er anders wäre.

„War' ich besonnen, hieß ich nicht der Teil."

Die Abkömmlinge des Verdrängten sind in sein Ich durchgebrochen, behaupten sich darin, und über die Strebungen dieser Herkunft hat das Ich so wenig Herr- schaft wie über das Verdrängte selbst, weiß auch für gewöhnlich nichts von ihnen. Diese Kranken sind eben von einer besonderen Art und machen Schwie- rigkeiten, mit denen wir nicht zu rechnen gewohnt sind. Alle unsere sozialen Institutionen sind auf Personen mit einheitlichem, normalem Ich zugeschnitten, das man als gut oder böse klassifizieren kann, das entweder seine Funktion versieht oder durch einen übermäch- tigen Einfluß ausgeschaltet ist. Daher die gerichtliche Alternative: verantwortlich oder unverantwortlich. Auf die Neurotiker passen alle diese Entscheidungen


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nicht. Man muß gestehen, es ist schwer, die sozialen Anforderungen ihrem psychologischen Zustand anzu- passen. Im großen Maßstab hat man das im letzten Krieg erfahren. Waren die Neurotiker, die sich dem Dienst entzogen, Simulanten oder nicht? Sie waren beides. Wenn man sie wie Simulanten behandelte und ihnen das Kranksein recht unbehaglich machte, wur- den sie gesund ; wenn man die angeblich Hergestellten in den Dienst schickte, flüchteten sie prompt wieder in die Krankheit. Es war mit ihnen nichts anzufangen. Und das nämliche ist mit den Neurotikern des zivilen Lebens. Sie klagen über ihre Krankheit, aber sie nützen sie nach Kräften aus, und wenn man sie ihnen nehmen will, verteidigen sie sie wie die sprichwört- liche Löwin ihr Junges, ohne daß es einen Sinn hätte, ihnen aus diesem Widerspruch einen Vorwurf zu machen.

„Aber, wäre es dann nicht das Beste, wenn man diese schwierigen Leute gar nicht behandelte, sondern sich selbst überließe ? Ich kann nicht glauben, daß es der Mühe lohnt, auf jeden einzelnen dieser Kranken so viel Anstrengung zu verwenden, wie ich nach Ihren Andeutungen annehmen muß."

Ich kann Ihren Vorschlag nicht gutheißen. Es ist gewiß richtiger, die Komplikationen des Lebens zu akzeptieren, anstatt sich gegen sie zu sträuben. Nicht jeder der Neurotiker, den wir behandeln, mag des Aufwandes der Analyse würdig sein, aber es sind


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doch audi sehr wertvolle Personen unter ihnen. Wir müssen uns das Ziel setzen, zu erreichen, daß möglichst wenig menschliche Individuen mit so mangelhafter see- lischer Ausrüstung dem Kulturleben entgegentreten, und darum müssen wir viel Erfahrungen sammeln, viel verstehen lernen. Jede Analyse kann instruktiv sein, uns Gewinn an neuen Aufklärungen bringen, ganz abgesehen vom persönlichen Wert der einzelnen Kranken.

„Wenn sich aber im Ich des Kranken eine Wil- lensregung gebildet hat, welche die Krankheit behalten will, so muß sich diese auch auf Gründe und Motive berufen, sich durch etwas rechtfertigen können. Es ist aber gar nicht einzusehen, wozu ein Mensch krank sein wollte, was er davon hat."

Oh doch, das liegt nicht so ferne. Denken Sie an die Kriegsneurotiker, die eben keinen Dienst zu lei- sten brauchen, weil sie krank sind. Im bürgerlichen Leben kann die Krankheit als Schutz gebraucht wer- den, um seine Unzulänglichkeit im Beruf und in der Konkurrenz mit anderen zu beschönigen, in der Fa- milie als Mittel, um die anderen zu Opfern und Liebesbeweisen zu zwingen oder ihnen seinen Willen aufzunötigen. Das liegt alles ziemlich oberflächlich, wir fassen es als „Krankheitsgewinn" zusammen ; merk- würdig ist nur, daß der Kranke, sein Ich, von der ganzen Verkettung solcher Motive mit seinen folge- richtigen Handlungen doch nichts weiß. Man bekämpft


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den Einfluß dieser Strebungen, indem man das Ich nötigt, von ihnen Kenntnis zu nehmen. Es gibt aber noch andere, tieferliegende Motive, am Kranksein festzuhalten, mit denen man nicht so leicht fertig wird. Ohne einen neuen Ausflug in die psychologi- sche Theorie kann man diese letzteren aber nicht verstehen.

„Erzählen Sie nur weiter, auf ein bißchen Theorie mehr kommt es jetzt schon nicht an."

Als ich Ihnen das Verhältnis von Ich und Es aus- einandersetzte, habe ich Ihnen ein wichtiges Stück der Lehre vom seelischen Apparat unterschlagen. Wir waren nämlich gezwungen anzunehmen, daß sich im Ich selbst eine besondere Instanz differenziert hat, die wir das Über-Ich heißen. Dieses Über-Ich hat eine besondere Stellung zwischen dem Ich und dem Es. Es gehört dem Ich an, teilt dessen hohe psychologische Organisation, steht aber in besonders inniger Bezie- hung zum Es. Es ist in Wirklichkeit der Niederschlag der ersten Objektbesetzungen des Es, der Erbe des Ödipuskomplexes nach dessen Auflassung. Dieses Über-Ich kann sich dem Ich gegenüberstellen, es wie ein Objekt behandeln und behandelt es oft sehr hart. Es ist für das Ich ebenso wichtig, mit dem Über- Ich im Einvernehmen zu bleiben, wie mit dem Es. Entzweiungen zwischen Ich und Über-Ich haben eine große Bedeutung für das Seelenleben. Sie erraten schon, daß das Über-Ich der Träger jenes Phänomens


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ist, das wir Gewissen heißen. Für die seelische Ge- sundheit kommt sehr viel darauf an, daß das Über- ich normal ausgebildet, das heißt genügend unper- sönlich geworden sei. Gerade das ist beim Neurotiker, dessen Ödipuskomplex nicht die richtige Umwandlung erfahren hat, nicht der Fall. Sein Über-Ich steht dem Ich noch immer gegenüber wie der strenge Vater dem Kind, und seine Moralität betätigt sich in primitiver Weise darin, daß sich das Ich vom Über-Ich bestrafen läßt. Die Krankheit wird als Mittel dieser „Selbstbe- strafung" verwendet, der Neurotiker muß sich so be- nehmen, als beherrschte ihn ein Schuldgefühl, welches zu seiner Befriedigung der Krankheit als Strafe be- darf.

»Das klingt wirklich sehr geheimnisvoll. Das Merkwürdigste daran ist, daß dem Kranken auch diese Macht seines Gewissens nicht zum Bewußtsein kommen soll.

Ja, wir fangen erst an, die Bedeutung all dieser wichtigen Verhältnisse zu würdigen. Deshalb mußte meine Darstellung so dunkel geraten. Ich kann nun fortsetzen. Wir heißen alle die Kräfte, die sich der Genesungsarbeit widersetzen, die „Widerstände" des Kranken. Der Krankheitsgewinn ist die Quelle eines solchen Widerstandes, das „unbewußte Schuldgefühl" repräsentiert den Widerstand des Über-Ichs, es ist der mächtigste und von uns gefürchtetste Faktor. Wir treffen in der Kur noch mit anderen Widerständen


zusammen. Wenn das Ich in der Frühzeit aus Angst eine Verdrängung vorgenommen hat, so besteht diese Angst noch fort und äußert sich nun als ein Wider- stand, wenn das Ich an das Verdrängte herangehen soll. Endlich kann man sich vorstellen, daß es nicht ohne Schwierigkeiten abgeht, wenn ein Triebvorgang, der durch Dezennien einen bestimmten Weg gegan- gen ist, plötzlich den neuen Weg gehen soll, den man ihm eröffnet hat. Das könnte man den Widerstand des Es heißen. Der Kampf gegen alle diese Widerstände ist unsere Hauptarbeit während der analytischen Kur, die Aufgabe der Deutungen verschwindet dagegen. Durch diesen Kampf und die Überwindung der Wi- derstände wird aber auch das Ich des Kranken so verändert und gestärkt, daß wir seinem zukünftigen Verhalten nach Beendigung der Kur mit Ruhe ent- gegensehen dürfen. Anderseits verstehen Sie jetzt, wozu wir die lange Behandlungsdauer brauchen. Die Länge des Entwicklungsweges und die Reichhaltigkeit des t Materials sind nicht das Entscheidende. Es kommt mehr darauf an, ob der Weg frei ist. Auf einer Strecke, die man in Friedenszeiten in ein paar Eisen- bahnstunden durchfliegt, kann eine Armee wochenlang aufgehalten sein, wenn sie dort den Widerstand des Feindes zu überwinden hat. Solche Kämpfe verbrau- chen Zeit auch im seelischen Leben. Ich muß leider konstatieren, alle Bemühungen, die analytische Kur ausgiebig zu beschleunigen, sind bisher gescheitert. Der


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beste Weg zu ihrer Abkürzung sdieint ihre korrekte Durchführung zu sein.

„Wenn ich je Lust verspürt hätte, Ihnen ins Handwerk zu pfuschen und selbst eine Analyse an einem anderen zu versuchen, Ihre Mitteilungen über die Widerstände würden mich davon geheilt haben. Aber wie steht es mit dem besonderen persönlichen Einfluß, den Sie doch zugestanden haben? Kommt der nicht gegen die Widerstände auf?"

Es ist gut, daß Sie jetzt danach fragen. Dieser persönliche Einfluß ist unsere stärkste dynamische Waffe, er ist dasjenige, was wir neu in die Situation einführen und wodurch wir sie in Fluß bringen. Der intellektuelle Gehalt unserer Aufklärungen kann das nicht leisten, denn der Kranke, der alle Vorurteile der Umwelt teilt, brauchte uns so wenig zu glauben wie unsere wissenschaftlichen Kritiker. Der Neurotiker macht sich an die Arbeit, weil er dem Analytiker Glauben schenkt, und er glaubt ihm, weil er eine besondere Gefühlseinstellung zu der Person des Ana- lytikers gewinnt. Auch das Kind glaubt nur jenen Menschen, denen es anhängt. Ich sagte Ihnen schon, wozu wir diesen besonders großen „suggestiven" Ein- fluß verwenden. Nicht zur Unterdrückung der Sym- ptome, - das unterscheidet die analytische Methode von anderen Verfahren der Psychotherapie, - sondern als Triebkraft, um das Ich des Kranken zur Über- windung seiner Widerstände zu veranlassen.


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„Nun, und wenn das gelingt, geht dann nicht alles glatt?"

Ja, es sollte. Aber es stellt sich eine unerwartete Komplikation heraus. Es war vielleicht die größte Überraschung für den Analytiker, daß die Gefühls- beziehung, die der Kranke zu ihm annimmt, von einer ganz eigentümlichen Natur ist. Schon der erste Arzt, der eine Analyse versuchte, - es war nicht ich, - ist auf dieses Phänomen gestoßen - und an ihm irre geworden. Diese Gefühlsbeziehung ist nämlich - um es klar herauszusagen - von der Natur einer Ver- liebheit. Merkwürdig, nidit wahr ? Wenn Sie überdies in Betracht ziehen, daß der Analytiker nichts dazu tut, sie zu provozieren, daß er im Gegenteil sich eher menschlich vom Patienten fernhält, seine eigene Per- son mit einer gewissen Reserve umgibt. Und wenn Sie ferner erfahren, daß diese sonderbare Liebesbe- ziehung von allen anderen realen Begünstigungen absieht, sich über alle Variationen der persönlichen Anziehung, des Alters, Geschlechts und Standes hinaus- setzt. Diese Liebe ist direkt zwangsläufig. Nicht, daß dieser Charakter der spontanen Verliebtheit sonst fremd bleiben müßte. Sie wissen, das Gegenteil kommt oft genug vor, aber in der analytischen Si- tuation stellt er sich ganz regelmäßig her, ohne doch in ihr eine rationelle Erklärung zu finden. Man sollte meinen, aus dem Verhältnis des Patienten zum Ana- lytiker brauchte sich für den ersteren nicht mehr zu


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ergeben als ein gewisses Maß von Respekt, Zutrauen Dankbarkeit und menschlicher Sympathie. Anstatt dessen diese Verliebtheit, die selbst den Eindruck einer krankhaften Erscheinung macht.

