An Autobiographical Study  

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An Autobiographical Study (1925, Selbstdarstellung) is an autobiography by Freud.

Full text

INTERNATIONAL

PSYCHOANALYTIC

UNIVERSITY

DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN


S I G M. FREUD SELBSTDARSTELLUNG




S1GM. FREUD


SELBST DARSTELLUNG


ZWEITE, DURCHGESEHENE UND ERWEITERTE AUFLAGE




"•3


1936

INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG

WIEN


1


ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER FREMD- SPRACHIGEN ÜBERSETZUNG, VORBEHALTEN.

COPYRIGHT 1936 BY INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG IN WIEN.


Im Jahre ig2s ist im IV. Bande des Sammelwerkes n DU Medizin der Gegenwart in Selbst dar Stellungen" , herausgegeben von Professor Dr. L. B.. Grote {Verlag von Felix Meiner, Leipzig), die Selbstdarstellung Sigmund Freuds erschienen; sie war auch als Sonderdruck aus diesem Sammelwerk erhältlich und ist außerdem 1928 im XI. Band der „Gesammelten Schriften" {Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien) veröffentlicht. Im Jahre 19)4 gingen die Verlagsrechte für diese Schrift an den Internationalen Psychoanalytischen Verlag, Wien, über. Im Jahre 1927 ist eine englische Übersetzung {von James Strachey) zusammen mit der Übersetzung der „Frage der Laienanalyse" im Verlag Brentano, New York, er- schienen ; im Jalire 1915 wurde vom Verlag Norton & Comp., New York, der unterdessen die amerikanischen Verlags- rechte erworben hatte, eine zweite Auflage der amerika- nischen Ausgabe publiziert; aus diesem Anlaß hat Sigm. Freud eine „Nachschrift 1915" verfaßt, die neben vielfachen Ergänzungen und Zusätzen im wsprüngl leiten Text auch in diese deutsche Neuauflage aufgenommen wurde. Außer den bereits erschienenen amerikanischen, englischen, französischen und spanischen Übersetzungen des Werkes sind solche ins Polnische, Tschechische und Ungarische in Porbereitung.


DRUCK VON E. M. ENGEL, WIEN PRINTED IN AUSTRIA




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Mehrere der Mitarbeiter an dieser Sammlung von „Selbstdarstellungen" leiten ihren Beitrag mit einigen nachdenklichen Bemerkungen über die Besonderheit und Schwere der übernommenen Aufgabe ein. Ich meine, ich darf sagen, daß meine Aufgabe noch um ein Stück mehr erschwert ist, denn ich habe Bearbeitungen, wie die hier erforderte, schon wiederholt veröffentlicht, und aus der Natur des Gegenstandes ergab sich, daß in ihnen von meiner persönlichen Rolle mehr die Rede war, als sonst üblich ist oder notwendig erscheint.

Die erste Darstellung der Entwicklung und des Inhalts der Psychoanalyse gab ich 1909 in fünf Vorlesungen an der ClarkUniversityinWorcester, Mass., wohin ich zur 20jährigen Gründungsfeier der Institution berufen worden war 1 . Vor kurzem erst gab ich der Versuchung nach, einem amerikanischen Sammelwerk einen Beitrag ähnlichen Inhalts zu leisten, weil diese Publikation „Über die Anfänge des 20. Jahrhunderts" die Bedeutung der Psychoanalyse durch das Zugeständ-

  • ) Englisch erschienen im American Journal of Psychology,

1910, deutsch unter dem Titel „Über Psychoanalyse" bei F. Deu- ticke, Wien, 7. Aufl. 1924,


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nis eines besonderen Kapitels anerkannt hatte 2 . Zwi- schen beiden liegt eine Schrift „Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung" 1914 3 , welche eigentlich alles Wesentliche bringt, das ich an gegenwärtiger Stelle mitzuteilen hätte. Da ich mir nicht widersprechen darf und mich nicht ohne Abänderung wiederholen möchte, muß ich versuchen, nun ein neues Mengungsverhältnis zwischen subjektiver und objektiver Darstellung, zwi- schen biographischem und historischem Interesse zu finden.

Ich bin am 6. Mai 1856 zu Freiberg in Mähren ge- boren, einem kleinen Städtchen der heutigen Tschecho- slowakei. Meine Eltern waren Juden, auch ich bin Jude geblieben. Von meiner väterlichen Familie glaube ich zu wissen, daß sie lange Zeiten am Rhein (in Köln) gelebt hat, aus Anlaß einer Judenverfolgung im 14. oder 15. Jahrhundert nach dem Osten floh und im Laufe des 19. Jahrhunderts die Rückwanderung von Litauen über Galizien nach dem deutschen Österreich antrat. Als Kind von vier Jahren kam ich nach Wien, wo ich alle


') These eventful years. The twentieth Century in the making as told by many of its makers. Two voluraes. London and New York, The Encyclopaedia Britannica Company. Mein Aufsatz, übersetzt von Dr. A. A. Brill, büdet Cap. LXXIII des zweiten Bandes.

3 ) Erschienen im Jahrbuch der Psychoanalyse, Bd. VI, neuer- dings 1924 als Sonderabdruck veröffentlicht.


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Schulen durchmachte. Auf dem Gymnasium war ich durch sieben Jahre Primus, hatte eine bevorzugte Stel- lung, wurde kaum je geprüft. Obwohl wir in sehr be- engten Verhältnissen lebten, verlangte mein Vater, daß ich in der Berufswahl nur meinen Neigungen folgen sollte. Eine besondere Vorliebe für die Stellung und Tätigkeit des Arztes habe ich in jenen Jugendjahren nicht verspürt, übrigens auch später nicht. Eher bewegte mich eine Art von Wißbegierde, die sich aber mehr auf menschliche Verhältnisse als auf natürliche Objekte be- zog und auch den Wert der Beobachtung als eines Haupt- mittels zu ihrer Befriedigung nicht erkannt hatte. Früh- zeitige Vertiefung in die biblische Geschichte, kaum daß ich die Kunst des Lesens erlernt hatte, hat, wie ich viel später erkannte, die Richtung meines Interesses nach- haltig bestimmt. Unter dem mächtigen Einfluß einer Freundschaft mit einem etwas älteren Gymnasialkolle- gen, der nachher als Politiker bekannt wurde, wollte auch ich Jura studieren und mich sozial betätigen. Indes, die damals aktuelle Lehre Darwins zog mich mächtig an, weil sie eine außerordentliche Förderung des Welt- verständnisses versprach, und ich weiß, daß der Vortrag von Goethes schönem Aufsatz „Die Natur" in einer populären Vorlesung von Prof. Carl Brühl, kurz vor der Reifeprüfung die Entscheidung gab, daß ich Medizin

inskribierte.

Die Universität, die ich 1873 bezog, brachte mir zu-


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nächst einige fühlbare Enttäuschungen. Vor allem traf mich die Zumutung, daß ich mich als minderwertig und nicht volkszugehörig fühlen sollte, weil ich Jude war. Das erstere lehnte ich mit aller Entschiedenheit ab. Ich habe nie begriffen, warum ich mich meiner Abkunft, oder wie man zu sagen begann: Rasse, schämen sollte. Auf die mir verweigerte Volksgemeinschaft verzichtete ich ohne viel Bedauern. Ich meinte, daß sich für einen eifri- gen Mitarbeiter ein Plätzchen innerhalb des Rahmens des Menschtums auch ohne solche Einreihung finden müsse. Aber eine für später wichtige Folge dieser ersten Eindrücke von der Universität war, daß ich so früh- zeitig mit dem Lose vertraut wurde, in der Opposition zu stehen und von der „kompakten Majorität" in Bann getan zu werden. Eine gewisse Unabhängigkeit des Ur- teils wurde so vorbereitet.

Außerdem mußte ich in den ersten Universitätsjahren die Erfahrung machen, daß Eigenheit und Enge meiner Begabungen mir in mehreren wissenschaftlichen Fächern, auf die ich mich in jugendlichem Übereifer gestürzt hatte, jeden Erfolg versagten. Ich lernte so die Wahrheit der Mahnung Mephistos erkennen:

Vergebens, daß ihr ringsum wissenschaftlich schweift, Ein jeder lernt nur, was er lernen kann.

Im physiologischen Laboratorium vonErnstBräcke fand ich endlich Ruhe und volle Befriedigung, auch die Personen, die ich respektieren und zu Vorbildern neh-


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men konnte: Meister Brücke selbst und seine Assi- stenten Sigm. Exner und Ernst v. Fleisch 1- M a r x o w, von denen der letztere, eine glänzende Per- sönlichkeit, mich sogar seiner Freundschaft würdigte. Brücke stellte mir eine Aufgabe aus der Histologie des Nervensystems, die ich zu seiner Zufriedenheit lösen und selbständig weiterführen konnte. Ich arbeitete in diesem Institut von 1876 — 1882 mit kurzen Unter- brechungen und galt allgemein als designiert für die nächste sich dort ergebende Assistentenstelle. Die eigent- lich medizinischen Fächer zogen mich — mit Ausnahme der Psychiatrie — nicht an. Ich betrieb das medizinische Studium recht nachlässig, wurde auch erst 1881, mit ziemlicher Verspätung also, zum Doktor der gesamten nf Heilkunde promoviert.

Die Wendung kam 1882, als mein über alles verehrter Lehrer den großmütigen Leichtsinn meines Vaters korri- gierte, indem er mich mit Rücksicht auf meine schlechte materielle Lage dringend ermahnte, die theoretische Laufbahn aufzugeben. Ich folgte seinem Rate, verließ das physiologische Laboratorium und trat als Aspirant in das Allgemeine Krankenhaus ein. Dort wurde ich nach einiger Zeit zum Sekundararzt (Interne) befördert und diente an verschiedenen Abteilungen, auch länger als ein halbes Jahr bei Meynert, dessen Werk und Per- sönlichkeit mich schon als Studenten gefesselt hatten.

In gewissem Sinne blieb ich doch der zuerst einge-


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schlagenen Arbeitsrichtung treu. Brücke hatte mich an das Rückenmark eines der niedrigsten Fische (Ammo- coetes-Petromyzon) als Untersuchungsobjekt gewiesen, ich ging nun zum menschlichen Zentralnervensystem über, auf dessen verwickelte Faserung die Flechsig- schen Funde der ungleichzeitigen Markscheidenbildung damals gerade ein helles Licht warfen. Auch daß ich mir zunächst einzig und allein dieMedulla oblongata zum Objekt wählte, war eine Fortwirkung meiner An- fänge. Recht im Gegensatz zur diffusen Natur meiner Studien in den ersten Universitätsjahren entwickelte ich nun eine Neigung zur ausschließenden Konzentration der Arbeit auf einen Stoff oder ein Problem. Diese Neigung ist mir verblieben und hat mir später den Vor- wurf der Einseitigkeit eingetragen.

Ich war nun ein ebenso eifriger Arbeiter im gehirn- anatomischen Institut wie früher im physiologischen. Kleine Arbeiten über Faserverlauf und Kernursprünge in der Oblongata sind in diesen Spitalsjahren entstanden und immerhin von E d i n g e r vermerkt worden. Eines Tages machte mir Meynert, der mir das Laborato- rium eröffnet hatte, auch als ich nicht bei ihm diente, den Vorschlag, ich sollte mich endgültig der Gehirn- anatomie zuwenden, er verspreche, mir seine Vorlesung abzutreten, denn er fühle sich zu alt, um die neueren Methoden zu handhaben. Ich lehnte, erschreckt durch die Größe der Aufgabe, ab; auch mochte ich damals





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schon erraten haben, daß der geniale Mann mir keines- wegs wohlwollend gesinnt sei.

Die Gehirnanatomie war in praktischer Hinsicht gewiß kein Fortschritt gegen die Physiologie. Den materiellen Anforderungen trug ich Rechnung, indem ich das Stu- dium der Nervenkrankheiten begann. Dieses Spezialfach wurde damals in Wien wenig gepflegt, das Material war auf verschiedenen internen Abteilungen verstreut, es gab keine gute Gelegenheit sich auszubilden, man mußte sein eigener Lehrer sein. Auch Nothnagel, den man kurz vorher auf Grund seines Buches über die Gehirnlokalisation berufen hatte, zeichnete die Neuro- pathologie nicht vor anderen Teilgebieten der internen Medizin aus. In der Ferne leuchtete der große Name Charcots, und so machte ich mir den Plan, hier die Dozentur für Nervenkrankheiten zu erwerben und dann zur weiteren Ausbildung nach Paris zu gehen.

In den nun folgenden Jahren sekundarärztlichen Dien- stes veröffentlichte ich mehrere kasuistische Beobach- tungen über organische Krankheiten des Nervensystems. Ich wurde allmählich mit dem Gebiet vertraut; ich ver- stand es, einen Herd in der Oblongata so genau zu lokali- sieren, daß der pathologische Anatom nichts hinzuzu- setzen hatte, ich war der erste in Wien, der einen Fall mit der Diagnose Polyneuritis acuta zur Sektion schickte. Der Ruf meiner durch die Autopsie bestätigten Diagno- sen trug mir den Zulauf amerikanischer Ärzte ein, denen


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ich in einer Art von Pidgin-English Kurse an den Kran- ken meiner Abteilung las. Von den Neurosen verstand ich nichts. Als ich einmal meinen Hörern einen Neuro- tiker mit fixiertem Kopfschmerz als Fall von chronischer zirkumskripter Meningitis vorstellte, fielen sie alle in berechtigter kritischer Auflehnung von mir ab, und meine vorzeitige Lehrtätigkeit hatte ein Ende. Zu meiner Ent- schuldigung sei bemerkt, es war die Zeit, da auch größere Autoritäten in Wien die Neurasthenie als Hirntumor zu diagnostizieren pflegten.

Im Frühjahr 1885 erhielt ich die Dozentur für Neuro- pathologie auf Grund meiner histologischen und klini- schen Arbeiten. Bald darauf wurde mir infolge des warmen Fürspruchs Brück es ein größeres Reise- stipendium zugeteilt. Im Herbst dieses Jahres reiste ich nach Paris.

Ich trat als Eleve in die Salpetriere ein, fand aber anfangs als einer der vielen Mitläufer aus der Fremde wenig Beachtung. Eines Tages hörte ich C h a r c o t sein Bedauern darüber äußern, daß der deutsche Übersetzer seiner Vorlesungen seit dem Kriege nichts von sich habe hören lassen. Es wäre ihm lieb, wenn jemand die deutsche Übersetzung seiner „Neuen Vorlesungen" übernehmen würde. Ich bot mich schriftlich dazu an; ich weiß noch, daß der Brief die Wendung enthielt, ich sei bloß mit der Aphasie motrice, aber nicht mit der Aphasie sensorielle du francais behaftet. Charcot akzeptierte mich, zog




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mich in seinen Privatverkehr, und von da an hatte ich meinen vollen Anteil an allem, was auf der Klinik vor- ging.

Während ich dies schreibe, erhalte ich zahlreiche Auf- sätze und Zeitungsartikel aus Frankreich, die von dem heftigen Sträuben gegen die Aufnahme der Psychoana- lyse zeugen und oft die unzutreffendsten Behauptungen über mein Verhältnis zur französischen Schule aufstellen. So lese ich z. B., daß ich meinen Aufenthalt in Paris dazu benützt, mich mit den Lehren von P. J a n e t ver- traut zu machen, und dann mit meinem Raube die Flucht ergriffen habe. Ich will darum ausdrücklich erwähnen, daß der Name J a n e t s während meines Verweilens an der Salpetriere überhaupt nicht genannt wurde.

Von allem, was ich bei C h a r c o t sah, machten mir den größten Eindruck seine letzten Untersuchungen über die Hysterie, die zum Teil noch unter meinen Augen ausgeführt wurden. Also der Nachweis der Echtheit und Gesetzmäßigkeit der hysterischen Phänomene fjntroite et hie du sunt"), des häufigen Vorkommens der Hysterie bei Männern, die Erzeugung hysterischer Lähmungen und Kontrakturen durch hypnotische Suggestion, das Ergeb- nis, daß diese Kunstprodukte dieselben Charaktere bis ins einzelnste zeigten wie die spontanen, oft durch Trau- ma hervorgerufenen Zufälle. Manche von Charcots Demonstrationen hatten bei mir wie bei anderen Gästen zunächst Befremden und Neigung zum Widerspruch er-


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zeugt, den wir durch Berufung auf eine der herrschenden Theorien zu stützen versuchten. Er erledigte solche Be- denken immer freundlich und geduldig, aber auch sehr bestimmt; in einer dieser Diskussionen fiel das Wort: Ca nempeche pas d'exister, das sich mir unvergeßlich eingeprägt hat.

Bekanntlich ist heute nicht mehr alles aufrecht ge- blieben, was uns C h a r c o t damals lehrte. Einiges ist unsicher geworden, anderes hat die Probe der Zeit offen- bar nicht bestanden. Aber es ist genug davon übrig ge- blieben, was als dauernder Besitz der Wissenschaft ge- wertet wird. Ehe ich Paris verließ, verabredete ich mit dem Meister den Plan einer Arbeit zur Vergleichung der hysterischen mit den organischen Lähmungen. Ich wollte den Satz durchführen, daß bei der Hysterie Lähmungen und Anästhesien einzelner Körperteile sich so abgren- zen, wie es der gemeinen (nicht anatomischen) Vor- stellung des Menschen entspricht. Er war damit einver- standen, aber es war leicht zu sehen, daß er im Grunde keine besondere Vorliebe für ein tieferes Eingehen in die Psychologie der Neurose hatte. Er war doch von der pathologischen Anatomie her gekommen.

Ehe ich nach Wien zurückkehrte, hielt ich mich einige Wochen in Berlin auf, um mir einige Kenntnisse über die allgemeinen Erkrankungen des Kindesalters zu holen. Kassowitzin Wien, der ein öffentliches Kin- derkrank eninstitut leitete, hatte versprochen, mir dort


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eine Abteilung für Nervenkrankheiten der Kinder ein- zurichten. Ich fand in Berlin bei Ad. Babinsky freundliche Aufnahme und Förderung. Aus dem Kasso- w i t z sehen Institut habe ich im Laufe der nächsten Jahre mehrere größere Arbeiten über die einseitigen und doppelseitigen Gehirnlähmungen der Kinder ver- öffentlicht. Demzufolge übertrug mir auch später 1897 Nothnagel die Bearbeitung des entsprechenden Stoffes in seinem großen „Handbuch der allgemeinen und speziellen Therapie".

Im Herbst 1886 Heß ich mich in Wien als Arzt nieder und heiratete das Mädchen, das seit länger als vier Jahren in einer fernen Stadt auf mich gewartet hatte. Ich kann hier rückgreifend erzählen, daß es die Schuld meiner Braut war, wenn ich nicht schon in jenen jungen Jahren berühmt geworden bin. Ein abseitiges, aber tief- gehendes Interesse hatte mich 1884 veranlaßt, mir das damals wenig bekannte Alkaloid Kokain von Merck kommen zu lassen und dessen physiologische Wirkungen zu studieren. Mitten in dieser Arbeit eröffnete sich mir die Aussicht einer Reise, um meine Verlobte wiederzu- sehen, von der ich zwei Jahre getrennt gewesen war. Ich schloß die Untersuchung über das Kokain rasch ab und nahm in meine Publikation die Vorhersage auf, daß sich bald weitere Verwendungen des Mittels ergeben würden. Meinem Freunde, dem Augenarzt L. König- stein, legte ich aber nahe, zu prüfen, inwieweit sich die


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anästhesierenden Eigenschaften des Kokains am kranken Auge verwerten ließen. Als ich vom Urlaub zurückkam, fand ich, daß nicht er, sondern ein anderer Freund, Carl Koller (jetzt in New York), dem ich auch vom Kokain erzählt, die entscheidenden Versuche am Tierauge ange- stellt und sie auf dem Ophthalmologenkongreß zu Heidel- berg demonstriert hatte. Koller gilt darum mit Recht als der Entdecker der Lokalanästhesie durch Kokain, die für die kleine Chirurgie so wichtig geworden ist; ich aber habe die damalige Störung meiner Braut nicht nach- getragen.

