Renaissance und Barock  

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"Man hat sich gewöhnt, unter dem Namen Barock jenen Stil zu verstehen, in den die Renaissance sich auflöst oder — wie man sich öfter ausdrückt — in den die Renaissance entartet. Diese Stilwandlung hat in der italienischen Kunst eine wesentlich andere Bedeutung als im Norden. Der interessante Prozess, der in Italien beobachtet werden kann, ist der Übergang vom Strengen zum „Freien und Malerischen", vom Geformten zum Formlosen. Die nordischen Völker haben diese Entwicklung nicht durchgemacht. Die Architektur der Renaissance hat hier niemals jene vollkommen reine und gesetzmässige Durchgestaltung erfahren wie im Süden, sie ist stets mehr oder weniger in der Willkür des Malerischen, ja Dekorativen stecken geblieben. Von einer „Auflösung" des strengen Stiles kann darum nicht die Rede sein."--Renaissance und Barock (1888) by Heinrich Wölfflin

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Renaissance und Barock: eine Untersuchung über Wesen und Entstehung des Barockstils in Italien (1888) by Heinrich Wölfflin.

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RENAISSANCE UND BAROCK



TAF. 1


S. PETER : FASSADE


RENAISSANCE und BAROCK


EINE


UNTERSUCHUNG ÜBER WESEN UND ENTSTEHUNG

DES BAROCKSTILS IN ITALIEN


VON


HEINRICH WÖLFFLIN


DRITTE AUFLAGE


Mit i6 Tafeln und 19 Tbxtabbildungxn



MÜNCHEN. F. BRUCKMANN A.-G. 190a


rh VI, ^2.'


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FINEARTSÜU!:,.,.Y HARVARD UNIVEr ^'TY

MAY 3 1995

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Vorwort zur ersten Auflage

Die Auflösung der Renaissance ist das Thema der folgenden Untersuchung. Sie soll ein Beitrag zur Stilgeschichte sein, nicht zur Künstlergeschichte. Meine Absicht war, die Symptome des Ver- falls zu beobachten und in der „Verwilderung und Willkür' womög- lich das Gesetz zu erkennen, das einen Einblick in das innere Leben der Kunst gewährte. Ich gestehe, dass ich hierin den eigentlichen Endzweck der Kunstgeschichte erblicke.

Der Obergang von der Renaissance zum Barock ist eines der interessantesten Kapitel in der neueren Kunstentwicklung. Und wenn ich hier den Versuch gewagt habe, diesen Obergang psychologisch zu begreifen, so brauche ich gewiss keine Rechtfertigung des Unter- nehmens vorauszuschicken, wohl aber die Bitte um nachsichtige Be- urteilung. Die Arbeit ist ein Versuch nach jeder Richtung. Möge man sie als solchen gelten lassen.

Den Plan, eine parallele Darstellung des antiken Barocks mit- zugeben , habe ich in letzter Stunde fallen lassen. Das Büchlein wäre dadurch zu sehr belastet worden. Ich hoffe, bald an anderm Orte die merkwürdige Vergleichung ausführen zu können.

München, im Frühling 1888.

DR. HEINRICH WÖLFFLIN


Vorwort zur zweiten Auflage

Es sind beinahe zwanzig Jahre her, dass diese kleine Schrift, bedingt durch die Eindrücke eines ersten römischen Aufenthalts und durch das Studium der architekturgeschichtlichen Arbeiten Jakob


Burckhardts , entworfen worden ist. Sie liat die Mängel und die Vor- teile einer Erstlingsschrift. Ob das Wohlwollen, das ihr von vielen Leuten entgegengebracht worden ist, mehr ihren guten oder ihren schlechten Seiten zu danken sei, weiss ich nicht. Jedenfalls hätte eine zweite Auflage, wenn ich dem Zuspruch des Verlegers hätte folgen wollen, schon längst veranstaltet werden können. Allein wer mag nach soviel Jahren noch einmal die bessernde Hand an eine Arbeit legen, die einst rasch und unbedenklich hingeschrieben worden ist? Und so wäre es auch das gewisse Schicksal dieses Büchleins gewesen , in antiquarischen Katalogen noch eine Weile ein flackerndes Leben zu fahren und dann endgültig zu verschwinden, wenn sich nicht Herr Dr. Willich in München bereit gefunden hätte, eine Neuausgabe zu besorgen. Ich habe ihm, der von Hause aus Architekt und als Biograph Vignolas ein trefflicher Kenner der Epoche ist, vollständig freie Hand gelassen, zu ändern und zuzusetzen, was und wie es ihm dienlich schiene, doch war es andrerseits sein Wille, nicht mit durch- greifenden Änderungen der Schrift ein anderes Gesicht zu geben als wie es nun einmal ist. Die peinliche Aufgabe ist mit so viel Geschick und selbstloser Hingabe gelöst worden, dass ich Herrn Willich zu herzlichem Danke mich verpflichtet fühle.

Berlin, im Herbst 1906.

HEINRICH WÖLFFLIN


Vorwort zur dritten Auflage

Bei der unerwartet rasch verlangten dritten Auflage hat es sich nur um einen Neudruck des vorhandenen Textes handeln können. Vorlesungen, die den gleichen Stoff behandeln, sind eben aus dem Nachlass von Alois Riegl herausgegeben worden (Die Entstehung der Barockkunst in Rom. Wien 1908), ohne dass es möglich ge- wesen wäre, sie hier noch zu berücksichtigen. Ich werde das Buch im laufenden Jahrgang des Repertoriums für Kunstwissenschaft zu würdigen versuchen.

Berlin, Winter 1908.

H. W.


Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Einleitang

Seite

§ I. Bedeutung des italienischen Barockstils i

§ 3. Bedeutung des römischen Barockstils i

§ 3. Zeitliche Bestimmung 3

§ 4. Die Meister 3

§ 5. Zeitgenössische Auffassung des Stilwandels. Der Name Barock . . 10

§ 6. Verhältnis zur Antike. SelbstgefQhl 11

§ 7. Literatur 13


Erster Abschnitt Das Wesen der Stilwandlung Kap. I. Der malerische Stil

§ I. Begriff des malerischen Stils im allgemeinen 15 "^

§ 2. Der malerische Stil in der Malerei 16

§ 3. a) Linien und Massen (Licht und Schatten); Fläche und Raum ... 16

8 4. b) Der freie Stil 18

8 5. c) Das Unabsehbare und UncrgrOndlichc 19

8 6. Gegensatz von Malerisch und Farbig ao

§ 7. Der malerische Stil in der Plastik ai

§8. Anwendung auf den. Barockstil aa

Kap. a. Der grosse Stil

§ I. Wirkung der Renaissance und des Barock im allgemeinen aa «^

8 a. Der grosse Stil. Steigerung der Grössenverhältnisse in's Kolossale . 33

8 3* Vereinfachung und Vereinheitlichung der Komposition 35

Kap. 3. Massigkeit 8 I- Zunahme der Masse und Betonung der Schwere bis zur Formlosigkeit a8

§ 3. Charakter der Masse: welch, saftig. Das Wulstige 30

8 3- Die Masse ist nicht vollkommen durchgeformt und durchgegliedert . 34

a) Stoffgebundene, wenig differenzierte Formen: Pfeiler, Pilaster Lisenen; die „Mauersäule.

b) Vervielfachung der Glieder.

c) Vervielfachung der Anfangs- und Schlussmotive.

d) Rahmen und Eckbildung.

e) Das Ganze kein durchgebildeter Organismus. Geschlossene unentwickelte Massenhaftigkeit.


— vm —

Kap. 4. Bewegung ^^^

§ I. VerhAitnis von Kraft und Masse 41

§ a. Der Hochdrang 41

a) Ungleiche Verteilung der Plastik.

b) AufKVsung der Horizontale (Brechung der Formen).

c) Verschndlerung der Linienbewegung.

§ 3. Der Hochdrang als Motiv der vertikalen Komposition (Zunehmende

Beruhigung nach oben) 4a

§ 4. Die Bewegung in der horizontalen Komposition 43

a) Rhythmus statt Metrum.

b) Steigerung der Plastik nach der Bilitte.

c) Schwingung der Mauer.

§ 5. Das Motiv der Spannung: die unbefriedigten Proportionen und Formen 45

§ 6. Das Motiv der Deckung und UnQbersehbarkeit 46

§ 7. Das Unbegrenzte: Komposition der Innenräume nach Beleuchtungs- effekten 47

§ 8. Schluss. Das System der Proportionalität in der Renaissance und

im Barock 48


Zweiter Abschnitt Die GrOnde der StUwandlnng

§ I. Die mechanische und die psychologische Theorie 5a

§ a. Prüfung der erstenen 53

§ 3. Prüfung der zweiten 55

§ 4. Das KOrperideal der Barockkunst 58

§ 5. Die Anfänge bei Michelangelo 60

§ 6. Seine Stimmung 61

§ 7. Der Ernst der Nachrenaissance 61

§ a Die Poesie 6a

§ 9. Das Unbestimmt-Malerische. Das Erhabene 63

§ IG. Renaissance und Antike im Gegensatz zum Barock 65


Dritter Absclinitt« Die Entwicklung der Typen Kap. I. Der Kirchenbau

§ I. Zentralbau und Langbau &j

§ a. System der Fassadenbildung 70

§ 3. Historische Entwicklung des Fassadenbaues 75

§ 4. System des Innenraumes 83

a) Langhaus mit Kapellen 84

b) Tonnengewölbe 85

c) Wandbehandlung 86

d) Kuppelbildung. Lichtwirkung 88


- IX -

Kap. a. Der Palastbau 3^1^ § I. Allgemeines. Gegensatz von Fassade und Innerem. Der Privatpalast

und der öffentliche Palast 92

§ a. Mauer und Gliederung. Verhältnis von Mauer und Öffnung .... 93

§ 3. Die horizontale Komposition 94

§ 4. Die vertikale Komposition 95

a) Die «ultima maniera* Bramante's und ihre Weiterbildung

b) Die Fassaden nach dem Muster von Pal. Farnese

c) Die Fassade mit Mezzanin

§ 5. Giiederungsformen 98

§ 6. Fensterbildung 99

§ 7. Torbildung 100

§ a Hof loi

§ 9. Treppenanlage 103

§ IG. Innenräume 104

Kap. 3. Villen und Gärten

§ I. Stadtvilla und Landvilla 106

§ 2. Architektur der Stadtvilla 106

§ 3. Architektur der LandviUa 109

§ 4. Aufgang, Vor- und RQckplatz iio

§ 5. Komposition des Gartens: das Tektonische und das Atektonische iii

§ 6. Der grosse Stil. Ausscheidung des j^giardino secreto" 114

§ 7. Behandlung der Bäume: Gruppe, Allee, Hain 116

§ 8. Behandlung des Wassers: Brunnen, Kaskade, Bassin (Teich) ... 117

§ 9. Wasserkünste und Vexierwasser 122

§ 10. Auffassung des Gartens im allgemeinen. Seine Öffentlichkeit ... 122


-f-^4-


Verzeichnis der Tafeln und Textabbildungen


Tafeln

Taf. I. S. Poter, Fassade ... Titelb.

j, 2. Pal. Farnese Seite 6

» 3. Pal Farnese, Hof »10

t, 4. Treppe der Laurenziana in Florenz »14

w 5. Pal. Ruspoli y 98

„ 6. Kapitolspalast « 9>

„ 7. S. Peter, Rückseite h 38

« 8. S. Maria della Pace 1» 46

« 9. S- Spirito in Sassia »70

„ IG. S. Catarina dei Funari »74

V II. II Gesü (Vignolas Entwurf) m 79

9 la. S. Susanna «Sa

H 13. S. Maria degli Angeli «86

„ 14. Pal. Sacchetti «93

w 15. Sala Regia im Vatikan » 104

„ 16. Villa Borghese ^ 108

(Die Tafeln 3 und 10 tind dem Werke von Strack, Baudenkmäler Roms, Berlin, 1880 entnommen; die obrifen ülnd iMch Photojprnphien von Alinnri und Anderson und nach eigenen pliotographlschen Auf«  nahmen herpcfltellt.)


Textabbildungen


Fig. t. Pal. deir Aquila 5

a. Balusterformen • ^5

3. Kapital des Konservatorenpalastes 3a

4. Sockelprofile 33

5. Ffeilerschema 35

6. Schema der Mauersäule 36

7. Cancelleria, Oberstes Geschoss des EckflOgels ...... 48

8. 11 Gesü, Grundriss 68

9. Ovale Kircliengrundrisse Vignolas 69

10. S. Maria dei Monti, Fassade .... ... • 7^

11. 11 Gesü (G. della Porta) 79

la. S. Gregorio Magno 8a

13. II Gesü, Längsschnitt 89


Seite

Fig. 14. S. Maria dei Monti, Längsschnitt 91

15. Pal. d'Este . 98

16 Treppenstufe im Pal. Farnese 104

17. Villa Medici 107

18. Villa Aldobrandini, Teatro iia

19. Brunnen vor dem Pantheon 119


Ei nleitung


I. Man hat sich gewöhnt, unter dem Namen Barock jenen Stil zu verstehen, in den die Renaissance sich auflöst oder — wie man sich öfter ausdrückt — in den die Renaissance entartet.

Diese Stilwandlung hat in der italienischen Kunst eine wesent- lich andere Bedeutung als im Norden. Der interessante Prozess, der in Italien beobachtet werden kann, ist der Übergang vom Strengen zum „Freien und Malerischen", vom Geformten zum Formlosen. Die nordischen Völker haben diese Entwicklung nicht durchgemacht. Die Architektur der Renaissance hat hier niemals jene vollkommen reine und gesetzmässige Durchgestaltun g erfahren wie im Süden, sie ist stets mehr oder weniger m der Willkür des Malerischen, ja Dekora- tiven stecken geblieben. Von einer „Auflösung" des strengen Stiles kann darum nicht die Rede sein^).

Eine parallele Erscheinung bietet dagegen die Geschichte der antikenTCunst, wo denn"" auch der Nairie barock sich' allmählich einzu- stellen beginnt"). Die antike Kunst „stirbt" unter ähnlichen Sjrmp- tomen, wie die Kunst der Renaissance.

2. Diese Symptome aufzusuchen, ist unsere Aufgabe.

Sie v erlang t zunächst eine genaue Abgrenzung des Beobachtungs- gebietes. — Einen allgemeinen gleichartigen italienischen Barock gibt es nicht. Unter den landschaftlich verschiedenen Umgestaltungen der Renaissance aber hat einen Anspruch auf typischen Wert (wenn ich mich so ausdrücken darf) allein die römische zu erheben. Aus drei Gründen.


  • ) Vgl. ober das, was im Norden barock heisst, Dohme, Studien zur Archi-

tekturgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts. In LOtzows Zeitschrift ftU* bildende Kunst, 1878.

') Zuletzt u. a. bei L. v. Sybei, Weltgeschichte der Kunst, 1888, der einen Ab- schnitt mit „Römischer Barockstil" überschreibt.

Wii^gfUHt RenaiHUic« nnd Barock. Z


Fürs erste hat Rom die Renaissance in ihrer höchsten Abklä- rung gesehen. Bramante besass hier seinen reinsten Stil. Die Gegen- wart der antiken Denkmäler tat das Übrige, das architektonische Ge- fühl in einer Weise zu schärfen, dass jede Lockerung der Form hier mit ganz anderm Nachdruck empfunden werden musste als sonst wo. Was wir für die italienische Kunst im allgemeinen geltend machten, wird hier im einzelnen entscheidend: die barocke Stilwandlung muss da beobachtet werden, wo man am besten wusste, was strenge Form sei, wo die Auflösung der Form mit höchstem Bewusstsein vollzogen wurde. — Der Kontrast ist nirgends so gross wie in Rom.

Der Barock erscheint aber auch nirgends so frühe wie hier. Dies ist das zweite. Wir haben es nicht zu tun mit einem Stil schlechter Nachahmer, der da sich einstellt, wo das Genie ausge- blieben ist; vielmehr muss man sagen: die grossen Meister der Renaissance haben den Barock selbst eingeleitet. Aus der höchsten Blüte ging er hervor. Rom blieb an der Spitze der Kunstentwicklung.

Endlich ist der römische Barock die vollständigste und durch - greifendst e Umwandlung der Renaissance. Während anderwärts der alte Stil immer noch mehr oder weniger durchblickt und der neue oft nur im schwü lstig en Ausdruck dessen besteht, was man früher einfach gesagt hatte, ist hier jede Spur der frühern Empfindung verschwunden. Was man venezianischen Barock nennt und als den andern Pol dem römischen gegenüberstellt, bietet im Grunde gar nichts Neues. „Die kleinlichsten Gedanken der venezianischen Früh- renaissance spuken hier in barocken Wulst gehüllt fort."^) — Man täte vielleicht nicht unrecht, überhaupt nur von einem römischen Barock zu sprechen.

3. Nach dieser lokalen Eingrenzu ng handelt es sich um eine genauere zeitliche Bestimmung. Vorwärts ist der Barock begrenzt durch die Renaissance, rückwärts durch den neuen Klassizismus, der sich nach der Mitte des 18. Jahrhunderts zu regen beginnt; im ganzen füllt er etwa zweihundert Jahre. Innerhalb dieser Zeit entwickelt sich aber der Stil in einer Weise, die es schwer macht, ihn als einen einheitlichen zu fassen. Anfang und Ende sehen sich wenig gleich. Man hat Mühe, die durchgehenden Züge zu erkennen. Schon ßurck- hardt bemerkt, dass die geschichtliche Darstellung mit Bernini eigent- lich einen neuen Abschnitt müsste anfangen lassen. Es ist das un- gefähr das Jahr 1630. Der Barock in seinem Beginn ist schwer, massig, gebunden, ernst; dann hebt sich der Druck allmählich, der Stil wird leichter, fröhlicher und der Schluss ist die spielende Auf- lösung aller tektonischen Formen, die wir als Rokoko bezeichnen.


  • ) Burckhardt, Cicerone II, i. S. 334. Alle Zitate nach der 9. Aufl. (1904.)


Unsere Absicht geht nicht auf ein Beschreiben dieser ganzen Entwicklung, sondern auf ein Begreifen des Ursprungs: was wird aus der Renaissance? Wir beschäftigen uns daher lediglich mit der ersten Periode (bis 1630). Den Beginn dieser Periode setzte ich un- mittelbar nach der Hochrenaissance. Eine sog. „Spätrenaissance" kann ich für Rom nicht anerkennen, ich kenne nur verspätete Re- naissancisten , denen zu Liebe man aber keinen eignen Stilabschnitt einrichten kann. Die Hochrenaissance verläuft nicht in einer spezifisch unterschiedenen Spätkunst, sondern vom Höhepunkt führt der Weg unmittelbar in den Barock hinein. Wo sich ein Neues zeigt, da ist CS ein Symptom des kommenden Barockstiles. .

Die Rechtfertigung dieses Satzes kann hier nicht gegeben werden: sie bleibt der Formanalyse aufbehalten. Diese muss zeigen, welcher Komplex von S3miptomen den Barock konstituiert, und erst darnach lässt sich entscheiden, wo er beginnt

Als Ausgangspunkt aber «bleibt unverrückbar: jene Gruppe von Werken, die die Bewunderimg der Nachwelt seit langem als die Schöpfungen der goldenen Zeit bezeichnet. Die Höhe ist nur ein ganz schmaler Grat. Nach dem Jahre 1520 ist wohl kein einziges ganz reines Werk mehr entstanden. Schon stellen sich die Vorboten des neuen Stiles ein; hier, dort; sie werden häufiger, sie gewinnen die Übermacht, reissen das Ganze mit sich : der Barock ist geworden. Will man für den fertigen Stil ungefähr das Jahr 1580 annehmen, so ist dagegen nichts einzuwenden.

4. Die Meister. Es ist die Aufgabe der Ktinstlergeschichte, den ganzen Reichtum der schaffenden Kräfte aufzuzählen und den Indivi- dualitäten im einzelnen nachzugehen; die Stilgeschichte beschäftigt sich nur mit den grossen, den eigentlich stilmachenden Genien und darf von allem Persönlichen mit dem Hinweis auf die entsprechende Literatur sich entledigen^).

Die Hauptnamen: Antonio da Sangallo, Michelangelo, Vignola, Giacomo della Porta, Maderna. Vorbereitend die letzten Werke Bramantes, Giuliano da Sangallos, Raffaels, Peruzzis.

Bramante (gest. 1514), in Rom seit Ende 1499, macht hier noch eine bedeutende Entwickelung durch. Es ist das (Verdienst^ H. v. GeymüUers seine „ultima maniera" bestimmt zu


Vasariy Vite etc. 2. Aufl. 1568. Ich zitiere nach der Ausgabe von Mi- lanesi, Sansoni, Florenz 1878—85. — Bagiioni, Le vite de* pittori, scultori, archi- tetti etc. Dal 1572 fino al 1642. Napoli 1733. Zeitgenössischer Bericht. — MiiMa, Memorie degli architetti antichi e modemi. Bassano 1784. -- Ausserdem die neuem Bearbeitungen des Stoffes s. u.


haben ^). Wenn man mit Fug in der Cancelleria, in S. Pietro in Montorio und den vatikanischen Bauten den vollkommenen Ausdruck der abgeklärten Renaissance erblicken darf, so hat man doch kein Recht, darnach Bramantes römischen Stil ausschliesslich zu bestimmen. Seine letzte Manier ist schwer und gross. Denkmale: Sein eigenes Haus, jetzt zerstört, aber erhalten in einer Zeichnung Palladios^), und der (bloss angefangene) Pal. di S. Biagio.

Im Gebiete der kirchlichen Architektur ist S. Peter die grosse Aufgabe, an der sich die Besten der Zeit messen. Bramantes ver- schiedene Entwürfe sind ebenso viele Stiletappen. Unsere Geschichte könnte sich unbedenklich auf dieses Monument allein beschränken, indem jede Phase der Stilentwicklung eines Jahrhunderts hier ihre Spur zurückgelassen^ hat: anzufangen von dem ersten Plan Bramantes bis zur Errichtung des Langhauses durch Maderna.

Giuliano da Sangallo (gest. 1517). In Rom ist er von 1504 bis 1507 und von 1512 bis an sein Lebensende tätig. Für Julius IL und Leo X. arbeitete er in Gemeinschaft mit Bramante, Raffael und Michel- angelo. In Rom, zumal an der Peterskirche, hat sich der Charakter seines Stils völlig geändert. Die Werke aus seiner letzten Lebens- periode, z. B. die 6 Fassadenprojekte für S. Lorenzo in Florenz, die er im Jahre 1516 für Leo X. entwarf, bezeichnen deutlich die Stelle, wo dann sein um 30 Jahre jüngerer Landsmann und Freund Buona- rotti seinen Weg in der Architektur selbständig zu gehen beginnt®).

Raffael (gest. 1520). GeymüUer bestimmt seine architektonische Bedeutung durch die zwei Worte: Fortsetzer von Bramantes letztem Stil, Vermittler zwischen Bramante und Palladio.

Pal. Vidoni-CaiTarelli schliesst sich unmittelbar an Bramantes Haus an. Aus einem neuen Gefühl heraus geschaffen ist der Pal. deW Aquila (zerstört, aber erhalten in Zeichnungen und Stichen)*), der in der Fassadeneinteilung für den Palastbau der Folgezeit be- deutend wird. (Fig. i.)

Langhausentwurf RafTaels für S. Peter, Pal. Pandoliini in Florenz.

Peruzzi (gest. 1535). Sein letzter Ausdruck : Pal. Costa und Pal. Massimi alle Colonne. Das neue Formgefühl kündigt sich an.


  • ) //. V. GeymMir, Die urspranglichen Entwürfe für S. Peter in Rom. Paris

und Wien 1875 ff. fol. — Derselbe, Raffaelio Sanzio studiato come architetto con l'aiuto di nuovi documenti. Milano 1884. fol.

') Publiziert von GeymQller, Raffaelio etc.

') R, Redienbacher, Giuliano da Sangallo. Allg. Bauzeitung Jahrg. 44, Wien 1Ö79. S. I— IG.

  • ) Ferrerio, Palazzi di Roma. Eine Zeichnung des Parmegianino, publiziert

bei Geymtiller, Raffaelio etc.


A. da SattgalU) der Jüngere (gest. 1546), ein Hauptträger der Barockentwicklung. Sein Stil massig und ernst, „robusto e severo". Er hat von Raffael gelernt, das Gelernte aber durchaus selbständig



Fig. I. Pal. delP Aquila (nach GeymQller). weiter gebildet. Vielfach ist er Erfinder der neuen Formtypen. Sein Hauptwerk: Pal. Farnese^). (Taf. 2 u. 3). Sein eigenes Haus, jetzt Pal. Sacchetti, (Taf. 14) das Muster der aristokratischen Stadtwohnung


/.




') Bekanntlich war es Michelangelo, dessen Einfluss bei der Vollendung des Gebäudes der massgebende war. Durch ihn wurde die Fassade gründlich. ver- ändert. Seinem weitausladenden Kranzgesimse zu Liebe erhöhte er die Mauern um mehr als zwei Meter, wodurch alles aus der Proportion kam.


6

Michelangelo Buanarotti (gest. 1564), von jeher berühmt als der „Vater' des Barock. Es mag von Bedeutung gewesen sein, dass Michelangelo erst als fertiger Mann sich mit dem Bauwesen abgab, bereits im Besitz eines Ruhmes, der ihm die Bewunderung und Nachahmung fQr alles sicherte, was er irgend tun mochte. Er be- handelt die Formen sofort mit souveräner Rücksichtslosigkeit. Sie werden nicht mehr um ihren Sinn befragt, sondern sie dienen einer Komposition, die lediglich auf bedeutende plastische Kontraste, auf das grosse Zusammenwirken von Licht und Schatten ausgeht.

Jede Linie von ihm ist wichtig.

Die florentinischen Bauten: S. Lorenzo, Fassadenprojekte von 1516, 1517; Mediceische Grabkapelle, Beginn der Arbeiten 1520; Bibliothek von S. Lorenzo (Laurenziana, Beginn circa 1523; die Treppe später^).

Die römischen Bauten: Die Umgestaltung des Kapitols; der ,/. . Entwurf datiert aus den ersten Jahren Pauls IIL Inschriftlich be- zeugt ist das Jahr 1538 für die Aufstellung der Statue des Marc AureL Das ovale Postament nimmt vielleicht schon Rücksicht auf einen , I . oval gedachten Platz. Am Senatorenpalast stammt die doppelte Treppe sicher wenigstens aus der Zeit vor 1555*). Das Gebäude im übrigen wurde erst von Giac. della Porta und Rainaldi vollendet. Der Konscr- / , ^ vatorenpalast war zur Zeit, als Vasari seine zweite Auflage (1568) schrieb, noch* nicht ganz vollendet, aber doch wohl im wesentlichen. Der gegenüberliegende gleiche Palast ist dagegen spätem Datums, doch wurde die ganze Platzanlage genau so, wie sie Michelangelo geplant hatte, ausgeführt. Die „Cordonata", die langsam aufsteigende Haupt- treppe, erwähnt Vasari als noch nicht vorhanden').

Die Geschicke der Peterskirche wurden in Michelangelos Hand gelegt am i. Januar 1547. Er behielt die Führung des Baues bis zu seinem Tode. Seine Redaktion des Grundrisses, die Gestaltung der Aussenarchitektur an den hinteren Partien der Kirche und endlich der Modellentwurf zur Kuppel (1558) sind lauter Schritte von ent- scheidender Bedeutung für die neue Kunst.


  • ) Hauptdaten: 1553, Michelangelo beschreibt die Treppe brieflich dem Vasari.

i559i er schickt ein Modell dazu an Ammanati.

') Auf dem Plan von Rom aus diesem Jahre ist sie schon angegeben. Einen ungefähr gleichzeitigen Stich findet man nachgebildet bei LitarouiUy, fidifices de Rome. Texte S. 721. Besser bei Munt», Antiquitds de Rome. 1886. S. 152. — Übrigens entspricht die jetzige Gestalt nicht der Absicht Michelangelos. Die zwei liegenden FlussgOtter sind richtig; aber für die Mitte hatte er eine Nische mit einer stehenden kolossalen Jupiterstatue geplant. Durch den Brunnen ist die Nische jetzt dermassen verkürzt, dass nur eine kleine, hässlich wirkende Roma hat Platz finden können. Der Brunnen erscheint auf Abbildungen vor dem Jahre 1600.

') VII. aaa: Una salita, quäl sarä plana.



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Aus den letzten Lebensjahren: Umbau des Hauptraumes der "^•'^ Diokletiansthermen zur Kirche S. M. degli Angeli und Porta Pia )^'

(1561).

Die ganze folgende Entwicklung ist abhängig von Michelangelo. Es kann sich Keiner, der in seine Nähe kommt, dem Zauber ent- ziehen: keiner wagt aber, ihn direkt nachzuahmen. — Die leitenden Geister (bis Bernini) sind Vignola, Giacomo della Porta, Maderna,

Giacomo Barozzi da Vignola (1507— 1573, aus dem Modenesischen stammend, aber in Bologna aufgewachsen. Die erste künstlerische Bildung dort wohl unter Serlios Einfluss)*). Vignola gilt in der allge- meinen Vorstellung als der vollendete RegelmenschT "Weil er ein berühmtes Lehrbuch der fünf Ordnungen schrieb, steht der Begriff des Theoretikers, des Vertreters akademischer Gesetzlichkeit im Vorder- grunde. Mit Unrecht, Man Dr^ucht nur das Titelblatt seiner „Regola" anzusehen, um sich zu überzeugen, dass die Kunst Vignolas sehr grosse Freiheiten sich nimmt und gestattet. In dem Hofe des Pal. di Firenze zu Rom wetteifert er geradezu mit Michelangelos willkür- licher Formbehandlung*) (Motive der Laurenziana). Seine Bedeu- tung fängt an, als er unter Julius III. päpstlicher Architekt wurde (1550)"). Damals war er 43 Jahre alt. Ein erster Aufenthalt als junger Mann hatte ihm die klassische Schulung gegeben; jetzt tritt er in den Geisteskreis Michelangelos ein. Das kleine Oratorium S. Andrea vor der Porta del Popolo noch zurückhaltend und streng; die Vigna dol Papa Giulio, ein unsicher tastender Bau, scheint in der Grundrissdisposition und manchen Einzejheitcn nicht auf ihn zurück zu gehen*) (Teilnahme Michelangelos '^(?), Ammanatis und Vasaris und des Bauherrn Julius' III.). Michelangelo muss viel von ihm gehalten haben, obgleich sich Barozzi seinem Einfluss gegenüber immer grosse Selbständigkeit wahrte, und das Verhältnis der beiden zu einander, entsprechend ihrer ganz verschiedenen Natur, nie ein näheres war. Er war im Dienste des Farnesischen Fürstengeschlechtes gleichzeitig mit jenem am Pal. Farnese beschäftigt, wo er die „Galleria" und viele Details, Türen und Kamine ausführte; als Architekt Julius' III. baute er selbständig die seitlichen Hallen auf dem Kapitol oben an den Treppen gegen Araceli und Monte Caprino*); nach dem Tode Buonarottis bekam er die Leitung von S. Peter und führte in dieser Stellung die Nebenkuppeln aus, die in charakteristischer Weise über

') H, Waiich, Barozzi da Vignola. Strassburg 1906. •) Letarouilly, T. 318.

') Vas. VII. 106. Er scheint bereits 1547 Bologna verlassen zu haben, um in den Dienst der Farnese zu treten.

  • ) Vas. VII. 694.
  • ) Sie sind schon 1555 auf Abbildungen vorhanden.


Michelangelos Entwurf hinausgehen. — Sein Hauptruhm aber ist das Schloss von Caprarola, ein fünfec kiger Riesenbau der Famese, in den Formen des Übergangs (1559 aufalterem Festungswerk begonnen) und die Kirche des Gesü (begonnen 1568), die für die ganze barocke Kirchenbaukunst vorbildlich wurde *). Der Tod hinderte Vignola, das Werk ganz zu vollenden. Der Fassadenentwurf ist aber erhalten im Stich*). Seine letzte Kirche war S. Anna dei Palafrenieri (1572) mit eiförmigem Grundriss.

Sein Nachfolger an der Jesuitenkirche und im gesamten römischen Bauwesen war Giacomo della Porta (gest 1603). Er ist nicht der Bruder des Bildhauers Guilelmo della Porta, wie meistenteils ange- nommen wird, überhaupt wohl kein Lombarde, sondern — nach dem Ausdruck Baglionis*) — di patria e di virtü Romano*).

Das überlieferte Geburtsjahr 1541 scheint fast unglaublich an- gesichts der Tatsache, dass er die Fassade von S. Catarina de' Funari schon 1563 (laut Inschrift) vollendet hatte *^). — Giacomo ist auf allen Gebieten mächtig gewesen. Die Gunst der Bauherren kam ihm ent- gegen. Durch ihn zuerst bekam die Kirchenfassade (Gesü, S. Maria de' Monti), die Palastfassade (Pal. Serlupi), die Villa (Aldobrandini in Frascati) den entschieden barocken Stempel. Seine höchste Leistung wäre die grosse Peterskuppel, wenn wirklich nicht nur die bauliche Ausführung, sondern auch die Zeichnung auf ihn zurückgeführt werden könnte (s. den betreffenden Abschnitt im dritten Teil).

Was Porta begonnen, vollendete, Obertrieb und — zerstörte, wenn man so sagen will, Carlo Madema (1556— 1639, gebürtig vom Comersee, kommt schon als Knabe nach Rom). Maderna bezeichnet in seinen späteren Werken bereits die Auflösung des Ernstes, der dem Barock bis dahin eigen war. Die tüchtige Gesinnung, die etwas

  • ) S. M. degli Angeli bei Assisi, aus dem Jahre 1569» ist prinzipiell so ver-

schieden vom Gesü, dass man beträchtliche Veränderungen des ursprünglichen Planes durch spätere Baumeister annehmen muss.

') Francisco Villamena, Alcune opere d'architettura di Vignola. Roma 1617, (nach einem Originalstich von Marius Cartarus von 1573, s. Taf. 11).

■) Baglioni, Vite etc. S. 76.

  • ) Den Stammbaum der mailändischen Porta (des Guilelmo etc.) gibt Kinkii,

Mosaik zur Kunstgeschichte S. 46. Unser Giacomo hat darin keinen Platz. — Dass die Spätem (seit Milizia) ihn zum Mailänder machen, mag darauf zurück- gehen, dass es in der Tat auch einen Mailänder Architekten, Giovan Jacomo della Porta gab (Vas. VII. 544). Schon Vasari scheint sich in der Porta'schen Familien- geschichte nicht recht ausgekannt zu haben: er macht diesen zum Onkel, statt zum Vater des Guilelmo. Wir werden ihm später nochmals begegnen.

•) Wahrscheinlich hat er nur das obere Stockwerk selbständig ausgeführt, während der Plan zum unteren mit der Inschrift (1563) von seinem Lehrer Vignola herrührt!


Bedeutendes zum Ausdruck bringen will, verliert sich; es tritt eine Verflachung ein, die im Übermass des dekorativen Reichtums (S^ Höchstes sucht Maderna selbst hat in der vorzügUchen Fassade von S. Susanna gezeigt, was er konnte (sie wurde vollendet 1603). Sein erstes grosses Werk ist auch sein bestes geblieben. Das grössere, die Fassade von S. Peter (vollendet 1612), erfüllt nicht, was man er- wartet: doch darf man nicht vergessen, welch ungeheure Aufgabe es war, diese Fläche zu gli eder n , und wie der Künstler doch nicht frei, sondern an die von Michelangelo bereits gegebenen Motive ge- bunden war. Die Vorhalle ist wieder hoher Bewunderung würdig.

Um und zwischen diese drei grossen Meister gruppieren sich eine Anzahl kleinerer.

Zunächst der tüchtige Bartolommeo Ammanati ^), Zeitgenosse des Vignola, ein Florentiner, der in Rom als Mann erst Architekt wurde und das römische Gefühl sehr rein in sich aufnahm (Pal Gaetani- Ruspoli 1556.), Von seinen florentinischen Bauten ist die herrliche Brücke der Trinitä ohne die römische Schule nicht denkbar, in seinen Palastbauten kommt er dagegen bald in die alten Florentiner Geleise. Das Collegio Romano, ein Werk von sehr zweifelhaftem Effekt, das seine Entstehung einem zweiten römischen Aufenthalt verdankt, zeigt (namentlich in der Fassade), wie sehr ihm der grosse Sinn abhanden gekommen war.

Femer Galeazzo Alessi, Peruginer, in Rom unter Michelangelo gebildet; er hat das, was Rom ihn lehren konnte, ziemlich äusserlich angenommen, aber dann in Oberitalien (Mailand, Genua) geschickt verwertet. Er gcnoss in seiner Zeit das höchste Ansehen, besonders im Ausland (Frankreich, Spanien und Deutschland).

Weiter erscheint Martino Lutighi und sein Sohn Onorio (gest. 1619), Domenico Fontana, der Onkel Mademas (gest. 1607), und sein Bruder Giovanni (gest. 1614), Flaminio Ponzio, Ottaviano Mascherino, Fraficesco da Volterra, Giovanni Fiamingo^ genannt Vasanzio, u. a. m., lauter Nicht- Römer. Die Mehrzahl kommt aus der Lombardei (vor- zugsweise aus der Gegend des Comersees). Mascherino ist Bolognese, Francesco da Volterra nennt seine Heimat im Namen, Vasanzio ist Niederländer (Hans von Xanten). — Die Wenigsten dieser Künstler haben sich in die neue Bewegung recht hineingefunden; bei den meisten merkt man die Befangenheit, mit der sie die neuen Formen aufnehmen, ohne doch das Ganze in einem neuen Geiste schaffen zu können. Jedenfalls waren von Hause aus die Römer mehr disponiert


') Die Schreibweise wechselt von jeher (vgl. Gaye, Carteggio). Es sei hier die in der neueren Litteratur gebräuchlichste verwendet.


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fQr jene Grösse und gewichtige Massigkdt, die dem Barock eigen ist

Auf diesen Momenten beruht die Wirkung eines Giovan BaUista Sana (gest 1651), eines mittehnässigen Künstlers, der aber als ROmer noch spät in seinen Bauten die ganze ^^gravitas" des früheren Stiles vorzutragen befähigt war.

5. Den Barock begleitet keine Theorie wie die Renaissance. Der Stil entwickelt sich ohne Vorbilder. Man scheint nicht die Em- pfindung gehabt zu haben, prinzipiell neue Bahnen einzuschlagen. Es entsteht darum auch kein neuer Stilname: Stilo modemo um- schliesst gleichmässig alles, was nicht antik ist oder dem Stilo tedesco (gotico) angehört. Dagegen stellen sich als Merkmale der Schönheit bei den Kunstschriftstellem jetzt einige Begrifle ein, die man froher nicht in diesem Sinne verwendet hatte (capriccioso, bizzarro, strava- gante u. 2l ^ oder einfach nuovo.) Das Neue, vom bisher Gebräuch- lichen Abweichende, ist lobendes Epitheton geworden. Man besass ein sehr feines Aug^e für alle Neuerungen , d. h. alles, was über das aus der Antike Überlieferte bewusst hinausgeht und empfand mit Wohlgefallen das Eigentümliche, was die Regel durchbricht. Der Reiz des Formlosen beginnt zu wirken.

Der heute übliche Ausdruck Barock, den auch die Italiener an- genommen haben ')^ soll französischen Ursprungs sein. Die Etymologie ist unsicher. Einige denken an die logische Figur baroco, die etwas Widersinniges hervorbringt, andere an eine „schiefrunde" Perlen- form, die mit diesem Namen benannt wird. Die grosse Encyclo- pädie (IL Bd. 1758) kennt das Wort noch nicht in dem Sinne, wie wir es ge- brauchen : „Baroque, adjectiv en architecture, est une nuance du bizarre.


  • ) Capriccioso (von capro, der Bock), eigentümlich, geistreich. Häufig bei

Vasari. Ab Ausdruck höchsten Lobes für die Kunst Michelangelos: Introduzione I. 136 (ricoprendo con vaghi e capricciosi omamenti [omamenti bedeutet nicht nur Deko- ration] i difetti della natura). Ibid. VI. 299 (v. di Mosca : non h possibile veder piü belli e capricciosi altari etc.) Ibid. VII. 105 (v. di Vignola : belle e capricciose fantasie) etc. Ein späteres Beispiel : die Sammlung der „omamenti capricciosi*' von Montani und Soria. Roma 1625. Im gleichen Sinne hizzarro (Vas. I. 136 und sonst) und stravagante (Vas. VII. a6o, v. di Michelangelo: stravagante e bellissimo. Urteil Ober die porta Pia.) Übrigens auch von älterer Kunst gesagt (= originell) — Lomazzo, Trattato deir arte (1585) hat denselben Sprachgebrauch.

') Seit wann, bin ich nicht imstande genauer anzugeben. Das Wort Barocco bt im Italienischen schon frOh nachweisbar und hat die Bedeutung eines unreellen Gebahrens beim Handel; als Terminus in der Philosophie bezeichnet es eine bestimmte Art von Syllogismus, die nicht als correkt anzusehen ist. Von den französischen Klassizisten scheint es um die Mitte des 18. Jahrh. in die Kunstsprache Obertragen worden zu sein. Milizia (Dizionario delle belle arti del disegno, Bassano 1797) kennt es bereits in der heutigen Bedeutung.



TAR 3


PAL. FARNESE: HOF


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II en est, si on veut, le raffinement, ou s'il 6tait possible de le dire, Tabus . • . il en est le superlatif. L'id6e du baroque entraine avec soi Celle du ridicule pouss^ ä Texcös. Borromini a donn6 les plus grands modfeles de bizarrerie et Guarini peut passer pour le maitre du baroque*. (Quatremfere de Quincy, Dictionnaire historique de Tarchi- tecture. 1795 — 1825), Die Unterscheidung von baroque und bizarre ist uns nicht geläufig; vielleicht empfinden wir eher den zweiten Ausdruck als den schärferen. Als kunsthistorischer Name hat das Wort den Nebengeschmack des Lächerlichen verloren; der gemeine Sprach- gebrauch dagegen bedient sich desselben noch immer zur Bezeich- nung eines Widersinnigen und Ungeheuerlichen. —

6. Der Antike gegenüber ist ein Erkalten der Begeisterung schon seit dem Tode Raffaels bemerkbar. Nicht dass man mit den antiken Resten sich weniger beschäftigt hätte. Im Gegenteil. Aber es ist nicht mehr das kindliche Staunen, das mit einer fast heiligen Scheu verehrte^), ohne eigentlich nachzuahmen, sondern eine kühlere Betrachtung, die auf Belehrung ausgeht. In Rom entstand eine Vitruvianische Akademie, die nochmals eine gründliche Aufnahme der Ruinen veranstaltete 2); Vignola ist in ihrem Dienste; er gibt als Frucht seiner Studien ein Lehrbuch der fünf antiken Säulenordnungen ^) heraus, das für zwei Jahrhunderte das klassische Muster blieb; aber bezeichnend für den Geist, in dem es gemacht, sind die Worte der Vorrede. Seine Absicht ist, aus der Vergleichung dessen, was gefäUlt, eine Regel zu gewinnen, bei der sich jeder beruhigen könnte*). In allem aber, was über die fünf Säulenordnungen hinausgeht, hält er sich für vollkommen ungebunden. Um den Geist der Antike ist es ihm nicht zu tun.

Offene Klagen über die Geringschätzung der Antike werden laut bei Scamozzi. „Le cose fatte dagli antidii vengono sprezzate e quasi derise." „Sono molti, che non Tistimano molto"*^).

