Die Schönheit des weiblichen Körpers  

From The Art and Popular Culture Encyclopedia

Jump to: navigation, search

Related e

Wikipedia
Wiktionary
Shop


Featured:

Die Schönheit des weiblichen Körpers[1] (1898) is a book on the female body shape by Carl Heinrich Stratz, supposedly for "mothers, medical doctors and art students".

Contents

Excerpt

In an elaborate discussion of beauty of movement Stratz summarizes the special characters of the gait in woman as follows:

"A woman's walk is chiefly distinguished from a man's by shorter steps, the more marked forward movement of the hips, the greater length of the phase of rest in relation to the phase of motion, and by the fact that the compensatory movements of the upper parts of the body are less powerfully supported by the action of the arms and more by the revolution of the flanks. A man's walk has a more pushing and active character, a woman's a more rolling and passive character; while a man seems to seek to catch his fleeing equilibrium, a woman seems to seek to preserve the equilibrium she has reached.... A woman's walk is beautiful when it shows the definitely feminine and rolling character, with the greatest predominance of the moment of extension over that of flexion." (Carl Heinrich Stratz, Die Schönheit des Weiblichen Körpers, fourteenth edition, p. 275.) (via Studies in the Psychology of Sex, Volume 4 )

German text

Die Schönheit des weiblichen Körpers, 1. Aufl. Verlag F. Enke (Stuttgart), 1898

Dieser Titel, „den Müttern, Ärzten und Künstlern gewidmet“, wurde von der Presse durchweg positiv aufgenommen und war mit 46 Auflagen bis 1941 überaus erfolgreich. Nach einem Überblick über den Schönheitsbegriff im Allgemeinen, in der Kunst und in der Literatur sowie den Kanon geht das Werk detailliert auf den Einfluss von Faktoren wie Entwicklung, Lebensalter, Krankheiten und Kleidern auf die Schönheit ein. Im darauffolgenden Teil werden Kriterien zur Beurteilung des weiblichen Körpers im Allgemeinen, von verschiedenen Körperteilen und der Bewegung aufgestellt. Das Buch endet mit „Vorschriften zur Erhaltung und Förderung weiblicher Schönheit“. Stratz selbst erklärte zu diesem Werk:
„Ich habe einen neuen Weg zur Beurtheilung menschlicher Schönheit einzuschlagen versucht, indem ich neben dem Standpunkt des Künstlers und des Anatomen den des Arztes stellte, indem ich statt an Bildern und Leichen meine Beobachtungen so viel wie möglich am lebenden Körper machte, und diesen an und für sich als Hauptsache, und nicht nur als Gegenstand künstlerischer Darstellung betrachtete“.
Die 13. Auflage (1902) des Werks wurde um einige Fotos italienischer Modelle ergänzt, die von Wilhelm Plüschow speziell für dieses Werk angefertigt wurden. In den späteren Auflagen sind über 300 Abbildungen enthalten.

See also

Full text[2]

Die 6(t1ÖnMt 9e



(5.fi.srnr



ler0.iBliß



WavMB»-.


• '.' - -> ::^«^ >



J. /d- (a.


DIE SCHÖNHEIT DES WEIBLICHEN KÖRPERS


Digitized by the Internet Archive

in 2011 with funding from

Open Knowledge Commons and Harvard Medical School


http://www.archive.org/details/dieschnheitdes1908stra



Dr. C. W"S TRATZ



0=


=u


TV


HriNlIrlT


D


I LJ L.^ l


iN KORPERS


L^ i


DEN MÜTTERN, ÄRZTEN UND KÜNSTLERN GEWIDMET

NEUNZEHNTE AUFLAGE MIT 270 ABBILDUNGEN UND 7 TAFELN




VERLA ;


ART

DINÄND ENKE


U>08

.MaHoaÄM Hanaiw

.asdaJ raab rioßn airiqßTgoJoril)


,'-fw:i(«jf!n.*siH!ssa.»n«9!»-^;'"»r».'-



WIENER MÄDCHEN. ("Photographie nach dem Leben.)


c:^s::3



Dr. C H. STRATZ



Cr


DIE SCHÖNHEIT DES WEIBLICHEN KÖRPERS

DEN MÜTTERN, ÄRZTEN UND KÜNSTLERN GEWIDMET

NEUNZEHNTE AUFLAGE

MIT 270 ABBILDUNGEN UND 7 TAFELN



STUTTGART

VERLAG VON FERDINAND ENKE

1908



^^-^Jbra?S


Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart


Vorwort.

Wer ein neues Haus bauen will, hat eine schwere Arbeit zu ver- richten. Von überall her muß er die Steine und die Balken herbei- tragen, und er ist den freundlichen Menschen dankbar, die ihm dabei geholfen haben. Wenn endlich das Haus dasteht, dann ist es noch lange nicht fertig, hier hat die Mauer einen Riß bekommen und dort hat sich ein Gewölbe gesenkt, und Jahre vergehen, ehe er das Gebäude wohnlich eingerichtet hat, zur Freude für sich und andere.

Ich habe versucht, der lebenden weiblichen Schönheit einen Tempel zu errichten im Reiche der Gedanken; die Bausteine haben mir der Arzt, der Anatom und der Künstler geliefert.

Mit freundlichem Dank an diejenigen, die mir geholfen, übergebe ich das Werk, so wie es ist, der OefFentlichkeit und hoffe, daß es Beifall finden wird und mir Freunde erwirbt, die geneigt sind, es zu verbessern, zu erweitern und zu vervollständigen.

Ich habe eine mehr allgemeinverständliche Form gewählt, da der Inhalt, wie mir scheint, auch weitere Kreise als die rein wissen- schafthchen zu fesseln berufen ist. Dies Buch ist den Müttern, den Aerzten und Künstlern gewidmet.

Habeat suum fatum.

den Haag i8g8. C. H. STRATZ.


Vorwort zur dritten Auflage.

JUie Herren Alexandre, Theodor Alt, E. Arning, W. Auberlen, Alfred Enke, G. Fritsch, A. A. G. Guye, E. Juhl, R. von Larisch, A. Lopez Suasso, H. W. Mesdag, Frau Mesdag-van Houten, W. Mi- chaeHs, Joh. Ranke, P. Richer u. a., sowie mein Bruder Rudolf Stratz haben mich in liebenswürdigster Weise mit Rat und Tat unterstützt, so daß es mir möglich wurde, manches zu verbessern und zu ver- vollständigen.


YI VORWORT.

Wegen der Kürze der Zeit ist der neue Abschnitt über Rassen- schönheit etwas dürftig ausgefallen. Gerade dafür ist ja ein großes und gutes Material nötig.

Indem ich den genannten Herren an dieser Stelle meinen herz- lichen Dank abstatte, wende ich mich zugleich an alle Leser mit der Bitte, durch freundliche Winke und Beiträge den Wert meines Buches erhöhen zu helfen.

den Haas: i8qq. ^ ,, „^^ _

  • ^^ C. H. STRATZ.


Vorwort zur siebenten Auflage.

/\ußer den Genannten haben die Herren G. J. S. van Berckel, G. Eberlein, Enklaar van Guericke, Estinger, E. Hagen, C. Faber, Livius Fürst, Gustav Klein, C. Kraay, Kuhn-Faber, Leopold Meyer, Th. Molkenboer, Schmeltz, E. Selenka u. a. durch ihre freundliche Beihilfe mir ermögHcht, noch weitere Verbesserungen und Be- richtigungen vorzunehmen, unter denen ich namentlich hervorheben möchte, daß alle mir von einer Londoner Firma geHeferten enghschen Modelle sich als »Made in Germany« entpuppt haben. Um andere vor ähnlichem Irrtum zu behüten, habe ich alle mir bekannten zu- verlässigen Kunstverlage in Aktstudien namhaft gemacht und den Rest verschwiegen.

Den Herren, die mich so liebenswürdig unterstützt, dem Pubhkum, das mein Buch so freundlich empfangen, und der Kritik, die es trotz mancher Fehler so günstig beurteilt hat, gebührt mein herzlichster Dank, vor allen aber dem Verleger, der keine Mühe und Kosten scheute, die Ausstattung so tadellos wie möglich zu gestalten.

Die Zahl der Abbildungen ist von 72 in der ersten Auflage auf 132 vermehrt worden, worunter 77 Originalaufnahmen nach dem Leben.

Nebst zahlreichen , äußerst schmeichelhaften Zuschriften aus Künstlerkreisen ist namentlich die Zustimmung der Frauen selbst, für deren Wohl ich schrieb, mein schönster Lohn gewesen.

den Haas; 1000. „

  • ^ C. H. STRATZ.


VORWORT. VII


Vorwort zur zehnten Auflage.

iJie Zahl der freundlichen Mitarbeiter und Berater unter Aerzten und Künstlern ist so groß geworden, daß es mir nicht mehr mög- lich ist, sie alle einzeln zu nennen. Ein jeglicher wird aber leicht seinen Anteil erkennen an den Verbesserungen, die in dem Werke selbst angebracht sind. Ich habe es einer gründlichen Umarbeitung unterziehen müssen, und zwei neue Abschnitte über Farbe und Be- wegung beigefügt, um den erhöhten Anforderungen entsprechen zu können.

Mein besonderer Dank gebührt hierbei meiner verehrten Freundin, der Malerin Therese Schwartze, die mit ihrer Meisterhand dem Buche einen neuen Reiz verliehen hat; ebenso dem Verleger, der allen meinen Wünschen auf das bereitwilligste entgegen kam.

Das Material über Frauenkleidung hat sich so vermehrt, daß daraus ein besonderes Buch entstanden ist, ein gleiches dürfte wohl demnächst mit der Rassenschönheit der Fall sein, die in die Neu- bearbeitung nicht mehr aufgenommen wurde.

Möge das Werk in seiner neuen Gestalt den Lesern und Lese- rinnen ebenso viel Freude bereiten , als mir die Bearbeitung ge- boten hat.

den Haag igoi. C. H. STRATZ.


Vorwort zur dreizehnten Auflage.

im Text der neuen Auflage ist nur wenig verändert worden. Einen neuen Schmuck hat das Buch durch eine Reihe von künst- lerisch ausgeführten Aufnahmen italienischer Modelle erhalten, die Herr Wilhelm von Plüschow in Rom so freundlich war, eigens zu diesem Zwecke anzufertigen.

, den Haag igo2. C. H. STRATZ.


VIII VORWORT.


Vorwort zur siebzehnten Auflage.

JL/ie neue Auflage habe ich einer gründlichen Umarbeitung unterworfen, dabei aber doch, so weit als möghch, die alte Form gewahrt. Einzelne Abschnitte sind einheitlicher und übersichtlicher zusammengestellt, andere, so namentlich die Darstellung des Weibes in der Kunst, erweitert worden; weniger gute Bilder wurden durch bessere ersetzt, und neue Naturaufnahmen eingefügt. Ich hoffe damit zahlreichen, an mich herangetretenen Wünschen entsprochen zu haben.

Mein Buch hat sich in den sechs Jahren seines Bestehens so manche Freunde und Nachfolger erworben. Soweit die letzteren dem gleichen Ziele zustrebten, begrüße ich sie mit Freuden. Auch dann noch, wenn sie meine Gedanken so sehr zu den ihrigen machten, daß sie darüber die Quelle zu nennen vergaßen, aus der sie geschöpft hatten.

»Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben, durch die man zu den Quellen steigt«, und dann noch die Quellen an andere ver- raten zu müssen! Das wäre zu viel verlangt.

Ich begnüge mich damit, Zustimmung und Beifall in jeder Form dankend anzuerkennen.

den Haag 1905. ^^ ^^ ^I^KXZ.


Inhalt.