Ich wende mich nun wieder zu meiner Niederlassung als Nervenarzt in Wien 1886. Es lag mir die Verpflich- tung ob, in der „Gesellschaft der Ärzte" Bericht über das zu erstatten, was ich bei C h a r c o t gesehen und gelernt hatte. Allein ich fand eine üble Aufnahme. Maßgebende Personen wie der Vorsitzende, der Internist Bam- berg e r, erklärten das, was ich erzählte, für unglaub- würdig. M e y n e r t forderte mich auf, Fälle, wie die von mir geschilderten, doch in Wien aufzusuchen und der Gesellschaft vorzustellen. Dies versuchte ich auch, aber die Primarärzte, auf deren Abteilung ich solche Fälle fand, verweigerten es mir, sie zu beobachten oder zu bearbeiten. Einer von ihnen, ein alter Chirurg, brach direkt in den Ausruf aus: „Aber Herr Kollege, wie kön- nen Sie solchen Unsinn reden! Hysteron [sie!) heißt doch der Uterus. Wie kann denn ein Mann hysterisch sein?"


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Ich wendete vergebens ein, daß ich nur die Verfügung über den Krankheitsfall brauchte und nicht die Geneh- migung meiner Diagnose. Endlich trieb ich außerhalb des Spitals einen Fall von klassischer hysterischer Hemi- anästhesie bei einem Manne auf, den ich in der ,, Gesell- schaft der Ärzte" demonstrierte. Diesmal klatschte man mir Beifall, nahm aber weiter kein Interesse an mir. Der Eindruck, daß die großen Autoritäten meine Neuigkeiten abgelehnt hätten, blieb unerschüttert; ich fand mich mit der männlichen Hysterie und der suggestiven Erzeugung hysterischer Lähmungen in die Opposition gedrängt. Als mir bald darauf das hirnanatomische Laboratorium ver- sperrt wurde und ich durch Semester kein Lokal hatte, in dem ich meine Vorlesung abhalten konnte, zog ich mich aus dem akademischen und Vereinsleben zurück. Ich habe die „Gesellschaft der Ärzte" seit einem Men- schenalter nicht mehr besucht.

Wenn man von der Behandlung Nervenkranker leben wollte, mußte man offenbar ihnen etwas leisten können. Mein therapeutisches Arsenal umfaßte nur zwei Waffen, die Elektrotherapie und die Hypnose, denn die Versen- dung in die Wasserheilanstalt nach einmaliger Konsulta- tion war keine zureichende Erwerbsquelle. In der Elek- trotherapie vertraute ich mich dem Handbuch von W. Erb an, welches detaillierte Vorschriften für die Be- handlung aller Symptome der Nervenleiden zur Verfü- gung stellte. Leider mußte ich bald erfahren, daß die

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Befolgung dieser Vorschriften niemals half.daß.was ich für den Niederschlag exakter Beobachtung gehalten hatte, eine phantastische Konstruktion war. Die Einsicht, daß das Werk des ersten Namens der deutschen Neuropatho- logie nicht mehr Beziehung zur Realität habe als etwa ein „ägyptisches" Traumbuch, wie es in unseren Volks- buchhandlungen verkauft wird, war schmerzlich, aber sie verhalf dazu, wieder ein Stück des naiven Autoritäts- glaubens abzutragen, von dem ich noch nicht frei war. So schob ich denn den elektrischen Apparat beiseite, noch ehe Möbius das erlösende Wort gesprochen hatte, die Erfolge der elektrischen Behandlung bei Ner- venkranken seien — wo sie sich überhaupt ergeben — eine Wirkung der ärztlichen Suggestion.

Mit der Hypnose stand es besser. Noch als Student hatte ich einer öffentlichen Vorstellung des „Magne- tiseurs" Hansen beigewohnt und bemerkt, daß eine der Versuchspersonen totenbleich wurde, als sie in kata- leptische Starre geriet, und während der ganzen Dauer des Zustandes so verharrte. Damit war meine Überzeu- gung von der Echtheit der hypnotischen Phänomene fest begründet. Bald nachher fand diese Auffassung in H e i- d e n h a i n ihren wissenschaftlichen Vertreter, was aber die Professoren der Psychiatrie nicht abhielt, noch auf lange hinaus die Hypnose für etwas Schwindelhaftes und überdies Gefährliches zu erklären und auf die Hypnoti- seure geringschätzig herabzuschauen. In Paris hatte ich


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gesehen, daß man sich der Hypnose unbedenklich als Methode bediente, um bei den Kranken Symptome zu schaffen und wieder aufzuheben. Dann drang die Kunde zu uns, daß in Nancy eine Schule entstanden war, welche die Suggestion mit oder ohne Hypnose im großen Ausmaße und mit besonderem Erfolg zu therapeutischen Zwecken verwendete. Es machte sich so ganz natürlich, daß in den ersten Jahren meiner ärztlichen Tätigkeit, von den mehr zufälligen und nicht systematischen psycho- therapeutischen Methoden abgesehen, die hypnotische Suggestion mein hauptsächlichstes Arbeitsmittel wurde. Damit war zwar der Verzicht auf die Behandlung der organischen Nervenkrankheiten gegeben, aber das ver- schlug wenig. Denn einerseits gab die Therapie dieser Zu- stände überhaupt keine erfreuliche Aussicht, und ande- rerseits verschwand in der Stadtpraxis des Privatarztes die geringe Anzahl der an ihnen Leidenden gegen die Menge von Nervösen, die sich überdies dadurch verviel- fältigten, daß sie unerlöst von einem Arzt zum anderen liefen. Sonst aber war die Arbeit mit der Hypnose wirk- lich verführerisch. Man hatte zum erstenmal das Gefühl seiner Ohnmacht überwunden, der Ruf des Wunder- täters war sehr schmeichelhaft. Welches die Mängel des Verfahrens waren, sollte ich später entdecken. Vor- läufig konnte ich mich nur über zwei Punkte beklagen: erstens, daß es nicht gelang, alle Kranken zu hypnoti- sieren; zweitens, daß man es nicht in der Hand hatte, den


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einzelnen in so tiefe Hypnose zu versetzen, als man ge- wünscht hätte. In der Absicht, meine hypnotische Tech- nik zu vervollkommnen, reiste ich im Sommer 1889 nach Nancy, wo ich mehrere Wochen zubrachte. Ich sah den rührenden alten L i e b a u 1 1 bei seiner Arbeit an den armen Frauen und Kindern der Arbeiterbevölke- rung, wurde Zeuge der erstaunlichen Experimente Bernheimsan seinen Spitalspatienten und holte mir die stärksten Eindrücke von der Möglichkeit mächtiger seelischer Vorgänge, die doch dem Bewußtsein des Men- schen verhüllt bleiben. Zum Zwecke der Belehrung hatte ich eine meiner Patientinnen bewogen, nach Nancy ^ nachzukommen. Es war eine vornehme, genial begabte Hysterika, die mir überlassen worden war, weil man nichts mit ihr anzufangen wußte. Ich hatte ihr durch hypnotische Beeinflussung eine menschenwürdige Existenz ermög- licht und konnte sie immer wieder aus dem Elend ihres Zustandes herausheben. Daß sie jedesmal nach einiger Zeit rückfällig wurde, schob ich in meiner damaligen Unkenntnis darauf, daß ihre Hypnose niemals den Grad von Somnambulismus mit Amnesie erreicht hatte. B e r n h e i m versuchte es nun mit ihr wiederholte Male, brachte es aber auch nicht weiter. Er gestand mir freimütig, daß er die großen therapeutischen Erfolge durch die Sug- ^ gestion nur in seiner Spitalspraxis, nicht auch an seinen

Privatpatienten erziele. Ich hatte viele anregende Unter- haltungen mit ihm und übernahm es, seine beiden Werke f*


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über die Suggestion und ihre Heilwirkungen ins Deutsche zu übersetzen.

Im Zeitraum von 1886 — 1891 habe ich wenig wissen- schaftlich gearbeitet und kaum etwas publiziert. Ich war davon in Anspruch genommen, mich in den neuen Beruf zu finden und meine materielle Existenz sowie die meiner rasch anwachsenden Familie zu sichern. 1891 erschien die erste der Arbeiten über die Gehirnlähmungen der Kinder, in Gemeinschaft mit meinem Freunde und Assi- stenten Dr. s k a r R i e abgefaßt. In demselben Jahre veranlaßte mich ein Auftrag der Mitarbeiterschaft an einem Handwörterbuch der Medizin, die Lehre von der Aphasie zu erörtern, die damals von dem rein lokalisa- torischen Gesichtspunkte Wernicke-Lichtheims beherrscht war. Ein kleines kritisch-spekulatives Buch „Zur Auffassung der Aphasie" war die Frucht dieser Bemühung. Ich habe nun aber zu verfolgen, wie es kam, daß die wissenschaftliche Forschung wieder zum Haupt- interesse meines Lebens wurde.


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Meine frühere Darstellung ergänzend, muß ich ange- ben, daß ich von Anfang an außer der hypnotischen Sug- gestion eine andere Verwendung der Hypnose übte. Ich bediente mich ihrer zur Ausforschung des Kranken über die Entstehungsgeschichte seines Symptoms, die er im Wachzustand oft gar nicht oder nur sehr unvollkommen mitteilen konnte. Dies Verfahren schien nicht nur wirk- samer als das bloße suggestive Gebot oder Verbot, es befriedigte auch die Wißbegierde des Arztes, der doch ein Recht hatte, etwas von der Herkunft des Phänomens zu erfahren, das er durch die monotone suggestive Pro- zedur aufzuheben strebte.

Zu diesem anderen Verfahren war ich aber auf folgen- de Weise gekommen. Noch im Brücke sehen Labora- torium wurde ich mit Dr. J o s e f B r e u e r bekannt, einem der angesehensten Familienärzte Wiens, der aber auch eine wissenschaftliche Vergangenheit hatte, da mehrere Arbeiten von bleibendem Werte über die Physiologie der Atmung und über das Gleichgewichtsorgan von ihm herrührten. Er war ein Mann von überragender Intelli- genz, 14 Jahre älter als ich; unsere Beziehungen wurden bald intimer, er wurde mein Freund und Helfer in schwie-


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rigen Lebenslagen. Wir hatten uns daran gewöhnt, alle wissenschaftlichen Interessen miteinander zu teilen. Natürlich war ich der gewinnende Teil in diesem Ver- hältnis. Die Entwicklung der Psychoanalyse hat mich dann seine Freundschaft gekostet. Es wurde mir nicht leicht, diesen Preis dafür zu zahlen, aber es war unaus- weichlich.

Breuer hatte mir, schon ehe ich nach Paris ging, Mitteilungen über einen Fall von Hysterie gemacht, den er in den Jahren 1880 bis 1882 auf eine besondere Art be- handelt hatte, wobei er tiefe Einblicke in die Verursachung und Bedeutung der hysterischen Symptome gewinnen konnte. Das war also zu einer Zeit geschehen, als die Arbeiten J a n e t s noch der Zukunft angehörten. Er las mir wiederholt Stücke der Krankengeschichte vor, von denen ich den Eindruck empfing, hier sei mehr für das Verständnis der Neurose geleistet worden als je zu- vor. Ich beschloß bei mir, Charcot von diesen Funden Kunde zu geben, wenn ich nach Paris käme, und tat dies dann auch. Aber der Meister zeigte für meine ersten Andeutungen kein Interesse, so daß ich nicht mehr auf die Sache zurückkam und sie auch bei mir fallen ließ.

Nach Wien zurückgekehrt, wandte ich mich wieder der Breuer sehen Beobachtung zu und ließ mir mehr von ihr erzählen. Die Patientin war ein junges Mädchen von ungewöhnlicher Bildung und Begabung gewesen, die während der Pflege ihres zärtlich geliebten Vaters


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erkrankt war. Als Breuer sie übernahm, bot sie ein buntes Bild von Lähmungen mit Kontrakturen, Hem- mungen und Zuständen von psychischer Verworrenheit. Eine zufällige Beobachtung ließ den Arzt erkennen, daß sie von einer solchen Bewußtseinstrübung befreit werden konnte, wenn man sie veranlaßte, in Worten der affek- tiven Phantasie Ausdruck zu geben, von der sie eben beherrscht wurde. Breuer gewann aus dieser Erfah- rung eine Methode der Behandlung. Er versetzte sie in tiefe Hypnose und ließ sie jedesmal von dem erzählen, was ihr Gemüt bedrückte. Nachdem die Anfälle von de- pressiver Verworrenheit auf diese Weise überwunden waren, verwendete er dasselbe Verfahren zur Aufhebung ihrer Hemmungen und körperlichen Störungen. Im wachen Zustande wußte das Mädchen so wenig wie andere Kranke zu sagen, wie ihre Symptome entstanden waren, und fand kein Band zwischen ihnen und irgend- welchen Eindrücken ihres Lebens. In der Hypnose ent- deckte sie sofort den gesuchten Zusammenhang. Es er- gab sich, daß alle ihre Symptome auf eindrucksvolle Erlebnisse während der Pflege des kranken Vaters zu- rückgingen, also sinnvoll waren, und Resten oder Re- miniszenzen dieser affektiven Situationen entsprachen. Gewöhnlich war es so zugegangen, daß sie am Kranken- bett des Vaters einen Gedanken oder Impuls hatte unter- drücken müssen; an dessen Stelle, in seiner Vertretung, war dann später das Symptom erschienen. In der Regel


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war aber das Symptom nicht der Niederschlag einer ein- zigen „traumatischen" Szene, sondern das Ergebnis der Summation von zahlreichen ähnlichen Situationen. Wenn nun die Kranke in der Hypnose eine solche Situation halluzinatorisch wieder erinnerte und den damals unter- drückten seelischen Akt nachträglich unter freier Affekt- entfaltung zu Ende führte, war das Symptom wegge- wischt und trat nicht wieder auf. Durch dies Verfahren gelang es Breuer in langer und mühevoller Arbeit, seine Kranke von all ihren Symptomen zu befreien.

Die Kranke war genesen und seither gesund geblieben, ja bedeutsamer Leistungen fähig geworden. Aber über dem Ausgang der hypnotischen Behandlung lastete ein Dunkel, das Breuer mir niemals aufhellte; auch konnte ich nicht verstehen, warum er seine, wie mir schien, un- schätzbare Erkenntnis so lange geheim gehalten hatte, anstatt die Wissenschaft durch sie zu bereichern. Die nächste Frage aber war, ob man verallgemeinern dürfe, was er an einem einzigen Krankheitsfalle gefunden. Die von ihm aufgedeckten Verhältnisse erschienen mir so fundamentaler Natur, daß ich nicht glauben konnte, sie würden bei irgendeinem Falle von Hysterie vermißt werden können, wenn sie einmal bei einem einzigen nachgewiesen waren. Doch konnte nur die Erfahrung darüber entscheiden. Ich begann also, die Breuer sehen Untersuchungen an meinen Kranken zu wiederholen, und tat, besonders nachdem mir der Besuch bei Bern-


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^ V> heim 1889 die Begrenzung in der Leistungsfähigkeit der

hypnotischen Suggestion gezeigt hatte, überhaupt nichts anderes mehr. Als ich mehrere Jahre hindurch immer nur Bestätigungen gefunden hatte, bei jedem Falle von Hysterie, der solcher Behandlung zugänglich war, auch bereits über ein stattliches Material von Beobachtungen verfügte, die der seinigen analog waren, schlug ich ihm eine gemeinsame Publikation vor, gegen die er sich an- fangs heftig sträubte. Er gab endlich nach, zumal da unterdes J a n e t s Arbeiten einen Teil seiner Ergeb- nisse, die Zurückführung hysterischer Symptome auf Lebenseindrücke und deren Aufhebung durch hypnoti- sche Reproduktion in statu nascendi vorweggenommen hatten. Wir ließen 1893 eine vorläufige Mitteilung er- scheinen: „Über den psychischen Mechanismus hysteri- scher Phänomene". 1895 folgte unser Buch „Studien über Hysterie".

Wenn die bisherige Darstellung beim Leser die Er- wartung erweckt hat, die „Studien über Hysterie" wür- den in allem Wesentlichen ihres materiellen Inhalts Breuers geistiges Eigentum sein, so ist das genau das- jenige, was ich immer vertreten habe und auch diesmal aussagen wollte. An der Theorie, welche das Buch ver- sucht, habe ich in heute nicht mehr bestimmbarem Aus- maße mitgearbeitet. Diese ist bescheiden, geht nicht weit über den unmittelbaren Ausdruck der Beobachtungen hinaus. Sie will nicht die Natur der Hysterie ergründen,


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sondern bloß die Entstehung ihrer Symptome beleuchten. Dabei betont sie die Bedeutung des Affektlebens, die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen unbewußten und bewußten (besser: bewußtseinsfähigen) seelischen Akten, führt einen dynamischen Faktor ein, indem sie das Symptom durch die Aufstauung eines Affekts ent- stehen läßt, und einen ökonomischen, indem sie das- selbe Symptom als das Ergebnis der Umsetzung einer sonst anderswie verwendeten Energiemenge betrachtet (sog. Konversion). Breuer nannte unser Ver- fahren das k a t h a r t i s c h e; als dessen therapeutische Absicht wurde angegeben, den zur Erhaltung des Sym- ptoms verwendeten Affektbetrag, der auf falsche Bahnen geraten und dort gleichsam eingeklemmt war, auf die normalen Wege zu leiten, wo er zur Abfuhr gelangen konnte (abreagieren). Der praktische Erfolg der kathartischen Prozedur war ausgezeichnet. Die Mängel, die sich später herausstellten, waren die einer jeden hypnotischen Behandlung. Noch jetzt gibt es eine Anzahl von Psychotherapeuten, die bei der Katharsis im Sinne Breuers stehen geblieben sind und sie zu loben wissen. In der Behandlung der Kriegsneurotiker des deutschen Heeres während des Weltkrieges hat sie sich als abkürzendes Heilverfahren unter den Händen von E. S i m m e 1 von neuem bewährt. Von der Sexualität ist in der Theorie der Katharsis nicht viel die Rede. In den Krankengeschichten, die ich zu den „Studien" bei-




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gesteuert, spielen Momente aus dem Sexualleben eine gewisse Rolle, werden aber kaum anders gewertet als sonstige affektive Erregungen, Von seiner berühmt ge- wordenen ersten Patientin erzählt Breuer, das Sexuale sei bei ihr erstaunlich unentwickelt gewesen. Aus den ,, Studien über Hysterie" hätte man nicht leicht erraten können, welche Bedeutung die Sexualität für die Ätio- logie der Neurosen hat.