„Nun ich sollte meinen, das ist doch für Ihre analytischen Absichten günstig. Wenn man liebt, so ist man gefügig und tut dem anderen Teil alles mögliche zu Liebe."

Ja, zu Anfang ist es auch gunstig, aber später- hin, wenn sich diese Verliebtheit vertieft hat, kommt ihre ganze Natur zum Vorschein, an der vieles mit der Aufgabe der Analyse unverträglich ist. Die Liebe des Patienten begnügt sich nicht damit zu gehorchen, sie wird anspruchsvoll, verlangt zärtliche und sinn- liche Befriedigungen, fordert Ausschließlichkeit, ent- wickelt Eifersucht, zeigt immer deutlicher ihre Kehr- seite, die Bereitschaft zu Feindseligkeit und Rachsucht, wenn sie ihre Absichten nicht erreichen kann. Gleich- zeitig drängt sie, wie jede Verliebtheit, alle anderen seelischen Inhalte zurück, sie löscht das Interesse an der Kur und an der Genesung aus, kurz, wir können nicht daran zweifeln, sie hat sich an die Stelle der Neurose gesetzt und unsere Arbeit hat den Erfolg gehabt, eine Form des Krankseins durch eine andere zu vertreiben.

„Das klingt nun trostlos. Was macht man da? Man sollte die Analyse aufgeben, aber da, wie Sie sagen, ein solcher Erfolg in jedem Fall eintritt, so


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könnte man ja überhaupt keine Analyse durch- führen."

Wir wollen zuerst die Situation ausnützen, um aus ihr zu lernen. Was wir so gewonnen haben, kann uns dann helfen, sie zu beherrschen. Ist es nicht höchst beachtenswert, daß es uns gelingt, eine Neu- rose mit beliebigem Inhalt in einen Zustand von krankhafter Verliebtheit zu verwandeln?

Unsere Überzeugung, daß der Neurose ein Stück abnorm verwendeten Liebeslebens zugrunde liegt, muß doch durch diese Erfahrung unerschütterlich be- festigt werden. Mit dieser Einsicht fassen wir wieder festen Fuß, wir getrauen uns nun, diese Verliebtheit selbst zum Objekt der Analyse zu nehmen. Wir machen auch eine andere Beobachtung. Nicht in allen Fällen äußert sich die analytische Verliebtheit so klar und so grell, wie ich's zu schildern versuchte. Warum aber geschieht das nicht? Man sieht es bald ein. In dem Maß, als die vollsinnlichen und die feindseligen Seiten seiner Verliebtheit sich zeigen wollen, erwacht auch das Widerstreben des Patienten gegen dieselben. Er kämpft mit ihnen, sucht sie zu verdrängen, unter unseren Augen. Und nun ver- stehen wir den Vorgang. Der Patient wiederholt in der Form der Verliebtheit in den Analytiker seelische Erlebnisse, die er bereits früher einmal durchgemacht hat, — er hat seelische Einstellungen, die in ihm bereit lagen und mit der Entstehung


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seiner Neurose innig verknüpft waren, auf den Ana- lytiker übertragen. Er wiederholt auch seine damaligen Abwehraktionen vor unseren Augen, möchte am liebsten alle Schicksale jener vergessenen Lebensperiode in seinem Verhältnis zum Analytiker wiederholen. Was er uns zeigt, ist also der Kern seiner intimen Lebensgeschichte, er reproduziert ihn greifbar, wie gegenwärtig, anstatt ihn zu erinnern. Damit ist das Rätsel der Über- tragungshebe gelöst und die Analyse kann gerade mit Hilfe der neuen Situation, die für sie so bedroh- lich schien, fortgesetzt werden.

„Das ist raffiniert. Und glaubt Ihnen der Kranke so leicht, daß er nicht verhebt, sondern nur ge- zwungen ist, ein altes «Stück wieder aufzuführen."

Alles kommt jetzt darauf an und die volle Ge- schicklichkeit in der Handhabung der „Übertragung" gehört dazu, es zu erreichen. Sie sehen, daß die Anforderungen an die analytische Technik an dieser Stelle die höchste Steigerung erfahren. Hier kann man die schwersten Fehler begehen oder sich der größten Erfolge versichern. Der Versuch, sich den Schwierigkeiten zu entziehen, indem man die Über- tragung unterdrückt oder vernachlässigt, wäre un- sinnig; was immer man sonst getan hat, es verdiente nicht den Namen einer Analyse. Den Kranken weg- zuschicken, sobald sich die Unannehmlichkeiten seiner Übertragungsneurose herstellen, ist nicht sinnreicher

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und außerdem eine Feigheit; es wäre ungefähr so, als ob man Geister beschworen hätte und dann davon- gerannt wäre, sobald sie erscheinen. Zwar manchmal kann man wirklich nicht anders ; es gibt Fälle, in denen man der entfesselten Übertragung nicht Herr wird und die Analyse abbrechen muß, aber man soll wenigstens mit den bösen Geistern nach Kräften ge- rungen haben. Den Anforderungen der überträgung nachgeben, die Wünsche des Patienten nach zärtlicher und sinnlicher Befriedigung erfüllen, ist nicht nur be- rechtigter Weise durch moralische Rücksichten ver- sagt, sondern auch als technisches Mittel zur Er- reichung der analytischen Absicht völlig unzureichend. Der Neurotiker kann dadurch, daß man ihm die unkorrigierte Wiederholung eines in ihm vorbereiteten unbewußten Klischees ermöglicht hat, nicht geheilt werden. Wenn man sich auf Kompromisse mit ihm einläßt, indem man ihm partielle Befriedigungen zum Austausch gegen seine weitere Mitarbeit an der Analyse bietet, muß man Acht haben, daß man nicht in die lächerliche Situation des Geistlichen gerät, der den kranken Versicherungsagenten bekehren soll. Der Kranke bleibt unbekehrt, aber der Geistliche zieht versichert ab. Der einzig mögliche Ausweg aus der Situation der Übertragung ist die Rückführung auf die Vergangenheit des Kranken, wie er sie wirklich erlebt oder durch die wunscherfüllende Tätigkeit seiner Phantasie gestaltet hat. Und dies erfordert


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beim Analytiker viel Geschick, Geduld, Ruhe und Selbstverleugnung.

„Und wo, meinen Sie, hat der Neurotiker das Vorbild seiner Übertragungshebe erlebt?"

In seiner Kindheit, in der Regel in der Be- ziehung zu einem Elternteil. Sie erinnern sich, welche Wichtigkeit wir diesen frühesten Gefühls- beziehungen zuschreiben mußten. Hier schließt sich also der Kreis.

„Sind Sie endlich fertig? Mir ist ein bißchen wirre vor der Fülle dessen, was ich von Ihnen ge- hört habe. Sagen Sie mir nur noch, wie und wo lernt man das, was man zur Ausübung der Analyse braucht?"

Es gibt derzeit zwei Institute, an denen Unterricht in der Psychoanalyse erteilt wird. Das erste in Berlin hat Dr. Max Eitingon der dortigen Vereinigung eingerichtet. Das zweite erhält die Wiener Psycho- analytische Vereinigung aus eigenen Mitteln unter beträchtlichen Opfern. Die Anteilnahme der Behörden erschöpft sich vorläufig in den mancherlei Schwierig- keiten, die sie dem jungen Unternehmen bereiten. Ein drittes Lehrinstitut soll eben jetzt in London von der dortigen Gesellschaft unter der Leitung von Dr. E. Jones eröffnet werden. An diesen Instituten werden die Kandidaten selbst in Analyse genommen, erhalten theoretischen Unterricht durch Vorlesungen in allen für sie wichtigen Gegenständen und genießen

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die Aufsicht älterer, erfahrener Analytiker, wenn sie zu ihren ersten Versuchen an leichteren Fällen zu- gelassen werden. Man rechnet für eine solche Aus- bildung etwa zwei Jahre. Natürlich ist man auch nach dieser Zeit nur ein Anfänger, noch kein Meister. Was noch mangelt, muß durch Übung und durch den Ge- dankenaustausch in den psychoanalytischen Gesell- schaften, in denen jüngere Mitglieder mit älteren zusammentreffen, erworben werden. Die Vorbereitung für die analytische Tätigkeit ist gar nicht so leicht und einfach, die Arbeit ist schwer, die Verantwortlich- keit groß. Aber wer eine solche Unterweisung durch- gemacht hat, selbst analysiert worden ist, von der Psychologie des Unbewußten erfaßt hat, was sich heute eben lehren läßt, in der Wissenschaft des Sexuallebens Bescheid weiß, und die heikle Technik der Psychoanalyse erlernt hat, die Deutungskunst, die Bekämpfung der Widerstände und die Hand- habung der Übertragung, der ist kein Laie mehr auf dem Gebiet der Psychoanalyse. Er ist dazu befähigt, die Behandlung neurotischer Störungen zu unternehmen, und wird mit der Zeit darin alles leisten können, was man von dieser Therapie ver- langen kann.


VI


„Sie haben einen großen Aufwand gemacht, um mir zu zeigen, was die Psychoanalyse ist und was für Kenntnisse man braucht, um sie mit Aussicht auf Erfolg zu betreiben. Gut, es kann mir nichts schaden, Sie angehört zu haben. Aber ich weiß nicht, welchen Einfluß auf mein Urteil Sie von Ihren Ausführungen erwarten. Ich sehe einen Fall vor mir, der nichts Außergewöhnliches an sich hat. Die Neurosen sind eine besondere Art von Erkrankung, die Analyse ist eine besondere Methode zu ihrer Behandlung, eine medizinische Spezialität. Es ist auch sonst die Regel, daß ein Arzt, der ein Spezialfach der Medizin ge- wählt hat, sich nicht mit der durch das Diplom be- stätigten Ausbildung begnügt. Besonders, wenn er sich in einer größeren Stadt niederlassen will, die allein Spezialisten ernähren kann. Wer Chirurg werden will, sucht einige Jahre an einer chirurgischen Klinik zu dienen, ebenso der Augenarzt, Laryngolog usw., gar der Psychiater, der vielleicht überhaupt niemals von einer staatlichen Anstalt oder einem Sanatorium


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frei kommen wird. So wird es auch mit dem Psycho- analytiker werden; wer sich für diese neue ärztliche Spezialität entscheidet, wird nach Vollendung seiner Studien die zwei Jahre Ausbildung im Lehrinstitut auf sich nehmen, von denen Sie sprachen, wenn es wirklich eine so lange Zeit in Anspruch nehmen sollte. Er wird dann auch merken, daß es sein Vorteil ist, in einer psychoanalytischen Gesellschaft den Kontakt mit den Kollegen zu pflegen, und alles wird in schönster Ordnung vor sich gehen. Ich verstehe nicht, wo da Platz für die Frage der Laienanalyse ist."

Der Arzt, der das tut, was Sie in seinem Namen versprochen haben, wird uns allen willkommen sein. Vier Fünftel der Personen, die ich als meine Schüler anerkenne, sind ja ohnedies Ärzte. Gestatten Sie mir aber, Ihnen vorzuhalten, wie sich die Beziehungen der Ärzte zur Analyse wirklich gestaltet haben und wie sie sich voraussichtlich weiter entwickeln werden. Ein historisches Anrecht auf den Alleinbesitz der Analyse haben die Ärzte nicht, vielmehr haben sie bis vor kurzem alles aufgeboten, von der seichtesten Spötterei bis zur schwerwiegendsten Verleumdung, um ihr zu schaden. Sie werden mit Recht antworten, das gehört der Vergangenheit an und braucht die Zukunft nicht zu beeinflussen. Ich bin einverstanden, aber ich fürchte, die Zukunft wird anders sein, als Sie sie vorhergesagt haben.