Seite

Einleitung i

I. Der moderne Schönheitsbegriff 4

II. Darstellung weiblicher Schönheit durch die bildende Kunst . . .13

III. Weibliche Schönheit in der Literatur 41

IV. Proportionslehre und Kanon 50

V. Einfluß der Entwicklung und Vererbung auf den Körper ... 68

VI. Einfluß von Geschlecht und Lebensalter 78

VII. Einfluß von Ernährung und Lebensweise 96

VIII. Einfluß von Krankheiten auf die Körperform 109

IX. Einfluß der Kleider auf die Körperform 123

X. Beurteilung des Körpers im allgemeinen 136

XL Kopf und Hals 150

XIL Rumpf 188

Schulter 194

Brust i9"6

Bauch 218

Rücken 231

Hüften und Gesäß 240

XIII. Obere Güedmaßen 249

XIV. Untere Gliedmaßen 262

XV. Schönheit der Farbe . . . 272

XVI. Schönheit der Bewegung 288

Stellungen des ruhenden Körpers 317

Stellungen des bewegten Körpers 345

XVII. Ueberbhck der gegebenen Zeichen normaler Körperbildung . . 358

XVIII. Verwertung in der Kunst und Kunstkritik. Modelle 394

XIX. Vorschriften zur Erhaltung und Förderung weiblicher Schönheit . 425

Sachverzeichnis 432

Namenverzeichnis . 436


Verzeichnis der Abbildungen.


Seite

Fig. I. Vatikanische Aphrodite. (Gipsabguß aus Straßburg. Phot. Dr. Po-

laczek) lo

„ 2. La danseuse von Falguiere ii

„ 3. Antinous vom Kapitol 18

„ 4. Aphrodite von Medici. (Gipsabguß aus London) 19

„ 5. Venus von Milo 20

„ 6. Umriß des Venustorso Fig. 5 21

„ 7. Aphrodite vom Esquilin . 22

„ 8. Fünfzehnjähriges Judenmädchen 23

„ 9. Ein Bildhauermodell von Alma Tadema 24

„ 10. Lukretia und Judit von Lucas Cranach 27

„ II. Eva von J. van Eyck 28

„ 12. Venus von Botticelli 29

„ 13. Venus von Rubens (Urteil des Paris. Madrid) 31

„ 14. Eva vom Dom in Mailand 32

„ 15. Nackte Frau. (Bronzefigur, Museum in Berlin) 33

„ 16. Venus von Thorwaldsen ... 35

„ 17. Weinendes Mädchen von Eberlein 37

„ 18. Salambo von Paul Breton 37

„ 19. Bildnis der Jeanne d' Aragon 46

„ 20. Kanon von G. Fritsch und Merkeische Normalgestalt .... 55

„ 21. WeibUche Normalfigur nach Richer, verglichen mit dem Kanon

von Fritsch 58

„ 22. Weibliche Normalfigur nach Geyer, verglichen mit dem Kanon

von Fritsch 58

„ 23. Weibliche Normalfigur nach Hay 60

„ 24. Weibhche Normalfigur nach Thomson 60

„ 25. Durchschnittsfigur der Amerikanerin von Sargent, verghchen mit

dem Kanon von Fritsch 61

„ 26. Frau mit Rückgratsverkrümmung und Plattfuß bei richtigen Pro- portionen 62

„ 27. Rückansicht von Fig. 26 63

„ 28. Schema von Fig. 26 verglichen mit dem Kanon von Britsch . . 64

„ 29. Pasteursche Tangente 66

„ 30. Menschlicher Embryo am Ende des i. Monats (nach His) ... 70

„ 31. Frontalkonstruktion zu Fig. 30 71

„ 32. Menschlicher Embryo am Ende des 2. Monats (nach His) ... 73

„ 33. 2ojähriges Mädchen mit Oberbrust , . . 74


VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN. XI

Seite

Fig. 34. Umrißzeichnung von Fig. 33 mit Angabe der Stellen, wo über- zählige Brustdrüsen gefunden wurden 75

„ 35. Männliche Normalgestalt nach Merkel 80

„ 36. Weibliche Normalgestalt nach Merkel 80

„ 37. Männliche Normalgestalt von hinten nach Merkel ' 81

„ 38. Weibliche Normalgestalt von hinten nach Merkel 81

„ 39. Umrisse des männlichen (M) und weiblichen (W) Beckens von vorn

unten 82

„ 40. Beckendurchschnitt von Mann und Weib 83

„ 41. Weiblicher und männhcher Torso im Profil nach Thomson . . 84

„ 42. Rückansicht von Mann und Weib nach Richer 85

„ 43. Weibliche Normalgestalt . , 86

„ 44. Männliche Normalgestalt 87

„ 45. Infantilismus der Frau nach Meige 88

„ 46. Mädchen von 12V2 Jahren aus München 89

„ 47. i8jähriges Mädchen aus Wien mit männlichen Körperformen . 90

„ 48. Ausgesprochener Virilismus der Frau 91

„ 49. Schönheitskurve 93

„ 50. Mädchen mit schlanken Formen bei normaler Fülle 98

„ 51. Dieselbe von hinten 99

„ 52. Magerer Körper. Mädchen von 23 Jahren 100

„ 53. Abgemagerter Körper. Mädchen von 22 Jahren loi

„ 54. Volle Formen bei guter Muskelbildung. Mädchen von 20 Jahren 102

" 55- Volle Formen durch Fettbildung. Mädchen von iS Jahren . . 103

„ 56. Frau von 32 Jahren mit übermäßiger Fettbildung 104

„ 57. Dieselbe von hinten 105

„ 58. Kurzbeinige Gestalt (Pariserin) 106

„ 59. Langbeinige Gestalt (Wienerin) 107

„ 60. Kleines Mädchen mit X-Beinen (nach Hoffa) iii

,, 61. Hochgradige Rhachitis 112

„ 62. Skelett des Unterkörpers von Fig. 61 113

„ 63. Deutliche Zeichen überstandener Rhachitis 114

„ 64. Spuren überstandener Rhachitis 115

„ 65. Myopathie primitive progressive nach Londe und Meige . . . 116

„ 66. Mädchen von 26 Jahren mit kräftig entwickelter Muskulatur

(Berlinerin) 117

„ 67. 2ojähriges Mädchen mit phthisischem Habitus (Holländerin) . . 119

„ 68. Oberkörper einer Schwindsüchtigen 120

„ 69. Javanisches Mädchen, das nie ein Korsett getragen hat . . . 125

„ 70. Torso der Aphrodite. (Museum in Neapel) 126

„ 71. Gipsabguß nach dem Torso einer 18jährigen Holländerin, die

nie ein Korsett getragen hat 127

„ 72. Rückansicht desselben 128

■„ 73. Gipsabguß nach der Leiche einer jugendlichen Selbstmörderin.

(i. anatomisches Institut, Berlin) 129

„ 74. Mädchen ohne Schnürfurche 130

,, 75. Mädchen mit deutlicher Schnürfurche 131


Xn VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN.

Seite

Fig. 76. Mädchen mit sehr starker Einschnürung 132

„ 77. Einschnürung durch Rockbänder (ohne Korsett) 133

„ 78. Druckfurchen der Strumpfbänder unterhalb der Kniee bei einem

23jährigen Mädchen 134

„ 79. Symmetrische Körperhaltung 138

„ 80. 23jähriges Mädchen in symmetrischer Körperhaltung 141

" 81. Proportionen von Fig. 80 nach Fritsch 141

„ 82. Normaler Körper mit sanguinischem Gepräge 146

„ 83. Normaler Körper mit phlegmatischem Gepräge 147

„ 84. Weiblicher und männlicher Schädel. (Modifiziert nach Ecker) . 151


85. 86.

87.


Entwicklung des Gesichts (nach His) 15;


88. Schädel eines Neugeborenen 155

89. Schädel einer Frau mit schmalem und langem Oberkiefer . . 155

90. Schädel einer Frau mit kurzem und breitem Oberkiefer . . . 155

91. Junge Italienerin von 13 Jahren. Regelmäßiges Gesichtsoval . 157

92. Mädchen aus Samoa. Breite vordere Schneidezähne . . . . 158

93. Ungarin von 18 Jahren, kleiner Mund und schmaler Unterkiefer.

(Collier de Venus) 159

94. Kopf einer Oesterreicherin. Stirn, Nase, Kinnmundpartie gleich

groß. Regelmäßige Züge. (Collier de Venus) 160

95. Kopf einer Pariserin mit fein modelliertem, gut proportioniertem

Gesicht 162

96. Kopf einer Oesterreicherin. Grübchen im Kinn 163

97. Kopf eines japanischen Mädchens mit Mongolenfalte .... 164

98. Dame aus Valencia. Hohe obere Augenfalte 165

99. Mädchen aus Dresden, verdeckte obere Augenfalte. (Phot. H. Erfurth) 1 67

100. Schöngebautes Ohr nach Langer 168

10 1. Mädchen aus Schapbach. Schöngebautes Ohr. (Nordisches Profil) 169

102. Kopf einer jungen Pariserin mit feingeschnittenem Mund . . . 170

103. Kopf einer jungen Oesterreicherin mit feingeschnittenem Mund

im verlorenen Profil (Fig. 94) 171

104. Zwei Sabinerinnen mit griechischem Profil , . 172

105. Sevillana. (Römisches Profil) 173

106. Kopf mit klassischem Gesichtsschnitt. (Leicht nordisches Profil). 175

107. Weiblicher Hals und Schulter im Profil 177

108. Langer Hals. (Aufn. von H. Erfurth) 180

109. Kurzer Hals. (Aufn. von O. Schmidt) 181

HO. i2jährige Amerikanerin. (Collier de Venus. Phot. Dr. Shufeldt,

New York) 182

III. Kopf einer i8jährigen Pariserin mit seitlicher, durch Drehung

bedingter Halsfurche 183

1X2. Süddeutsche. Schöne Nackenlinicn und Drehungsfalte am Hals 184

113. Dieselbe mit gehobenem Arm 185

114. Rumpfskelett eines 25jährigen Mädchens, durch Schnüren ver-

unstaltet (nach Rüdinger) . , 189


„ 124


„ 125.


■ „ 126


■ „ 127


„ 128


„ 129-


], 130.


'. 131.


• >, 132.


■ . 133-


■ . 134.


. 135.


„ 136.


„ 137.


„ 138.


„ 139


„ 140.


„ 141.


„ 142.


VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN. XIII

Seite

Veränderung des Rumpfskeletts durch Schnüren nach Sömmering 191

Muskulatur des weiblichen Torso von vorn 192

Muskulatur des weiblichen Rückens 193

Knickung des Brustkorbs bei einem 15jährigen Mädchen (Hühner- brust) 199

Durchschnitt durch den Brustkorb in der Höhe der Brustwarzen

bei einem 20jährigen Mädchen (nach Rüdinger) 200

Brustknospe. i2Jähriges Mädchen aus München , . 201

Knospenbrust. 20J ähriges Mädchen aus Böhmen 202

Reife Brust. 20jährige Maurin 203

Lage der Brüste zum Brustkorb. 1 6jährige Norddeutsche . . 204

Lage der Brüste zum großen Brustmuskel. 14jährige Süddeutsche 205

Absetzung der Brüste gegen die Achsel. 13jährige Italienerin. 206

Verschiebung der Brüste bei Bewegung der Arme 207

Norddeutsche von 16 Jahren mit hochangesetzter Brust . . . 208

Münchnerin von 16 Jahren mit tiefangesetzter Brust . . .- . 209

Gut gebaute Brüste . 210

Schlecht gebaute Brüste , 211

Zu kleine Brüste '. 212

Zu große Brüste ,213

Vollentwickelte Brüste einer Beaute du diable 214

Hängebrust bei kleiner Drüse 216

Hängebrust bei großer Drüse - 217

Weibliches Becken 219

Wellenlinie des Rumpfes im Profil 221

(a, b, c). Schema der Grenzlinien zwischen Rumpf und Schenkeln 223

Weiblicher Rumpf mit Vorwiegen der Leistenlinie 224

Weiblicher Rumpf mit Vorwiegen der Beckenlinie . . . ... 225

i4Jähriges Münchener Modell mit guter Ausprägung der Becken- linie und Leistenlinie 226

Weiblicher Körper mit schönen Grenzlinien zwischen Rumpf

und Schenkel (Oesterreicherin) 227

Unterrippengrübchen bei einer 15jährigen Wienerin . . . . 228

Runder Rücken 232

Hohler Rücken , 233

Beginnende Rückgratsverkrümmung 234

Rücken einer Amerikanerin (schwedischer Herkunft) mit schönem

Muskelrelief. (Phot. Dr. Shufeldt) . 236

Rücken einer Pariserin, durch Schnüren verflacht 237

Schön modellierter Rücken eines javanischen Mädchens. Kreuz- grübchen 238

Rücken einer Frau mit plattem Becken 239

Kreuzgrübchen und mittlere Rückenfurche von schöner Form

bei einer Münchnerin. (Phot. Estinger) 240

Hautfalten über der Hüfte bei geneigter Haltung des Beckens 241

Verlorenes Profil von Fig. 143 rnit schönen Hüften . ... . 242


XIV


VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN.