Das nun folgende Stück der Entwicklung, den Über- gang von der Katharsis zur eigentlichen Psychoanalyse, habe ich bereits mehrmals so eingehend beschrieben, daß es mir schwer fallen wird, hier etwas Neues vorzu- bringen. Das Ereignis, welches diese Zeit einleitete, war der Rücktritt Breuers von unserer Arbeitsgemein- schaft, so daß ich sein Erbe allein zu verwalten hatte. Es hatte schon frühzeitig Meinungsverschiedenheiten zwischen uns gegeben, die aber keine Entzweiung be- gründeten. In der Frage, wann ein seelischer Ablauf pathogen, d. h. von der normalen Erledigung ausge- schlossen werde, bevorzugte Breuer eine sozusagen physiologische Theorie; er meinte, solche Vorgänge ent- zögen sich dem normalen Schicksal, die in außergewöhn- lichen — hypnoiden — Seelenzuständen entstanden seien. Damit war eine neue Frage, die nach der Her- kunft solcher Hypnoide, aufgeworfen. Ich hingegen ver- mutete eher ein Kräftespiel, die Wirkung von Absichten und Tendenzen, wie sie im normalen Leben zu beob-


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achten sind. So stand „Hypnoidhysterie" gegen „Ab- wehrneurose ". Aber dieser und ähnliche Gegensätze hätten ihn wohl der Sache nicht abwendig gemacht, wenn nicht andere Momente hinzugetreten wären. Das eine derselben war gewiß, daß er als Internist und Familienarzt stark in Anspruch genommen war und nicht wie ich seine ganze Kraft der kathartischen Arbeit wid- men konnte. Ferner wurde er durch die Aufnahme be- einflußt, welche unser Buch in Wien wie im Reiche draußen gefunden hatte. Sein Selbstvertrauen und seine Widerstandsfähigkeit standen nicht auf der Höhe seiner sonstigen geistigen Organisation. Als z. B. die „Studien" von Strümpell eine harte Abweisung erfuhren, konnte ich über die verständnislose Kritik lachen, er aber kränkte sich und wurde entmutigt. Am meisten trug aber zu seinem Entschluß bei, daß meine eigenen weite- ren Arbeiten eine Richtung einschlugen, mit der er sich vergeblich zu befreunden versuchte.

Die Theorie, die wir in den „Studien" aufzubauen ver- sucht hatten, war ja noch sehr unvollständig gewesen, insbesondere das Problem der Ätiologie, die Frage, auf welchem Boden der pathogene Vorgang entstehe, hatten wir kaum berührt. Nun zeigte mir eine rasch sich stei- gernde Erfahrung, daß nicht beliebige Affekterregungen hinter den Erscheinungen der Neurose wirksam waren, sondern regelmäßig solche sexueller Natur, entweder aktuelle sexuelle Konflikte oder Nachwirkungen früherer


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sexueller Erlebnisse. Ich war auf dieses Resultat nicht vorbereitet, meine Erwartung hatte keinen Anteil daran, ich war vollkommen arglos an die Untersuchung der Neurotiker herangetreten. Als ich 1914 die „Geschichte der psychoanalytischen Bewegung" schrieb, tauchte in mir die Erinnerung an einige Aussprüche von Breuer, Charcot und Chrobak auf, aus denen ich eine solche Erkenntnis hätte frühzeitig gewinnen können. Allein ich verstand damals nicht, was diese Autoritäten meinten; sie hatten mir mehr gesagt, als sie selbst wuß- ten und zu vertreten bereit waren. Was ich von ihnen gehört hatte, schlummerte unwirksam in mir, bis es bei Ge- legenheit der kathartischen Untersuchungen als anschei- nend originelle Erkenntnis hervorbrach. Auch wußte ich damals noch nicht, daß ich mit der Zurückführung der Hysterie auf Sexualität bis auf die ältesten Zeiten der Medizin zurückgegriffen und an Plato angeknüpft hatte. Ich erfuhr es erst später aus einem Aufsatz von Havelock Ellis.

Unter dem Einfluß meines überraschenden Fundes machte ich nun einen folgenschweren Schritt. Ich ging über die Hysterie hinaus und begann, das Sexualleben der sogenannten Neurastheniker zu erforschen, die sich zahlreich in meiner Sprechstunde einzufinden pflegten. Dieses Experiment kostete mich zwar meine Beliebtheit als Arzt, aber es trug mir Überzeugungen ein, die sich heute, fast 30 Jahre später, noch nicht abgeschwächt


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haben. Man hatte viel Verlogenheit und Geheimtuerei zu überwinden, aber wenn das gelungen war, fand man, daß bei all diesen Kranken schwere Mißbräuche der Sexualfunktion bestanden. Bei der großen Häufigkeit solcher Mißbräuche einerseits, der Neurasthenie anderer- seits, hatte ein häufiges Zusammentreffen beider natür- lich nicht viel Beweiskraft, aber es blieb auch nicht bei dieser einen groben Tatsache. Schärfere Beobachtung legte mir nahe, aus dem bunten Gewirre von Krank- heitsbildern, die man mit dem Namen Neurasthenie deckte, zwei grundverschiedene Typen herauszugreifen, die in beliebiger Vermengung vorkommen konnten, aber doch in reiner Ausprägung zu beobachten waren. Bei dem einen Typus war der Angstanfall das zentrale Phä- nomen mit seinen Äquivalenten, rudimentären Formen und chronischen Ersatzsymptomen; ich hieß ihn darum auch Angstneurose. Auf den anderen Typus be- schränkte ich die Bezeichnung Neurasthenie. Nun war es leicht, festzustellen, daß jedem dieser Typen eine andere Abnormität des Sexuallebens als ätiologisches Moment entsprach (Coitus interruptus, frustrane Er- regung, sexuelle Enthaltung hier, exzessive Masturbation, gehäufte Pollutionen dort). Für einige besonders instruk- tive Fälle, in denen eine überraschende Wendung des Krankheitsbildes von dem einen Typus zum anderen stattgefunden hatte, gelang es auch, nachzuweisen, daß ein entsprechender Wechsel des sexuellen Regimes zu-


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gründe lag. Konnte man den Mißbrauch abstellen und durch normale Sexualtätigkeit ersetzen, so lohnte sich dies durch eine auffällige Besserung des Zustandes.

So wurde ich dazu geführt, die Neurosen ganz allgemein als Störungen der Sexualfunktion zu erkennen, und zwar die sogenannten Aktualneurosen als direkten toxischen Ausdruck, die Psychoneurosen als psychischen Ausdruck dieser Störungen. Mein ärztliches Gewissen fühlte sich durch diese Aufstellung befriedigt. Ich hoffte, eine Lücke in der Medizin ausgefüllt zu haben, die bei einer biolo- gisch so wichtigen Funktion keine anderen Schädigungen als durch Infektion oder grobe anatomische Läsion in Betracht ziehen wollte. Außerdem kam der ärztlichen Auffassung zugute, daß die Sexualität ja keine bloß psychische Sache war. Sie hatte auch ihre somatische Seite, man durfte ihr einen besondern Chemismus zu- schreiben und die Sexualerregung von der Anwesenheit bestimmter, wenn auch noch unbekannter Stoffe ab- leiten. Es mußte auch seinen guten Grund haben, daß die echten, spontanen Neurosen mit keiner anderen Krank- heitsgruppe so viel Ähnlichkeit zeigen wie mit den Intoxi- kations- und Abstinenzerscheinungen, hervorgerufen durch die Einführung und die Entbehrung gewisser toxisch wir- kender Stoffe oder mit dem M. Basedowii, dessen Ab- hängigkeit vom Produkt der Schilddrüse bekannt ist.

Ich habe später keine Gelegenheit mehr gehabt, auf die Untersuchungen über die Aktualneurosen zurückzu-


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kommen. Auch von anderen ist dieses Stück meiner Arbeit nicht fortgesetzt worden. Blicke ich heute auf meine damaligen Ergebnisse zurück, so kann ich sie als erste, rohe Schematisierungen erkennen an einem wahr- scheinlich weit komplizierteren Sachverhalt. Aber sie scheinen mir im ganzen heute noch richtig zu sein. Gern hätte ich später noch Fälle von reiner juveniler Neur- asthenie dem psychoanalytischen Examen unterzogen; es hat sich leider nicht gefügt. Um mißverständlichen Auffassungen zu begegnen, will ich betonen, daß es mir ferne Hegg gefunden, einen solchen Ausbruch von Ent- rüstung hervorgerufen, wie die Behauptung, daß die Sexualfunktion vom Anfang des Lebens an beginne und schon in der Kindheit sich in wichtigen Erscheinungen äußere. Und doch ist kein anderer analytischer Fund so leicht und so vollständig zu erweisen.

Ehe ich weiter in die Würdigung der infantilen Sexuali- tät eingehe, muß ich eines Irrtums gedenken, dem ich eine Weile verfallen war, und der bald für meine ganze Arbeit


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verhängnisvoll geworden wäre. Unter dem Drängen meines damaligen technischen Verfahrens reproduzierten die meisten meiner Patienten Szenen aus ihrer Kindheit, deren Inhalt die sexuelle Verführung durch einen Er- wachsenen war. Bei den weiblichen Personen war die Rolle des Verführers fast immer dem Vater zugeteilt. Ich schenkte diesen Mitteilungen Glauben und nahm also an, daß ich in diesen Erlebnissen sexueller Verführung in der Kindheit die Quellen der späteren Neurose aufgefunden hatte. Einige Fälle, in denen sich solche Beziehungen zum Vater, Oheim oder älteren Bruder bis in die Jahre sicherer Erinnerung fortgesetzt hatten, bestärkten mich in meinem Zutrauen. Wenn jemand über meine Leichtgläubigkeit mißtrauisch den Kopf schütteln wollte, so kann ich ihm nicht ganz unrecht geben, will aber vorbringen, daß es die Zeit war, wo ich meiner Kritik absichtlich Zwang antat, um unparteiisch und aufnahmsfähig für die vielen Neu- heiten zu bleiben, die mir täglich entgegentraten. Als ich dann doch erkennen mußte, diese Verführungszenen seien niemals vorgefallen, seien nur Phantasien, die meine Patienten erdichtet, die ich ihnen vielleicht selbst aufge- drängt hatte, war ich eine Zeitlang ratlos. Mein Vertrauen in meine Technik wie in ihre Ergebnisse erlitt einen harten Stoß; ich hatte doch diese Szenen auf einem technischen Wege, den ich für korrekt hielt, gewonnen, und ihr Inhalt stand in unverkennbarer Beziehung zu den Symptomen, von denen meine Untersuchung ausgegangen war. Als ich


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mich gefaßt hatte, zog ich aus meiner Erfahrung die rich- tigen Schlüsse, daß die neurotischen Symptome nicht direkt an wirkliche Erlebnisse anknüpften, sondern an Wunschphantasien, und daß für die Neurose die psy- chische Realität mehr bedeute als die materielle. Ich glaube auch heute nicht, daß ich meinen Patienten jene Verführungsphantasien aufgedrängt, „suggeriert" habe. Ich war da zum erstenmal mit dem Ödipuskomplex zusammengetroffen, der späterhin eine so überragende Bedeutung gewinnen sollte, den ich aber in solch phan- tastischer Verkleidung noch nicht erkannte. Auch blieb der Verführung im Kindesalter ihr Anteil an der Ätiologie, wenngleich in bescheidenerem Ausmaß, gewahrt. Die Ver- führer waren aber zumeist ältere Kinder gewesen.

Mein Irrtum war also der nämliche gewesen, wie wenn jemand die Sagengeschichte der römischen Königszeit nach der Erzählung des L i v i u s für historische Wahrheit nehmen würde, anstatt für das, was sie ist, eine Reaktions- bildung gegen die Erinnerung armseliger, wahrscheinlich nicht immer rühmlicher Zeiten und Verhältnisse. Nach der Aufhellung des Irrtums war der Weg zum Studium des infantilen Sexuallebens frei. Man kam da in die Lage, die Psychoanalyse auf ein anderes Wissensgebiet anzuwenden, aus ihren Daten ein bisher unbekanntes Stück des biologischen Geschehens zu erraten.

Die Sexualfunktion war von Anfang an vorhanden, lehnte sich zunächst an die anderen lebenswichtigen Funk-


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tionen an und machte sich dann von ihnen unabhängig; sie hatte eine lange und komplizierte Entwicklung durch- zumachen, bis aus ihr das wurde, was als das normale Sexualleben des Erwachsenen bekannt war. Sie äußerte sich zuerst als Tätigkeit einer ganzen Reihe von Trieb- komponenten, welche von erogenen Körper- zonen abhängig waren, zum Teil in Gegensatzpaaren auf- traten (Sadismus — Masochismus, Schautrieb — Exhibi- tionslust), unabhängig voneinander auf Lustgewinn aus- gingen und ihr Objekt zumeist am eigenen Körper fanden. Sie war also zuerst nicht zentriert und vorwiegend auto- erotisch. Später traten Zusammenfassungen in ihr auf; eine erste Organisationsstufe stand unter der Vorherrschaft der oralen Komponenten, dann folgte eine sadi- stisch-anale Phase, und erst die spät erreichte dritte Phase brachte den Primat der Genitalien, womit die Sexualfunktion in den Dienst der Fortpflanzung trat. Während dieser Entwicklung wurden manche Triebanteile als für diesen Endzweck unbrauchbar beiseite gelassen oder anderen Verwendungen zugeführt, andere von ihren Zielen abgelenkt und in die genitale Organisation über- geleitet. Ich nannte die Energie der Sexualtriebe — und nur diese — Libido. Ich mußte nun annehmen, daß die Libido die beschriebene Entwicklung nicht immer tadellos durchmache, Infolge der Überstärke einzelner Komponen- ten oder frühzeitiger Befriedigungserlebnisse kommt es zu Fixierungen der Libido an gewissen Stellen des Ent-




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wicklungsweges. Zu diesen Stellen strebt dann die Libido im Falle einer späteren Verdrängung zurück (Regres- sion), und von ihnen aus wird auch der Durchbruch zum Symptom erfolgen. Eine spätere Einsicht fügte hinzu, daß die Lokalisation der Fixierungsstelle auch entscheidend ist für die Neurosenwahl, für die Form, in der die spätere Erkrankung auftritt.

Neben der Organisation der Libido geht der Prozeß der Objektfindung einher, dem eine große Rolle im Seelen- leben vorbehalten ist. Das erste Liebesobjekt nach dem Stadium des Autoerotismus wird für beide Ge- schlechter die Mutter, deren nährendes Organ wahrschein- lich anfänglich vom eigenen Körper nicht unterschieden wurde. Später, aber noch in den ersten Kinderjahren, stellt sich die Relation des Ö d i p u s komplexes her, in welcher der Knabe seine sexuellen Wünsche auf die Person der Mutter konzentriert und feindselige Regungen gegen den Vater als Rivalen entwickelt. In analoger Weise stellt sich das kleine Mädchen ein 4 , alle Variationen

  • ) (1935) Die Ermittlungen über die infantile Sexualität waren

am Mann gewonnen und die aus ihnen abgeleitete Theorie für das männliche Kind zugerichtet worden. Die Erwartung eines durch- gehenden Parallelismus zwischen den beiden Geschlechtern war natürlich genug, aber sie erwies sich als unzutreffend. Weitere Untersuchungen und Erwägungen deckten tiefgehende Unter- schiede in der Geschlechtsentwicklung zwischen Mann und Weib auf. Auch für das kleine Mädchen ist die Mutter das erste Sexual- objekt, aber um das Ziel der normalen Entwicklung zu erreichen,


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und Abfolgen des Ödipuskomplexes werden bedeutungs- voll, die angeborene bisexuelle Konstitution macht sich geltend und vermehrt die Anzahl der gleichzeitig vorhan- denen Strebungen. Es dauert eine ganze Weile, bis das Kind über die Unterschiede der Geschlechter Klarheit ge- winnt; in dieser Zeit der Sexualforschung schafft es sich typische Sexualtheorien, die, abhängig von der Unvollkommenheit der eigenen körperlichen Organi- sation, Richtiges und Falsches vermengen und die Pro- bleme des Geschlechtslebens (das Rätsel der Sphinx: wo- her die Kinder kommen) nicht lösen können. Die erste Objektwahl des Kindes ist also eine inzestuöse. Die ganze hier beschriebene Entwicklung wird rasch durch- laufen. Der merkwürdigste Charakter des menschlichen Sexuallebens ist sein zweizeitiger Ansatz mit dazwischenliegender Pause. Im vierten und fünften Lebensjahr erreicht es eben ersten Höhepunkt, dann aber vergeht diese Frühblüte der Sexualität, die bisher leb- haften Strebungen verfallen der Verdrängung, und es tritt die bis zur Pubertät dauernde Latenzzeit ein, wäh- rend welcher die Reaktionsbildungen der Moral, der Scham, des Ekels aufgerichtet werden 5 . Die Zweizeitigkeit

soll das Weib nicht nur das Sexualobjekt, sondern auch die lei- tende Genitalzone wechseln. Daraus ergeben sich Schwierigkeiten und mögliche Hemmungen, die für den Mann entfallen.

B ) (1935) Die Latenzzeit ist ein physiologisches Phänomen, Eine völlige Unterbrechung des Sexuallebens kann sie aber nur in jenen kulturellen Organisationen hervorrufen, die eine Unter- Freud 4





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die Sexualentwicklung scheint von allen Lebewesen allein dem Menschen zuzukommen, sie ist vielleicht die biolo- gische Bedingung seiner Disposition zur Neurose. Mit der Pubertät werden die Strebungen und Objektbesetzungen der Frühzeit wieder belebt, auch die Gefühlsbindungen des Ödipuskomplexes. Im Sexualleben der Pubertät rin- gen miteinander die Anregungen der Frühzeit und die Hemmungen der Latenzperiode. Noch auf der Höhe der infantilen Sexualentwicklung hatte sich eine Art von geni- taler Organisation hergestellt, in der aber nur das männ- liche Genitale eine Rolle spielte, das weibliche unent- deckt geblieben war (der sog. p h a 1 1 i s c h e Primat) . Der Gegensatz der Geschlechter hieß damals noch nicht männlich oder weiblich, sondern: im Besitze eines Penis oder kastriert. Der hier anschließende Kastrationskomplex wird überaus bedeutsam für die Bildung von Charakter und Neurose.

In dieser verkürzten Darstellung meiner Befunde über das menschliche Sexualleben habe ich dem Verständnis zuliebe vielfach zusammengetragen, was zu verschiedenen Zeiten entstand und als Ergänzung oder Berichtigung in die aufeinanderfolgenden Auflagen meiner „Drei Abhand- lungen zur Sexualtheorie" Aufnahme fand. Ich hoffe, es läßt sich aus ihr leicht entnehmen, worin die oft betonte und beanstandete Erweiterung des Begriffes Sexualität besteht.

drückung der infantilen Sexualität in ihren Plan aufgenommen haben. Dies ist bei den meisten Primitiven nicht der Fall.




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Diese Erweiterung ist eine zweifache. Erstens wird die Sexualität aus ihren allzu engen Beziehungen zu den Geni- talien gelöst und als eine umfassendere, nach Lust strebende Körperfunktion hingestellt, welche erst sekundär in den Dienst der Fortpflanzung tritt; zweitens werden zu den sexuellen Regungen alle die bloß zärtlichen und freund- schaftlichen gerechnet, für welche unser Sprachgebrauch das vieldeutige Wort „Liebe" verwendet. Allein ich meine, diese Erweiterungen sind nicht Neuerungen, sondern Wiederherstellungen, sie bedeuten die Aufhebung von un- zweckmäßigen Einengungen des Begriffes, zu denen wir uns haben bewegen lassen. Die Loslösung der Sexualität von den Genitalien hat den Vorteil, daß sie uns gestattet, die Sexualbetätigung der Kinder und der Perversen unter dieselben Gesichtspunkte zu bringen wie die der normalen Erwachsenen, während die erstere bisher völlig vernach- lässigt, die andere zwar mit moralischer Entrüstung, aber ohne Verständnis aufgenommen wurde. Der psychoana- lytischen Auffassung erklären sich auch die absonderlich- sten und abstoßendsten Perversionen als Äußerung von sexuellen Partialtrieben, die sich dem Genitalprimat ent- zogen haben und wie in den Urzeiten der Libidoentwick- lung selbständig dem Lusterwerb nachgehen. Die wich- tigste dieser Perversionen, die Homosexualität, verdient kaum diesen Namen. Sie führt sich auf die konstitutionelle Bisexualität und auf die Nachwirkung des phallischen Primats zurück; durch Psychoanalyse kann man bei jeder-


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mann ein Stück homosexueller Objektwahl nachweisen. Wenn man die Kinder „polymorph pervers" genannt hat, so war das nur eine Beschreibung in allgemein gebräuch- lichen Ausdrücken; eine moralische Wertung sollte damit nicht ausgesprochen werden. Solche Werturteile liegen der Psychoanalyse überhaupt fern.