Erlauben Sie, daß ich dem Wort „Kurpfuscher"


Die Frage der Laienanalyse 87

den Sinn gebe, auf den es Ansprudi hat an Stelle der legalen Bedeutung. Für das Gesetz ist der ein Kurpfuscher, der Kranke behandelt, ohne sich durch den Besitz eines staadichen Diploms als Arzt aus- weisen zu können. Ich würde eine andere Definition be- vorzugen: Kurpfuscher ist, wer eine Behandlung unter- nimmt, ohne die dazu erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu besitzen. Auf dieser Definition fußend, wage ich die Behauptung, daß - nicht nur in den euro- päischen Ländern - die Ärzte zu den Kurpfuschern in der Analyse ein überwiegendes Kontingent stellen. Sie üben sehr häufig die analytische Behandlung aus, ohne sie gelernt zu haben und ohne sie zu verstehen.

Es ist vergeblich, daß Sie mir einwenden wollen, das sei gewissenlos, das möchten Sie den Ärzten nicht zutrauen. Ein Arzt wisse doch, daß ein ärztliches Diplom kein Kaperbrief ist und ein Kranker nicht vogelfrei. Dem Arzt dürfe man immer zubilligen, daß er im guten Glauben handle, auch wenn er sich dabei viel- leicht im Irrtum befinde.

Die Tatsachen bestehen ; wir wollen hoffen, daß sie sich so aufklären lassen, wie Sie es meinen. Ich will versuchen, Ihnen auseinanderzusetzen, wie es mög- lich wird, daß ein Arzt sich in den Dingen der Psycho- analyse so benimmt, wie er es auf jedem anderen Gebiet sorgfältig vermeiden würde.

Hier kommt in erster Linie in Betracht, daß der Arzt in der medizinischen Schule eine Ausbildung er-


fahren hat, die ungefähr das Gegenteil von dem ist, was er als Vorbereitung zur Psychoanalyse braudien würde. Seine Aufmerksamkeit ist auf objektiv fest- stellbare anatomische, physikalische, chemische Tat- bestände hingelenkt worden, von deren richtiger Er- fassung und geeigneter Beeinflussung der Erfolg des ärztlichen Handelns abhängt. In seinen Gesichtskreis wird das Problem des Lebens gerückt, soweit es sich uns bisher aus dem Spiel der Kräfte erklärt hat, die auch in der anorganischen Natur nachweisbar sind. Für die seelischen Seiten der Lebensphänomene wird das Interesse nicht geweckt, das Studium der höheren geistigen Leistungen geht die Medizin nichts an, es ist das Bereich einer anderen Fakultät. Die Psychiatrie allein sollte sich mit den Störungen der seelischen Funktionen beschäftigen, aber man weiß, in welcher Weise und mit welchen Absichten sie es tut. Sie sucht die körperlichen Bedingungen der Seelen- störungen auf und behandelt sie wie andere Krank- heitsanlässe.

Die Psychiatrie hat darin recht und die medi- zinische Ausbildung ist offenbar ausgezeichnet. Wenn man von ihr aussagt, sie sei einseitig, so muß man erst den Standpunkt ausfindig machen, von dem aus diese Charakteristik zum Vorwurf wird. An sich ist ja jede Wissenschaft einseitig, sie muß es sein, indem sie sich auf bestimmte Inhalte, Gesichtspunkte, Me- thoden einschränkt. Es ist ein Widersinn, an dem ich


keinen Anteil haben möchte, daß man eine Wissen- schaft gegen eine andere ausspielt. Die Physik ent- wertet doch nicht die Chemie, sie kann sie nicht er- setzen, aber auch von ihr nicht vertreten werden. Die Psychoanalyse ist gewiß ganz besonders einseitig, als die Wissenschaft vom seelisch Unbewußten. Das Recht auf Einseitigkeit soll also den medizinischen Wissen- schaften nicht bestritten werden.

Der gesuchte Standpunkt findet sich erst, wenn man von der wissenschaftlichen Medizin auf die prak- tische Heilkunde ablenkt. Der kranke Mensch ist ein kompliziertes Wesen, er kann uns daran mahnen, daß auch die so schwer faßbaren seelischen Phänomene nicht aus dem Bild des Lebens gelöscht werden dürfen. Der Neuroäker gar ist eine unerwünschte Komplika- tion, eine Verlegenheit für die Heilkunde nicht min- der als für die Rechtspflege und den Armeedienst. Aber er existiert und geht die Medizin besonders nahe an. Und für seine Würdigung wie für seine Behandlung leistet die medizinische Schulung nichts, aber auch gar nichts. Bei dem innigen Zusammenhang zwischen den Dingen, die wir als körperlich und als seelisch scheiden, darf man vorhersehen, daß der Tag kommen wird, an dem sich Wege der Erkenntnis und hoffentlich auch der Beeinflussung von der Biologie der Organe und von der Chemie zu dem Erscheinungs- gebiet der Neurosen eröffnen werden. Dieser Tag scheint noch ferne, gegenwärtig sind uns diese Krank-


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heitszustände von der medizinischen Seite her un- zugänglich.

Es wäre zu ertragen, wenn die medizinische Schulung den Ärzten bloß die Orientierung auf dem Gebiete der Neurosen versagte. Sie tut mehr ; sie gibt ihnen eine falsche und schädliche Einstellung mit. Die Ärzte, deren Interesse für die psychischen Faktoren des Lebens nicht geweckt worden ist, sind nun allzu bereit, dieselben gering zu schätzen und als unwissen- schaftlich zu bespötteln. Deshalb können sie nichts recht ernst nehmen, was mit ihnen zu tun hat, und fühlen die Verpflichtungen nicht, die sich von ihnen ableiten. Darum verfallen sie der laienhaften Respekt- losigkeit vor der psychologischen Forschung und machen sich ihre Aufgabe leicht. Man muß ja die Neurotiker behandeln, weil sie Kranke sind und sich an den Arzt wenden, muß auch immer Neues ver- suchen. Aber wozu sich die Mühe einer langwierigen Vorbereitung auferlegen? Es wird auch so gehen; wer weiß, was das wert ist, was in den analytischen Instituten gelehrt wird. Je weniger sie vom Gegen- stand verstehen, desto unternehmender werden sie. Nur der wirklich Wissende wird bescheiden, denn er weiß, wie unzulänglich dies Wissen ist.

Der Vergleich der analytischen Spezialität mit anderen medizinischen Fächern, den Sie zu meiner Beschwichtigung herangezogen haben, ist also nicht anwendbar. Für Chirurgie, Augenheilkunde usw. bietet


Die Frage der Laienanalyse Ol

die Sdrnle selbst die Möglichkeit zur weiteren Aus- bildung. Die analytischen Lehrinstitute sind gering an Zahl, jung an Jahren und ohne Autorität. Die medi- zinische Schule hat sie nicht anerkannt und kümmert sich nicht um sie. Der junge Arzt, der seinen Lehrern so vieles hat glauben müssen, daß ihm zur Erziehung seines Urteils wenig Anlaß geworden ist, wird gerne die Gelegenheit ergreifen, auf einem Gebiet, wo es noch keine anerkannte Autorität gibt, endlich auch einmal den Kritiker zu spielen.

Es gibt noch andere Verhältnisse, die sein Auf- treten als analytischer Kurpfuscher begünstigen. Wenn er ohne ausreichende Vorbereitung Augenopera- tionen unternehmen wollte, so würde der Miß- erfolg seiner Staarextraktionen und Iridektomien und das Wegbleiben der Patienten seinem Wagestück bald ein Ende bereiten. Die Ausübung der Analyse ist für ihn vergleichsweise ungefährlich. Das Publikum ist durch die durchschnittlich günstigen Ausgänge der Augenoperationen verwöhnt und erwartet sich Heilung vom Operateur. Wenn aber der „Nervenarzt" seine Kranken nicht herstellt, so verwundert sich niemand darüber. Man ist durch die Erfolge der Therapie bei den Nervösen nicht verwöhnt worden, der Nerven- arzt hat sich wenigstens „viel mit ihnen abgegeben." Da läßt sich eben nicht viel machen, die Natur muß helfen oder die Zeit. Also beim Weib zuerst die Menstruation, dann die Heirat, später die Menopause.


92 Sigm. Freud


Am Ende hilft wirklich der Tod. Audi ist das, was der ärzdiche Analytiker mit dem Nervösen vorgenommen hat, so unauffällig, daß sich daran kein Vorwurf klammern kann. Er hat ja keine Instrumente oder Medikamente verwendet, nur mit ihm geredet, ver- sucht, ihm etwas ein- oder auszureden. Das kann doch nicht schaden, besonders wenn dabei vermieden wurde, peinliche oder aufregende Dinge zu berühren. Der ärzdiche Analytiker, der sich von der strengen Unterweisung frei gemacht hat, wird gewiß den Versuch nicht unterlassen haben, die Analyse zu verbessern, ihr die Giftzähne auszubrechen und sie den Kranken angenehm zu machen. Und wie gut, wenn er bei diesem Versuch stehen geblieben, denn wenn er wirklich gewagt hat, Widerstände wachzurufen, und dann nicht wußte, wie ihnen zu begegnen ist, ja, dann kann er sich wirklich unbeliebt gemacht haben.

Die Gerechtigkeit erfordert das Zugeständnis, daß die Tätigkeit des ungeschulten Analytikers auch für den Kranken harmloser ist als die des unge- schickten Operateurs. Der mögliche Schaden be- schränkt sich darauf, daß der Kranke zu einem nutz- losen Aufwand veranlaßt wurde und seine Heilungs- chancen eingebüßt oder verschlechtert hat. Ferner daß der Ruf der analytischen Therapie herabgesetzt wird. Das ist ja alles recht unerwünscht, aber es hält doch keinen Vergleich mit den Gefahren aus, die vom Messer des chirurgischen Kurpfuschers drohen.


Die Frage der Laienanalyse


Schwere, dauernde Verschlimmerungen des Krank- heitszustandes sind nach meinem Urteil auch bei ungeschickter Anwendung der Analyse nicht zu be- fürchten. Die unerfreulichen Reaktionen klingen nach einer Weile wieder ab. Neben den Traumen des Lebens, welche die Krankheit hervorgerufen haben, kommt das bißchen Mißhandlung durch den Arzt nicht in Betracht. Nur daß eben der ungeeignete therapeutische Versuch nichts Gutes für den Kranken geleistet hat.

„Ich habe Ihre Schilderung des ärztlichen Kur- pfuschers in der Analyse angehört, ohne Sie zu unterbrechen, nicht ohne den Eindruck zu empfangen, daß Sie von einer Feindseligkeit gegen die Ärzte- schaft beherrscht werden, zu deren historischen Er- klärung Sie mir selbst den Weg gezeigt haben. Aber ich gebe Ihnen eines zu: wenn schon Analysen ge- macht werden sollen, so sollen sie von Leuten ge- macht werden, die sich dafür gründlich ausgebildet haben. Und Sie glauben nicht, daß die Ärzte, die sich der Analyse zuwenden, mit der Zeit alles tun werden, um sich diese Ausbildung zu eigen zu machen?"

Ich fürchte, nicht. Solange das Verhältnis der Schule zum analytischen Lehrinstitut ungeändert bleibt, werden die Ärzte wohl die Versuchung, es sich zu erleichtern, zu groß finden.

„Aber einer direkten Äußerung über die Frage der Laienanalyse scheinen Sie konsequent auszu-


94 Sigm. Freud


weichen. Ich soll jetzt erraten, daß Sie vorschlagen, weil man die Ärzte, die analysieren wollen, nicht kon- trollieren kann, soll man, gewissermaßen aus Rache, zu ihrer Bestrafung, ihnen das Monopol der Analyse ab- nehmen und diese ärztliche Tätigkeit auch den Laien eröffnen."