Fig.


155- 156.

157- 158.

159. 160. 161. 162. 163. 164. 165.

166.

167. 168. 169. 170. 171. 172.

173. 174.

175- 176.

177. 178.

179. 180. 181. 182, 183. 184. 185. 186. 187.


190.

191. 192.

193.

195. 196.

197-


Seite

Abrundung der Hüfte bei einer mageren Wienerin .... 243

i2Jähriges Mädchen mit weiblichen Formen in der Entwicklung 244

Rücken eines schlanken Mädchens von 18 Jahren 245

Uebermäßige Fettanhäufung am Gesäß (Steatopygie) .... 246

Erste Zeichen des Verwelkens 247

Spitzer Ellenbogen 251

Armachse in Pronation und Supination 252

Völlig gerade Armachse 253

Schön gerundeter Arm (Münchnerin) 254

Schön gebauter Arm und Schulter (Schwäbin) 255

Kräftige weiblich geformte Arme und Hände eines Wiener

Mädchens • 256

Wiener Mädchen (Tafel I, 3 Jahre später). Vollendete Bildung

der Hände 257

Weibliche Hände mit spitz zulaufenden Fingern 258

Weibliche Hand mit stumpf zulaufenden Fingern ..... 259

Bestimmung der Geradheit des Beines nach Mikulicz .... 265

Brückesche Linie 265

Breite des Oberschenkels bei einer Amerikanerin 267

Schön geformte Waden und Füße 268

Abdrücke von normalen und von Plattfüßen nach Volkmann . 269

Blondine 278

Brünette 279

Frauenkörper auf orange Hintergrund mit neutralem Schatten 282

Frauenkörper auf violettem Hintergrund mit neutralem Schatten 283

Frauenkörper auf weißem Hintergrund 284

Frauenkörper auf schwarzem Hintergrund 285

Torso eines Mädchens von 14 Jahren mit gesenkten Armen . 290

Torso desselben Mädchens mit gehobenen x\rmen 291

Leichte Beugung des rechten, Streckung des linken Beins . . 292

Starke Beugung des rechten, starke Streckung des linken Beins 293

Spreizung des linken Beins 294

Leichte Beugung und Spreizung des linken Beins. Rückansicht 295

14J ähriges Mädchen mit vorgeschobenem Becken 297

14J ähriges Mädchen mit gehobenem Zwerchfell und eingezogenem

Bauch 298

14J ähriges Mädchen mit gestrecktem Rücken und eingezogenem

Bauch im Profil 299

Schema der wichtigsten Muskelgruppen des Rumpfes .... 301

Knickungsfurchen bei Streckung 302

Knickungsfurchen bei Beugung 303

Streckung der Wirbelsäule 305

Stärkere Streckung mit Fußspitzenstand und erhobenen Armen 306

Aeußerste Streckung des Rumpfes 307

Beugung des Rumpfes. Erstes Stadium 309

Beugung des Rumpfes. Zweites Stadium 310

Beugung des Rumpfes. Drittes Stadium ........ 311


VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN. XV

Seite

Fig. 198. Aeußerste Beugung des Rumpfes .... ......312

199. Starke Beugung des Rumpfes bei schlafferer Haut 313

200. Seitliche Knickungsfurchen bei Beugung und Drehung. . . . 315

201. Dieselben Furchen bei stärkerer Drehung nach der entgegen- gesetzten Seite 316

202. Starke, fehlerhafte Knickungen bei Drehung und Beugung links 317

203. Lässiger Stand .....318

204. Straffer (militärischer) Stand 319

205. Lässige Haltung auf ganzer Sohle 320

206. Straffe Haltung auf erhöhter Ferse 320

207. Schema der symmetrischen Stellung 322

208. 2ojähriges Mädchen in symmetrischer Stellung 323

209. Schema der Hüftstellung nach Richer 324

210. Schema einer 20jährigen Rheinländerin in Hüftstellung . . . 325

211. Mädchen in Hüftstellung mit zum Standbein gleichlaufender Rumpfachse .... 326

212. Mädchen in Hüftstellung mit dem Standbein entgegengesetzter Rumpfachse. (Phot. H. Erfurth) 327

213. Zwei Mädchen von 16 Jahren in Hüftstellung. Rückansicht . 328

214. Sitz bei Beugung des Rumpfes. Münchener Mädchen von 12 Jahren 331

215. Sitz mit gebeugtem Oberkörper und gesenkten Armen . . . 332

216. Sitz mit gestrecktem Oberkörper und erhobenen Armen. . . 333

217. Mädchen von 13 Jahren, im Sitz mit gespreiztem Bein . . . 334

218. Halb sitzende, halb liegende Stellung 336

219. Gestreckte Lage. Vorderansicht. (Phot. W. v. Plüschow) . . 338

220. Gebeugte Lage. Vorderansicht. (Phot. H. Erfurth) 339

221. Gestreckte Lage. Rückansicht 340

222. Gebeugte Lage. Rückansicht 341

223. Gebeugte Lage in Vorderansicht bei fehlerhaftem Körper . . 342

224. Gebeugte Lage in Rückansicht bei fehlerhaftem Körper . . . 343

225. Schema des menschlichen Ganges (nach Richer) 347

226. Schema des weiblichen Ganges (nach Richer) 349

227. Gehendes Mädchen von 12 Jahren 351

228. 1 8jährige Wienerin, gehend, von hinten 352

229. Dieselbe mit fehlerhafter Haltung , . 353

230. Treppensteigendes Mädchen. Rückansicht . 354

231. Schema des weibhchen Laufes , . 356

232. 14jährige Amerikanerin in symmetrischer Stellung 368

233. Proportionen derselben 369

234. Bestimmung des Wiener Mädchens nach Kopflängen .... 372

235. Bestimmung des Wiener Mädchens nach dem Modulus von Fritsch 373

236. Mädchen aus Wien von 17 Jahren mit völlig normalen Proportionen 374

237. Dieselbe von hinten 375

238. Proportionen der 17jährigen Wienerin 376

239. 22jähriges Mädchen aus Scheveningen 378

240. Dieselbe entkleidet 379

241. Dieselbe in Rückansicht 380


XVI VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN UND TAFELN.

Seite

Fig. 242. Kanon des Mädchens aus Scheveningen 381

243. 14jährige Albanerin. Ganze Figur in der Landestracht . . . 382

244. Ganzakt in gleicher Stellung 383

245. Dieselbe. Proportionen (nach Fig. 246) 384

246. Dieselbe. Ganzakt in Vorderansicht 385

247. Dieselbe. Ganzakt in Seitenansicht 387

248. Dieselbe. Torso, in der Landestracht 388

249. Dieselbe. Torso, nackt, in leicht gebeugter Stellung .... 389

250. Dieselbe. Torso, nackt, in gestreckter Stellung 390

251. Ganzakt in sitzender Stellung 391

252. Klingers Badende in linker Seitenansicht 398

253. Klingers Modell in linker Seitenansicht 399

254. Klingers Badende in rechter Seitenansicht 400

255. KHngers Modell in rechter Seitenansicht 401

256. Das Mädchen von Gustav Eberlein 404

257. Original von Fig. 256, 2 Monate früher aufgenommen .... 405

258. Beriiner Modell von 20 Jahren 406

259. Fig. 258 in Rückansicht 407

260. Das Modell Fig. 258, durch Eberlein gestellt 408

261. Dieselbe, in Rückansicht gestellt 409

262. Nymphen und Silen von Gustav Eberlein 410

263. 17jährige Berlinerin nach einer Aufnahme von G. Fritsch . . 412

264. Dieselbe von hinten 413

265. Proportionen von Margarete, verglichen mit dem Kanon von Fritsch 414

266. Dioptrische Profilzeichnung nach Kopflängen 415

267. Rückansicht eines jungen Mädchens. (Zeichnung von Cornelia Paczka) 419

268. Münchener Modell von 17 Jahren mit russischem Windhund. (Aufn. von Estinger) 422

269. Freilichtstudie. (Aufn. von Estinger) 423

270. Indische Gurita 428


Verzeichnis der Tafeln.

Wiener Mädchen nach dem Leben. Zu p. 371. i3Jähriges Mädchen und i5Jähriger Knabe aus Rom. Zu p. 84. Böhmisches Mädchen nach dem Leben. Zu p. 194. Nackte Frau auf grünlichem und rötlichem Hintergrund. Zu p. 286. 14jährige Amerikanerin nach dem Leben. Phot. Dr. R. A. W. Shu- feldt, New York. Zu p. 330. Tafel VI. Schlummernde Psyche. Nach einer Zeichnung von Therese Schwartze.

Zu p. 402. Tafel VIL Junges Mädchen. Nach einer Zeichnung von Cornelia Paczka. Zup.417.


Tafel


I.


Tafel


II.


Tafel


III.


Tafel


IV.


Tafel


V.


Gedankengang.



|m lebende weibliche Schönheit objektiv zu beurteilen, muß man auf negativem Wege vorgehen: die Fehler ausmerzen. Dann findet man, daß Schönheit höchste Gesundheit ist (Einleitung). Bisher beurteilte man nur Gesicht und Hände nach dem lebenden Weibe, den übrigen Körper nach Darstellungen der bilden- den Kunst (Kapitel I). Darstellung des weiblichen Körpers in der Kunst ist traditionell, bedingt durch Mode, Kunstzweck, und darum nicht maßgebend (Kapitel II). Darstellung weiblicher Schönheit in der Literatur hat nur historischen Wert, mit Ausnahme der Be- strebungen, eine gewisse Gesetzmäßigkeit in den Verhältnissen nach- zuweisen (Kapitel III).

Bei der Beurteilung des lebenden w^eiblichen Körpers haben wir auszuschheßen die Fehler, bedingt durch:

1. unrichtige Proportionen (Kapitel IV),

2. mangelhafte Entwicklung und fehlerhafte Vererbung (Kapitel V),

3. schlechte Ausprägung des Geschlechtscharakters und des Lebens-

ahers (Kapitel VI),

4. falsche Ernährung und Lebensweise (Kapitel VII),

5. Krankheiten (Kapitel VIII),

6. Kleidung (Kapitel IX).

Legen wir diesen Maßstab im allgemeinen (Kapitel X) und im besonderen (Kapitel XI, XII, XIII, XIV) an, so kommen wir zu einer Reihe von Erscheinungen, deren Anwesenheit ein Fehler, deren Abwesenheit ein Vorzug ist. Individuahtät wird bedingt durch ge- ringe Abweichungen innerhalb der gesetzmäßigen Grenzen.


XVIII GEDANKENGANG.

Außer der Schönheit der Form haben wir zu achten auf die Schönheit der Farbe (Kapitel XV) und auf die Schönheit der Be- wegung (Kapitel XVI).

Dieser Maßstab ist verwertbar zur Beurteilung lebender weiblicher Schönheit (Kapitel XVII) und zur Beurteilung von Kunstwerken (Kapitel XVIII). Er kann als Richtschnur dienen zur Erziehung und Lebensweise des Weibes, da höchste Gesundheit und Schönheit sich decken (Kapitel XIX).


Einleitung.



Des Weibes Leib ist ein Gedicht, Das Gott der Herr geschrieben Ins große Stammbuch der Natur, Als ihn der Geist getrieben.

(Heine.)

eit Menschengedenken haben Tausende von Dichtern, von Malern und Bildhauern die Schönheit des Weibes in Wort und Bild verherrHcht, selbst ernste Gelehrte haben sich nicht gescheut, Theorien über das weibliche Schönheitsideal zusammenzustellen; und die Menge bewundert ihre Werke und betet ihnen nach. Dabei vergißt sie aber, daß die allmächtige Natur in ihrer unerschöpflichen Kraft tciglich weibliche Wesen erstehen läßt, die weit schöner sind als alles, was Kunst und Wissenschaft je hervorgebracht, an denen die meisten achtlos vorübergehen, weil kein Kundiger ihnen zuruft: Seht hier die lebende Schönheit in Fleisch und Blut.