Die andere der angeblichen Erweiterungen rechtfertigt sich durch den Hinweis auf die psychoanalytische Unter- suchung, welche zeigt, daß all diese zärtlichen Gefühls- regungen ursprünglich vollsexuelle Strebungen waren, die dann „zielgehemmt" oder „sublimiert" worden sind. Auf dieser Beeinflußbarkeit und Ablenkbarkeit der Sexual- triebe beruht auch ihre Verwendbarkeit für mannigfache kulturelle Leistungen, zu denen sie die bedeutsamsten Beiträge stellen.

Die überraschenden Ermittlungen über die Sexualität des Kindes wurden zunächst durch die Analyse Erwach- sener gewonnen, konnten aber später, etwa von 1908 an, durch direkte Beobachtungen an Kindern bis in alle Ein- zelheiten und in beliebigem Ausmaße bestätigt werden. Es ist wirklich so leicht, sich von den regulären sexuellen Betätigungen der Kinder zu überzeugen, daß man sich verwundert fragen muß, wie es die Menschen zustande gebracht haben, diese Tatsachen zu übersehen und die Wunschlegende von der asexuellen Kindheit solange auf- recht zu halten. Dies muß mit der Amnesie der meisten Erwachsenen für ihre eigene Kindheit zusammenhängen.




IV


Die Lehren vom Widerstand und von der Verdrängung, vom Unbewußten, von der ätiologischen Bedeutung des Sexuallebens und der Wichtigkeit der Kindheitserlebnisse sind die Hauptbestandteile des psychoanalytischen Lehr- gebäudes. Ich bedauere, daß ich hier nur die einzelnen Stücke beschreiben konnte und nicht auch, wie sie sich zu- sammensetzen und ineinander greifen. Es ist jetzt an der Zeit, sich zu den Veränderungen zu wenden, die sich allmählich an der Technik des analytischen Verfahrens vollzogen.

Die zuerst geübte Überwindung des Widerstandes durch Drängen und Versichern war unentbehrlich gewesen, um dem Arzt die ersten Orientierungen in dem, was er zu erwarten hatte, zu verschaffen. Auf die Dauer war sie aber für beide Teile zu anstrengend und schien nicht frei von gewissen naheliegenden Bedenken. Sie wurde also von einer anderen Methode abgelöst, welche in gewissem Sinne ihr Gegensatz war. Anstatt den Patienten anzu- treiben, etwas zu einem bestimmten Thema zu sagen, for- derte man ihn jetzt auf, sich der „freien Assoziation" zu überlassen, d. h. zu sagen, was immer ihm in den Sinn kam, wenn er sich jeder bewußten Ziel Vorstellung enthielt. Nur


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mußte er sich dazu verpflichten, auch wirklich alles mit- zuteilen, was ihm seine Selbstwahrnehmung ergab, und den kritischen Einwendungen nicht nachzugeben, die ein- zelne Einfälle mit den Motivierungen beseitigen wollten, sie seien nicht wichtig genug, gehörten nicht dazu oder seien überhaupt ganz unsinnig. Die Forderung nach Auf- richtigkeit in der Mitteilung brauchte man nicht ausdrück- lich zu wiederholen, sie war ja die Voraussetzung der analytischen Kur.

Daß dies Verfahren der freien Assoziation unter Ein- haltung der psychoanalytischen Grund- regel leisten sollte, was man von ihm erwartete, nämlich das verdrängte und durch Widerstände fernge- haltene Material dem Bewußtsein zuzuführen, mag befremdend erscheinen. Allein man muß bedenken, daß die freie Assoziation nicht wirklich frei ist. Der Patient bleibt unter dem Einfluß der analytischen Situation, auch wenn er seine Denktätigkeit nicht auf ein bestimmtes Thema richtet. Man hat das Recht, anzunehmen, daß ihm nichts anderes einfallen wird, als was zu dieser Situation in Beziehung steht. Sein Widerstand gegen die Repro- duktion des Verdrängten wird sich jetzt auf zweierlei Weise äußern. Erstens durch jene kritischen Einwendun- gen, auf welche die psychoanalytische Grundregel gemünzt ist. Überwindet er aber in Befolgung der Regel diese Abhaltungen, so findet der Widerstand einen anderen Ausdruck. Er wird es durchsetzen, daß dem Analysierten




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niemals das Verdrängte selbst einfällt, sondern nur etwas, was diesem nach Art einer Anspielung nahe kommt, und je größer der Widerstand ist, desto weiter wird sich der mitzuteilende Ersatzeinfall von dem Eigentlichen, das man sucht, entfernen. Der Analytiker, der in Sammlung, aber ohne Anstrengung zuhört, und der durch seine Erfahrung im allgemeinen auf das Kommende vorbereitet ist, kann nun das Material, das der Patient zutage fördert, nach zwei Möglichkeiten verwerten. Entweder gelingt es ihm, bei geringem Widerstand, aus den Andeutungen das Verdrängte selbst zu erraten, oder er kann, bei stärkerem Widerstand, an den Einfällen, die sich vom Thema zu ent- fernen scheinen, die Beschaffenheit dieses Widerstandes erkennen, den er dann dem Patienten mitteilt. Die Auf- deckung des Widerstandes ist aber der erste Schritt zu seiner Überwindung. So ergibt sich im Rahmen der analy- tischen Arbeit eine Deutungskunst, deren erfolg- reiche Handhabung zwar Takt und Übung erfordert, die aber unschwer zu erlernen ist. Die Methode der freien Assoziation hat große Vorzüge vor der früheren, nicht nur den der Ersparung an Mühe. Sie setzt den Analysierten dem geringsten Maß von Zwang aus, verliert nie den Kontakt mit der realen Gegenwart, gewährt weitgehende Garantien dafür, daß man kein Moment in der Struktur der Neurose übersieht und nichts aus eigener Erwartung in sie einträgt. Man überläßt es bei ihr wesentlich dem Patienten, den Gang der Analyse und die Anordnung des




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Stoffes zu bestimmen, daher wird die systematische Bearbeitung der einzelnen Symptome und Komplexe unmöglich. Recht im Gegensatz zum Hergang beim hypno- tischen oder antreibenden Verfahren erfährt man das Zusammengehörige zu verschiedenen Zeiten und an ver- schiedenen Stellen der Behandlung. Für einen Zuhörer — den es in Wirklichkeit nicht geben darf — würde die analytische Kur daher ganz undurchsichtig sein.

Ein anderer Vorteil der Methode ist, daß sie eigentlich nie zu versagen braucht. Es muß theoretisch immer mög- lich sein, einen Einfall zu haben, wenn man seine An- sprüche an die Art desselben fallen läßt. Doch tritt solches Versagen ganz regelmäßig in einem Falle auf, aber gerade durch seine Vereinzelung wird auch dieser Fall deutbar.

Ich nähere mich nun der Beschreibung eines Moments, welches einen wesentlichen Zug zum Bilde der Analyse hinzufügt und technisch wie theoretisch die größte Bedeu- tung beanspruchen darf. In jeder analytischen Behandlung stellt sich ohne Dazutun des Arztes eine intensive Gefühls- beziehung des Patienten zur Person des Analytikers her, die in den realen Verhältnissen keine Erklärung finden kann. Sie ist positiver oder negativer Natur, variiert von leidenschaftlicher, vollsinnlicher Verliebtheit bis zum extremen Ausdruck von Auflehnung, Erbitterung und Haß. Diese abkürzend sogenannte „Übertragung" setzt sich beim Patienten bald an die Stelle des Wunsches


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nach Genesung und wird, solange sie zärtlich und ge- mäßigt ist, zum Träger des ärztlichen Einflusses und zur eigentlichen Triebfeder der gemeinsamen analytischen Arbeit, Später, wenn sie leidenschaftlich geworden ist oder ins Feindselige umgeschlagen hat, wird sie das Hauptwerkzeug des Widerstandes. Dann geschieht es auch, daß sie die Einfallstätigkeit des Patienten lahm legt und den Erfolg der Behandlung gefährdet. Es wäre aber unsinnig, ihr ausweichen zu wollen; eine Analyse ohne Übertragung ist eine Unmöglichkeit. Man darf nicht glau- ben, daß die Analyse die Übertragung schafft, und daß diese nur bei ihr vorkommt. Die Übertragung wird von der Analyse nur aufgedeckt und isoliert. Sie ist ein allgemein menschliches Phänomen, entscheidet über den Erfolg bei jeder ärztlichen Beeinflussung, ja sie beherrscht überhaupt die Beziehungen einer Person zu ihrer menschlichen Um- welt. Unschwer erkennt man in ihr denselben dynamischen Faktor, den die Hypnotiker Suggerierbarkeit genannt haben, der der Träger des hypnotischen Rapports ist, über dessen Unberechenbarkeit auch die kathartische Methode zu klagen hatte. Wo diese Neigung zur Gefühlsübertra- gung fehlt oder durchaus negativ geworden ist, wie bei der Dementia preacox und der Paranoia, da entfällt auch die Möglichkeit einer psychischen Beeinflussung des Kranken. Es ist ganz richtig, daß auch die Psychoanalyse mit dem Mittel der Suggestion arbeitet wie andere psycho- therapeutische Methoden. Der Unterschied ist aber, daß


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ihr — der Suggestion oder der Übertragung — hier nicht die Entscheidung über den therapeutischen Erfolg über- lassen wird. Sie wird vielmehr dazu verwendet, den Kran- ken zur Leistung einer psychischen Arbeit zu bewegen — zur Überwindung seiner Übertragungswiderstände — , die eine dauernde Veränderung seiner seelischen Ökonomie bedeutet. Die Übertragung wird vom Analytiker dem Kranken bewußt gemacht, sie wird aufgelöst, indem man ihn davon überzeugt, daß er in seinem Übertragungsver- halten Gefühlsrelationen wiedererlebt, die von seinen frühesten Objektbesetzungen, aus der verdrängten Periode seiner Kindheit, herstammen. Durch solche Wen- dung wird die Übertragung aus der stärksten Waffe des Widerstandes zum besten Instrument der analytischen Kur. Immerhin bleibt ihre Handhabung das schwierigste wie das wichtigste Stück der analytischen Technik.

Mit Hilfe des Verfahrens der freien Assoziation und der an sie anschließenden Deutungskunst gelang der Psycho- analyse eine Leistung, die anscheinend nicht praktisch bedeutsam war, aber in Wirklichkeit zu einer völlig neuen Stellung und Geltung im wissenschaftlichen Betrieb führen mußte. Es wurde möglich, nachzuweisen, daß Träume sinnvoll sind, und den Sinn derselben zu erraten. Träume waren noch im klassischen Altertum als Verkündigungen der Zukunft hochgeschätzt worden; die moderne Wissen- schaft wollte vom Traum nichts wissen, überließ ihn dem Aberglauben, erklärte ihn für einen bloß „körperlichen"


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Akt, für eine Art Zuckung des sonst schlafenden Seelen- lebens. Daß jemand, der ernste wissenschaftliche Arbeit geleistet hatte, als „Traumdeuter" auftreten könnte, schien doch ausgeschlossen. Wenn man sich aber um eine solche Verdammung des Traumes nicht kümmerte, ihn behandelte wie ein unverstandenes neurotisches Symptom, eine Wahn- oder Zwangsidee, von seinem scheinbaren Inhalt absah und seine einzelnen Bilder zu Objekten der freien Assoziation machte, so kam man zu einem anderen Er- gebnis. Man gewann durch die zahlreichen Einfälle des Träumers Kenntnis von einem Gedankengebilde, das nicht mehr absurd oder verworren genannt werden konnte, das einer vollwertigen psychischen Leistung entsprach, und von dem der manifeste Traum nur eine entstellte, verkürzte und mißverstandene Übersetzung war, zumeist eine Übersetzung in visuelle Bilder. Diese latenten Traumgedanken enthielten den Sinn des Traumes, der manifeste Trauminhalt war nur eine Täuschung, eine Fassade, an welche zwar die Assoziation anknüpfen konnte, aber nicht die Deutung.

Man stand nun vor der Beantwortung einer ganzen Reihe von Fragen, die wichtigsten darunter, ob es denn ein Motiv für die Traumbildung gebe, unter welchen Be- dingungen sie sich vollziehen könne, auf welchen Wegen die Überführung der immer sinnreichen Traumgedanken in den oft sinnlosen Traum vor sich geht u. a. In meiner 1900 veröffentlichten „Traumdeutung" habe ich versucht,




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alle diese Probleme zu erledigen. Nur der kürzeste Auszug aus dieser Untersuchung kann hier Raum finden: Wenn man die latenten Traumgedanken, die man aus der Ana- lyse des Traumes erfahren hat, untersucht, findet man einen unter ihnen, der sich von den anderen, verständigen und dem Träumer wohlbekannten, scharf abhebt. Diese anderen sind Reste des Wachlebens (Tagesreste) ; in dem vereinzelten aber erkennt man eine oft sehr anstößige Wunschregung, die dem Wachleben des Träumers fremd ist, die er dementsprechend auch verwundert oder ent- rüstet verleugnet. Diese Regung ist der eigentliche Traum- bildner, sie hat die Energie für die Produktion des Trau- mes aufgebracht und sich der Tagesreste als Material bedient; der so entstandene Traum stellt eine Befriedi- gungssituation für sie vor, ist ihre Wunscherfül- lung. Dieser Vorgang wäre nicht möglich geworden, wenn nicht etwas in der Natur des Schlafzustandes ihn begünstigt hätte. Die psychische Voraussetzung des Schlafens ist die Einstellung des Ichs auf den Schlaf- wunsch und die Abziehung der Besetzungen von allen Interessen des Lebens; da gleichzeitig die Zugänge zur Motilität gesperrt werden, kann das Ich auch den Auf- wand herabsetzen, mit dem es sonst die Verdrängungen aufrecht hält. Diesen nächtlichen Nachlaß der Verdrän- gung macht sich die unbewußte Regung zunutze, um mit dem Traum zum Bewußtsein vorzudringen. Der Verdrän- gungswiderstand des Ichs ist aber auch im Schlafe nicht


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aufgehoben, sondern bloß herabgesetzt worden. Ein Rest von ihm ist als T r a u m z e n s u r verblieben und ver- bietet nun der unbewußten Wunschregung, sich in den Formen zu äußern, die ihr eigentlich angemessen wären. Infolge der Strenge der Traumzensur müssen sich die latenten Traumgedanken Abänderungen und Abschwä- chungen gefallen lassen, die den verpönten Sinn des Traumes unkenntlich machen. Dies ist die Erklärung der Traumentstellung, welcher der manifeste Traum seine auffälligsten Charaktere verdankt. Daher die Be- rechtigung des Satzes: der Traum sei die (ver- kappte) Erfüllung eines (verdrängten) Wunsches. Wir erkennen schon jetzt, daß der Traum gebaut ist wie ein neurotisches Symptom, er ist eine Kom- promißbildung zwischen dem Anspruch einer verdrängten Triebregung und dem Widerstand einer zensurierenden Macht im Ich. Infolge der gleichen Genese ist er auch ebenso unverständlich wie das Symptom und in gleicher Weise der Deutung bedürftig.

Die allgemeine Funktion des Träumens ist leicht auf- zufinden. Es dient dazu, um äußere oder innere Reize, welche zum Erwachen auffordern würden, durch eine Art von Beschwichtigung abzuwehren und so den Schlaf gegen Störung zu versichern. Der äußere Reiz wird abgewehrt, indem er umgedeutet und in irgendeine harmlose Situation verwoben wird; den inneren Reiz des Triebanspruchs läßt der Schläfer gewähren und gestattet ihm die Befriedigung



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durch die Traumbildung, solange sich die latenten Traum- gedanken der Bändigung durch die Zensur nicht entziehen. Droht aber diese Gefahr und wird der Traum allzu deut- lich, so bricht der Schläfer den Traum ab und wacht er- schreckt auf (Angsttraum). Dasselbe Versagen der Traumfunktion tritt ein, wenn der äußere Reiz so stark wird, daß er sich nicht mehr abweisen läßt (W eck- träum). Den Prozeß, welcher unter Mitwirkung der Traumzensur die latenten Gedanken in den manifesten Trauminhalt überführt, habe ich die Traumarbeit genannt. Er besteht in einer eigenartigen Behandlung des vorbewußten Gedankenmaterials, bei welcher dessen Be- standteile verdichtet, seine psychischen Akzente verschoben, das Ganze dann in visuelle Bilder umge- setzt, dramatisiert, und durch eine mißverständliche sekundäre Bearbeitung ergänzt wird. Die Traumarbeit ist ein ausgezeichnetes Muster der Vorgänge in den tieferen, unbewußten Schichten des Seelenlebens, welche sich von den uns bekannten normalen Denkvor- gängen erheblich unterscheiden. Sie bringt auch eine Anzahl archaischer Züge zum Vorschein, z. B. die Ver- wendung einer hier vorwiegend sexuellen Symbolik, die man dann auf anderen Gebieten geistiger Tätigkeit wiedergefunden hat.

Indem sich die unbewußte Triebregung des Traumes mit einem Tagesrest, einem unerledigten Interesse des Wach- lebens, in Verbindung setzt, verschafft sie dem von ihr




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gebildeten Traume einen zweifachen Wert für die analy- tische Arbeit. Der gedeutete Traum erweist sich ja einer- seits als die Erfüllung eines verdrängten Wunsches, ande- rerseits kann er die vorbewußte Denktätigkeit des Tages fortgesetzt und sich mit beliebigem Inhalt erfüllt haben, einem Vorsatz, einer Warnung, Überlegung und wiederum einer Wunscherfüllung Ausdruck geben. Die Analyse ver- wertet ihn nach beiden Richtungen, sowohl für die Kennt- nis der bewußten wie der unbewußten Vorgänge beim Analysierten. Auch zieht sie aus dem Umstände Vorteil, daß dem Traume der vergessene Stoff des Kindheitslebens zugänglich ist, so daß die infantile Amnesie zumeist im Anschluß an die Deutung von Träumen überwunden wird. Der Traum leistet hier ein Stück von dem, was früher der Hypnose auferlegt war. Dagegen habe ich nie die mir oft zugeschriebene Behauptung aufgestellt, die Traumdeutung ergebe, daß alle Träume sexuellen Inhalt haben oder auf sexuelle Triebkräfte zurückgehen. Es ist leicht zu sehen, daß Hunger, Durst und Exkretionsdrang ebensogut Befriedigungsträume erzeugen wie irgendeine verdrängte sexuelle oder egoistische Regung. Bei kleinen Kindern stellt sich eine bequeme Probe auf die Richtigkeit unserer Traumtheorie zur Verfügung. Hier, wo die verschiedenen psychischen Systeme noch nicht scharf gesondert, die Ver- drängungen noch nicht tiefer ausgebildet sind, erfährt man häufig von Träumen, die nichts anderes sind als unver- hüllte Erfüllungen irgendwelcher vom Tage erübrigten


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Wunschregungen. Unter dem Einfluß imperativer Bedürf- nisse können auch Erwachsene solche Träume vom infan- tilen Typus produzieren .