Ich weiß nicht, ob Sie meine Motive richtig er- raten haben. Vielleicht kann ich Ihnen später ein Zeugnis einer weniger parteiischen Stellungnahme vorlegen. Aber ich lege den Akzent auf die Forde- rung, daß niemand die Analyse ausüben soll, dernicht die Berechtigung dazudurch eine bestimmte Ausbildung erworben hat. Ob diese Person nun Arzt ist oder nicht, er- scheint mir als nebensächlich.

„Was für bestimmte Vorschläge haben Sie also zu machen?"

Ich bin noch nicht soweit, weiß auch nicht, ob ich überhaupt dahin kommen werde. Ich möchte eine andere Frage mit Ihnen erörtern, zur Einleitung aber auch einen bestimmten Punkt berühren. Man sagt, daß die zuständigen Behörden über Anregung der Ärzteschaft Laien ganz allgemein die Ausübung der Analyse untersagen wollen. Von diesem Verbot wür- den auch die nichtärztlichen Mitglieder der Psycho- analytischen Vereinigung betroffen, die ein'e ausge- zeichnete Ausbildung genossen und sich durch Übung sehr vervollkommnet haben. Wird das Verbot er-


Die Frage der Laienanalyse 95


lassen, so stellt sich der Zustand her, daß man eine Reihe von Personen an der Ausübung einer Tätig- keit behindert, von denen man überzeugt sein kann, daß sie sie sehr gut leisten können, während man dieselbe Tätigkeit andern freigibt, bei denen von einer ähnlidien Garantie nicht die Rede ist. Das ist nicht gerade der Erfolg, den eine Gesetzgebung er- reichen möchte. Indes ist dieses spezielle Problem weder sehr wichtig, noch schwierig zu lösen. Es han- delt sich dabei um eine Handvoll Personen, die nicht schwer geschädigt werden können. Sie werden wahr- scheinlich nach Deutschland auswandern, wo sie durch keine Gesetzesvorschrift behindert, bald die Aner- kennung ihrer Tüchtigkeit finden werden. Will man ihnen dies ersparen und die Härte des Gesetzes für sie mildern, so kann es mit Anlehnung an bekannte Präzedenzfälle leicht geschehen. Es ist im monarchi- schen Österreich wiederholt vorgekommen, daß man notorischen Kurpfuschern die Erlaubnis zur ärztlichen Tätigkeit auf bestimmten Gebieten ad personam ver- liehen hat, weil man von ihrem wirklichen Können überzeugt worden war. Diese Fälle betrafen zumeist bäuerliche Heilkünstler, und die Befürwortung soll regelmäßig durch eine der einst so zahlreichen Erz- herzoginnen erfolgt sein, aber es müßte doch auch für Städter und auf Grund anderer, bloß sachver- ständiger Garantie geschehen können. Bedeutsamer wäre die Wirkung eines solchen Verbots auf das


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Wiener analytische Lehrinstitut, das von da an keine Kandidaten aus niditärztlidien Kreisen zur Ausbil- dung annehmen dürfte. Dadurch wäre wieder einmal in unserem Vaterland eine Richtung geistiger Tätig- keit unterdrückt, die sich anderswo frei entfalten darf. Ich bin der letzte, der eine Kompetenz in der Be- urteilung von Gesetzen und Verordnungen in An- spruch nehmen will. Aber ich sehe doch soviel, daß eine Betonung unseres Kurpfuschergesetzes nicht im Sinne der Angleichung an deutsche Verhältnisse ist, die heute offenbar angestrebt wird, und daß die An- wendung dieses Gesetzes auf den Fall der Psycho- analyse etwas Anachronistisches hat, denn zur Zeit seiner Erlassung gab es noch keine Analyse und war die besondere Natur der neurotischen Erkrankungen noch nicht erkannt.

Ich komme zu der Frage, deren Diskussion mir wichtiger erscheint. Ist die Ausübung der Psychoana- lyse überhaupt ein Gegenstand, der behördlichem Ein- greifen unterworfen werden soll, oder ist es zweck- mäßiger, ihn der natürlichen Entwicklung zu über- lassen? Ich werde gewiß hier keine Entscheidung treffen, aber ich nehme mir die Freiheit, Ihnen dieses Problem zur Überlegung vorzulegen. In unserem Vaterlande herrscht von altersher ein wahrer furor prohibendi, eineNeigung zum Bevormunden, Eingreifen und Verbieten, die, wie wir alle wissen, nicht gerade gute Früchte getragen hat. Es scheint, daß es im neuen,


republikanischen Österreich noch nicht viel anders geworden ist. Ich vermute, daß Sie bei der Entschei- dung über den Fall der Psychoanalyse, deruns jetzt be- schäftigt, ein gewichtiges Wort mitzureden haben; ich weiß nicht, ob Sie die Lust oder den Einfluß haben werden, sich den bureaukratischen Neigungen zu widersetzen. Meine unmaßgeblichen Gedanken zu unserer Frage will ich Ihnen jedenfalls nicht er- sparen. Ich meine, daß ein Überfluß an Verordnungen und Verboten der Autorität des Gesetzes schadet. Man kann beobachten: wo nur wenige Verbote be- stehen, da werden sie sorgfältig eingehalten, wo man auf Schritt und Tritt von Verboten begleitet wird, da fühlt man förmlich die Versuchung, sich über sie hin- wegzusetzen. Ferner, man ist noch kein Anardiist, wenn man bereit ist einzusehen, daß Gesetze und Verordnungen nach ihrer Herkunft nicht auf den Charakter der Heiligkeit und Unverletzlichkeit An- spruchhaben können, daß sie oft inhaltlich unzuläng- lich und für unser Rechtsgefühl verletzend sind oder nach einiger Zeit so werden, und daß es bei der Schwerfälligkeit der die Gesellschaft leitenden Per- sonen oft kein anderes Mittel zur Korrektur solch unzweckmäßiger Gesetze gibt, als sie herzhaft zu übertreten. Auch ist es ratsam, wenn man den Re- spekt vor Gesetzen und Verordnungen erhalten will, keine zu erlassen, deren Einhaltung und Über- tretung schwer zu überwachen ist. Manches, was wir

Freud, Laienanalyse


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über die Ausübung der Analyse durch Ärzte gesagt haben, wäre hier für die eigentliche Laienanalyse, die das Gesetz unterdrücken will, zu wiederholen. Der Her- gang der Analyse ist ein recht unscheinbarer, sie wendet weder Medikamente noch Instrumente an, besteht nur in Gesprächen und Austausch von Mit- teilungen; es wird nicht leicht sein, einer Laienperson nachzuweisen, sie übe „Analyse" aus, wenn sie be- hauptet, sie gebe nur Zuspruch, teile Aufklärungen aus und suche einen heilsamen menschlichen Einfluß auf seelisch Hilfsbedürftige zu gewinnen; das könne man ihr doch nicht verbieten, bloß darum, weil auch der Arzt es manchmal tue. In den englisch sprechenden Ländern haben die Praktiken der Christian Science eine große Verbreitung; eine Art von dialektischer Verleugnung der Übel im Leben durch Berufung auf die Lehren der christlichen Religion. Ich stehe nicht an zu behaupten, daß dies Ver- fahren eine bedauerliche Verirrung des menschlichen Geistes darstellt, aber wer würde in Amerika oder England daran denken, es zu verbieten und unter Strafe zu setzen? Fühlt sich denn die hohe Obrigkeit bei uns des rechten Weges zur Seligkeit so sicher, daß sie es wagen darf zu verhindern, daß jeder versuche „nach seiner Fa§on selig zu werden "? Und zugegeben, daß viele sich selbst überlassen in Gefahren ge- raten und zu Schaden kommen, tut die Obrigkeit nicht besser daran, die Gebiete, die als unbetretbar


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gelten sollen, sorgfältig abzugrenzen und im übrigen, soweit es nur angeht, die Menschenkinder ihrer Er- ziehung durch Erfahrung und gegenseitige Beein- flussung zu überlassen ? Die Psychoanalyse ist etwas so Neues in der Welt, die große Menge ist so wenig über ae orientiert, die Stellung der offiziellen Wissen- schaft zu ihr noch so schwankend, daß es mir vor- eilig erscheint, jetzt schon mit gesetzlichen Vor- schriften in die Entwicklung einzugreifen. Lassen wir cüe Kranken selbst die Entdeckung machen, daß es schädlich für sie ist, seelische Hilfe bei Personen zu suchen, die nicht gelernt haben, wie man sie leistet. Klaren wir sie darüber auf und warnen sie davor, dann werden wir uns erspart haben, es ihnen zu verboten. Auf italienischen Landstraßen zeigen die Leitungsträger die knappe und eindrucksvolle Auf- schrift: Chi tocca, muore. Das reicht vollkommen hm, um das Benehmen der Passanten gegen herab- hängende Drähte zu regeln. Die entsprechenden deutschen Warnungen sind von einer überflüssigen und beleidigenden Weitschweifigkeit: Das Berühren der Leitungsdrähteist, weil lebensgefährlich, strengstens verboten. Wozu das Verbot? Wem sein Leben lieb ist, der erteilt es sich selbst, und wer sich auf diesem Wege umbringen will, der fragt nicht nach Erlaubnis. „Es gibt aber Fälle, die man als Präjudiz für die Frage der Laienanalyse anführen kann. Ich meine das Verbot der Versetzung in Hypnose durch Laien

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und das kürzlich erlassene Verbot der Abhaltung okkultistischer Sitzungen und Gründung soldier Ge- sellschaften."

Ich kann nicht sagen, daß ich ein Bewun- derer dieser Maßnahmen bin. Die letztere ist ein ganz unzweifelhafter Übergriff der polizeilichen Be- vormundung zum Schaden der intellektuellen Freiheit. Ich bin außer dem Verdacht, den sogenannt okkul- ten Phänomenen viel Glauben entgegenzubringen oder gar Sehnsucht nach ihrer Anerkennung zu verspüren ; aber durch solche Verbote wird man das Interesse der Menschen für diese angebliche Geheimwelt nicht ersticken. Vielleicht hat man im Gegenteil etwas sehr Schädliches getan, der unparteüschen Wiß- begierde den Weg verschlossen, zu einem befreienden Urteil über diese bedrückenden Möglichkeiten zu kommen. Aber dies auch nur wieder für Österreich. In anderen Ländern stößt auch die „parapsychische Forschung auf keine gesetzlichen Hindernisse. Der Fall der Hypnose liegt etwas anders als der der Analyse. Die Hypnose ist die Hervorrufung eines abnormen Seelenzustandes und dient den Laien heute nur als Mittel zur Schaustellung. Hätte sich die an- fänglich so hoffnungsvolle hypnotische Therapie ge- halten, so wären ähnliche Verhältnisse wie die der Analyse entstanden. Übrigens erbringt die Geschichte der Hypnose ein Präzedens zum Schicksal der Ana- lyse nach anderer Richtung. Als ich ein junger Dozent


Die Frage der Laienanalyse IOI

der Neuropathologie war, eiferten die Ärzte in der leidenschaftlichsten Weise gegen die Hypnose, er- klärten sie für einen Schwindel, ein Blendwerk des Teufels und einen höchst gefährlichen Eingriff. Heute haben sie dieselbe Hypnose monopolisiert, bedienen sich ihrer ungescheut als Untersuchungsmethode und für manche Nervenärzte ist sie noch immer das Hauptmittel ihrer Therapie.

Ich habe Ihnen aber bereits gesagt, ich denke nicht daran, Vorschläge zu machen, die auf der Ent- scheidung beruhen, ob gesetzliche Regelung oder Gewährenlassen in Sachen der Analyse das Richtigere ist. Ich weiß, das ist eine prinzipielle Frage, auf deren Lösung die Neigungen der maßgebenden Per- sonen wahrscheinlich mehr Einfluß nehmen werden als Argumente. Was mir für eine Politik des laissez faire zu sprechen scheint, habe ich bereits zusammen- gestellt. Wenn man sich anders entschließt, zu einer Politik des aktiven Eingreifens, dann allerdings scheint mir die eine lahme und ungerechte Maßregel des rücksichtslosen Verbots der Analyse durch Nichtärzte, keine genügende Leistung zu sein. Man muß sich dann um mehr bekümmern, die Bedingungen, unter denen die Ausübung der analytischen Praxis gestattet ist, für alle, die sie ausüben wollen, feststellen, irgend eine Autorität aufrichten, bei der man sich Auskunft holen kann, was Analyse ist und was für Vorbereitung man für sie fordern darf, und die Möglichkeiten der


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Sigm. Freud


Unterweisung in der Analyse fördern. Also ent- weder in Ruhe lassen oder Ordnung und Klarheit schaffen, nicht aber in eine verwickelte Situation mit einem vereinzelten Verbot dreinfahren, das mecha- nisch aus einer inadäquat gewordenen Vorschrift ab- geleitet wird.