»Darum sieh die Natur fleißig an,« — schreibt Albrecht Dürer ^) im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts — »richte dich danach und geh nicht von ihr ab in deinem Gutdünken, daß du meinest, du wollest das Bessere von dir selbst linden, denn du würdest verführt. Denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur; wer sie heraus kann reißen, der hat sie. Ueberkommst du sie, so wird sie dir viel Fehls nehmen in deinem Werk. Aber je genauer dein Werk dem Leben gemäß ist in seiner Gestalt, desto besser erscheint dein Werk. Und dies ist wahr; darum nimm dir nimmermehr vor, daß du etwas Besseres mögest oder wollest machen , als Gott es seiner erschaffenen Kreatur zu wirken Kraft gegeben, denn dein Ver- mögen ist kraftlos gegen Gottes Schaffen.« 

Dank der Photographie und der Verbesserung in der Technik der anderen vervielfältigenden Künste sind wir heute in der Lage,

1) Proportionslehre, III. Teil, 1523.

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers. I


EINLEITUNG.

wenigstens die äußeren Formen lebender Schönheit mit wissen- schaftlicher Genauigkeit festzuhalten.

Brücke^) war der erste, der sich dieses Mittels bediente, ihm folgten Thomson^) und andere. Richer^), der künstlerische, selbst- gefertigte Zeichnungen nach dem lebenden Modell gibt, hat diese ebenfalls durch photographische Aufnahmen wissenschaftHch sicher- gestellt.

Bei diesen und allen ähnlichen älteren und neueren Werken, die sich in mehr wissenschafthcher Weise mit der weiblichen Schönheit beschäftigen, sind mir indessen zwei Tatsachen, oder, wenn man will, Mängel aufgefallen. Zunächst beschäftigen sie sich nicht mit dem schönen Körper als solchem, sondern nur in Beziehung zu seinen Nachbildungen durch die Kunst; dann aber werden wohl sehr sorgfältig alle anatomischen Tatsachen behandelt, die pathologischen Tatsachen jedoch, die durch Krankheiten und unrichtige Lebensweise bedingten Veränderungen werden nur sehr flüchtig gestreift.

Ich habe einen neuen Weg zur Beurteilung menschlicher Schön- heit einzuschlagen versucht, indem ich neben den Standpunkt des Künstlers und des Anatomen den des Arztes stellte, indem ich statt an Bildern und Leichen meine Beobachtungen soviel wie möglich am lebenden Körper machte, und diesen an und für sich als Haupt- sache, und nicht nur als Gegenstand künstlerischer Darstellung be- trachtete.

Diese Beobachtungen führten mich nach fünfzehnjähriger Arbeit zu dem Ergebnis, daß man nur auf negativem Wege, d. h. durch Aus- schluß krankhafter Einflüsse, aller durch fehlerhafte Kleidung, durch Vererbung, unrichtige Ernährung und unzweckmäßige Lebensweise bedingten Verunstaltungen des Körpers zu einer Normalgestalt, zu einem Schönheitsideal gelangen könne, das dann allerdings individuell sehr verschieden sein kann, aber doch stets unveränderlichen Gesetzen unterworfen ist; denn vollendete Schönheit und vollkommene Gesundheit decken sich.

Dadurch allein erhält man einen festen, auf Tatsachen beruhenden


^) Schönheit und Fehler der menschlichen Gestalt, 1890.

^) Handbook of anatomy for art students, 1896.

^) Anatomie artistique, 1890. Physiologie artistique 1895.


EINLEITUNG.

Maßstab, der sich, unabhängig vom individuellen, unberechenbaren Geschmack, anlegen läßt.

Außerdem aber liegt, glaube ich, auch ein gewisser praktischer Wert in meinen Untersuchungen, da sich aus ihnen ergibt, daß man, namentlich bei der heranwachsenden Jugend, sehr wohl im stände ist, mit der Gesundheit zugleich auch die Schönheit des Körpers zu erhöhen und zu veredeln.

Bevor ich jedoch daran gehe, die bekannten Tatsachen, vermehrt durch eigene Beobachtungen, von diesem neuen Standpunkte aus zu betrachten, muß ich, des besseren Verständnisses halber, in großen Zügen die verschiedenen Wege besprechen, auf denen man bisher das Schönheitsideal zu erreichen gesucht hat, und vor allen Dingen den modernen Schönheitsbegriff und die Umstände, die zu seiner Bildung beigetragen haben, kritisch beleuchten.


Der moderne Schönheitsbegriff.

Der moderne europäische Mensch kennt vom lebenden weibUchen Körper so gut als nichts. Er sieht nur Gesicht und Hände, bei fest- lichen Gelegenheiten Arme und Schultern. Nur einen oder einige wenige weibliche Körper sieht er entkleidet, und auch diese meist unter Umständen, die ihm ein nüchternes, unbeeinflußtes Urteil un- möglich machen oder doch trüben; denn Liebe macht blind.

Ueber Gesicht und Hände kann er sich allerdings ein selbständiges Urteil bilden, was er vom übrigen Körper weiß, ist der Gesamtein- druck der Erinnerungsbilder von Darstellungen durch die bildende Kunst; Beobachtungen an dem lebenden Weibe spielen dabei eine ganz untergeordnete Rolle. Demnach beruht das Schönheitsideal des modernen Europäers größtenteils auf durch die Kunst vermit- telten Eindrücken. Eine Ausnahme hiervon macht der Künstler und der Arzt.

Den unmittelbaren Eindruck, den der erste Anblick eines nackten weiblichen Körpers auf den Beschauer ausübt, hat Goethe, der große Psychologe, in treff'licher Weise geschildert^).

»Sie brachte mich darauf in ein kleines, artig möbliertes Zimmer; ein sauberer Teppich deckte den Fußboden, in einer Art von Nische stand ein sehr reinliches Bett, zu der Seite des Hauptes eine Toilette mit aufgestelltem Spiegel, und zu den Füßen ein Gueridon mit einem dreiarmigen Leuchter, auf dem schöne helle Kerzen brannten. Auch auf der Toilette brannten zwei Lichter. Ein erloschenes Kaminfeuer hatte die Stube durchaus erwärmt. Die Alte wies mir einen Sessel an, dem Bette gegenüber am Kamin, und entfernte sich.

»Es währte nicht lange, so kam zu der entgegengesetzten Türe ein großes, herrlich gebildetes, schönes Frauenzimmer heraus; ihre

^) Briefe aus der Schweiz. Erste Al)teilung. Cotta 4, p. 469.


DER MODERNE SCHONHEITSBEGRIFF.

Kleidung unterschied sicli nicht von der gewöhnHchen. Sie schien mich nicht zu bemerken, warf ihren schwarzen Mantel ab und setzte sich vor die Toilette. Sie nahm eine große Haube, die ihr Gesicht bedeckt hatte, vom Kopfe: eine schöne, regelmäßige Bildung zeigte sich, braune Haare mit vielen und großen Locken rollten auf die Schultern herunter. Sie fing an, sich auszukleiden; welch eine wunderliche Empfindung, da ein Stück nach dem anderen herabfiel, und die Natur, von der fremden Hülle entkleidet, mir als fremd schien und beinahe, möcht' ich sagen, mir einen schauerlichen Ein- druck machte.

»Ach, mein Freund, ist es nicht mit unseren Meinungen, unseren Vorurteilen, Einrichtungen, Gesetzen und Grillen auch so? Er- schrecken wir nicht , wenn eine von diesen fremden , ungehörigen, unwahren Umgebungen uns entzogen wird und irgend ein Teil unserer wahren Natur entblößt dastehen soll? Wir schaudern, wir schämen uns. —

»Soll ich dir's gestehen, ich konnte mich nicht in den herrHchen Körper finden, da die letzte Hülle herabfiel! Was sehen wir an den Weibern? Was für Weiber gefallen uns, und wie konfundieren wir alle Begrilfe? Ein kleiner Schuh sieht gut aus, und wir rufen: Welch ein schöner kleiner Fuß! Ein schmaler Schnürleib hat etwas Elegantes, und wir preisen die schöne Taille.

»Ich beschreibe dir meine Reflexionen, weil ich dir mit Worten die Reihe von entzückenden Bildern nicht darstellen kann, die mich das schöne Mädchen mit Anstand und Artigkeit sehen ließ. — Alle Bewegungen folgten so natürlich aufeinander, und doch schienen sie so studiert zu sein. Reizend war sie, indem sie sich entkleidete, schön, herrlich schön, als das letzte Gewand fiel. Sie stand, wie Minerva vor Paris mochte gestanden haben.« 

Dieses Gefühl von Schauder, das Goethe so richtig hervorhebt, hat auch der Arzt vor seinem ersten weiblichen Patienten, der Künstler vor seinem ersten weiblichen Modell. Es verschwindet, sobald der Künstler nur das Schöne, der Arzt nur das Menschliche sieht; und es erlischt sehr rasch bei der Gewöhnung an den Anblick des Nackten.

In unserer Zeit, wo selbst die Vertreter des deutschen Volkes sich nicht scheuten, das Bild der Wahrheit aus ihrer Mitte zu ver-


DER MODERNE SCHÖNHEITSBEGRIFF.

bannen, weil es nackt war^), sind manche leicht geneigt, Nacktheit und Unsittlichkeit für dasselbe zu halten. Das ist jedoch ein großer Irrtum. Nicht das Nackte ist unsittlich, sondern die Augen des Be- schauers. Derjenige, der im nackten Körper nur das Weib sieht, der über den ersten sinnUchen Eindruck nicht hinauskommt, und sich von ihm beherrschen läßt, ist unsittlich und überträgt seine eigene Unvollkommenheit auf den Gegenstand, den er betrachtet.

Die Bekleidung hat mit der Sittlichkeit nichts zu tun, sondern nur mit der Schicklichkeit, mit der Mode. Eine Entblößung, die von der Mode vorgeschrieben ist, wird niemals als unsitthch empfunden.

Wer Gelegenheit gehabt hat, unter Völkern zu leben, die ganz oder teilweise nackt gehen, wird bald gewahr, daß die Kleidung mit der Sittlichkeit in gar keinem Zusammenhang steht, und sehr bald be- merkt er die Erweiterung seiner beschränkten europäischen Auffassung an sich selbst.

Sehr treffend schildert von den Steinen^) seine diesbezüglichen Eindrücke in Amerika. Die völlig unbekleideten Bakairi schämten sich ihrer Nacktheit nicht, wohl aber des Essens in Gesellschaft von anderen. Ihm selbst fiel die Nacktheit des Naturvolkes nach kurzer Gewöhnung gar nicht mehr auf.

Als ich im Jahre 1890 das Innere Javas bereiste, begegnete ich bei Singaparna eines Morgens großen Scharen von älteren und jüngeren Weibern, die, bis zum Gürtel entblößt, zum Markte zogen. Der erste Eindruck war dasselbe von Goethe beschriebene Gefühl von Schauder, verursacht durch den Anblick weiblicher Nacktheit in für mich neuer Umgebung und in so großer Masse. Bald aber gewann trotz manchem wirklich klassisch schön gebauten Mädchentorso die Abscheu vor dem vielen Häßlichen, was hier in aller Unschuld gezeigt wurde, die Ober- hand, und ich begriff auf einmal, warum die meisten Weiber sich lieber verhüllen, wenn die Mode es ihnen gestattet.

Eigentümlich sind die Verschiebungen, die das Schicklichkeits- gefühl unter dem Drang der Umstände erleiden kann. Ein euro- päisches Mädchen errötet, wenn man sie in der Nachtjacke überrascht, aber sie zeigt sich dekolletiert auf jedem Balle. Eine Frau im dunklen

') Vor Eröffnung des neuen Rcichstagsgebäudes anno domini 1895. ^) Unter den Naturvölkern Zentralbrasiliens, 1894.


DER MODERNE SCHÖNHEITSBEGRIFF.

Kleide fühlt sich unter Balltoiletten , ein Herr im Gehrock unter Fräcken in hohem Maße unbehaglich.

In Batavia, wo alle Damen ihre bloßen Füße in kleine goldgestickte Schuhe stecken, fand man es höchst unpassend, als eine Dame sich im Hotel zeigte, die ihre Beine in blauseidene Strümpfe gehüllt hatte, und gerade durch die Verhüllung die Aufmerksamkeit auf diesen Teil ihres Körpers lenkte.