In ähnlicher Weise wie der Traumdeutung bedient sich die Analyse des Studiums der so häufigen kleinen Fehl- leistungen und Symptomhandlungen der Menschen, denen ich eine 1904 zuerst als Buch veröffentlichte Untersuchung „Zur Psychopathologie des Alltagslebens" gewidmet habe. Den Inhalt dieses vielgelesenen Werkes bildet der Nach- weis, daß diese Phänomene nichts Zufälliges sind, daß sie über physiologische Erklärungen hinausgehen, sinnvoll und deutbar sind und zum Schluß auf zurückgehaltene oder verdrängte Regungen und Intentionen berechtigen. Der überragende Wert der Traumdeutung wie dieser Studie liegt aber nicht in der Unterstützung, die sie der analyti- schen Arbeit leihen, sondern in einer anderen Eigenschaft derselben. Bisher hatte die Psychoanalyse sich nur mit der Auflösung pathologischer Phänomene beschäftigt und zu deren Erklärung oft Annahmen machen müssen, deren Tragweite außer Verhältnis zur Wichtigkeit des behan-

8 ) (1935) Wenn man das so häufige Mißlingen der Traumfunk- tion berücksichtigt, kann man den Traum zutreffend charakteri- sieren als einen Versuch zur Wunscherfüllung. Unbestritten bleibt die alte Definition des Traumes durch Aristoteles als das Seelenleben während des Schlafes. Es ist nicht ohne Sinn, daß ich mein Buch nicht den „Traum" betitelt habe, sondern „Die Traumdeutung".


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delten Stoffes stand. Der Traum aber, den sie dann in Angriff nahm, war kein krankhaftes Symptom, er war ein Phänomen des normalen Seelenlebens, konnte sich bei jedem gesunden Menschen ereignen. Wenn der Traum so gebaut ist wie ein Symptom, wenn seine Erklärung die nämlichen Annahmen erfordert, die der Verdrängung von Triebregungen, der Ersatz- und Kompromißbildung, der verschiedenen psychischen Systeme zur Unterbringung des Bewußten und Unbewußten, dann ist die Psychoanalyse nicht mehr eine Hilfswissenschaft der Psychopathologie, dann ist sie vielmehr der Ansatz zu einer neuen und gründlicheren Seelenkunde, die auch für das Verständnis des Normalen unentbehrlich wird. Man darf ihre Voraus- setzungen und Ergebnisse auf andere Gebiete des seeli- schen und geistigen Geschehens übertragen; der Weg ins Weite, zum Weltinteresse, ist ihr eröffnet.


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Ich unterbreche die Darstellung vom inneren Wachs- tum der Psychoanalyse und wende mich ihren äußeren Schicksalen zu. Was ich von ihrem Erwerb bisher mit- geteilt habe, war in großen Zügen der Erfolg meiner Arbeit, ich habe aber in den Zusammenhang auch spätere Ergebnisse eingetragen und die Beiträge meiner Schüler und Anhänger nicht von den eigenen gesondert.

Durch mehr als ein Jahrzehnt nach der Trennung von Breuer hatte ich keine Anhänger. Ich stand völlig isoliert. In Wien wurde ich gemieden, das Ausland nahm von mir keine Kenntnis. Die „Traumdeutung", 1900, wurde in den Fachzeitschriften kaum referiert. Im Aufsatz „Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung" habe ich als Beispiel für die Einstellung der psychiatrischen Kreise in Wien ein Gespräch mit einem Assistenten mitgeteilt, der ein Buch gegen meine Lehren geschrieben, aber die „Traumdeutung" nicht gelesen hatte. Man hatte ihm auf der Klinik gesagt, es lohne nicht der Mühe. Der Betref- fende, seither Extraordinarius geworden, hat sich gestattet, den Inhalt jener Unterredung zu verleugnen und über- haupt die Treue meiner Erinnerung anzuzweifeln. Ich halte jedes Wort meines damaligen Berichtes aufrecht.


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Als ich verstanden hatte, mit welchen Notwendigkeiten ich zusammengestoßen war, ließ meine Empfindlichkeit sehr nach. Allmählich fand auch die Isolierung ein Ende. Zuerst sammelte sich in Wien ein kleiner Kreis von Schülern um mich; nach 1906 erfuhr man, daß sich die Psychiater in Zürich, E. Bleuler, sein Assistent C. G. Jung und andere lebhaft für die Psychoanalyse inter- essierten. Persönliche Beziehungen knüpften sich an, zu Ostern 1908 trafen sich die Freunde der jungen Wissen- schaft in Salzburg, verabredeten die regelmäßige Wiederholung solcher Privatkongresse und die Heraus- gabe einer Zeitschrift, die unter dem Titel „Jahrbuch für psychopathologische und psychoanalytische Forschungen" von Jung redigiert wurde. Herausgeber waren Bleu- ler und ich; sie wurde dann mit Beginn des Weltkrieges eingestellt. Gleichzeitig mit dem Anschluß der Schweizer war auch überall in Deutschland das Interesse für die Psychoanalyse erwacht, sie wurde der Gegenstand zahl- reicher literarischer Äußerungen und lebhafter Diskussion auf wissenschaftlichen Kongressen. Die Aufnahme war nirgends eine freundliche oder wohlwollend zuwartende. Nach kürzester Bekanntschaft mit der Psychoanalyse war die deutsche Wissenschaft in ihrer Verwerfung einig.

Ich kann natürlich auch heute nicht wissen, welches das endgültige Urteil der Nachwelt über den Wert der Psycho- analyse für Psychiatrie, Psychologie und die Geistes- wissenschaften überhaupt sein wird. Aber ich meine, wenn




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die Phase, die wir durchlebt haben, einmal ihren Ge- schichtsschreiber findet, wird dieser zugestehen müssen, daß das Verhalten ihrer damaligen Vertreter nicht rühm- lich für die deutsche Wissenschaft war. Ich beziehe mich dabei nicht auf die Tatsache der Ablehnung oder auf die Entschiedenheit, mit der sie geschah; beides war leicht zu verstehen, entsprach nur der Erwartung und konnte wenigstens keinen Schatten auf den Charakter der Gegner werfen. Aber für das Ausmaß von Hochmut und ge- wissenloser Verschmähung der Logik, für die Roheit und Geschmacklosigkeit der Angriffe gibt es keine Entschul- digung. Man kann mir vorhalten, es sei kindisch, noch nach fünfzehn Jahren solcher Empfindlichkeit freien Lauf zu geben; ich würde es auch nicht tun, wenn ich nicht noch etwas anderes hinzuzufügen hätte. Jahre später, als während des Weltkrieges ein Chor von Feinden gegen die deutsche Nation den Vorwurf der Barbarei erhob, in dem all das Erwähnte zusammentrifft, schmerzte es doch tief, daß man aus eigener Erfahrung dem nicht widersprechen konnte.

Einer der Gegner rühmte sich laut, daß er seinen Patienten den Mund verbiete, wenn sie von sexuellen Dingen zu sprechen beginnen, und leitete aus dieser Technik offenbar ein Recht ab, über die ätiologische Rolle der Sexualität bei den Neurosen zu urteilen. Abgesehen von den affektiven Widerständen, die sich nach der psychoanalytischen Theorie so leicht erklärten,


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daß sie uns nicht irre machen konnten, schien mir das Haupthindernis der Verständigung in dem Umstand zu liegen, daß die Gegner in der Psychoanalyse ein Produkt meiner spekulativen Phantasie sahen und nicht an die lange, geduldige, voraussetzungslose Arbeit glauben wollten, die zu ihrem Aufbau aufgewendet worden war. Da nach ihrer Meinung die Analyse nichts mit Beob- achtung und Erfahrung zu tun hatte, hielten sie sich auch für berechtigt, sie ohne eigene Erfahrung zu verwerfen. Andere, die sich solcher Überzeugung nicht so sicher fühlten, wiederholten das klassische Widerstandsmanöver, nicht ins Mikroskop zu gucken, um das nicht zu sehen, was sie bestritten hatten. Es ist überhaupt merkwürdig, wie inkorrekt sich die meisten Menschen benehmen, wenn sie in einer neuen Sache auf ihr eigenes Urteil gestellt sind. Durch viele Jahre und auch heute noch bekam ich von „wohlwollenden" Kritikern zu hören, so und so weit habe die Psychoanalyse Recht, aber an dem Punkte beginne ihr Übermaß, ihre unberechtigte Verall- gemeinerung. Dabei weiß ich, daß nichts schwieriger ist, als über eine solche Abgrenzung zu entscheiden, und daß die Kritiker selbst bis vor wenigen Tagen oder Wochen in voller Unkenntnis der Sache gewesen waren.

Das offizielle Anathema gegen die Psychoanalyse hatte zur Folge, daß sich die Analytiker enger zusam- menschlössen. Auf dem zweiten Kongreß zu Nürn- berg 1910 organisierten sie sich auf Vorschlag von


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S. Ferenczi zu einer „Internationalen Psychoanaly- tischen Vereinigung", die in Ortsgruppen zerfiel und unter der Leitung eines Präsidenten stand. Diese Ver- einigung hat den Weltkrieg überstanden, sie besteht heute noch und umfaßt die Ortsgruppen Wien, Berlin, Budapest, Zürich, London, Holland, New York, Pan- Amerika, Moskau und Calcutta. Zum ersten Präsidenten ließ ich C. G. Jung wählen, ein recht unglücklicher Schritt, wie sich später herausstellte. Die Psychoanalyse erwarb damals ein zweites Journal, das „Zentralblatt für Psychoanalyse", redigiert von Adler und S t e k e 1, und bald darauf ein drittes, die „Imago", von den Nicht- ärzten H. Sachs und 0. Rank für die Anwendungen der Analyse auf die Geisteswissenschaften bestimmt. Bald darauf veröffentlichte Bleuler seine Schrift zur Verteidigung der Psychoanalyse („Die Psychoanalyse Freuds" 1910). So erfreulich es war, daß in dem Streit einmal auch Gerechtigkeit und ehrliche Logik zu Worte kamen, so konnte mich die Arbeit Bleulers doch nicht völlig befriedigen. Sie strebte zu sehr nach dem Anschein der Unparteilichkeit; es war kein Zufall, daß man gerade ihrem Autor die Einführung des wertvollen Begriffes der Ambivalenz in unsere Wissenschaft zu danken hatte. In späteren Aufsätzen hat Bleuler sich so ablehnend gegen das analytische Lehrge- bäude verhalten, so wesentliche Stücke desselben be- zweifelt oder verworfen, daß ich mich verwundert fragen


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konnte, was für seine Anerkennung davon erübrige. Und dach hat er auch später nicht nur die herzhaftesten Äußerungen zugunsten der „Tiefenpsychologie" getan, sondern auch seine großangelegte Darstellung der Schizophrenien auf sie begründet. Bleuler verblieb Übrigens nicht lange in der „Internationalen Psycho- analytischen Vereinigung", er verließ sie infolge von Mißhelligkeiten mit Jung, und das „Burghölzli" ging der Analyse verloren.

Der offizielle Widerspruch konnte die Ausbreitung der Psychoanalyse weder in Deutschland noch in den anderen Ländern aufhalten. Ich habe an anderer Stelle („Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung") die Etappen ihres Fortschrittes verfolgt und dort auch die Männer genannt, die sich als ihre Vertreter hervor- taten. Im Jahre 1909 waren J u n g und ich von G. S t a n- 1 e y H a 1 1 nach Amerika berufen worden, um dort an der Clark University, Worcester, Mass,, deren Präsident er war, zur 20jährigen Gündungsfeier des Instituts eine Woche lang Vorlesungen (in deutscher Sprache) zu halten. Hall war ein mit Recht angesehener Psycholog und Pädagog, der die Psychoanalyse schon seit Jahren in seinen Unterricht einbezogen hatte; es war etwas vom „Königsmacher" in ihm, dem es gefiel, Autoritäten ein- und wieder abzusetzen. Wir trafen dort auch J a m e s J. Putnam, den Neurologen von Harvard, der sich trotz seines Alters für die Psychoanalyse begeisterte und


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mit dem ganzen Gewicht seiner allgemein respektier- ten Persönlichkeit für ihren kulturellen Wert und die Reinheit ihrer Absichten eintrat. An dem ausgezeich- neten Manne, der in Reaktion auf eine zwangsneuro- tische Anlage vorwiegend ethisch orientiert war, störte uns nur die Zumutung, die Psychoanalyse an ein bestimm- tes philosophisches System anzuschließen und in den Dienst moralischer Bestrebungen zu stellen. Auch eine Zusammenkunft mit dem Philosophen William James hinterließ mir einen bleibenden Eindruck. Ich kann nicht die kleine Szene vergessen, wie er auf einem Spazier- gang plötzlich stehen blieb, mir seine Handtasche über- gab und mich bat vorauszugehen, er werde nachkommen, sobald er den herannahenden Anfall von Angina pectoris abgemacht habe. Er starb ein Jahr später am Herzen; ich habe mir seither immer eine ähnliche Furchtlosigkeit angesichts des nahen Lebensendes gewünscht.

Damals war ich erst 53 Jahre alt, fühlte mich jugend- lich und gesund, der kurze Aufenthalt in der neuen Welt tat meinem Selbstgefühl überhaupt wohl; in Europa fühlte ich mich wie geächtet, hier sah ich mich von den Besten wie ein Gleichwertiger aufgenommen. Es war wie die Verwirklichung eines unglaubwürdigen Tagtraumes, als ich in Worcester den Katheder bestieg, um meine „Fünf Vorlesungen über Psychoanalyse" abzuhalten. Die Psychoanalyse war also kein Wahngebilde mehr, sie war zu einem wertvollen Stück der Realität ge-




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worden. Sie hat auch den Boden in Amerika seit unserem Besuch nicht mehr verloren, sie ist unter den Laien unge- mein populär und wird von vielen offiziellen Psychiatern als wichtiger Bestandteil des medizinischen Unterrichts anerkannt. Leider hat sie dort auch viel Verwässerung erfahren. Mancher Mißbrauch, der nichts mit ihr zu tun hat, deckt sich mit ihrem Namen, es fehlt an Gelegen- heiten zu gründlicher Ausbildung in Technik und Theorie. Auch stößt sie in Amerika mit dem Beha- viourism zusammen, der sich in seiner Naivität rühmt, das psychologische Problem überhaupt ausge- schaltet zu haben.

In Europa vollzogen sich in den Jahren 1911 — 1913 zwei Abfallsbewegungen von der Psychoanalyse, einge- leitet von Personen, die bisher eine ansehnliche Rolle in der jungen Wissenschaft gespielt hatten, die von A 1 f r e d Adler und von C. G. Jung. Beide sahen recht ge- fährlich aus und gewannen rasch eine große Anhänger- schaft. Ihre Stärke dankten sie aber nicht dem eigenen Gehalt, sondern der Verlockung, von den anstößig emp- fundenen Resultaten der Psychoanalyse frei zu kommen, auch wenn man ihr tatsächliches Material nicht mehr verleugnete. Jung versuchte eine Umdeutung der ana- lytischen Tatsachen ins Abstrakte, Unpersönliche und Unhistorische, wodurch er sich die Würdigung der infan- tilen Sexualität und des Ödipuskomplexes sowie die Not- wendigkeit der Kindheitsanalyse zu ersparen hoffte.


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Adler schien sich noch weiter von der Psychoanalyse zu entfernen, er verwarf die Bedeutung der Sexualität überhaupt, führte Charakter- wie Neurosenbildung aus- schließlich auf das Machtstreben der Menschen und ihr Bedürfnis nach Kompensationen ihrer konstitutionellen Minderwertigkeit zurück und schlug alle psychologischen Neuerwerbungen der Psychoanalyse in den Wind. Doch hat das von ihm Verworfene sich unter geändertem Namen die Aufnahme in sein geschlossenes System er- zwungen; sein „männlicher Protest" ist nichts anderes als die zu Unrecht sexualisierte Verdrängung. Die Kritik begegnete beiden Häretikern mit großer Milde; ich konnte nur erreichen, daß Adler wie Jung darauf verzichteten, ihre Lehren „Psychoanalyse" zu heißen. Man kann heute, nach einem Jahrzehnt, feststellen, daß beide Versuche an der Psychoanalyse schadlos vorüber- gegangen sind.

Wenn eine Gemeinschaft auf Übereinstimmung in einigen kardinalen Punkten begründet ist, wird es selbst- verständlich, daß diejenigen aus ihr ausscheiden, welche diesen gemeinsamen Boden aufgegeben haben. Doch hat man häufig den Abfall früherer Schüler als Zeichen meiner Intoleranz mir zur Schuld angerechnet oder den Ausdruck eines besonderen auf mir lastenden Verhäng- nisses darin gesehen. Es genüge dagegen, darauf hinzu- weisen, daß denen, die mich verlassen haben, wie Jung, Adler, Stekel und wenige andere, eine große An-




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zahl von Personen gegenübersteht, die, wie Abraham, Eitingon, Ferenczi, Rank, Jones, Brill, Sachs, Pfarrer Pfister, van Emden, Reik u. a. seit etwa fünfzehn Jahren mir in treuer Mitarbeiter- schaft, meist auch in ungetrübter Freundschaft anhängen. Ich habe nur die ältesten meiner Schüler hier genannt, die sich bereits einen rühmlichen Namen in der Literatur der Psychoanalyse geschaffen haben, die Übergehung anderer soll keine Zurücksetzung bedeuten, und gerade unter den jungen und spät hinzugekommenen befinden sich Talente, auf die man große Hoffnungen setzen darf. Aber ich darf wohl für mich geltend machen, daß ein intoleranter und vom Unfehlbarkeitsdünkel beherrsch- ter Mensch niemals eine so große Schar geistig bedeu- tender Personen an sich hätte fesseln können, zumal wenn er über nicht mehr praktische Verlockungen ver- fügte als ich.

Der Weltkrieg, der so viele andere Organisationen zerstört hat, konnte unserer „Internationalen" nichts anhaben. Die erste Zusammenkunft nach dem Kriege fand 1920 im Haag statt, auf neutralem Boden. Es war rührend, wie holländische Gastfreundschaft sich der ver- hungerten und verarmten Mitteleuropäer annahm, es geschah auch meines Wissens damals zum ersten Male in einer zerstörten Welt, daß Engländer und Deutsche sich wegen wissenschaftlicher Interessen freundschaft- lich an denselben Tisch setzten. Der Krieg hatte sogar


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in Deutschland wie in den westlichen Ländern das Inter- esse an der Psychoanalyse gesteigert. Die Beobachtung der Kriegsneurotiker hatte den Ärzten endlich die Augen über die Bedeutung der Psychogenese für neurotische Störungen geöffnet, einige unserer psychologischen Kon- zeptionen, der „Krankheitsgewinn", die „Flucht in die Krankheit" wurden rasch populär. Zum letzten Kongreß vor dem Zusammenbruch, Budapest 1918, hatten die ver- bündeten Regierungen der Mittelmächte offizielle Ver- treter geschickt, welche die Einrichtung psychoanaly- tischer Stationen zur Behandlung der Kriegsneurotiker zusagten. Es kam nicht mehr dazu. Auch weitaus- greifende Pläne eines unserer besten Mitglieder, des Dr. Anton von Freund, welche in Budapest eine Zentrale für analytische Lehre und Therapie schaffen wollten, scheiterten an den bald darauf erfolgenden politischen Umwälzungen und dem frühen Tod des un- ersetzlichen Mannes. Einen Teil seiner Anregungen ver- wirklichte später Max Eitingon, indem er 1920 in Berlin eine psychoanalytische Poliklinik schuf. Während der kurzen Dauer der bolschewistischen Herrschaft in Ungarn konnte F e r e n c z i noch eine erfolgreiche Lehr- tätigkeit als offizieller Vertreter der Psychoanalyse an der Universität entfalten. Nach dem Kriege gefiel es unseren Gegnern, zu verkünden, daß die Erfahrung ein schlagendes Argument gegen die Richtigkeit der analy- tischen Behauptungen ergeben habe. Die Kriegsneurosen


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hätten den Beweis für die Überflüssigkeit sexueller Momente in der Ätiologie neurotischer Affektionen ge- liefert. Allein, das war ein leichtfertiger und voreiliger Triumph. Denn einerseits hatte niemand die gründliche Analyse eines Falles von Kriegsneurose durchführen können, man wußte also einfach nichts Sicheres über deren Motivierung und durfte doch aus solcher Un- wissenheit keinen Schluß ziehen. Anderseits aber hatte die Psychoanalyse längst den Begriff des Narzißmus und der narzißtischen Neurose gewonnen, der die An- heftung der Libido an das eigene Ich, an Stelle eines Objekts, zum Inhalt hatte. D. h. also, man machte sonst der Psychoanalyse zum Vorwurf, daß sie den Begriff der Sexualität ungebührlich erweitert habe; wenn man es aber in der Polemik bequem fand, vergaß man an dieses ihr Vergehen und hielt ihr wiederum die Sexualität im engsten Sinne vor.