Im Ganzen merkt man, dass die Antike als „Regel" empfunden zu werden beginnt. Die Einen durchbrechen sie mit Absicht, ängst- lichere Gemüter suchen zu vermitteln und zu entschuldigen, was


') Vasari: quelle reliquie di edifizj, che noi come cosa santa onoriamo e come sole bellissime c'ingegniamo d'imitare (V. 448). Obrigens findet man bei Vasari auch anderslautende Urteile (s. u.).

  • ) Burckhardt, Renaissance in Italien, 4. Aufl. S. 43; siehe auch: Bottari,

Raccolta di lettere. Milano 1822. II. i.

') Regola delli cinque ordini d'architettura. fol. Roma (1563).

  • ) Mi % piaciuto di continuo intorno questa prattica degli omamenti vedeme

il parere di quanti scrittori ho possuto, e quell! comparandoli fra lor stessi e con l'opre aiitiche, vedere di trarne una regola u. s. w.

  • ) Idea deir architettura universale, fol. Venezia 1615. I. lib. I. cap. XXII. S. 64.


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immer entschuldigt werden kann. So gibt LamoBzo im Trattato dell' arte eine Zusammenstellung von Falleni wo auch die Alten sich einige Freiheiten erlaubten, um eben damit die Neueren zu rechtfertigen*),

Lomazzo ist ein Mailänder, die Leute in der Nähe Michelangelos sprechen anders. Das Unerhörte, was Michelangelo an der Mediceischen Grabkapelle gewagt hatte, begrOsst Vasari als eine Erlösung. ,Gli artifici gli hanno iniinito e perpetuo Obligo, avendo egli rotto i lacci e le catene delle cose, che per via d'una strada commune eglino di continuo operavano**).

Es ist mehr und mehr nur noch das Grossartige, was man am Altertum bewunderte, die Kolossalität seiner Unternehmungen, nicht der Reiz der Form im einzelnen. Jener Sinn, der in der geringsten Spur des antiken Geistes ein Göttliches verehrte, ist verschwunden. Es mag das zum Teil bedingt gewesen sein durch eine Steigerung des Selbstbewustseins, das man jenem Geschlecht nicht verdenken kann. Es wurzelte sich die Überzeugung fest, man könne mit den Alten sich messen. Michelangelo selbst, dessen Bescheidenheit ge- rühmt wird, urteilte Ober einen seiner Entwürfe zu S. Giovanni de' Fiorentini, weder Römer noch Griechen hätten in ihren Tempeln etwas Ähnliches erreicht'). Das Gleiche spricht Vasari des öftem aus*).

Aus diesem Selbstbewusstsein muss man dann auch die Gleich- gültigkeit zu begreifen suchen, dass z. B. von Sixtus V. die Reste des Septizonium Severi abgetragen werden durften, um Steine zu gewinnen*).

Der Barock besass ein Gefühl von Alleinberechtigung und Un- fehlbarkeit, wie vielleicht kein anderer Stil.


  • ) So ist ihm ein Beispiel eine TQr aus der Gegend von Foligno, wo der

Bogen der Türöffnung in das Giebelfeld hineinreicht Der Giebel ist nach unten offen; es sind lediglich die tragenden Halbsäulen, welche einen Gebälkaufsatz haben. Vgl hiermit die ursprünglich geplanten Fenster Sangallo's für das zweite Geschoss vom Pal. Farnese (bei Letar. a. a. O., texte S. ^89). Bezeichnend ist, was Sirlio, der das kleine Monument auch kennt und abbildet, darüber sagt: »E anoora che paja cosa licentiosa, perch^ l'arco rompe il corso delP architrave e del fregio, nondimeno non mi dispiacque la inventione. La cosa h molto grata alla vista." (Architettura, lib. III. S. 74. Ich zitiere nach der Quart- Ausgabe. Venedig 1566.)

') V. di Michelangelo. VII. 193. Vgl. Omäivi, Vita di Buonarotti. c. 59 (bei C Frey, Vite di M. B., S. 19a): cosa inusitata e nuova, non ubbligata a maniera o legge alcuna antica over modema (von einem Fassadenentwurf für einen Palast Julius' III.) ; mostrando, Parchitettura non esser sUta cosi dalli passati assoluU- mente trattata, che non sia luogo a nuova inventione non men vaga e men bella.

») Vasari VII. 363.

  • ) Bei Gelegenheit des Kranzgesimses von Pal. Farnese (VII, 223); der

Mediceischen Grabkapelle (VII. 193) u. s. f.

  • ) Einige adelige Altertumsfreunde opponierten damals umsonst.


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Es ist interresant genug, das Wesen dieser Kunstempfindung näher zu betrachten.

7. Literatur. Jakob Burckhardt, Cicerone, 1855. 9. Aufl. 1904. — Erste Charakteristik des Stils, massgebend für alle folgenden Versuche.

Derselbe, Architektur der Renaissance in Italien. 4. Aufl. 1904.

A. V. Zahn^ Barock, Rococo und Zopf. (Lützow's Zeitschrift für bildende Kunst. 1873.) — Enthält ftkr den Barock nichts als einen Verweis auf Burckhardt.

R. Dohne, Studien zur Architekturgeschichte des 18. Jahrhunderts (Lützow's Zeitschrift für bildende Kunst 1878). — Wertvoll ist die prinzipielle Scheidung von römischem und venezianischem Stil.

G. Ebe, Spätrenaissance Berlin 1886. 2 Bde. — Ohne selb- ständigen Wert.

C. Gurlitt, Geschichte des Barockstils» des Rococo und des Klassicis- mus. Bd. I. Geschichte des Barockstils in Italien. Stuttgart 1887.

Der Vorwurf, der meiner Meinung nach diesem gross angelegten Buche nicht erspart werden kann, ist der, dass der Leser nirgends einen rechten Begriff bekommt, was denn eigentlich Barock sei. Die Definition (S. 7), Barock sei der Stil, der „von antikisierender Basis ausgehend durch bewusst freie, modern vielgestaltige Behandlung des Baugedankens zu einer gesteigerten, am Schluss bis zur Tollheit übertriebenen Ausdrucksform führte", ist zu vag. Sie veranlasst denn auch ein Schwanken, das durch das ganze Buch durchgeht. Ich nenne ein Beispiel. Maderna ist auch für Gurlitt barock — S. Susanna wird als Muster des Stils vorgeführt — , Giac. della Porta aber, der unmittelbare Vorgänger und Vorbereiter Madernas, soll einer ganz andern Schule angehören, der sogenannten Spätrenaissance, „der Schule der auf Gesundung von innen heraus basierten Gegenrefor- mation und der vorherrschenden, nur unwillkürlich durchbrochenen Regel". (S. 8). Andererseits werden die venezianischen Paläste eines Scamozzi und Longhena, die im wesentlichen so ganz und gar nichts Neues bieten und bis dahin denn auch als Renaissance galten, dem Barockstil zugewiesen.

Die Anfänge des neuen Stils werden in Florenz gesucht, die Bedeutung der römischen Entwicklung tritt nicht hervor und kann es schon darum nicht, weil der Verfasser mit seiner Darstellung erst nach Michelangelo einsetzt.

Dass bei dem grossen, noch so wenig gesichteten Material im einzelnen mancherlei Irrtümer unterliefen, möchte ich neben diesen — wie mir scheint — prinzipiellen Fehlem weniger betonen.


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Ricci, Storia dell* architettura in Italia. HL Roma 1857. — Oft

grillenhaft; den Barock leitet der Verfasser aus dem Orient ab,

von wo er Ober Sizilien und Neapel nach Rom gekommen sei.

Dem Verfasser bei der ersten Autlage unbekannt geblieben ist:

/?. Redtenbacher, Die Architektur der italienischen Renaissance. Frankfurt a. M. 1886. — Enthält viel wertvolles, mit grossem Fleiss und eingehendem Quellenstudium zusammengestelltes Material über die Baugeschichte Italiens. Der hier hauptsächlich in Be- tracht kommende Abschnitt über die Architektur seit Michelan- gelo (§ 97 — 121) ist etwas kurz geraten. Die ausführlichen Register machen das Buch für Studienzwecke und als Nach- schlagewerk sehr brauchbar. Später erschienen:

A. Schmarsmv, Barock und Rokkoko. Eine kritische Auseinandersetzung über das Malerische in der Architektur. Leipzig 1897. — Das Buch behandelt in noch ausführlicherer Weise den gleichen Gegenstand wie das vorliegende. Es kommt aber, von anderen Grundgedanken ausgehend, in seinen Folgerungen häufig zu so prinzipiell anderen Resultaten als die hier erreichten sind (z. B. über den Begriff des Malerischen in der Architektur), dass eine eingehende Wür digung der wichtigen Abhandlung den Rahmen dieses Büchleins weit übersteigen würde und deshalb hier unterbleiben soll.

F. Durm, Die Baukunst der Renaissance in Italien. Handbuch der Architektur. II. Teil. 5. Bd. Stuttgart 1903. — Für die vorliegende Betrachtung ohne besondere Bedeutung, da das Werk alle Fragen der Stilwandlung nur kurz und oberflächlich behandelt und sich mehr auf technische Dinge, Einzelheiten und Beschreibung der Gebäudetypen einlässt. Die Einordnung der Architekten in j^Früh- renaissance* „Hochrenaissance**, „Theoretiker" und „Barockstil" ist sowohl im ganzen als auch in der Gruppierung der ein- zelnen Meister (S. 20) recht anfechtbar und gibt zu Missver- ständnissen über ihre Bedeutung Anlass.

H. V. C^ymüU^r, Michelangelo als Architekt, München 1904 (Sepa- ratabdr. aus „Die Architektur dö- Renaissance in Toscana".) — Kein anikro* war wie der Verfasser berufen zu dem ebenso schwierigen als nachgerade unbedingt notwendigen Werke. Manches Überraschende, wie der Hinweis auf Bramantes Einfluss, vieles Erfreuliche, wie das tapfere Eindringen in die schier un- entwirrbaren Rätsel und Widersprüche, die sich aus den Werken Buonarottis und aus seiner Persönlichkeit selbst o^ben. Etwas pedantisch scheint die Unterscheidung der „drei Manio^n", oft an demselben Bau, sie lässt sich häufig doch nicht klar durch- führen und wäre wohl besser unterblieben.



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Erster Abschnitt

Das Wesen der Stilwandlung


Kap. L

I. Übereinstimmend wird von den Geschichtschreibern der Kunst als wesentlichstes Merkmal der Barockarchitektur der tnalerische Charakter angegeben. Die Baukunst verlässt ihr eigentümliches Wesen und geht Wirkungen nach, die einer andern Kunst entlehnt sind: sie wird malerisch.

Der Begriff des ^^Malerischen" gehört zu den wichtigsten, aber zugleich zu den vieldeutigsten und unklarsten, mit denen die Kunst- geschichte arbeitet. Wie es eine malerische Architektur gibt, so gibt es eine malerische Plastik; die Malerei unterscheidet in ihrer Geschichte selbst eine malerische Periode; man spricht von malerischen Lichtcficktcn, von malerischer Unordnung, von malerischem Reich- tum u. s. w. Wer etwas Bestimmtes mit dem Begriff ausdrücken möchte, wird sich über seinen Inhalt zuerst Rechenschaft geben müssen.

Was bedeutet malerisch? Einfach ist es zunächst zu sagen: malerisch sei das, was ein Bild abgebe, was ohne weitere Zutat ein Vorwurf für den Maler sei.

Ein strenger antiker Tempel, der nicht in Ruinen liegt, ist kein malerischer Gegenstand. Der architektonische Eindruck mag in Wirk- lichkeit noch so gross sein, im Bilde wirkt das Gebäude einförmig; der moderne Künstler müsste sich die äusserste Mühe geben, durch Beleuchtungseflfekte, Luftstimmung, landschaftliche Umgebung das Objekt als Gemälde interessant zu machen, wobei dann das eigent- lich Architektonische vollständig zurücktritt. Einer reichen Barock- architektur lässt sich dagegen leichter eine malerische Wirkung ab- gewinnen: sie hat mehr Bewegung, die freieren Linien, das belebte Spiel von Licht und Schatten, das sie bietet, befriedigen umsomehr den malerischen Geschmack, je mehr sie gegen die höheren Gesetze der Baukunst Verstössen. Das strenge architektonische Gefühl wird


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verletzt, sobald die Schönheit nicht mehr in der festen Form, in dem ruhigen Gefüge des Körpers gefunden, sondern ein Reiz in der Be- wegung der Massen gesucht wird, wo die Formen unruhig-springend oder leidenschaftlich auf- und abwogend jeden Augenblick sich zu verändern scheinen.

Pointiert könnte man sagen: Die strenge Architektur wirkt durch das, was sie ist, durch ihre körperliche Wirklichkeit, die malerische Architektur dagegen durch das, was sie scheint, durch den Eindruck der Bewegfung.

Dabei sei aber von vornherein bemerkt, dass von einem aus- schliessenden Gegensatz niemals die Rede sein kann.

2. Das Malerische gründet sich auf den Eindruck der Bewegung. — Man kann fragen, warum das Bewegte gerade malerisch sei, warum gerade die Malerei allein zum Ausdrucke des Bewegten bestimmt sein solle. Die Antwort ist offenbar dem eigentümlichen Kunstwesen der Malerei zu entnehmen.

Fürs Erste ist sie von Hause aus bestimmt, durch den Schein zu wirken; sie besitzt keine körperliche Wahrheit. Dann aber stehen ihr Mittel zur Verfügung, den Eindruck der Bewegung wiederzugeben, wie keiner anderen Kunst. Sie war nicht immer im Besitze dieser Mittel. Ich bemerkte bereits, dass die Malerei in ihrer Geschichte selbst eine malerische Periode unterscheidet; erst allmählich bildete sie den malerischen Stil aus, indem sie sich einer vorwiegend zeich- nerischen Manier zu entwinden hatte. Der Übergang vollzieht sich in der italienischen Kunst auf der Höhe der Renaissance. An ver- schiedenen Orten. Als berühmtestes Beispiel nennt man den Über- gang bei RaiTael: an einer monumentalen Aufgabe, in den Stanzen des Vatikan, machte er vor den Augen der Welt gleichsam die Ent- wickelung vom alten zum neuen Stile durch. Die Stanza d'Eliodoro gilt als der Ort des entschiedenen Durchbruchs (1512—14)^).

Welches sind nun diese neuen Ausdrucksmittel, die für die Architektur entscheidend werden sollten?

Ich will versuchen, die Hauptzüge des malerischen Stils im Folgenden zusammenzustellen.

3. Den unmittelbarsten Ausdruck der künstlerischen Intention findet man in den Skizzen. Sie geben das, worauf es dem Künstler als wesentliches ankommt: man sieht, wie er denkt. Der Vergleich zweier Skizzen soll auch den Ausgangspunkt für uns bilden, das Verhältnis der beiden Manieren wird sich dadurch am besten klarstellen.


  • ) C. F. v. Rumohr, Italienische Forschungen 1831. III. 85 ff. — A. Springer,

Raffaei und Michelangelo a. Aufl. I. 379 ff: — Wölfllin, Die klassische Kunst» MOnch^ 1899 S. 85 ff*-


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Schon das Material ist nach dem Stile ein verschiedenes. Der zeichnerische Stil bedient sich der Feder oder des harten Stiftes, der malerische gebraucht die Kohle, den weichen Röthel oder gar den breiten Tuschpinsel. Dort ist alles Linie, alles begrenzt und scharf umrissen, der Hauptausdruck liegt im Kontur; hier Massen, breit, verschwimmend, der Kontur nur flüchtig angedeutet, mit unsicheren, wiederholten Strichen oder ganz fehlend.

Nicht nur die Einzelgestalt, sondern die Komposition im ganzen gliedert sich nach Massen von Hell und Dunkel, ganze Gruppen werden durch einen Lichtton zusammengehalten und anderen entgegengesetzt.

Der alte Stil dachte linear, seine Absicht ging auf den schönen Fluss und Zusammenklang von Linien, der malerische Stil denkt nur in Massen: Licht und Schatten sind seine Elemente.

Nun ist in der Natur von Licht und Schatten schon ein sehr starkes Bewegungsmoment gegeben. Während die begrenzende Linie das Auge sicher führte, so dass es, dem einfachen Laufe folgend, ohne Mühe die Figur fassen konnte, wird es hier von der nach allen Seiten sich zerstreuenden Bewegung einer Lichtmasse dahin und dorthin gezogen, immer weiter, nirgends eine Grenze, ein bestimmter Abschluss, nach allen Seiten ein Anschwellen und Abnehmen.

Hierauf beruht vorzüglich der Eindruck steter Veränderung, den dieser Stil zu erwecken weiss.

Der Kontur wird prinzipiell vernichtet, an Stelle der geschlossenen ruhigen Linie tritt eine unbestimmte Sphäre des Aufhörens, die Massen können nicht von harten Linien begrenzt werden, sondern „verlaufen* sich. Während einst die Figuren von hellem Grunde sich scharf abhoben, ist nun die Tiefe zumeist dunkel und mit diesem Dunkel fliessen auch die Gestalten an ihren Rändern zusammen. Nur einzelne beleuchtete Flächen heben sich heraus. Dies führt auf ein Weiteres.

Dem Gegensatz von linear und massig korrespondiert ein anderer: flächenJiaft xmd räumlich (körperlich).

Der malerische Stil, der mit Schattenwirkungen arbeitet, gibt die körperliche Rundung; die einzelnen Teile scheinen im Räume vor- und zurückzutreten ^). Der Ausdruck des »Vor- und Zurücktretens" bezeichnet bereits das Bewegungsmoment, das in aller Körperhaftigkeit gegenüber dem Flächenhaften liegt. Der Stil sucht darum alles Flache umzusetzen in Wölbung, überall Plastik, Licht und Schatten zu gewinnen. Durch die Verschärfung des Kontrastes von Hell und Dunkel kann der Eindruck bis zu dem eines wahren „Herausspringens*" gesteigert werden.


^) Natarlich handelt es sich hier wieder nur um quantitative Unterschiede: der frühere Stil war nicht flächenhan: im Sinne einer rein-linearen Zeichnung.

fVo(ffim, RenaiMance und Barock. 2


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Ein derartiger Fortschritt ist in den vatikanischen Stanzenbildern wohl zu bemerken. Die dramatische Wirkung der Vertreibung He- liodors ist durch die einzeln auf blitzenden Lichter auf dunklem Grunde wesentlich gesteigert^). Zugleich findet eine Vertiefung des Raumes statt. Der umschliessende (Tor-) Rahmen wird auf den spätem Bildern so behandelt, dass man glauben soll, wirklich durch einen Bogen hindurchzusehen. Dann folgt nicht nur ein Plan, eine Reihe von Figuren, vielmehr wird das Auge weit hinein in die Tiefe, ja ins Unergründliche gezogen.

4. Der malerische Stil ist auf den Eindruck der Bewegung angelegt. Die Komposition nach Massen von Licht und Schatten ist das erste Moment dieser Wirkung; ich nenne als zweites die Auflöstttig des Regelmässigetu (Freier Stil, malerische Unordnung.) Alle Regel ist tot, ohne Bewegung, unmalcrisch.

Unmalerisch ist die gerade Linie, die ebene Fläche. Wo sie im Gemälde unvermeidlich sind, wie bei Wiedergabe architektonischer Dinge, werden sie durch Zufälligkeiten unterbrochen, man supponiert einen trümmerhaften, zerbröckelnden Zustand; eine „zufällige* Teppich- falte oder irgend etwas dergleichen muss „belebend" eintreten.

Unmalerisch ist die gleichmässige Reihung, das Metrische, besser das Rhythmische, noch besser die scheinbar ganz zufällige Gruppierung, deren Notwendigkeit nur in der bestimmten Verteilung der Licht- und Schattenmassen liegt.

Um einen weitern Bewegungsreiz zu gewinnen, wird das Ganze oder doch ein bedeutender Teil schief zum Beschauer orientiert Bei einzelnen Figuren hatte man sich diese Freiheit natürlich längst genommen, während für Gruppen und für alles Tektonische die Regel festgehalten wurde. Vgl. den Fortschritt in den vatikanischen Bildern: die schüchtern schief gelegten Bücher auf der Disputa, das Tischchen auf der Schule von Athen, der Reiter im Heliodor u. s. w.*) Schliesslich wird die Axe des ganzen Bildes überhaupt (der architektonischen Räumlichkeit oder der Figurenkomposition) schief auf den Beschauer gerichtet. Bei tiefem Augenpunkt (Ansicht von unten) tritt noch eine Schrägstellung der Tiefenaxe dazu.

Unmalerisch ist endlich die symmetrische Ordnung. Statt der


■) Nie aber gehen die Italiener bis zu jenem Unsicher-flimmernden fort, das die Holländer zu geben lieben. Sie bleiben ihrer plastischen Natur auch hier treu, die Lichteffekte sind gross und einfach, man hält sich im wesentlichen an bewegte Gestalten, nicht an die unbestimmte Bewegung des Luft- und Lichtlebens, worin ein Rembrandt so gross ist.

') Fflr die malerische Darstellung von architektonischen Fassaden ist die schiefe Orientierung fast unentbehrlich, über das Motiv der Deckung, das dabei mit- spielt, vgl. unten.


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Entsprechung von einzelnen Formen gibt der malerische Stil überhaupt nur ein Gleichgewicht von Massen, wobei die beiden Seiten sich sehr unähnlich sehen können. Die Mitte des Bildes bleibt dann unbezeichnet. Der Schwerpunkt ist nach der Seite verschoben und es kommt so eine eigentümliche Spannung in die Komposition.

Die malerisch-freie Komposition verteilt ihre Figuren prinzipiell nicht nach einem architektonischen Schema, sie kennt kein figurales Gesetz, sondern nur ein Spiel von Licht und Schatten, das aller Regel sich entzieht.*)

5. Das dritte Moment im malerischen Stil möchte ich die Un- fassbarkeii nennen. (Das Unbegrenzte.)

Zur „malerischen Unordnung* gehört, dass die einzelnen Gegen- stände sich nicht ganz und völlig klar darstellen, sondern teilweise ver- deckt sind. Das Motiv der Deckung ist eines der wichtigsten für den malerischen Stil. Er hat die Meinung, dass alles, was auf den ersten Blick vollständig gefasst werden kann, im Bilde langweilig wirke; darum bleiben einige Partieen verdeckt, die Gegenstände sind übereinander geschoben, schauen nur teilweise hervor, wodurch dann die Phantasie aufs höchste gereizt wird, das Verborgene sich vorzu- stellen. Man glaubt, es sei der Trieb des Halbversteckten selbst, sich ans Licht herauszuringen. Das Bild wird lebendig, das Verdeckte scheint vorzutreten u. s. w. Auch der strengere Stil konnte eine teilweise Deckung nicht immer vermeiden, sie kommt von jeher vor und zu Anfang des 16. Jahrhunderts besonders häufig; man gab dann aber stets wenigstens alles Wesentliche, so dass die Unruhe gemildert ist ; jetzt dagegen werden Verschiebungen gesucht, die recht eigentlich auf den Eindruck des Vorübergehenden angelegt sind.

Das Motiv, dass der Rahmen die Figuren zum Teil bedeckt, dass halbe Figuren in das Bild hineinschauen, gehört eben hierher. Es erscheint naiv schon sehr frühe, verschwindet dann vor der klassischen Kunst und wird zuletzt mit Bewusstsein wieder aufgenommen.

In seinem höchsten Ausdruck geht der Stil überhaupt auf das Unergründliche. Kann man etwa sagen, die Auflösung der Regel bezeichne den Gegensatz zum Architektonischen, so wäre hier der entscheidende Gegensatz zur Plastik gegeben. Dem plastischen Ge-


') Flächenmuster, die eine so komplizierte Komposition besitzen, dass man die Regel nicht erkennt, können eine vollständig malerische Wirkung besitzen. Man denke an arabische Beispiele, wo in der Tat oft ein unruhiges Flimmern, der Eindruck unaufhörlicher Bewegung resultiert. Je schwieriger die Perzeption des zu Grunde liegenden Gesetzes, desto unruhiger wirkt die Komposition. Interessant ist es, daraufhin die Zeichnung der Fussböden der vatikanischen Stanzenbilder anzusehen : Disputa, ganz still ; Heliodor, unruhig zuckend und so auf neue Weise den Gesamtcharakter des Bildes verstärkend.

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schmack widerstrebt alles Unbestimmte, im Unendlichen sich Verlierende, gerade hierin aber findet der malerische Stil sein eigentliches Wesen.

Nicht einzelne Formen, einzelne Figuren, einzelne Motive, sondern ein Masseneffekt, nicht ein Begrenztes, sondern ein Unendliches! Der alte Stil gab z. B. stets nur eine geschlossene Zahl von Gestalten, leicht Obersichtlich, jede vollkommen fassbar. Jetzt stellen sich wachsende Volksmassen ein (man beachte die Zunahme im Fortgange der Stanzen- bilder), sie verlieren sich im Dunkel des Hintergrundes, das Auge verzichtet darauf, dem Einzelnen nachzugehen und hält sich an den Gesamteifekt; bei der Unmöglichkeit, alles zu fassen, resultiert der Eindruck des Unerschöpflichen, die Phantasie bleibt in beständiger Tätigkeit und eben dies ist es, was der Maler beabsichtigt. Was den Reiz eines malerischen Faltenwurfs, einer malerischen Landschaft, eines malerischen Interieurs ausmacht, ist grösstenteils eben diese Unerschöpflichkeit der Motive, die die Phantasie nicht zur Ruhe kommen lässt, das Grenzenlose, die Unendlichkeit. — Wie unabsehbar und unergründlich ist schon die architektonische Räumlichkeit des Eliodoro gegenüber der Schule von Athen!

In seiner letzten Konsequenz muss der malerische Stil die plastische Form ganz vernichten. Sein eigentliches Ziel ist, das Leben des Lichts in allen seinen Erscheinungen wiederzugeben und hier kann das einfachste Motiv alle Mannigfaltigkeit, allen malerischen Reichtum vollständig ersetzen.

6. Hierbei mag noch eines Irrtums Erwähnung geschehen, dem man häufig begegnet: der Verwechslung von malerisch und farbig.

Der malerische Stil, wie wir ihn eben analysierten, kann auf Farbigkeit vollständig verzichten. Der grösste Meister darin, Rembrandt, benützte mit Vorliebe die Radierung, die nur Hell und Dunkel kennt.

Die Farbe kann dazutreten, um den Stimmungsausdruck zu verstärken, aber sie macht nicht das Wesentliche aus. Vor allem ist es nicht der Sinn des malerischen Stils, den einzelnen Farben ihre höchste Kraft und Reinheit abzugewinnen und diese Elemente zu einer Harmonie zusammenzufügen, wo jede die andere in ihrer eigentümlichen Lokalwirkung erhöht. Die Lokalfarben werden vielmehr in ihrer Sonderkraft gebrochen, durch mannigfache Übergänge mit einander vermittelt, einem Gesamtton untergeordnet, so dass keine die Haupt- wirkung, die auf dem Spiel von Hell und Dunkel beruht, stören kann. Raifael ist bezeichnend für den Obergang. Die einfarbigen, ruhig- geschlossenen Flächen seines früheren Stils verschwinden, die Farben werden gebeugt und entwickelt nach allen Seiten, überall Leben und Bewegung.

Ein anderes Beispiel, wie wenig malerisch und farbig zusammen-


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fallen, hat man in der Geschichte der antiken Plastik. Die Bemalung der Statuen verschwindet in dem Momente, als die Kunst malerisch wird, d. h. als man glaubte, auf die Wirkung von Licht und Schatten sich verlassen zu dürfen^).

Ich möchte glauben, mit der eben gegebenen Analyse seien die elementaren Kunstmittel des malerischen Stils erschöpft*).

7. Für die malerische Plastik sind sie natürlich beschränkter. Doch erreicht auch sie eine Komposition nach Licht und Schatten, im Dienste eines Geschmackes, der vor allem auf Bewegung von Massen ausgeht').

Die Linie verschwindet. Im Plastischen bedeutet dies ein Ver- schwinden der Kante. Sie wird gerundet, also dass an Stelle einer scharfen Grenze zwischen Licht und Schatten ein spielender Übergang entsteht.

Im Kontur zeigt man keine geschlossene Linie mehr. Das Auge soll nicht an den Seiten herabgleiten, wie an einer flächenhaft begrenzten Figur, sondern stets weiter nach der Rückseite geführt werden. Man betrachte etwa den Arm eines Berninischen Engels, er ist behandelt nach Art einer gewundenen Säule.

Und so wenig man im Umriss sich verpflichtet fühlte, der Linie einen einheitlichen Zug zu geben, so wenig suchte man die Flächen- behandlung zu vereinfachen ; im Gegenteil : die klargeformten Flächen des alten Stils werden aufgelöst, absichtlich durch .Zufälligkeiten^ unterbrochen, um den Eindruck grösserer Lebendigkeit zu gewinnen.

hn Relief haben wir die gleiche Erscheinung. Während im Fries des Paithenon ein goldener Grund denkbar ist, von dem sich der schöne Umriss der Gestalten wirksam abhebt, wäre bei einem mehr malerischen Relief, wie bei der pergamenischen Gigantomachie, ein solches Hervor- heben des Konturs gänzlich unstatthaft. Man bekäme nichts als wüste Farbenflecke, so sehr beruht die ganze Wirkung ausschliesslich auf der Bewegung von Massen und nicht auf dem Linearen^).

Im übrigen brauche ich hier nicht auszuführen, wie weit die Übertragung des „Malerischen" auf die Plastik getrieben wurde oder getrieben werden kann. Ich breche diese Bemerkungen ab, unser Thema ist die Architektur und ich greife zurück auf den Anfangssatz:


  • ) Vielleicht am deutlichsten ist die Entwicklung in der Behandlung des

Haares zu erkennen.

') Eine Geschichte des malerischen Stils ist noch nicht geschrieben. Sie mQsste sehr interessante Resultate liefern.

') Brunttt Ober die pergamenische Gigantomachie: „Die Künstler erreichen durch scharfe Gegensätze von Licht und Schatten, sowie durch entsprechende Massengruppierung in hohem Masse, was wir als malerische Wirkung zu bezeichnen pflegen". (Jahrb. der preuss. Kunstsammlungen V. 237.)

') A. Canze, Ober das Relief der Griechen.


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Im Barock werde die Architektur malerisch und dies sei das eigent- Itcfr^^hafäkteristikum des Stils.

8. Sollen wir den Barock nach den hier entwickelten Gesichts- punkten betrachten? — Ich gestehe, dass es mir nicht passend scheint, den Begriff des Malerischen zu Grunde zu legen.

Einmal wird der Irrtum dadurch nahe gelegt, es ahme die Architektur eine fremde Technik nach, während es sich doch um eine allgemeine Formwandlung handelt, die alle Künste (auch die Musik) gleichmässig umfasst und die auf einen gemeinsamen tiefem Grund hindeutet. Dann aber, was ist mit dem Wort „Malerisch" gesagt? Soll es heissen, dass die Architektur die körperliche Wahrheit aufgibt und nur auf den Schein filr das Auge rechnet? In diesem Sinn wäre jeder nicht organische Stil malerisch. Soll es heissen, dass die Architektur dem Eindruck der Bewegung nachgeht? Damit wäre wenigstens etwas Bestimmtes zur Bezeichnung des Stiles gesagt Aber der Begriff der Bewegung reicht nicht aus, den Barock zu charakte- risieren. Bewegt ist auch das französische Rokoko und das ist doch ein sehr verschiedenes Ding. Die leicht-hQpfende Bewegung ist dem römischen Barock durchaus fremd: er ist schwer, massig. Also müsste man das Merkmal der Massigkeit dazunehmen. Damit ist aber das Malerische überschritten. Der Begriff in seiner Allgemeinheit ist nicht fähig, den Barock zu fassen.

Wir werden darum besser tun, die charakteristischen Merkmale des neuen Stils dadurch zu gewinnen, dass wir ihn vergleichen mit dem, was vorher da war, mit der Renaissance; es wird sich dann zeigen, welche Formbildungen als malerisch zu bezeichnen sind. Die Darstellung aber darf nicht sich dabei begnügen, etwa Fenster mit Fenster, Gesims mit Gesims, Träger mit Träger zu vergleichen und zu beschreiben — das wäre nicht nur unphilosophisch, sondern un- wissenschaftlich — , vielmehr gilt es, die allgemeinen formbedingenden Gesichtspunkte zu finden.

Es sei erlaubt, zum Anfang einige Worte über das unmittelbar Auffallende, über die verschiedene Wirkung zu sagen.


Kap. n.


I. Die Renaissance ist die Kunst des schönen ruhigen Seins. Sie bietet uns jene befreiende Schönheit, die wir als ein allgemeines Wohlgefühl und gleichmässige Steigerung unserer Lebenskraft emp- finden. An ihren vollkommenen Schöpfungen findet man nichts, was


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gedrückt oder gehemmt, unruhig und aufgeregt wäre; jede Form ist frei und ganz und leicht zur Erscheinung gekommen; der Bogen wölbt sich im reinsten Rund, die Verhältnisse weit und wohlig, alles atmet Befriedigung und wir glauben nicht zu irren, wenn wir eben in dieser himmlischen Ruhe und Bedürfnislosigkeit den höchsten Ausdruck des Kunstgeistes jener Zeit erkennen.

Der Barock beabsichtigt eine andere Wirkung. Er will packen\ mit der Gewalt des Affekts, unmittelbar, überwältigend. Was er gibt \ ist nicht gleichmässige Belebung, sondern Aufregung, Ekstase, Be- rauschung. Er geht aus auf einen Eindruck des Augenblicks, während die Renaissance langsamer und leiser, aber desto nachhaltiger wirkt ^). Man möchte ewig in ihrem Bezirk weilen.

Vom Barock erfahren wir momentan eine starke Wirkung, werden dann aber bald mit einer gewissen Ödigkeit entlassen*).

Er gibt kein glückliches Sein, sondern ein Werden, ein Geschehen; nicht das Befriedigte, sondern das Unbefriedigte und Ruhelose. Man fühlt sich nicht erlöst, sondern in die Spannung eines leidenschaft- lichen Zustandes hineingezogen.

Diese Wirkung im allgemeinen, wie wir sie nach Kräften hier zu bezeichnen versuchten, gründet sich auf eine Formbehandlung, die nach den zwei Hauptgesichtspunkten de r Mass igkeit und der Bewe- gung beschrieben werden soll.

Was man mit einem Worte Vasaris die „maniera grande" nennen kann***), die Komposition aufs Grosse, die diesem Stil vorzugsweise eignet, mag einleitend als ein selbständiges drittes Motiv betrachtet werden, die Absicht auf massige Wirkung fordert zwar teilweise schon von selbst den ,jgrossen Stit\

2. Er stellt sich dar als ein zweifaches: als Steigerung der ab- soluten Grössenverhältnisse einerseits und als Vereinfachung und Ver- einheitlichung der Komposition andererseits.

') Man gedenke der schönen Worte Albertis (De re aedific, IX. Buch, gegen Ende), wie die Leute sich nicht sättigen können am Anblick eines schönen Gebäudes und im Fortgehen immer wieder zurOckschauen mOssen. Neque qui spectent satis diu contemplatos ducant se quod iterum atque iterum spectarint atque admirentur : ni itcrato etiam inter abeundum respectent.

  • ) Die HauptbarockkOnstler litten alle an Nervosität. Vgl. Ober Bemini:

Milizia, Memorie II. 173; Ober Borromini ibid. II 153- — Auch von Melancholie wird berichtet, z. B. von Borromini, der schliesslich durch Selbstmord endete. Michelangelo war sehr nervös, reizbar und von wechselnden Stimmungen beeinflusst. Vgl Lombroso, „Neurose bei Michelangelo.

') Gegensatz: die „maniera gentile". — Rumohr scheint mir zu irren, wenn er die „maniera grande" identifiziert mit dem „malerischen Stil. Das „ingrandire la maniera" bedeutet unzweifelhaft mehr.


Malerei und Plastik so gut wie die Architektur drängen seit den vatikanischen Arbeiten Michelangelos und Rafiaels nach dem Grossen und Grössern. Man gewöhnt sich das Schöne nur noch als ein Ko- lossales zu denken. Das Mannigfaltige und Zierliche weicht einer Vereinfachung, die nur auf grosse Massen ausgeht, und in das Ganze kommt ein einheitlicher gewaltiger Zug; es soll nicht zusammen- gesetzt erscheinen aus einzelnen Teilen.

Der Sinn für das Grosse und Kolossale, in Rom seit der antiken Zeit immer mehr oder weniger heimisch, hatte an den monumentalen Baugedanken der grossgesinnten Päpste während der Renaissance neue Kraft gewonnen. Das entscheidende Beispiel für das gesamte Bauwesen: S. Peter. Hier war ein Masstab aufgestellt, der plötz- lich alles Frühere als klein erscheinen Hess. Der kirchliche Baueifer der Gegenreformation wird durch dieses Muster beständig in Atem gehalten und zu äusserster Anstrengung gereizt, wenn man auch nirgends hoffen durfte, ihm gleichzukommen. Im Privatbau herrscht nicht minder die Absicht, durch grosse Dimensionen zu imponieren. Seitdem der Pal. Famese, den Alexander Farnese als Kardinal be- gonnen, durch ihn als Papst (1534) von 43 zu 59 Meter Fassaden- breite vergrössert worden war, um der neuen Würde Ausdruck zu gebend, steigerte sich das Verlangen nach dem Gewaltigen rasch allgemein: Pal. Farnese zu Piacenza (unter Einfluss des römischen Musters), Schloss Caprarola, beide von Vignola für die Farnese ge- baut. In Rom die Nepotenpaläste, die sich gegenseitig zu überbieten suchen. Selbst die Heiterkeit der Villen fällt der Absicht auf Kolos- salität zum Opfer.

Was Florenz aus seiner Blüte aufzuweisen hat, erscheint daneben als verhältnismässig klein. Die einzige Ausnahme wäre Pal. Pitti; aber man darf nicht vergessen, wie viel an diesem Gebäude dem Barock angehört. Der Bau Brunellescos kam an Ausdehnung etwa einem Viertel der jetzigen Fassade gleich^).

Die Steigerung der Grösse ist eine allgemeine Erscheinung bei sinkender Kunst oder richtiger: die Kunst kommt zum Sinken, so- bald die Wirkung in der Massenhaftigkeit , in den kolossalen Ver- hältnissen gesucht wird. Das Einzelne wird nicht mehr nachempfunden, die Feinheit des Formsinns geht verloren ; man strebt allein nach dem Imponierenden und Überwältigenden.

') Vasari V. 469. — Letarouilly, fidifices de Roine moderne, texte S. 260.

■) Von ihm sind nur die mittleren 7 Axen des dreigeschossigen Mittelstücks. Die drei Obrigen rechts und links davon und die zweigeschossigen FlQgel, die die Fassade von 55 auf 205 m Breite brachten, kamen im 17., die vorspringenden Seitenhallen erst im 18. und 19 Jahrh. hinzu. (Siehe Durm, Baukunst S. 138 ^


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3- Es liegt im Interesse dieses Stils, nicht eine Häufung einzelner Teile, sondern womöglich Körper aus einem Stück zu geben. Statt des Vielen und Kleinen sucht er ein einheitliches Grosses, statt des Geteilten ein Zusammenhängendes^).

Eine Umformung in diesem Sinn lässt sich beobachten im Ein- zelnen und im Ganzen.




a. b. c. d. e.

Fig. a. Balusterformen:

a. Bramantc (Teiiipictto); b. Peruzzi (Pal. Massiini); c Ant. da Sangallo (Pal. Far-

nese); d. Giac. della Porta (Kapitolstreppe); e. Vignola (Caprarola).

a) Die gesteigerte Grösse der Gebäude machte schon von selbst eine vereinfachte und wirksamere Bildung des Details nötig.

So findet man im Architrav die Dreiteilung zu einer Zwei- teilung herabgemindert; in den Profilen der Gesimse die Vielheit kleiner Glieder ersetzt durch wenige, bedeutend sprechende Linien; die Baluster, die sich früher zusammensetzten aus zwei gleichen Teilen, werden einheitliche Körper, zuerst bei Sangallo und Michelangelo*). (Fig. 2.)

  • ) Man hOrt jetzt Kritiken wie die, „il componimento*' sei „troppo sminuzzato

dai risalti e dal membri che sono piccoli". So Michelangelo Ober A. Sangallos Entwurf zur Petersfassade. (Vas. V. 467). Oder sein leidenschafllicher Einspruch gegen die zierliche Galerie um die Domkuppel von Florenz (Grillenkäfig!), die Baccio d'Agnolo anzubringen begonnen hatte. (Vas. V. 353).

  • ) Die Neuerung wird dann in Rom sofort angenommen, begann aber erst

gegen 1560 allgemein zu werden. Vignola verwendet zuerst noch beide Arten nebeneinander (Villa des Papstes Julius). In Oberitalien erhält sich dagegen — bezeichnender Weise — die Renaissanceform noch länger : bei Palladio, Sansovino, Sanmichele u. A. — Die Balustrade der Frührenaissance hatte aus einfachen Säulchen bestanden. So bei Brunellesco (Pal. Pitti, Dom, Cap. Pazzi etc.)-


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26

b) Von einschneidendster Bedeutung wird das Prinzip für die Komposition im Grossen, für Aufriss und Grundriss.

a) Man beginnt die Auflösung der Fassade in einzelne gleich- wertige 'Stockwerke als unleidlich zu empfinden. Der grosse Stil verlangt, dass sie sich als einen einheitlichen Körper darstelle.

Begreiflicherweise bietet der Palast die meiste Schwierigkeit.

Rom ist hier wieder allen anderen Landschaften voraus. Es ist Bramante selbst, der die Wandlung einleitete. Seine „ultima maniera" drängt entschieden nach einer Einheit für die vertikale Fassadenent- Wicklung. Die Periode der Cancelleria, die drei Stockwerke gleich- wertig auf einander setzt, wird auch für ihn eine überwundene: er sucht dem Erdgeschoss den Charakter eines Sockels für das ganze Gebäude zu geben. (S. unten: Palastbau.)

Am energischsten zeigt sich Michelangelo: an den kapitolinischen Palästen fasst er kühn zwei Stockwerke mit einer Ordnung von Kolossalpilastern zusammen. Palladio ist hierin sein Nachfolger. In Rom fand das Beispiel einstweilen keine Nachahmung. Die vertikalen Glieder wurden missliebig (s. unten) und man musste einen anderen Weg suchen, den Eindruck des Einheitlichen zu geben. Es geschah in der Weise, dass nun ein Geschoss durch Grösse und plastischen Reichtum zu unbedingter Herrschaft über die anderen herausgehoben wurde. Einer späteren Zeit (dem Bernini) blieb es vorbehalten, durch Kombination des Motives der durchgehenden Pilasterordnung und der sockelmässigen Behandlung des Erdgeschosses den neuen Typus zu schaffen, der für den Monumentalbau fortan am meisten bedeut- sam war^).

Venedig bleibt in den alten Geleisen. Die freirhythmische Dis- position von Massen blieb hier unverstanden. Die Paläste im Stil des Pal. Pesaro (um 1650, von B. Longhena) geben stets eine Folge gleichwertiger Prunkgeschosse. Auch bei Palladio findet man sehr oft zwei, ja drei gleichhohe Stockwerke über einander.

ß) Für das horizontale Gliederungsprinzip der Renaissance ist die Cancelleria ebenso typisch wie für das vertikale. Die Pilaster teilen die Flächen so, dass je ein grosses Intervall zwischen zwei kleineren entsteht Die Breite der Nebenintervalle zu der des Haupt- intervalles ist nach dem Verhältnisse des goldenen Schnittes bestimmt*). GeymüUer nennt dies Motiv die „rhythmische Trav6e des Bramante". (Siehe unten, Fig. 7 S. 48).


^) Ober Kirchenfassaden und Wandgliederung s. unten die betreffenden Ab- schnitte.

«) b : B = B : (b + B). (B = Hauptintervall, b = Nebenintervall.)