Ein Kind errötet nicht, wenn man es nackt sieht, wohl aber, wenn es bei einer Lüge ertappt wird. Ein wohlerzogenes junges Mädchen wird nicht leicht bei einer Lüge erröten, wohl aber wenn ein Teil seines Körpers entblößt wird. Die sogenannte Bildung hat das Schamgefühl der Seele auf den Körper übertragen.

Ich halte es für überflüssig, die angeführten Beispiele mit noch weiteren zu vermehren^) und glaube zu dem Schlüsse berechtigt zu sein, daß unser SittHchkeitsgefühl angeboren ist, unser SchickHch- keitsgefühl hingegen ganz und gar abhängig ist von den in unserer Umgebung herrschenden Gewohnheiten und Gebräuchen.

In der Natur verurteilen wir in Europa unbewußt das Nackte, in der Kunst aber halten wir seine Darstellung für erlaubt und haben es allzeit vor Augen. Deshalb legen wir, die Natur nicht kennend, an die Schönheit des weiblichen Körpers den Maßstab an , der uns aus Kunstwerken geläufig geworden ist. Dabei geben wir uns jedoch wiederum keine Rechenschaft davon, daß auch die Auffassung des Weibes in der Kunst einer gewissen Mode, einer Tradition unterliegt, die mit dem Schönheitsbegrifif als solchem gar nichts zu tun hat und nicht ohne weiteres ins Leben übertragen werden kann.

Wir finden die Venus von Milo schön und bedauern die Frauen, die deren körperliche Schönheit nicht erreichen. Wie sehr wir aber erschrecken würden, wenn die Venus von Milo, so wie sie ist, plötz- lich in Fleisch und Blut vor uns stände, soll weiter unten gezeigt werden. Hier genügt der Hinweis, daß die Meisterwerke griechischer Kunst als Ideal weiblicher Schönheit gelten und kritiklos ohne weiteres zur Beurteilung lebender weiblicher Körper als Maßstab benützt werden.

Aber noch mehr; wir nehmen selbst, ohne es zu wissen, alt-

') Siehe Ploss-Bartels, Das Weib. 1897, I, p. 359 ff. und Stratz, Die Frauen- kleidung. III. Aufl. Abschnitt i. Die Nacktheit. F. Enke. 1904.


DER MODERNE SCHÖNHEITSBEGRIFF.

griechische Moden als Maßstab zur Beurteilung moderner Kunstwerke und auch des Lebens, wo uns dies nackt entgegentritt.

Nur zwei Beispiele:

In der ganzen klassischen Kunst, soweit wir sie kennen, finden sich nur zwei Bildwerke eines nackten Mannes mit einem Schnurr- bart, nämlich der sterbende Gallier und der Gallier in der Gruppe Arria und Paetus. Alle anderen Figuren sind mit vollem Bart oder bartlos dargestellt. Weder bei den Griechen noch bei den Römern war es Mode, einen Schnurrbart zu tragen; in den genannten Statuen ist gerade dadurch der Barbar charakterisiert. Trotzdem bei uns Tausende von Schnurrbärten im täglichen Leben angetroffen werden, finden wir sie, außer bei Porträtstatuen, kaum in der Kunst. Wenn wir den Schnurrbart bei einer nackten Statue antreffen, befremdet er unser Gefühl, wir sehen nicht den nackten, sondern den entkleideten Mann, weil — die altgriechische Mode den Schnurrbart verurteilte.

Ein weiteres Beispiel ist die Darstellung des nackten weiblichen Körpers in der Kunst. Er wird stets ohne jegUche Körperbehaarung nachgebildet. Weil sie häßlich ist? Nein, weil es bei den alten Griechen und Römern, wie noch jetzt bei allen orientahschen Völkern Sitte war, daß die Frauen die Haare ihres Körpers künstlich ent- fernten. Dies geht hervor aus den bekannten Stellen in Martial II und Ovids Ars amatoria. Ein weiterer Hinweis findet sich in dem 103. Gesang der Bilitis^), wo als Merkwürdigkeit von den Priesterinnen der Astarte gesagt wird: »Sie ziehen sich niemals ihre Haare aus, auf daß das dunkle Dreieck der Göttin ihren Unterleib zeichne, wie einen Tempel.« 

Trotzdem die Mode des Epilierens seit Jahrhunderten bei uns nicht mehr besteht, hat die Kunst sie doch beibehalten und damit auf das Schönheitsideal der modernen Menschen übertragen.

Wie sehr nicht nur der einzelne Mensch, sondern die ganze so- genannte »öffenthche Meinung« durch den äußeren Schein urteilslos


'; Louys, Les chansons de Bilitis, 1897. Heim, Bilitis' sämtliche Lieder, 1894. Manche halten die Chansons de Bilitis für eine Mystifikation. Ich ent- halte mich eines Urteils: gleichviel, ob echt, ob unecht, unzweifelhaft zeugen sie von einer genauen Bekanntschaft des Verfassers mit den authentischen Daten des Altertums.


DER MODERNE SCHONHEITSBEGRIFF.

beeinflußt wird, ersieht man am besten aus einer Vergleichung von Fig. I und Fig. 2.

Fig. I ist ein Gipsabguß der aus ihrem Blechgewande befreiten vatikanischen Venus ^), Fig. 2 Falguieres bekannte Porträtstatue der Cleo de Merode, die als eine der schönsten jetzt lebenden Frauen gefeiert wird.

Die Statue der Venus entspricht allen Anforderungen, die wir an einen normalen weiblichen Körper stellen können. — Bei der Tänzerin bemerkt man: künstlich durch Kleidung zusammengedrück- ten unteren Brustumfang, fehlerhaften Ansatz der Brust, fehlerhafte Kniestellung, zu schweres Sprunggelenk^).

Der moderne Schönheitsbegriff" setzt sich demnach zusammen aus einer durch tägliche Uebung ermöglichten Kenntnis des Kopfes, der Hände und der Arme , und bezüglich des übrigen Körpers aus einem Sammelbegriff, den Reproduktionen des nackten Weibes durch die Kunst entnommen.

Das allgemeine Urteil über Frauenschönheit ist somit kein sach- verständiges, sondern ein indirektes, das einerseits durch nicht natur- getreue Vorstellung des Körpers , anderseits durch Korsetts, Schuhe und Kleidung getäuscht, sich falsche und unnatürliche Ideale schafft.

Alles bisher Gesagte bezieht sich hauptsächlich auf die Schönheit der Form. Daß in Beziehung auf die Schönheit der Farbe es noch viel schwieriger ist, ein objektives Urteil zu haben, weiß jeder, der sich einigermaßen mit der Farbenlehre und der Funktion des mensch- lichen Auges beschäftigt hat, niemand weiß es besser, als die Frauen selbst, die durch richtige Auswahl der sie umgebenden Farben in- stinktiv ihre Reize zu erhöhen, ihre Fehler zu verbergen wissen.


^) Es ist das große Verdienst von Michaelis, daß sie in diesem Zustande dem Publikum bekannt gemacht wurde. Das Kensingtonmuseum besitzt einen Gipsabguß nach dem Original, ein zweiter Gipsabguß befindet sich in München, ein dritter in Straßburg. Nach diesem letzteren hat Herr Dr. Polaczek die hier wiedergegebene Photographie angefertigt. Vgl. Bruckmann, Denkmäler griechi- scher und römischer Plastik, und Springers Kunstgeschichte, Bd. I, 4. Aufl., 1895. — Professor W. Michaelis schreibt mir: Ein dem Vernehmen nach sehr viel schöneres Exemplar steht noch in den vatikanischen Magazinen, ein Bronze- abguß davon in Paris.

-) Vgl. L. Pfeiffer, Angewandte Anatomie, 1899.


10


DER MODERNE SCHÖNHEITSBEGRIFF.



Fig. I. Vatikanische Aphrodite. Gipsabguß aus Straßburg. (Phot. Dr. Polaczek.)

Noch schwieriger ist es, die Schönheit der Bewegungen zu analysieren, deren meiste uns durch die Kleidung verborgen werden.


DER MODERNE SCHÖNHEITSBEGRIFF.


11



Fig. 2. La danseuse von Falguiere.

(Nach einer Photographie von Braun, Clement & Cie. in Dornach i. E., Paris und New York.


Doch man muß noch eine weitere Einschränkung machen. Selbst das Wenige, was man tägHch vom weibUchen Körper sehen kann.


12 DER MODERNE SCHÖNHEITSBEGRIFF.

wird von den meisten nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit be- trachtet, weil ihr BHck nicht geübt ist. Man vergegenwärtige sich die Gesichtszüge, die Haare, die Augen, die Hände abwesender Personen, mit denen man täghch zusammentrifft. Von der größeren Mehrzahl ist man nicht im stände, die Farbe der Haare und Augen, die Form von Nase und Mund im Gedächtnis wiederzufinden, es sei denn, daß sie durch ganz außergewöhnliche Bildung einen tieferen Eindruck hinterlassen haben.

Die Ohren nun gar, die doch recht viel zum Gesichtsausdruck beitragen, werden meistens nur äußerst oberflächlich betrachtet; von der Form der Hände berichtet uns Mantegazza^), daß selbst Malern unbekannt war, ob ihr zweiter Finger länger war als ihr vierter.

Es wird also im allgemeinen selbst über Kopf, Gesicht und Hand nur oberflächlich geurteilt, trotzdem wir täglich in der Lage sind, diese Teile in größerer Zahl betrachten zu können; auf die übrigen Teile des Körpers kann nur ein geübter Beobachter aus Gang und Haltung gewisse Rückschlüsse machen; meist jedoch begnügt man sich mit einer unbestimmten Auffassung, die aus der auch meist oberflächHchen Betrachtung von Kunstwerken abgeleitet ist.

Um diesem Elemente in der modernen Auffassung gerecht zu werden, sind wir verpflichtet, die Darstellung weiblicher Schönheit durch die bildende Kunst zu analysieren.


') Physiologie des Weibes. Deutsch von Teuscher, 1894, p. 52.


IL

Darstellung weiblicher Schönheit durch die bildende Kunst.

Die Blütezeit der griechisclien Kunst zur Zeit des Phiidias, des Polyklet und Praxiteles hat einen so mächtigen Einfluß auf das mo- derne Schönheitsideal geübt, daß selbst Zufälligkeiten der damaligen Mode unbewußt in dieses herübergenommen wurden. Es ist darum auch ganz natürlich, daß die altgriechische Kunst auf alle späteren Kunstepochen als unerreichtes Vorbild eingewirkt hat.

Außer der griechischen Kunst, auf die ein Jahrhunderte dauernder Schlummer folgte, ist es namentlich die Renaissance, die dem heutigen Schönheitsbegriff zu Grunde Hegt. Alle orientalischen Elemente, die in der Kunstgeschichte berücksichtigt werden müssen, haben mit der Gestaltung des weiblichen Körpers nichts zu tun. Ebensowenig hat sich der japanische Einfluß in der Kunst so weit geltend gemacht, daß er in dieser Beziehung eine Besprechung verdient.

Die altgriechische Kunst schöpfte ihre Motive unmittelbar aus dem Leben. Weder rauhe Witterung noch körperliche Gebrechen veranlaßten die damalige Bevölkerung Griechenlands, ihre schönen Gestalten mit Gewändern zu verhüllen, und dadurch war die erste Grundbedingung für den schaff"enden Künstler, das täghche Studium und die Vergleichung der verschiedenen Formen des nackten Körpers in seiner vollkommensten Gestaltung, gegeben. Die Kleidung richtete sich genau nach dem Körper, so daß sie trotz mehr oder weniger ausgiebiger Verhüllung bei jeder Bewegung dessen Formen verriet und sich ihnen anpaßte.

Durch fortgesetzte Übung des Auges konnte sich somit der da- malige Künstler ein Idealbild erschafl"en, zu dessen Verwirklichung ihm die schönsten Modelle in reichster Auswahl zur Verfügung standen.


14 WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.

Aber auch sein Publikum, die ganze damals lebende Menschheit, sah den nackten Körper täglich und kannte ihn, so daß von künst- lerischen Leistungen viel mehr gefordert werden konnte und diese viel sachverständigere Anerkennung fanden, als heutzutage der Fall ist gegenüber einem Publikum, das den menschlichen Körper nicht kennt.