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„Ja, aber die Ärzte, die Ärzte! Ich bringe Sie nicht dazu, auf das eigentliche Thema unserer Unter- redungen einzugehen. Sie weichen mir noch immer aus. Es handelt sich doch darum, ob man nicht den Ärzten das ausschließliche Vorrecht auf die Ausübung der Analyse zugestehen muß, meinetwegen nachdem sie gewisse Bedingungen erfüllt haben. Die Ärzte sind ja gewiß nicht in ihrer Mehrheit die Kurpfuscher in der Analyse, als die Sie sie geschildert haben. Sie sagen selbst, daß die überwiegende Mehrzahl Ihrer Schüler und Anhänger Ärzte sind. Man hat mir verraten, daß diese keineswegs Ihren Standpunkt in der Frage der Laienanalyse teilen. Ich darf na- türlich annehmen, daß Ihre Schüler sich Ihren For- derungen nach genügender Vorbereitung usw. an- schließen, und doch finden diese Schüler es da- mit vereinbar, die Ausübung der Analyse den Laien zu versperren. Ist das so, und wenn, wie er- klären Sie es?"

Ich sehe, Sie sind gut informiert, es ist so. Zwar


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nicht alle, aber ein guter Teil meiner ärztlichen Mit- arbeiter hält in dieser Sache nicht zu mir, tritt für das ausschließliche Anrecht der Ärzte auf die ana- lytische Behandlung der Neurotiker ein. Sie ersehen daraus, daß es auch in unserem Lager Meinungs- verschiedenheiten geben darf. Meine Parteinahme ist bekannt und der Gegensatz im Punkte der Laien- analyse hebt unser Einvernehmen nicht auf. Wie ich Ihnen das Verhalten dieser meiner Schüler erklären kann? Sidier weiß ich es nicht, ich denke, es wird die Macht des Standesbewußtseins sein. Sie haben eine andere Entwicklung gehabt als ich, fühlen sich noch unbehaglich in der Isolierung von den Kollegen, möchten gerne als vollberechtigt von der profession aufgenommen werden und sind bereit, für diese Toleranz ein Opfer zu bringen, an einer Stelle, deren Lebenswichtigkeit ihnen nicht einleuchtet. Vielleicht ist es anders; ihnen Motive der Konkurrenz unter- zuschieben, hieße nicht nur sie einer niedrigen Ge- sinnung zu beschuldigen, sondern auch, ihnen eine sonderbare Kurzsichtigkeit zuzutrauen. Sie sind ja immer bereit, andere Ärzte in die Analyse einzu- führen, und ob sie die verfügbaren Patienten mit Kollegen oder mit Laien zu teilen haben, kann für ihre materielle Lage nur gleichgiltig sein. Wahr- scheinlich kommt aber noch etwas anderes in Be- tracht. Diese meine Schüler mögen unter dem Ein- fluß gewisser Momente stehen, welche dem Arzt in


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der analytischen Praxis den unzweifelhaften Vorzug vor dem Laien sichern.

„Den Vorzug sichern? Da haben wir's. Also ge- stehen Sie diesen Vorzug endlich zu? Damit wäre ja die Frage entschieden."

Das Zugeständnis wird mir nicht schwer. Es mag Ihnen zeigen, daß ich nicht so leidenschaftlich ver- blendet bin, wie Sie annehmen. Ich habe die Er- wähnung dieser Verhältnisse aufgeschoben, weil ihre Diskussion wiederum theoretische Erörterungen nötig machen wird.

„Was meinen Sie jetzt?"

Da ist zuerst die Frage der Diagnose. Wenn man einen Kranken, der an sogenannt nervösen Störungen leidet, in analytische Behandlung nimmt, will man vorher die Sicherheit haben, - soweit sie eben erreichbar ist, - daß er sich für diese Therapie eignet, daß man ihm also auf diesem Wege helfen kann. Das ist aber nur der Fall, wenn er wirklich eine Neurose hat.

„Ich sollte meinen, das erkennt man eben an den Erscheinungen, an den Symptomen, über die er klagt."

Hier ist eben die Stelle für eine neue Kompli- kation. Man erkennt es nicht immer mit voller Sicher- heit. Der Kranke kann das äußere Bild einer Neu- rose zeigen, und doch kann es etwas anderes sein, der Beginn einer unheilbaren Geisteskrankheit, die


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Vorbereitung eines zerstörenden Gehirnprozesses. Die Unterscheidung - Differentialdiagnose - ist nicht immer leicht und nicht in jeder Phase sofort zu machen. Die Verantwortlichkeit für eine solche Ent- scheidung kann natürlich nur der Arzt übernehmen. Sie wird ihm, wie gesagt, nicht immer leicht gemacht. Der Krankheitsfall kann längere Zeit ein harmloses Gepräge tragen, bis sich endlich doch seine böse Natur herausstellt. Es ist ja auch eine regelmäßige Befürchtung der Nervösen, ob sie nicht geisteskrank werden können. Wenn der Arzt aber einen solchen Fall eine Zeidang verkannt hat oder im unklaren über ihn gebüeben ist, so macht es nicht viel aus, es ist kein Schaden angestellt worden und nichts Über- flüssiges geschehen. Die analytische Behandlung dieses Kranken hätte ihm zwar auch keinen Schaden ge- bracht, aber sie wäre als überflüssiger Aufwand bloß- gestellt. Überdies würden sich gewiß genug Leute finden, die den schlechten Ausgang der Analyse zur Last legen werden. Mit Unrecht freilich, aber solche Anlässe sollten vermieden werden.

„Das klingt aber trosdos. Es entwurzelt ja alles, was Sie mir über die Natur und Entstehung einer Neurose vorgetragen haben."

Durchaus nicht. Es bekräftigt nur von neuem, daß die Neurotiker ein Ärgernis und eine Verlegen- heit sind, für alle Parteien, also auch für die Analyti- ker. Vielleicht löse ich aber Ihre Verwirrung wieder,


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wenn idi meine neuen Mitteilungen in korrekteren Ausdruck kleide. Es ist wahrscheinlich richtiger, von den Fällen, die uns jetzt beschäftigen, auszusagen, sie haben wirklich eine Neurose entwickelt, aber diese sei nicht psychogen, sondern somatogen, habe nicht seelische, sondern körperliche Ursachen. Können Sie mich verstehen?

„Verstehen, ja; aber ich kann es mit dem ande- ren, dem Psychologischen, nicht vereinigen."

Nun, das läßt sich doch machen, wenn man nur den Komplikationen der lebenden Substanz Rech- nung tragen will. Worin fanden wir das Wesen einer Neurose ? Darin, daß das Ich, die durch den Einfluß der Außenwelt emporgezüchtete höhere Organisation des seelischen Apparats, nicht imstande ist, seine Funk- tion der Vermittlung zwischen Es und Realität zu er- füllen, daß es sich in seiner Schwäche von Trieb- anteilen des Es zurückzieht und sich dafür die Fol- gen dieses Verzichts in Form von Einschränkungen, Symptomen und erfolglosen Reaktionsbildungen ge- fallen lassen muß.

Eine solche Schwäche des Ichs hat bei uns allen regelmäßig in der Kindheit statt, darum bekommen die Erlebnisse der frühesten Kinderjahre eine so große Bedeutung für das spätere Leben. Unter der außerordentlichen Belastung dieser Kinderzeit - wir haben in wenigen Jahren die ungeheure Entwicklungs- distanz vom steinzeitüchen Primitiven bis zum Teil-


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haber der heutigen Kultur durchzumachen und dabei insbesondere die Triebregungen der sexuellen Früh- periode abzuwehren - nimmt unser Ich seine Zu- flucht zu Verdrängungen und setzt sich einer Kinder- neurose aus, deren Niederschlag es als Disposition zur späteren nervösen Erkrankung in die Reife des Lebens mitbringt. Nun kommt alles darauf an, wie dies herangewachsene Wesen vom Schicksal behandelt werden wird. Wird das Leben zu hart, der Abstand zwischen den Triebforderungen und den Einsprüchen der Realität zu groß, so mag das Ich in seinen Be- mühungen, beide zu versöhnen, scheitern, und dies umso eher, je mehr es durch die mitgebrachte in- fantile Disposition gehemmt ist. Es wiederholt sich dann der Vorgang der Verdrängung, die Triebe reißen sich von der Herrschaft des Ichs los, schaffen sich auf den Wegen der Regression ihre Ersatzbefriedi- gungen und das arme Ich ist hilflos neurotisch geworden. Halten wir nur daran fest: der Knoten- und Drehpunkt der ganzen Situation ist die relative Stärke der Ichorganisation. Wir haben es dann leicht, unsere ätiologische Übersicht zu vervollständigen. Als die sozusagen normalen Ursachen der Nervosität kennen wir bereits die kindliche Ichschwäche, die Aufgabe der Bewältigung der Frühregungen der Sexualität und die Einwirkungen der eher zufälligen Kindheitser- lebnisse. Ist es aber nicht möglich, daß auch andere Momente eine Rolle spielen, die aus der Zeit vor


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dem Kinderleben stammen? Zum Beispiel eine angebore- ne Stärke und Unbändigkeit des Trieblebens im Es, die dem Ich von vorneherein zu große Aufgaben stellt? Oder eine besondere Entwicklungsschwäche des Ichs aus unbekannten Gründen ? Selbstverständlich müssen diese Momente zu einer ätiologischen Bedeutung kommen, in manchen Fällen zu einer überragenden. Mit der Triebstärke im Es haben wir jedesmal zu rechnen; wo sie exzessiv entwickelt ist, steht es schlecht um die Aussichten unserer Therapie. Von den Ursachen einer Entwicklungshemmung des Ichs wissen wir noch zu wenig. Dies wären also die Fälle von Neurose mit wesentlich konstitutioneller Grund- lage. Ohne irgend eine solche konstitutionelle, kon- genitale Begünstigung kommt wohl kaum eine Neu- rose zustande.

Wenn aber die relative Schwäche des Ichs das für die Entstehung der Neurose entscheidende Mo- ment ist, so muß es auch möglich sein, daß eine spätere körperliche Erkrankung eine Neurose erzeugt, wenn sie nur eine Schwächung des Ichs herbeiführen kann. Und das ist wiederum im reichen Ausmaß der Fall. Eine solche körperliche Störung kann das Trieb- leben im Es betreffen und die Triebstärke über die Grenze hinaus steigern, welcher das Ich gewachsen ist. Das Normalvorbild solcher Vorgänge wäre etwa die Veränderung im Weib durch die Störungen der Menstruation und der Menopause. Oder eine kör-




HO Sigm. Freud


perliche Allgemeinerkrankung, ja eine organische Erkrankung des nervösen Zentralorgans, greift die Ernährungsbedingungen des seelischen Apparats an, zwingt ihn, seine Funktion herabzusetzen und seine feineren Leistungen, zu denen die Aufrechthaltung der Ichorganisation gehört, einzustellen. In all diesen Fällen entsteht ungefähr dasselbe Bild der Neurose; die Neurose hat immer den gleichen psychologischen Mechanismus, aber, wie wir erkennen, die mannig- fachste, oft sehr zusammengesetzte Ätiologie.

„Jetzt gefallen Sie mir besser, Sie haben endlich gesprochen wie ein Arzt. Nun erwarte ich das Zu- geständnis, daß eine so komplizierte ärztliche Sache wie eine Neurose nur von einem Arzt gehandhabt werden kann."