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Für die Renaissanceempfindung ist es sehr charakteristisch^). Man findet es namentlich oft in Verbindung mit einem mittleren Bogen (Triumphbogenmotiv). Das Bedeutsame liegt immer in der Abwertung der Flächen gegen einander; stets bleiben die Nebenteile klein genug, um die dominierende Stellung des Mittelteiles nicht zu gefährden, andererseits aber auch gross genug, um selbständigen Wert und eigene Bedeutung zu haben.

Der Barock hält sich prinzipiell von dieser Disposition fern, er verlangt absolute Einheit, die selbständigen Nebenteile werden geopfert. Man vergleiche z. B. die Umbildung, die das Motiv des Triumphbogens am Hochaltar des Gesü (von Giac. della Porta) er- fahren hat : grosser Mittelbogen, die Nebenteile ganz verkümmert, die Säulen so zusammengedrückt, dass man fast von Kuppelung sprechen muss. — Den Renaissancetypus gibt Serlio, Arch. , lib. IV. fol. 149.

Ein gleiches Beispiel: Die Umgestaltung, die Bramantes Nische des mittleren Treppenabsatzes im Giardino della Pigna erfuhr (wahr- scheinlich durch A. da Sangallo)*).

Im Gegensatz zu Rom behält Oberitalien auch hier die Renais- sanceformen noch bei. Vgl. das viel nachgeahmte Innensystem von S. Fedele zu Mailand (1569; Pellegrino Tibaldi): das Triumphbogen- motiv, zweimal wiederholt mit 2 Flachkuppeln darüber, teilt das Schiff in 2 quadratische Räume; ferner die äussere Mauergliederung von S. M. della Salute zu Venedig (1631; B. Longhena) u. s. f.

y) Auch die RauuigesiaUmig des Innern macht eine Entwicklung zur Einheit durch; die selbständigen Nebenräume müssen vor dem einen, gewaltigen Ilauptraum verschwinden.

Die Geschichte des Grundrisses geht ganz parallel mit der Ge- schichte der „rhythmischen Trav^e". Die florentinischen Basiliken der Frührenaissance (S. Lorenzo, S. Spirito) stimmen dasNebenschifFzum Hauptschiff wie 1:2; es sind die Proportionen der gleichzeitigen Flächen- gliederung (vgl. die Fassaden Albertis). Bramante proportioniert im ersten Entwurf zu S. Peter die Ncbenkuppelräume zum Ilauptraum nach dem goldenen Schnitt, wie die „rhythmische Trav6e" der Cancelleria ihn auch aufweist. Die späteren Pläne zu S. Peter zeigen dann eine fortschreitende Verkleinerung der Nebenräume, ein Prinzip, das seinen entschiedensten Ausdruck in dem Langbau des Gesü erhielt (Vignola, 1567) : hier gibt es nur noch ein Schifl, mit Kapellen, die zwar unter sich eine Verbindung haben, aber durchaus nicht als eigenes Neben-


') Es erscheint schon bei Albcrti (mit den Proportionen b : B =- 1 : 2). S. M. Novella, Florenz; S. Andrea, Mantua.

') Die Abbildungen bei Letarouiiiyy Le Vatican II.


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schiff wirken. (Fig. 8, S. 68.) Der Gesü wurde Vorbild für den ganzen römischen Kirchenbau.

Genau das gleiche Schauspiel bietet die Geschichte des dreischif- figen Vestibüls. Original bei Raifael, Villa Madama; erster Plan. Schlussredaktion: Pal Farnese (A. da Sangallo). Mittelstufe: Der zweite Plan für Villa Madama^). — Die Teilung des Raumes bleibt in Oberitalien länger im Gebrauch.

d) Die Renaissance hatte ihre Freude an einem System grosser und kleiner Teile. Das Kleine bereitet auf das Grosse vor, indem es die Form des Ganzen vorbildlich enthält. Mag darum auch die Kunst das Kolossale bilden, wie im Bramantischen S. Peter, so ist doch die Wucht der Grösse gemildert, dem Eindruck das Über- wältigende genommen.

Der Barock gibt nur das Grosse.

•Ma!r"vefigleiche'*deri"S.' Peter des Michelangelo mit demjenigen des Bramante.

Zuerst den Grundriss. Bei Bramante (erster Entwurf) wird die Form der Kreuzarme zweimal in immer kleineren Proportionen wieder- holt, in zwei Wiederholungen klingt das Kolossalmotiv leis und leiser aus. Bei Michelangelo ist jede Spur einer solchen Abtönung ver- schwunden. -^ ■ N I

Noch charakteristischer ist die Entwickelung des Wandsystemes. Von einer zweigeschossigen Anlage ausgehend, war Bramante schliess- lich selbst zu einer Kolossalordnung gekommen; für die Enden der Kreuzarme aber hatte er Umgänge mit (kleinen) Säulen beibehalten. Man steht so dem Kolossalen und Unfassbaren nicht haltlos gegen- über; das GefQhl findet eine Beruhigung in diesen menschlicher Grösse näher stehenden Gestalten; das Übergrosse wird gleichsam fassbar. — Michelangelo beseitigt diese vorbereitenden Umgänge. Der barocke Geist sucht das Überwältigende, Niederschlagende; Buonarotti ist freilich hierin seinen Zeitgenossen allen voraus.


Kap. m.


I. Der Barock verlangt eine breite, schwere Massenhaftigkeit. Die schlanken Proportionen verschwinden. Die Gebäude fangen an, lastender zu werden, ja hie und da droht die Form unter dem Drucke zu erliegen. — Die graziöse Leichtigkeit der Renaissance schwindet. Alle Formen werden breiter, gewichtiger. Man vergleiche


^) Abbildungen bei GiymülUr^ Raflfaello Sanzio tav. 4. 5. — Rtdtenbacher, LOtzows Z. f. b. K. 1876 S. 33.



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die Balustrade der Kapitolstreppe von G. della Porta (Fig. 2. d); Pilaster und Pfeiler werden entsprechend umgeformt^) (Fig. 5). Jji Kirchliche und private Architektur geben den Fassaden eine möglichst bedeutende horizontale Ausdehnung. (Die Fassade von S. Peter wird durch Ecktürme künstlich verbreitert.) Im Palastbau unterbleibt dazu noch jede Teilung durch vertikale Glieder; nach dem Vorbilde von Pal. Farnese lässt man die Pilasterordnungen weg, selbst bei einer Fassade von 19 Axen (Pal. Ruspoli des Ammanati, Taf. 5). Die Kirchen geben die Vertikalen nicht auf, schaffen aber durch mächtig vortretende Gesimse und Vervielfachung der Breitelinien ein starkes Gegengewicht.

Ein unmittelbarer Ausdruck des Schweren und Lastenden ist die tiefe Senkung des Giebels. Man empfindet ihn nicht mehr als sich hebend, sondern als herabsinkend. Entscheidend für den Ein- druck ist dabei ein horizontales Auslaufen an der Fusslinie (vgl. als eines der ersten Beispiele den Gesü des G. della Porta). Ebenda ■ , breite und schwere Akroterien zu beiden Seiten (Fig. 11.). ^ /

Niedrige Bildung des Sockels (vgl. Gesü des Vignola und des della Porta, Taf. 11 u. Fig. 11), Belastung der Träger durch hohe Attika über dem Gebälk (ebendort), sind weitere Mittel, mit denen der Stil seinen beabsichtigten Eindruck zu erreichen versteht.

Ein sichtliches Behagen an der dumpfen Ausbreitung der Masse spricht aus den Treppenanlagen. Man will „salire con gravita", wie der Ausdruck bei Scamozzi lautet, aber die Treppen sind oft so gesenkt, dass das Gehen unbequem wird. Als monströses Beispiel können etwa jene runden Stufen genannt werden, die vom Kolonnadenplatz zu S. Peter den ersten Anstieg vermitteln. Sie sehen aus, als ob eine zähflüssige Masse sich langsam hier herunter- wälze. An ein Ansteigen ist nicht mehr zu denken, man fühlt nur das Abwärts. (Taf. 1.).

Dieses Nachgeben gegen die Schwere führt bis zu Er- scheinungen, wo die Form unter der Gewalt der Last wirk- lich leidet.

Der fröhliche Rundbogen bekommt eine gedrückte, elliptische Form (Michelangelo wölbt so in den Hofloggien des Pal. Farnese"),

') Interessant ist, wie in der landschafUichen Malerei, z. B. in der Behand- lung der Bäume ein durchaus analoges FormgeHlhl zum Ausdruck kommt : breite, volle Laubmassen statt der schlanken Bäumchen der FrOhrenaissance. Das saAig- schwere Laub der Feige ist namentlich so recht ein Barock gewflchs. Annibale Carracci ist hierfür charakteristisch. -— In der Farbengebung gleicherweise eine Bevorzugung der schweren, dunkeln Töne. Die Gemälde bekommen gleichsam mehr Gewicht.

  • ) Vas. VII. 224. Con nuovo modo di sesto in forma di mezzo ovato fece

condurre le volte etc.


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zweites und drittes Geschoss); die Säulensockel, die früher schlank und hoch, den Eindruck des Leichten wesentlich erhöhen halfen, werden jetzt zu einer unerquicklichen Gestalt herabgedrückt, so dass man die wuchtende Gewalt ihrer Last fühlen muss. (So im Vestibül des Pal. Farnese von A. da Sangailo).

Michelangelo tat den Schritt ins Grosse, In den Arkaden des Konservatorenpalastes auf dem Kapitol (Taf. 6) gibt er Proportionen, die für sich allein als Dissonanzen wirken und erst durch das Ganze harmonisch gelöst erscheinen. Das Obergeschoss drückt' dermassen auf die (zu kleinen) untergestellten Säulen, dass diese an die durch- gehenden Pfeiler herangedrängt werden. Wir sind überzeugt, dass die Säulen nur gezwungen dastehen. Dieser Eindruck resultiert zum Teil aus dem höchst irrationellen und widrig-gequetschten Verhältnis des Säulenintervalls, das keine befriedigte und darum keine selbst- gewollte Form sein kann*).

Natürlich kam mit dieser Freude an der StoflFgewalt eine Tendenz zum formlosen in die Baukunst und ein Mann, der das Masshalten hin und wieder vergessen hat, wie Giulio Romano, schritt denn auch gleich zum Äussersten: im Gigantenzimmer seines Pal. del Te zu Mantua wird die Form vollständig vernichtet. Die rohe Masse bricht herein, ungeformte Felsblöcke statt der Gesimse, die Ecken abgestumpft, alles weicht aus den Fugen und das Chaos beherrscht den Raum.

Solche Fälle sind aber doch Ausnahmen und berühren kaum den Gesamtcharakter des Barock; denn der Naturalismus, der an ländlichen Brunnen (fontane rustiche) und Gartenarchitekturen die Masse in ihrer ganzen Formlosigkeit zeigt, ist entschuldigt.

2. Die breite Formbehandlung des Barockstils hängt zusammen mit einer ganz neuen Auffassung der Materie, ich meine, jener idealen Materie, deren inneres Leben und Sich-Haben die Bauglieder zum Ausdruck bringen. Es ist als wäre der harte spröde Stoff der Renaissance saftig und weich geworden. Man ist manchmal versucht, an Ton zu denken. Michelangelo modellierte in der Tat in Ton architektonische Dinge, z. B. die geschwungene Treppe der Biblio- thek von S. Lorenzo (Florenz*), Taf. 4) und anderes»). Seine Gebäude scheinen dies Verfahren durch eigenen Formenausdruck zu verraten.


^) Das Motiv der durch zwei Geschosse gehenden Pilaster mit Säulen im Unter- geschoss wiederholt in reiner Behandlung die Fassade von S. Giovanni in Laterano (von A. Galilei aus dem 18. Jahrhundert).

•) Vas. VII. 397.

') Bottari, Lett. pittoriche I. 17.



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bemerkt J. Burckhardt hierzu^). Auch die Malerei beginnt in dieser Weise den Stoff zu empfinden. Man vergleiche etwa eine Land- schaft des Annibale Caracci mit einer florentinischen der Früh- renaissance (um den stärksten Gegensatz zu wählen): an Stelle des scharfen Felsgesteins ist eine klobige Masse getreten, die sich in saftigem Grünblau darstellt, in das das Licht ein Stück weit hinein- scheint Und diesen Fortschritt von einem scharfkantigen, man möchte fast sagen metallenen Stil zu einer weich-massigen Fülle und Saftigkeit gewahren wir in allem. Demselben Annibale Caracci kommt eine (späte) Figur Raffaels „schneidend hart" vor „wie ein Stück Holz". „Una cosa di legno, tanto dura e tagliente^^).

Über die Trockenheit der früheren römischen Art Bramantes (Cancelleria) werden Klagen schon bei Vasari gehört. Vor der „secchezza" hat der Barock den grössten Abscheu.

Indem sich nun aber der Stoff für ihn erweicht, die Masse gleichsam flüssig wird, löst sich der tektonische Zusammenhang, und der massenhafte Charakter des Stils, der sich in der breiten und schweren Formgebung zum Ausdruck brachte, kommt nun auch in dem Mangel der Durchgliederung, dem Mangel exakter. Formung zum Vorschein.

Fürs erste wird die Mauer nicht mehr behandelt, als ob sie aus einzelnen Steinen zusammengesetzt wäre, sondern als eine gleich- massig verbundene Masse. Die Schichtung der einzelnen Steine wird nicht mehr als künstlerisches Motiv benützt, sondern womöglich ganz verdeckt. Hauptbeispiel der Renaissance: Die sauber gefügten Quadern der Cancelleria. Ebenda auch der Backstein in seiner ganzen Zierlichkeit zur Geltung gebracht (Seitenfassaden.). Jetzt ist für Backstein die Übermörtelung das Allgemeine. Erstes Beispiel: Pal. Farnese (A. da Sangallo)^). Der Haustein (in Rom hat man seit alten Zeiten den prächtigen Travertin) soll nie in einzelnen Blöcken wirken, sondern als Ganzes. Rustikafassaden gibt es darum nicht. Der Versuch, den Bramante und Raifael mit der Rustika machten (für das Sockelgeschoss der Paläste), wurde in Rom nicht wiederholt*).


') Ren. in Ital. 89. (Alle Citate nach der 4. Auflage 1904.)

  • ) Lettere pittoriche I. lao. — Federigo Zucchero findet dann freilich auch

das boiognesische Kolorit gegenüber den Lombarden zu trocken; man müsse „ingrassare il secco colorire della scuola Caraccesca*. Lett. pitt VlI. 513.

') In Oberitalien wird der Backstein in manchen Städten noch lange Zeit offen gezeigt.

') RafTael gab übrigens schon nicht mehr einzelne Blöcke, sondern zusammen* hängende Lagen. Ganz dem barocken Gefühl widersprechend ist z. B. das Motiv des Gesü Nuovo in Neapel (1600): Überkleidung der ganzen Fassade mit fassettierter Rustica.


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Man möchte sagen, der Barock entziehe der Mauer das tek- tonische Element. Die Masse verliert ihre innere Struktur. Wo keine rechteckigen Steine die Elemente bilden, da braucht man sich nicht zu scheuen, bald auch die geraden Linien und die scharfen Ecken verschwinden zu lassen. Das Harte und Spitzige wird abge- stumpft und erweicht, das Eckige gerundet.

Dies Gefühl für weiche, volle Saftigkeit ist eigentümlich römisch. Florenz bleibt viel härter und trockener. Selbst Michelangelo kann seine Heimat nicht immer ganz verleugnen.

Die Dekoration bot dem neuen Formgefühl den leichtesten An- griffspunkt. In Wappenschilden z. B. wird das barocke Ideal schon früh verwirklicht (Schild an Pal. Farnese von Michelangelo, c. 1546,



Fig. 3. Kapital des Konservatorenpalastes, an Porta del Popolo von Nanni 1562, am Gesü von Giac. della Porta u. s. w.). Vergleicht man mit diesen Mustern etwa den Schild vom Eck der Cancelleria*), so wird die prinzipielle Verschiedenheit so- gleich klar werden. Das Renaissancewerk scheint zerbrechbar zu sein, der spröde Stoff begrenzt sich in scharfer Kante und harten Ecken, das vollsaftige Barockgebilde dagegen beugt sich aussen in rundem Wulst in sich zurück«).

Auch die Cartouche (cartoccio) wird in dieser Weise behandelt, ganz abweichend von der florentinischen und oberitalienischen Art, wo man an geschnittenes Leder erinnert wird (Vgl. Serlio, lib. IV. ol. 230.).

Die Bildung des berühmten jonischen Kapitells, die Michelangelo am Konservatorenpalast versuchte, gehört ebenfalls hierher (Fig. 3, seitliche Ansicht).


») Abgebildet bei Burckhardt, Ren. Fig. 291.

') Es wird durch dies charakteristische Motiv eine dem menschlichen Ohr ähnliche Form erzeugt In SOdbayem ist der Barockstil daher unter dem Namen ^Okrwaschlstir* bekannt


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Der Marmor weicht fast durchweg dem Travertin, seitdem Michelangelo in der Dekoration des Farnesischen Hofes ihn ^geadelt* hattet). Das ^spugnoso*, das Schwammige des Steines ist so recht im Sinne barocker Formbehandlung. Der Marmor fordert stets zu feinerer Durchbildung auf.

Im Tektonischen erscheint das Weich-Massige in der bauchigen Form des Frieses schon frühe und noch bezeichnender in der des Sockels (vgl. Sockel von Pal. Famese, Fig. 4, e) ; dann etwa in jener Giebelform, die den Linien der geschweiften Verdachungen unten einen schneckenartigen Abschluss gibt (von Vignola für das Hauptportal des Gesü projektiert, früher sclion an den Sarkophagdeckeln der



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a. b.

Fig. 4. Sockelprofile:


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a. b. Cancelleria. c. Konservatorenpalast. Spirito. e. Pal Famese.


d. Porta di S.


Mediccischen Kapelle von Michelangelo); von der Bildung der Voluten soll später die Rede sein. In eigentümlicher Verwendung findet sich der stilisierte Kranz oder Blätterwulst als Fries (Vignola), ja in der Lateransbasilica sind Bogenleibungen und Pilaster durch einen bauchigen Haufen aufgebundener Palmblätter dekoriert (Borromini).

Die verschiedene Behandlung des ornamentierten Bandes in S. Catarina dei Funari in den beiden Stockwerken (Vignola und Giacomo della Porta?) ist bemerkenswert (Taf. 10.).

In der Profilierung wird ganz besonders auf die weich-flüssigen Linien acht gegeben. Zugleich setzen sich die einzelnen Teile nicht mehr scharf von einander ab, sondern einer geht in den andern über"). Das harte rechtwinklige Absetzen der Profile wird möglichst vermieden.

Ich stelle zur Vergleichung zwei Bramantische Profile (Fig. 4), Cancelleria, Sockel des Erdgeschosses (a) und Sockel der Pilaster des ersten Geschosses (b) neben einige spätere (c, d, e). Man wird

') Vas. Introduzione 1. 123: piü d'ogni altro maestro ha nobilitato questa pietra Michel Agnolo Buonarotti nelF ornamento del cortile di casa'.Farnese. .

•) So verletzt die Schroffheit, mit der in Florenz die Sparrendächer über die Mauer vorspringen, das römische Gefühl aufs Empfindlichste.

Woifßm, Renaissance und Barock. 3


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den exakten, scharf trennenden Geschmack der Renaissance nicht verkennen. Dagegen im beginnenden Barock das sichtliche Bestreben, alles weich, flüssig zu machen.

Die Abneigung gegen das harte Absetzen im rechten Winkel ist so gross, dass man sich nicht scheut, eine tektonische Fläche unten in einer starken Rundung auslaufen zu lassen. Ein frühes Beispiel: der Sockel von Porta di S. Spirito, A. da Sangallo {Fig. 4. d) ; dann Sockel der hinteren Teile von S. Peter, Michelangelo. Im strengen Stil hat die Fläche kein Recht, die Vertikale zu verlassen^).

Nach dem gleichen Prinzip werden dann auch im Grundriss alle Ecken abgestumpft; ja der Sinn für das Tektonische verliert sich so ganz und gar, dass bald die Mauer überhaupt nach Belieben aus- und einwärts geschwungen werden durfte. Da dies Motiv als Ausdruck eines gesteigerten Bewegungsdranges erscheint, so wird erst unten davon des genaueren die Rede sein*).

3. Z)f^ Masse entbehrt der vollkommenen Durchgliederung; dies ist das dritte, entscheidende Moment. Die Glieder behalten einen massigen Charakter, sie sind wenig differenziert; sie setzen sich nicht einfach und exakt-begrenzt zu selbständigem Dasein heraus, vielmehr verliert das Einzelne seinen Wert und seine Kraft, die Glieder müssen vervielfacht auftreten, sie erscheinen nicht rein losgelöst und frei beweglich, sondern befangen im Stoff; der Baukörper im ganzen bleibt dumpf geballt, ohne entwickeltere Gliederung im Grundriss oder Aufriss.

Die Heiterkeit der Renaissancearchitektur bestand gerade in der Auflockerung der Masse, in der glücklichen Durchbildung des BaukOrpers und der freien Gelenkigkeit der einzelnen Glieder.

Der Barock bedeutet eine Rückbildung zu einem formloseren Zustande, wie ja auch zierliches Detail nun geradezu gemieden wird.

a. Ein Symptom dieser Art ist zunächst die Verdrängung der Säule durch den Pfeiler. Der Ernst des Pfeilers besteht in seiner stofflichen Befangenheit. Während die Säule sich frei und rund und klar aus der Masse heraussetzt, in ihrer Form sich ganz selbst bestimmt, ganz Wille, ganz Leben ist, bleibt der Pfeiler immer — sozusagen — mit einem Fusse in der Mauer stecken. Es fehlt ihm die selbständige Form (die Rundung), der Eindruck des Massig- Schweren überwiegt.


^) Diese Anläufe unten an senkrechten Flächen kennt bereits die Antike, wenn auch in bescheidenerem Masse.

') Es muss nbrigens auch bezüglich der anderen Beispiele crwAhnt werden, dass das Moment der Bewegung eine Rolle mitspielt. Die rundlich auslaufende Fläche ist natflrlich bewegter als die ebene Platte u. s. f. Ich komme darum im anderen Zusammenhange nochmals darauf zurück.


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I


Die fröhlichen Seestädte Genua, Neapel, Palermo opfern die Säule nie. Auch Florenz bleibt ihr im ganzen getreu. In Rom erscheint sie erst wieder gegen Mitte des 17. Jahrh. Die erste Periode des Barock ist ganz vom Pfeiler und Pilaster beherrscht.

Besonders empfindlich ist das Verschwinden der heiteren Säulen- höfe und Loggien. Der Hof von Pal. Famese bezeichnet gegenüber dem der Cancelleria bereits den ganzen Wandel der Stimmung. Er ist von gewaltigem Ernst. Im Kirchenbau waren Pfeiler schon tek- tonisch gefordert. Die grossen Tonnengewölbe verlangten ästhetisch und konstruktiv stärkere Träger. Der Pfeiler wird zur breiten, unge- gliederten Mauermasse. Aber nicht genug, der Stil tut noch ein Übriges, den Eindruck des Massenhaften zu verstärken : der zwischen- gespannte Bogen darf oben nicht das Gesimse erreichen, ein Stück Mauer bleibt undurchbrochen übrig; zugleich fällt die krönende Schlusskonsole (Schlussstein) weg. Vgl. Innensystem von Vignolas Gesii (Fig. 13) und (schon früher) die Hauptfenster vom Schloss

Caprarola ; Innensystem von S. M. dei , ^

Monti (von G. della Porta, Fig. 14); dann S. Gregorio Magno, Fassade (von Soria, Fig. 12), Scala Santa, Fassade (D. Fontanaj u. a.

Oberitalien, das durch den Backstein von jeher gezwungen v/ar, ^ ^

sich mit dem Pfeiler zu befreunden, Fig. 5.3. Schema des Renaissancepfeilers. wusste ihm einst durch schlanke b. des Barockpfeilers.

Bildung und Auflösung in vier Pilaster eine recht leichte Form ab- zugewinnen (Fig. 5 a.). Vgl. etwa S. Giovanni Evangelista (Parma), S. Giustina (Padua) oder S. Salvatore (Venedig). Die Übersetzung dieses vier - pilastrigen Pfeilers ins Barock-Massige lautet so, wie Fig. 5 b zeigt, (nach dem Beispiel, das Michelangelo im Konservatoren- palast gibt). Die Masse ist hier nicht mehr ganz durchgeformt, nicht mehr ganz eingefasst von den Pilastern, sondern schaut an den stumpfen Ecken hervor.

Die Verdrängung der Säule durch den Pfeiler bedeutet natür- lich gleichzeitig eine Verdrängung der Halbsäule durch den Pflaster. Vgl. die Fortbildung des Farnesischen Hofs zum Pfeilerhof mit Pilastern bei Giacomo della Porta (Sapienza) und bei Ammanati (Collegio Romano).

Weitverbreitete Sitte des Übergangs: Halbsäulen und Pilaster mit rohen Rustikaquadern, gleichwie mit Fesseln zu überziehen und an die Mauern zu schmieden. Serlio, der eine ganz unbändige Freude an Gestaltungen der Art hat, entschuldigt sich mit dem Beispiel Giulio Romanos (Architettura, lib. IV.). Auch Vignola hat das





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Jl3!


Motiv häufig für Toranlagen benutzt (meist aber in ländlichem Zu- sammenhang).

Den höchsten Ausdruck von stofflicher Gebundenheit erreichte Michelangelo: die Form ringt mit der Masse. Es ist derselbe Fort- gang zum Dissonierenden, gewissermassen zum Pathologischen, den wir schon einmal bei Gelegenheit des kapitolinischen Palastes be- obachteten, wo die Säulen unter der Last an die grossen Pfeiler herangedrängt werden. Auch hier gibt Michelangelo einen leident- lichen Zustand: die Formglieder vermögen aus der erstickenden Umhüllung der Mauer sich nicht loszulösen. — In der Vorhalle der Laurenziana (Taf. 4) treten die Säulen gar nicht aus der Fläche der Wand heraus, sondern bleiben zu zweien in Vertiefungen stecken. Die Komposition entbehrt so ganz und gar des Befriedigten und Befrie- digenden, mit einem Worte der Notwendigkeit, dass der Eindruck einer unaufhörlichen Bewegung entsteht: leidenschaftliches Wühlen, aufgeregtes Ringen mit dem Stoff. Eine ganz einzige Wirkung, die der barocke Kunstgeist in diesem Räume hervorgebracht hat.

Doppelt unvergleichlich durch die wunderbare Lösung, die das wilde Vorspiel in dem Hauptraum oben an der Treppe erhält: hier wird mit einem Male alles ruhig und befriedigt; der erste Raum war nur die £|inleitung zu dieser zweiten edleren Wirkung. Über diese Komposition nach Kontrasten wird später noch einiges gesagt , 6. Schema der Mauersäule, werden.

Nur Michelangelo konnte so etwas wagen. Die Arkaden des Konservatorenpalastes wiederholen das Motiv in etwas anderer Form. Um für das Innere eine starke Kontrast- wirkung sich zu sichern, bildete Michelangelo alle Formen der unteren Halle äusserst schwer und massig: die Säulen kommen von der Mauer nicht los. Es sind keine Halbsäulen, sondern freie und völlige, aber sie haben ihre Freiheit noch nicht errungen. Etwa die Hälfte ist losgelöst, der Rest aber steckt noch drin (Fig. 6). Für die Phantasie entsteht dadurch der Eindruck eines unablässigen, unruhigen Arbeitens nach Befreiung.

Die Spätem verwenden dies Motiv der „Mauersäule ^ wenn ich so sagen darf, sehr häufig, mit verschiedener Abstufung (viertel-, halb-, dreiviertel-freie Säulen). Bereits Vignola gebraucht es wieder- holt (Fig. 9). Für Fassaden empfiehlt es sich schon wegen des kräftigen SchattenefTekts, der durch die Eintiefung zu beiden Seiten gegeben ist. In der zweiten Periode des Stils verschwindet es. Die Säule wird frei, tritt vor und bekommt im Rücken einen begleitenden Wandpilaster.



Fig.


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b. Die Renaissance, gab jedes Glied rein und einfach, der Barock vervülfachi die GUeeler*

Die erste Veranlassung hierzu lag in den anormalen Grössen- Verhältnissen, das Gefühl verlangte kräftigere Formen*). Bald aber gewöhnt man sich Oberhaupt daran, alles mehrfach zu sagen (Inein- anderschachtelung von Giebeln u. s. w.). Das Einzelne hat seine Kraft verloren, man glaubt nicht mehr daran; wenn etwas als nicht bloss zufällig sich zur Geltung bringen will, muss es gedoppelt und verdreifacht auftreten. Ja, wo will man überhaupt noch eine Grenze setzen, sobald das Einfache einmal verlassen ist. Es kommt dazu ein Weiteres: die Vervielfältigung des Umrisses im malerischen Interesse. Die Form wird nicht gegeben mit einem Mal, ganz und voll und klar, sondern man schafft gleichsam eine Bildungssphäre, einen Komplex von Linien, wo man unsicher bleibt, welche die richtige sei.

Es entsteht dadurch ein Bewegungseindruck: die Form scheint sich erst sammeln zu müssen.

Eine Vervielfältigung des Umrisses in diesem Sinne bietet das Motiv des „Püasterbündels** : der Pilaster wird flankiert von je einem zurücktretenden Halbpilaster (später auch noch von einem ferneren Viertelpilaster). Der Ursprung dieses Motivs liegt wahrscheinlich im Backsteinbau, der leicht dazu kommen musste, die Rundung der Halbsäule durch eine Abstufung der Art zu ersetzen. In der Tat findet man in romagnolischen und lombardischen Bauten ähnliche Formen einzeln schon in sehr früher Zeit (Vgl. z. B. S. Cristoforo zu Ferrara,).

Doch ist eine andere Entstehungs weise nicht ausgeschlossen: Die Loggia der Farnesina zeigt z. B. an der Wandseite das Motiv vollständig ausgebildet, nur in einem andern Sinn: es soll die Form des gegenüberstehenden Pfeilers mit seinem Pilaster flächenhaft wieder- holt werden. Es ist wohl denkbar, dass man von hier aus die wirk- same Form auf die Fassade übertrug.

In Rom ist das erste Beispiel von einem selbständigen Pilaster- bündel durch Bramante gegeben worden, im ersten Geschoss des belvederischen Hofes*). Dann folgt Peruzzi (Pal. Costa) und Michel- angelo (Hof Famese, drittes Geschoss, Taf. 3). Damit war das Motiv der allgemeinen Nachahmung empfohlen.


') Kuppelung von Halbsäulen und Pilastem kannte Qbrigens schon die Hochrenaissance.

■) VgL Scrlio fol. 119. Ob die Form nicht erst dem Umbau durch Peruzzi angehört? Letarouilly scheint es nicht anzunehmen (Le Vatican I. cour du Bel- ved^re, T. 11).


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Eine ahnliche Form ist der flache Rahmen, mit dem die Mauer eines Pilasterintervalls an drei Seiten umzogen zu werden pflegt. Es ist gleichsam eine Vor-BUdung des Pilasters. Wieder keine exakte und einfach bestimmte Formgebung, sondern eine Verwischung der Grenzen, kein klares Heraussetzen der Einzelform, sondern ein über- leiten, ein Vermitteln, das oft an chromatische Gänge in der Musik erinnert^). Die Mauereintiefung, oder — um den ersten Ausdruck beizubehalten — die Umziehung des Intervalls mit einem flachen Rahmenprofil ist offenbar wieder ein Backsteinmotiv. Man findet es bei Peruzzi, der als Sienese von Hause aus mit diesem Material ver- traut war, dann in bedeutender Verwendung bei Michelangelo (Konser- vatorenpalast, Rückseite von S. Peter, Taf. 7).

c. Mit dieser Gewöhnung an das Vielfache hängt weiter eine Verdoppebing der Anfangs- und Schlussmotive zusammen. Die Formen begrenzen sich auch nach oben und unten nicht mehr exakt wie fiüher: statt einem sichern Einsetzen und bestimmten Abschliessen ein zögernder Anfang und ein Nicht-Aufhören-Können. Das erste Beispiel dieser für die formlosere Kunst charakteristischen Erscheinung dürfte in der Bildung der Hofpfeiler von Pal. Karncsc vorliegen. Man vergleiche, um des Unterschieds inne zu werden, diesen Sockel und die doppelten Gesimse mit den so einfachen und sichern Formen des Palladio im Hof der Caritä zu Venedig.

Vervielfachung des Sockelansatzes: Grabmal Pauls III. (Guilelmo della Porta); dann alle Säulen mit doppelter Platte u. s. w.

Vervielfachung der Attika an Kirchenfassaden: Gesü von Giac. della Porta (Fig. 11) (Vignola ist in seinem Entwurf noch einfach) u. a. Die Linie des Kranzgesimses scheint gleichsam noch mehrmals nach- zuklingen. Unendlicher Abschluss.

d. Rahmen- und Eckbildung. Der Eindruck des Massenhaften ist wesentlich dadurch bedingt, dass der Stoff nicht eingefasst ist von Rahmen, denen er sich ganz einordnete. Der Barock bezeichnet hier den vollkommensten Gegensatz zur Gotik. Die Gotik betont die zu- sammenhaltenden Glieder: feste Rahmen, leichte Füllung; der Barock betont den Stoff: der Rahmen fällt entweder ganz weg oder bleibt doch — trotz derber Bildung — ungenügend, die Masse quillt über.

Die Renaissance bezeichnet die Mitte: das vollkommene Gleich- gewicht von Füllung und einschliessender Form.

Die Füllungszierart, die der Pilaster in der Renaissance oft bekommt, ist für jene Zeit undenkbar ohne Eck-Rahmen; der Barock


') Höchst interessant ist, wie Bemini auch an Statuen einzelne Knochen, wie das Schienbein, im Effekt verdoppelt, vgl. Dohme, Kunst und Künstler: Italien III, 81. S. aa



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beseitigt diese Einfassung und lässt das Ornament grenzenlos wuchern. Erste Beispiele: Michelangelo, Grabmal Julius' IL (S. Pietro in Vincoli), Ant. da Sangallo und Simone Mosca, Capeila Cesi (S. M. della Pace)^). — Das kassettierte Tonnengewölbe musste stets mit einer Gurte abgeschlossen werden, im Barock fällt diese Gurte weg, die Kassetten bedecken das Gewölbe ganz und ungefasst (Erstes Beispiel: Sangallo, Sala Regia im Vatikan (Taf. 15), ferner Gap. Corsini von Galilei im Lateran, sonst eine der reineren Schöpfungen der Spätzeit)*). — Die Kompo- sition im grossen verfährt in der Bildung der Ecken ganz gleich. Man erinnere sich nochmals an die gotische Betonung der Kraftgheder und an die barocke Betonung der Masse. Der Campanile des Giotto in Florenz gibt an den Ecken gleichsam vorspringende Türme im kleinen, dem Stil kommt alles an auf kräftige Einfassung; die Re- naissance schliesst eine Mauerfläche mit einem blossen Pilaster (früher mit einem einzelnen, später auch mit einem gedoppelten); der beginnende Barock rückt den Pilaster von der Ecke weg und lässt die rohe Mauermasse den Abschluss bilden (Vignola, kapitolinische Hallen; Vorhalle von S. M. in Domnica [fälschlich dem Raffael zugeschrieben]; u. a.). Wenn es sich nicht um einen einzelnen Pilaster, sondern um einen Pilasterbündel handelt, so entsteht ein ganzer Haufen von Eck- linien, so dass man gar nicht leicht die eigentliche Ecke heraus erkennt (vgl. Grabmal Pauls III. von Guilelmo della Porta, S. Gregorio Magno von Soria, Fig. 12, etc.). Prinzipiell aber vermeidet es der Stil überhaupt, Eckwinkcl zu zeigen, er kennt nur Fassaden und hier bleiben die äusseren Teile so wie so unbetont (s. unten): die ganze Kraft und der ganze Reichtum wird nach der Mitte geworfen.

Eine höchst wirksame Steigerung des Motives gibt der Stil da, wo er die Füllung für den Raum zu gross bildet, die Füllung über den Rahmen herausquellen lässt. Die Komposition des Ganzen darf sich so weit natürlich nicht wagen, diese äussersten Effekte sind nur im einzelnen möglich, wo die Dissonanz auch eine Lösung finden kann.

Beispiele: die Deckenformation. Die Kassetten werden so gefüllt, dass zwischen dem Inhalt und der Umschliessung eine beständige Reibung stattfinden muss. In der Renaissance fügt sich alles wohlig ineinander, alles hat Luft und Raum, hier eine gedrängte Massen- haftigkeit, man muss fürchten, die Füllung sprenge den Rahmen. Erste Muster in den Decken des Sangallo (Pal. Farnese)'). Über die geklemmten Nischen an „ Kirchenfassaden ** vgl. unten den betreffenden Abschnitt.


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') Vasari VI. 299.

") Abbildung bei Letarouilly, T. 227.

•) Abb. bei Letarouiily, fidifices de Rome. texte S. 316. Ovale in engan- schliessende Rechtecke gezwängt.


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Die Füllung der Kuppelzwickel: die berühmten Figuren des Domenichino in S. Andrea della Valle sind für den Raum zu gross; spater lässt man ohne Bedenken den Inhalt überfluten (Innendeko- ration von Gesü in Rom).

In . S. Peter ist das allmähliche Grösserwerden der Zwickel- figuren über den Bogen des LangschifTes wohl zu beobachten, die jüngsten — ganz vom am Eingange — sind die üppigsten: es ist die gleiche Erscheinung, die sich in der statuarischen Füllung von Nischen wiederholt. Die Statue hat keinen Reiz, wenn sie nicht die Nische zu zersprengen droht.

e. Die Masse des Baukörpers im ganzen bleibt geschlossen, unge- gliedert, ohne entwickelten Grundriss.

Sie hXtxhi geschlossen. Loggien und ähnliche Formen verschwinden. Die Öffnungen werden im Verhältnis zur Mauer immer geringer. Die geschlossene Travertinwand ist das Ideal der Kirchenfassade. Und der Palastbau denkt ähnlich. Gelegentlich wurde auch schon darauf hingewiesen, dass der öffnende Bogen nicht mehr bis ans Gesims heranreicht, sondern ein Stück Mauer undurchbrochen übrig lassen muss. Es liegt etwas Unbefriedigtes in diesem Motiv.

Die Fassade bleibt ungegliedert Schon der „grosse Stil" verlangt möglichste Beschränkung in der Teilung. Er sucht I«'assadcn aus einem Stück zu geben. Doch soll die Einheit keine absolute sein; es bleiben Nebenteile, nur werden diese durchaus unselbständig ge- halten. Und eben hierin liegt die mangelhafte Durchgliederung. Die Renaissance hatte gerade ihre höchste Freude daran, das Ganze als eine harmonische Fügung einzelner, selbständiger Teile darzustellen. Sie löste z. B. gerne von der Kirchenfassade Flügelbauten ab, die im kleinen das Motiv des Hauptkörpers wiederholen sollten (Vgl. die Madonna di Campagna in Piacenza.). Im Barock ist davon keine Rede, die Nebenteile bleiben dumpf befangen in der Hauptmasse, sie sind nicht zu einem individuellen Sonderdasein durchgebildet.

Und so im Grundriss: keine Entwickelung. Der Bau bleibt eine geballte Masse. Wie sehr aber beruht gerade auf dieser Auflockerung die Heiterkeit eines Gebäudes; was wäre die Villa Rotonda des Palladio ohne ihre Vorhallen, was wäre die Famesina ohne das reizende Motiv der vortretenden Flügel, die zu vollständiger Freiheit entlassen zu sein scheinen? Der Barock entschliesst sich nie zu ähnlicher Bildung; wo er das Flügelmotiv verwendet, da löst sich der vortretende Teil nicht von der Masse los, es fehlt in den Gelenken. Vgl. die Villa Borghese (unten Taf i6) und Pal. Barberini.

Der spätere Barock kommt eher wieder zu einer freieren Bildung.


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Kap. IV.

1. Massigkeit und Bewegung sind die Prinzipien des Barockstils. Die Absicht gebt nicht auf die VoUkommenbeit des architektonischen Körpers, auf die Schönheit des , Gewächses*, wie Winckelmann sagen würde, sondern auf ein Geschehen, auf den Ausdruck einer bestimmten Bewegung in diesem Körper. Wie nun nach der einen Seite die Masse eine bedeutendere geworden ist, die Schwere zugenommen hat, so wird nach der anderen die Kraft der Formglieder gesteigert; aber nicht so, dass der Baukörper gleichmässig davon durchdrungen würde. Der Barock wirft vielmehr die ganze Kraft auf einen Punkt, bricht hier mit einem übermässigen Aufwand los, indessen die anderen Partien dumpf und unbelebt bleiben. Die Funktionen des Hebens und Tragens, die früher gleichsam als ganz selbstverständlich verrichtet wurden, ohne Hast und ohne Mühe, werden hier mit einer gewissen Gewaltsamkeit, mit leidenschaftlicher Anstrengung ausgeübt. Dabei wird die Aktion nicht einzelnen Kraftgliedern überlassen, sondern teilt sich der ganzen Masse mit, der ganze Körper wird in den Schwung der Bewegung hineingezogen.

2. Im Gegensatz zur Renaissance, die überall auf das Ruhige und Bleibende gerichtet war, tritt der Barock sogleich mit einem bestimmten Gefü hl d er Richtuttg auf. Er drängt aufwärts; und so stellt sich dem oben beobachteten Zug zum Schweren und Breiten eine Vertikalkraft entgegen, die stärker und stärker werdend, endlich die Horizontale überwindet (zweite Periode des Barockstils).

Das Motiv des Hochdratigs äussert sich zunächst im einzelnen: in der ungleichen Verteilung der Plastik. Die Fenster legen ihren ganzen Accent nach oben. Von dem klassischen Fenster der Re- naissance mit Giebel und Halbsäulen, verschwinden rasch diese letzteren, sie werden ersetzt durch blosse Konsolen, die Giebel aber deswegen nicht gemässigt, sondern im Gegenteil in schwerster ausladender Bildung gegeben, wobei auf energischen Schattenschlag als auf ein Hauptmittel der Wirkung gerechnet ist.

Es tritt dazu eine weitgehende Auflösung der Horizontale, eine Brechung der Formen, die mit vollkommener Gleichgültigkeit gegen das Recht und den Sinn der Form im einzelnen, nur dem malerischen Bewegungseindruck des Ganzen nachgeht. — An den Fenstern werden die (vertikalen) Seitenrahmen entweder nach unten über die Grund- linie des Fensters hinaus verlängert oder nach oben als Ohren fort- gesetzt; am Giebel wird die Fusslinie durchbrochen, auch der obere Winkel, bald beide miteinander u. s. w. Für Bildungen der Art darf man immer zuerst auf Michelangelo als den Urheber raten. Höchst einflussreich : die Fenster des zweiten Hofgeschosses von Pal. Farnese,


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die ihrerseits durch die Formen der Laurenziana vorbereitet sind. In bedeutsamem Gegensatz zu diesen aufgeregten Einzelformen behalten die grossen Horizontalen des Gebälks ihre Ruhe. Die Verkröpfung wird während der ganzen ersten Periode sehr massig gehandhabt und bezieht sich meist auf ganze Mauerteile. Noch bis zu Madema weiss man mit diesem Kontrast eine bedeutende Wirkung zu erzielen. Bedenklich wird die Sache erst im Verlauf des 17. Jahrhunderts, als jeder Halb- und Viertelpilaster im Gebälk sein Echo finden will, und also die Linie vollständig vernichtet wird. Dies ist denn auch die Zeit, wo das tek tonische Gefüge überall einer wilden Bewegungsgier zum Opfer fällt, wo die Giebel sich bäumen und nach aussen werfen u. s. w. Wir haben diese Entwicklung nicht zu verfolgen, obgleich ihr Beginn noch ins 16. Jahrhundert fällt.