In äußerst scharfsinniger Weise hat vor kurzem Richer ^) nach- gewiesen, wie sehr der künstlerische Blick der alten griechischen Künstler allen Epigonen überlegen war.

Wo er von der Darstellung der Bewegung spricht und darauf aufmerksam macht, daß wir, dank der modernen Wissenschaft, in der Lage sind, durch Momentaufnahmen jede einzelne Phase im Bilde festzuhalten, hebt er hervor, daß die meisten späteren Künstler, einer unbewußten Überlieferung folgend, niemals gehende oder laufende, sondern stets nur schwebende oder fallende Gestalten dargestellt haben. Alle griechischen Bildwerke aber, von den Tyrannenmördern bis zum tanzenden Faun, erwiesen sich als richtige Nachbildungen vöUig naturwahrer Stellungen.

Außer ihrem wunderbar geschärften künstlerischen Blick, außer den zahlreichen hervorragend schönen Modellen verfügten die Grie- chen noch über ein drittes Mittel zur Naturtreue ihrer Darstellungen : den Gipsabguß nach dem Leben. Nach PHnius ^) war Lysi- krates der erste, der dieses Hilfsmittel in die bildende Kunst ein- geführt hat.

Anatomie war den griechischen Künstlern bis zur alexandrinischen Schule unbekannt, wie Chereau^) und Langer^) überzeugend nach- gewiesen haben.

Langer hebt hervor, daß die besten antiken Bilder die ruhig ge- haltenen sind, »deren Muskelmechanismus versteckt ist«. »Dagegen ist an bewegten Bildwerken so manches auszusetzen, Fehlerhaftes, Unverstandenes. Die Muskelerhabenheiten finden sich mitunter un-


'j Dialogue sur l'art et la science. — La nouvelle revue, Tome 107 et s. 19. annee. La revue de l'art ancien et moderne, 1897, fasc. 3 et 4. -) Zitiert bei Langer.

^j Dictionnaire encyclopedique des sciences medicales.

  • ) Anatomie der äußeren Formen des menschlichen Körpers, 1884, p. 30 ff.


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST. I5

richtig gruppiert, ein anderes Mal sind Muskelerhabenheiten unter- mischt und unterschiedslos wie Hautfalten und Skeletterhabenheiten behandelt. Was an solchen Bildwerken ungeteilte und gerechtfertigte Bewunderung erregt, das ist die Bewegung, und diese liegt viel mehr in der GHederung als in der Muskulatur.« 

Mit anderen Worten will Langer dadurch wohl ausdrücken, daß trotz untergeordneter anatomischer Fehler der Allgemeineindruck be- wegter Figuren stets ein naturwahrer ist; Richer hat, wie gesagt, die Naturtreue durch Kontrolle mit Momentphotographien direkt nachgewiesen.

Da nun aber bewegte Figuren am schwierigsten darzustellen sind, weil man nicht im stände ist, ein Modell in der gewünschten Stellung zu fixieren, so ist diese gleichmäßige Anerkennung von den verschiedensten Beurteilern nur wieder ein neuer Beweis für die außerordentliche Schärfe, mit der die antiken Künstler beobachteten ^).

Wenn nun auch ihr künstlerisch geschulter Blick und die große Zahl schöner Modelle den antiken Meistern trotz ihrer Unkenntnis der Anatomie die herrlichsten Schöpfungen ermöglichte, so war doch die absolut naturgetreue Wiedergabe der menschlichen Gestalt keines- wegs der Endzweck ihrer Kunst.

Wir dürfen nicht vergessen, daß bei den Griechen die Kunst im Dienste ihrer Rehgion stand, welche ihnen, in größerer Abwechslung allerdings als die christhche, die Themas für die meisten ihrer Dar- stellungen vorschrieb. Der griechische Künstler, der Götter darstellte, war somit gezwungen, seine Gestalten zu idealisieren und dadurch von der Natur abzuweichen.

Daß dabei das Modell keineswegs eine untergeordnete Rolle spielte, beweist das Beispiel des Praxiteles, welcher im Tempel zu Thespiae neben der Aphrodite aus Dankbarkeit die nackte Porträt- statue der Phryne aufstellte; anderseits aber beweist gerade dies Beispiel, daß es sich nicht um naturgetreue Wiedergabe selbst des


^) Es ist mir aufgefallen, daß auch die japanischen Künstler viel schärfer beobachten, als unsere Künstler und wir mit ihnen gewohnt sind: In europäischen Bildern findet man stets schwebende, niemals fliegende Vögel. Japanische Dar- stellungen fliegender Vögel, die uns auf den ersten Blick unnatürlich erscheinen, erweisen sich beim Vergleich mit ^lomentaufnahmen als völlig naturgetreu.


16 WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.

schönsten Modells handelte; denn sonst wäre dieser Weiheakt des großen Künstlers, die Gegenüberstellung von Göttin und Weib, nicht verständlich.

Es handelte sich für den griechischen Künstler darum, das Modell den Traditionen der darzustellenden Götterfigur anzupassen, das In- dividuelle gewissermaßen zu schematisieren, den göttlichen Typus mit größtmöghcher Naturtreue zu vereinen.

Aber nicht nur der religiöse Zweck des Kunstwerkes, sondern auch der für dasselbe bestimmte Standort zwang den Künstler, von der Natur abzuweichen.

Eine auf hohem Fußstück stehende Figur, in natürlichen Verhält- nissen ausgeführt, erscheint dem Beschauer gedrungen und unansehn- lich, wovon wir uns jederzeit überzeugen können, wenn wir Menschen von unten herauf betrachten. In solchen Fällen muß der Künstler die Längenmaße auf Kosten der Breitenmaße unnatürlich und un- gleichmäßig vergrößern. Beim Anblick von vorn müssen alle näher liegenden Teile im Verhältnis verkleinert, alle entfernter liegenden Teile vergrößert werden ; auch davon können wir uns leicht über- zeugen, wenn wir auf die Fehler achten, die bei unrichtig einge- stellten photographischen Aufnahmen vorkommen können.

Bei einer Aufstellung im Tempel endlich muß das Bild mit der Umgebung architektonisch harmonieren, und wird dadurch von einer ganzen Zahl von Gesetzen abhängig, die die Form in der verschie- densten Weise beeinflussen können.

Die Berücksichtigung aller dieser Momente verlangte eine große Übung und Erfahrung, sie veranlaßte die Ausbildung einer gewissen Systematik der Verhältnisse der einzelnen Körperteile unter sich, einer Proportionslehre, die demnach auch, wie zu erwarten ist, und wie durch zahlreiche Messungen aus späterer Zeit bestätigt wurde, keineswegs stets den Proportionen lebender Menschen entspricht.

In allen antiken Bildwerken lebt also die ewig menschliche Schön- heit, jedoch beeinflußt durch Überlieferung, Standort und den Cha- rakter der darzustellenden Persönlichkeit.

Trotz alledem blieb der Endzweck des Künstlers die Verherr- lichung des nackten menschlichen Körpers.

Nach Motiven für die Darstellung eines männlichen Körpers


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST. 17

brauchte der griechische Künstler nicht lange zu suchen. Mit der einzigen Ausnahme vielleicht von Zeus durften alle Götter nackt sein. Der männhche Poseidon, der kraftstrotzende Herakles, der jugendhche Apollo und Hermes, der Knabe Ganymed, alle Bac- chanten, Faunen und Satyrn und endlich die große Zahl idealisierter Porträtgestalten der Sieger in den olympischen Spielen boten die reichhaltigsten und verschiedenartigsten Vorwürfe in unendlicher Auswahl.

Unter den weiblichen Gestalten waren es die Grazien und die Nymphen, dann Hebe, und als schönste von allen Aphrodite selbst, die Göttin der Schönheit, deren nackter Körper von der Kunst zu neuem Leben erweckt wurde.

Alle Meisterwerke der griechischen Plastik haben aber das allge- mein Menschliche auch in den Göttergestalten so mächtig festgehalten, daß der heutige Beschauer den Namen der dargestellten Persönlich- keit, den Namen des Künstlers vergißt und nur die schöne Menschen- gestalt bewundert.

Ein Beispiel vollendeter männlicher Schönheit ist die Antinous- statue vom Kapitol (Fig. 3); als künstlerische Wiedergabe weib- licher Schönheit kann die mediceische Aphrodite gelten. Fig. 4 ist nach einem im British Museum bewahrten Gipsabguß gemacht, welcher diese berühmte Statue ohne die später ergänzten Arme dar- stellt.

Abgesehen von der vollendeten Körperbildung zeigen diese beiden Gestalten in schönster Weise die Kennzeichen der beiden Geschlechter, die sich namentlich in den Linien des Rumpfes ausprägen. Beim Mann wird er von den breiten Schultern nach den Hüften zu schmäler, und erscheint im ganzen durch die kräftige Ausbildung der Muskeln eckiger, bei der Frau ist er an den Hüften am breite- sten und zeigt weichere, rundere Formen.

Beide Statuen erscheinen als nur wenig veränderte Porträtbilder lebender Menschen, wie sie auch heute, wenn auch selten, sich finden lassen. Die völlig normalen Proportionen deuten darauf, daß die Figuren auf verhältnismäßig niedrigen Postamenten standen und nur wenig von Standort, Umgebung und Tradition beeinflußt sind.

Als Abweichung vom Leben läßt sich nur ein möglichstes Ver-

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers. 2


18


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.



1' 'g- 3- Antinous vom Kapitol.


meiden von körperlichen Einzelheiten erkennen, ein Unterdrücken der kleine- ren Falten, der durch Gefäße bedingten kleinen Vorwölbungen der Haut, ein Zusammenschmelzen der Haarmassen, kurz alle die Vereinfachungen der Körperoberfläche, welche durch die plastische Tech- nik bedingt sind.

Hat früher die Medi- ceerin als die schönste

Vertreterin klassischer Frauenschönheit gegol- ten, so ist in letzter Zeit, namentlich durch Michae- lis, die Aufmerksamkeit in erhöhtem Maße auf die Nachbildung der Praxite- lischen Aphrodite gelenkt worden, welche Fig. i darstellt.

Diese Figur zeigt etwas strengere, jungfräuliche Formen, breitere Schul- tern, kleinere Brüste, eine ausgeprägtere Taille und breitere Hüften; sie ist trotz der Jungfräulichkeit noch mehr Weib als die Mediceerin.


Als dritte im Bunde gilt die Venus von Milo (Fig. 5). Trotzdem sie noch heute von Künstlern und Aerzten als das un- erreichte Ideal weiblicher Schönheit angesehen wird, so ist dieser


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.


19


Körper doch nicht ohne weiteres mit dem Leben vergleichbar.

Der durch das Gewand verhüllte, auffallend lange Unterkörper deutet darauf hin , daß diese Statue auf einem hohen Postament gestanden hat, und die viel weniger sorgfältigeBehand- lung des Rückens läßt dar- auf schließen , daß der Standplatz eine Nische ge- wesen sein muß. Außer- dem aber muß diese er- höhte Nische dem übrigen Gebäude in der Weise an- gegliedert gewesen sein, daß die Hauptbeleuchtung von rechts vorne und oben einfiel, denn nur so ist es zu erklären, daß die ganze linke Körperhälfte viel größere Maße zeigt, als die entsprechenden Teile der rechten. Stand die größere linke Körper- hälfte im Schatten, so erschien sie dem Beschauer ebenso groß als die klei- nere, hell beleuchtete rechte Hälfte, und die ganze Figur machte einen harmo- nischen Eindruck. Diesen



Fig. 4. Aphrodite von Medici. Gipsabguß aus London.


Eindruck macht sie auch heute noch im Louvre in Paris. Mit feinem künstlerischem Gefühl hat man sie dort in das richtige Licht und


20


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.


die richtige Höhe gestellt. Den gleichen Eindruck gibt diePhotographie nach dem Original (Fig. 5).

Wenn man jedoch in einer genau nach der Photographie angefertig- ten Umrißzeichnung die mittlere Körperachse einträgt, so erkennt man auf den ersten Blick das Mißverhältnis zwischen rechter und linker Hälfte. Trägt man nach links von der Mittellinie die entsprechenden Abstände der rechten Körperhälfte auf, so fällt der Körper- umriß in die auf Fig. 6 mit gebrochener Linie angegebene Stelle, also um ein ganz bedeutendes Stück einwärts von der Kontur der Statue.