Die Geschichte der Psychoanalyse zerfällt für mich in zwei Abschnitte, von der kathartischen Vorgeschichte abgesehen. Im ersten stand ich allein und hatte alle Arbeit selbst zu tun, so war es von 1895/96 an bis 1906 oder 1907. Im zweiten Abschnitt, von da an bis zum heutigen Tage, haben die Beiträge meiner Schüler und Mitarbeiter immer mehr an Bedeutung gewonnen, so daß ich jetzt, durch schwere Erkrankung an das nahe Ende gemahnt, mit innerer Ruhe an das Aufhören meiner eigenen Leistung denken kann. Gerade dadurch schließt


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es sich aber aus, daß ich in dieser „Selbstdarstellung" die Fortschritte der Psychoanalyse im zweiten Zeitab- schnitt mit solcher Ausführlichkeit behandle .wie deren allmählichen Aufbau im ersten, der allein von meiner Tätigkeit ausgefüllt ist. Ich fühle mich nur berechtigt, hier jene Neuerwerbungen zu erwähnen, an denen ich noch einen hervorragenden Anteil hatte, also vor allem die auf dem Gebiet des Narzißmus, der Trieblehre und der Anwendung auf die Psychosen.

Ich habe nachzutragen, daß mit zunehmender Erfah- rung der Ödipuskomplex sich immer deutlicher als der Kern der Neurose herausstellte. Er war sowohl der Höhepunkt des infantilen Sexuallebens wie auch der Knotenpunkt, von dem alle späteren Entwicklungen aus- gingen. Damit schwand aber die Erwartung, durch die Analyse ein für die Neurose spezifisches Moment auf- zudecken. Man mußte sich sagen, wie es Jung in seiner analytischen Frühzeit treffend auszudrücken ver- stand, daß die Neurose keinen besonderen ihr ausschließ- lich eigenen Inhalt habe, und daß die Neurotiker an den nämlichen Dingen scheitern, welche von den Normalen glücklich bewältigt werden. Diese Einsicht bedeutete durchaus keine Enttäuschung. Sie stand im besten Ein- klang mit jener anderen, daß die durch die Psycho- analyse gefundene Tiefenpsychologie eben die Psycho- logie des normalen Seelenlebens war. Es war uns ebenso ergangen wie den Chemikern; die großen qualitativen


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Verschiedenheiten der Produkte führten sich auf quanti- tative Abänderungen in den Kombinationsverhältnissen der nämlichen Elemente zurück.

Im Ödipuskomplex zeigte sich die Libido an die Vor- stellung der elterlichen Personen gebunden. Aber es hatte vorher eine Zeit ohne alle solchen Objekte gegeben. Daraus ergab sich die für eine Libidotheorie grund- legende Konzeption eines Zustandes, in dem die Libido das eigene Ich erfüllt, dieses selbst zum Objekt genom- men hat. Diesen Zustand konnte man „Narzißmus" oder Selbstliebe nennen. Die nächsten Überlegungen sagten, daß er eigentlich nie völlig aufgehoben wird; für die ganze Lebenszeit bleibt das Ich das große Libidoreser- voir, aus welchem Objektbesetzungen ausgeschickt werden, in welches die Libido von den Objekten wieder zurückströmen kann. Narzißtische Libido setzt sich also fortwährend in Objektlibido um und umgekehrt. Ein ausgezeichnetes Beispiel davon, welches Ausmaß diese Umsetzung erreichen kann, zeigt uns die bis zur Selbst- aufopferung reichende sexuelle oder sublimierte Ver- liebtheit. Während man bisher im Verdrängungsprozeß nur dem Verdrängten Aufmerksamkeit geschenkt hatte, ermöglichten diese Vorstellungen, auch das Verdrän- gende richtig zu würdigen. Man hatte gesagt, die Ver- drängung werde von den im Ich wirksamen Selbst- erhaltungstrieben („Ichtrieben") ins Werk gesetzt und an den libidinösen Trieben vollzogen. Nun, da man die


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Selbsterhaltungstriebe auch als libidinöser Natur, als narzißtische Libido, erkannte, erschien der Verdrän- gungsvorgang als ein Prozeß innerhalb der Libido selbst; narzißtische Libido stand gegen Objektlibido, das Inter- esse der Selbsterhaltung wehrte sich gegen den Anspruch der Objektliebe, also auch gegen den der engeren Sexualität.

Kein Bedürfnis wird in der Psychologie dringender empfunden als das nach einer tragfähigen Trieblehre, auf welcher man weiterbauen kann. Allein nichts dergleichen ist vorhanden, die Psychoanalyse muß sich in tastenden Versuchen um eine Trieblehre bemühen. Sie stellte zuerst den Gegensatz von Ichtrieben (Selbsterhaltung, Hunger) und von libidinösen Trieben (Liebe) auf, ersetzte ihn dann durch den neuen von narzißtischer und Objekt- libido. Damit war offenbar das letzte Wort nicht ge- sprochen; biologische Erwägungen schienen zu verbieten, daß man sich mit der Annahme einer einzigen Art von Trieben begnüge.

In den Arbeiten meiner letzten Jahre („Jenseits des Lustprinzips", „Massenpsychologie und Ich- Analyse", „Das Ich und das Es") habe ich der lange niedergehalte- nen Neigung zur Spekulation freien Lauf gelassen und dort auch eine neue Lösung des Triebproblems ins Auge gefaßt. Ich habe Selbst- und Arterhaltung unter den Begriff des Eros zusammengefaßt und ihm den ge-


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räuschlos arbeitenden Todes- oder Destruk- tionstrieb gegenübergestellt. Der Trieb wird ganz allgemein erfaßt als eine Art Elastizität des Lebenden, als ein Drang nach Wiederherstellung einer Situation, die einmal bestanden hatte und durch eine äußere Störung aufgehoben worden war. Diese im Wesen kon- servative Natur der Triebe wird durch die Erscheinun- gen des Wiederholungszwanges erläutert. Das Zusammen- und Gegeneinanderwirken von Eros und Todestrieb ergibt für uns das Bild des Lebens.

Es steht dahin, ob sich diese Konstruktion als brauch- bar erproben wird. Sie ist zwar von dem Bestreben ge- leitet worden, einige der wichtigsten theoretischen Vor- stellungen der Psychoanalyse zu fixieren, aber sie geht weit über die Psychoanalyse hinaus. Ich habe wiederholt die geringschätzige Äußerung gehört, man könne nichts von einer Wissenschaft halten, deren oberste Begriffe so unscharf wären wie die der Libido und des Triebes in der Psychoanalyse. Aber diesem Vorwurf liegt eine völlige Verkennung des Sachverhalts zugrunde. Klare Grundbegriffe und scharf umrissene Definitionen sind nur in den Geisteswissenschaften möglich, soweit diese ein Tatsachengebiet in den Rahmen einer intellektuellen Systembildung fassen wollen. In den Naturwissen- schaften, zu denen die Psychologie gehört, ist solche Klarheit der Oberbegriffe überflüssig, ja unmöglich. Zoologie und Botanik haben nicht mit korrekten und


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zureichenden Definitionen von Tier und Pflanze begon- nen, die Biologie weiß noch heute den Begriff des Leben- den nicht mit sicherem Inhalt zu erfüllen. Ja, selbst die Physik hätte ihre ganze Entwicklung versäumt, wenn sie hätte abwarten müssen, bis ihre Begriffe von Stoff, Kraft, Gravitation und andere die wünschenswerte Klar- heit und Präzision erreichten. Die Grundvorstellungen oder obersten Begriffe der naturwissenschaftlichen Dis- ziplinen werden immer zunächst unbestimmt gelassen, vor- läufig nur durch den Hinweis auf das Erscheinungsgebiet erläutert, dem sie entstammen, und können erst durch die fortschreitende Analyse des Beobachtungsmaterials klar, inhaltsreich und widerspruchsfrei werden. Ich habe es immer als grobe Ungerechtigkeit empfunden, daß man die Psychoanalyse nicht behandeln wollte wie jede andere Naturwissenschaft. Diese Verweigerung kam in den hartnäckigsten Einwendungen zum Ausdruck. Man macht der Psychoanalyse jede ihrer Unvollständigkeiten und Unvollkommenheiten zum Vorwurf, während eine auf Beobachtung gegründete Wissenschaft doch nicht anders kann, als ihre Ergebnisse stückweise herauszu- arbeiten und ihre Probleme schrittweise zu lösen. Noch mehr, wenn wir bemüht waren, der Sexualfunktion die Anerkennung zu verschaffen, die ihr so lange versagt worden war, so wurde die psychoanalytische Theorie als „Pansexualismus" gebrandmarkt, wenn wir die bisher übersehene Rolle akzidenteller Eindrücke der frühen




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Jugendzeit betonten, mußten wir hören, daß die Psycho- analyse die Faktoren der Konstitution und der Heredität verleugne, was uns niemals eingefallen war. Es war Widerspruch um jeden Preis und mit allen Mitteln.

Ich habe schon in früheren Phasen meiner Produktion den Versuch gemacht, von der psychoanalytischen Beob- achtung aus allgemeinere Gesichtspunkte zu erreichen. 1911 betonte ich in einem kleinen Aufsatz „Formulierun- gen über die zweiPrinzipien des psychischen Ge- schehens" in gewiß nicht origineller Weise die Vorherr- schaft des Lust-Unlustprinzips für das Seelenleben und dessen Ablösung durch das sog. ,, Realitätsprinzip". Spä- ter wagte ich den Versuch einer „Metapsychologie". Ich nannte so eine Weise der Betrachtung, in der jeder seelische Vorgang nach den drei Koordinaten der Dynamik, Topik und Ökonomie gewürdigt wird, und sah in ihr das äußerste Ziel, das der Psycho- logie erreichbar ist. Der Versuch blieb ein Torso, ich brach nach wenigen Abhandlungen (Triebe und Trieb- schicksale — Verdrängung — Das Unbewußte — Trauer und Melancholie usw.) ab und tat gewiß wohl daran, denn die Zeit für solche theoretische Festlegung war noch nicht gekommen. In meinen letzten spekulativen Arbeiten habe ich es unternommen, unseren seelischen Apparat auf Grund analytischer Verwertung der patho- logischen Tatsachen zu gliedern, und habe ihn in ein I c h, ein E s und ein Übe r-I c h zerlegt. („Das Ich und das


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Es", 1922.) Das Über-Ich ist der Erbe des Ödipuskom- plexes und der Vertreter der ethischen Anforderungen des Menschen.

Es soll nicht der Eindruck erweckt werden, als hätte ich in dieser letzten Periode meiner Arbeit der geduldi- gen Beobachtung den Rücken gewendet und mich durch- aus der Spekulation überlassen. Ich bin vielmehr immer in inniger Berührung mit dem analytischen Material ge- blieben und habe die Bearbeitung spezieller, klinischer oder technischer Themata nie eingestellt. Auch wo ich mich von der Beobachtung entfernte, habe ich die An- näherung an die eigentliche Philosophie sorgfältig ver- mieden. Konstitutionelle Unfähigkeit hat mir solche Ent- haltung sehr erleichtert. Ich war immer für die Ideen G. Th. Fechners zugänglich und habe mich auch in wichtigen Punkten an diesen Denker angelehnt. Die weitgehenden Übereinstimmungen der Psychoanalyse mit der Philosophie Schopenhauers — er hat nicht nur den Primat der Affektivität und die überragende Be- deutung der Sexualität vertreten, sondern selbst den Mechanismus der Verdrängung gekannt — lassen sich nicht auf meine Bekanntschaft mit seiner Lehre zurück- führen. Ich habe Schopenhauer sehr spät im Leben gelesen. Nietzsche, den anderen Philosophen, dessen Ahnungen und Einsichten sich oft in der erstaunlichsten Weise mit den mühsamen Ergebnissen der Psychoanalyse decken, habe ich gerade darum lange gemieden; an der


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Priorität lag mir ja weniger als an der Erhaltung meiner Unbefangenheit.

Die Neurosen waren das erste, lange Zeit auch das einzige Objekt der Analyse gewesen. Keinem Analytiker blieb es zweifelhaft, daß die medizinische Praxis unrecht hat, welche diese Affektionen von den Psychosen fern hält und an die organischen Nervenleiden anschließt. Die Neurosenlehre gehört zur Psychiatrie, ist unentbehrlich zur Einführung in dieselbe. Nun scheint das analytische Studium der Psychosen durch die therapeutische Aus- sichtslosigkeit einer solchen Bemühung ausgeschlossen. Den psychisch Kranken fehlt im allgemeinen die Fähig- keit zur positiven Übertragung, so daß das Hauptmittel der analytischen Technik unanwendbar ist. Aber es er- geben sich doch mancherlei Zugänge. Die Übertragung ist oft nicht so völlig abwesend, daß man nicht ein Stück weit mit ihr kommen könnte, bei zyklischen Verstim- mungen, leichter paranoischer Veränderung, partieller Schizophrenie hat man unzweifelhafte Erfolge mit der Analyse erzielt. Es war auch wenigstens für die Wissen- schaft ein Vorteil, daß in vielen Fällen die Diagnose längere Zeit zwischen der Annahme einer Psychoneurose und der einer Dementia praecox schwanken kann; der angestellte therapeutische Versuch konnte so wichtige Aufschlüsse bringen, ehe er abgebrochen werden mußte. Am meisten kommt aber in Betracht, daß in den Psycho- sen so vieles für jedermann sichtbar an die Oberfläche




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gebracht wird, was man bei den Neurosen in mühsamer Arbeit aus der Tiefe heraufholt. Für viele analytische Behauptungen ergibt darum die psychiatrische Klinik die besten Demonstrationsobjekte. Es konnte also nicht aus- bleiben, daß die Analyse bald den Weg zu den Objekten der psychiatrischen Beobachtung fand. Sehr frühzeitig (1896) habe ich an einem Fall von paranoider Demenz die gleichen ätiologischen Momente und das Vorhanden- sein der nämlichen affektiven Komplexe wie bei den Neurosen feststellen können. Jung hat rätselhafte Stereotypien bei Dementen durch Rückbeziehung auf die Lebensgeschichte der Kranken aufgeklärt; Bleuler bei verschiedenen Psychosen Mechanismen aufgezeigt, wie die durch Analyse bei den Neurotikern eruierten. Seither haben die Bemühungen der Analytiker um das Verständnis der Psychosen nicht mehr aufgehört. Be- sonders seitdem man mit dem Begriff des Narzißmus arbeitete, gelang es bald an dieser, bald an jener Stelle, einen Blick über die Mauer zu tun. Am weitesten hat es wohl Abraham in der Aufklärung der Melan- cholien gebracht. Auf diesem Gebiet setzt sich zwar gegenwärtig nicht alles Wissen in therapeutische Macht um; aber auch der bloß theoretische Gewinn ist nicht gering anzuschlagen und mag gern auf seine praktische Verwendung warten. Auf die Dauer können auch die Psychiater der Beweiskraft ihres Krankenmaterials nicht widerstehen. Es vollzieht sich jetzt in der deutschen


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Psychiatrie eine Art von penetration pacifique mit analy- tischen Gesichtspunkten. Unter unausgesetzten Beteue- rungen, daß sie keine Psychoanalytiker sein wollen, nicht der „orthodoxen" Schule angehören, deren Übertreibungen nicht mitmachen, insbesondere aber an das übermächtige sexuelle Moment nicht glauben, machen doch die meisten der jüngeren Forscher dies oder jenes Stück der analyti- schen Lehre zu ihrem Eigen und wenden es in der Weise auf das Material an. Alle Anzeichen deuten auf das Be- vorstehen weiterer Entwicklungen nach dieser Richtung.


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Ich verfolge jetzt aus der Ferne, unter welchen Re- aktionssymptomen sich der Einzug der Psychoanalyse in das lang refraktäre Frankreich vollzieht. Es wirkt wie eine Reproduktion von früher Erlebtem, hat aber doch auch seine besonderen Züge. Einwendungen von unglaub- licher Einfalt werden laut, wie die, das französische Feingefühl nehme Anstoß an der Pedanterie und Plump- heit der psychoanalytischen Namengebungen (man muß dabei doch an Lessings unsterblichen Chevalier Riccaut de la Marliniere denken!). Eine andere Äußerung klingt ernsthafter; sie ist selbst einem Professor der Psychologie an der Sorbonne nicht unwürdig erschienen: das Genie latin vertrage überhaupt nicht die Denkungsart der Psychoanalyse. Dabei werden die anglos ächsischen Alliierten, die als ihre Anhänger gelten, ausdrücklich preisgegeben. Wer das hört, muß natürlich glauben, das Genie teutonique habe die Psychoanalyse gleich nach ihrer Geburt als sein liebstes Kind ans Herz gedrückt.

In Frankreich ist das Interesse an der Psychoanalyse von den Männern der schönen Literatur ausgegangen. Um das zu verstehen, muß man sich erinnern, daß die Psychoanalyse mit der Traumdeutung die Grenzen einer


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rein ärztlichen Angelegenheit überschritten hat. Zwi- ) sehen ihrem Auftreten in Deutschland und nun in Frank- reich liegen ihre mannigfachen Anwendungen auf Ge- biete der Literatur und Kunstwissenschaft, auf Religions- geschichte und Prähistorie, auf Mythologie, Volkskunde, Pädagogik usw. Alle diese Dinge haben mit der Medizin wenig zu tun, sind mit ihr eben nur durch die Vermitt- lung der Psychoanalyse verknüpft. Ich habe darum kein Anrecht, sie an dieser Stelle eingehend zu behandeln. Ich kann sie aber auch nicht ganz vernachlässigen, denn einerseits sind sie unerläßlich, um die richtige Vorstel- lung vom Wert und Wesen der Psychoanalyse zu geben, anderseits habe ich mich ja der Aufgabe unterzogen, mein eigenes Lebenswerk darzustellen. Von den meisten dieser Anwendungen gehen die Anfänge auf meine Arbeiten zurück. Hier und da habe ich wohl auch einen Schritt vom Wege getan, um ein solches außerärztliches Inter- esse zu befriedigen. Andere, nicht nur Ärzte, sondern auch Fachmänner, sind dann meiner Wegspur nachge- folgt und weit in die betreffenden Gebiete eingedrungen. Da ich mich aber meinem Programm gemäß auf den Bericht über meine eigenen Beiträge zur Anwendung der Psychoanalyse beschränken werde, kann ich dem Leser nur ein ganz unzureichendes Bild von deren Aus- dehnung und Bedeutung ermöglichen.