Ich besorge, Sie schießen damit über das Ziel hinaus. Was wir besprochen haben, war ein Stück Pathologie, bei der Analyse handelt es sich um ein therapeutisches Verfahren. Ich räume ein, nein, ich fordere, daß der Arzt bei jedem Fall, der für die Analyse in Betracht kommt, vorerst die Diagnose stellen soll. Die übergroße Anzahl der Neurosen, die uns in Anspruch nehmen, sind zum Glück psycho- gener Natur und pathologisch unverdächtig. Hat der Arzt das konstatiert, so kann er die Behandlung ruhig dem Laienanalytiker überlassen. In unseren analytischen Gesellschaften ist es immer so gehalten worden. Dank dem innigen Kontakt zwischen ärzdichen


Die Frage der Laienanalyse III

und nichtärztlichen Mitgliedern sind die zu befürch- tenden Irrungen so gut wie völlig vermieden worden. Es gibt dann noch einen zweiten Fall, in dem der Analytiker den Arzt zur Hilfe rufen muß. Im Ver- laufe der analytischen Behandlung können - am ehesten körperliche - Symptome erscheinen, bei denen man zweifelhaft wird, ob man sie in den Zusammenhang der Neurose aufnehmen oder auf eine davon unab- hängige, als Störung auftretende organische Erkran- kung beziehen soll. Diese Entscheidung muß wieder- um dem Arzt überlassen werden.

„Also kann der Laienanalytiker auch während der Analyse den Arzt nicht entbehren. Ein neues Argument gegen seine Brauchbarkeit."

Nein, aus dieser Möglichkeit läßt sich kein Ar- gument gegen den Laienanalytiker schmieden, denn der ärztliche Analytiker würde im gleichen Falle nicht anders handeln.

„Das verstehe ich nicht."

Es besteht nämlich die technische Vorschrift, daß der Analytiker, wenn solch zweideutige Symptome während der Behandlung auftauchen, sie nicht seinem eigenen Urteil unterwirft, sondern von einem der Analyse fernestehenden Arzt, etwa einem Internisten, begutachten läßt, auch wenn er selbst Arzt ist und seinen medizinischen Kenntnissen noch vertraut.

„Und warum ist etwas, was mir so überflüssig er- scheint, vorgeschrieben?"


112 Sigm. Freud


Es ist nicht überflüssig, hat sogar mehrere Be- gründungen. Erstens läßt sich die Vereinigung or- ganischer und psychischer Behandlung in einer Hand nicht gut durchführen, zweitens kann das Verhältnis der Übertragung es dem Analytiker unratsam machen, den Kranken körperlich zu untersuchen, und drittens hat der Analytiker allen Grund, an seiner Unbefan- genheit zu zweifeln, da sein Interesse so intensiv auf die psychischen Momente eingestellt ist.

„Ihre Stellung zur Laienanalyse wird mir jetzt klar. Sie beharren dabei, daß es Laienanalytiker geben muß. Da Sie deren Unzulänglichkeit für ihre Aufgabe aber nicht bestreiten können, tragen Sie alles zusammen, was zur Entschuldigung und Er- leichterung ihrer Existenz dienen kann. Ich sehe aber überhaupt nicht ein, wozu es Laienanalytiker geben soll, die doch nur Therapeuten zweiter Klasse sein können. Ich will meinetwegen von den paar Laien absehen, die bereits zu Analytikern ausgebildet sind, aber neue sollten nicht geschaffen werden und die Lehrinstitute müßten sich verpflichten, Laien nicht mehr zur Ausbildung anzunehmen."

Ich bin mit Ihnen einverstanden, wenn sich zeigen läßt, daß durch diese Einschränkung allen in Betracht kommenden Interessen gedient ist. Gestehen Sie mir zu, daß diese Interessen von dreierlei Art sind, das der Kranken, das der Ärzte und - last not least - das der Wissenschaft, das ja die Interessen aller zu-


Die Frage der Laienanalyse 113

künftigen Kranken miteinschließt. Wollen wir diese drei Punkte miteinander untersuchen?

Nun, für den Kranken ist es gleichgiltig, ob der Analytiker Arzt ist oder nidit, wenn nur die Gefahr einer Verkennung seines Zustandes durch die an- geforderte ärztliche Begutachtung vor Beginn der Be- handlung und bei gewissen Zwischenfällen während derselben ausgeschaltet wird. Für ihn ist es ungleich wichtiger, daß der Analytiker über die persönlichen Eigenschaften verfügt, die ihn vertrauenswürdig machen, und daß er jene Kenntnisse und Einsichten sowie jene Erfahrungen erworben hat, die ihn allein zur Erfüllung seiner Aufgabe befähigen. Man könnte meinen, daß es der Autorität des Analytikers schaden muß, wenn der Patient weiß, daß er kein Arzt ist und in manchen Situationen der Anlehnung an den Arzt nicht entbehren kann. Wir haben es selbstver- ständlich niemals unterlassen, die Patienten über die Qualifikation des Analytikers zu unterrichten, und konnten uns überzeugen, daß die Standesvorurteile bei ihnen keinen Anklang finden, daß sie bereit sind, die Heilung anzunehmen, von welcher Seite immer sie ihnen geboten wird, was übrigens der Ärztestand zu seiner lebhaften Kränkung längst erfahren hat. Auch sind ja die Laienanalytiker, die heute Analyse ausüben, keine beliebigen, hergelaufenen Individuen, sondern Personen von akademischer Bildung, Dok- toren der Philosophie, Pädagogen und einzelne Frauen

Freud, Laienanalyse §


u4 Sigm. Freud


von großer Lebenserfahrung und überragender Per- sönlichkeit. Die Analyse, der sich alle Kandidaten eines analytischen Lehrinstituts unterziehen müssen, ist gleichzeitig der beste Weg, um über ihre persön- liche Eignung zur Ausübung der anspruchsvollen Tätigkeit Aufschluß zu gewinnen.

Nun zum Interesse der Ärzte. Ich kann nicht glauben, daß es durch die Einverleibung der Psycho- analyse in die Medizin zu gewinnen hat. Das medi- zinische Studium dauert jetzt schon fünf Jahre, die Ablegung der letzten Prüfungen reicht weit in ein sechstes Jahr. Alle paar Jahre tauchen neue Ansprüche an den Studenten auf, ohne deren Erfüllung seine Ausrüstung für seine Zukunft als unzureichend erklärt werden müßte. Der Zugang zum ärztlichen Beruf ist ein sehr schwerer, seine Ausübung weder sehr be- friedigend noch sehr vorteilhaft. Macht man sich die gewiß vollberechtigte Forderung zu eigen, daß der Arzt auch mit der seelischen Seite des Krankseins vertraut sein müsse, und dehnt darum die ärztliche Erziehung auf ein Stück Vorbereitung für die Analyse aus, so bedeutet das eine weitere Vergrößerung des Lehrstoffes und die entsprechende Verlängerung der Studentenjahre. Ich weiß nicht, ob die Ärzte von einer solchen Folgerung aus ihrem Anspruch auf die Psycho- analyse befriedigt sein werden. Sie läßt sich aber kaum abweisen. Und dies in einer Zeitperiode, da die Bedingungen der materiellen Existenz sich für die


Die Frage der Laienanalyse 115


Stande, aus denen sich die Ärzte rekrutieren, so sehr verschlechtert haben, da die junge Generation sich dazu gedrängt sieht, sich mögüchst bald selbst zu er- halten.

Sie wollen aber vielleicht das ärztliche Studium nicht mit der Vorbereitung für die analytische Praxis belasten und halten es für zweckmäßiger, daß die zu- künftigen Analytiker sich erst nach Vollendung ihrer medizinischen Studien um die erforderliche Ausbildung bekümmern. Sie können sagen, daß der dadurch ver- ursachte Zeitverlust praktisch nicht in Betracht kommt, weil ein junger Mann vor dreißig Jahren doch niemals das Zutrauen beim Patienten genießen wird, welches die Bedingung einer seelischen Hilfeleistung ist. Darauf wäre zwar zu antworten, daß auch der neugebackene Arzt für körperliche Leiden nicht auf allzu großen Respekt bei den Kranken zu rechnen hat, und daß der junge Analytiker seine Zeit Sehr wohl damit ausfüllen könnte, an einer psychoanalytischen Poliklinik unter der Kontrolle erfahrener Praktiker zu arbeiten. Wichtiger erscheint mir aber, daß Sie mit diesem Vorschlag eine Kraftvergeudung befürworten, die in diesen schweren Zeiten wirklich keine ökonomische Rechtfertigung finden kann. Die analytische Ausbil- dung überschneidet zwar den Kreis der ärztlichen Vorbereitung, schließt diesen aber nicht ein und wird nicht von ihm eingeschlossen. Wenn man, was heute noch phantastisch klingen mag, eine psychoanalytische

8*


IIÖ Sigm. Freud


Hochschule zu gründen hätte, so müßte an dieser vieles gelehrt werden, was auch die medizinische Fakultät lehrt : neben der Tiefenpsychologie, die immer das Hauptstück bleiben würde, eine Einführung in die Biologie, in möglichst großem Umfang die Kunde vom Sexualleben, eine Bekanntheit mit den Krank- heitsbildern der Psychiatrie. Anderseits würde der analytische Unterricht auch Fächer umfassen, die dem Arzt ferne liegen und mit denen er in seiner Tätig- keit nicht zusammenkommt: Kulturgeschichte, Mytho- logie, Religionspsychologie und Literaturwissenschaft. Ohne eine gute Orientierung auf diesen Gebieten steht der Analytiker einem großen Teil seines Mate- rials verständnislos gegenüber. Dafür kann er die Hauptmasse dessen, was die medizinische Schule lehrt, für seine Zwecke nicht gebrauchen. Sowohl die Kennt- nis der Fußwurzelknochen, als auch die der Konsti- tution der Kohlenwasserstoffe, des Verlaufs der Hirn- nervenfasern, alles, was die Medizin über bazilläre Krankheitserreger und deren Bekämpfung, über Serumreaktionen und Gewebsneubildungen an den Tag gebracht hat: alles gewiß an sich höchst schätzens- wert, ist für ihn doch völlig belanglos, geht ihn nichts an, hilft ihm weder direkt dazu, eine Neurose zu verstehen und zu heilen, noch trägt dieses Wissen zur Schärfung jener intellektuellen Fähigkeiten bei, an welche seine Tätigkeit die größten Anforderungen stellt. Man wende nicht ein, der Fall liege so ahn-




Die Frage der Laienanalyse 117

lieb., wenn sieb der Arzt einer anderen medizinischen Spezialität, zum Beispiel der Zahnheilkunde, zu- wendet. Auch dann kann er manches nicht brauchen, worüber er Prüfung ablegen mußte, und muß vieles dazulernen, worauf ihn die Schule nicht vorbereitet hatte. Die beiden Fälle sind doch nicht gleichzusetzen. Auch für die Zahnheilkunde behalten die großen Gesichtspunkte der Pathologie, die Lehren von der Entzündung, Eiterung, Nekrose, von der Wechsel- wirkung der Körperorgane ihre Bedeutung ; den Ana- lytiker führt seine Erfahrung aber in eine andere Welt mit anderen Phänomenen und anderen Ge- setzen. Wie immer sich die Philosophie über die Kluft zwischen Leiblichem und Seelischem hinweg- setzen mag, für unsere Erfahrung besteht sie zunächst und gar für unsere praktischen Bemühungen.