Hiermit ist der Be- weis geliefert, daß der Künstler mit Absicht und feinem Gefühl die rich- tigen Verhältnisse des Körpers geändert hat, um ihn, seinem Standort und seiner Umgebung ange- paßt, desto lebenswahrer erscheinen zu lassen. Als Kunstwerk steht die Statue darum nur umso höher, als Idealbild lebender Schönheit kann sie nur mittelbar, nach Abzug der durch den künstlerischen Zweck be-



Fig. 5. Aphrodite von Milo.


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.


21


dingten Veränderungen ver- wertet werden.

In jedem Falle ist das Modell zu dieser Statue schlan- ker gewesen, die Statue selbst vom Künstler viel schlanker gedacht und beabsichtigt, als der Epigone, der nur nach Zirkel und Bandmaß urteilt, sich vorstellt. Der Eindruck aber ist der gleiche, wie bei der Mediceerin und der Aph- rodite des Praxiteles.

Alle drei Figuren geben dem gleichen schlanken, hoch gebauten Ideale einen jeweils individuell abgestimmten Aus- druck.

Für die Lebenswahrheir der griechischenStatuen spricht ein Vergleich der esquilini- schen Aphrodite (Fig. 7) mit einer 15jährigen Jüdin aus Wien (Fig. 8).

Bei der ersteren beweisen die im Verhältnis zum Rumpf

etwas zu langen Beine, daß die Figur für ein Postament berechnet war; der etwas nach hinten geneigte Oberkörper ist verglichen mit der nach vorn tretenden Bauch- und Lendengegend schwerer ge- arbeitet, das Haupt repräsentiert den archaistischen Typus und ist verhältnismäßig größer als bei anderen antiken Statuen. Der Allge- meineindruck der ganzen Figur ist der eines jungen Mädchens, halb Kind, halb Weib, in der allerersten Blüte, einer noch nicht völlig geöffneten Knospe. Bei der jungen Jüdin finden sich annähernd die- selben Formen ins MenschUche übertragen, mit dem Unterschied jedoch, daß sie hier mehr durch Fettablagerung und nicht durch die



Fig. 6. Umriß der Aphrodite von Milo nach der Photographie mit eingetragener Körperachse.


22


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.



Fig. 7. Aphrodite vom Esquilin.


Muskulatur in erster Linie ge- bildet werden. Das Verhältnis zwischen Kopf und übrigem Körper stimmt mit dem der Statue überein.

Die Vergleichung des lebenden Mädchens mit der Statue zeigt, daß der Künst- ler ein ähnliches halbent- wickeltes Geschöpf zum Vor- bild gehabt hat, jedoch mit breiterem Brustkorb und kräf- tigerer Muskulatur, einen jener gedrungenen, durch und durch gesunden Backfische, aus denen sich nach erfolgter Streckung die schönsten Frauengestalten entwickeln. Auch die im Ge- gensatz zur Tradition über- mäßige Größe des Kopfes spricht für das sehr jugend- liche Alter der Statue, die ich darum auch nicht als Aphro- dite bezeichnen möchte; wenn es überhaupt eine Göttin ist, dann ist es eine sehr jugend- liche Psyche.

Der Künstler hat den Stein zum Leben erweckt, ist dabei aber doch in seinem Gefühl der Natur des Steines gerecht


gebHeben. Die kleinen Einzelheiten, die das pulsierende warme Be- wegen im lebenden Körper verraten, sind im Steine erstarrt und ausgeglättet; wenn die Statue, wie dies sehr wahrscheinlich ist, bemalt war, so mußten auch die kräftigen Farben des lebenden Körpers zu einer milderen, harmonischen Gesamtwirkung abgetönt sein.


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.


23


Interessant ist es, mit diesen beiden Gestalten ein modernes Bild von Alma Tadema, »Das Modell des Bildhauers« (Fig. 9), zu ver- gleichen. Alma Tadema, der das Modell zuresquilinischen Venus in seinem Bilde geben wollte, hat die ganze Figur gestreckt , das Konventio- nelle daraus entfernt; das Verhältnis von Brust und Unterleib entspricht mehr dem der Erwachsenen, der Nabel steht tiefer, die Brüste sind stärker entwickelt, der Kopf ist kleiner; das ganze Mädchen ist älter und schlan- ker geworden , hat jedoch eine weniger gut entwickelte Muskulatur und keinen so schön geformten Brustkasten, wie die Statue. Abgesehen von dem Liebreiz des Ta- demaschen Bildes müssen wir doch erkennen, daß der griechische Meister niemals mit Tademas Modell seine Statue hätte machen können.

Das lebende Mädchen steht der Statue sehr viel näher, man ahnt in der Statue den Einfluß eines ähnhchen lebenden Wesens.

Umgekehrt kommt in Tademas Bild der Einfluß der Statue auf die moderne Auffassung der lebenden Schönheit zur Geltung; die Körperhaare fehlen, der Umriß des Rumpfes ist so kindlich wie bei



Flg. 8. Fünlzehiijähriges Judeiimädchen.


24


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.



der Statue; die Brüste da- gegen sind stärker entwik- kelt. Tadema hat offenbar eine Mischung der etwa 15- jährigen Statue mit seinem etwa 20jährigen Modell ge- malt und ist dadurch mehr von der Natur abgewichen als sein klassischer Vorfahre. Aus diesen Beispielen er- gibt sich, daßdieKünstlerder Griechen sich streng an die lebende menschHche Schön- heit gehalten haben, daß auch heute noch Tausende von lebenden Gestalten unter uns wandeln, die würdig wären, durch den Meißel eines Grie- chen verewigt zu werden. Wenn aber der moderne Mensch in den herrlichen Bildwerken der Vorzeit seine Schwestern und Brüder nicht zu erkennen vermag, so liegt dies daran, daß er das unbefangene künstlerische Sehen verlernt hat, daß er nicht mehr im stände ist, aus dem bearbeiteten Stein den wahren, lebenden Kern herauszuschälen.

Auf die Blütezeit der griechischen Kunst folgte die dumpfe Zeit des Mittelalters, in der das Gefühl für die Schönheit des menschlichen Körpers durch starren Dogmatismus erstickt wurde.

An die Stelle des nackten griechischen Epheben tritt der gehar- nischte Ritter, statt in den weich sich der Körperform anschmiegen-



^


..^


Fig. 9. Alma Tadema. ^^Ein Bildhauermodell.

Mit Genehmigung der Photographischen Gesellschaft in Berlin.


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST. 25

den Peplos und Chiton hüllen sich die Frauen in die steifen, hoch geschlossenen, faltigen Gewänder mit der Schnürbrust. Die heiteren griechischen Götter verschwinden vor den starren Aposteln und den abgehärmten Märtyrergestalten.

Den zahlreichen weiblichen Göttinnen in ihrer erhabenen Nackt- heit steht allein Eva gegenüber; doch auch diese trägt den Stempel der Entsagung auf dem kümmerlichen Körper, der der Sünde ent- gegenreift ^),

Am 14. August 1485 wurde von Arbeitern auf der Via Appia ein marmorner Sarg ausgegraben, der die einbalsamierte Leiche eines jungen Mädchens enthielt. Sie war von wunderbarer Schönheit und so gut erhalten, daß sie den Schein des Lebens erweckte^). Der Zulauf des Volkes war so groß, daß Papst Innozenz VIIL die Leiche heimlich wegnehmen und begraben ließ, weil er die Konkurrenz dieses Heidenkindes für seine Heiligen fürchtete.

»Mais,« fügt Vachon hinzu ^), »la papaute eut beau faire enfuir profondement dans la terre cette chair de femme, ä demi vivante, jeter au ruisseau cette ephemere fleur humaine — eclose de nouveau pendant quelques heures aux rayons du soleil, apres une nuit de plusieurs siecles: l'antiquite etait ressuscitee pour toujours dans l'ecla- tante renaissance de l'Art, qui avait su arracher aux ruines et aux tombeaux le secret de la Grace et de la Beaute.« 

Auf den klassischen Trümmern erhob sich das Gebäude der Renaissance; die Ueberreste früherer Größe wurden zur Offenbarung für eine neue Blütezeit der Kunst.

Die klassische Schönheit aber hat nicht ein einziges ihrer Werke erreicht, geschweige denn übertroffen, weil den Epigonen die reichste Quelle, aus der die Alten schöpften, versiegt war: der tägliche An- blick des nackten Körpers in tausenderlei Gestaltung und der dadurch geschärfte künstlerische Blick.

Gerade die größten der späteren Meister sahen dies am besten ein


') Näheres siehe: Kirchner, Die DarsteUung des ersten Menschenpaares in der bildenden Kunst. F. Enke. 1903.

2) Lettre de Bartholomaeus Fontius a Francesco EUachette, traduite et analysee par Hubert Janitscheck. L'art, Tome IV.

^) La femme dans l'art, 1891, p. 194.


26 WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.

und suchten diesem Mangel dadurch abzuhelfen, daß sie die intuitive Nachahmung schöner Formen durch wissenschaftliche Ergründung, durch anatomische Untersuchungen zu ersetzen suchten.

Duval und BicaP) haben mit kritischer Sorgfalt die anatomi- schen Studien, welche die meisten Künstler gemeinschaftlich mit Aerzten betrieben, zusammengestellt und mit vorzüglichen Nachbil- dungen illustriert. Unter den Künstlern finden sich Leonardo da Vinci, Michel Angelo, Raffael, Bandinelli, Cellini, Tizian, Carracci, Rubens, Rembrandt, Dürer und zahlreiche andere.

Wenn einerseits auch diese Erweiterung ihrer Kenntnisse den großen Künstlern ermöglichte, fehlerhafte Modelle in ihren Werken zu verbessern, so lag anderseits die Gefahr nahe, daß manche, gerade durch diese Kenntnisse verleitet, mehr in ihre Gestalten hineinlegten, als wirkhch zu sehen war, gewissermaßen die Natur überboten, ohne sie schöner zu machen. Dieser Gefahr sind auch große Meister nicht entgangen^).

Suchten sie sich durch treue Nachahmung der Natur vor dieser Gefahr zu schützen, so drohte die MögHchkeit, daß sie unbewußt Fehler des Modells in ihre Werke übertrugen, und zwar umsomehr, als es nicht jedem glückte, vollendet schöne Modelle zu finden.

Aber nicht nur der Künstler, sondern auch das Publikum war des täglichen Anblicks des Nackten entwöhnt, und so ist es zu erklären, daß beide, Künstler sowohl als Publikum, minder wählerisch wurden und auch mit minder Schönem vorfieb nahmen, wo es sich bot.

Außerdem aber macht sich ein eigentümlicher Umstand geltend, der die Darstellung des Nackten von der Naturtreue entfernte.

Einer nackten Figur kann man bei einiger Uebung sofort ansehen, aus welchem Zeitalter sie stammt. Dies liegt nicht nur an der Staf- fage und an der Malweise des Künstlers, sondern auch daran, daß unwillkürlich die Idealgestalt des bekleideten Weibes auch auf den nackten Körper übertragen wird. Der Künstler übt seinen Blick am bekleideten Körper und sucht dessen Schönheiten auf der nackten Gestalt entsprechend zur Geltung zu bringen^).

^) L'anatomie des Ma'itres. Histoire de l'anatomie plastique, 1890. ~) Vgl. Henke, Die Menschen des Michel Angelo im Vergleich mit der Antike. Rostock 1S92.

  • ) Vgl. Stratz, Die Frauenkleidung. III. Aufl. Abschnitt 10.


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.


27


Mehr und mehr tritt auch die IndividuaHtät des Künstlers in den Vordergrund, und große Vorzüge in der Technik oder in der Auf-



Fig. lo. Lukretia und Judit von Lucas Cranach i^Dresdeiier Galerie).


Fassung sind im stände, ganze Generationen für absichthche und un- absichthche Fehler anderer Art blind zu machen.


28


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.