Ein andrer Ausdruck des Hochdrangs ist die Verschnelterung der Lmienbewegufig. Hierher gehört die Bildung von hermenartigen Pijastern : die nach oben divergierenden Linien scheinen mit grösserer Hast aufzusteigen als die parallelen (Michelangelo: Treppenraum der Laurenziana, Grab Julius' IL in S. Pietro in Vincoli; dann hie und da bei Vignola). Die gewundenen Säulen gehen auf das gleiche Be- dürfnis zurück : man will die Bewegung sehen. In der monumentalen Kunst dürften die an Berninis Tabernakel (S. Peter) die ersten sein (1633)- ^^^ Theorie in den spätem Auflagen von Vignolas Regola beruft sich wenigstens auf diese ^). Für den Früh-Barock ist die Form ohne Belang. Über den Ausdruck des Hochdrangs im Kuppelbau wird im Zusammenhang der gesamten kirchlichen Architektur die Rede sein.

3. Von höchster Bedeutung wurde das neue Gefühl für die Kirchenfassade. Es bedingte zunächst eine ganz neue Art der Flächen- füllung. Fenster oder Nischen, die früher zu dem ihnen zugeteilten Raum ein durchaus ruhiges und befriedigtes Verhältnis gehabt hatten, so dass eines gerade für das andere da zu sein schien, werden nun ganz ausser Beziehung zu einander gesetzt. Die Nische mit ihrer Giebelarchitektur drängt so hoch hinauf, bis sie irgendwo anstösst. Sie füllt nicht das Pilasterintervall, das ihr angewiesen ist, in be- friedigender Weise, sondern strebt aufwärts, so weit sie kann, während unten ein grosser Raum frei bleibt. Erhöht wird der Eindruck des Hochdrangs dadurch, dass die Nischen meist auch seitlich von den eng zusammentretenden Pilastem beengt scheinen.


') Bekanntlich finden sie sich schon auf Raffaels Tapeten (nach alten Mustern). Vignola gibt (1562) die Anleitung zur Konstruktion gewundener Säulen (Regola dein cinque ordini, T. 31.)


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Es tretenjjiec Symptoni e auf , cljie^.aiiJiaJGiatikjBdnnem,_o^ sonst Gotife und Barock das AÜerentgegengesetzteste bezeichnen. Der Unterschied ist auch in diesem Falle ein wesentlicher. In der Gotik strahlen die Vertikalkräfte unbehindert aufwärts und lösen sich oben spielend auf; der Barock lässt sie erst hart zusammenstossen mit einem schweren Gesims, gibt dann aber — und dies ist das Bedeutsamste — jedesmal eine beruhigende Lösung.

In den obem Teilen finden sich Fläche und Füllung befriedigter zusammen ; die vollständige Beruhigung wird dem Innern aufbehalten und gerade dieser Kontrast zwischen der aufgeregten Sprache der Fassade und der gelassenen Ruhe des Innern gehört zu den gewaltigsten Wirkungen, die die barocke Kunst ausübt i).

Der Ursprung dieses Vertikalmotivs : die Beruhigung eines heftigen Dranges nach oben liegt bei Michelangelo. Der Vorraum der Lau- renziana zeigt es schon in vollkommen klarer Ausbildung *). Für Rom mag die Rückseite von S. Peter entscheidend gewesen sein: im gross- artigsten Sinne lässt Michelangelo die Formen nach oben immer reiner und stiller werden, die Lösung des an sich widrigen Fassaden- motivs«) liegt in der Kuppel (Taf. 7). — Man kann hier ahnen lernen, v/Jö was dieser Mann unter dem „Komponieren im Grossen* ver- stand. —

4. Die horizontale Komposition macht eine ähnliche Entwicklung durch.

In scharfem Gegensatz gegen die florentinisch-klassische Sinnes- weise, die gerade im gleichmässigen Durchstimmen ihren Stolz ge- funden hatte und sogar auf alle Pracht der Eingangstore und der Haupt- fenster an ihren Palästen verzichtete, suchte man jetzt eine Bewegung in die Komposition hineinzubringen, indem man die Effekte nach der Mitte zu steigerte.

In einfachster Form erscheint dies Prinzip als rhythmische Folge gegenüber einer bloss metrisch-regclmässigen *).


Leider hat die Dekorationswut späterer Zeiten an vielen Monumenten das Innere so umgestaltet, dass die Kontrastwirkung vernichtet ist.

  • ) Man vergleiche die analogen Teile im Ober- und im Untergeschoss. Die

lukenartige Eintiefung Ober den Hauptnischen ist z. B. unten oblong gebildet mit langen Ohren, oben quadratisch mit eingeschriebenem Kreis. Eine vollständigere Beruhigung ist nicht denkbar.

■) Die Unruhe wird hier noch dadurch vermehrt, dass die Mauerfelder abwechselnd je zwei und je drei Fenster (Nischen) übereinander enthalten; die Flächenftkllungen stimmen also auch unter sich nicht zusammen.

  • ) Die Säulenstellung, die Raffael ftlr die Petersfassade projektierte, ist be-

wegt, aber noch nicht rhythmisch.


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So ist die Anordnung der Fenster am Pal. Chigi (Giacomo della Porta); nach der Mitte zu folgen sich die Fenster in immer rascherem Tempo, ohne dass der Wechsel (des Intervalls) in irgend einer Weise tektonisch motiviert wäre. Ähnliche Gruppierung der Fenster am Pal. Sciarra-Colonna und (unregelmässig) am Pal. Ruspoli von Am- manati (Taf. 5).

Eine weitergehende Ausbildung des Prinzips zeigen die Kirchen- fassaden. Unter Giac. della Porta werden sie zu einem System über- einander geschobener Teile, wobei der plastische Ausdruck nach der Mitte zu beständig wächst; ein Fortgang von Pilastem zu Halb- und ganzen Säulen, die Anstrengung, das allmähliche Sammeln der Kraft wird so zur Anschauung gebracht, namentlich da, wo noch eine Häufung der Säulen in der Mitte eintritt. Die Eckfelder bleiben fast ganz tonlos. Der Körper ist nicht gleichmässig belebt. Vignolas Gesüprojekt (Taf. ii) bezeichnet etwa den Anfang der Bewegung nach der Mitte zu, die sich später immer deutlicher ausspricht (z. B. in S. Susanna, Taf. 12).

Die letzte Konsequenz war dann die Schwingung der ganzen Mauermasse in der Weise, dass die Fassade an den Enden sich etwas einwärts wölbt, in der Mitte dagegen eine lebhafte Bewegung nach vorn, auf den Beschauer zu erhält; es ist das die Linie, die Michel- angelo für seine berüchtigte Treppe in der Laurenziana verwandte^). (S. auch S. Maria della Pace von Pietro da Cortana, Taf. 8).

Das erste Beispiel von Schwingung im grossen gab A. da San- gallo*), aber lediglich als Einwärtswölbung: Zecca vecchia (Banco di S. Spirito)*) und Porta di S. Spirito, ferner die Vigna di Papa Giulio (Gebäude an der Flaminischen Strasse, Sansovino und Vignola). — Die bewegten Muster finden sich erst bei Borromini: S. Agnese an Piazza Navona, noch massig; dann aber in S. Carlo alle quattro Fon- tane (1667) das äusserst Mögliche*). Ferner Oratorio di S. Filippo Neri, S. Marcello al Corso und viele andere.

Durch die Schwingung der Mauer erreichte der Barock noch einen anderen Zweck: indem sämtliche Giebel, Fenster, Säulen und so fort die Beugung begleiten, entsteht für das Auge ein äusserst


^) Übrigens wollte er die Treppe von Holz, nicht von Stein.

') Penizzis Pal. Massimi alle Colonne ist kaum hierher zu rechnen, da hier offenbar die Strasse die Form vorschrieb und kein ästhetischer Grund ent- scheidend war.

') Grundriss bei Letarouilly, S. 182. Vasari versäumt nicht auf das neue Motiv aufmerksam zu machen, v. di Sangallo (V. 458): fece Antonio la facdata della zecca vecchia con bellissima grazia in quello angolo girato in tondo, che h tenuto cosa difficile $ miraculosa,

  • ) Geschwungene Palastfassaden kennt Rom nicht; anderorts kommen sie

wohl vor.


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lebhafter Bewegungseindruck. Es sieht gleichartige Formen gleich- zeitig unter verschiedenem Winkel Die Wirkung ist die, dass z. B. Säulen, die nach verschiedenen Axen orientiert sind, sich beständig zu wenden und zu drehen scheinen. Man glaubt, ein wilder Taumel habe plötzlich alle Glieder ergriffen. Das sind die Künste des Borromini. Mit dem aber verliert auch der Stil seinen ursprünglichen Cha- rakter des Massig-Ernsten; man kann die leeren Mauern nicht mehr ertragen, alles löst sich auf in Dekoration und Bewegung.

5. Der Barock gibt nirgends das Fertige und Befriedigte, nicht die Ruhe des Seins, sondern die Unruhe des Werdens, die Spannung eines veränderlichen Zustandes. Es resultiert hieraus in anderer Art wiederum ein Bewegungseindruck.

Dahin gehört das Motiv der Spannung in den Proportionen.

Der Kreis z. B. ist eine durchaus ruhige, unveränderliche Form, das Oval ist unruhig, scheint jeden Augenblick anders werden zu wollen. Es fehlt ihm die Notwendigkeit. Der Barock sucht prinzipiell diese ^freien* Proportionen auf. Das Abgeschlossene, Fertige ist seinem Wesen zuwider.

Er gebraucht das Oval nicht nur für Medaillons und Ähn- liches, sondern auch als Grundrissform für Säle, Höfe, Kirchen. Früh erscheint es im Zusammenhang mit einer aufgeregten Beweg- lichkeit bei Correggio (1515)^); zu einer Zeit, als in Rom noch niemand daran dachte, weder in der Malerei*), noch gar in der Architektur. Michelangelo scheint der Vermittler zu sein: ovales Postament der Reiterstatue des Marc Aurel auf dem Kapitol (1538)*). — Bei Vignola das Ovol mehrfach: Medaillons im Hofe von Caprarola, ovale Treppenanlage im Pal. di Firenze u. s. w. — Ovales Teatro im Hofe der Sapienza als Umbildung des halbrunden aus dem bel- vederischen Hofe (G. della Porta). — In den Kirchenfassaden verschwin- det das kreisrunde Oberfenster der Renaissance vollständig. — Elliptische Raumgestaltung zuerst bei Serlio, in der Theorie*); die


  • ) Vgl. das Jugendbild der Madonna mit dem hl. Franz (Dresden): ovales

Medaillon mit Blattkranz. /i^^ i^^i^vt> f^^H'^ ^ /J

") Die sonst schon recht malerische Mad. di Foligno Raffaels zeigt noch die reine Rundung der Glorie. (Vgl. Rumohr, a. a. O. III. 118.)

") Den Rossen vorn an der Treppcnniündung gab Giac. della Porta wieder geradlinigen Sockel (1583): der Marc Aurel nimmt offenbar Bezug auf den schon damals oval gedachten Platz.

  • ) Serlio, Arch. Hb. V. fol. 204. Noch früher ein Projekt Peruzzis für die

Kirche von S. Giacomo degli Incurabili. Handzeichnungssamml. d. Uffizien N. 577. (Publiziert von Redtenbacher, Handzeichnungen Peruzzis der Galerie der Uffizien in Florenz. Karlsruhe 1875. Taf. VIII, Fig. i.)


praktische Durchführung folgt bald darauf: Vignola, S. Andrea und S. Anna dei Palafrenieri (s. unten: Kirchen, Fig. 9).

Gleicherweise weicht das Quadrat dem Oblongum. Dabei ist zu bemerken, dass das Oblongum (und die Ellipse) vom goldenen Schnitt den anderen Proportionen gegenüber, die schlanker oder ge- drückter sind, einen stabilen Charakter hat. Der Barock geht diesem Verhältnisse darum aus dem Wege, während die Renaissance ihm im Gegenteil durchaus huldigte.

Den monumentalsten Ausdruck gibt sich der neue Geist, indem er im Kirchenbau das Zentralsystem dem Langhaussystem opfert. —

Eine Steigerung dieses Prinzips der Spannung liegt da vor, wo das Verletzend-unbefriedigte gegeben wird. Wir haben Fälle der Art schon erwähnt: wenn der Stil die Säule in der Mauer stecken lässt oder die Masse über den Rahmen herauszuquellen droht oder an Fassaden die einzelnen Felder eine dissonierende Füllung zeigen (s. oben S. 43, Anm. 3), so resultiert jedesmal ein Bewegungs- eindruck. -—

6. Wie der Barock hier seine Absicht erreicht, indem er das Regellose und scheinbar Unfertige gibt, das sich noch nicht zurecht- gesetzt, noch keine bleibende Form gewonnen hat, so weiss er im gleichen Sinne das „malerische* Motiv der Deckung, der Unfassbar* keit, sich zu Nutze zu machen. ' -— - -

Hier ist nochmals zu nennen: die Form des Pilasterbündels, die die Phantasie beständig reizt, den Halbpilaster „auszudenken". Das strenge architektonische Gefühl verlangt lauter ganze und klare Formen, die eben darum ruhig sind. Wo immer dagegen etwas übereinander geschoben ist, ist ein Untassbares und damit ein Be- wegungsreiz gegeben.

Tritt nun zu der teilweisen Deckung eine verwickelte Kamposition, und eine bis stum Unüberschaubaren gesteuerte FüUe der Formen und Motive, wo das Einzelne, so gross es gebildet ist, seine Bedeutung in dem Masseneffekt vollständig verliert, so sind die Elemente vorhanden zu dem Eindruck jenes rauschenden und berauschenden Reichtums, wie er dem Barock eigentümlich ist.

Ich nenne als Beispiel die Deckenkomposition der Galeria Farnese, das Werk der Caracci. Sie ist unter dem Einfluss der Sixtinischen Decke entstanden. Aber welch' ein Unterschied! Die einfache, klare, architektonische Disposition Michelangelos ist der Absicht auf unergründlichen Reichtum zum Opfer gefallen. Die Anlage des Ganzen ist sehr schwer zu erkennen; das Auge bleibt angesichts des Unfassbaren immer in einer gewissen Unruhe; Bild ist über Bild geschoben, man glaubt in's Endlose nur immer eines



TAI-. 8


S. MARIA DELLA FACE


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wegrücken zu können, um zu einem Neuen zu gelangen; an den Eckwinkeln eröffnet sich ein Ausblick in die Unendlichkeit des leeren Raumes.

Die gleichen Grundsätze beherrschen die Prunkfassaden von S. Peter und seinen Nachbildern. Bei der Fülle über- und durch- einander geschobener Motive weiss man fast nicht mehr, wo eigent- lich die wirkliche raumabschliessende Mauer sei (Taf. 8).

7. Und eben diese Abneigung gegen das Bestimmt-begrenzte ist vielleicht der tiefste Zug im Charakter dieses Stiles.

In jeiner höchsten Leistung, in den Innenräumen der Kirchen tritt ein ganz neues, auf das Unendliche gerichtetes Raumgefühl in die Kirnst ein: die Form löst sich auf, um das Malerische im höchsten Sinne, den Zauber des Lichtes, einzulassen. Die Absicht geht nicht mehr auf eine bestimmte kubische Proportion, auf ein wohltätiges Verhältnis von Höhe, Breite und Tiefe eines bestimmten, geschlossenen Raumes: der malerische Stil denkt zuerst an den Beleuchtungseffekt. Die Unergründlichkeit einer dunklen Tiefe, die Magie des Lichtes, das von oben aus den unsichtbaren Höhen der Kuppel sich ergiesst, der Übergang vom Dunkeln zum Hellen und Helleren, das sind die Mittel, mit denen er wirkt.

Der Raum, den die Renaissance gleichmässig hell hielt und nicht anders denn als einen tektonisch geschlossenen sich vorstellen konnte, scheint hier im Unbegrenzten sich zu verlaufen. Man denkt gar nicht an die äussere Gestalt: nach allen Seiten wird der Blick ins Unendliche geleitet. Der Chorabschluss verschwindet in dem Goldgeflimmer des aufgetürmten Hochaltars, im Glanz der „splendori celesti" — wie der Ausdruck lautet - , seitlich lassen die dunklen Kapellen nichts Bestimmtes erkennen, zu Häupten aber, wo einst eine flache Decke ruhig den Raum geschlossen hatte, wölbt sich eine ungeheure Tonne, oder nein! sie ist ja offen: Wolken fluten hernieder, Engelscharen, Himmelsglanz — in unermesslichen Räumen verliert sich Blick und Gedanke.

Ich darf nicht verschweigen, dass diese Wirkungen einer alles vermögenden Dekoration erst der spätem Zeit des Barock ange- hören. Immerhin tritt aber der bedeutsame Zug der neueren Kunst, das formlose Schwelgen in Raum und Licht, von Anfang an mit aller Entschiedenheit hervor.

Der Gegensatz zur Renaissance ist natürlich nur ein relativer: die frühere Zeit hat sich dem Reiz der Lichtwirkungen wohl nicht gänzlich entziehen können. Doch sind wir jedenfalls geneigt, die Dinge malerischer aufzufassen als die Zeitgenossen, mehr malerische Absicht hineinzusehen, als wirklich darin liegt. Man muss als


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prinzipiellen Gesichtspunkt festhalten, dass ein Sinn für Effekte der Beleuchtung nicht vorhanden sein kann, so lange die Malerei keinen derartigen Geschmack zeigt.

8. Schluss. Das System der ProporitonalitäL Die Renaissance hatte schon frühe ein klares Bewusstsein darüber ausgebildet, dass d as Ze ichen des Vollkommenen in der Kunst der Charakter der Notwendigkeit sei; das Vollkommene muss den Eindruck geben, als könnte es gar nicht anders sein, als würde jede Änderung oder Umstellung auch nur des kleinsten Teiles Sinn und Schönheit des Ganzen zerstören. Es ist sehr bedeutsam und für den Beruf der italienischen Kunst zur Klassizität vielleicht bezeichnender als irgend etwas anderes, dass dieses Ge- setz (wenn man so sagen darf) schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts erkannt und ausgesprochen wurde. Das Ver- dienst gebührt dem grossen Leon Battista Alberti. Die klassische Stelle

im sechsten Buche seiner Schrift De re

aedificatoria ^) lautet:

,yNos tamen sie deffiniemus: ut sit pulchritudo certa cum ratione concinnitas universarum partium in eo cujus sint: ita ut addi aut diminui aut immutari possit nihil quin improbabilius reddat. Magnum hoc et divinum etc."

Alberti spricht hier wie ein Prophet. Die das Gesetz erfüllten — ein halbes Jahrhundert später — , waren Raffael und Bramante.

Fragt man, wie die Architektur diesen Eindruck der Notwendig- keit erreiche, so ist zu antworten, dass er fast ausschliesslich abhängt von der Harmonie der Proportionen. Die mannigfachen Proportionen



Fig. 7. Cancelleria. Oberstes Geschoss des EckflQgels.


^) 145a zeigte Alberti das Manuskript dem Papste Nikolaus V. — Erste Ausgabe: Florenz 1485.


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. des Ganzen und der Teile müssen sich ausweisen als bedingt von einer allen zu gründe liegenden Einheit; keine darf zufällig scheinen, sondern jede muss aus der andern sich ergeben mit Notwendigkeit, als die allein natürliche, allein denkbare.

Man spricht in solchen Fällen von dem Eindruck des Organischen. Mit Recht; denn das Geheimnis liegt eben darin, dass die Kunst arbeitet wie die Natur, in dem Einzelnen stets das Bild des Ganzen wiederholt.

Ich gebe ein Beispiel : das oberste Flügelgeschoss der Cancelleria des Bramante (Fig. 7). — Zu dem Hauptfenster ist proportional das obere kleine Fenster und beide wiederholen nur die Proportion des Pilastcrintcrvalls , das ihnen als Raum angewiesen ist. Nicht genug, die Fläche der gesamten Ordnung ist nach dem gleichen Verhältnis bestimmt, nur in umgekehrtem Sinne (b : h = H : B): die Diagonalen stehen senkrecht aufeinander. Hierdurch ist nun schon für die Eckfelder die Proportion gegeben, allein sie haben noch einen höhern Sinn: sie wiederholen im kleinen die Form des ganzen (dreigeschossigen) Flügels (ausschliesslich natürlich von Sockel und Kranzgesims)*). Man staunt über diese Harmonie, die das Einzelne und Ganze verbindet. Sie erstreckt sich noch viel weiter, kein Kleinstes ist in seiner Form zufällig, sondern alles bedingt von der einmal angenommenen Grundproportion. Und diese allein wäre will- kürlich gewählt und ohne Notwendigkeit? Nein, sie ist hier bestimmt durch das Verhältnis des goldnen Schnittes, ein Verhältnis, das wir als „reines", mit andern Worten als ein unbedingt wohlgefälliges und darum natürliches empfinden.

Was wir Proportionalität nennen, nennt Alberti finitio\ Er definiert sie als „correspondentia quaedam linearum inter se, quibus quantitates (der Länge, Breite und Tiefe) dimetiantur" , was aller- dings wenig besagt. Dagegen ist es wahrscheinlich, dass Alberti bei den Worten des VI. Buches: „omnia ad certos angulos paribus lineis adaequanda" dem Sinne nach mit unsrer Theorie zusammen- triffl. Die „finitio" ist ein Moment des höchsten Begriffes, der ffioncinnitasl" . Im wesentlichen geht aber beides ziemlich ineinander auf. Alberti ist wenigstens genötigt, beiderseits gleiche Worte zu gebrauchen. Gemeint ist eben das durchaus Harmonische. Die „concinnitas" bewirkt, dass die verschiedenen Teile „mutuo ad


  • ) Diese Art der Proportionalität hat zuerst August Thiersch behandelt und

namentlich an antiken Denkmälern aufs erstaunlichste nachgewiesen. Seine höchst wertvolle Abhandlung findet sich im Handbuch der Architektur, herausgegeben von Durtn u. a. IV. i. Die Theorie wäre nur noch zu ergänzen durch das Prinzip der umgekehrten Proportionalität. Ich hoffe in anderem Zusammenhange darauf zurückzukommen.

  • ) Die Stellen hierüber im IX. Buch.

IVolfflm, RenftisMinoe und Barock. 4


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speciem correspondeant". Anderswo heisst sie ,/:onsen5Us ei conspiratio partiuntf*; und wenn er von einer schönen Fassade ab einer ,;musicc^' spricht, an der man keinen Ton ändern dOrfte, so meint er auch nichts anderes als das Notwendige oder, wenn man will, das Organische in der FormfQgung^).

Der Bgrock hat keinen Sinn für diese Begriffe. Er kann es nicht haben. Was seine Kunst zum Ausdruck bringen will, ist nicht das vollendete Sein, sondern ein Werden, eine Bewegung. Darum wird das Förmgefbge gelockert. Der Barock wagt es, unreine Proportionen zu geben und den Zusammenklang der Formen dissonierend zu machen.

Begreiflicherweise ist eine allgemeine Dissonanz nicht möglich, solange Oberhaupt noch ein ästhetischer Eindruck erzielt werden soll. Aber die mit einander verwandten Proportionen werden seltener und fallen nicht leicht ins Auge. Es scheint, die einfachen Harmonien des Bramantischen Stils seien trivial geworden, man sucht entferntere Bezüge, künstlichere Obergänge, die dem ungeübten Auge leicht als absolute Formlosigkeit erscheinen. Dabei ist vor allem zu bedenken, welche Folgen die Vervielfachung der Pilaster, die Verwischung der bestimmten Grenzen, kurz die Vernichtung aller klar geschlossenen Einzelteile hatte. An Giacomo delia Portas Fassade desGesü (Fig. ii) istz. B., wie zu erwarten steht, das Rechteck des Hauptportals, das der Segmentgiebel bedeckt (Pilaster einschliess- lich von Sockel und Gesims) genau proportional dem Rechteck des gesamten Mittelkörpers der Fassade, den der grosse Giebel deckt (ausschliesslich des Sockels der untern Pilaster), aber die Beziehung wird unklar dadurch, dass in den Segmentgiebel mit seinen Pilastern ein Dreieckgiebel mit Säulen eingestellt ist, der sich eben durch diese Säulen den Pilastern gegenüber als der wichtigere präsentiert und so die Aufmerksamkeit von dem andern ablenkt. Solche Fälle wieder- holen sich mehrfach in der Fassade. — Die Analogie zu gewissen Reizmitteln einer entwickelten musikalischen Komposition ist augen- fällig. Ich brauche sie nicht näher zu beleuchten.

Allein das Bedeutsame ist nicht diese Erschwerung in der Perzeption der harmonischen Verhältnisse, sondern die absichtlich gesuchte Dissonanz. Der Barock gibt Nischen, die geklemmt sind, Fenster, die nicht zum Raum passen, Gemälde, die für die zuge- messene Wandfläche viel zu gross sind>), kurz Teile, die gleichsam

Die ganze Darstellung bei Albcrti ist unabhängig von Viiruv, der „pro* portio" definiert als „ratae partis membrorum in omni opere totiusque commodutatio" (De architectura lib. III, I, i).

') Vergleiche das schreiende Missverhältnis an den Schmalwdnden der Galeria Famese: die Wand kann diese Gemälde nicht verdauen.


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aus einer andern Tonart gehen, nach einer andern Skala von Pro- portionen gestimmt sind. Der künstlerische Reiz besteht dann in der Auflösung der Dissonanzen. Nach oben zu setzen sich die wider- sprechenden Elemente auseinander, aus dem Dissonierenden arbeitet sich eine Harmonie von reinen Verhältnissen heraus.

Man geht sogar weiter dahin, äussere und innere Räume in einen derartigen Kontrast zu setzen. Vgl. Laurenziana (Florenz) : Treppen- raum und Langsaal; Pal. Farnese (Rom): Vestibül und Hof u. a.

Die Architektur wird dramatisch, das Kunstwerk setzt sich nicht zusammen aus einer Reihe von geschlossenen Einzel-Schönheiten, die in sich selbst ruhen, sondern erst im Ganzen gewinnt das Einzelne Wert und Bedeutung, erst im Ganzen wird ein befriedigender Ab- schluss, eine Begrenzung gegeben.

Die Kunst der Renaissance strebte nach dem Vollkommenen und Vollendeten, „was der Natur nur in seltenen Fällen hervorzu- bringen möglich sei". Der Barock wirkt durch das Aufregende der Formlosigkeit, die erst überwunden werden muss.

Die „concinnitas" des Alberti ist im letzten Grunde wesenseins mit dem Geiste der schaffenden Natur*), der höchsten Künstlerin*). Die menschliche Kunst will sich nur einreihen in den Zusammenhang der Naturgebilde und damit in jene allgemeine Harmonie der Dinge, die bei Alberti wiederholt einen begeisterten Ausdruck findet. Die Natur gleicht sich in allen Teilen. „Certissimum est naturam in Om- nibus sui esse pcrsimilcm."

Ich glaube, man sieht hier in die Tiefe des Kunstgeistes der Renaissance. Zugleich möchte von hier aus der barocke Stilwandel seinem Wesen nach am klarsten erkannt werden.


  • ) Lib. IX: Quae si satis constant, statuisse sie possumus pulchritudinem

esse quendam consensum et conspirationem partium in eo cujus sunt ad certum numerum finitionem collocationemque habitam ita ut cancinnitas hoc et absoiuia primariaque ratio naturoi postularit.

  • ) Optima artifez. Lib. IX.


Zweiter Abschnitt

Die Gründe der Stilwandlung


I. Wo liegen die Wurzeln des Barockstils? Angesichts dieser gewaltigen Erscheinung, die sich darstellt wie eine Naturmacht, un- widerstehlich, alles vor sich niederwerfend, fragt man erstaunt nach Ursache und Grund. Warum hat die Renaissance aufgehört? Warum folgt eben dieser Barockstil?

Die Wandlung erscheint als eine durchaus notwendige: ferne bleibt jeder Gedanke, als hätte die Willkür eines Einzelnen, die sich einmal im Niedagewesenen befriedigen wollte, dem Stil seinen Ursprung gegeben. Wir haben es nicht mit Experimenten einzelner Architekten zu tun , von denen der eine es auf diese , der andere auf jene Art probierte, sondern mit einem Stil, dessen wesentlichstes Merkmal die Allgemeinheit des Formgefühles ist. Von vielen Punkten aus sehen wir die Bewegung entstehen; hier und dort wandelt sich das Alte, die Veränderung greift um sich und schliesslich kann nichts mehr dem Strome widerstehen : der neue Stil ist geworden. Warum musste es so kommen? iU-

Man kann mit dem Hinweis auf das Gesetz der Abstumpfutig antworten und diese Antwort ist in der Tat oft gegeben worden. Die Formen der Renaissance haben ihren Reiz verloren, das Zu-oft- gesehene wirkt nicht mehr, das erschlaffte Formgefühl verlangt nach einer Verstärkung des Eindruckes. Die Architektur gibt diese Ver- stärkung und wird damit barock.

Dieser Theorie der Abstumpfung stellt sich eine andere ent- gegen, die in der Stilgeschichte ein Abbild der Veränderungen im menschlichen Dasein erblicken will. I Der Stil ist für sie Ausdruck seiner Zeit, er ändert sich, wenn

die Empfindungen der Menschen sich ändern. Die Renaissance musste absterben, weil sie den Pulsschlag der Zeit nicht mehr wiedergab, nicht mehr das aussprach, was die Zeit bewegte, was als das Wesent- lichste empfunden wurde.


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Für die erstere Auffassung ergibt sich eine vom Zeitinhalt voll- ständig unabhängige Formenentwickelung. Der Fortgang vom Harten zum Weichen, vom Geraden zum Rundlichen ist ein Prozess rein mechanischer Natur (man gestatte den Ausdruck): dem Künstler erweichen sich die scharfen und eckigen Formen unter den Händen, gleichsam von selbst. Der Stil wickelt sich ab, lebt sich aus oder wie man immer sagen will. Das Bild vom Aufblühen und Welken einer Pflanze stellt sich dieser Theorie vorzugsweise b\s leitender Gesichtspunkt ein. So wenig die Blume ewig blühen kann, sondern das Welken unaufhaltsam herankommt, so wenig konnte die Renais* sance immer sich selbst gleich bleiben: sie welkt, sie verliert ihre Form und diesen Zustand nennen wir Barock. Der Boden ist nicht schuld, dass die Pflanze abstirbt, sie trägt ihre Lebensgesetze in sich selbst Und so der Stil : die Notwendigkeit des Wandels kommt ihm nicht von aussen, sondern von innen: das Formgefühl wickelt sich ab nach eigenen Gesetzen.

2. Was ist zu dieser Betrachtungsweise zu sagen? — Die Tatsache, die sie voraussetzt, ist richtig: gegen einen zu oft wiederholten, gleichen Reiz stumpft sich das perzipierende Organ ab, d. h. das Miterleben des Gebotenen wird immer weniger intensiv; die Formen verlieren ihre Eindrucksfähigkeit, weil sie nicht mehr mitgefühlt, mit- erlebt werden; sie nutzen sich ab, werden ausdruckslos.

Diese Abnahme in der Intensität des Nachfühlens kann man wohl eine „Ermüdung des Formgefühls"*) nennen. Ob „das Schärfer- werden des Gedächtnisbildes" an dieser Ermüdung allein Schuld sei, wie Göller will, möchte ich bezweifeln; jedenfalls aber scheint es verständlich, dass sie zu einer Steigerung der wirksamen Momente nötigt

Was gewinnen wir aber hieraus für die Erklärung des Barock- stiles? — Wenig.

Es fehlt auf zwei Punkten. Fürs erste ist das Prinzip einseitig. Es betrachtet den Menschen nicht nach seiner ganzen Lebendigkeit und Wirklichkeit, sondern nur als formfühlendes Wesen, geniessend, müde werdend, nach neuem Reiz verlangend. Und doch ist nirgends in der menschlichen Natur ein Tun oder Leiden denkbar, das nicht bedingt wäre durch unser allgemeines Lebensgefühl, durch das, was wir sind, nach unserer gesamten Wirklichkeit. Wenn der Barock hie und da zu unerhört starken Ausdrucksmitteln greift, so ist daran viel weniger die Ermüdung des Formgefühls, als eine allgemeine Abstumpfung der Nerven schuld. Die Architektur musste das, was


^) GolUr, Zur Ästhetik der Architektur, 1887, und Entstehung der archi- tektonischen Stilformen, 1888.


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sie zu sagen hatte, mit jener Derbheit vortragen, nicht weil man an den Formen des Bramante sich stumpf gesehen, sondern weil der Zeit überhaupt die Feinfühligkeit verloren gegangen war, weil sie durch raffinierten Lebensgenuss, durch das Schwelgen in Zuständen des äussersten Affekts für leisere Reize unempfänglich geworden war^). — Dann aber, wie kann die Abstumpfung überhaupt stilbildend wirken? Was ist denn diese Steigerung der wirksamen Momente, die sie verlangt? Man kann das Bewegte bewegter, das Grosse grösser, das Schlanke schlanker machen, die Teile immer künstlicher kombinieren — etwas wirklich Neues wird dadurch nie entstehen. Die Gotik kann immer schlanker und schärfer bis zum übertriebensten Ausdruck gebildet werden, es kann das komplizierteste System der Proportionen, die allerkünstlichste Kombination von Formen zur An- wendung kommen, wie ein neuer Stil sich entwickeln soll, bleibt unersichtlich >).

Der Barock ist aber ein wesentlich Neues, das sich aus dem Vorhergehenden nicht ableiten lässt. Die einzelnen Motive der „Ab- stunapfung", wie eben z. B. das schwerer fassbare System der Pro- portionalität, machen das IVesen des Stils nicht aus. Warum wird die Kunst schwer und massig, warum nicht leicht und spielend? Hier muss notwendig eine andere Betrachtungsweise Aufschluss geben, die Theorie der Abstumpfung ist nicht zureichend.

Der Standpunkt, den neuerdings der Architekt Prof. Göller vertritt, erscheint mir ganz unhaltbar. Göller erkennt in der ,,Er- müdung des Formgefühles** allein ^die treibende Kraft, der wir den Fortschritt seit den primitiven Schmuckformen der ältesten Völker verdanken« (Ästhetik der Architektur S. 32). Der Grund der Er- müdung liege „in dem Schärferwerden des Gedächtnisbildes« (S. 23) und da nun „die geistige Arbeit, die wir im Gestalten des Gedächtnis- bildes einer schönen Form leisten, die unbewusste seelische Freude ^n dieser Form« sein soll (S. 16), so ist allerdings für diese Theorie sehr klar, dass eine beständige Veränderung nötig ist: sobald wir

|) Auch scheint es mir irreilQhrend zu sein, wenn Göller als Analogon anfahrt, dass eine Melodie, zu oft wiederholt, sich ausspiele. Die Tatsache ist ja richtig, aber ein architektonischer Stil lässt sich nicht so ohne weiteres mit einer Melodie zusammenstellen, sondern doch auch nur wieder mit einem musikalischen Stil, der innerhalb seines Bezirkes unendlich viele Bildungen zulasst

•) Die einzige Lösung — die aber kaum jemand versuchen möchte — läge darin, den neuen Stil als notwendige Reaktion gegen den alten zu erklären. Man käme damit in H egelsch er Weise zu einer Entwicklung, wo der Gegensatz das treibende Moment ist Allein die Kunstgeschichte möchte dieser Konstruktion sich kaum fügen und den Tatsachen mOsste in ähnlicher Art Gewalt geschehen, wie damals, als die Geschichte der Philosophie aus den Beziehungen der Begriffe zueinander im abstrakten Denken begreiflich gemacht werden sollte.


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die Formen auswendig können, hat jeglicher Reiz aufgehört. Die Aufgabe der Architekten besteht nun eben darin, in der Gruppierung der Massen, in der Bildung und Kombination der Einzelformen immer etwas Neues zu ersinnen. Wie entsteht aber ein gleichmässiges Form- gefQhl, ein Stil? Warum probierte es z. B. am Ende der Renaissance nicht jeder mit etwas anderem? Weil nur das Eine gefiel. Aber warum gefiel nur das Eine?

3. Die andere Betrac htungsweise, die das Formgefühl des Barock erklären soll, ist die psycHoIogische. Sie fasst den architektonischen Stil als Ausdruck seiner "Zelt; der Gesichtspunkt ist nicht neu, aber niemals systematisch begründet worden. Von Seiten der Techniker hat er von jeher Anfeindung erfahren und allerdings nicht immer mit Unrecht. Man findet recht viel Lächerliches in den sogenannten kulturhistorischen Einleitungen, die jeweilen einem Stil in den Hand- büchern vorausgeschickt zu werden pflegen. Sie fassen den Inhalt grosser Zeiträume unter sehr allgemeinen Begriffen zusammen, die dann ein Bild der öffentlichen und privaten Zustände, des intellektuellen und gemütlichen Lebens geben sollen. Gewinnt das Ganze dadurch schon einen blassen Charakter, so fühlt man sich vollends verlassen, wenn man nach den vermittelnden Fäden sucht, die diese allgemeinen Tatsachen mit der fraglichen Stilform verbinden sollen. Man bekommt keinen Einblick in die Beziehungen, die zwischen der Phantasie des Künstlers und diesen Zeit Verhältnissen bestehen. Was hat die Gotik •V , fh mit der Feudalität oder der Scholastik zu tun? Welche Brücke leitet ./,, /V^. vom Jesuitismus zum Barockstil hinüber? Kann man sich befriedigen . , . bei der Vergleichung der hier und dort bemerkbaren Richtung , die ; . um die Mittel unbekümmert nur auf das grosse Ziel hinstrebt? Kann ^/, es für die ästhetische Phantasie von Bedeutime gewesen sein, dass //... der Jesuitismus seinen Geist dem Einzelnen aiifzwingTund das Recht /,,,../., des Individuums der Idee des Ganzen opfert? /^^ ^/^

Bevor man in solchen Vergleichen sich ergeht, sollte man sichy/.v^' doch immer fragen: was sich tektonisch überhaupt ausdrücken lasse und was für die Formphantasie bestimmend sein könne ^).

Ich darf hier in keine systematische Auseinandersetzung mich einlassen 3), einige Andeutungen müssen genügen.

Was ist für die Formphantasie des Künstlers das Bestimmende? Man sägt: Das, was den Inhalt der Zeit ausmacht. Für die gotischen Jahrhunderte nennt man den Feudalismus, die Scholastik, den Spiri-


') Vgl. die treffenden Bemerkungen bei Springer^ Bilder zur neueren Kunst- gesch. IL Aufl. II, 400.

') Vorläufig habe ich darüber gehandelt in meiner Dissertation : Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur. München 1886 (als Manuskript gedruckt).


tualismus u. s, w. Aber welches soll der Weg sein, der von der Zelle des scholastischen Philosophen in die Bauhütte des x\rchitekten führt? Es ist in der Tat sehr wenig gesagt mit der Aufzählung derartiger Kulturpotenzen, wenn man auch mit anerkennenswerter Feinheit nachträglich einige Ähnlichkeiten mit dem Stil der Zeit herausfindet. Nicht auf die einzelnen Produkte, sondern auf das Allgemeine kommt es an, auf die Grundstimmung der Zeit, die diese Produkte hervorbringt. Diese Grundstimmung aber kann nicht ein bestimmter Gedanke sein oder ein System von Sätzen, sonst wäre sie gar keine Stimmung. Gedanken lassen sich nur aussprechen, Stimmungen können auch einen tektonischen Ausdruck gewinnen, wenigstens bringt uns jeder Stil eine Stimmung in mehr oder weniger bestimmter Weise entgegen. Es fragt sich, welcher Art das Aus- drucksvermögen der Stilformen sei.

Die Antwort muss ausgehen von einer bekannten und leicht kontrollierbaren psychologischen Tatsache. Jeden Gegenstand beur- teilen wir nach Analogie unseres Körpers. Nicht nur verwandelt er sich für uns — auch bei ganz unähnlichen Formen — sofort in ein Wesen, das Kopf und Fuss, Vorder- und Hinterseite hat; nicht nur sind wir überzeugt, es könne ihm nicht wohl zu Mute sein, wenn er schief dasteht und zu fallen droht, sondern mit einer unglaublichen Feinfühligkeit empfinden wir auch die Lust und Unlust im Dasein ' jeder beliebigen Konfiguration, jedes uns noch so fernstehenden Ge- bildes. Das dumpf befangene Leben des Klumpiggeballten, das keine freien Organe besitzt und schwer und unbeweglich daliegt, ist uns so verständlich wie der helle feine Sinn dessen, was zart und leicht gegliedert ist.

Überall legen wir ein körperliches Dasein unter, das dem unsrigen konform ist; nach den Ausdrucksprinzipien, die wir von unserm Körper her kennen, deuten wir die gesamte Aussenwelt. Was wir an uns als Ausdruck kraftvollen Ernstes, strammen Sich-Zusammen- nehmens oder als haltloses, schweres Daliegen erfahren haben, über- tragen wir auf alles andere Körperliche i).

Und die Architektu r sollte an dieser unbewussten Beseelung nicht Teil haben?

1 Im allerhöchsten Maasse hat sie daran Teil. Und nun ist klar,

I dass s ie als Kunst körperlicherMassen nur au^^^ als

/ körperltcKes Wesen Bezug nehmen kann. Sie ist Ausdruck einer ("Zeit, insofern sie das körperliche Dasein der "Menschen, 'ihre bestimmte

  • ) Vgl. Lotze, Geschichte der Ästhetik in Deutschland. i868 a. v. O. - Lotze,

Mikrokosmos III. Aufl. II, 198 ff. — R. Vischtr, das optische FormengefQhl. 1872. — Volkelt, der Symbolbegriff in der neuern Ästhetik. 1876.


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Art sich zu tragen und zu bewegen, die spielend-leichte oder gravi- tätisch-ernste Haltung, das aufgeregte oder das ruhige Sein, mit einem Wort, das Lebensgefühl einer Epoche in ihren monumentalen Körper- verhältnissen zur Erscheinung bringt. Als.JCunst., aber wird die Architektur dieses Lebensgefühl ideal erhöhen, sie„wird das zu geben suchen, was der Mensch sein möchte.

Selbstverständlich .kann ein. Stil nur da entstehen, wo ein starkes Gefühl lebendig ist für eine bestimmte Art körperlichen Daseins. Unserer Zeit fehlt dieses Gefühl gänzlich. Dagegen lässt sich z. B. eine gotische Haltung denken: die Bewegungen präzis, scharf, aufs Exakteste zugespitzt, nirgends ein Gehenlassen, nichts Schwammiges, überall Spannung, überall bestimmter Ausdruck eines Willens. Der Nasenrücken wird fein und schmal. Alle Masse, alle ruhige Breite schwindet ; der Körper ist ganz aufgelöst in Nerv. Die Figuren, hoch aufgeschossen und schlank, scheinen den Boden gleichsam nur tippend zu berühren. Im Gegensatz zur Gotik entwickelt dann die Renaissance den Ausdruck jenes wohligen Daseins, das Harte und Starre wird frei und gelöst, ruhige Kraft der Bewegung, kräftige Ruhe des Bleibens.

Den nächsten Ausdruck findet die Art, wie man sich halten und bewegen will, im Kostüm.