Eine Reihe von Anregungen ging für mich vom Ödipuskomplex aus, dessen Ubiquität ich allmäh-


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lieh erkannte. War schon immer die Wahl, ja die Schöp- fung des grauenhaften Stoffes rätselhaft gewesen, die er- schütternde Wirkung seiner poetischen Darstellung und das Wesen der Schicksalstragödie überhaupt, so erklärte sich dies alles durch die Einsicht, daß hier eine Gesetz- mäßigkeit des seelischen Geschehens in ihrer vollen affektiven Bedeutung erfaßt worden war. Verhängnis und Orakel waren nur die Materialisationen der inneren Notwendigkeit; daß der Held ohne sein Wissen und gegen seine Absicht sündigte, verstand sich als der richtige Ausdruck der unbewußten Natur seiner verbreche- rischen Strebungen. Vom Verständnis dieser Schicksals- tragödie war dann nur ein Schritt bis zur Aufstellung der Charaktertragödie des H a m 1 e t, die man seit drei- hundert Jahren bewunderte, ohne ihren Sinn angeben und die Motive des Dichters erraten zu können. Es war doch merkwürdig, daß dieser vom Dichter erschaffene Neurotiker am Ödipuskomplex scheitert wie seine zahl- reichen Gefährten in der realen Welt, denn Hamlet ist vor die Aufgabe gestellt, an einem anderen die beiden Taten zu rächen, die den Inhalt des Ödipusstrebens bilden, wobei ihm sein eigenes dunkles Schuldgefühl lähmend in den Arm fallen darf. Der Hamlet ist von Shakespeare sehr bald nach dem Tode seines Vaters geschrieben worden 7 . Meine Andeutungen zur

7 ) (1935) Dies ist eine Konstruktion, die ich ausdrücklich zu- rücknehmen möchte. Ich glaube nicht mehr, daß der Schauspieler





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Analyse dieses Trauerspieles haben später durch E r n e s t Jones eine gründliche Ausarbeitung erfahren. Dasselbe Beispiel nahm dann Otto Rank zum Ausgangspunkt seiner Untersuchungen über die Stoffwahl der dramati- schen Dichter. In seinem großen Buche über das „Inzest- Motiv" konnte er zeigen, wie häufig die Dichter gerade die Motive der Ödipussituation zur Darstellung wählen, und die Wandlungen s Abänderungen und Milderungen des Stoffes durch die Weltliteratur verfolgen.

Es lag nahe, von da aus die Analyse des dichterischen und künstlerischen Schaffens überhaupt in Angriff zu nehmen. Man erkannte, daß das Reich der Phantasie eine ,, Schonung" war, die beim schmerzlich empfundenen Über- gang vom Lust- zum Realitätsprinzip eingerichtet wurde, um einen Ersatz für Triebbefriedigung zu gestatten, auf die man im wirklichen Leben hatte verzichten müssen. Der Künstler hatte sich wie der Neurotiker von der unbefrie- digenden Wirklichkeit in diese Phantasiewelt zurückge- zogen, aber anders als der Neurotiker verstand er den Rückweg aus ihr zu finden und in der Wirklichkeit wieder festen Fuß zu fassen. Seine Schöpfungen, die Kunstwerke, waren Phantasiebefriedigungen unbewußter Wünsche,


William Shakespeare aus Stratford der Verfasser der Werke ist, die ihm so lange zugeschrieben wurden. Seit der Veröffent- lichung des Buches , .Shakespeare Identified" von I. Th. Looney bin ich nahezu überzeugt davon, daß sich hinter diesem Decknamen tatsächlich Edward de Vere, Earl of Oxford, verbirgt.




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ganz wie die Träume, mit denen sie auch den Charakter des Kompromisses gemein hatten, denn auch sie mußten den offenen Konflikt mit den Mächten der Verdrängung vermeiden. Aber zum Unterschied von den asozialen, narzißtischen Traumproduktionen waren sie auf die An- teilnahme anderer Menschen berechnet, konnten bei diesen die nämlichen unbewußten Wunschregungen beleben und befriedigen. Überdies bedienten sie sich der Wahr- nehmungslust der Formschönheit als „Verlockungs- prämie' '. Was die Psychoanalyse leisten konnte, war, aus der Aufeinanderbeziehung der Lebenseindrücke, zufälligen Schicksale, und der Werke des Künstlers seine Konstitu- tion und die in ihr wirksamen Triebregungen, also das allgemeine Menschliche an ihm, zu konstruieren. In solcher Absicht habe ich z. B. Leonardo da Vinci zum Gegenstand einer Studie genommen, die auf einer einzigen, von ihm mitgeteilten Kindheitserinnerung ruht und im wesentlichen auf die Erklärung seines Bildes „Die heilige Anna selbdritt" hinzielt. Meine Freunde und Schüler haben dann zahlreiche ähnliche Analysen an Künstlern und ihren Werken unternommen. Es ist nicht eingetroffen, daß der Genuß am Kunstwerk durch das so gewonnene analytische Verständnis geschädigt wird. Dem Laien, der aber hier vielleicht von der Analyse zuviel erwartet, muß eingestanden werden, daß sie auf zwei Probleme kein Licht wirft, die ihn wahrscheinlich am meisten interessieren. Die Analyse kann nichts zur Auf-


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klärung der künstlerischen Begabung sagen, und auch die Aufdeckung der Mittel, mit denen der Künstler arbeitet, der künstlerischen Technik, fällt ihr nicht zu.

An einer kleinen, an sich nicht besonders wertvollen Novelle, der „G r a d i v a" von W. Jensen, konnte ich nachweisen, daß erdichtete Träume dieselben Deutungen zulassen wie reale, daß also in der Produktion des Dich- ters die uns aus der Traumarbeit bekannten Mechanismen des Unbewußten wirksam sind.

Mein Buch über den „W itz und seine Bezie- hung zum Unbewußten" ist direkt ein Seiten- sprung von der „Traumdeutung" her. Der einzige Freund, der damals an meinen Arbeiten Anteil nahm, hatte mir bemerkt, daß meine Traumdeutungen häufig einen „witzi- gen" Eindruck machten. Um diesen Eindruck aufzuklären, nahm ich die Untersuchung der Witze vor und fand, das Wesen des Witzes liege in seinen technischen Mitteln, diese seien aber dieselben wie die Arbeitsweisen der „Traumarbeit", also Verdichtung, Verschiebung, Darstel- lung durch das Gegenteil, durch ein Kleinstes usw. Daran schloß sich die ökonomische Untersuchung, wie der hohe Lustgewinn beim Hörer des Witzes zustande komme. Die Antwort war: durch momentane Aufhebung von Verdrän- gungsaufwand nach der Verlockung durch eine darge- botene Lustprämie (V o r 1 u s t) .

Höher schätze ich selbst meine Beiträge zur Religions- psychologie ein, die 1907 mit der Feststellung einer über-


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raschenden Ähnlichkeit zwischen Zwangshandlungen und Religionsübungen (Ritus) begannen. Ohne noch die tieferen Zusammenhänge zu kennen, bezeichnete ich die Zwangsneurose als eine verzerrte Privatreligion, die Reli- gion sozusagen als eine universelle Zwangsneurose, Später, 1912, wurde der nachdrückliche Hinweis von Jung auf die weitgehenden Analogien zwischen den geistigen Pro- duktionen der Neurotiker und der Primitiven mir zum Anlaß, meine Aufmerksamkeit diesem Thema zuzuwen- den. In den vier Aufsätzen, welche zu einem Buch mit dem Titel „Totem und Tabu" zusammengefaßt wurden, führte ich aus, daß bei den Primitiven die Inzest- scheu noch stärker ausgeprägt ist als bei den Kultivierten und ganz besondere Abwehrmaßregeln hervorgerufen hat, untersuchte die Beziehungen der Tabu verböte, in welcher Form die ersten Moraleinschränkungen auftreten, zur Gefühlsambivalenz und deckte im primitiven Welt- system des A n i m i s m u s das Prinzip der Überschätzung der seelischen Realität, der „Allmacht der Gedanken" auf, welches auch der Magie zugrunde liegt. Überall wurde die Vergleichung mit der Zwangsneurose durchge- führt und gezeigt, wie viel von den Voraussetzungen des primitiven Geisteslebens bei dieser merkwürdigen Affek- tion noch in Kraft ist. Vor allem zog mich aber der Totemismus an, dies erste Organisationssystem primi- tiver Stämme, in dem die Anfänge sozialer Ordnung mit einer rudimentären Religion und der unerbittlichen Herr-


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schaft einiger weniger Tabuverbote vereinigt sind. Das „verehrte" Wesen ist hier ursprünglich immer ein Tier, von dem der Clan auch abzustammen behauptet. Aus ver- schiedenen Anzeichen wird erschlossen, daß alle, auch die höchststehenden Völker, einst dieses Stadium des Totemismus durchgemacht haben.

Meine literarische Hauptquelle für die Arbeiten auf diesem Gebiete waren die bekannten Werke von J. G. Frazer („Totemism and Exogamy", „The Golden Bough") ein Fundgrube wertvoller Tatsachen und Ge- sichtspunkte. Aber zur Aufklärung der Probleme des Totemismus leistete Frazer wenig; er hatte seine Ansicht über diesen Gegenstand mehrmals grundstürzend verändert, und die anderen Ethnologen und Prähistoriker schienen ebenso unsicher als uneinig in diesen Dingen. Mein Ausgangspunkt war die auffällige Übereinstimmung der beiden Tabusatzungen des Totemismus, den Totem nicht zu töten und kein Weib des gleichen Totemclans geschlechtlich zu gebrauchen, mit den beiden Inhalten des Ödipuskomplexes, den Vater zu beseitigen und die Mutter zum Weibe zu nehmen. Es ergab sich so die Versuchung, das Totemtier dem Vater gleichzustellen, wie es die Primi- tiven ohnedies ausdrücklich taten, indem sie es als den Ahnherrn des Clans verehrten. Von psychoanalytischer Seite kamen mir dann zwei Tatsachen zu Hilfe, eine glückliche Beobachtung Ferenczis am Kinde, welche gestattete, von einer infantilen Wiederkehr


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desTotemismus zu sprechen, und die Analyse der frühen Tierphobien der Kinder, welche so oft zeigte, daß dies Tier ein Vaterersatz war, auf welchen die im Ödipus- komplex begründete Furcht vor dem Vater verschoben wurde. Es fehlte nun nicht mehr viel, um die Vater- tötung als Kern des Totemismus und als Ausgangs- punkt der Religionsbildung zu erkennen.

Dies fehlende Stück kam durch die Kenntnisnahme von W. Robertson Smith's Werk „The Religion of the Semites" hinzu — der geniale Mann, Physiker und Bibelforscher hatte als ein wesentliches Stück der Totem- religion die sog. Totemmahlzeit hingestellt. Ein- mal im Jahre wurde das sonst heilig gehaltene Totemtier feierlich unter Beteiligung aller Stammesgenossen ge- tötet, verzehrt und dann betrauert. An diese Trauer schloß sich ein großes Fest an. Nahm ich die D a r w i n sehe Ver- mutung hinzu, daß die Menschen ursprünglich in Horden lebten, deren jede unter der Herrschaft eines einzigen, starken, gewalttätigen und eifersüchtigen Männchens stand, so gestaltete sich mir aus all diesen Komponenten die Hypothese, oder ich möchte lieber sagen: die Vision, des folgenden Hergangs: Der Vater der Urhorde hatte als unumschränkter Despot alle Frauen für sich in Anspruch genommen, die als Rivalen gefährlichen Söhne getötet oder verjagt. Eines Tages aber taten sich diese Söhne zu- sammen, überwältigten, töteten und verzehrten ihn ge- meinsam, der ihr Feind, aber auch ihr Ideal gewesen war.


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Nach der Tat waren sie außerstande, sein Erbe anzu- treten, da einer dem anderen im Wege stand. Unter dem Einfluß des Mißerfolges und der Reue lernten sie, sich miteinander zu vertragen, banden sich zu einem Brüder- clan durch die Satzungen des Totemismus, welche die Wiederholung einer solchen Tat ausschließen sollten, und verzichteten insgesamt auf den Besitz der Frauen, um welche sie den Vater getötet hatten. Sie waren nun auf fremde Frauen angewiesen; dies der Ursprung der mit dem Totemismus eng verknüpften Exogamie. Die Totem- mahlzeit war die Gedächtnisfeier der ungeheuerlichen Tat, von der das Schuldbewußtsein der Menschheit (die Erb- sünde) herrührte, mit der soziale Organisation, Religion und sittliche Beschränkung gleichzeitig ihren Anfang nahmen.

Ob nun eine solche Möglichkeit als historisch anzuneh- men ist oder nicht, die Religionsbildung war hiemit auf den Boden des Vaterkomplexes gestellt und über der Ambivalenz aufgebaut, welche diesen beherrscht. Nach- dem der Vaterersatz durch das Totemtier verlassen war, wurde der gefürchtete und gehaßte, verehrte und benei- dete Urvater selbst das Vorbild Gottes. Der Sohnestrotz und seine Vatersehnsucht rangen miteinander in immer neuen Kompromißbil düngen, durch welche einerseits die Tat des Vatermordes gesühnt, anderseits deren Gewinn behauptet werden sollte. Ein besonders helles Licht wirft diese Auffassung der Religion auf die psychologische Fun- Freud


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dierung des Christentums, in dem ja die Zeremonie der Totemmahlzeit noch wenig entstellt als Kommunion fortlebt. Ich will ausdrücklich bemerken, daß diese letz- tere Agnoszierung nicht von mir herrührt, sondern sich bereits bei Robertson Smith und Frazer findet T h. R e i k und der Ethnologe G. R 6 h e i m haben in zahlreichen beachtenswerten Arbeiten an die Gedanken- gänge von „Totem und Tabu" angeknüpft, sie fortgeführt, vertieft oder berichtigt. Ich selbst bin später noch einige Male auf sie zurückgekommen, bei Untersuchungen über das „unbewußte Schuldgefühl", dem auch unter den Motiven des neurotischen Leidens eine so große Bedeutung zukommt, und bei Bemühungen, die soziale Psychologie enger an die Psychologie des Individuums zu binden („Das Ich und das Es" — „Massenpsychologie und Ich-Ana- lyse"). Auch zur Erklärung der Hypnotisierbarkeit habe ich die archaische Erbschaft aus der Urhordenzeit der Menschen herangezogen.

Gering ist mein direkter Anteil an anderen Anwendun- gen der Psychoanalyse, die doch des allgemeinsten Inter- esses würdig sind. Von den Phantasien des einzelnen Neurotikers führt ein breiter Weg zu den Phantasie- schöpfungen der Massen und Völker, wie sie in den Mythen, Sagen und Märchen zutage liegen. Die M y t h o- 1 o g i e ist das Arbeitsgebiet von 1 1 o R a n k geworden, die Deutung der Mythen, ihre Zurückführung auf die be- kannten unbewußten Kindheitskomplexe, der Ersatz


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astraler Erklärungen durch menschliche Motivierung war in vielen Fällen der Erfolg seiner analytischen Bemühung. Auch das Thema der Symbolik hat zahlreiche Bear- beiter in meinen Kreisen gefunden. Die Symbolik hat der Psychoanalyse viel Feindschaften eingetragen; manche allzu nüchterne Forscher haben ihr die Anerkennung der Symbolik, wie sie sich aus der Deutung der Träume ergab, niemals verzeihen können. Aber die Analyse ist an der Entdeckung der Symbolik unschuldig, sie war auf anderen Gebieten längst bekannt und spielt dort (Folklore, Sage, Mythus) selbst eine größere Rolle als in der „Sprache des Traumes".

Zur Anwendung der Analyse auf die Pädagogik habe ich persönlich nichts beigetragen; aber es war natürlich, daß die analytischen Ermittelungen über das Sexualleben und die seelische Entwicklung der Kinder die Aufmerk- samkeit der Erzieher auf sich zogen und sie ihre Aufgaben in einem neuen Lichte sehen ließen. Als unermüdlicher Vorkämpfer dieser Richtung in der Pädagogik hat sich der protestantische Pfarrer 0. Pfister in Zürich hervorge- tan, der die Pflege der Analyse auch mit dem Festhalten an einer allerdings sublimierten Religiosität vereinbar fand; neben ihm Frau Dr. Hug-Hellmuth und Dr. S. Bernfeld in Wien sowie viele andere 8 . Aus der

8 ) (1935) Seither hat gerade die Kinderanalyse durch die Arbei- ten von Frau Melanie Klein und meiner Tochter Anna Freud einen mächtigen Aufschwung gewonnen.


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Verwendung der Analyse zur vorbeugenden Erziehung des gesunden und zur Korrektur des noch nicht neuroti- schen, aber in seiner Entwicklung entgleisten Kindes hat sich eine praktisch wichtige Folge ergeben. Es ist nicht mehr möglich, die Ausübung der Psychoanalyse den Ärzten vorzubehalten und die Laien von ihr auszu- schließen. In der Tat ist der Arzt, der nicht eine besondere Ausbildung erfahren hat, trotz seines Diploms ein Laie in der Analyse, und der Nichtarzt kann bei entsprechender Vorbereitung und gelegentlicher Anlehnung an einen Arzt auch die Aufgabe der analytischen Behandlung von Neurosen erfüllen.

Durch eine jener Entwicklungen, gegen deren Erfolg man sich vergebens sträuben würde, ist das Wort Psycho- analyse selbst mehrdeutig geworden. Ursprünglich die Bezeichnung eines bestimmten therapeutischen Verfahrens, ist es jetzt auch der Name einer Wissenschaft geworden, der vom Unbewußt-Seelischen. Diese Wissenschaft kann nur selten für sich allein ein Problem voll erledigen; aber sie scheint berufen, zu den verschiedensten Wissens- gebieten wichtige Beiträge zu liefern. Das Anwendungs- gebiet der Psychoanalyse reicht ebensoweit wie das der Psychologie, zu der sie eine Ergänzung von mächtiger Tragweite hinzufügt.

So kann ich denn, rückschauend auf das Stückwerk meiner Lebensarbeit, sagen, daß ich vielerlei Anfänge ge- macht und manche Anregungen ausgeteilt habe, woraus


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dann in der Zukunft etwas werden soll. Ich kann selbst nicht wissen, ob es viel sein wird oder wenig. Aber ich darf die Hoffnung aussprechen, daß ich für einen wichtigen Fortschritt in unserer Erkenntnis den Weg eröffnet habe.