Es ist ungerecht und unzweckmäßig, einen Men- schen, der den andern von der Pein einer Phobie oder einer Zwangsvorstellung befreien will, zum Um- weg über das medizinische Studium zu zwingen. Es wird auch keinen Erfolg haben, wenn es nicht ge- lingt, die Analyse überhaupt zu unterdrücken. Stellen Sie sich eine Landschaft vor, in der zu einem gewissen Aussichtspunkt zwei Wege führen, der eine kurz und geradlinig, der andere lang, gewunden und um- wegig. Den kurzen Weg versuchen Sie durch eine Verbottafel zu sperren, vielleicht, weil er an einigen Blumenbeeten vorbeiführt, die Sie geschont wissen


y§ Sigm. Freud


wollen. Sie haben nur dann Aussicht, daß Ihr Verbot respektiert wird, wenn der kurze Weg steil und müh- selig ist, während der längere sanft aufwärts führt. Verhält es sich aber anders und ist im Gegenteil der Umweg der beschwerlichere, so können Sie leicht den Nutzen Ihres Verbots und das Schicksal Ihrer Blumen- beete erraten. Ich besorge, Sie werden die Laien ebensowenig zwingen können, Medizin zu studieren, wie es mir gelingen wird, die Ärzte zu bewegen, daß sie Analyse lernen. Sie kennen ja auch die mensch- liche Natur.

„Wenn Sie recht haben, daß die analytische Be- handlung nicht ohne besondere Ausbildung auszu- üben ist, daß aber das medizinische Studium die Mehrbelastung durch eine Vorbereitung dafür nicht verträgt, und daß die medizinischen Kenntnisse für den Analytiker großenteils überflüssig sind, wohin kommen wir dann mit der Erzielung der idealen ärztlichen Persönlichkeit, die allen Aufgaben ihres Berufes gewachsen sein soll?"

Ich kann nicht vorhersehen, welcher der Ausweg aus diesen Schwierigkeiten sein wird, bin auch nicht dazu berufen, ihn anzugeben. Ich sehe nur zweierlei, erstens, daß die Analyse für Sie eine Verlegenheit ist, sie sollte am besten nicht existieren, - gewiß, auch der Neurotiker ist eine Verlegenheit, - und zweitens, daß vorläufig allen Interessen Rechnung getragen wird, wenn sich die Ärzte entschließen, eine Klasse


Die Frage der Laienanalyse IIQ

von Therapeuten zu tolerieren, die ihnen die müh- selige Behandlung der so enorm häufigen psycho- genen Neurosen abnimmt und zum Vorteil dieser Kranken in steter Fühlung mit ihnen bleibt.

„Ist das Ihr letztes Wort in dieser Angelegenheit, oder haben Sie noch etwas zu sagen?"

Gewiß, ich wollte ja noch ein drittes Interesse in Betracht ziehen, das der Wissenschaft. Was ich da zu sagen habe, wird Ihnen wenig nahe gehen, desto mehr bedeutet es mir.

Wir halten es nämlich gar nicht für wünschens- wert, daß die Psychoanalyse von der Medizin ver- schluckt werde und dann ihre endgiltige Ablagerung im Lehrbuch der Psychiatrie finde, im Kapitel The- rapie, neben Verfahren wie hypnotische Suggestion, Autosuggestion, Persuasion, die aus unserer Un- wissenheit geschöpft, ihre kurzlebigen Wirkungen der Trägheit und Feigheit der Mensdienmassen danken. Sie verdient ein besseres Schicksal und wird es hoffentlich haben. Als „Tiefenpsychologie", Lehre vom seelisch Unbewußten, kann sie all den Wissen- schaften unentbehrlich werden, die sich mit der Ent- stehungsgeschichte der menschlichen Kultur und ihrer großen Institutionen, wie Kunst, Religion und Gesell- schaftsordnung beschäftigen. Ich meine, sie hat diesen Wissenschaften schon bis jetzt ansehnliche Hilfe zur Lösung ihrer Probleme geleistet, aber dies sind nur kleine Beiträge im Vergleich zu dem, was sich er-


12 O Sigm, Freud


reichen ließe, wenn Kulturhistoriker, Religionspsycho- logen, Sprachforscher usw. sich dazu verstehen wer- den, das ihnen zur Verfügung gestellte neue For- schungsmittel selbst zu handhaben. Der Gebrauch der Analyse zur Therapie der Neurosen ist nur eine ihrer Anwendungen; vielleicht wird die Zukunft zeigen, daß sie nicht die wichtigste ist. Jedenfalls wäre es unbillig, der einen Anwendung alle anderen zu opfern, bloß weil dies Anwendungsgebiet sich mit dem Kreis ärztlicher Interessen berührt.

Denn hier entrollt sich ein weiter Zusammenhang, in den man nicht ohne Schaden eingreifen kann. Wenn die Vertreter der verschiedenen Geisteswissen- schaften die Psychoanalyse erlernen sollen, um deren Methoden und Gesichtspunkte auf ihr Material an- zuwenden, so reicht es nicht aus, daß sie sich an die Ergebnisse halten, die in der analytischen Literatur niedergelegt sind. Sie werden die Analyse verstehen lernen müssen auf dem einzigen Weg, der dazu offen steht, indem sie sich selbst einer Analyse unterziehen. Zu den Neurotikern, die der Analyse bedürfen, käme so eine zweite Klasse von Personen hinzu, die die Analyse aus intellektuellen Motiven annehmen, die nebenbei erzielte Erhöhung ihrer Leistungsfähig- keit aber gewiß gerne begrüßen werden. Zur Durch- führung dieser Analysen bedarf es einer Anzahl von Analytikern, für die etwaige Kenntnisse in der Medizin besonders geringe Bedeutung haben werden.


Die Frage der Laienanalyse 121

Aber diese - Lehranalytiker wollen wir sie heißen - müssen eine besonders sorgfältige Ausbildung er- fahren haben. Will man ihnen diese nidit verküm- mern, so muß man ihnen Gelegenheit geben, Er- fahrungen an lehrreichen und beweisenden Fällen zu sammeln, und da gesunde Menschen, denen auch das Motiv der Wißbegierde abgeht, sich nicht einer Ana- lyse unterziehen, können es wiederum nur Neurotiker sein, an denen - unter sorgsamer Kontrolle - die Lehranalytiker für ihre spätere, nichtärztliche Tätig- keit erzogen werden. Das Ganze erfordert aber ein gewisses Maß von Bewegungsfreiheit und verträgt keine kleinlichen Beschränkungen.

Vielleicht glauben Sie nicht an diese rein theo- retischen Interessen der Psychoanalyse oder wollen ihnen keinen Einfluß auf die praktische Frage der Laienanalyse einräumen. Dann lassen Sie sich mahnen, daß es noch ein anderes Anwendungsgebiet der Psychoanalyse gibt, das dem Bereich des Kurpfuscher- gesetzes entzogen ist und auf das die Ärzte kaum Anspruch erheben werden. Ich meine ihre Verwen- dung in der Pädagogik. Wenn ein Kind anfängt, die Zeichen einer unerwünschten Entwicklung zu äußern, verstimmt, störrisch und unaufmerksam wird, so wird der Kinderarzt und selbst der Schularzt nichts für dasselbe tun können, selbst dann nicht, wenn das Kind deutliche nervöse Erscheinungen, wie Ängstlichkeiten, Eßunlust, Erbrechen, Schlafstörung produziert. Eine


122 Sigm. Freud


Behandlung, die analytische Beeinflussung mit er- zieherischen Maßnahmen vereinigt, von Personen ausgeführt, die es nicht verschmähen, sich um die Verhältnisse des kindlichen Milieus zu bekümmern, und die es verstehen, sich den Zugang zum Seelen- leben des Kindes zu bahnen, bringt in einem beides zustande, die nervösen Symptome aufzuheben und die beginnende Charakterveränderung rückgängig zu machen. Unsere Einsicht in die Bedeutung der oft unscheinbaren Kinderneurosen als Disposition für schwere Erkrankungen des späteren Lebens weist uns auf diese Kinderanalysen als einen ausgezeich- neten Weg der Prophylaxis hin. Es gibt unleugbar noch Feinde der Analyse; ich weiß nicht, welche Mittel ihnen zu Gebote stehen, um auch der Tätig- keit dieser pädagogischen Analytiker oder analyti- schen Pädagogen in den Arm zu fallen, halte es auch für nicht leicht möglich. Aber freilich, man soll sich nie zu sicher fühlen.

Übrigens, um zu unserer Frage der analytischen Behandlung erwachsener Nervöser zurückzukehren, auch hier haben wir noch nicht alle Gesichtspunkte erschöpft. Unsere Kultur übt einen fast unerträg- lichen Druck auf uns aus, sie verlangt nach einem Korrektiv. Ist es zu phantastisch zu erwarten, daß die Psychoanalyse trotz ihrer Schwierigkeiten zur Leistung berufen sein könnte, die Menschen für ein solches Korrektiv vorzubereiten? Vielleicht kommt


Die Frage der Laienanalyse I23

nodi einmal ein Amerikaner auf den Einfall, es sich ein Stück Geld kosten zu lassen, um die social workers seines Landes analytisch zu schuleri und eine Hilfs- truppe zur Bekämpfung der kulturellen Neurosen aus ihnen zu machen.

„Aha, eine neue Art von Heilsarmee." Warum nicht, unsere Phantasie arbeitet ja immer nach Mustern. Der Strom von Lernbegierigen, der dann nach Europa fluten wird, wird an Wien vor- beigehen müssen, denn hier mag die analytische Entwicklung einem frühzeitigen Verbottrauma erlegen sein. Sie lächeln? Ich sage das nicht, um Ihr Urteil zu bestechen, gewiß nicht. Ich weiß ja, Sie schenken mir keinen Glauben, kann Ihnen auch nicht dafür einstehen, daß es so kommen wird. Aber eines weiß ich. Es ist nicht gar so wichtig, welche Entscheidung Sie in der Frage der Laienanalyse fällen. Es kann eine lokale Wirkung haben. Aber das, worauf es ankommt, die inneren Entwicklungsmöglichkeiten der Psychoanalyse sind doch durch Verordnungen und Verbote nicht zu treffen.






SIGM. FREUD




GESAMMELTE SCHRIFTEN




ElfBände in Lexikon form at




Unter Mitwirkung des Verfassers herausgegeben




von Anna Freud und A. J. Storf er




1) Studien über Hysterie / Frühe Arbeiten zur Neurosenlehre I892-I899




II) Die Traumdeutung




m) Ergänzungen und Zusatzkapitel zur Traumdeutung / Cber den




Traum / Beitrage zur Traumlehre / Beitrage zu den „Wiener




Diskussionen"




IV) Zur Psychopathologie des Alltagslebens / Das Interesse an der




Psychoanalyse / Über Psychoanalyse / Zur Geschichte der psycho-




analytischen Bewegung




V) Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie / Arbeiten zum Sexualleben




und zur Neurosenlehre / Metapsychologie




VI) Zur Technik / Zur Einführung des Narzißmus / JenBeits des




Lustprinzips / Massenpsychologie und Ich-Analyse / Das Ich




und das Es / Anhang




VII) Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse




Vm) Krankengeschichten




IX) Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten / Der Wahn




und die Träume in W. Jensens „Gradiva" / Eine Kindheits-




erinnerung des Leonardo da Vinci




X) Totem und Tabu / Arbeiten zur Anwendung der Psychoanalyse




XI) Schriften aus den Jahren 1923-1926 / Geleitworte zu fremden




Werken / Gedenkartikel / Vermischte Schriften / Bibliographie




1877-1926 / Register zu Band I-XI




In engl. Ganzfeinen M 22o' - , Hafßfecfer CScßweinsfeder)




M 28o' - , Ganzfeder (liandgeßunden in Saffian) M68o' -




Verfangen St'e




ausfüßrficße Prospekte



-


SIGM. FREUD

ZUR GESCHICHTE DER

PSYCHO ANALYTISCHEN

BEWEGUNG

Geßeftet M. 2'5o, Pappßd. 3~

Sigm. Freud gibt einen Rückblick auf sein Lebenswerk. Die Sonne seines Ruhmes steht im Zenith und mit er- hobenem Selbstgefühl darf er als Motto vor die kleine Sdirift den Wappensprudi der Stadt Paris setzen: Fluctuat nee mergitur. Wahrlich, Freud hat sidi mit seiner Lehre über Wasser gehalten und lange Zeit schwamm er allein auf einem Meer von Unverständnis.