Man vergleiche etwa den Schuh der Gotik mit dem der Re- naissance. Es ist ein ganz anderes Gefühl des Auftretens: dort schmal, spitz, in langem Schnabel auslaufend, hier breit, bequem, mit ruhiger Sicherheit am Boden haftend u. s. w. ^^ ^,,

Eine technische Entstehung einzelner Formen zu leugnen, liegt /. ' mir natürlich durchaus fern. Die Natur des Materials, die Art seiner ^ '^ Bearbeitung, die Konstruktion werden nie ohne Einfluss sein. Was ^'/\/'

ich aber aufrechterhalten möchte — namentlich gegenüber einigen ^'-^

neueren Bestrebungen — ist das, dass die Technik niemals einen Stil schafft, sondern wo man von Kunst spricht, dnjbestimmtes Formgefühl immer das Primäre ist. Die technisch erzeugten Formen dürfen diesem Formgefühl nicht widersprechen; sie können nur da Bestand haben, wo sie sich dem Formgeschmack, der schon da ist, fügen.

Weiterhin ist es aber auch nicht meine Meinung, dass der Stil während seines Verlaufes stets der gleichmässig reine Ausdruck seiner Zeit sei. Ich denke dabei nicht an die aufsteigende Geschichte, wo der Stil noch mit dem Ausdruck ringt und stufenweise lernen muss, das, was er sagen will, deutlich und bestimmt zu sagen, ich habe vielmehr jene Perioden im Auge, wo ein fertig ausgebildetes Formsystem von einem Geschlecht an das andere übergeht, wo die innere Beziehung aufhört, wo der Stil, erstarrt und unverstanden fortgebraucht, immer mehr zum leblosen Schema wird. Den Puls-




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schlag des VolksgemQts muss man dann anderswo beobachten: nicht in den grossen, schwerbeweglichen Formen der Baukunst, sondern in den kleineren dekorativen Künsten.

Hier befriedigt sich das FormgefQhl ungehemmt und unmittelbar und hier wird man dann auch die Spuren einer Erneuerung des Stils vermutlich immer zuerst entdecken*).

4. Einen Stil erklären kann nichts anderes heissen als ihn nach seinem Ausdruck in die allgemeine Zeitgeschichte einreihen , nach- wefseh/ dass seine Formen in ihrer Sprache nichts anderes sagen, als die übrigen Organe der Zeit. Indem ich nun für den Barock den Nachweis versuche, gehe ich wiederum nicht aus von einer allgemeinen kulturhistorischen Skizze der Nachrenaissance, sondern halte mich ans Nächstliegende, der Vergleichung sich unmittelbar Darbietende: an die KOrperbildung und die Körperhaltung in der darstellenden Kunst, wobei es natürlich nicht um einzelne Motive sich handelt, sondern um den allgemeinen Habitus. Ob der Stil hierdurch vollständig charakterisiert werden kann, ist eine andere Frage. Ich lasse sie vorläufig bei Seite. Die prinzipielle Bedeutung aber dieser Reduktion der Stilformen auf die menschliche Gestalt beruht darin, dass hier der unmittelbare Ausdruck eines Seelischen vorliegt.

Das römische barocke Ideal von Körperlichkeit lässt sich etwa so be- schreiben : An Stelle der schlanken und gelenkigen Gestalten der Renais- sance treten vollmassige Körper, gross, schwerbeweglich, von schwel- lender Muskelbildung und rauschender Gewandung (Das Herkulische).

Die fröhliche Leichtigkeit und Elastizität ist verschwunden, alles wird lastender, drückt mit grösserer Schwere zu Boden. Das Liegen wird ein dumpf unbewegliches, ohne alle Spannkraft.

Während die Renaissance den Körper ganz durchfühlte und in enganliegender Kleidung seinen Umriss sich beständig gegenwärtig hielt, schwelgt der Barock in undurchdrungenen Massen. Man fühlt mehr den Stoff als die innere Struktur und Gliederung. Das Fleisch ist von geringerer Konsistenz, weich, haltlos, nicht die straffe Muskulatur der Renaissance.

Die Glieder sind nicht gelöst, nicht frei und beweglich in den Gelenken, sondern gleichsam gehemmt und befangen; die Gestalt bleibt dumpf-geballt.

Allein dies ist nur die eine Seite: zu der Massenhaftigkeit tritt überall eine ins Ungestüme und Gewaltsame gesteigerte Bewegung. Die Kunst hält sich überhaupt nur noch an die Darstellung des Bewegten.

In dieser Bewegung ist eine zunehmende Hastigkeit, eine Ver- schnellerung der Aktion zu beobachten. Man vergleiche etwa die

') Vgl. G. Semfier, Stil II. 5.


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Darstellung der Himmelfahrten. Bei Tizian ist es ein sachtes Empor- gehobenwerden, bei Correggio schon ein Aufrauschen, bei Agostino Caracci fast ein Aufsausen.

Das Ideal ist nicht mehr das befriedigte Sein, sondern ein Zu- stand der Erregung. Man verlangt überall ein affektvolles Tun ; was früher die einfache und leichte Äusserung einer kräftig-lebendigen Natur war, muss nun mit leidenschaftlicher Anstrengung vor sich gehen. Das ruhige Stehen wird schwungvoll-pathetisch oder es erscheint jenes wilde Sichaufbäumen, als ob eine gewaltige Kraft eingesetzt werden müsste, um nicht zusammenzusinken.

Wie charakteristisch ist die Umbildung der Sixtinischen ^Sklaven" des Michelangelo in die entsprechenden Gestalten der Galeria Farnese durch die Caracci I Welche Unruhe, welche Verrenkungen!

Alle willkürlichen Bewegungen werden mühsamer, schwer- fälliger, verlangen einen ausserordentlichen Kraftaufwand.

Dabei agieren die einzelnen Glieder nicht selbständig und frei, sondern ziehen den übrigen Körper teilweise mit in die Bewegung hinein.

Der bis zum Aussersten, zu Ekstase und wilder Entzückung gesteigerte Affekt kann im Körper nicht gleichmässig zum Ausdruck kommen: in gewaltsamer Heftigkeit bricht die Empfindung in ein- zelnen Organen hervor, während der übrige Körper der Schwere allein unterworfen bleibt.

Der grosse Kraftaufwand deutet aber durchaus auf keine kräftigere Körperlichkeit im allgemeinen. Im Gegenteil. Die Aktion der willkür- lichen Bewegungsorgane ist eine mangelhafte, die Beherrschung des Körpers durch die Impulse des Geistes eine sehr unvollständige.

Diebeiden Momente, Körper und Wille, sind gleichsam auseinander- getreten. Es ist, als ob diese Menschen ihren Leib nicht mehr in der Gewalt hätten, nicht mehr ganz mit ihrem Willen durchdringen könnten: es fehlt die gleichmässige Belebung und Durchformung.

Zustände der Auflösung, des Hingegossenseins, formloser Hin-, gebung bei heftiger Bewegung einzelner Teile werden mehr und mehr die ausschliesslichen Ideale der Kunst.

Um ein Beispiel zu haben, vergleiche man die Galatea, wie sie RafTael in der Farnesina und wie sie Agostino Caracci im Pal. Farnese gemalt hat. Das Beispiel ist sehr bescheiden gewählt, genügt aber völlig zur Bezeichnung des Charakteristischen. Bei Caracci ist die Bewegung lebhafter, affektvoller, aber der Körper — wie weit entfernt von dem leichten Dastehn der Raffaelischen Galatea! von vollerer Massigkeit, haltlos sich anschmiegend, willenlos dem Zug der Schwere sich überlassend^).

') Man beachte auch, wie Raffael den Gegenstand zu einem Hochbild, Caracci zu einem Breitbild verarbeitet.


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Wo die Schwere im Körper selbst nicht genügend zum Aus- druck kommt, benutzt der Barock seine gewaltigen Gewandmassen, um den Gegensatz aufgeregter Bewegung und dumpfen Niederziehens eindringlich zu machen.

So viel von der Körperlichkeit der Nachrenaissance, wie sie sich in Rom entwickelte^).

Es wird nicht schwer sein, die Parallelen zur architektonischen Formgebung zu ziehen: das Massenhafte, die wuchtige Schwere, die Unfähigkeit, sich stramm zusammen zu nehmen, der Mangel an Gelenkigkeit und gleichmässiger Durchformung, die Verstärkung der Bewegung und die Steigerung der Aktion ins Unruhige, Leiden- schaftlich-Aufgeregte, es sind beiderseits die gleichen Symptome.

Und wieder bleibt die Entwicklung parallel, als der Druck sich hebt und gegen Mitte des 17. Jahrhunderts die Architektur eine Wendung zum Leichtern nimmt. Wir haben uns damit nicht mehr abzugeben.

5. Die Anfänge dieser Kunst konzentrieren sich natürlich bei keinem Andern so wie bei Michelangelo, soweit man überhaupt das Weltschicksal der Kunst von einem Menschen ausgehen lassen kann. Man nennt Michelangelo den Vater des Barock, mit Recht, nicht aber wegen der ^WillkOrlichkeiten", die er sich in seiner Architektur gestattete — Willkür kann nie ein Stilprinzip sein — , sondern wegen seiner gewaltigen Art, die Körper zu behandeln, wegen des fürchter- lichen Ernstes, der nur im Formlosen seinen Ausdruck finden konnte. Die Zeitgenossen nannten dies das „terribile*.

Ich will bezüglich des Michelangeloschen Stils, wie er in seinen spätem Werken zu immer schärferer Eigentümlichkeit sich ausbildet, einige Bemerkungen aus der Charakteristik A. Springers wiederholen :

„Michelangelos Gestalten setzen eine viel stärkere Kraft ein, als dieses in der Natur geschieht und während in der Antike alle Aktionen als Äusserungen freier Persönlichkeiten auftreten und in jedem Augenblick in den Schoss der letzteren zurückgenommen werden können, erscheinen die Männer und Frauen Michelangelos als die widerstandslosen Geschöpfe einer inneren Empfindung, welche die einzelnen Glieder nicht harmonisch und gleichmässig belebt, die einen vielmehr mit der ganzen Fülle des Ausdrucks ausstattet, die andern dagegen beinahe nur schwer und leblos bildet**). „Es

') Den Florentinern bleibt der Affekt lange fremd, sie bleiben sauber, ge- diegen, regelmässig; in Venedig Oberwiegt das ruhige, geniessende Dasein; die Lombarden haben eine grosse Vorliebe für das Zierliche und Niedliche.

  • ) Raffael und Michelangelo II. Aufl. II, 347. Vgl. dazu die Aufsatze Hmkes:

die Menschen M.'s im Verhältnis zur Antike, und — Ober die Sixtina — im Jahrb. d. pr. Kunsts. Bd. 6.


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fehlt das gleichmässige Mass der Belebung". „Obermenschliche Kraft einzelner Teile, lastende Schwere anderer". Massenhafte, teilweise herkulische Bildung seiner Körper. Der Eindruck der Unruhe verstärkt durch die rücksichtslose Entgegensetzung der sich entsprechenden Körperteile (Kontraposto). Eine heftige Emp- findung durchwühlt die Gestalten, aber die Bewegung ist gehemmt: sie bricht nur an einzelnen Punkten durch die Dumpfheit der Masse hindurch, dort dann aber um so gewaltsamer und leidenschaftlicher. Manche seiner Figuren, sagt J. Burckhardt, geben auf den ersten Eindruck nicht ein erhöhtes Menschliches, sondern ein gedämpftes Ungeheures^).

6. Man erkennt in den Mediceischen Grabgestalten den Höhe- punkt dieser Kunst. Sie sind auch der deutlichste Ausdruck der Stimmung, in deren Dienst jener Stil steht. Man braucht sich bei diesen sogenannten allegorischen Figuren weder zu sehr an die Allegorie noch an den Ort ihrer Aufstellung zu halten. Diese Ge- stalten der Nacht und des Tages, des Abends und des Morgens, wie sie daliegen, dumpf aufseufzend, dem Schlaf sich entringend, die Glieder krampfhaft angezogen oder leblos herabhängend, sie sind durchwühlt von einer tief innern Unruhe und Unbefriedigung, von einer Stimmung, die bei Michelangelo überall wiederkehrt, in seinen Gedichten und in seinen Figuren*) und die man manchmal versucht sein könnte Weltschmerz zu nennen, wenn das Wort nicht fad und schwächlich geworden wäre.

Man staunt als über ein Wunder, dass Michelangelo seine Stimmungen in plastische Form zwängen konnte®), es ist vielleicht noch wunderbarer, dass er auch die Architektur dem Ausdruck ähnlicher Gedanken dienstbar zu machen vermochte. Seine Bauten tragen überall den allerpersönlichsten Charakter, wie bei keinem andern Künstler. Sie geben die individuelle Stimmung in einer Schärfe und Kraft, die der Architektur stets ferne geblieben war und die auch kein Späterer erreicht hat.

7. Michelangelo hat nie ein glückliches Dasein verkörpert; schon darum greift er über die Renaissance hinaus. Die Zeit der Nach- renaissance ist ernst von Grund aus.

  • ) Cicerone II, a. S. 546.
  • ) Vorbereitet, ja stellenweise geradezu antizipiert sind die Motive der

Mediceergrabfiguren durch die nackten Figuren Ober den Zwickelschrägen in der Sixtinischen Kapelle. Vgl. namentlich den Crepuscolo mit der linken Figur zwischen der Cumaea und dem Esaias. — Auch die Louvresklaven geben die gleiche Stimmung wieder. — Michelangelos „letzter Gedanke" endlich war das vollkommen formlose Zusammensinken eines Körpers, der Zustand gänzlicher Willenlosigkeit (Pietä im Dom zu Florenz und Pietä in Pal. Rondanini zu Rom).

") Springer a. a. O II. 263.


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In allen Sphären macht sich dieser Ernst geltend'): religiöse Selbstbesinnung, das Weltliche tritt wieder in Gegensatz zum Kirch- lichen und Heiligen, der unbefangene Lebensgenuss hört auf, Tasso wählt für sein christliches Epos einen Helden, der der Welt müde ist^; in der Gesellschaft, in den geselligen Umgangsformen ein schwerer gehaltener Ton; nicht mehr die leichte ungebundene Grazie der Renaissance, sondern Ernst und Würde; statt des leicht und heiter Spielenden eine pomphafte rauschende Pracht; überall ver- langt man nur noch nach dem Grossen und Bedeutenden.

8. Es ist interessant, den neuen Stil auch in der Poesie zu beobachten. Die Verschiedenheit der Sprache bei Ariost und lasso drückt die ver- änderte Stimmung vollständig aus^). Es genügt, die Anfänge des Orlando furioso (1516) und der Gerusalemme liberata (1584) zu vergleichen. Wie fängt Ariost einfach und munter-beweglich an:

Le donne, i cavalier, T arme, gli amori,

Le cortesie, Taudaci imprese io canto,

Che furo al tempo, che passaro i Mori

D'Africa il mare, e in Francia nocquer tanto; etc.

Wie anders dagegen Tasso:

Canto Tarmi pietose, e il Capitano

Che il gran sepolcro liberö di Cristo:

Molto egli oprö col senno e con la mano;

Molto soffrl nel glorioso acquisto:

E invan Tlnferno a lui s'oppose, e invano

S' armö d'Asia e di Libia il popol misto;

Ch6 il Ciel gli dife favore etc. Man beachte überall die hebenden Beiworte, die hallenden Endungen, die schweren Wiederholungen (molto — , molto — ; e invan — e invano), den gewichtigen Satzbau, den verlangsamten Rhythmus des Ganzen.

Aber nicht nur der Ausdruck, auch die Anschauungen, die Bilder werden grösser. Wie vielsagend ist z. B. die Umgestaltung, die Tasso mit dem Typus seiner Muse vornimmt. Er erhebt sie in unbestimmte Himmelsräume und statt dem Lorbeerkranz gibt er ihr „eine goldene Krone von ewigen Sternen"*).


Ich verweise fl)r die ganze geistige Wandlung auf die Darstellung bei R€mk€, Päpste 8. Aufl. I, 318 ff.

') Gerusalemme liberata I. 9.

■) Der „Marinismus hat mit der ersten Periode des Barock nichts zu tun.

  • ) O Musa, tu che di caduchi allori,

Non drcondi la fronte in Elicona, Ma SU nel Cielo infra i beati cori Hai di stelle immortali aurea corona etc. (canto I, a.)


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Mit der Bezeichnung »gran" wird nicht gespart, überall soll die Phantasie zu bedeutenden Vorstellungen veranlasst werden.

Die gleiche Tendenz finden wir schon früher in einem ausser- ordentlich interessanten Beispiel, in der Umarbeitung, die Bernt mit dem Orlando innamorato des Bojarcio vornimmt, gegen die Mitte des i6. Jahrhunderts, etwa 50 Jahre nach Erscheinen des Originals ^).

Wo Bojardo etwa schrieb: „Angelicä scheint der Morgenstern, die Lilie des Gartens, die Rose vom Beet'*, da ändert Berni ; „Angelicä scheint der leuchtende Stern im Osten, ja um die Wahrheit zu sagen, die Sonne". Das Bild ist grösser, einheitlicher, rauschender ge- worden. Bojardo geht viel zu sehr ins Einzelne und Besondere, er liebt noch die bunte Mannigfaltigkeit der Frührenaissance, das Kleine und Viele. Die spätere Zeit sehnte sich nach dem Grossen.

Allgemein kann man sagen : während die Renaissance mit Liebe in jedes Detail sich versenkte, und für sein Sonderdasein sich interessierte, also dass die Kunst weder in der Mannigfaltigkeit noch in der intimen Durchgestaltung des Einzelnen sich genug tun konnte, . tritt man jetzt überall weiter zurück, man will nicht nur das Grosse I im Einzelnen, sondern überhaupt nur noch einen Gesamteindruck : * weniger Anschauufig, mehr Stimmung.

9. Es ist offenbar, dass wir hier an einen Punkt gelangt sind, wo wir weiter gehen als die Analyse der barocken Körperlichkeit uns fahren konnte. Und eben dass der Barock sich nicht rein in Körpermotive auflösen lässt, ist ein wesentliches Merkmal des Stils. Er hat für Wert und individuelle Bedeutung der einzelnen Form keinen Sinn, sondern nur für die dumpfere Wirkung des Ganzen; das Einzelne und Begrenzte, die plastische Form hört auf bedeutsam zu sein, man komponiert nach Masseneifekten, ja die allerunbestimm- testen Elemente: Licht und Schatten werden die eigentlichen Mittel des Ausdrucks. Mit andern Worten: dem Barock fehlt jene wunder- bare Intimität des Nacherlebens jeder Form, die der Renaissance eigen war; er fühlte den architektonischen Körper nicht mehr durch in dem Sinn, dass er jedes Glied in seiner Funktion (sympathisch-) mitempfindend begleitete, sondern hält sich an das (malerische) Bild des Ganzen. Die Lichtwirkung gewinnt eine grössere Bedeutung als die Form.

Woher kommt diese Abnahme in der Fähigkeit des plastischen Nachfühlens? — Ich verzichte darauf, dieses Phänomen zu erklären. Es scheint durch verschiedene Faktoren bedingt zu sein; ein Haupt-


') Vgl. L, V. Rankit Zur Geschichte der italienischen Poesie (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1835). Hieraus ist das folgende Beispiel entnommen. — Bojardos Gedicht erschien 1494, die Umarbeitung 1541.


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faktor möchte in dem zunehmenden Interesse für ,,Stimmung — das Wort im modernen Sinne gebraucht — vorliegen. Der gute Stil war dadurch in doppelter Weise bedroht. Einerseits verdirbt der Stimmungs- kultus die Feinheit des Körpergefühls, andrerseits drängte das Ver- langen nach Stimmung die Architektur in einen unvorteilhaften Wettstreit mit der Malerei, deren Kunstmittel recht eigentlich zum Stimmungsausdruck geschaffen sind. Die Malerei ist eben darum die spezifisch moderne Kunst geworden, sie ist die Kunst, in der die Neueren am vollständigsten und unmittelbarsten sich aussprechen können.

Und doch war für den Barockgeist die Architektur als Aus- drucksmittel unersetzlich: sie besass etwas ganz Einziges: sie war fähig, den Eindruck des Erhabenen zu geben. Hier treffen wir auf den Nerv des Barock. Er kann sich eigentlich nur im Grossen offenbaren. Der Kirchenbau ist der Ort, wo er sich allein ganz befriedigt: Aufgehen im Unendlichen, Sichauflösen im Gefühl eines Übergewaltigen und Unbegreiflichen, das ist das Pathos der nach- klassischen Zeit. Verzicht auf das Fassbare. Man verlangt nach dem Überwältigenden^).

Es ist eine Art von Berauschung, mit der die Barockarchitektur, mit der vor Allem jene ungeheuren Räume der Kirchen den Sinn erfüllen, Eine dumpfe Totalempfindung, man kann das Objekt nicht fassen, formlos möchte man sich hingeben an das Unendliche.

Die neu entfachte Religiosität des Jesuitismus stimmt sich mit Vorliebe durch die Vorstellung der grenzenlosen Himmelsräume und der. unzählbaren Chöre der Heiligen zur Andacht <). Man schwelgt in der Vorstellung des Unvorstellbaren, mit Begier stürzt man sich in die Abgründe der Unendlichkeit. Aber die formlose Entzückung gehört nicht der jesuitischen Kirchlichkeit allein an : ohne zu betonen, dass auch von einem Giordano Bruno gleichzeitig die Wonne dieser Gefühle durchgekostet wurde — das Aufgehen im All ist ihm die höchste denkbare Seligkeit') — , will ich nur bemerken, dass der Jesuitismus eine bereits lange vorbereitete Sache übernimmt. Wir finden eine Steigerung des Empfindens nach dieser (pathologischen) Seite schon in den letzten Jahren Ralfaels. Die heilige Cäcilia (1513), die die Arme sinken lässt und überwältigt von der himmlischen Musik stumm aufblickt, nicht um zu sehen, sondern um den Tönen


^) „Die Schönheit ist fllr ein glQckliches Geschlecht, aber ein unglackliches muss man erhaben zu rühren suchen". — Schiller an Süvem. Vgl. Springer, RafTael und Michelangelo, Vorrede zur zweiten Auflage.

  • ) Ignalii Lqyolae exercitia spiritualia. 1546 u. o. prflludium.

•) „Liebt ein Weib, wenn ihr wollt, aber vergesst nicht Verehret des Un- endlichen zu sein/*


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sich entgegenzuöffnen , ist der Anfang zu der ganzen Masse der späteren Bilder, die die gleiche Stimmung, heftiger, leidenschaftlicher, als wollüstiges Hinsinken, als entzückte Ekstase oder als sehnsuchts- volle Hingabe und überirdische Beseligung wiedergeben. —

Die Sehnsucht der Seele, im Unendlichen sich auszuschwelgen, kann in der begrenzten Form, im Einfachen und Übersichtlichen keine Befriedigung finden. Das halb geschlossene Auge ist nicht mehr empfänglich für den Reiz der schönen Linie, man verlangt nach dumpferen Wirkungen: die überwältigende Grösse, die un- begrenzte Weite des Raumes, der unfassbare Zauber des Lichtes, das sind die Ideale der neuen Kunst.

C. Justi charakterisiert den Piranesi gelegentlich*) als eine „modern- leidenschaftliche Natur": „die Unendlichkeit, das Mysterium des Er- habenen — des Raumes und der Kraft — ist seine Sphäre". Die Worte haben eine typische Bedeutung.

lo. Man wird nicht verkennen, wie sehr gerade unsere Zeit hier dem italienischen Barock verwandt ist. In einzelnen Er- scheinungen wenigstens. Es sind die gleichen Affekte, mit denen ein Richard Wagner wirkt. „Ertrinken — versinken — unbewusst — höchste Lustr* — Seine Kunstweise deckt sich denn auch voll- ständig mit der Formgebung des Barock und es ist kein Zufall, dass er gerade auf Palestrina zurückgreift«): Palesirina ist der Zeit- genosse des Barock *).

Man ist nicht gewohnt, die Kunst Palestrinas als Barock zu bezeichnen. Und doch muss eine vergleichende Stilanalyse die Ver- wandtschaft klarlegen; aber da, wo für die eine Kunst der Verfall beginnt, findet die andere eben erst ihr eigenthches Wesen. Was man in der Architektur tadelt und als sachwidrig empfindet, kann in der Musik als durchaus angemessen erscheinen, weil sie ihrer Natur nach auch zum Ausdruck formloser Stimmungen geschaffen ist. Gerade das Zurückdrängen des geschlossen-rhythmischen Satzes, des streng-systematischen Aufbaues und der übersichtlich-klaren Gliederung kann für den Stimmungsausdruck in der Musik wohl entsprechend, ja notwendig sein, die Architektur überschreitet damit ihre natürlichen Grenzen. Und so wird das „Lebenselement" der Palestrinaschen Musik, was man als „Latenz des Rhythmus" (Ambros), als die Auf-


  • ) C Jusfi, Winckelmann. I. 254.

•) JB. Wagner, Sämtliche Werke. IX. 98 f.

•) Ähnliche Gedanken des öfteren bei Nietzsche. Vergl. Menschliches, Allzumenschliches I. 219, Religiöse Herkunft der neueren Musik; II. 144, Vom Barockstile; oder II, 134, Wie nach der neueren Musik sich die Seele bewegen soll*

W9lfflm, RenaJMance und Barock. 6


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nähme eines ,, Ataktischen" (Seidl) in die Kunst bezeichnet hat^), als ein Fortschritt begrOsst, für die Architektur bezeichnet es Auflösung.

Ihre BlQte ist bedingt durch ein allgemeines und starkes Gefühl fOr das GlQck der Formung und Begrenzung. Die Renaissance hatte dies besessen. Die höchste Schönheit, die „concinnitas" , ist nach dem Worte Albertis ,,animi rationisque consors", sie ist der Zu- stand der Vollkommenheit, das Ziel, das die Natur in allen ihren Bildungen erstrebt*). Wo immer uns etwas Vollkommenes begegnet, da fohlen wir sofort dessen Gegenwart, denn unserm Wesen nach verlangen wir darnach, „natura enim optima concupiscimus et optimis cum voluptate adhaeremus".

Das Vollkommene ist das genaue Mittel zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig. Für die Kunst des Formlosen gibt es keine Be- grenzung, keinen erschöpfenden und abschliessenden Ausdruck.

Die klassische Zeit der Renaissance empfindet wie die hohe Antike. Und um den welthistorischen Gegensatz zum Barock in aller Kraft hervortreten zu lassen, weiss ich nichts Besseres zu tun, als das zu wiederholen, was Justi als die Merkmale von Winckelmanns KunstgefQhl, als einer klassisch gearteten Natur, aufführt*):

„Mass und Form, Einfalt und Linienadel, Stille der Seele und sanfte Empfindung, das waren die grossen Worte seines Kunst- evangeliums. Krystallhelles Wasser sein Lieblingssymbol." — Man setze das Gegenteil eines jeden dieser Begriffe und man hat das Wesen der neuen Kunst bezeichnet.


') A, Seidl, Vom Musikalisch-Erhabenen. Leipziger Dissertation. 1887. S. 126. — Ambros, Musikgesch. IV. 57.

') Lib. IX: Quidquid enim in medium proferat natura, id omne ex cancmi- tatis lege moderatur, neque Studium est majus ullum nature quam ut quae pro- duxerit absolute perfecta sint

') Justi a. a. O. II. 364.


Dritter Abschnitt

Die Entwickelung der Typen


Kap. L Der Kirchenbau

I. Zentralbau und Latigbau. Der Zentralbau mit Kuppel war das Ideal der Renaissance. In dieser Form fand das Zeitalter seinen vollkommensten Ausdruck; es drängte darauf hin mit seinen besten Kräften^). Die Idee des Zentralbaues im Gegensatz zu allem Lang- bau ist die vollkommene Einheit und Geschlossenheit. Äusseres und Inneres entsprechen sich durchaus, von allen Seiten muss der Anblick gleich sein, aussen und innen erscheint jede Linie als bedingt von der einen, alles gleichmässig zusammenhaltenden Zentralkraft. Und eben hierin liegt der Charakter des Bleibenden und Ruhenden, der Gebäuden dieser Art eigen ist. Die vier Kreuzarme stehen in voll- kommenem Gleichgewicht, nirgends Unruhe oder Bewegung, gleich- mässig strömt das Licht der Kuppel von der Mitte in alle Teile, überall fertiges, vollkommenes Sein,

Die Kunst hielt dies Ideal nicht fest: Vignola schuf im Gesü einen neuen Typus als Langhaus und dieser wurde bestimmend nicht nur für die neuen Bauten der Folgezeit, sondern es musste selbst S. Peter ihm sich beugen. Soviel man nun zu gunsten des Lang- hauses wegen seiner grösseren Bequemlichkeit für den Gottesdienst sagen kann, diese Rücksicht kann für den Barock nicht die ent- scheidende gewesen sein, die Renaissance hatte sich deswegen auch nicht vom Zentralbau abhalten lassen.

Man muss gewiss ästhetische Gründe zur Erklärung heranziehen. Für einen Fall haben wir den bestimmten Nachweis von der Wirk- samkeit dieser Faktoren : als man in Venedig, beim Bau des Redentore, über die zentrale oder longitudinale Gestaltung unschlüssig war, entschied der Hinweis auf die Schönheit des Gesü^). Ich würde aber


Burckbardt, Ren. in Italien S. lao.

») Dohnu, Norditalienische Zentralbauten. Jahrb. der k. preuss. Kunst- sammlungen V.

6*


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daraus noch nichts schliessen, Hesse sich nicht die gleiche Veränderung nachweisen, wo immer man hinsehen will: in der Dekoration überall der Fortgang vom Runden zum Ovalen, vom Quadrat zum Oblongum u. s. w. Psychologisch gesprochen: man gibt das Befriedigte und Ruhende auf und verlangt nach dem Bewegten und Werdenden. Man will nicht das Fertige, sondern den Reiz der Spannung. Die Zentral- anlage gibt sich mit einem Mal, ganz und vollständig, sie stellt sich dar als ein absolut Vollkommenes, das nichts Weiteres will, sondern nur des ruhigen Daseins sich freut. Das Longitudinale hat dagegen eine bestimmte Richtung und scheint sich in dieser Richtung fort- während zu bewegen. Das kirchliche Langhaus mit Kuppel weiss diesen Eindruck aufs höchste zu steigern: mit Zaubergewalt wird der Eintretende vorwärts gezogen, dem Licht entgegen, das aus der



Fig. 8. II Gesü. Grundriss.

Kuppel herabflutet. Die Kuppel selbst wird erst im Vorwärtsschreiten, sie wächst vor unserem Auge und eben dieser Reiz des Werdens war so recht im Sinne der Barockkunst.

Der Gegensatz zur Longitudinalbewegung der Gotik besteht darin, dass der Barock zwei Momente ineinander spielen lässt: das Langhaus, das in der Apsis endet, und die Kuppel, die alles in sich aufsaugt. Das erstere wird so kurz gebildet, dass die Kuppel nicht als blosses Anhängsel erscheint, sondern ihre zentralisierende Kraft überall als wirkend empfunden wird.

Das Langhaus erhält eine Ausdehnung von kaum zwei Kuppel- durchmessern. Dazu kommt, dass es als einheitlicher Raum mit blossen Kapellen zur Seite gestaltet wird, die Kuppel also der ganzen Breite entsprechen kann. (Das Weitere s. u.). Typisches Muster: Gesü von Vignola 1568 (Fig. 8).


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Frühere Symptome der Wandlung: Bramante selbst soll schliess- lich noch ein Langhausprojekt für S. Peter ausgearbeitet haben (nach dem Zeugnis des Onophrius Panvinius, De basilica Vaticana). Ob freiwillig? Ich möchte darauf den Durchschnitt beziehen, den Gey- müller ^), T. 25 Fig. 3 mitteilt. Ein Langhaus projektierten auch RafTael ^) und Ant. da Sangallo. Sehr einflussreich waren gewiss die letzten Äusserungen Michelangelos zu gunsten des Langbaues: S. Giovanni de'Fiorentini und S. M. degli Angeli. Die entscheidende Tat: der Umbau von S. Peter. — Für kleinere Kirchen tritt an Stelle des runden Raumes der ovale. Erster (?)•) Entwurf bei Serlio Hb. V. fol. 204;



a b

Fig. 9. Ovale Kirchengrundrisse Vignolas: a. S. Andrea in via Flaminia (1559):

b. S. Anna dei Palafrenieri (1573)* die Form ist nicht häufig. In Rom : S. Andrea ( Vignola) , ovale Kuppel über oblongem Raum (1552) und S. Anna dei Palafrenieri über ovalem Raum (1572); S. Giac. degli Incurabili (Franc, da Volterra); S. Andrea (Bernini); S. Carlo alle quattro Fontane (Borromini) etc. Die kritische Zeit für die Entwicklung des neuen Grundrisses beginnt um die Mitte des 16. Jahrhunderts, typisch dafür sind die Grund- pläne von Vignolas erster und letzter Kirche (s. oben), wo deutlich


') Die ursprünglichen Entwürfe filr S. Peter in Rom.

  • ) Nach der Kritik des Ant. da Sangallo wäre es sehr dunkel gewesen.

«Detta nave sarä ischurissima". (Vasari, comment, V. 477). Man muss annehmen, dass Raffael auf die malerische Kontrastwirkung von dunklem Schiff und lichtem Kuppelraume rechnete. Vgl. die ähnlich dunkel-malerische Architektur des Heliodor.

') S. S. 45, Anm. 4.


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die Bildung der neuen Raumform verfolgt werden kann (Fig. 9). Reine Zentralbauten kommen erst wieder in der zweiten Periode des Barock, die ein anderes LebensgefQhl besitzt. Oberitalien hat dagegen nie darauf verzichtet; wie es in der darstellenden Kunst das Existenz- bild festhielt, so verliess es auch in der Architektur nie ganz die Formen des Seins.

2. System der Fassadenbüdutig, Der Zentralbau kann die Fassade missen, der Langbau bedarf ihrer unbedingt. Unter der Behandlung der Barockarchitekten wird sie zu einem höchst prächtigen Schau- stück, das ohne organischen Zusammenhang mit dem Innern dem Kirchenkörper vorgesetzt wird. Selbst die Seitenansichten werden vollständig vernachlässigt.

Im Gegensatz zur Renaissance, die eine unendliche Fülle, von Bildungen versucht hatte (das meiste ist Entwurf geblieben;, zeigt der Barock sofort einen bestimmten Fassadent}rpus , der sich sehr klar entwickelt. Er gibt zwei Geschosse, ein unteres in der Höhe der Kapellen, und ein oberes, von geringerer Breite, dem Mittelschiff entsprechend, oft weit darüber hinaus in die Luft ragend, mit einem Giebel bekrönt. Seitlich legen sich Voluten daran. (Es ist ein Aus- nahmefall, wenn das Obergeschoss gleiche Breite bekommt.) Die Mauer ist gegliedert durch Pilaster, und zwar so, dass unten fünf, oben drei Felder entstehen; bei kleineren Dimensionen auch drei und eins. Das Mittelintervall, etwas breiter, mit Türe und Oberfenster; die anderen Flächen gefüllt mit Nischen und rechteckigen Eintiefungen.

Dieser Typus findet sich in fast schematischer Reinheit an der Fassade von S. Spirito in Sassia^) (Taf. 9.). Sie ist noch nicht barock, aber sie enthält die Elemente, in deren Gestaltung und Gruppierung der neue Stil sich alsbald kund gibt.

Die Gliederung durch einfache Pilaster wird bei gesteigerten Grössenverhältnissen als ungenügend empfunden, es erscheinen ge- kuppelte Pilaster, Halbpilaster schliessen sich zu beiden Seiten an, es entsteht die Form des Doppelpilasterbündels u. s. w.

Die Säule stirbt nie ganz aus, aber erst im 17. Jahrhundert fängt sie wieder an, sich lebhafter zu regen, so dass sie nicht auf das Portalfeld beschränkt bleibt, sondern über die ganze Fassade sich verbreiten darf. Sie muss aber lange warten, bis ihr wieder eine freie Bildung zuteil wird. Anfänglich bleibt sie noch zur Hälfte oder

^) Als Autor gilt gewöhnlich A. da Sangallo. G. Milanesi will sie dem B. Peruzzi zuschreiben (Vas. IV. 604. n. 3), mit Unrecht, wie mir scheint — Jedenfalls ist das Innere von Sangallo, er vollendete aber den Bau nicht selbst, erst unter Siztus V. wurde die Fassade zu Ende geilihrt und zwar von Ottaviano Mascherino (Baglioni, Vite S. 94.). Der Vergleich mit dessen Obrigen Werken Iflsst schliessen, dass er sich in allem Wesentlichen an die Zeichnung Sangallos hielt.



TAF. 9


S. SPIRITO IN SASSIA


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wenigstens noch zu einem Viertteil in der Mauer stecken. S. M. in Campitelli (von C. Rainaldi 1665) gehört zu den ersten Beispielen, wo sie ganz frei heraustritt. Nur erhält sie jetzt stets einen ent- sprechenden Pilaster im Rücken. — Für die Ordnung der mauer- gliedemden Pilaster, die anfangs im oberen und unteren Geschoss die gleiche ist, wird bald Abwechslung zur Regel. Gewöhnlich folgt auf eine korinthische (seltener dorische) eine komposite Ordnung. Wie in der späteren Antike wird das bewegte Blätterkapitell das Beliebteste. Neu ist die massige Bildung der Blätter: man gibt nicht den gezackten Acanthus, sondern eine weich-rundliche Form *). Seit A. da Sangallo ist dies die ständige Form; sie findet sich auch in der Regola des Vignola. — Fries und Architrav bleiben ohne Ornament, doch trägt der erstere in der unteren Ordnung gewöhnlich eine Inschrift (die Dedikation), die später, als Verkröpfungen häufig wurden, mit grosser Rücksichtslosigkeit selbst über diese hinweggeführt wird (z. B. an S. Ignazio, 1636, S. Ambrogio e Carlo u. a.).

Von Kapitell zu Kapitell schwingt sich ein Kranz oder der Raum wird mit einer Cartouche gefüllt. Die Abgrenzung einer eigen- tümlichen Kapitellzone geht weit in die Renaissance zurück. Das Motiv fand man an den römischen Triumphbogen. Zuerst nur ein Rahmen ohne Füllung; dann Füllung mit Kranz oder Cartouche in immer üppigeren Formen, so dass schliesslich kein Fleckchen mehr leer bleibt. Die Behandlung ist eine verschiedene am obern und untern Geschoss und wieder an den innern Feldern im Gegensatz zu den äussern. Es wird später davon die Rede sein (Taf. 10, 11, 12.).

Die Felder zwischen den Pilastern erhalten anfänglich gewölbte (leere) Nischen und darüber und darunter rechteckige Eintiefungen (oder vortretende Tafeln). Schon in den 70er Jahren aber, als der Stil ganz ernst wird, vermeidet man die runde Bildung der Nischen oder spart sie wenigstens dem freieren Obergeschoss auf, während unten rechteckige Fensterarchitekturen ihre Stelle einnehmen. Vgl. die Gesü-Fassade nach dem Entwürfe des Vignola (Taf. 11.) und des Giac. della Porta (Fig. 1 1.). Jedenfalls aber wird die Nische von nun an mit einer Giebelkomposition umschlossen, wobei einer der durchgreifendsten Barockgedanken zur Erscheinung kommt: die ganze Kraft der De- koration nach oben zu werfen. Der Giebel wird nicht getragen von Halbsäulen oder Pilastern, sondern, stark vorspringend und reich geschmückt, ruht er auf üppigen Konsolen, die auf einfachen Rinnen oder Leisten auflaufen. Die Fusslinie des Giebels ist dabei meist


') Die antike römische Architektur hatte am griechischen Kapitell schon eine Umformung im gleichen Sinne vorgenommen. Sie wählte Acanthus moUis statt Acanthus spinosa.


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durchbrochen, um der geschlossenen Horizontale zu entgehen, und gleicherweise wird das Fussgesims durch stehende Konsolen oder Verlängerungen der Seitenleisten in seiner Schwere entlastet. Ein leichter Kranz tut das Übrige. Die Nische selbst aber soll nicht als Hohlraum wirken, sie ist dem Barock undenkbar ohne Statue und die leidenschaftlich bewegten Gestalten dieses Stils maqhen im Verein mit einer üppigen architektonischen Einfassung, wie' wir sie eben beschrieben, ein Ganzes von prächtigster Bewegung.

Die begleitenden Tafeln, die als Andeutungen von Reliefs gelten mögen, wie sie Michelangelo zuerst für S. Lorenzo (Florenz) geplant hatte, machen im kleinen die gleiche Entwicklung durch: auch sie bekommen starkschattende Giebel, leichte Fussverzierungen und eine schwellende Füllung.

Das Portal, ursprünglich einfach und durchaus untergeordnet, wird durch mehrfache, vortretende Säulen allmählig zum Hauptstück der Fassade. Das Portalfeld bekommt einen eigenen Giebel, sogar einen doppelten (Segment und Dreieck ineinandergeschachtelt).

Ebenso erhält das Fenster im Obergeschoss eine erhöhte Be- deutung für die Komposition: aus einem schmucklosen Rund wird es zu einem Prachtfenster, in dem die Architektur der Nischen ihre höchste Steigerung erfährt.

Die Voluten zeigen lange eine schwankende Gestalt: jene ersten, die L. B. Alberti an S. M. Novella gebildet und mit einer toten Inkrustation verziert hatte, blieben ohne Nachfolge. Auch die Voluten vom Dom in Turin und von S. Agostino in Rom zeigen die grosse Unsicherheit, die man dieser Form gegenüber empfand. Michel- angelo projektierte für S. Lorenzo, sie durch angelehnte Jünglings- statuen von kolossaler Grösse zu ersetzen. Vignola gab einen ein- fachen, ziemlich steilen Anlauf ohne ornamentale Behandlung (wie in anderem Zusammenhang — an der Kuppel — auch Bramante; vgl. Serlios Zeichnung, lib. III. fol. 66). Sangallo ist schwungvoller (vgl. S. Spirito; die gleiche Form an seinem Fassadenentwurf für S. Peter, bei GeymüUer a. a. O. T. 48 Fig. 2). Ihm folgt der junge Giac. della Porta an S. Caterina de' Funari, sucht aber durch Hinzufügung eines rückwärts gebeugten Nebenblattes am oberen Ende mehr Fühlung mit dem Hauptkörper zu gewinnen (Taf. 10) ; bizarre Lösungen des Problems an S. Girolamo degli Schiavoni (M. Lunghi sen.) und namentlich an S. M. Traspontina (Mascherino) : die Volute als Anlauf wie bei Vignola, aber oben mit Schneckenwindung endend und bekrönt von einem weiblichen Kopf mit jonischem Kapitell. Offenbar ein Versuch zu karyatidenartiger Bildung, der aber erst spät dem jüngeren Lunghi an S. Vincenzo ed Anastasio und S. Antonio de' Portoghesi glückt, wo die Aufgabe frei und schwungvoll gelöst ist. Die Durchschnitts-


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form fand Giac. della Porta. (Gesü, Fig. ii); die Volute ist schwer, aber lebendig; das Niederrollen stark betont, wie es dem ernsten Stil gemäss ist. Maderna schliesslich gab der Linie den Charakter leiden- schaftlicher Anstrengung (S. Susanna, Taf. 12). Im späteren Barock ver- liert das Glied die Schwere und wird meist als einwärts gewölbte Strebe behandelt, wie es zu Anfang bereits Vignola beim Gesü vorhatte. So in den oben angeführten Bauten des jungen M. Lunghi, an S. Marcello al Corso von C. Fontana (als Palm- zweige) u. s. f.

In Florenz erscheint die Volute — sehr kleinlich — in der Mitte gebrochen, d. h. sie ist zusammengesetzt aus zwei Gliedern, die sich in die Form teilen. Der Sinn für Schwung und grosse Bewegung fehlt hier gänzlich. (Vgl. z. B. S. Trinitä von Buontalenti). Noch weiter vom römischen Barock entfernen sich die venezianischen Dekoratoren, die die Volute in blosses Arabeskenwerk auflösen. (Vgl. S. M. ai Scalzi von Salvi oder die endlos gedrehten Schnecken von S. M. della Salute von Longhena.)