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Nachschrift 1935

Der Herausgeber dieser Sammlung von „Selbstdar- stellungen" hatte es meines Wissens nicht in Aussicht genommen, daß eine derselben nach Ablauf eines ge- wissen Zeitraums eine Fortsetzung finden sollte. Es ist möglich, daß es hier zum ersten Mal geschieht. Anlaß zu diesem Unternehmen wurde der Wunsch des ameri- kanischen Verlegers, die kleine Schrift seinem Publikum in einer neuen Ausgabe vorzulegen. Sie war zuerst im Jahre 1927 in Amerika (bei Brentano) erschienen unter dem Titel „An Autobiographical Study", aber ungeschickter Weise mit einem anderen Essay verkop- pelt und durch dessen Titel „The Problem of Lay- Analyses" verdeckt. Zwei Themen ziehen sich durch diese Arbeit, das meiner Lebensschicksale und das der Geschichte der Psychoanalyse. Sie treten in die innigste Verbindung zueinander. Die „Selbstdarstellung" zeigt, wie die Psychoanalyse mein Lebensinhalt wird, und folgt dann der berechtigten Annahme, daß nichts, was mir personlich begegnet ist, neben meinen Beziehungen zur Wissenschaft Interesse verdient. Kurz vor der Ab- fassung der Selbstdarstellung hatte es den Anschein gehabt, als würde mein Leben durch die Rezidive einer




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bösartigen Erkrankung zu einem baldigen Abschluß kommen; allein die Kunst des Chirurgen hatte mir 1923 Rettung gebracht und ich blieb lebens- und leistungs- fähig, wenn auch nie mehr beschwerdefrei. In den mehr als zehn Jahren seither habe ich nicht aufgehört, ana- lytisch zu arbeiten und zu publizieren, wie meine mit dem XII. Band abgeschlossenen „Gesammelten Schrif- ten" (beim Internat. Psychoanalyt. Verlag in Wien) er- weisen. Aber ich finde selbst einen bedeutsamen Unter- schied gegen früher. Fäden, die sich in meiner Entwick- lung miteinander verschlungen hatten, begannen sich voneinander zu lösen, später erworbene Interessen sind zurückgetreten und ältere, ursprünglichere, haben sich wieder durchgesetzt. Zwar habe ich in diesem letzten Dezennium noch manch wichtiges Stück analytischer Arbeit unternommen, wie die Revision des Angstpro- blems in der Schrift „Hemmung, Symptom und Angst" 1926, oder es gelang mir 1927 die glatte Aufklärung des sexuellen „Fetischismus"; aber es ist doch richtig zu sagen, daß ich seit der Aufstellung der zwei .Triebarten (Eros und Todestrieb) und der Zerlegung der psychischen Persönlichkeit in Ich, Über-Ich und Es (1923) keine entscheidenden Beiträge mehr zur Psychoanalyse ge- liefert, und was ich später geschrieben habe, hätte schadlos wegbleiben können oder wäre bald von anderer Seite beigebracht worden. Dies hing mit einer Wand- lung bei mir zusammen, mit einem Stück regressiver)


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Entwicklung, wenn man es so nennen will. Nach dem lebenslangen Umweg über die Naturwissenschaften, Me- dizin und Psychotherapie war mein Interesse zu jenen kulturellen Problemen zurückgekehrt, die dereinst den kaum zum Denken erwachten Jüngling gefesselt hatten. Bereits mitten auf der höhe der psychoanalytischen Arbeit, im Jahre 1912, hatte ich in „Totem und Tabu" den Versuch gemacht, die neu gewonnenen analytischen Einsichten zur Erforschung der Ursprünge von Reli- gion und Sittlichkeit auszunützen. Zwei spätere Essays „Die Zukunft einer Illusion" 1927 und „Das Unbehagen in der Kultur" 1930 setzten dann diese Arbeitsrichtung fort. Immer klarer erkannte ich, daß die Geschehnisse der Menschheitsgeschichte, die Wechselwirkungen zwi- schen Menschennatur, Kulturentwicklung und jenen Niederschlägen urzeitlicher Erlebnisse, als deren Ver- tretung sich die Religion vordrängt, nur die Spiegelung der dynamischen Konflikte zwischen Ich, Es und Über- ich sind, welche die Psychoanalyse beim Einzelmenschen studiert, die gleichen Vorgänge, auf einer weiteren Bühne wiederholt. In der „Zukunft einer Illusion" hatte ich die Religion hauptsächlich negativ gewürdigt; ich fand spä- ter die Formel, die ihr bessere Gerechtigkeit erweist: ihre Macht beruhe allerdings auf ihrem Wahrheitsgehalt, aber diese Wahrheit sei keine materielle, sondern eine historische.

Diese von der Psychoanalyse ausgehenden, aber weit


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über sie hinausgreifenden Studien haben vielleicht mehr Anklang beim Publikum gefunden als die Psychoanalyse selbst. Sie mögen ihren Anteil an der Entstehung der kurzlebigen Illusion gehabt haben, daß man zu den Autoren gehört, denen eine große Nation wie die deut- sehe bereit ist, Gehör zu schenken. Es war im Jahre ; 1929, daß Thomas Mann, einer der berufensten Wortführer des deutschen Volkes, mir eine Stellung in der modernen Geistesgeschichte zuwies in ebenso inhaltsvollen wie wohlwollenden Sätzen. Wenig später wurde meine Tochter Anna auf dem Rathaus von Frankfurt a. M. gefeiert, als sie dort in meiner Vertretung erschienen war, um den mir verliehenen Goethepreis für 1930 zu holen. Es war der Höhepunkt meines bürger- lichen Lebens; kurze Zeit nachher hatte sich unser Vater- land verengt und die Nation wollte nichts von uns wissen. Hier darf ich mir gestatten, meine autobiographischen Mitteilungen abzuschließen. Was sonst meine persön- lichen Verhältnisse, meine Kämpfe, Enttäuschungen und Erfolge betrifft, so hat die Öffentlichkeit kein Recht, mehr davon zu erfahren. Ich bin ohnedies in einigen meiner Schriften — Traumdeutung, Alltagsleben — offen- herziger und aufrichtiger gewesen, als Personen zu sein pflegen, die ihr Leben für die Mit- oder Nachwelt beschrei- ben. Man hat mir wenig Dank dafür gewußt; ich kann nach meinen Erfahrungen niemand raten, es mir gleich-

  • zutun.


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Noch einige Worte über die Schicksale der Psycho- analyse in diesem letzten Jahrzehnt! Es ist kein Zweifel mehr, daß sie fortbestehen wird, sie hat ihre Lebens- und Entwicklungsfähigkeit erwiesen als Wissenszweig wie als Therapie. Die Anzahl ihrer Anhänger, die in der „Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung" orga- nisiert sind, hat sich erheblich vermehrt; zu den älteren Ortsgruppen Wien, Berlin, Budapest, London, Holland, Schweiz sind neue hinzugekommen in Paris, Calcutta, zwei in Japan, mehrere in den Vereinigten Staaten, zu- letzt je eine in Jerusalem, Südafrika und zwei in Skandi- navien. Diese Ortsgruppen unterhalten aus ihren eige- nen Mittel Lehrinstitute, in denen die Unterweisung in der Psychoanalyse nach einem einheitlichen Lehr- plan geübt wird, und Ambulatorien, in denen erfahrene Analytiker wie Zöglinge den Bedürftigen unentgeltliche Behandlung geben, oder sie sind um die Schöpfung sol- cher Institute bemüht. Die Mitglieder der I. P. V. treffen jedes zweite Jahr in Kongressen zusammen, in denen wissenschaftliche Vorträge gehalten und Fragen der Or- ganisation entschieden werden. Der XIII. dieser Kon- gresse, die ich selbst nicht mehr besuchen kann, fand 1934 in Luzern statt. Die Bestrebungen der Mitglieder gehen von dem allen Gemeinsamen aus nach verschie- denen Richtungen auseinander. Die einen legen den Hauptwert in die Klärung und Vertiefung der psycho- logischen Erkenntnisse, andere bemühen sich um die




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Pflege der Zusammenhänge mit der internen Medizin und der Psychiatrie. In praktischer Hinsicht hat sich ein Teil der Analytiker zum Ziel gesetzt, die Anerkennung der Psychoanalyse durch die Universitäten und ihre Aufnahme in den medizinischen Lehrplan zu erreichen, andere bescheiden sich damit, außerhalb dieser Insti- tutionen zu bleiben, und wollen die pädagogische Be- deutung der Psychoanalyse nicht gegen ihre ärztliche zurücktreten lassen. Von Zeit zu Zeit ereignet es sich immer wieder, daß ein analytischer Mitarbeiter sich bei der Bemühung isoliert, einen einzigen der psychoana- lytischen Funde oder Gesichtspunkte auf Kosten aller anderen zur Geltung zu bringen. Das Ganze macht aber den erfreulichen Eindruck von ernsthafter wissenschaft- licher Arbeit auf hohem Niveau.


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VERZEICHNIS DER BILDBEILAGEN

SIGM. FREUD (1909) TITELBILD

KNABENBILDNIS SIGM. FREUDS

(NACH EINEM ÖLGEMÄLDE) NACH S. 8

EHEPAAR SIGM. FREUD (PHOTOGRAPHIE

AUS DER BRAUTZEIT) NACH S. 16

SIGM. FREUD (NACH EINER RADIERUNG

VON F. SCHMUTZER, 1926) NACH S. 72


SIGM. FREUD (1936) NACH s


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DIE WERKE SIGM. FREUDS

GESAMMELTE SCHRIFTEN

(Zwölf Bände in Lexikonformat) Geh. RM 196.—, in Leinen RM 240—, in Halbleder 305.—, in Leder RM 704.—

BAND I, 490 S.: Stadien über Hysterie (Vorwort — Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene [von Breuer u. Freud] — Kranken- geschichten — Zur Psychotherapie der Hysterie) / Frühe Arbeiten «ur Nenrosenlehre 1892—99 (Charcot — ein Fall von hypnot. Heilung nebst Be- merkungen über die Entstehung hyster. Symptome durch den Gegenwillen — Quelques considerations pour une etude comparative des paralysies motrices organiques et hysteriques — Die Abwehr-Neuropsychosen — Über die Berech- tigung, von der Neurasthenie einen bestimmten Symptomenkomplex als „Angst- neurose" abzutrennen — Obsessions et phobies — Zur Kritik der Angstneurose

Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen — L'heredite et

l'etiologie des nevroses — Zur Ätiologie der Hysterie — Die Sexualität in der Ätiologie der Neurosen — Über Deckorinnerungen)

BAND II, 543 S.: Traumdeutung (Die wissenschaftliche Literatur der Traumprobleme — Die Methode der Traumdeutung, die Analyse eines Traum- musters — Der Traum ist eine Wunscherfüllung — Die Traumentstellung — Das Traummaterial und die Traumquellen — Die Traumarbeit — Zur Psycho- logie der Traumvorgänge — Literaturverzeichnis)

BAND DI, 360 S.: Ergänzungen und Zusatzkapitel zur Traumdeutung / Über den Traum / Beiträge zur Traumlehre (Märchenstoffe in Träumen — Ein Traum als Beweismittel — Traum und Telepathie — Bemerkungen zur Theorie und Praxis der Traumdeutung) / Beiträge zu den Wiener Diskussionen (Onaniediskussion — Selbstmorddiskussion)

BAND IV, 481 S.: Zur Psychopathologie des Alltagslebens (Vergessen von Eigennamen — von fremdsprachigen Worten — von Namen und Wortfolgen

Über Kindheits- und Deckerinnerungen — Das Versprechen — Verlesen

und Verschreiben — Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen — Das Ver- greifen — Symptom- und Zufallshandlungen — Irrtümer — Kombinierte Fehl- leistungen — Determinismus. Zufalls- und Aberglauben. Gesichtspunkte / Das Interesse an der Psychoanalyse / Über Psychoanalyse / Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung

BAND V, 556 S.: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (Die sexuellen Ab- irrungen — Die infantile Sexualität — Die Umgestaltungen der Pubertät) / Arbeiten zum Sexualleben und zur Neuroscnlehre (Meine Ansichten über die Rolle der Sexualität in der Ätiologie der Neurosen — Zur sexuellen Auf- klärung der Kinder — Die „kulturelle" Sexualmoral und die Nervosität — Über infantile Sexualtheorien — Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens — Die infantile Genitalorganisation — Zwei Kinderlügen — Gedankenassoziation eines vierjährigen Kindes — Hysterische Phantasien und ihre Beziehung zur Bisexualitttt — Allgemeines über den hysterischen Anfall — Charakter und Analerotik — Über Triebumsetzungen, insbesondere der Analerotik — Die Dis- position zur Zwangsneurose — Mitteilung eiues der psychoanalytischen Theorie


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INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG IN WIEN


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DIE WERKE SIGM. FREUDS


rC l7 " ^5 W ' rd « eschIft K en - Das ökonomische Problem tX»™^ ? 55 « ~ Über emige »ttrotlBrhe Mechanismen bei Eifersucht Paranoia und Homosexualität - über neurotische Erkrankung™™ _ F«r' muherungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens - ££5

StÄÄ"" Der 1 Unter « an « ^ Ödipuskomplexes) / SpsvchoS (Einige Bemerkungen über den Begriff des Unbewußten In Lr iwk , K

- übtrPs^hS»™' Z ° r T * chnik ( Di ? Freudsehe psychoanalytische Methoda

Znr Ff^ nCe t d *ft »«?«**"! wal »rend der psychoanalytischen ArbeH^! Zur Einleitung der Behandlung _ Erinnern, Wiederholen und Durcharbeite

Th^-f Un r tt v ber die , ü |* rtr ag™geliebe - Wege der psycho^aWtSen Therapie - Zur Vorgeschichte der analytischen Technik) I Znr P;«f«lf des Narzißmus / Jenseits des Lustprinzip/, SZSSSSSJL und fÄ (Einleitung - Lc , Bon 's Schilderung der Massenseelo - Andere WttrSSS des kollektiven .Seelenlebens - Suggestion und Libido -Zwei ÄS Massen: Kirche und Heer - Weitere Aufgaben und Arbeits* ig« 11 "S Identifizierung - Verliebtheit und Hypnose - Der Herdentrieb ™ D?« u und die Urhorde - Eine Stufe im Ich) / Das Ich und I das S MflLZ.» 1C . Mase ? Unbewußtes - Das Ich und das Es - Das Ich un das über Ich K? 7 T* Triebarten - Die Abhängigkeiten des Ichs) / ^ (STbÄSUÄ bei Neurose und Psychose - Notiz über den „Wunderblock") XleamütSVer,U8t

i k BA w D , X1 £' 422 S - : Scnrif k» aus den Jahren 1928-1933 (DostoiewRVi „nrt

Therapie) _ Register arZ,üfllU8 " D,e Übertragung - Die analytische INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG IN WIEN


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DIE WERKE SIGM. FREUDS


Fall toi» Zwangsneurose — Psychoanalytische Bemerkungen über einen auto- biographisch beschriebenen Fall von Paranoia — Aue der Geschichte einer infantilen Neurose)

BAND IX, 455 8.: Der Witz and seine Beziehung zum Unbewußten / Der Wahn und die Träume in W. Jensens „Gradiva" / Eine KindheitseriBBcrnng des Leonardo da Vinci

BAND X, 448 S.: Totem und Tabu (Die Inzestscheu — Das Tabu und die Ambivalenz der Gefühlsregungen — Animismus, Magie und Allmacht der Gedanken — Die infantile Wiederkehr des Totemisruus) / Arbeiten zur An- wendung der Psychoanalyse (Tatbe6tandsdiagnostik und Psychoanalyse — Zwangshandlungen und Religionsübungen — Über den Gegensinn der Urworto

— Der Dichter und das Phantasieren — Die mythologische Parallele zu einer plastischen Zwangsvorstellung — Das Motiv der Kftstchenwahl — Der Moses des Michelangelo — Einige Charaktertypen aus der psychoanalytischen Arbeit: Die Ausnahmen. Die am Erfolge scheitern. Die Verbrecher aus Schuldbewußt- sein — Zeitgemäßes über Krieg und Tod — Eine Schwierigkeit der Psycho- analyse _ Eine Kindheitserinnerung aus „Dichtung und Wahrheit" — Das Unheimliche — Eine Teufelsneurose im 17. Jahrhundert)

BAND XI, 4?2 S.: Schriften aus den Jahren 1923—1926 (Die Verneinung — Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds — Hem- mung, Symptom und Angst — „Selbstdarstellung" — Kurzer Abriß der Psychoanalyse — „Psychoanalyse" und „Libidolehre" — Die Widerstände gegen die Psychoanalyse) / Geleitworte zu Büchern anderer Autoren / Gedenk- artikel (Ferenczi — An Romain Rolland — Putnam t — Tausk t — A. y. Freund t — Breuer t — Abraham t) / Vermischte Schriften (Zur Psycho- logie des Gymnasiasten — Vergänglichkeit — Popper-Lynkeus und die Theorie des Traumes — To the opening of the Hebrew University — Kurze Mitteilun- gen) / Schriften 1926—1928 (Die Frage der Laienanalyse — Nachwort hiezu — Fetischismus — Der Humor — Nachtrag zur Arbeit über den Moses des Michelangelo — Die Zukunft einer Illusion — Ein religiöses Erlebnis)

BAND XII, 422 S.: Schriften aus den Jahren 1928—1933 (Dostojewski und die Vatertötung — Das Unbehagen in der Kultur — Über libidinöse Typen — Über die weibliche Sexualität — Zur Gewinnung des Feuers) / Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (Revision der Traumlehra

— Traum und Okkultferous — Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit

— Angst und Triebleben — Die Weiblichkeit — Aufklärungen, Anwendungen, Orientierungen — Über eine Weltanschauung / Warum Krieg / Ältere Schriften (Der Familienroman der Neurotiker — Psycho-Analysis) / Geleit- worte zu Büchern (Vorrede zur hebräischen Ausgabe der „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse" — Vorrede zur hebräischen Ausgabe von „Totem und Tabu" — Geleitwort zu „The Psychoanalytic Review", Vol. XVII, 1930 — Vorwort zu „Zehn Jahre Berliner Psychoanalytisches Institut"

— Geleitwort zu „Elementi di Psicoanalisi" von Edoardo Weiss — Geleitwort zu „Allgemeine Neurosenlehre" von Hermann Nunberg — Vorwort zu „Edgar


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DIE WERKE SIGM. FREUDS


Poe, Etüde psychanalytique" par Marie Bonaparte) / Gedcnkartikel (Ernest Jones zun .50. Geburtstag - Sandor Ferenczi t) / Vermischte Schriften ("rief an Maxim Leroy über einen Traum des Cartesiua - Goethe-Preis 1930 — Brief an Dr. Alfons Paquet. Ansprache im Frankfurter Goethe-Haus — Das Fakultätsgutachten im Prozeß Halsmann - Brief an den Bürgermeister der btadt Fnbor-Freiberg - Meine Berührung mit Josef Popper-Lynkeus)

KLEINOKTAV-AUSGABE (Jeder Band — in gleichmäßiger Ausstattung — einzeln erhältlich) Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. 1938. 255 °; In Leinen RM 7.—

Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. 1930. 500 S.

In Leinen RM 9.— Vier psychoanalytische Krankengeschichten. 1932. 464 S. In Leinen RM 9.—

Schriften zur Neurosenlehre und zur psychoanalytischen Technik. 1931 428 J; . In Leinen RM 9.-

Kleine Schriften zur Sexualtheorie und zur Traumlehre. 1931. 381 S

In Leinen RM 9.— Theoretische Schriften. 1931. 406 S. fc, Leinen RM 9 _

Zar Psychopathologie des Alltagslebens, über Vergessen, Versprechen Vergreifen, Aberglauben und Irrtum. 1929. 313 S. In Leinen RM 9.-!

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Selbstdarstellung. 2. durchgesehene und erweiterte Auflage 1936 Mit 5 Bildbeilagen. 112 S. Geh. RM 3.50. in Leinen RM 5—

«r.,7 0teBI , U ? d vT abu - Über einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker. 5. Auflage. 1934. 194 S. In Leinen RM 5.50

Das Unbehagen in der Kultur. 2. durchgesehene Auflage. 1931. 186 S.

Geh. RM 3.40, in Leinen RM 5.— Die Zukunft einer Illusion. 2. Auflage. 1928. 91 S.

Geh. RM 2.30, in Leinen RM 3.60

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? rei Abhan< JI«ngen zur Sexualtheorie. 6. durchgesehene Auflage. 1925.

"" b< In Pappband RM 3.80

P»ycli«aiialyti8che Studien an Werken der Dichtung und Kunst. 1924.

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Eine Teufelsneurose im 17. Jahrhundert. 1921. 43 S. Geh. RM 1.—

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Zeitgemäßes über Krieg und Tod. 1924. 35 S. Geh. RM 1.—





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