(Wissen und Leben, Zürid)

Außer den individuellen Bekenntnissen der Traumdeutung das einzige, was der Begründer der Psychoanalyse per- sönlich hat verlauten lassen, und als Geschichte des schweren Kampfes einer extremen Forschungsrichtung interessant. (Deutsche Med. Wodensdrift)

Wer die Persönlichkeit Freuds nach dem Grundsatze „Le style c'est 1'homme" unmittelbar auf sich einwirken lassen will, greife nach dieser kleinen Schrift. Abgesehen vom Inhalt - wer wüßte denn besser als Freud selbst, was die Psychoanalyse eigentlich ist - fesselt die Abhandlung durch die Form, die den Sprachmeister Freud in Pathos und Ironie auf der Höhe seiner Kunst zeigt. Die über- legene Polemik gegen Adler und Jung sollte von jedem dreimal gelesen werden. (Neue Treie Presse)


Internationafer Psycßoanafytiscßer Verfag

Wien, VII., Andreasgasse 3


SIEGFRIED BERN FELD

SISYPHOS

ODER

DIE GRENZEN DER ERZIEHUNG

Geheftet M. 5'-, Ganzfeinen M. &5o

Seit langem im fragwürdigen Bereich der Pädagogik keine wichtigere Erscheinung, als diese Schrift. Übrigens auch keine bei allem bitteren Ernst witzigere und vergnüglichere.

(Gustav WyneSen im Bertiner lageßtatt)

Ein geistreicher Beobachter der jungen Brut hat ein Buch heraus- gebracht, das er mit kühnem Mute „Sisyphos" nennt . . . Bernfeld sieht die Welt von einer Brücke, deren Köpfe auf Freud gestützt sind und auf Marx. Die bürgerliche Gesellschaft sieht er als einen Ozean der Lüge, auf dem die angeblichen Ziele der Erziehung treiben wie ver- faulte Schiffsfrümmer. (Tritz Wittets im Tag)

Die glänzende Programmrede des Unterrichtsministers reicht an Anatole France heran und könnte in der Insel der Pinguine stehen.

(Die Mutter)


Geistreiche Sachlichkeit und anmutige Ironie.


(Ostseezeitung)


Bernfelds Buch ist natürlich, wesentlich und notwendig . . . Sezier- arbelt am didaktischen Größenwahn.

(Paul Oestretö in Die neue Erzießung)

Selten sind die scheinbar so sicheren Grundlagen der Pädagogik so gründlich unterwühlt worden, wie in dem vorliegenden geistreichen Buthe - (Zeitscnr. f. Sexuaiwissensdaft)

Überaus farbige und temperamentvolle Schrift. Durch den hinter der Oberschicht einer feinen ironischen Plauderei spürbaren sittlichen Ernst sympathisch. (Prof. Storcß im ZSt. f. cf. ges. Neurof. u. Psydiiatrie)


Internationafer Psycßoanafytiscßer Verfag Wien, PIL, Andreasgasse 3


AUGUST AICHHORN VERWAHRLOSTE JUGEND

DIE PSYCHOANALYSE IN DER FÜRSORGEERZIEHUNG

Geheftet M. 9~, Ganzieinen ll'~

Aus dem Geleitwort von Prof. Sigm. Freud :

„Von allen Anwendungen der Psychoanalyse hat keine so viel Interesse gewonnen, so viel Hoffnungen erweckt und demzufolge so viele tüchtige Mitarbeiter herangezogen wie die auf die Theorie und Praxis der Kindererziehung. Dies ist leicht zu verstehen. Das Kind ist das hauptsächliche Objekt der psychoanalytischen Forschung geworden; es hat in dieser Bedeutung den Neurofiker abgelöst, an dem sie ihre Arbeit begann. Die Analyse hat im Kranken das wenig verändert fortlebende Kind aufgezeigt, wie im Träumer und im Künstler, sie hat die Triebkräfte und Tendenzen beleuchtet, die dem kindlischen Wesen sein ihm eigenes Gepräge geben, und die Entwicklungswege verfolgt, die von diesem zur Keife des Erwachsenen führen. Kein Wunder also, wenn die Erwartung entstand, die psychoanalytische Bemühung um das Kind werde der erzieherischen Tätigkeit zugute kommen, die das Kind auf seinem Weg zur Reife leiten, fördern und gegen Irrungen sichern will . . . Mein persönlicher Anteil an dieser Anwendung der Psycho- analyse ist sehr geringfügig gewesen. Ich hatte mir frühzeitig das Scherzwort von den drei unmöglichen Berufen — als da sind : Erzlehen, Kurieren, Regieren — zu eigen gemacht, war auch von der mittleren dieser Aufgaben hinreichend in Anspruch genommen. Darum verkenne ich aber nicht den hohen sozialen Wert, den die Arbeit meiner päda- gogischen Freunde beanspruchen darf.

Das vorliegende Buch des Vorstandes A. Aichhorn beschäftigt sich mit einem Teilstück des großen Problems, mit der erzieherischen Beeinflussung der jugendlichen Verwahrlosten. Der Verfasser hatte in amtlicher Stellung als Leiter städtischer Fürsorgeanstalten lange Jahre gewirkt, ehe er mit der Psychoanalyse bekannt wurde. Sein Verhalten gegen die Pflegebefohlenen entsprang aus der Quelle einer warmen Anteilnahme an dem Schicksal dieser Unglücklichen und wurde durch eine Intuitive Einfühlung In deren seelische Bedürfnisse richtig geleitet."


Internationa fer Psycßoanafytiscßer Verlag Wien, VII., Andreasgasse 3


Pressestimmen üßer „Ai&ßom .- Verwaßrfoste Jugend"


Aichhorns Buch trägt die Bestimmung In sich, an aufklärender Er- ziehungsarbeit viel beizusteuern. Durch die Bildhaftigkeit seiner Aus- drucksweise, durch seine geschickte Verbrämung der praktischen Für- sorgeergebnisse mit den theoretischen Erklärungen hat er diesen zehn Vortragen die Spannung von der ersten bis zur letzten Seite erhalten. Man hat wirklich das Gefühl, einen lebendigen Sprecher zn hören.

CSoziale Arbeit)

Wer sich für die Probleme der Verwahrlosung interessiert, wird an dem Buche von Aichhorn nicht vorübergehen können und die dort geschilderten Fälle eingehend studieren müssen.

(Preußische Leßrerzeitung)

Dieses Buch ist dazu angetan, alle, die in der Erziehungsarbeit stehen, hellhörig und besinnlich zu machen. CSoziak Beruf sarBeit)

Von besonderem Interesse ist die Schilderung der Erziehungsmethoden, die der Verf. anwendet, und die zweifellos eine glückliche pädagogische Treffsicherheit in der Erfassung des im gegebenen Moment einer bestimmten Individualität gegenüber Angebrachten verraten.

(Zeitschrift f. Sexualwissenschaft)

Solche Bücher, solche Männer möchten wir in reichlicher Anzahl unseren Massen zuführen und ihnen sagen können: „Seht Ihr's? So gehfs auch!»

(Nepszava, Budapest)

Jeder, der jemals erzieherisch täfig war, wird Aichhorn für sein Werk dankbar sein; und wer hat nicht wenigstens einmal in seinem Leben vor der Aufgabe gestanden, erziehen zu müssen: und wäre es nur die eine lebenslängliche erzieherische Tat, - sich selbst zu erziehen.

CPester Lloyd)

Wir begrüßen das Buch in doppelter Hinsicht : einerseits als Lehrbuch und andererseits als Führerbuch für diese wichtige Fürsorgefrage Dieses Buch ist auch ein persönliches Dokument und zeigt, wie ein Praktiker in unermüdlicher und selbstverleugnender Tätigkeit einer wissenschaftlichen Theorie, deren Erkenntnisgebiet außerhalb des Greif- baren liegt, Leben geben kann.

CBtätter f. d. Woßlfaßrtsivesen d, Gemeinde Wien)


Freud, Laienanalyse


THEODOR REIK DER EIGENE UND DER FREMDE GOTT

Geheftet M. S.So, Ganzfeinen lo.So, HaCßfeder 13.—

Inhalt: Über kollektives Vergessen / Jesus und Maria im Talmud / Der hl. Eplphanius verschreibt sich / Die wiederauferstandenen Götter / Das Evangelium des Judas Ischarioth / Psychoanalytische Deutung des Judas-Problems / Gott und Teufel / Die Unheimlichkeit fremder Götter und Kulte / Das Unheimliche aus infantilen Kom- plexen / Die Äquivalenz der Triebgegensatzpaare / Über Differenzierung

Der tiefblickendste und scharfsinnigste Religionspsychologe unserer Zeit. (Schulreform, Bern)

Einer der hellsten Köpfe unter den Psycho- ( Alf red DöBlin in der Vossisdien Zeitung)

Gut ist die Analyse des Fanatismus . . . Man wird eine Methode, die so tiefe Sachverhalte aufdecken kann, nicht a limine ablehnen.

(Prof. Titius in der Ttieologisdien Literaturzeitung)

Mau muß Reiks wuchtigen Vorstoß anerkennen . . . Rücksichtslos geht der Weg, zwar oft durch Dunkel und Schrecken und kaltes Grauen. Aber wer den Mut dazu hat, kann sich getrost der sachkundigen Führung Reiks anvertrauen. (Bremer Naairicßten)

Das Buch ist unmittelbar erschütternd. Es versäume niemand, dem psychologischen Zusammenhang zwischen Christus und Judas Ischarioth unter Reiks sachkundiger Führung nachzusinnen. Der erste Eindruck mag leicht ähnlich erschreckend wirken, wie die Begegnung mit dem Hüter der Schwelle; allein auch hier wird sich der Schreck, vom Richtigen richtig erlebt, als heilsam erweisen.

(Graf Hermann Keyserling im Weg zur Vollendung)

Manches jdarln wird starken Anstoß erregen und doch . . . findet man immer wieder etwas in ein neues Licht gerückt. (TranSfurter Zeitung)


Ein geistreiches Buch analyrikern.


Internationafer Psycßoanafytfscßer Vertag Wien, VII., Andrsasgasse 3


THEODOR REIK

GESTÄNDNIS ZWANG UND STRAFBEDÜRFNIS

PROBLEME DER PSYCHOANALYSE UNDDER KRIMINOLOGIE

Geheftet M. <?'-> Ganzfeinen fo'~

I n h al t : Der unbewußte Geständniszwang / Wiederkehr des Verdräng- ten / Tiefendimension der Neurose / Der Geständniszwang in der Krimi- nalistik / Psychoanalytische Strafrechtstheorie /jDer Geständniszwang in Religion, Mythus, Kunst u. Sprache / Entstehung des Gewissens / Kinderpsychologie und Pädagogik / Der soziale Geständniszwang

Die hochinteressante Arbeit eines tiefgründigen Denkers und scharfen Beobachters, deren große Bedeutung für die Weiterentwicklung der Psychoanalyse die Zukunft zeigen wird.

(Österreichische Richtet Zeitung)

Kein Leser wird sich dem Ernst entziehen können, mit dem Reik den seltsamen Kontrast zwischen äußerer Selbstgerecfatigkeit des Menschen (als Einzelnen wie als Kollektiven) und dem inneren Selbstgericht aufdeckt, der den Leitfaden der echten sittlichen Entwicklung bildet.

(Bücherrundscßau)

Vermittelt über die letzten Wurzeln des Geständnis- und Bestraf „ngs- triebes bei Neurotikern viele überraschende und originelle, sicher auch einst fruchtbar werdende Einsichten.

(Zentralßtatt f. cf. ges. Neurologie u, Psydnatrie)

Reik versteht es in glänzender Weise, seine Hypothesen vorzutragen. Ein bewundernswerter Glaube an die Bedeutung der Psychoanalyse läßt ihn zur höchsten Höhe einer optimistischen Zukunftshoffnung aufsteigen. CPwf _ TrhcftÖMcfer in der UmschauJ


Internationafer Psycßoanafytiscfier Verfag Wien, VII, Andreasgasse 3


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