Der Giebelrand wird in der schweren Manier durch breite Akroterien nach seiner horizontalen Bedeutung hervorgehoben. Die einzelnen Pilaster in Statuen, Obelisken, Kandelabern, Flammentöpfen ausklingen zu lassen, ist kein barockes Motiv. Vignola wollte für den Gesü noch Statuen, Porta beseitigte alles dergleichen. Wenn der Barock eine Bekrönung gibt, so geschieht es in einer Massenform, wie eine Balustrade es ist, die für die ganze Fassade gleichmässig gilt. Maderna an S. Susanna und S. M. della Vittoria. (Das Motiv nahegelegt und eigentlich allein zu entschuldigen durch die Balu- straden auf den Mauern zu beiden Seiten der Fassade, Taf. 12.) Wenn aber Statuen angebracht werden sollen, marschieren sie gleich in ganzen Reihen auf (Lateran, S. Peter).

Auch die Stufen vor der Kirche werden zu Massenformen aus- gebildet, nicht mehr einzeln vor der Haupttüre, sondern stets über die ganze Breite der Fassade hingeführt. (An S. Susanna ist die jetzige Form eine falsche moderne Restauration.) Selbst grosse ^ Treppenanlagen, wie an S. Gregorio Magno (Fig. 12), das auf der ^ ^^ Höhe des Monte Celio steht, werden in keiner Weise gegliedert, um die Horizontalen in ihrer ganzen Macht wirken zu lassen. — Sonst sind die Treppen nur von sehr geringer Höhe; sie entsprechen dem Sockel der Kirche und der Barock bildet dieses Glied durchweg sehr niedrig. Die Theoretiker der Renaissance verlangen dagegen gerade hierfür möglichste Höhe. Je höher, desto würdiger. So Alberti und auch noch Serlio.

So viel Ober die Gestaltung der einzelnen Teile. Wie eigen- tümlich sie immer gebildet sein mögen, sie machen nicht das Wesen


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des Stils aus, das Hauptsächliche bleiben die neuen Prinzipien der Komposition.

Nische und Tafeln sind die Elemente der Flächendekoration. An S. Spirito sind sie so verteilt, dass die Nische die Mitte des Feldes einnimmt, nach oben und nach unten in gleichem Abstand je eine Tafel folgt und nach allen Seiten ein angenehmer Raum frei bleibt. Dies ist Renaissanceempiindung. Der Barock bringt ein neues Gesetz: die Fläche wird nicht mehr als ein in sich geschlossenes Ganzes befriedigend gefüllt, die Nischen erscheinen beengt zwischen den Pilastern, sie haben nicht genug Raum um sich, darum drängen sie nach oben; sie halten sich nicht mehr ruhig in der Mitte der Fläche, sondern wie schon ihre dekorative Gestaltung den Hochdrang ausspricht, so zeigt auch ihre Lage, dass sie mit aller Macht aufwärts streben: gewöhnlich gehen sie so weit, bis sie an die Kapitellzone anstossen, oft wird auch diese durchbrochen.

Nun muss aber eine solche Komposition beunruhigend, ja ängstigend wirken, wenn nicht eine Lösung des Konflikts geboten wird. Sie erfolgt in der Tat im Obergeschoss: hier beruhigt sich die Erregung, Fläche und Füllung kommen in ein befriedigendes Verhältniss.

Dieser vertikalen Entwicklung geht eine horizontale zur Seite.

S. Spirito zeigte eine Fassade von fünf Pilasterintervallen, gleichmässig nebeneinander, mit der einzigen Abwechslung, dass das mittlere etwas breiter ist. Diese Koordination ersetzt der Barock durch eine energische Subordination. Und zwar in einem anderen Sinne als die Renaissance Subordination verstand. Auch sie hatte ihre Fassaden, gegliedert in unabhängige und abhängige Teile: gewöhnlich ist es ein dominierender Mittelbau, flankiert von kleineren Eckbauten, die durch zurücktretende Partien mit dem Hauptkörper verbunden sind. Die subordinierten Glieder aber — und dies ist das Entscheidende — bewahren stets den Charakter selbständiger Indi- vidualität, sie sind untergeordnet, aber gemessen eine ganz freie Entwicklung, man merkt in keiner Linie, dass sie ihr Wesen ob eines Anderen, Mächtigeren willen verleugnen müssten. Der Barock dagegen erkennt keine freien Einzelexistenzen an; alles bleibt in der allgemeinen Masse beschlossen. Seine horizontale Gliederung besteht darin, dass ein Mittelstück vortritt, die Seitenteile aber stufenweise zurückbleiben und in einem formloseren, ungegliederten Zustand ver- harren. Schmuck und Säulen verbreiten sich nicht gleichmässig über die ganze Breite der Fassade, sondern es findet nach der Mitte zu eine Steigerung statt von Pilastern zu Halbsäulen, von Halb- zu Dreiviertelsäulen und während die Eckfelder leer bleiben, entfaltet sich in der Mitte die Pracht der Dekoration in aller Fülle.



TAF. 10


S. CATEKINA DEI FUNARI


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Fügt man hinzu, dass in der Grösse stets das Kolossale gesucht wurde, so möchten die Gesetze erschöpft sein, nach denen jene Fassaden entstanden, über denen nicht nur Rom, sondern ganz Italien die Renaissance in kurzem vollständig vergessen konnte.

Die zweite Periode des Barock hat schon keinen Sinn mehr für die vertikalen und horizontalen Steigerungen, sie dekoriert die Fläche gleichmässig durch (schon S. Andrea della Valle 1665). In Oberitalien, namentlich in Venedig, war von Verständniss hierfür über- haupt nie die Rede.

An einer organischen Durchgestaltung des Kirchenkörpers war dem Barock nichts gelegen. Die Langseiten werden vollständig ver- nachlässigt und dies nicht einmal verdeckt. Man begnügt sich mit der reichen Ausführung des Kopfes, die anderen Teile brauchen nur leicht angelegt zu sein. Man nimmt Backstein statt Travertin; eine dürftige Folge von Lisenen fasst anfänglich noch die Kapellenfenster ein, später unterbleibt auch diese; ebenso verschwinden die Voluten, die sonst oben an dem zurücktretenden Oberbau nach dem Muster der Fassadenvolute wiederholt worden waren. Auffälligstes Beispiel dieser Vernachlässigung: die Nebenseiten von S. M. del Miracolo und del Monte Santo, die den Eingang zum Korso bilden.

Die Gestaltung der Umgebung kann sich selbstverständlich auch nur auf den Platz vor der Fassade beziehen. Bramante hatte für seine zentralen Bauten allseitig umschliessende Rahmen projektiert. Vgl. die grossartige Einfassung von Portiken, die S. Peter bekommen sollte (bei Geymüller, Taf. 7). Der Barock, der in seiner Architektur prinzipiell nicht von Körpern spricht, wünscht im Gegenteil den Blick von den Seiten abzuhalten. Was hinter der Fassade sich birgt, soll Überraschung sein. Dagegen wird für die Fassade selbst wo- möglich ein weiter Vorraum geschaffen. Der Barock braucht Platz. Bedeutendstes Muster: die Kolonnaden Berninis (Taf. i.).

3. Historische Entwicklung des Fassadenbaues. Wir haben ge- sagt, 5. Spirito gebe gleichsam das Schema für alle späteren Fassaden: alles noch im Keime enthalten, keine besondere Lösung voraus- nehmend. Die zwei Ordnungen oben und unten gleich, kein Vor- treten der Mitte, das Gebälk bleibt ganz ruhig und ungebrochen (Taf. 9).

Fassade von S. Caterina de' Funari ^) von Giacomo della Porta. Sein Erstlingswerk; das untere Stockwerk 1563, das obere wohl etwas später 8). Das neue Gefühl ist vorhanden, aber wagt nur erst leise sich kundzugeben (Taf. 10.).

') Abb. bei Rossi, Insignia templa Romae. fol. 61. Letarauilty, Edifices de Rome moderne. I. pl. 5. Pty^r-Imhoft Renaissance-Architektur Italiens. Tal. 34. Gurliit, Barock in Italien. Fig. 26.

•) Vgl. S. 8, Anm. 5


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Pilasterordnung noch gleich in beiden Geschossen, aber die FlflchenfQllung schon verschieden nach den Stockwerken: unten gedrängt, ohne freien Raum, oben wohliger. Die Kapitellzonen unten mit saftigen Kränzen, oben mit eng in den Raum gepressten Car- touchen. Horizontale Ent Wickelung: die drei Mittelfelder mit dem Gebälk vorgeschoben, Eckpilaster einzeln verkröpft. Türbildung



Fig. IG. S. Maria dei Monti (nach Letarouilly).


schon bedeutender, mit freien Säulen. Im Ganzen noch eine schüch- terne Schlankheit^).

Gesü in Rom. Das erste grosse Werk, das Porta als Nach- folger Vignolas schaffen durfte. Die Änderungen, die Porta am


  • ) Die Fassade von S. Annunziata zu Genua (Abb. bei P. F. Rubens,

Palazzi di Genova. I. 6i) wird dem römischen Porta mit Unrecht zugeschrieben. Sie ist von seinem mailändischen Namensvetter gebaut (s. oben S. 8, Anm. 4), was man dem prinzipiell verschiedenen Stil schon hätte entnehmen können.


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Plane seines Vorgängers vornahm, sind von allerhöchstem Interesse. Man sieht hier in das intimste Wachstum des Stils. Vor dieser Be- trachtung möchte ich aber die kleine Fassade von S. M. de' Monii (Fig. loY) heranziehen, die zwar erst nach dem Gesü entstand (1580 vollendet), aber im Zusammenhange mit der eben analysierten S. Caterina besprochen werden muss. Sie zeigt den gleichen Typus ein Dezennium später.

Die Fassade wirkt schwerer und bewegter, Sockel niedrig, Pilaster breit, starke Attika über der ersten Ordnung, wodurch dem Untergeschoss das Übergewicht gesichert wird. Die Attika durch- setzt vom Oberfenster. Giebel breit auslaufend. Horizontale Ent- wicklung: die Aussenfelder treten zurück (mit den Voluten), an den Eckpilaster des Hauptbaues schliessen sie sich mit einem Halbpilaster an, so dass eine Abstufung entsteht, die bei S. Caterina noch fehlt. Die Plastik der Dekoration nach der Mitte lebhaft gesteigert; die Eckfelder sind schmal und bleiben ganz leer, Kapitellzonen hier nur dürftig gefüllt. Vertikale Entwickelung : Ordnung unten korinthisch, oben komposit; die Tafeln oberhalb und unterhalb der Nischen in energischen Gegensatz gebracht: die untere sockelmässige quadratisch und gebunden, die obere freier und schmuckvoll. Weiterer Gegen- satz der Behandlung nach der Verschiedenheit des Geschosses. Über dem Portal eine stark schattende Tafel, die Kapitellzone durch- brechend. Oben alles ruhiger; aber der Gegensatz noch nicht rein und stark herausgearbeitet. Sonst ist diese Fassade eine der vor- züglichsten des Stils.

// Gesii. Vignola's typischer Barockbau. Er starb 1573, als die Fassade (Taf. 11) noch nicht angefangen war 2). Der Fortsetzer des Baues, Giacomo della Porta, machte einen neuen Entwurf (Fig. 11) und vollendete die Fassade danach um 1575.

Das System ist beiderseits das gleiche; zurücktretende Eck- felder, Gliederung in Doppelpilastern , Hauptaccent auf die Mitte geworfen: hier die Pilaster zu Säulen gesteigert, das Portalfeld mit eigenem Giebel gekrönt. Aber wie so ganz anders ist die Wirkung bei scheinbar wenig abweichender Ausdrucksweise. Wie ruhig und klar erscheint Vignola; er berührt uns noch fast renaissancemässig gegenüber dem Porta. Und in der Tat, der Eindruck der Fassade ist hauptsächlich bedingt durch den alten Sinn für bestimmte Durch- gliederung und das Gefühl der Selbständigkeit des einzelnen.

Der erste durchgreifende Unterschied liegt in dem Verhältniss der Geschosse zu einander: bei Vignola sind sie gleichwertig, bei


  • ) Rossi, 71. Lctarouilly, «7. Burckhardt, Renaissance in Italien, Fig. lai.

•) Auf dem Fries des Entwurfs (s. Abb.) steht die Jahreszahl 1570.


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Porta hat das Untergeschoss das entschiedene Obergewicht, das andere erscheint nur als Aufsatz. Durch diese Vereinfachung wird die Mächtigkeit der Fassade bedeutend gesteigert.

Die Geschosse sind gegliedert durch gekuppelte Pilaster. Vignola fahrt mit einem sekundären Gurtgesims in ^/g Höhe unten und ^4 Höhe oben noch eine zweite Gliederung herbei, um kleinere Flächen zu gewinnen. Die so entstandenen Felder haben alle einfache, rationale Proportionen: sie werden gefüllt mit Nischen oder mit einem gleich- massigen Rahmenprofil umzogen, in jedem Fall aber als selbständige Form behandelt. Selbst die Pilaster, die als Paar zusammengeordnet sind, verselbständigt Vignola wieder durch zwischengefQgte Nischen und Rahmen, sie sollen nicht als Masse, sondern als einzelne Indi- viduen wirken.

Porta gibt dies Prinzip vollständig auf. Er rückt die Pilaster so nahe zusammen als möglich und entfernt alle Zwischenfüllung; die Flächen belässt er in ihrer ungegliederten Ganzheit (ein schmaler Streifen in V2 Höhe ändert kaum etwas an diesem Eindruck), die Masse soll als Masse zur Geltung kommen, die Felder, die durch die Pilaster an der Mauer abgegrenzt werden, sind zufällig in ihrer Form und bekommen durch keine Rahmen den Charakter selb- ständiger Bedeutung. Weiter aber duldet Porta nicht mehr die Auf- lockerung der Mauer durch grosse Nischen, wie sie Vignola in den Eckfeldern als Gegengewicht der Türen anordnete; er lässt diese Felder leer und gewinnt dadurch den Eindruck massiger Geschlossenheit, die erst gegen die Mitte hin sich löst, aber auch hier nur in bedingtem Mass: die Plastik der Säulen ist eine gedämpftere und das Haupt- portal zeigt nicht die freie triumphbogenartige öftnung wie bei Vig- nola. Bei allem Zurückhalten kommt aber die horizontale wie die vertikale Entwicklung wirksam zur Erscheinung und zwar hier zum ersten Mal in ganz grossen Verhältnissen. Die lastenden Elemente überwiegen; Sockel, Gesimse, Attika, Giebel und Voluten, alles ist bedeutend wuchtiger gebildet. Die Architektur ist hier zum Ausdruck eines beinahe drückenden Ernstes gekommen.

Ein anderer Kirchenbau, der dem Giacomo della Porta zuge- schrieben wird, S. Luigi de' Francesi^), fällt ganz aus der Entwick- lungsreihe heraus, ja er zeigt ein so unsicheres Tasten, dass man sich kaum entschliessen kann, den Meister von Maria de' Monti und vom Gesü dafür veranwortlich zu machen*). Von den Prinzipien,

') Rossi 39, Gurlitt Fig. 31.

') Vas. I. 123 : es seien Stacke eines andern Baues in die Fassade eingeßigt worden. Es mag das mit von Einfluss gewesen sein. Porta baute auch nicht selbst, vgl. den Ausdruck Baglionis S. 77: le porte con ii due ordini della facciata furono di suo ordini e disegno.



TAF. 1 1


IL GESU (VIGNOLAS ENTWURF)


79






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80

die Giacomos Werke mit wachsender Kraft verwirklicht zeigen, verrät diese öde Fassade keine Spur. Nach dem Vorbild von S. M. dell, Anima ist die Fassadenwand in gleicher Breite auch im obern Geschoss durchgeführt, indessen der Giebel nur dem Mittelteil entspricht. Aber wie ungenügend ist diese riesige Fläche gegliedert! Der Architekt versucht alle Mittel : Pilasterbündel, vorgeblendete Arcaden, runde und eckige Nischen, Eintiefungen, Relieftafeln, Formen, die Porta sonst nie gebraucht, und all das über die Fläche zerstreut ohne architek- tonischen Sinn, von vertikaler Entwicklung keine Spur u. s. w. ^).

Ohne selbständigen Wert sind auch die Fassaden des Martino Lunghi sen. Er ist ein befangener oberitalienischer Meister, der sich in Rom ängstlich nach Mustern umsieht und das Beste dem Vignola und Giac. della Porta verdankt.

S. Atanasio dei Greci (voll. 1582) *) ist ziemlich langweilig. Von oberitalienischer Herkunft sind die zwei Türme*), die aus den Eck- feldern aufsteigend den Giebel in die Mitte nehmen ; ebenso die nach innen abgestuften Flächen im Obergeschoss, ein Motiv, das der spätere Barock ausgiebig verwertet*). Lunghis zweiter Bau, S. Girolamo de' Schiavoni (1585)*), wiederholt die Jugendperiode des Porta, aber ohne Genie. Er hält im ganzen am System von S. Caterina fest mit noch ängstlicherer Flächenfüllung; was er als Oberitaliener mitbringt, ver- bindet sich schüchtern mit den neuen römischen Motiven der Sub- ordination. Das Ganze macht keinen unerfreulichen Eindruck; wir haben es aber nicht mit der Geschichte der Künstler, sondern mit


  • ) Die Entstehungszeit der Fassade ist unbestimmt. Dass auch A. da San-

gallo einen Entwurf zur Fassade machte (Vas. V. 484), könnte auf eine frQhe In- angriffnahme des Werkes hindeuten. Andrerseits gäbe die Notiz bei Vasari (S. 78 Anm. 2) einen terminus ante quem ; wenn der Ausdruck : „le delte pietre cd allri lavori furono posti nella facciata della chiesa di S. Luigi" (I. 123) auf die jetzige Fassade und nicht etwa auf eine provisorische zu beziehen ist. Fällt der Bau wirklich vor 1568 (Zeitpunkt der Vasari- Notiz), so käme er in unmittelbare Nähe von S. Caterina de* Funari, wäre also dem Porta unmöglich zuzuschreiben. Vielleicht gehen nur die Portale auf ihn zurück.

■) Rossi 62.

') In Oberitalien werden aber die Türme nicht so mit der Masse verbunden, sondern isoliert. Vgl. die Zeichnungen bei Serlio z. B. fol. 215. In Vignolas letzter Kirche, S. Anna dei Palafrenieri , ist wohl das Vorbild Lunghis zu suchen.

') Die verwandte Trinitä de' Monti geht nicht auf Domenico Fontana zurück, wie gemeinhin angenommen wird. Von D. Fontana stammt nur Treppe und Portal der Kirche. (Vgl. die betreffende Notiz zur Abbildung in Rossis Nuovo teatro delle fabriche di Roma moderna.) Ebenso ist es ein Irrtum, wenn Ranke (Päpste 8. Aufl. I 310) eine Stelle aus des Gualterius vita Sixti V. auf die spanische Treppe deutet, wo offenbar diese Kirchentrepi>e gemeint ist (scalasque ad templum illud ab utroque portae latere commodas perpulcrasque admodum exstruxit).

•) Rossi 66.


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der des Stiles zu tun und können uns bei den Leuten aus den hintern Reihen nur flüchtig aufhalten.

Zu diesen gehört auch der Meister von S. M. Traspontina^). Seine Befangenheit zeigt sich in den Proportionen : drei gleiche Mittel- teile; dagegen ist das Detail lebhaft und kräftig, was auf einen zweiten Künstler deutet«).

Von Francesco da Volterra die tüchtige S. M. di Monserrato, die aber bei aller Fülle und Üppigkeit der Einzelbildungen im System auch nicht über Caterina de' Funari hinauskommt. An S. Giacomo degli Incurabili gehört das Neue nicht ihm, sondern dem Vollender der Fassade, dem Carlo Maderna.

In Carlo Maderna erschien wieder eine vorwärtstreibende Kraft. Er knüpft an die letzten Werke des Porta an, geht dann aber selb- ständig weiter. Die Gedanken des Barockstils werden von ihm mit einer wirklich hinreissenden Gewalt vorgetragen : er sucht stets nach dem Bedeutenden in Masse und Bewegung.

Seine erste selbständige Schöpfung, die Fassade von 5. Susanna (Taf. 12), ist seine beste geblieben. Ein Werk von prächtigem Kraltgefühl und doch massvoll. Die Fassade dreifach nach den Seiten abgestuft; im plastischen Ausdruck von Pilastern zu Halb-, von Halb- zu Dreiviertelsäulen fortschreitend. Die äusseren Felder bleiben nicht leer, Madema nimmt den Ausgangspunkt im Geschmückten (zwei Relieftafeln übereinander), um in einer überquellenden Fülle zu enden. Nischen mit ihren Statuen, Giebeln, Kränzen, alle reicher und bewegter als früher. Der Reichtum entladet sich im Aufwärtsdrängen: höchst energische Betonung des Vertikalstrebens, das erst in der gleich- massigen Füllung des Giebelfeldes sich beruhigt zeigt. Dem Porta gegenüber beweist aber Maderna schon hier, dass der schwere Ernst aus der Kunst zu weichen beginnt; der Druck scheint sich zu heben; die Formen regen sich freudiger, die ausschliessliche Macht der Horizontalen ist gebrochen.

Unter dem Einfluss von S. Susanna ist die Fassade der Chiesa Nuova") entstanden (von Fausto Rughesi, nicht M. Lunghi). Bedeutend schwächer. Auch Maderna hielt sich nicht auf der Höhe. Für S. Peter reichte seine Kunst nicht aus. Da er im Einfachen das Bedeutende nicht zu finden wusste, sucht er es im Gehäuften und Mannigfaltigen :


  • ) Rossi 65.

■) Wahrscheinlich hat Salustio (Salverio) Penizzi die Fassade angelegt, Ott, Mascherino sie vollendet. Die Vergleichung mit S. M. della Scala lässt diese Überlieferung als richtig erscheinen.

•) Rossi 37. Lübke, Gesch. der Architektur a Aufl. Fig. 880. Gurlitt, a. a. O. Fig. 83.

IVdifflm, Renaissance und Barock. 6


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er wird lärmend und unangenehm. Mit S. Peter lenkt der Stil in seine zweite Periode ein. Wir haben uns damit nicht mehr abzugeben. Ein Nachzügler der früheren Zeit ist der brave Soria. Er hat eine ganze Reihe von Kirchenfassaden errichtet: S. M. della Vittoria*), S. Caterina da Siena, S. Gregorio Magno*), S. Carlo de' Catinari^). Ihr Wert liegt nicht in der lebhaften, gedankenreichen Komposition, sondern in dem Ernst, mit dem Soria diese Travertinmassen behan- delte. Er ist der eigentliche Vertreter der römischen Gra- vitas; durchaus selbständig, macht er von den Reiz- mitteln einer entwickelten Kunst nur sehr massigen Ge- brauch. S. Gregorio Magno (Fig. 12.) auf dem Monte Celio gilt als das berühmteste Beispiel. Es handelte sich darum, der zurückliegenden Kirche einen Pfeilerhof mit Fassade vorzubauen und den Aufgang monumental zu ge- stalten. Soria entledigte sich der Aufgabe mit wenig Genie, aber mit tüchtiger Gesinnung. Von der Treppe habe ich schon gesprochen: es sind gleichmässig durch- gehende Stufen von der Breite der Fassade, drei Absätze bilden die ganze Gliederung. Oben eine Fassade von zwei Geschossen zu je drei Inter- vallen, durch DoppelpilasterbOndel gegliedert, unten von Bogen, oben von Fenstern durchbrochen, beide aber verhältnismäsig klein gebildet, um den Eindruck geschlossener Massigkeit nicht zu stören. Der Giebel entspricht nur dem Mittelteil*). Milizia^) klagt, dass der Architekt die Gunst des Terrains nicht besser zu verwerten gewusst




Fig. 12. S. Gregorio Magno (nach Letarouilly).


  • ) Rossi 70.

•) Ibid. ') Rossi 50.

  • ) Dieses Motiv kehrt wieder bei S. Carlo de* Catinari und S. Caterina

da Siena.

  • ) Milizia, Memorie IL 143.



TAF. 12


S. SUSANNA


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habe. ^Bei einer solchen Erhebung, bei so viel freiem Raum nach vorn, hätte man einen malerischen Durchblick schaffen können, so dass der Pfeilerhof und die (hintere) Fassade der Kirche gleichzeitig sichtbar geworden wären*. Der Vorwurf ist berechtigt, aber er trifft nicht das Können, sondern das Wollen des Architekten. Die reichen, malerischen Prospekte entsprechen nicht dem ernsten Geschmack des ersten Barockstils.

4. System des Innenraumes. Der Barock verlangt möglichst weite und hohe Räume. Aber nicht die gleichmässige Steigerung der Grössenverhältnisse bedingt den Eindruck. Bramantes S. Peter ist nicht barock. Man findet hier wohl einen Kuppelraum von den bedeutendsten Dimensionen, aber um ihn herum ordnete Bramante vier Nebenkuppelräume an, die ihn nicht beengen, aber ihm doch ein Gegengewicht bieten. Sie behaupten dem grossen Räume gegenüber ihre Selbständigkeit und massigen so den Eindruck des Überwäl- tigenden. Michelangelo rechnete im Gegenteil gerade auf diesen Eindruck ; er drückte die Nebenräume so weit herab in ihrer Grösse, dass sie neben dem Hauptraume nicht mehr aufkommen können, und gewann so ein unbedingt dominierendes Zentrum, dem gegenüber alles andere unfrei und ohne eigenen Willen erscheinen muss. Der Durchmesser der Nebenräume ist bei Michelangelo nur ein Drittel von dem des Mittelraumes (d : D = i ; 3), bei Bramante betrug er mehr als die Hälfte des Kuppeldurchmessers (d zu D steht im Verhältnis des goldenen Schnittes)*).

Mit dieser bestimmten Absicht, möglichst grosse Räume ,,aus einem Stück* zu geben, verbindet sich natürlich die andere, die Mauern dieser Räume mit einer einzigen Ordnung zu gliedern. Alle Rücksicht auf menschliche GrössenverhSÜtnisse wird aufgegeben, um eben jene spezifisch barocke Wirkung des Überwältigenden zu gewinnen. Bramante hatte wohl auch Kolossalgliederungen angeordnet, aber daneben immer noch rein entwickelte, fröhliche Säulen kleinerer Ordnung, an die man sich anklammern kann. Das Kolossale schlägt so nicht nieder, sondern wird gleichsam fassbar, das Gefühl findet eine Beruhigung in diesen ihm näher stehenden Gestalten, ihre un- gestörte Existenz gibt ihm selbst Halt und Sicherheit.

Michelangelo will nur das Kolossale. Das Kleinere kann nicht mehr selbständig daneben bestehen. Wo es auftritt, wie an den kapitolinischen Bauten, da tritt es gedrückt und gehemmt auf. Man erinnere sich an jene Säulen, die von der Last an die Pfeiler heran-


0»£s ist Renaissanceempfindung (wie sie in Oberitalien lange sich festhält), wenn Galeazzo Alessi an S. M. da Carignano (Genua) Nebenkuppeln und Haupt- kuppeln wie 1 : 1,25 proportioniert.

6*


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gedrängt werden. Der Mensch muss sich beugen vor dem Über- gewaltigen.

Das Interieur der Renaissance ist darauf berechnet, dass der Mensch es beherrsche, mit seinem Lebensgefühl es ausfallen könne; im Barock wird er vom Raum verschlungen, er versinkt im Über- grossen. Nach diesen Gesichtspunkten gestaltet sich der kirchliche Innenbau.

a. Das Langhaus mit Kapellen. — Für den vereinfachten Grund- riss gab der Gesü das entscheidende Beispiel: ein Schiff von be- deutendster Höhen- und Breitenausdehnung, statt aller Nebenschifie nur eine Reihe von Kapellen, die, dunkel gehalten^), keinen Anspruch auf selbständige Bedeutung machen und mehr als Übergang denn als Abschluss dienen. Eine „malerische* Architektur der grossen Wand- altäre in der Tiefe tut das übrige, die Grenze zu verwischen und die Phantasie ins Unbestimmte zu leiten. Die Kapellen der Renaissance sind im Gegenteil klar bis in den hintersten Winkel.

Die Querschiffe gelangen ebenso wenig zu einer bedeutenderen Entwickelung; sie haben meist keine grössere Tiefe als die Kapellen^).

Der Chor schliesst im Halbrund.

Einschiffige Kirchen mit Kapellen waren während der ganzen Renaissance entstanden, aber doch stets nur bei kleinen Dimensionen. Grössere Räume suchte man stets zu gliedern. Das Neue am Gesü ist die Übertragung des einen Schiffes auf grosse Verhältnisse. Man fragt nach Übergängen. Darauf ist zu antworten mit dem Hinweis auf die eben erwähnte Redaktion des Bramantischen S. Peter durch Michelangelo. Noch bedeutender und jedenfalls unmittelbar bestimmend für Vignola ist das Beispiel gewesen, das Michelangelo an der Kirche von S. M. degli Angeli gab. Bekanntlich handelte es sich um die Umwandlung eines antiken Thermenraumes in eine Kirche für die Karthäuser (Taf. 13). Michelangelo übernahm die Aufgabe. Nun war er nicht der Mann, der aus Pietät das Alte schonte; wenn der antike Langsaal seine Form im wesentlichen behielt, so geschah dies darum, weil er Michelangelos Ideen entsprach. Die Zeit war gekommen, wo das Raumgefühl der späten Antike wieder verstanden wurde. Die Re- naissance hatte sich mehr am Zentralbau des Augusteischen Pantheon begeistert. Für die Wände hatte Michelangelo auch schon Kapellen


') Die Fenster des Schiffes so hoch, dass kein direktes Licht in die Kapellen dringt.

') Es scheint das nicht nur darin begründet zu sein, dass der ganze ver- ftlgbare Raum von der Breite des Mittelschiffes absorbiert wurde, sondern man wollte dem Langhaus kein starkes Gegengewicht bieten. Der spätere Barock gibt wieder ausladende Querschiffe.


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angenommen, wie der Gesü sie zeigt. (Sie wurden im i8. Jahrhundert wieder vermauert.)

Trotzdem bleibt Vignola das ungeschmälerte Verdienst, die typische Form zuerst rein ausgebildet zu haben. Alles Frühere er- scheint neben dem Gesü schmal und eng. Sein Langhaus wird in der Folge sogar bestimmend für den Ausbau von S. Peter, wo Neben- schiffe zwar nicht umgangen werden konnten, aber doch in einer Form gegeben wurden, die ihnen den Charakter von eigenen Räumen benimmt Auflösung in ovale Kuppeln; ausserdem verwehrt die Breite der Pfeiler den Einblick vom Hauptschiff aus zum grössten Teile. (Fig. 8 u. 13).

Der Barock hielt aber das Ideal eines einzigen Raumes, dessen Bedeutung nur in den grossen Verhältnissen liegt, nicht lange fest. Es macht sich im 17. Jahrhundert bald ein Streben nach dem Male- rischen bemerkbar, im Sinne grösserer Mannigfaltigkeit. Man will reiche Durchblicke , interessante Verkürzungen und anderes , was nur durch freie Säulenstellungen und Teilung des Raumes zu er- reichen ist. Mit dieser Teilung sinkt auch der Sinn für die absolute Grösse.

Ein höchst eigentümliches Beispiel für den Charakter dieser späteren Zeit bietet S. M. in Campitelli. In Oberitalien, namentlich in Venedig, hatte die Architektur immer stark unter solch' malerischen Einflüssen gestanden. Wie ganz verschieden ist selbst Palladios Reden- tore*) von römischen Mustern (Coupierung des Raumes, Kuppelraum vom Langhaus abgetrennt, Durchsicht durch die hinteren Säulen in einen neuen Raum).

b. Das Tonnengewölbe. — Der Raum wird gedeckt durch ein Tonnengewölbe. Es ist durchaus unbarock, das Langhaus in eine Reihe einzelner Kuppeln aufzulösen, wie es in Venedig beliebt ist und wie selbst ein dem Barock nahestehender Meister, Pellegrino Tibaldi es tut (S. Fedele, Mailand. Ebenso S. Ignazio, Borgo S. Sepolcro). Der Stil will den Raum nicht in einzelne Komparti- mente teilen, sondern möglichst an einem Stück lassen und diesen Dienst tut die Tonne.

Nach L. B. Alberti hat sie vor der flachen Decke auch eine grössere „dignitas* voraus; vor Allem aber ist es wesentlich, dass sie den Eindruck der Bewegung gibt: die Tonne scheint sich jeden Augenblick aufs neue zu wölben, ja bei bestimmten Proportionen glaubt man ein Wachsen des Raumes nach oben zu empfinden. Die Gliederung der Tonne geschieht ursprünglich durch breite Gurten, die den Pilastern der Wände entsprechen; dann wird mehr und mehr


>) Scamozzi, les bAtiments de Palladio. Fol. tom. III. T. i ff.


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der tektonische Zusammenhang aufgehoben, der Gewölbeansatz ver- deckt und das Ganze der Dekoration anheimgegeben.

Die Anwendung der Tonne war stets abhängig von der Be- leuchtungsfrage. Bedeutend konnte sie erst werden, als man wagte, die Rundung mit Lichtöflfnungen zu durchbrechen (Stichkappen mit mannigfach geformten Fenstern). Dadurch allein war das für den kirchlichen Charakter unentbehrliche Oberlicht zu gewinnen. Zwischen dem Gewölbe und seinem Gesims wird dann in der Regel noch eine Attika eingefügt, um unter den grossen Stichkappenfenstern noch genügende Konstruktionshöhe für das Pultdach des Kapellenkranzes oder des Seitenschiffs zu erhalten. Für die Raumwirkung des Innern war diese Attika von grosser Bedeutung. (Siehe später: Gesü, S. Ignazio, S. Andrea della Valle). Die Tonne von Albertis S. Andrea (Mantua), einem Bau, der dem Barocktypus nahe kommt i), konnte bei den reichlichen Fenstern in den Stirnseiten undurchbrochen bleiben und die Lichtzufuhr teilweise der Kuppel überlassen.

Die ersten Stichkappen mit Halbrundfenstern in der Tonne der Carmine (Padua), noch aus dem XV. Jahrhundert 2).

Bei den Kreuzgewöll>en von S. M. degli Angeli war die Lösung leicht.

Entscheidend : Gesü , wo aber die jetzige Dekoration einer viel späteren Zeit angehört (Fig. 13).

In S. Peter Tonnenfenster erst durch Maderna in den vorderen Teilen des Langschiffes.

c. Die Wandbehandlung. — Die Wand ist von den Kapellen- eingängen durchsetzt. Diese Eingänge sind im Bogen gewölbt und werden eingefasst von Pilastern, die die Wand ihrer ganzen Höhe nach gliedern.

Die Einheit dieser Wandordnung ist ein Motiv, zu dem die Renaissance nur sehr langsam kam. Einschiffige, flachgedeckte Kirchen mit Kapellen, wie Cronacas S. Francesco al Monte (Florenz) von 1500, haben zwei vollständige Pilasterordnungen übereinander: die untere rahmt die Kapellen ein, die obere die Fenster. Später beseitigt Sansovino (S. Marcello, Rom) die obere Ordnung, lässt die Mauer mit den Fenstern ungegliedert und drückt sie auch in der Grösse zu einer Art von Attika herab. — Das Gewölbe wird mit einem einheitlichen System verbunden bei Alberti (S. Andrea, Mantua),


') Einschiffiges Langhaus mit Kapellen, Kuppel und rundem Chorabschluss. (Grundriss bei Burckhardt. Ren. Fig. 130.) Unbarock ist aber die Länge des Schiffes im Verhältnis zur Kuppel (3 : i, während sie kaum die Proportion von a : i haben sollte), die bedeutende Behandlung der Querarme (Kapellen an den Seitenwänden) und die kleine Chorapsis.

  • ) Burckhardt, Ren. in Italien Fig. 136.



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87

in grossem Verhältnissen aber sind sonst zwei Ordnungen das Ge- wöhnliche für den Langbau und namentlich für den Zentralbau.

Bramante hatte auch für S. Peter diese Zweiteilung zuerst an- genommen (GeymüUer a. a. O., T. 3, 4, 5), dann aber sich zu einer durchgehenden Pilasterordnung mit unteren Säulen entschlossen (Geym. T. 13) und schliesslich gar zu einer reinen Kolossalordnung, wenigstens teilweise: die (kleinern) Säulen werden in die Umgänge an den vier Enden der Kreuzarme verwiesen (Geym. T. 14).

Michelangelo beseitigt sie auch dort (s. o.). Von da an bleibt das System massgebend für die römischen Bauten. In Oberitalien hatte man einen kleinlichen Sinn nie ganz überwinden können, man wird selten ein Werk treffen, das der römischen Empfindung für das Grosse nahe käme. - Auch in Rom meldet sich im spätem Barock wieder die Neigung zu kleinen Teilen.

Die Gliederung der Wand geschieht durch Pilaster. Der Pilaster ist der notwendige Ausdruck des gehaltenen Ernstes. Ober- italien mag nie die Säule ganz missen (Palladio und namentlich Genua), in Rom erscheint sie erst, nachdem die Fassade sie wieder aufgenommen, auch im Innern (nach der Mitte des 17. Jahrhunderts).

Der einfache Pilaster konnte bei den gewaltigen Flächen keine genügend starke Gliederung abgeben; Bramante (S. Peter) gibt ihn gedoppelt ; zwei Nischen übereinander sind dazwischengeklemmt. / . • r Der Gesü (Fig. 13) behält bei geringern Dimensionen die Kuppelung J 6 7 bei, entfernt aber die Nischen (vgl. die Entfernung der Nischen aus der Fassade durch Porta). Kleinere Kirchen begnügen sich mit dem einfachen Pilaster. — S. Andrea della Valle führt die Form des Pilasterbündels ein (auch in den Gewölbegurten fortgeführt). — S. M, in Campitelli endlich gibt ganze Haufen von freien Säulen; der reiche Stil hat begonnen.

Die Bildung des Pilasters im einzelnen entspricht dem Geist, mit dem er verwendet wird: der ernste Charakter der ersten Zeit bildet den Sockel niedrig und schwer. Michelangelo liess in S. M. degli Angeli den ganzen Fussboden erhöhen, um die schlanken, antiken Säulensockel verschwinden zu machen. Mit der zunehmenden Befreiung der Glieder erhöht sich auch dieser Teil, der die Säule vom Erdboden emporzuheben bestimmt ist. (Die gleiche Entwicklung wie beim Sockel der Fassade).

Noch deutlicher spricht die Behandlung der Attika. Der Barock verlangte eine schwer lastende Bildung. Die schlanken Ansätze des Kreuzgewölbes, die Michelangelo in S. M. degli Angeli vorfand, er- stickte er in einer drückend reichen Attika; der Gesü zeigt eine einfachere, aber noch schwerer lastende Form. Dann aber hebt sich der Druck, und allmählich verschwindet die Attika ganz.


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Der Bogen (d. h. der Kapelleneingang), der in der Renaissance das Pilasterintervall ganz ausfüllt, bis an das Gesims heranreicht und zu diesem durch eine Schluss-Konsole in Beziehung gesetzt wird, wird jetzt oft so niedrig gehalten, dass ein beträchtlicher leerer Raum unterhalb des Gesimses entsteht. So im Gesü (hier ist der freie Mauerraum teilweise zu einer ganz gedrückten und unter den Architrav gepressten Galerie benützt), in S. M. dei Monti, in der Chiesa Nuova. Die Schlusskonsole bleibt fort. Sie kommt erst wieder mit dem zunehmenden Hochdrang, zugleich beleben sich dann die Bogenwinkel durch sitzende und liegende Figuren, die Richtung nach oben wird dadurch energisch betont. In S. Peter kann man die zunehmende Plastik dieser unglücklichen Zwickel -Gestalten beobachten: die letzten (dem Eingang zunächst) drohen jeden Augen- blick mit ihrer gewaltigen Masse in die Tiefe zu stürzen.

Es kommt die Zeit, wo die ganze Komposition eine aufgeregtere wird: was gibt sich Borromini für Mühe, die Wand der alten Lateransbasilika in Aufruhr und Bewegung zu bringen. Das Kirchen- innere gab damit einen bedeutenden Faktor der Wirkung auf, nämlich den Kontrast zur Fassade. Bis dahin hatte man im Gegensatz zu der Unruhe der äusseren Erscheinung ein höchst ruhig und gross komponiertes Interieur gegeben, mit Borromini fängt alles aussen und innen gleichmässig an zu schreien.

Die Beschleunigung des Pulsschlages zeigt sich deutlich in der Veränderung der Proportionen von Bogen und Pilasterintervallen. Die Intervalle werden immer enger, die Bogen schlanker, die Schnellig- keit der Aufeinanderfolge nimmt zu. Man vergleiche in dieser Be- ziehung Gesü und Andrea della Valle. Auch im Langhaus von S. Peter bemerkt man, wie Maderna mit den Pfeilern viel näher zusammenrückt als seine Vorgänger.

Ein neues Motiv des Barock ist, auf die drei gleichen Intervalle des Langhauses ein kürzeres vor der Kuppel folgen zu lassen, das sich jenseits derselben wiederholt. Dies hat dann gewöhnlich keinen Bogen, sondern nur eine kleinere Türe. Offenbar beabsichtigte man eine Verstärkung der Kuppelträger damit, für das Auge aber ist es eine sehr wirksame Vorbereitung auf den Kuppelraum *).

d. Die Kuppelbildung und Lichtwirkung. — Als allgemeine Züge der Kuppelbildung ergeben sich: der Tambour innen rund, aussen polygon; Gliederung innen und aussen durch Pilaster oder Säulen; Attika; die Wölbung mit Rippen schlank aufsteigend; Laterne mit Bekrönung. Natürlich blieb S. Peter Vorbild für alle. Michelangelo


') Ein Freund bemerkte, es sei dies ein kurzes Anhalten des Atems, bevor der grosse Kuppelsprung folge.


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hatte die Hauptkuppel nur bis zum Tambour fertiggestellt , aber ein grosses Holzmodell hinterlassen. Nach diesem vollbrachte Giac. della Porta 1588 die Riesen Wölbung*).

Bramante projektierte eine Flachkuppel, gleich der des Pantheon, mit den bekannten Stufenringen. Die Kuppel schwebt über einem Kranze von freien Säulen, die einen Umgang bilden 2). Das Ganze breit, ruhend, im Gegensatz zu dem mehr aufstrebenden Gebilde Michelangelos, das in jeder Linie Nerv und Kraft ist, ohne deshalb gothisch-körperlos zu werden.

H. V. Geymüller«) beschreibt den Unterschied mit folgenden Worten: »Bei der Kuppel Bramantes ist das Einheitlich-ruhende im breiten Portikus und in den Stufenringen des Kuppelanfangs in leuchtender Schönheit ausgedrückt; hier ist der Tambour die Haupt- sache, wie eine herrliche Krone über dem Grab des Apostelfürsten schwebend, nur mit der notwendigen Decke versehen, die hier als zierlich elegante Flachkuppel auf den Säulen leicht aufruht. Michel- angelo zerteilt den Portikus in einzelne Strebepfeiler mit gekuppelten Säulen an der Stirn, er verstärkt das vertikale Element, verstärkt aber zugleich auch die Last. Die Masse der Kuppel ist bei ihm eine viel grössere. **

Die Geschichte der Kuppel seit Michelangelo ist wesentlich nur eine Geschichte der wechselnden Proportionen, im System ändert sich nichts. Die Geschichte der Proportionen aber ist diese : mit dem Schwererwerden aller Formen sinkt auch die Kuppel zu einer ge- drückten Bildung herab (Gesü, S. M. dei Monti, Fig. 14), erholt sich dann aber und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt lässt sich eine Steigerung zu immer grösserer Schlankheit bemerken. Und zwar innen und aussen. Das ruhige Schweben, das nach dem Ausdruck Jakob Burckhardts die Peterskuppel den Menschen empfinden lässt, wird mehr und mehr zu

M In jüngster Zeit ist durch Garnier (Gazette des beaux arts, II. per., t. XIII p. 20a) und Gurlitt (a. a. O. S. 66) dem Giac. deiia Porta nicht nur das technische, sondern auch das künstlerische Verdienst zugesprochen worden. Die Entscheidung der Frage hängt davon ab, ob das vorhandene Holzmodell Michel- angelo's von der ausgeführten Kuppel abweicht. Eine Erhöhung der innern Schale wird allgemein zugegeben, es handelt sich nur um die berOhinte äussere Umrisslinie. Die Messungen differieren. Gotti (und GeymQller) erkennen nur Michelangelo als Künstler an. GeymüUer (a. a. O. S. 244) : |,Innen ist die Kuppel Vs hoher als dies von Michelangelo beabsichtigt war, im äussern Umriss dagegen und mit genauer Beibehaltung des Details nur 2Vt Palmen, d. h. ganz unbemerk- lieh höher." (Es bezieht sich diese ^Erhöhung" nur auf das Weglassen der innersten (dritten) Halbkugelschale, die vielleicht bereits von Buonarotti aufgegeben war. Durm, zwei Gross konstruktionen der Renaissance. Zeitschr. f. Bauwesen, Jahrg. 37 (1887) S. 482—500.)

  • ) Abbildung bei Serlio, üb. III. fol. 66.

") A. a. O. Text S. 244.


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hastigem Auffahren. Man mag an die gleiche Erscheinung im Gebiete der Malerei erinnern: die Heiligen schweben nicht mehr, sondern fahren mit leidenschaftlicher Hast aufwärts. Im Gesü und in S. M. dei Monti beträgt die Höhe nur das dreifache Mass der Breite (im Innern vom Boden aus gerechnet), in S. Andrea della Valle genau das Vierfache. In S. Peter erhöhte Giacomo della Porta die innere Schale der Kuppel um ^/e gegenüber dem Modell Michelangelos, was aber die Ruhe dieser ungeheuren Weite nicht alteriert.



Fig. 14. S. Maria dei Monti, Längsschnitt (nach Lctarouilly).

Der Hauptzweck der Kuppel aber ist, jene Ströme des Lichtes von oben in die Kirche zu leiten, die für den weihevollen Charakter des Raumes so wesentlich sind. Im Gegensatz zu der überirdischen Helle wird hier das Langhaus verhältnismässig dunkel gehalten, zumal die Tiefe der Kapellen verschwindet ganz im Finstern^). Der Raum

M Man vergleiche die analoge Erscheinung in der Malerei : der dunkle Grund.


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scheint unbegrenzt. Es sind das die Effekte der Beleuchtung, die die Malerei eben erst gefunden hatte, die hier aber im höchsten Sinne zu einer gewaltigen Wirkung verwendet werden. Der Barock zuerst rechnet mit dem Licht als einem wesentlichen Stimmungsfaktor. — Dass der Raum jetzt überhaupt dunkler gehalten wird als in der Renaissance, hängt zusammen mit der Schwere der Formen. Später als die Architektur leichter atmet, wird auch das Kircheninnere wieder heller.


Kap. II. Palastbau

I. Die profane Architektur des Barock steht zur kirchlichen in einem auffallenden Gegensatz. Man wäre geneigt, hier überhaupt eine barocke Stilentwicklung zu leugnen, so sehr überrascht es, nach der quellenden Fülle und Kraft der Kirchenfassaden hier eine zurück- haltende, strenge Formgebung zu finden. Es scheint auf den ersten Blick unmöglich, dass derselbe Maderna, der S. Susanna schuf, zu gleicher Zeit jenen Palast der Mattei bei S. Caterina de' Funari (Mattei di Giove) aufführte, ein Gebäude, das durchaus der Horizon- tale unterworfen, schmucklos und gross, einen freudlosen, fast düstem Eindruck macht.

Der Barockstil ist auch hier vorhanden, aber die Fassade des Palastes hat eben andere Gesetze, als die der Kirche: sie ist nur zu verstehen als Aussenarchitektur, der eine ganz andere Innenarchi- tektur entspricht : aussen kalte, ablehnende Förmlichkeit, innen üppige, sinnberauschende Pracht.

Die Zeit der Vornehmheit auf spanische Weise war gekommen : ein steifes, schwerfälliges Wesen im Verkehr, statt der natürlichen Äusserung eines lebendigen Gefühls eine gemachte Haltung, statt der Mannigfaltigkeit des Individuellen ein allgemeiner, gleichgültiger Ton*). Dies wird bestimmend für den aristokratischen Palast. Ant. da San- gallo, der ein vornehmer Herr in Rom geworden war*), gab in seinem eigenen Hause ein Muster (Pal. Sacchetti, Taf 14); er hat alles Eigen- tümliche und Warm-lebendige abgestreift und traf damit den rechten Ton. Alle freiere Äusserung verschliesst man ins Innere des Hauses.


») Vgl. Ranke, Papste 8. Aufl. I 317.

  • ) Nebenbei bemerkt, lässt sich Qberhaupt ein allgemeines Vornehmwerden

bei den Künstlern beobachten. Sie nehmen in Rom die ersten Stellungen in der Gesellschaft ein, werden Cavalieri, zu diplomatischen Missionen verwendet. Es wird manches dadurch auch in ihrem Stil verständlich.



TAF. 14


PAL. SACCHETTI


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Eine Ausnahme machen öffentliche Gebäude, wozu die Paläste der Päpste gehören, die sich an keine bestimmte gesellschaftliche Regel zu halten haben. Sie geben sich freier und prächtiger auch nach aussen.

Der flarentinische Palasttypus zieht alles ins Hohe und Trockene, der römische Ernst, das Gefühl für das Ruhig-grossartige, jene breite und prächtige Art zu sein, bleibt hier immer unverstanden.

Ebenso ist der heitere Reichtum der Paläste Genuas, wie sie unter der Hand Galeazzo Alessis als ein glücklicher Ausdruck ge- hobener Feststimmung entstehen, eine nicht nur unrömische, sondern auch dem Barock überhaupt fernstehende Erscheinung.

2. Der römische Palast in der Zeit der kirchlichen Wieder- herstellung ist ein grosser, ernster, vornehmer Bau^).

Die Mauer aus Backstein, gleichmässig glatt übermörtelt. Die Gliederungen, wie Ecken, Gesimse, Fenster in Haustein gegeben. Dies System, schon am Pal. di Venezia angewandt, wird durch Bramante eine Zeitlang zurückgeschoben, kommt aber durch A. da Sangallo von neuem zur Geltung. Hauptbeispiel: Pal. Farnese.

Die rohe Rustika wird selbst im Erdgeschoss nicht mehr ge- duldet, sie bleibt der ländlichen Ungebundenheit überlassen*). Die feinen Quaderfügungen aber (nach dem Beispiele der Cancelleria) entsprechen nicht dem barocken Gefühl für Masse.

Die Mauer bleibt möglichst ungeteilt und ungegliedert. — Bra- mante hatte einst jedes Fenster in ein wohlgefügtes System von Pflastern und Gesimsen hineingezogen, also dass jeder Teil an seiner Stelle durchaus als beabsichtigt und vorbereitet, als notwendig und unveränderlich erschien. Wo die vertikalen Ordnungen durch die Fenster-Halbsäulen überflüssig gemacht waren, da befriedigte man dieses Formbedürfnis durch Gesimsbänder, die die Fenster unter den Giebeln fassen, so dass sie nie aus einem festen Zusammenhang herauskommen (Raffael: Pal. dell' Aquila (Fig. i) und Pal. Pandolfini; Baccio d'Agnolo: Pal. Bartolini; Ant. Dosio: Pal. Lardarel u. a.). Der Barock verzichtet auf diese Gliederung. Er belässt die Mauer in möglichst ungebrochener Ganzheit 3).

Sangallo dachte im Pal. Farnese nie daran, Gurtbänder unter den Fenstergiebeln durchzuführen; wandgliedernde Pilaster oder Halb- säulen fehlen ebenfalls; man kann sagen, sie seien einigermassen ersetzt durch die Säulen der Fenster; aber es verschwinden auch

die Fenstersäulen und es kommt kein Ersatz. Ja, nian wagt die 1

') Der Ausdruck bei Scamozzi: „tenghino del grave i palazzi.

  • ) Wenigstens in Rom. Vgl. dagegen etwa Ammanatis Pittihof in Florenz

und Pellegrino Tibaldis Hof des Pal. Arcivescovile in Mailand.

  • ) Charakteristisch die Wegiassung der Gliederungen an Ammanatis Pal.

Anguillara (Florenz), der sonst den Typus Lardarel genau wiederholt.


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Fenster des Mezzanins ganz frei in der Luft schweben zu lassen (Pal. Sacchetti von Sangallo, Taf. 14) i) und schliesslich auch einem Ganzgeschoss jeden tektonischen Halt zu entziehen (frühes Beispiel: j :;! S' Pal. Ruspoli von Ammanati, Taf. 5).

Der spätere Barock bringt wieder Pilaster (Pal. Odescalchi von Bernini, Vorbild für alle späteren Bauten).

Nach dem gleichen Gefühle für geschlossene Massigkeit bestimmt sich das Verhältnis von Mauer und Maueröffnung. Die breiten Fenster der Renaissance sind nirgends mehr zu finden, sie bekommen jetzt mehr und mehr eine elegante, fast gepresste Schlankheit und müssen gegen die Mauermasse zurücktreten. Dann werden die Geschosse so erhöht, dass eine grosse leere Mauerfläche über den Fenstern entsteht^). Sehr mächtig wirken ganz geschlossene und ganz un- gegliederte Parterres, wie an der Sapienza (nach Vorbild von der Vigna di Papa Giulio?). — Von einer dekorativen Flächenfüllung ist keine Rede.

Auch dies ändert sich nach dem ersten Viertel des 17. Jahr- hunderts.

3. Die horizontale Komposition. — Die Breite der Fassade ist im Verhältnis zur Höhe meist eine sehr bedeutende: man liebt die prächtige, bequeme Ausdehnung. Aber auch bei grösster Breite (Pal. Ruspoli von Ammanati mit 19 Axen)^) wird der Körper durch keine vortretenden Eckflügel (wie etwa an der Cancelleria) oder von einem Mittelrisalit gegliedert, sondern als einheitliche Masse zusammen- gehalten (Taf. 5). Pal. Barberini gehört schon einer ganz neuen Em- pfindungsphase an.

Eine interessante Art von liorizontaler Entwicklung ist dagegen die rhythmische Anordnung der Fenster*), die man an der Rück- fassade der Sapienza (vielleicht auf Michelangelo zurückgehend)*^) und öfter von Giacomo della Porta angewendet findet (Pal. Chigi an Piazza Colonna)<'). Die Fenster ballen sich gegen die Mitte in lebhafter Bewegung zusammen, während die äussersten durch isolierte Stellung


') Vignola hatte ihnen doch noch ein eigenes flaches Band gegeben, worauf sie stehen können (Pul. Farncse, Piaocnza; Gurlitt, Fig. 19).

  • ) Wie weit man hier gerne gegangen wäre, erkennt man an idealisierten

zeitgenössischen Abbildungen. Ich erinnere mich an eine Darstellung des Pal. Salviati in der Galerie Doria (dem Gasp. Poussin zugeschrieben), wo diese Partie weit über die Wirklichkeit hinaus erhöht ist. Der Eindruck des Majestätischen gewaltig dadurch gesteigert.

') Abb. bei Ferrerio, Palazzi di Roma I. 23.

  • ) Vorbereitet durch die bewegt-metrische Fensterdisposition an den Seiten-

fassaden von Pal. Farnese.

  • ) Ferrerio I. 30. Let. I. 70.

•) Ferrerio II. 14.


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den ruhigen Ausgangspunkt bezeichnen. (Vgl. auch die Seitenfassade / ,; des Pal. Ruspoli und Pal. d'Este, Fig. 15.)

4. Die vertikale Komposition gibt nicht mehr eine Folge einzelner selbständiger Stockwerke von zunehmend leichterer Bildung, wobei das Ganze zusammengesetzt erscheint aus gleichwertigen Elementen, sondern ein Geschoss tritt nun entschieden dominierend hervor, die anderen müssen diesem sich unterordnen, haben nur in Bezug auf dieses Sinn und Bedeutung d. h. ästhetischen Wert.

Das Hauptgeschoss wird so herausgearbeitet, dass das darüber folgende ihm gegenüber die Selbständigkeit verliert. Diese domi- nierende Stellung wird einmal in der Fensterbildung ausgedrückt: im Erdgeschoss ist sie streng und befangen, oben ganz schlicht, den Fenstern der Mitte bleibt die stattliche Öffnungs weite, der stark- schattende Giebel, Konsolen und Sohlbank vorbehalten. Die Haupt- wirkung liegt aber in der imponierenden Höhe dieses Geschosses. Sie entspricht den gewaltigen Saalanlagen des Innern ; da aber diese Säle von der einen Fensterreihe, die lange nicht die Hälfte der Wand- höhe erreicht, nur ungenügend erhellt werden können, so war man genötigt, eine zweite Reihe kleiner Lichtöffnungen auszubrechen und diese erscheint aussen als Mezzanin. Fälle, wo wirklich ein Halb- stockwerk angeordnet ist, fehlen nicht, sind aber die selteneren*).

Das Mezzanin wird nun nicht verhehlt oder nur dekorativ an- gebracht, wie in der Renaissance, sondern darf mit architektonischer Bedeutung auftreten, ja es wird oft sehr wertvoll, indem es einen schwungvollen Rhythmus in die verticalc Entwicklung der Fassade hineinbringt. Es nimmt nicht die genaue Mitte zwischen den grossen Fenstern und dem Gesims ein, sondern zeigt eine Anzieliung nach der einen oder der andern Seite. Der feinste Sinn für Verhältnisse ist nötig, um die verschiedenen Fenstergrössen schön zueinander zu stimmen. Es gibt aber einige vortreffliche Beispiele, wo die oberste Fensterreihe gleichsam die mittlere Grösse aus Hauptfenstern und Mezzanin herauszieht und so wohltuend abschliesst. — Die Floren- tiner haben mit dem Mezzanin sich nie befreundet. Auch in Rom verliert es sich wieder, als man später das Einheitsprinzip für die Fassade aufgab und die Geschosse wieder gleichwertig gestaltete (Pal. Altieri etc.; einzelne Beispiele sind schon früher zu finden, z. B. Pal. Sciarra).

a. Die einheitliche Bildung der Fassade beginnt schon bei Bra- mantes späteren römischen Arbeiten. Pal. Giraud unterscheidet sich

') Gewöhnlich durchbrechen dann einzelne grosse Räume des Piano nobile das darQberliegende Halbstockwerk. Nach dem Zeugnis Serlios verlangte man ftlr den Winter kleinere Räume, der leichteren Heizbarkeit wegen. Burckhardt, Renaissance S. 213.


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wesentlich von der Cancelleria dadurch, dass er das Hauptgeschoss bedeutender heraushebt. Im Erdgeschoss verschwinden zugleich die vertikalen Fugen, was ihm mehr den Charakter eines blossen Sockels gibt. Deutlicher ist dies Ideal verwirklicht in Bramantes letztem Stil, den sein eigenes Wohnhaus^) repräsentiert: unten Rustika, durchaus sockelmässig, oben eine Ordnung von gekuppelten Halbsäulen.

Eine Weiterbildung vollzog Raifael (?), indem er ein drittes Stockwerk als Attika aufsetzte (Pal. Vidoni-Caffarelli)*). Ähnlich: Pal. Costa*) (von Peruzzi). Die Halbsäulen hier zu PilasterbQndeln gedämpft*).

Die Einheit, die die Renaissance auf diesem Weg erreichte, konnte aber dem barocken Formgefühl noch nicht entsprechen. Dieses erträgt nicht die Teilung des Baukörpers in bestimmt gesonderte Elemente: es will die Fassade als eine grosse gleichmässige Masse aufgefasst wissen. Darum vermeidet der Barock starkteilende Gesimse und kontrastierende Mauerbehandlung ebenso wie Pilaster- und Halb- säulenordnungen. Das entscheidende Wort wird nicht von bestimmten Formen, sondern von den Proportionen der Massen gesprochen.

b. Das erste grosse Muster einer Fassade in diesem Sinne (ohne Mezzanin) hätte A. da Sangallo im Pal. Famese gegeben, wenn nicht Michelangelo in letzter Stunde sein Werk verändert hätte. Sicherlich nicht zu seinem Vorteil. Denn indem er das Kranzgesims um mehr als zwei Meter höher hinaufrQckte'), kamen die Fenster ganz aus der Proportion: sie sind jetzt entschieden zu klein*). Antonios Absicht ging darauf, das abschliessende Gesims ganz nahe über den Giebeln der oberen Fensterreihe hinzuführen, so dass dem Hauptgeschoss mit seinen grossen Fenstern und der hohen Obermauer die ganze Wirkung geblieben wäre, die jetzt durch die (schwächere) Wieder- holung des gleichen Motivs im zweiten Stockwerk vollständig auf- gehoben wird.

Der Gedanke ging übrigens nicht verloren; er war im barocken Geiste konzipiert und wird von diesem wieder hervorgetrieben: ein


') S. oben S. 4 Anm. 2.

  • ) Abb. bei Letar. 111. 267. Die Vertikalfugen auch im Rustikasockel unter-

drOckt. Die jetzige Form der Attika ist jedenfalls nicht dem Raffael auf die Rechnung zu schreiben. Ob Oberhaupt die Attika von ihm beabsichtigt?

  • ) Letar. I. 43.

^) Ohne Rustika: der kleine Pal. Spada, via Capo di Ferro (Letar. L ao^ Peyer-Imhof 18) und Vignolas Palast an Piazza Navona (Letar. I. 37). Dem Giulio Romano ist die Lösung des Problems nie recht gelungen. Seine Schwäche liegt in den Proportionen.

  • ) Letarouilly, texte S. 289.

•) Cicerone II, i. S. 285.


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halbes Jahrhundert später erscheint er — freilich nicht in glücklichster Form — am Lateranpalast des Domenico Fontana*).

c) Für die Fassade mit Mezzanin über den Hauptfenstern in der oben beschriebenen Art sind schon aus der Renaissance Beispiele vorhanden : vor allem Raifaels Pal. dell'Aquila (Fig. i) •). Ganz unbarock sind hier nur die Bogen im Erdgeschoss. Dann Sansovinos Pal. Niccolini'). Man kann hier deutlich sehen, wie nicht in einem neuen System, sondern in der Behandlung des Gegebenen der Barock sich später erweist, vorzüglich in dem Verhältnis von Mauer und Öffnung, in der Proportionierung der Fenster zum Geschoss und der Ge- schosse zu einander. — Aus dem Parterre verschwinden von nun an die Buden. — Peruzzis (?) Pal. Angelo Massimi*) (neben Massimi alle Colonne) schon auf Massenwirkung ausgehend und sehr gehalten im Ausdruck. — Sangallos Pal. Sacchetti (Taf. 14)*^ (i543). Sein eigenes Haus. Wertvoll als Ausdruck seiner individuellsten Über- zeugung. Was hier noch stört, sind die grossen Erdgeschossfenster. Die ausgebildete „finestra terrena", wie sie in Florenz beliebt ist, entspricht nicht dem sockelartigen Charakter dieses Geschosses. —

Sehr bedeutend von Vignola der Pal. Farnese*) in Piacenza (1560 begonnen): fünf Geschosse sind hier so geordnet, dass für den Anblick nur ein Hauptstockwerk existiert. Gewaltige Wirkung der Masse, die durch keine Art von vertikaler Teilung verkleinert wird. Die (bolognesisch-viereckigen) Mezzanine noch auf eigenen (unter- geordneten) Bändern. In den Proportionen einige Ängstlichkeit nicht zu verkennen, die römische Grösse fehlt noch.

Vignolas Schüler Giacomo della Porta tut, wie im Kirchenbau so auch in der Profanarchitektur, die entscheidenden Schritte, um dem Palast die barocke Massigkeit und die Bewegung der Kom- position zu geben. Noch knapp und gemessen Pal. Paluzzi, Pal. Boadile und ein namenloser an Via del Gesü (abgetragen)'), dann aber werden die Formen voller und in die Proportionen kommt jene


  • ) Ferrcrio I. 10. Let. II. 229.
  • ) S. oben S. 4 Anm. 4. Restauration bei Let. III. 346. — GeymQller,

Raffaello f. 30, 31. Hier tritt das Renaissancemflssige deutlicher hervor als in LetarouiUys Restauration. Die Bogen unten sind bedeutender, das Hauptgeschoss weniger dominierend» das Kranzgesinis stftrker betont

») Let I. 14.

  • ) Let III. 299.

•) Let L 93.

  • ) Gurütt Fig. 19, nicht ganz richtig in den Verhältnissen.

^ Die Urheberschaft ist nicht Qberall gesichert. Abb.: Pal. Paluzzi bei Ferrerio II. 39 und Gurlitt Fig. 30, Pal. Boadile bei Let. I. 5a, Pal. in via del Gesü bei Ferrerio II. 5a.

fVdifflm, Renaissance and Barock. 7


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Spannung, die dem Barock eigentümlich ist: PaL Chigi^), Pal. d'Este (Fig. 15)*) und Pal. Serlupi (unvollendet).

5. Gliederungsfortnen. — Der Sockel. An der Cancelleria nahm der Sockel ein Vierteil der Erdgeschosshöhe ein, am Pal. Farnese ist er, als ausladende Bank, bedeutend niedriger gehalten, späterhin bleibt er fast unbezeichnet. Man begnügt sich mit kleinen, hoch-



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14


Fig. 05. Pal d'Este (nach Falda).

kantig gestellten Platten: das Erdgeschoss als Ganzes vertritt die Stelle des Sockels.

Die Gurtgesimse werden ebenfalls zu einfachen Streifen abge- schwächt. Sie sollen nicht bedeutend unterbrechen. Zur Zeit des Überganges waren kräftige Bänder mit Mäanderschema beliebt; darunter noch ein ornamentierter Fries. Früher, bei Pilasterordnungen, gab man ein volles Gebälk. Florenz behält diese Form auch nachher noch lange, indem auf Eckpilaster Bezug genommen wird.


  • ) Fcrrerio II. 14.

') Ferrerio II. 20.


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In Rom sind die Ecken entweder gar nicht bezeichnet (selten) oder mit Ortsteinen eingefasst und zwar von abwechselnder Grösse, was eine unruhig bewegte Begrenzungslinie ergibt. Eckpilaster waren ursprünglich von Sangallo auch für Pal. Farnese projektiert, wurden dann aber durch Rustikalisenen ersetzt. Das letzte römische Beispiel wohl an der Villa di Papa Giulio, wo es auf den bolog- nesischen Architekten zurückzuführen sein dürfte. Das Motiv wider- spricht der barocken Massigkeit.

Das Kranzgesims darf nur wenig ausladen, da das oberste Geschoss eine so geringe Grösse besitzt. Michelangelos Beispiel am Pal. Farnese trotz aller Bewunderung hierin nicht nachgeahmt. Die Formgebung im Einzelnen schwankend. — In Florenz hält sich das vorspringende Sparrendach.

Der Fries unter dem Kranzgesimse, der z. B. bei Raflfaels Pal. Pandolfini als ein herrliches breites Stirnband ohne Ornament erscheint, wird im römischen Barock oft weggelassen. Das Motiv wirkt zu ruhig. Wo der Fries aber vorkommt, da ist seine Bildung eine ganz schmale, ausserdem wird er manchmal ornamentiert : so am Pal. Farnese und (schmaler) am Pal. Lateranense.

6. Fenster büduftg. — Die Fenster haben nicht mehr den An- spruch auf selbständige Form ; sie sind keine Ädiculae mehr, Häuschen am Hause, die mit eigenen Halbsäulen oder Pilastern und bekrönendem Giebel auftreten, der Barock duldet nicht diese Loslösung und Sonderexistenz ^). Ein einfacher Streifen, der sich oft mehrfach gegen die Mauer abstuft, ersetzt den Pilaster oder die Halbsäule : der Giebel aber wird getragen von stehenden Konsolen, die auf diese Mauer- streifen auslaufen.

Dies ist der Grundtypus des Barockfensters. Die Form ist schon in der Antike vorhanden: Sangallo und Michelangelo nehmen sie wieder auf. Zuerst an Pal. Riccardi (Medici) zu Florenz*), dann in der Grabkapelle von S. Lorenzo und in beiden Geschossen des Hofes vom Pal. Farnese. Ausserdem frühe bei Peruzzi, Pal. Linotte') und (ohne Streifen) am Pal. Costa.

Giebel ohne Konsolen zeigen die Fenster von Bramantes Wohnung.

Eine reichere Form gewinnen die Spätem durch Verdoppelung


') Florenz gibt die selbständigen Fenster nie auf. Der einzige Ammanati versuchte nach seinen römischen Jahren die Neuerung in Florenz einzuflkhren ; aber am Pal. Pitti musste er sich doch zur alten Form bequemen.

") Abb. bei Burckhardt, Ren. Fig. i6; Vasari VII. 191: (Michelangelo) fece per il palazzo de' Medici un modello delle finestre inginocchiate a quelle stanze che sono sul canto etc.

") Neuerduigs ebenfalls dem Sangallo zugeschrieben.

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der Konsolen, so dass eine nach vorn, die andere seitwärts blickt (Giac. della Porta, Pal. d'Este, Fig. 15), durch Durchbrechung des Giebelfusses und Unterstützung der Ansatzstücke mit Triglyphen- klötzen über dem Fensterrand u. s. w.

Im ganzen ist man sparsam mit dem Giebel ; oft wird er ersetzt durch eine einfache horizontale Verdachung (mit oder ohne Konsolen) ; in der Regel aber bleibt er dem ausgezeichneten Stockwerk vor- behalten. Die Fenster des Erdgeschosses bekommen dann etwa die erwähnte, einfache Verdachung, die des obersten Geschosses aber nur die allerstrengste Umrahmung.

Ebenso ist die Bildung des Fensterftisses eine wechselnde. Früher hatte jedes Fenster seine eigene Sohlbank. Jetzt gibt man diese, das Zeichen relativer Selbständigkeit nur noch an bevorzugtem Ort. Sonst müssen die Fenster unmittelbar auf dem Gesims oder einer dünnen Leiste aufsetzen^). Regelmässig geschieht dies im obersten Stockwerk.

Bei aller Zurückhaltung der Palastarchitektur kann sich die barocke Vorliebe fttr ausschliessliche Betonung der oberen Partieen nicht verleugnen. Die horizontale Verdachung ist wohl ein sehr einfaches Motiv, stark plastisch gebildet ergibt sich aber doch ein sehr energischer Schattenschlag d. h. eine einseitige Accentuierung des oberen Abschlusses. Deutlicher noch spricht die Giebelarchitektur diesen Vertikaldrang aus. Die ganze plastische Kraft ist nach oben geworfen. Vgl. dagegen die vollkommen gleichmässige Bildung der Fenster der Cancelleria. Schon Pal. Giraud zeigt dann Symptome des Stilwandels: an den Fenstern bleiben die Pilaster ohne Füllung, die ganze Dekoration ist in den Bogenzwickel gedrängt.

7. Das Tor. — Die Toranlage des Barock ist äusserlich bedingt durch die Notwendigkeit, eine hohe und breite Öffnung zur Einfahrt zu geben. Über die Verbreitung des Fahrens vgl. Ricci, Storia dell' arch. III. 45*). Der äussere Anlass kam den Intentionen des Barock- stils, namentlich in seiner spätem Ausgestaltung, entgegen. Das Tor wurde zum Prunkstück der Fassade. Seine Vollendung erhält es da, wo es ans Hauptgeschoss hinanreichend einen Balkon trägt und in einem reichen Mittelfenster mit Wappenschilden und anderem Zierrat ausklingt.

Frühe Prachtpforten mit Säulen und seitlichen Halbpilastern


^) Ohne dass deswegen das innerste Rahmenprofil unten eine horizontale, nach innen zusammenschliessende Wendung nähme, wie die Renaissance beliebte.

') Durch den gesteigerten Wagenverkehr war auch eine Erweiterung der Strassen gefordert, was auf den Formenausdruck der Fassaden natOrlich sehr bedeutend wirken musste.


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bei Sangallo, Pal. Palma und an der Cancelleria. — Am Pal. Farnese in Rustika, sehr gehalten. Fenster und Wappen darüber von Michelangelp. Erstes Beispiel eines derartigen Ganzen. — Aus der strengen Zeit des Barock ist nichts Pompöses vorhanden; was sich etwa findet, ist von späteren Architekten hinzugefügt. Namentlich die vortreten- den Säulen sind in der ersten Periode des Stils selten.

Dagegen sucht man stets schon durch ansteigendes Terrain und derartige vornehm vorbereitende Motive den Eindruck des Im- posanten zu erhöhen^).

8. Der Hof. — Der Geist der Renaissance hat sich vielleicht nirgends so rein ausgesprochen wie in den leichten freien Bildungen einzelner Säulen-Höfe und Höfchen. In Rom das unvergleichliche Beispiel der Cancelleria. Es hat wenig Nachfolge gefunden. Wenn hie und da noch die Bogenhalle mit Säulen bemerkt wird, so sind das sehr seltene Fälle und gehen stets auf oberitalienische Meister zurück. Die römische Gravitas verlangt den Pfeiler. Von Pfeiler- höfen sagt man ausdrücklich, sie seien „alla Romana gebaut. Der Barock bildet den Hof nur in grossen Dimensionen gleichmässig aus, für den kleineren Privatpalast verliert er die Bedeutung als Aufenthaltsraum.

Unter diesen grossen Hofanlagen sind einzelne von gewaltigem Effekt, sowohl der Dimensionen als der schweren Massigkeit wegen. Erstes bedeutsames Muster : Hof vom Pal. Farnese (Taf. 3). Pfeiler- < arkadcn mit Ilalbsäulon, in zwei Geschossen durchgeführt, darüber ein drittes Stockwerk mit Pilasterordnung. Das erste und zweite Geschoss gehören dem A. da Sangallo an; als Michelangelo den Bau übernahm, waren nur noch die oberen Bogen einzu wölben; er schloss auf zwei Seiten die Arkaden mit Mauern*). Im dritten Ge- schoss, das auch Sangallo als ein geschlossenes projektierte, bewegte er sich unabhängig: er gibt ihm (der veränderten Fassade ent- sprechend) eine grössere Höhe, gliedert es mit Pilasterbündeln, dazu unruhige Fenster, die an die Formen der Laurenziana gemahnen, ein lebhaftes Gesims aus kleinen Teilen, alles als Kontrast gedacht zu dem wuchtigen Ernst der unteren Teile. Aber welch' ein Gegen- satz zu der schlanken Gelenkigkeit der Cancelleria!

Der Unterschied liegt nicht im Pfeilerbau allein. Rom besitzt im Pal. di Venezia aus der Frührenaissance einen Pfeilerhof mit Halbsäulen von der fröhlichsten Bildung: zwei lichte Hallen über-


Scamozzi (Arch. I. 241) verlangt fQr die Paläste freien Raum zu gunsten einer prächtigen Entwicklung der Wagen bei der Auffahrt.

  • ) Die Einmauerung an der Fassadenseite und an der ROckseite wurde

später vorgenommen.


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einander, die Verhältnisse leicht und schlank , die Säulen auf hohen Sockeln, Gebälk und Gesims ohne alles Drückende. Wie sind da- gegen diese Dinge am Pal. Farnese gerade im entgegengesetzten Sinne gebraucht, um eine ernste und schwere Wirkung zu erzeugen I

Der Hof von Vignolas Pal. Farnese zu Piacenza ist unvollendet geblieben und jetzt zum Teil verbaut. Geplant waren: zwei Ar- kadenreihen, die Öffnungen durch breite Mauermassen getrennt, die Hof-Ecken gerundet mit zwei Nischen übereinander. An der einen Seite eine Kolossalexedra, die den Zuschauerraum eines Theaters einschliessen sollte. Alles, was vorhanden, ist nur Rohbau. Deutlich tritt aber der Gedanke hervor, durch den Kontrast zur Fassade einen Eindruck hervorzubringen. Die fünf Geschosse des Ausseren sind hier in zwei aufgelöst, von den allerge waltigsten Verhältnissen^).

Wir finden diese Idee wieder in Vignolas vollendetem Schlosse von Caprarola. Aussen ein Fünfeck, innen ein Rund; aussen vier Fensterreihen, innen nur zwei Hallen, den zwei (unteren) Haupt- geschossen entsprechend, das Übrige tritt zurück und bleibt für den im Hofe Stehenden unsichtbar. — Peruzzi, der für Caprarola eben- falls einen Plan gemacht hatte, dachte an einen fünfeckigen Pfeilerhof. Vignola gibt keine einzelnen Pfeiler, sondern eine Mauer, durch die die Bogenöffnungen in gemessenen Abständen durchgebrochen sind. Unten Rustika, sockelmässig, oben gepaarte Halbsäulen zwischen den Bogen. Das Ganze von wahrhaft grossartigem Ernst.

Die späteren römischen Pfeilerhöfe, Portas Sapienza, Amma- natis Collegio Romano und Mascherinos Quirinal schon von einer allgemeinen kalten Grösse. Pilaster statt Halbsäulen, die Zentral- anlage überall verdrängt durch eine longitudinale. —

Der Privatpalast gibt die gleichmässige Ausbildung des Hofes auf Man will nicht den Raum als eine geschlossene Grösse zur Wirkung bringen. Der Hof ist kein selbständiges Ganzes, das ein Recht für sich hätte; man denkt vielmehr nur an den Anblick, den er dem ins Haus Eintretenden böte. Und so, indem der Charakter als Aufenthaltsort verloren geht, kommt es dem Bauherrn vor allem darauf an, nirgends eine Grenze zu zeigen, vielmehr den Blick in eine grosse Perspektive hineinzuziehen.

Der Übergang von der Zentralanlage, die der geschlossene Hof repräsentiert, zur longitudinalen kommt in folgenden Punkten zur Erscheinung:

i) Die Nebenseiten werden vernachlässigt und alle Sorgfalt nur der Rückseite, manchmal auch der Vorderseite zugewendet.

Eine Rekonstruktion des Hofes: Willich, Barozzi da Vignola. Strassburg 1906. S. 119.


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2) Man setzt den gewöhnlichen Hofbrunnen nicht mehr in die Mitte, sondern in eine Nische an die Wand.

3) Man verschafft dem Auge einen Durchblick auf das, was jenseits des Hofes ist und zieht so die Phantasie ins Ferne.

Vergleiche hiezu die malerische Wirkung der zwei aufeinander- folgenden Höfe von Peruzzis Pal. Massimi alle Colonne. . Dann am Pal. Sacchetti: Durchblick auf Garten und offene Loggia. Imgrossen Stil eine Perspektive von Michelangelo beabsichtigt für Pal. Farnese, auf den Garten mit dem Farnesischen Stier als Brunnengruppe; im Hintergrunde sollte eine Brücke über den Tiber folgen, die zu den jenseitigen Farnesischen Gütern führte^). (Auch in Sangallos erster Anlage war ein Durchblick auf eine Nische im hinteren Garten vor- gesehen.)

Wo man keine Ferne zu zeigen hatte, da suchte man wenigstens durch eine pomphafte Architektur den Eindruck zu geben, als ob hier der Eingang zu etwas ganz Neuem und noch Bedeutenderem vorlüge.

Ein merkwürdiges Beispiel dieser Sucht, alle Räume ins Un- absehbare zu erweitern, ist der Säulengang auf der linken Seite des Hofes vom Pal. Spada. Er ist so angelegt, dass man in eine tiefe Flucht hineinzusehen glauben muss (von Borromini).

Bei beschränkteren Mitteln begnügt man sich später mit bloss gemalten Gartenperspektiven, namentlich in Oberitalien. —

Mit der Fortentwickelung des Stiles wird es eine beliebte Kon- trastwirkung, nach der zurückhaltenden Fassade mit der ganzen Fülle eines fröhlichen, ungebundenen Reichtums im Hofe heraus- zubrechen.

Bedeutendes Beispiel: Pal. Mattei di Giove von Maderna«). Im Hintergrunde eine Reihe von drei stattlichen Bogen, mit Balustrade und Statuen gekrönt, als Einleitung zu einem Garten gedacht. Die Seitenwände des Hofes mit Vertikalstreifen und mannigfachen Reliefs geschmückt (im Gegensatze zu der ganz schmucklosen Fassade, wo die Horizontale unbedingt dominiert); die Hausseite endlich, nicht minder prächtig, in zwei Arkadengeschossen gegen den Hof sich öffnend. Noch grossartigere Anlage: Pal. Dezza (Borghese), 1590 von Mart. Lunghi, luftiger, zweigeschossiger Bogengang als Trennung des Hofes vom Gärtchen.

9. Treppenanlage. — Der Stolz des aristokratischen Palastes ist die bequeme, breite, lichtvolle Treppenanlage. Vasari, Introduzione:


') Vas. VII. 224: A una occhiata il cortile, la fönte (farnesischer Stier), strada Julia ed il ponte e la bellezza delP altro giardino fino alP altra porta. etc. ■) Letar. I. 108.


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vogliono le scale in ogni sua parte avere del magnifico, attesoch^ molti veggiono le scale e non il rimanente della casa.

Die verschwenderische Treppenanlage der genuesischen Paläste mit ihren Verzweigungen und den malerischen Aussichten auf höher und tiefer gelegene Höfe haben die Römer nie angestrebt. Das Vestibül ist ein einfacher gewölbter Gang, der auf den Portikus des Hofes führt. Dieser Portikus öffnet sich an einem Ende zum Treppen- aufgang. Die Treppe selbst hat nur einen breiten Zug und bleibt zwischen die Wände eingeschlossen. (Der freie Mittelraum ist ein späteres Motiv.) Der Lauf wendet sich gewöhnlich nur einmal, in reichern (spätem) Beispielen auch 2 — 3 mal. Die Podeste womöglich mit eigenem Licht. Das Höchste aber wird geleistet in dem ge- lassenen Ansteigen und der prachtvollen Weite der schmucklosen,

gewölbten Korridore. Selbst in

reinem Gebäude von den wohligen Formen der Farnesina sind die Treppenstufen noch sehr steil, die ^ ^W^'S^""' Gänge eng. Die Treppen des

I "P X . Sangallo im Pal. Farnese sind zuerst

^^^^m ganz befriedigend für das moderne

Gefühl: ganz breite und niedrige, Fig. i6. Pal. Farnese: Treppenstufe, leise geneigte Stufen (Fig. 16), die

Steigung besitzt jene ^dolcezza*, die Vasari als das Ideal hinstellt. Er selbst hat es nicht erreicht. Ich meine, in dem Gegensatz der Farnesischen Treppen und derer aus den Uffizien zu Florenz sei der ganze Gegensatz zwischen dem grossen, gelassenen Wesen der Römer und der trockneren und här- teren florentinischen Sinnesweise ausgedrückt. Wenn diese römische Formbehandlung bald den Charakter des Schweren und Haltlosen an- nimmt, so liegt das in der Natur des Barockstils. Die Dolcezza wird allerdings soweit getrieben, dass die Bequemlichkeit verloren geht.

10. Innenräume, — Der Saal des Barockpalastes hat die gleichen Raumverhältnisse, die schon bei Gelegenheit des Kirchen -Interieurs erörtert wurden. Hauptabsicht: möglichste Höhe und Weite. Es sind nicht mehr Räume, die der Bewohner ausfüllen kann, die nach ihm gestimmt sind, worin gerade der Hauptreiz einiger Renaissance- gemächer liegt, sondern Räume von überwältigenden Verhältnissen.

Die Decke in der Regel flach, von Holz, mit wuchtigster Plastik des Ornaments und unruhiger Komposition. (Spärliche Verwendung von Farben: Rot und Blau und etwas Gold.) Anfänge bei Peruzzi: Pal. Massimi alle Colonne kommt hie und da schon zu sehr gedrängter Fülle, dann Ant. da Sangallo: Pal. Farnese und Sala Regia im Vati-



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kan (Stuck, Taf. 15), schwer und unruhig. Höchstes Beispiel: Mademas Sala Regia im Quirinal.

Neben dem flach gedeckten Saal findet sich auch das mulden- förmige Gewölbe, das ursprünglich nur im Spiegel, dann mehr und mehr als Ganzes von Malereien überdeckt wird. Für die spätere Periode ist dies die gewöhnliche Form. (Früher mehr nur für Lang- räume verwendet,)

Die Wand ist hie und da bemalt mit einer Scheinarchitektur, um den Raum grösser erscheinen zu lassen als er ist*). Vorzügliche Muster der Art schon bei Peruzzi in der Farnesina >), oberer Saal; dann bei Vignola, Caprarola u. s. f. Die häufigere Form der Wand- dekoration möchte aber für die erste Barockzeit diejenige sein, die in typischer Form C. Maderna in der Sala Regia des Quirinal gibt; die Wand unten mit grossen Gobelins verhängt, dann folgt ein leerer Fries und ein starkes Gesims schliesst diese Partie ab. Sie nimmt nicht viel mehr als die halbe Höhe der Wand ein. Den übrigen Raum bis zur Decke füllen ununterbrochen fortlaufende Malereien al fresco. Der Eindruck des Schweren wird durch diese Art von Glie- derung aufs höchste gesteigert*).

Die Gobelins findet man auch ersetzt durch blosses Getäfel. Für den Eindruck ist entscheidend das Fehlen eines Sockels (einer Brüstung) und das Fehlen von Pilastern, die in der Renaissance die Wand in oft so ausserordentlich wohllautende Flächen teilten.

Eine interessante Neuerung ist, dass „das Prachtstück der Pa- läste nicht mehr der grosse, annähernd quadratische Saal in der Mitte, sondern ein schmaler länglicher Saal ist**), „la Galleria** genannt. Wir haben also auch hier den Fortgang vom Centralen zum Longi- tudinalen. Galleria Farnese (von Vignola?); danach (noch schmaler) die Galerien im Pal. Doria, Pal. Colonna. Die Form ist in Italien natürlich von der Loggia abgeleitet, was man bei Caprarola und dem Pal. Farnese noch deutlich verfolgen kann. Die Loggien wurden, wohl einer französischen Mode zufolge, nachträglich mit Glasfenstern versehen, in ihren grossen Öffnungen oft auch teilweise vermauert und Gallerien genannt. Es ist nichts als eine schlechte Etymologie, wenn Scamozzi^)


«) Vas. VII. 108

') Eine Vergrösserung des Raumes beabsichtigte offenbar auch Sodoma in dem 2immer, wo er die Roxane malte: das Bild hat keinen Rahmen, nicht einmal eine Brüstung unten, sondern setzt unmittelbar auf dem Fussboden auf. Nur eine ganz kleine Balustrade bildet die Grenze; höchst unangenehme Wirkung.

  • ) Wie in den Kirchen, so wird auch hier der Raum im ganzen dunkler

gehalten als in der Renaissance.

  • ) Burckhardt, Cicerone II, 1. S. 365.

») Arch. I. 305.


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meint, das Wort käme vielleicht von „Gallien, der französische Ein- fluss ist aber sehr wahrscheinlich. (Siehe Serlio VII. S. 56 „un luogo da passegiare, che in Francia si dice galeria".)


Kap. m. Villen und Gärten

1. Italien besitzt seit der frühen Renaissance eine doppelte Art der Villa: die eigentliche Landvilla, eine grosse Anlage mit Oekono- mie und Einrichtung zu längerem Aufenthalte für das ganze Haus- wesen, und die kleinere Vüla suburbana vor dem Tore, die nur dazu dient, auf kurze Zeit eine frohe Gesellschaft aufzunehmen^). Ihr Hauptzweck ist ein schönes, geniessendes Dasein zu befördern, ohne die Gebundenheit der Stadt. Daher die architektonische Behandlung möglichst leicht und heiter: offene Hallen, gegliederter Grundriss, der oft selbst auf die Symmetrie verzichtet; im Innern ein Komplex heller, wohliger Räume, „Durchsichtigkeit, alles voll Luft und Licht*' (J. Burckhardt) '). Das vollkommenste Muster einer Stadtvilla im Stile der Renaissance: die Villa Farnesina.

2. Der Barock verliert auch in den Gebäuden der Lust seinen Ernst nicht ganz. Der massige Stil bemächtigt sich auch der Villa; zugleich wird in charakteristischer Weise Vorder- und Rückseite in Gegensatz gebracht: nach vorne strenge ablehnende Haltung, hinten, wo man „unter sich* ist, der üppigste Reichtum in rückhaltloser Ent- faltung. Betrachten wir zunächst die Villa suburbana.

Den massigen Ernst bringt schon mit ganzer Entschlossenheit der Umbau der Villa Madama zur Geltung. Die freudestrahlende Anlage Raffaels ist hier durch Giulio Romano fast ins Düster- gross- artige umgewandelt worden \ Geschlossene Mauerflächen bestimmen den Eindruck. — Villa Lante auf dem Gianicolo, ebenfalls von Giulio Romano, ein früheres Werk. Auch ohne die alte Freudigkeit, mit barocker Unruhe in der Disposition der Fenster. — Die Villa del Papa Giulio ganz anormal und kaum hier beizuziehen. Man merkt, wie verschiedenartige Leute dabei mitsprachen. Das Ganze ohne Zug.

Das erste bedeutsame Muster: Villa Medici vow KviVL^^Xit (Nanni)


  • ) Theoretische Scheidung schon bei Alberti. Vgl. Burckhardt, Ren. in

Italien. S. 247.

  • ) Tota aedium Facies atque congressio penitus sit illustris atque admoduin

perspicua. — Arriäeant omnia adventu hospitis atque congratulentur. Alberti üb. IX.

') Vergleiche das bereits mehrfach citierte Werk GeymQllers, Raffaello studiato come architetto.


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Lippi (Fig. l^y). Die geschlossene Fassade des Stadtpalastes ist hier auch für die Villa angenommen, ein Hauptgeschoss mit Mezzanin, keine Pilaster, Fenster schmucklos; der Gegensatz von Strassen- und Garten- seite aufs energischste durchgeführt; die hintere Fassade ist sprudelnd reich, vortretende Flanken, TOrmchen, offene Säulenhalle mit mittlerem Rundbogen, die Mauer besetzt von Nischen, Reliefs, Kränzen und Medaillons, zum Teil übereinandergeschoben. Steigerung gegen die Mitte: die äussersten Nischen sind leer.

Casino der Villa Borghese (Taf i6) von Vasanzio, typischer Barockbau. Hier war nicht eine eigentliche Strassenseite gegeben, da das Gebäude ganz im Park drinnen liegt, doch aber ist der Unter- schied von vorn und hinten sehr bestimmt festgehalten. Das Motiv der geschmückten Wand tritt an der Vorderseite nur im Schutz der vortretenden Flanken auf. Diese Flanken aber sind keine freien und selbständigen Teile, wie etwa bei der Farnesina, sondern bleiben in der Masse befangen. Die Lisenen statt der Pilaster, die Belastung der Loggia mit einer hohen Attika, die Gliederungslosigkeit der Mauer, in allem haben wir die Symptome eines Geschmackes, der auf das Massige und Schwere geht. Und gerade der Vergleich dieses Ge- bäudes mit der Farnesina ist vielleicht am besten geeignet, den ganzen Wandel des Kunstgeistes deutlich zu machen : auf der einen Seite die Durchbildung und Durchgliederung des Körpers in höchster Voll- kommenheit, auf der anderen eine stoffliche Gebundenheit, die den Eindruck macht, als ob es in den Gelenken fehle.

Dazu wird nun für den Villenbau bedeutsam das Bedürfnis nach einer grösseren Anzahl von Räumen, das Gefolge mehrt sicTi, man kennt nicht mehr den Genuss eines schönen einfachen Daseins, überall wird ein schwerfälliger Apparat notwendig.

Villa Negroni von Dom. Fontana für Sixtus V. als Kardinal ge- baut, ohne barockes Gefühl, mit Pilastern. Eher Palast als Villa. — Ebenso Villa Mattei ausserhalb der römischen Entwickelung, von G. del Duca, einem Sizilianer. — Villa Doria von Algardi gehört schon ganz der zweiten Stilperiode an.

Für die Innenräume gilt das, was schon gelegentlich der Palast- säle bemerkt wurde. Die Proportionen ins Unbehagliche gesteigert. Hauptsaal durch zwei Stockwerke*). Man fühlt sich sehr zeremoniös.


  • ) Abb. bei Ferrerio I 13. — Monographie von Baliard. Paris, fol. Die

meisten der hier und im folgenden angeführten Villen findet man auch abgebildet in Percier et Lafontaine, Choix des plus heiles maisons de plaisance de Rome etc. Paris 1809. fol. Ausserdem sei ein für alle Mal verwiesen auf die bekannten Stichsammlungen von Rossi und Falda, die unter verschiedenen Titeln existieren.

') Heisst im Norden stets „salle ä l'italienne."



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Die Villa suburbana wird gerne etwas versteckt. Der Eingang nicht direkt auf das Haus zuführend. Man soll den Anblick nicht gleich haben. So die Orti Farnesiani, Villa Borghese, Villa di Papa Giulio u. a. — Alberti verlangte im Gegenteil, die Villa solle gleich beim Austritt aus der Stadt auf sanftem Hügel sichtbar sein, ,tota se facie videndam obtulerit laetam**. — Im Barock ist es nur die Landvilla, die sich in dieser Weise präsentiert.

3. In der Architektur der LandviUen herrscht am Ende der Renaissance ein starkes Schwanken. Es sind alle möglichen Typen vertreten sowohl in der Grösse als in der Behandlung. Villa Lante (bei Viterbo), klein, kasinoähnlich; Caprarola, gewaltiges, burg- ähnliches Fünfeck; Villa d'Este (Tivoli), gross, streng, geschlossen, nach Art des römischen Stadtpalastes.

Lante ^), dem Vignola von der Tradition zugeschrieben. Noch ganz renaissancemässig. Für Wohnzwecke recht bescheiden: zwei gleiche, kleine quadratische Gebäude. Gekuppelte Pilaster mit ein- gespannten Blendarkaden. Leise glatte Rustika. Das Hauptgewicht liegt in der Gartenanlage, der sich die beiden kasinoähnlichen Pavil- lons ganz unterordnen.

Caprarola«) von Vignola. Villa für den päpstlichen Nepoten Alexander Famese, die einen ganz ungeheuren Tross voraussetzt. (Piano dei prelati, Piano nobile. Piano dei cavalieri, Piano de' staffieri). Imposanter fünfeckiger«) Massenbau, hat eigentlich kaum mehr den Charakter eines Landhauses. Der Aufgang mit grosser Pracht be- handelt, imposante Wendeltreppe, innen ein runder Hof, der vielleicht das Höchste bezeichnet, was der Profanbau im Gebiete grossartiger Gehaltenheit erreichen kann.

Villa d'Este*), trockene Palastarchitektur, einfaches Mauerwerk, Fenster ohne Dekoration, weite Ausdehnung, im Gegensatz zur Stadt eine Gliederung durch leise vortretende Eckflügel (anderorts auch Lisenen in Rustika); das Hauptmotiv ist die Vorhalle als Abschluss

  • ) Die Aufnahme bei Percier et Lafontaine ist noch immer die einzige, ob-

wohl sie ganz ungenügend ist.

•) Abb. bei Ferrerio IL i ff. — Villamena 17.

■) Der Entwurf des Peruzzi ftlr Caprarola zeigt auch schon die Fünfeck- form (s. bei R. Redtenbacher, Mitteilungen aus der Sammlung archit. Handzeich- nungen der Uffizien. I. fol. 1875). Er lehnte sich dabei seinerseits wahrscheinlich an die ältere Fortezza an, die A. da Sangallo aufgeführt hatte (Vas. V. 451, n.). Es hat sich aber bei Peruzzis Anlage auch noch vornehmlich um einen Festungs- bau gehandelt. (Handzeichnung in den Uffizien, fol 500: Profilo de la Rocha di Caprarola).

  • ) Von Pirro Ligorio, dem Ant. da Sangallo sehr nahestehend; namentlich

die Vorhalle möge man vergleichen mit der Gartenhalle seines Pal. Sacchetti (abg. bei Letarouilly, tezte S. 331).


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des ausgedehnten Treppen- und Terassen Werkes, das den Aufgang durch den Garten bildet; das Haus kommt überhaupt nur in Betracht nach seinem Mittelstück, d. h. insofern es vom Eingangsviale aus sichtbar ist.

Dieser Typus wird mehr oder weniger massgebend für alles, was in der Nähe Roms entsteht.

Es ist kein einziger bedeutender Bau darunter. Villa Aldobran- dini in Frascati (von G. della Porta und Domenichino), unangenehm- formlos. Man scheint den Ausdruck des Ländlichen in einer gewissen Willkür gesucht zu haben i), die zu den mürrischen Formen am aller- wenigsten passt. Die Rückseite wieder freier und heiterer, mit offener Loggia; der gleiche Gegensatz wie bei der Stadtvilla. — Villa Mon- dragone ebendort (von M. Lunghi, Fl. Ponzio und G. Fontana), ein mächtiger Steinhaufen ohne höheren Wert, das Mittelstück sehr schmal, um von den Cypressen des Aufgangs viale eingefasst zu werden. — Villa Borghese (Frascati) u. a.

Um gerecht zu sein, muss man hier stets im Auge behalten, dass die Architektur gar keine selbständige Rolle spielen will. Das Haus ordnet sich der Umgebung bescheiden ein. Je mehr die archi- tektonischen Prinzipien hier sich zur Geltung bringen, desto mehr schwindet aus dem Palast alle höhere Kunst. Man könnte glauben, es sei auf eine Annäherung der beiden Gebiete abgesehen gewesen, wenigstens wird bei der Komposition einer Villa das Gebäude immer strenger zum Garten gestimmt und ordnet sich ihm immer mehr unter.

4. Zunächst verlangt der Eitigatig eine bedeutende Gestaltung. Man sucht für die Villa ein ansteigendes Terrain und rückt das Haus soweit in die Höhe, dass der Eingang als ein prächtiges Treppen- system gegeben werden kann 2). Die symmetrisch divergierenden Rampentreppen Bramantes aus dem vatikanischen Hofe dürfen für all' diese Anlagen als das ideale Vorbild angenommen werden.

Villa d'Este: Parterre mit mittlerem Rondell, dann Steigung in vier Absätzen, noch steil, die Teile kleinlich. — Orti Famesiani: Ab- hang des Palatin, sehr malerisch ; vier Piani, die jedesmal reicher und mannigfaltiger werden (oben zwei schief zu einander aufgestellte Vogelhäuser). — Villa Aldobrandini : breite, weit ausladende Rampen- treppen, besetzt von Brünnchen und Zitronenbäumchen. Die Stufen verschwinden. — Villa Mondragone : ein langer, langsam ansteigender Cypressengang. Das Tektonische tritt ganz zurück.


^) Bei Serlio wird ausdrQcklich bemerkt, auf dem Lande sei alles gestattet. Die Stelle zitiert bei Burckhardt, Ren. S. 249.

  • ) Für die Renaissance ist umgekehrt die Anlage von Villa Lante bezeichnend;

die zwei Häuser bleiben am Fusse des Abhanges; den Eingang bildet ein quadratisches Parterre.


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Vor dem Haus findet sich ein terrassenartiger Vorplatz; erst nur schmal, dann immer weiter, je mehr die Treppen sich senken: Obergang zum Flächengeschmack. Villa Mondragone hat schon einen sehr bedeutenden Platz *) ; er steht im Zusammenhang mit der weiten Aussicht, die einer früheren Zeit zu wüst und unbegrenzt gewesen wäre.

Die Teile hinter dem Haus werden in den gleichen Gegensatz gesetzt, den die Behandlung der vordem und hintern Fassade zeigt. Hinter dem Haus fühlt man sich unbeobachtet, man lässt den zurück- haltenden Ton fallen. Der Vorplatz ist viereckig, Aqy Rückplatz vunAx Motiv des Teatro (zurückgehend auf das Braniantische Teatro im vati- kanischen Hof oder auf das der Villa Madama. Prachtbeispiel : Villa Aldobrandini*) (Fig. i8). Reichste Ausstattung mit Nischen, Brunnen, Statuen, Wasserwerken etc. — Gleicherweise unterliegt das Busch- werk der Eingangspartien einer strengen Behandlung. Die Beete vorn sind eingefasst von mannshohen Hecken, alles dicht geschlossen; hinter dem Hause: die Hecken niedriger, das Ganze freier, offener.

5. Nicht nur die nächste Umgebung des Hauses, sondern der gesamte Garten steht unter der Herrschaft eines architektonischen Geistes. Es ist das eigentlich nichts Neues. Der Gartenbau der hohen Renaissance hatte bereits alle Motive der Natur, die Hebungen des Terrains, den Baumschlag, das Wasser stilisiert, die verschieden- artigen Teile des Gartens gesondert, jede einzelne Räumlichkeit tek- tonisch gefasst. Aber wenn die Renaissance wohl architektonische Motive gab, so gab sie sie doch ohne architektonischen Zusammen- hang, ohne Einheit in der Komposition ; und eben hierauf beruht der Fortschritt, den der Barock nach der Seite des Architektonischen machte.

Die Renaissance schmiegte sich der Bodengestaltung an, wie sie eben war, und verzichtete auf eine höhere Gesetzlichkeit im Ganzen. Ein deutliches Beispiel geben die Gartenanlagen der Villa Mada.raa, wie sie unter Raffael projektiert waren. Wir besitzen drei Pläne: einen von Raffaels eigner Hand, einen zweiten von Francesco da Sangallo und einen dritten von Ant. da Sangallo, beide letztern für Raffael gezeichnet"'). Die Pläne repräsentieren verschiedene Ent- wicklungsstadien. — Raffael gibt drei Motive nebeneinander: ein


') Die grossen Säulen, die sich hier und anderwärts bemerkiich machen, sind Schlote flkr die unterirdischen KOchen.

') Ausser den Stichen Falda's, Li giardini di Roma, ist speziell hier zu er- wähnen das schöne Werk : Domenico Barriere, Villa Aldobrandina Tusculana 1647.

•) Es ist ein hohes Verdienst H. v. GeymOUers, diese Dinge wieder ans Licht gezogen und in ihrer Bedeutung erkannt zu haben. Vgl. RafTaello Sanzio studiato come architetto. Die Plane liegen in den Uflizien.


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kreisförmiger Garten in der Mitte, auf der einen Seite eine Art Hip- podrom, tiefer gelegen, auf der andern ein quadratischer Garten, ebenfalls tiefer. Die Verbindung geschieht durch grosse Treppen- systeme, die ganze Anlage aber ist ohne Einheit unter sich und ohne Beziehung zum Haus. Weder in der Komposition noch in der Lage schliesst sie sich daran an: sie liegt zu Füssen des Palasthügels und zwar in seitlicher Verschiebung, indem sie eben durchaus der ge- gebenen Formation des Bodens folgt. In einem Tälchen weiter hinten sollte noch ein „Ninfeo* eingerichtet werden, eine Anlage, wo das Wasser die Hauptmotive abgibt (mit Badebassin etc.)^). — Nach den Zeichnungen der beiden Sangallo, die im wesentlichen dasselbe wollen, würde die Komposition sich schon etwas geschlossener gestaltet haben und es wäre namentlich ein engerer Anschluss ans Haus gewonnen worden: drei Terrassen übereinander, rechts vom Hause, der Senkung des Hügels nachgehend, aber ganz verschieden unter sich, so dass von einer gesetzlichen Entwicklung noch nicht die Rede sein kann.

Der Barock fügt sich nicht dem Terrain, sondern unterwirft es sich, er sucht ihm um jeden Preis eine einheitliche Anlage abzu- gewinnen: ein durchgehendes Hauptmotiv, herrschende Prospekte, alles Einzelne nach seiner Stellung zum Ganzen gestimmt und auf seine Wirkung im Ganzen berechnet, die Achse des herrschaftlichen Wohngebäudes auch für den Garten festgehalten, Pavillons oder Casinos nicht zufällig zerstreut oder in eine Ecke verwiesen, sondern in der Mittellinie liegend oder rechts und links von ihr, überall sym- metrische Entsprechung.

Villa d'Este, wo wohl zuerst eine derartige Komposition in grossem Massstabe versucht ist, leidet noch daran, dass der Wasser- lauf mit der Achse des Palastes, die zugleich den Hauptgang des Gartens bezeichnet, nicht zusammenfällt, wodurch ein Zwiespalt ent- steht. Die beiden Achsen sind aber wenigstens streng senkrecht auf- einander orientiert. — Vollkommen reine Lösungen bieten die Gärten der Villa Lante und Caprarola^). Villa Lante^): Parterre vor den zwei Häusern, quadratisch, geschlossen für sich ; dann aber der ganze


  • ) Studien dazu von Ant. da Sangallo (ebenfalls in den UfBzien).

') Der obere Garten von Caprarola ist von G. Rainaldi, gegen 1620; bloss die beiden untersten Terrassen» die in Beziehung zum Schlosse gesetzt sind, rühren von Vignola her.

•) Die Tradition nennt als Künstler Vignola. Die Verwandtschaft mit den Anlagen der Villa auf dem Palatin ist in der Tat auffallend. Nach Percier und Lafontaine wurde die Villa in der jetzigen Weise verschönert gegen 1564; gegen 1588 das zweite Haus gebaut und Baumpflanzungen und Wasserwerke vollendet. Ich weiss nicht, woher diese Notiz genommen ist. — Die Aufnahme bei Perc. & Laf. ist schlecht. Einige Skizzen bei LQtzow Z. f. b. K. XI. 292(1.

Wo^lBflin, RenaJnaance und Barock. 8


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Abhang einheitlich behandelt. Hauptmotiv: ein Wasserlauf, der unter verschiedenen Formen des Sturzes und Falles erscheint; die Anlagen zu beiden Seiten sehr mannigfaltig abgestuft, immer aber symmetrisch ; der Garten hat vier Absätze, jeder anders gestaltet und durch immer neue Treppenanlagen mit dem nächsten verbunden ; oben ebener Platz mit einem Brunnen in der Mitte und zwei kleine Casini, die den zwei unteren Palästen entsprechen. Die Villa folgt in der einheitlichen Geschlossenheit des Plans bereits ganz den Barockprinzipien, wenn auch die architektonischen Einzelheiten noch gar nichts davon merken lassen. — Die gleiche Einheit ist in allen folgenden Gärten fest- gehalten.

Es mag wunderbar erscheinen, dass der «, malerische Stil das am meisten malerische Objekt, die Landschaft, am entschiedensten architektonischer Gesetzlichkeit unterwirft. Das Wunder ist aber nur scheinbar. Der Barock stilisierte die Natur, um ihr die grosse Haltung und gemessene Würde zu geben, wie sie jenes Zeitalter verlangte, der Park geht aber nicht auf im Architektonischen: das Unendliche wird mit in die Komposition hineingezogen und so war es möglich, dass gerade an und mit diesem Gartenstil die moderne Landschafts- malerei, ein Poussin und Dughet sich entwickelte.

In doppelter Weise überhebt man sich der architektonischen Komposition. Der Park verläuft in einer Wildnis, er geht allmählig in die ungeformte, ungebundene Natur über; sodann wird die Aus- sicht auf die Landschaft als Wesentliches mit in Betracht genommen, man richtet Alleen z. B. so, dass die Ferne den Abschluss bildet; mit anderen Worten, das Tektonische nimmt als notwendige Er- gänzung ein Atektonisches, ein Formloses und Unbegrenztes in sich auf. Von dieser Komposition hatte die Renaissance noch keine Ahnung gehabt.

6. Der Gartenbau des Barock rechnet prinzipiell mit grösseren Räumen und mit grösseren Motiven als die Renaissance. Sein Ideal ist das „spazioso^, das Weiträumige. Vincenzio Giustiniani, der in Bassano selbst einen Park anlegte, schreibt^): man müsse den Ent- wurf machen „con animo grande*. „Le piazze, i teatri, e vicoli siano piü lunghi e spaziosi che si puö ; alles möglichst gross und nur ja nichts, was zusammengedrückt und eng aussieht: „e sopra tutto non pecchino di stretto o angusto. Man solle sich nicht einlassen auf Kleinlichkeiten, auf „lavori minuti di erbette e fiori", sondern auf grosse Motive den Nachdruck legen, auf „ornamenti piü sodi ciofe de' boschi grandi, che abbiano del salvatico, de' boschi d'alberi, che mantengono sempre foglie* etc. Das Bunte und Zierliche muss aus


  • ) AI Teodoro Amideni, Bottari, Lcttere pittoriche VI, 117 flf.


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dem Parke weichen, er rechnet durchaus nur noch im Grossen. Darum wird nun der Schmuck von Blumenbeeten und gar all das, was bloss ein botanisches oder medizinisches Interesse hat und früher im ganzen Garten zerstreut war^), zu eigenen Kompartimenten aus- geschieden: es entsteht ein ,,giardino secreto", ein besonderer Zier- oder Prunkgarten, der zum Hause in nächste Beziehung gesetzt wird. Es ist ein offener, sonniger Raum mit plattenbelegten Wegen, geo- metrisch übersichtlich geordnet, streng gezeichnete Beete, niedere Buchshecken*).

Schon Villa Madama hat hierfür eine besondere Terrasse, es ist der „giardino* im eigentlichen Sinn'), in einem Winkel nochmal «horticini^, wahrscheinlich für ganz kleine Sachen (Heilkräuter und dergleichen.) Dem Giardino entspricht auf der zweiten Terrasse eine Orangenanlage, die dritte ist für Tannen und Kastanien bestimmt^).

Im Garten des Belvedere liegt der Giardino secreto vertieft, gleich hinter dem Palaste.

Später wird er gewöhnlich ganz dem Auge entzogen, indem man ihn zwischen Mauern oder auf hoher Terrasse zu beiden Seiten des Hauses anordnet oder sonst in einer Ecke versteckt, wo er die Symmetrie nicht stört.

In Villa Mondragone ist ein geschlossener Hof neben dem Palast mit zwei einander gegenüberliegenden Hallen von quellender Rustika dafür eingerichtet.

Schliesslich tritt er als vertieftes Parterre wieder offen als Haupt- stück der Villa hervor (Villa Doria, Villa Albani) und geniesst dann eine sehr prächtige Ausschmückung mit Statuen, Nischen, Treppen, Brunnen u. s. w.; es ist die zweite Periode des Barock.

Durch diese Ausscheidung bleiben dem Park ausschliesslich die grossen Motive überlassen : die Elemente seiner Komposition sind nicht einzelne Blumenbeete mit kleinen Wegen dazwischen, sondern Baum- massen, Alleen, bedeutende Rondelle u. s. w.


  • ) Alberti üb. IX: haerbis rarioribus et quae apud medicos in pretio sint,

hortum virentem reddet

  • ) Ausserdem findet man manchmal auch noch einen ipgiardino de' semplici',

Garten flu- die Heilkräuter und fremde Pflanzen, und verschiedene Obstgflrten. Diese alle aber werden nicht aufgenommen in die Parkanlage, sondern bleiben abseits.

  • ) Nach den Notizen auf dem Plane des Francesco da Sangallo.

') Auf diese Dreiteilung, die auch auf dem Plane des Antonio da Sangallo sich findet (ohne Inschrift), mag sich dessen Randbemerkung (auf Nr. 1054) be- ziehen : la villa sia partita i tre parti I urbana rustica fruttuaria. Doch ist meines Wissens weder der Name urbano fUr den Ziergarten, noch rustico für den Garten mit mächtiger Vegetation je Qblich geworden.

8*


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Der Stadtgarten, der nur einen beschränkten Raum zur Ver- fOgung hat und stark durch gegebene Momente (StrassenzQge und dergleichen) bestimmt ist, nimmt eine Mitte ein zwischen dem Park und dem Giardino secreto, wobei eigentlich gar nichts Neues und Eigentümliches zur Entwicklung kommt.

7. Der barocke Geist gibt sich nicht nur in den mächtigen Grössenverhältnissen Ausdruck, sondern auch in der geschlossenen ernsten Behandlung seiner Massen. Der Garten der Renaissance ist offen und licht; ringsum blühende Wiesenflächen verlangt Alberti far die Villa, und die Landschaft überall sonnig und offen ^): ,Nolo spec- tetur uspiam aliquid, quod tristiore offendat umbra.

Der römische Barock gibt wenig offenen Raum; keine lichten Haine, sondern geschlossene Baummassen mit dunklem Laub, keine freien, hellen Wiesen (wie sie sich in den toskanischen Villen : Castello u. a. forterhalten), keine Weinreben über Säulen, sondern dichte Laub- gewölbe; keine bunten Farben; alles massig und dunkel.

a) Der einzelne Baum als solcher hat keine Bedeutung. Das Individuum geht auf im Zusammenwirken mit andern. Es erscheinen jene gewaltigen Gruppen von immergrünen Eichen, die, dicht zusammen- gedrängt und von hohen geschnittenen Lorbeerhecken umfasst, den Charakter der italienischen Villa wesentlich bedingen. Es wird dabei der Gegensatz von Form und Formlosigkeit absichtlich betont: die Hecken sollen aussehen wie mit dem Lineal gerichtet, die Ecken sind besetzt mit steifen Hermen, oben aber die gewaltigen Laubmassen formlos herausquellend, als wollten sie den Rahmen sprengen.

Die Frührenaissance konnte sich weder für den starklaubigen Baum im einzelnen begeistern — Alberti verweist die Eiche in den Fruchtgarten — noch für diese Komposition in geballten Haufen. Sie verlangte eine lichte Aufstellung in geordneter Folge. Bei Alberti lautet die Vorschrift: Arborum ordines ad lineam et intervallis com- paribus et angulis correspondentibus ponentur, uti aiunt ad quin- cuncem*).

Auf den Plänen zur Villa Madama findet man auf den Terrassen links vom Palast noch eine derartige Pflanzung beabsichtigt; doch möchten das edlere Bäume gewesen sein; die „Tannen und Kastanien* hätten wahrscheinlich schon eine Massengruppe bilden müssen, ein sogenanntes „salvatico*. Von da an werden der offenen Beete immer weniger, das Motiv des Dickichts greift immer weiter um sich, bis es schliesslich den ganzen Raum in Anspruch nimmt.


') Alberti Hb. IX.: prad spatia circum florida et campus perque apricus. ") D. h. nach Art der fünf Augen auf dem Würfel


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Ausser der Eiche kommt auch die dunkle Tanne und die Cy- presse zur Verwendung. Für die Hecken ausser dem Lorbeer auch Maulbeer oder Cypressen. Alberti dachte einst an Rosenhecken*).

b. Die zweite Aufgabe der Baumarchitektur ist die grosse Ge- stcUtHng der Wege und Plätze des Gartens. Es handelt sich um weise Benutzung der einzelnen Arten; höchst monumental wirken die für den Eingangsviale aufgesparten Cypressen. Vgl. die herrlichen Cypressengänge in Villa Mondragone, Villa Mattei, Giardini Boboli (Florenz). — In Villa d'Este die Cypressen auf die Hauptsachen be- schrankt: für das Rondell (Mitte des Parterres) und die in zwei Kurven divergicicndc Treppe in der Mitte des Aufstieges. — Einzelne Cy- pressen kommen nie vor. — Sonst auch Ulmen oder Eichen bei- gezogen, die dann den überwölbten Viale abgeben. Es ist nicht immer zu entscheiden, ob unter ,, viale coperto** ein Spaliersystem verstanden ist, ursprünglich jedenfalls»). Aber der laubüberwölbte Weg ist schon an sich etwas Neues.

Womöglich wirken auch in diesen Alleen antike Denkmäler mit, nicht aber einzeln, sondern nur in Masse. Wenn die Mittel fehlen, die Baumintervalle gleichmässig auszufüllen, so lässt man diese Dinge ganz weg. Musterbeispiel: Villa Mattei.

c. Der Hain erscheint in Form der Schlusswildnis, die von schmalen Wegen durchzogen ist.

Der berühmte lichte Pineto, der Pinienhain der Villa Doria ist kein Motiv der früheren Barockkunst. Er gehört bereits der zweiten Periode an, die wie überall so auch hier eine Entwickelung ins Helle und Gelöste bezeichnet.

8. In gleicher Weise wie die Vegetation wird das Wasser durch- aus massig behandelt; nicht kleine Aederchen und Brünnlein, sondern grosse rauschende Massen; nicht klar-durchsichtig, sondern undurch- sichtig-tief. Alberti spricht nur von aquulae»), von fontes et rivuli Umpidissimi. — Es ist höchst interessant, diese einfachsten Symptome zu beobachten. Die Landschaftsmalerei zeigt, seitdem der Geschmack am Massenhaften vortrat, niemals wieder jenes hell -durchsichtige Wasser, das sich auf Bildern der früheren Renaissance immer findet. Und wenn ich oben die Renaissance mit der Antike in Parallele setzte, so darf ich hier nochmals daran erinnern, das eben das kristallhelle Wasser auch das Lieblingssymbol Winckelmanns war.


') Vgl. die Madonnen „im Rosen hag", die später auch nicht mehr vor- kommen.

') „£d anco nel giardino siano viali coperti, i quali sono assai in uso in Francia, ove si dicono alUes**, Bottari, Lett. pitt. VI. 119.

') Praerumpant aquulae praeter spem locia complusculis.


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Eine Barock- Villa ohne Wasser ist kaum denkbar^). Das Wasser ist das Lieblingselement des Jahrhunderts. Der Stil verlangt nach dem Rauschenden. Rauschende Laubmassen, rauschende Ströme Wassers. Es wird ein gewaltiger Aufwand getrieben, um das Wasser möglichst reichlich und mit starker Kraft zu gewinnen*). ~ Die Villa d'Este mag in dieser Architektur vorangegangen sein, sie hatte den Teverone in nächster Nähe zu ihrer Verfügung. Doch findet sich hier noch viel Kleinliches und bloss Zierliches, was später nicht mehr vorkommt; z. B. jene ganze lange Wand mit den fast unzählbaren kleinen BrQnnlein. Wie viel grossartiger sind die analogen 22 Nischen in Villa Conti (Frascati).

Die Erscheinungsformen des Wassers sind die Fontana, die Cas- cata, das Bassin.

a. Die Fontana.

Der Brunnen ist entweder isoliert oder an eine Wand gelehnt, beziehungsweise in eine Nische gefügt. Die Behandlung ist entweder eine tektonische oder geht zur Rustika, zu naturalistischem Felsbau über. Aus der Kreuzung dieser zwei Gegensatzpaare ergeben sich vier Haupttypen der Fontana.

Der isolierte tektonische Brunnen'). — Seine Elemente: ein unteres Becken, der Stamm, eine obere Schale und daraus sich emporhebend das wasserspeiende Glied. (Selten noch eine zweite Schale.)

Das untere Becken, früher meist eckig, wird rund oder oval- geschweift; im Profil nicht gerade, sondern ausbauchend, mit stärkerer Einziehung nach unten. Einige niedrige Stufen vermitteln mit dem Erdboden.

Eckig noch die berühmte Fontana della Rocca des Vignola (in Viterbo), die Fontana auf Piazza in Campitelli von G. della Porta und vereinzelt noch hie und da. — Die schönste Profillinie bietet wohl Domenico Fontana in dem Brunnen, der einst auf Piazzi del Popolo stand ^). (Sie lehnt sich übrigens an die Lösung an, die schon Giac. della Porta an dem Brunnen vor dem Pantheon*) gegeben hatte: Fig. 19.)

>) Bottari, Lett. pitt. VI. lao.

') Auch die Stadt Rom ist berOhmt für ihren Bninnenreichtum. Scamozzi I. S43: sopra tutto Roma, ove non k piazza n^ campo n^ strada principale che non abbia una o due bellissime fontane.

") Es sei erlaubt, diesen Gegenstand hier zu besprechen, obwohl die Villen den kleineren Anteil gegenüber den Platzen der Stadt daran haben. Die Haupt- meister sind wieder Vignola, Giacomo della Porta und Madema. Eine Spezial- arbeit wäre lohnend.

  • ) Abb. bei Faida, Fontane di Roma. I. tav. 14.

•) Falda. I. 25.


119

Die obere Schale, von der Renaissance flach gebildet, mit scharfem Rand, wird tief, der Rand übergeschlagen, so dass das Wasser gleichmässig nach allen Seiten herunterplätschert; der Barock



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duldet nicht einzelne Strahlen, das Wasser soll formlos überfliessen.

Und so wird auch oben das Element nicht in scharfem Strahl

emporgetrieben, sondern erscheint als Strahlengarbe, massenhaft, form-


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los. Vgl. die prächtigen Exemplare auf dem Kolonnadenplatz von Maderna ^) (Taf. i). Das Wasser wird von einem breiten, pilzförmigen Körper ausgestossen und fällt auf diese rundliche Fläche zurück. Wo kein Strahlenbündel zu geben war, sorgte man doch immer für einen möglichst vollen Strahl. Das Hauptgewicht wird nicht gelegt auf das Aufspringen des Wassers, sondern auf das Niederrauschen.

Die Brunnen werden dann immer breiter und niedriger, das Becken später gar nicht mehr vom Boden abgehoben, sondern als Bassin in den Boden hineinverlegt (Berninis „Barcaccia" auf der Piazza di Spagna).

Der Nischenbrunnen. — Er erscheint selten einzeln, meist in einer Gruppierung von drei bis fünf Nischen. In Rom gaben Domenico und Giovanni Fontana die berühmten Muster, jener mit der Acqua Feiice*) (1587), dieser mit der Acqua Paola') (1612). Grosse Bogen- nischen mit schwerer Attika und krönendem Aufsatz. Das spätere Monument verbreitet die Anlage durch Beifügung zweier kleiner Ecknischen zu den drei Hauptnischen. Übrigens fehlt beiderorts die ursprüngliche Gestalt: ehemals standen nur einzelne runde Brunnen- becken in den Nischen. Die tiefliegenden grossen Bassins davor kamen erst später dazu*). Es mag das Beispiel der Fontana Trevi entscheidend gewirkt haben.

Der naturalistische Brunnen ist in seinem Haupttypus repräsen- tiert durch die „fontana rustica", die sich aus Felsblöcken aufbaut. Die Gartenarchitektur ist hierin verständlicherweise der städtischen vorausgegangen. In den Villen waren derartige Felsgruppen längst bekannt, ehe Bernini auf der Piazza Navona ein monumentales Beispiel dieser Gattung aufzurichten wagte.

In den Brunnenanlagen des grossen vatikanischen Gartens hat Maderna schon frühe die letzten Konsequenzen der Rustika-Manier gezogen. Man kann hier auch einsehen, wie dieser naturalistische Brunnen fast von selbst zum Grottenbau sich ausbildet. Musterstück : die Fontana dello scoglio (der Klippenbrunnen), ein wüster Fels- haufen mit Grotten und vorderem Bassin, in der von allen Seiten und auf alle Weise das Wasser rauschend niederspritzt und niedersprudelt. Eine Form, die sich hier anschliessen lässt, ist dann der Tropfstein- höhlenbau, Stanzone della pioggia; wobei es sehr verschiedene Grade des Festhaltens an einem tektonischen Gefüge geben kann. Die


') Falda. I. i.

') Letarouilly IL 231. — Moses, Wasser aus dem Felsen schlagend, als Brunnenfigur zu verwerten, war schon eine Idee des Michelangelo. Vas. VII. 58. •) Letarouilly III. 276.

  • ) So muss man wenigstens aus den Figuren bei Falda schliessen. (1691).


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Komposition mit Muscheln und Tuffsteinen ist schon dem Alberti bekannt. Eine eingehende Schilderung eines derartigen Baues gibt dann Annibale Caro (1538)*), der als feiner Kenner spricht und auch die verschiedenen Schalleindrücke analysiert. Das Ganze sei schauer- lich und düster, d'un orrore, che tiene insieme del ritirato e del vene- rando. Eine kurze Anleitung gibt auch Vasari in der Introduzione zu den Biographien*); er rechnet aber noch mit sehr kleinen Motiven, b) Die Cascata.

Das Mittelstück des an den Berg angelegten Gartens bildet ein Wasserlauf. Er kommt nicht als natürlicher Bach den Abhang herunter, sondern stilisiert; die einzelnen Motive des Laufes und Sturzes möglichst gross und massig. Fortschritt vom Formlosen und Ungebundenen zu immer strengerer Fassung, je näher dem Hause.

Hauptbeispiel: Die lange Cascata der Villa Aldobrandini. Das Wasser erscheint hoch oben in roher Naturumgebung, als „fontanone rustico", dann gerader Lauf zwischen halbrunden Wülsten — das Wasser sammelt sich: stürzt über eine hohe Wand in ein Bassin, verschwindet — kommt weiter unten aus einem Loch wieder hervor, es wechselt nochmals gerader Lauf mit Stauung in einem Bassin; die Profilierung der Einfassungen wird durchgebildeter, das Wasser kommt in interessante Bewegung: wellig abgetreppte Fläche mit stärkerer Neigung; Schlusssturz als Mittelstück des Teatro hinter dem Palast (Fig. 18). — Die vollkommenste Lösung der Cascata gibt wohl Villa Conli. ICs ist nur ein Motiv, abci- gioss, mächtig und rauschend. Vier immer breiter werdende, wulstige Ausbauchungen, in jede Bauchung eine Schale eingestellt mit schwellender Lippe, das Wasser fliesst über, gleitet über eine schiefe Ebene mit Schuppenmuster') und stürzt von dieser in die nächste Schale. Alles Kleinliche ist weggelassen, auch die mit Spiralen umzogenen Säulen, an denen das Wasser herumläuft, die kleinen Muschelschalen auf den Treppenbalustraden, wo eine das Wasser an die andere abgibt und so eine Cascata im kleinen vorstellt u. s. w.

c. Der Teich. In rechtwinkeliger Form kennt ihn schon die Renaissance als Fischteich oder Badebassin; gewöhnlich ist er in einen strengeren Formzusammenhang aufgenommen. Bei Villa Madama in unmittel- barer Nähe des Hauses, angelehnt an die seitliche Terrasse ; bei Villa d'Este fügt er sich den Beeten des Blumenparterres ein. Später ist er gewöhnlich rund oder oval, meist mit einer Fontana als Mittel-


») Bottari, Lett pitt. V. 271 ff.

•) Kap. V.; I. 140 ff.

•) Scliuppeninustcr sehr allgemein. Vgl. Madernas Brunnen vor S. Peter.


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gruppe. Immer tief, der Grund soll nicht durchscheinen. Der erste ,,natürliche* See mit einer kleinen Insel in der Mitte findet sich in Villa Doria, in den freieren Aussenbezirken der Villa. Der Natura- lismus beschränkt sich aber auf ein in Rustika gehaltenes Ufer. Die Form des Sees ist ebensosehr nach einer regelmässigen Figur be- stimmt, wie die Insel die genaue Mitte einnimmt^).

9. Das Wasser musste schliesslich auch noch zu Zwecken dienen, die mit dem Formideal des Barock wenig zu tun haben: ich meine zu jenen musikalischen Kunststücken, die die Zeitgenossen aufs höchste bewunderten, und zu den Scherzen, die sich der Gutsherr mit harm- losen Besuchern erlaubte, indem er sie unversehens von einem Wasser- strahl durchnässt werden liess.

Der Barock liebt das Starktönende. Fast alle grossen Wasser- anlagen sind mit Schallwerken verbunden. Am berühmtesten waren die Tonkünste im Teatro der Villa Aldobrandini. Eine Beschreibung gibt Keissler*): Ein Löwe und eine Tigerin kämpfen miteinander und diese ahmt mit dem Wasserspritzen aus Nase und Rachen das Pfuchzen einer erzürnten Katze sehr natürlich nach. Der Wasserstrahl in der Mitte verursacht einen solchen Lärm, als wenn Granaten und Luft- kugeln geworfen würden; ein Centaur bläst auf dem Hörn, dass man's vier Meilen weit hört u. s. w. Die Wasserscherze spielen auf den zeitgenössischen Abbildungen eine sehr grosse Rolle: man zeichnet keinen Garten, ohne ein paar Menschen mitzugeben, die jählings vom Wasser überfallen werden. Man hatte sich namentlich vorzusehen, wenn man sich setzen oder ein Gatter aufmachen, die Treppe hinaufsteigen wollte u. s. w. Besonders schlimm scheint in dieser Beziehung Villa Conti gewesen zu sein').

IG. Um diesen ganzen Gartenstil zu verstehen, ist es nötig, sich klar zu machen, dass der Villen-Park jener Zeit immer auf eine grosse prächtige Gesellschaft berechnet ist.

Man lässt sich nicht gehen in dieser Umgebung, der streng- stilisierte Garten erfordert Haltung und Würde; man durchschlendert nicht diese Wege, sondern man durchwandelt sie, womöglich mit


  • ) Und doch war der See fähig, einen Dichter zu dem Verse zu begeistern :

yStagna superfusi dum cemis rustica fontis Urbani possis speruere fontis aquas." Bei Falda, Villa Doria Panfilia.

  • ) Keissier, Neueste Reisen. 1751. I. 696.

•) Vgl. Keissier a. a. O. I. 686. Ein Beispiel in grösserem Stil aus Poggio Reale bei Neapel erzählt Serlio (üb. III. 121). Wenn der König gut aufgelegt war, so setzte er die Herren und Damen der Gesellschaft mit einem Druck unter Wasser, e cosi ad un tratto, quando pareva al re, faceva rimanere quel luogo asciutto n^ vi mancavano vestimenti diversi per rivestirsi etc. O delitie Italiane» fügt Serlio bei, come per la discordia vostra siete estinte.


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grossem Aufzug, mit Damen und Pferden und Wagen. Man darf etwa auch an die f^tes galantes denken, wie sie später gemalt worden sind.

Den direkten Gegensatz zu diesem italienischen Park bildet der nordisch-moderne Garten, der die Natur ohne Umgestaltung geben will. Ich meine nicht den affektierten englisch-chinesischen mit Natur- brQcken, Strohhütten, künstlichen Ruinen und dergl., sondern den- jenigen, den die Naturbegeisterung eines Rousseau u. a. verlangte. Es ist dieser Geschmack verbunden mit einer elegischen Sentimentalität. Das Ideal einer reinen, unberührten Natur, nach der die Seele sehn- suchtsvoll zurückverlangt, existiert aber für die italienische Garten- architektur so wenig wie für die ländlichen Poesien eines Tasso und Guarini.

Hieraus erklärt sich denn auch, dass der Italiener nicht das Bedürfnis hat, einsam mit der Natur zu verkehren; es kommt aber als Weiteres dazu eine grossartige Liberalität der Gesinnung: der italienische Park steht jedermann offen.

In Inschriften wird dieser Grundsatz auf verschiedenste Weise ausgesprochen. Mehreres der Art findet man bei Keissler zusammen- gestellt. Am schönsten ist das Gärtneredikt aus Villa Borghese. Als harmloser Schlussschnörkel möge es hier noch seine Stelle finden :

Villae Burghesiae Pincianae Custos haec edico: Quisquis es, si liber, Legum compedes ne hie timeas, Ito quo volcs, carpito quae voles,

Abito quando voles. Exteris magis haec parantur quam hero, In aureo Seculo, ubi cuncta aurea Temporum securitas fecit, Ferreas leges praefigere herus vetat: Sit hie amico pro lege honesta voluntas. Verum si quis dolo malo Lubens sciens Aureas urbanitatis leges fregerit,

caveat ne sibi Tesseram amicitiae subiratus villicus Advorsum frangat.


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