So wirken die verschiedenartigsten Einflüsse [■■L ^j^^^^l auf das künstlerische Ideal des nackten weib- lichen Körpers, die Kleidung, die Individualität des Künstlers, die Vorurteile des Zeitgeistes, und ihnen entgegen die Erinnerung an die Kunst der Griechen, welche nach langen Irrungen und Wir- rungen immer mehr zu dem wirklichen Ideal, dem lebenden Körper des Weibes zurückführt. Dieser selbst ist heute noch ebenso schön wie bei den alten Griechen, nur seine Dar- stellung hat die mannigfachsten Gestaltungen angenommen.

Einige wichtigere, zum Teil auch heute noch nicht ganz überwundene Geschmacksrich- tungen , und die unausbleiblich daran sich an- schheßenden Geschmacksverirrungen verdienen hier eine kurze Erwähnung.

Das erste ist die aus der Askese sich aus- arbeitende nackte Gestalt der frommen mittel- alterlichen Schule, wie sie sich in den Cranach- schen und Holbeinschen, von keinerlei klassi- scher Erinnerung beeinflußten Gestalten wider- spiegelt.

Die Lukretia und Judit, die in der Dres- dener Galerie hängen (Fig. lo), sind, wie alle Cranachschen Frauen, lang und mager, mit auf- fallend kurzem Rumpf, kleinen Brüsten und vorstehendem Bauch, langen Beinen und kurzen, plumpen Füßen.

Beim Vergleich von nackten mit bekleideten Figuren Holbeins zeigt sich deutlich, daß ihn beim nackten Körper das Bild der Basler Patrizierfrau nicht verlassen hat. Die kleinen, durch das Schnürleibchen zusammengepreßten Brüste sind die gleichen, die schweren, auf der eisernen Schnebbe des Mieders sich in einem künsthchen Bausch vor- wölbenden Gewänder entsprechen dem vorgestreckten Unterleib; und wie die langen Falten der Kleider die untere Hälfte der bekleideten


Fig. II. Eva von J. van Eyck.


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.


29



Fig. 12. Venus von Botticelli.

Gestalt scheinbar verlängern, so entsprechen hier die künstlich zu übernatürlicher Länge ausgezogenen Beine dem Idealbilde, das dem Künstler vorschwebte. Unwillkürlich spielt aber auch der Gedanke an die mageren Bilder frommer Heiliger mit und drückt dem nackten Körper den Beigeschmack der Askese auf.

Abgesehen von den dem gotischen Kirchenstil entsprechenden langausgezogenen Gliedmaßen ist dieses mittelalterliche Schönheits-


30 WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.

ideal der stilisierten Frau durch den schmalen, schmächtigen Brustkorb mit kleinen Brüsten und durch den vorsprin- genden Unterleib gekennzeichnet.

Es läßt sich leicht denken, daß ein solches Ideal bei einiger Uebertreibung zum Schönfinden des schwindsüchtigen Körpers einerseits, des schwangeren anderseits hinführen mußte, nicht etwa, weil man Schwindsucht und Schwangerschaft an und für sich schön fand, sondern weil die dadurch bedingten Veränderungen des Kör- pers sich dem Idealbild ungezwungen anpaßten.

Die Künstler bildeten beide Zustände unbewußt ab, weil beide in ihr Frauenideal hineinpaßten.

Als Belege für diese Anschauung sei auf die Figuren ii und 12 verwiesen, welche zwei berühmte Gemälde von Jan van Eyck und Botticelli darstellen.

Jan van Eycks Eva in Brüssel (Fig. 11) entspricht in Gestalt und Haltung genau der bürgerUch-weiblichen Idealfigur der damahgen Zeit. Vielleicht mag dem Künstler das getreu nach dem Leben nachgebildete Modell besonders schön vorgekommen sein, weil es den durch die damalige Kleidung vorgetäuschten vorspringenden Unterleib in besonders gut ausgeprägter Weise besaß.

Wie aus der gewissenhaften Nachbildung hervorgeht, lag die Ursache dieser Körperbeschaffenheit in einer bereits bis zum An- fang des siebenten Monats entwickelten Schwangerschaft, wofür außer der Auftreibung des Unterleibs die eigentümliche Haltung mit zurückgebogenen Schultern, die pralle Spannung der Brüste, die dunkle Färbung des Warzenhofs und der sogenannten weißen Linie, die vom Nabel zum Schambein verläuft, ein beredtes Zeugnis ablegen.

Daß van Eyck mit Bewußtsein eine schwangere Eva gemalt hat , ist kaum anzunehmen , da doch aus dem Apfel in ihrer Hand hervorgeht, daß er sie vor dem Sündenfall sich gedacht hat. Er hat also die Schwangerschaft nur darum mitgemalt, weil sie zu dem Idealbild paßte.

Uebrigens steht van Eyck in dieser Beziehung nicht allein da. Auch die Eva von Hans Memling in der k. k. Gemäldegalerie in Wien, das »Glück« von Albrecht Dürer und selbst Tizians Venus


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.


31


von Urbino in den Uffici in Florenz, sind in schwangerem Zustand dargestellt ^).

Anderseits führte dieses durch die herrschende Geschmacks-




richtung hervorgerufene Mißverstehen der natürlichen Gestaltung zur


') A. G. Meyer (Deutsche medizinische Wochenschrift 1899, p. 325) erwähnt u. a. auch eine Londoner Eva von van Eyck und verschiedene »Vanitas«. gestalten aus jener Zeit, sowie, daß M. Thausing zuerst auf deren Schwangerschaft auf- merksam gemacht hat.


32


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.


künstlerischen Wieder- gabe krankhafter Zu- stände. Ein klassisches Beispiel hierfür bietet die florentinische Venus des Sandro BotticeHi, der gerade in letzter Zeit von den Präraflfaeliten mit ungeteilter Bewun- derung auf den Thron erhoben wurde.

Botticellis Neigung zum Mystizismus, seine enge Freundschaft mit Savonarola mag dazu beigetragen haben, daß gerade er das Ideal seiner Zeit besonders stark in der krankhaften Rich- tung individuell aufge- faßt und ausgearbeitet hat. Brücke hat bereits auf einige anatomische Fehler seiner Venus aufmerksam gemacht (l. c. p. 25, 62, 81). Uli mann, einer der besten unter den Bio- graphen Botticellis, er- kennt die anatomischen Fehler auch als solche an. Er führt die Verse Polizianos an, die wahrscheinhch der Darstellung zu Grunde lagen, er bespricht ausführlich und sachlich die Möglichkeit, ob Simonetta Catanea, die Geliebte des Giuliano di Medici, als Modell zur Venus gedient habe, und entscheidet sich im verneinenden Sinne, da das einzige authentische Bildnis



Fig. 14. Eva vom Dom m Mailand.


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.


33


der Simonetta nicht mit dem Gesichte der Venus völHg übereinstimme ^).

ErnstSteinmann") hingegen hält diese Venus für das schönste Produkt der neueren Kunst und preist sie mit salbender Begeiste- rung.

Vom objektiven Standpunkt läßt sich feststellen :

Die Figur der Venus von Sandro BotticeUi ist erfüllt von einem zar- ten, wehmütigen Lieb- reiz, der einen tiefen Eindruck macht. Be- trachtet man die Figur näher, so findet man in dem langen , schmalen Halse, den stark abfal- lenden Schultern, dem schmalen eingesunkenen Brustkasten, dem da- durch bedingten Tief- stand und der geringeren Divergenz der Brüste den ausgeprägten Typus der Schwindsüchtigen wieder, der, wie im Leben, so auch in der bildlichen Darstellung durch seine tieftraurige Schönheit das innige Mitgefühl des Be- schauers erregt.



Fig. 15. Nackte Frau. Bronzefigur, Museum in Berlin.


^) Ullmann, BotticeUi, p. 102.

^) Künstlermonographien von Knackfuß. 24. 1897.

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers.


34 WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.

Wenn wir bedenken, daß Simonetta Catanea im Jahre 1453 ge- boren ist und, naciidem sie sich 1468 mit Marco Vespucci verheiratet hatte, bereits im Jahre 1476, noch nicht dreiundzwanzig Jahre alt, an Schwindsucht starb, so ist es mehr als wahrscheinlich, daß sie, wie einige Autoren annehmen, wirklich als Modell zu Botticellis Venus gestanden hat, und daß der Künstler aus leicht begreiflichen Gründen nur das Gesicht etwas verändert hat ^).

Botticelli hat also den Typus einer schönen Schwund- süchtigen zu seinem Ideal gemacht, ohne daß er es wußte. Seine Bewunderer und Nachfolger aber wußten dies auch nicht und haben, sein en Idealen nachstrebend, ihren gesunden Modellen das Gepräge der Schwindsucht aufgedrückt und so unwahre Mischgestalt en geschaffen. Bei Burne Jones, einem der größten Präraffaeliten , ist der Konflikt besonders deutHch. In seinen Akten finden sich gesunde Menschen ^), auf seinen Gemälden sind sie alle mehr oder weniger schwindsüchtig geworden.

Nach diesem zum Typus der Schwangeren und dem der Schwind- süchtigen ausartenden zeitigte die Renaissance ein anderes aus dem vollen Leben geschöpftes Ideal, das namenthch in der Malerei ver- herrlicht wurde. Dies ist das gesunde volle Weib mit blühenden Farben und schwellenden Formen, wie es Leonardo da Vinci, Tizian, Correggio, Palma Vecchio, Giorgione und Raff^ael darzu- stellen liebten.

Zu jener Zeit strömte mit den in fernen Ländern erbeuteten Schätzen ein rasch aufblühender Reichtum nach Europa. Der herrschende, auf behagliches Wohlleben und Genießen, auf seltene Leckerbissen und weite kostbare Gewänder gerichtete Geschmack geht auch hier wieder Hand in Hand mit dem künstlerischen Ideal. Wie im Leben, so werden auch in der Kunst die vollen, üppigen Formen schön gefunden; ganz besonders aber ist dies der Fall


^) Auch auf dem Bildnis der Simonetta von Pollajuolo in der Sammlung des Duo d'Aumale zeigt der bis unter die Brüste entblößte Oberkörper trotz seiner großen Schönheit alle Zeichen der Schwindsucht. (Stich von de Mare in der Gazette des beaux-arts, XXII.)

) Vgl. Studio, Vol. VIT, p. 198 ff., und Vol. XIV, p. 38.


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.


35


im vlämischen Land, in der Heimat des Samtes und der Juwelen, der Küiie und Weiden, und der Frauen wie Milch und Blut mit den schwellenden Formen. Dort ist auch die Heimat von Peter Paul Rubens. Vielleicht kam bei ihm noch der besondere Um- stand hinzu, daß seine eigene Gattin, Helene Four- ment, dem herrschenden Idealbild in hohem Maße entsprach. Das schönste, allzeit bereite Modell stand ihm zur Verfügung und seine künstlerische Arbeit w^urde durch den Hauch der Liebe verklärt.

Fig. 13 zeigt die Venus aus dem Urteil des Paris im Madrider Prado, zu der nach hinterlassenen Briefen die schöne Gattin des Künstlers selbst Modell gestanden hat.

Aus dieser Geschmacks- richtung entwickelten sich einseitig die' Figuren des Rokoko, die mit vollen runden Gliedmaßen die überschlanke Taille ver- banden. Auch hier ist wieder das aus der Kleider- mode übernommene Ideal auf den nackten Körper

übertragen. Als bekannteste und beste Vertreter dieser Richtung sind Watteau, Boucher, Fragonard und Grenze zu nennen.



fig. 16. Venus von Thorwaldsen.


36


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.


Während aber in der Malerei eine stark durch die Mode be- einflußte, allmähliche Rückkehr zur Natur mit mannigfachen Irrungen und Seitensprüngen verzeichnet werden kann, hat die Plastik von

Anfang an viel bewußter und gleichmäßiger ihrem Ziele zu- gestrebt, sich nebenbei aber auch viel enger an die klassi- schen Vorbilder der griechi- schen Blütezeit angeschlossen.

Ganz besonders ist dieser Aufschwung von Italien, der an alten Kunstschätzen reichsten Stätte, ausgegangen.

Fig. 14 zeigt eine der älte- sten Darstellungen, die Eva am Dom in Mailand, Fig. 15 die Bronzefigur eines nackten Weibes aus dem Berliner Museum.

Bei der Eva überwiegt die Naturtreue den Einfluß des Klassizismus; denn weder die etwas hängenden Brüste noch die schwer gebauten, im Hand- gelenk sehr plumpen Arme lassen sich durch griechische Vorbilder, wohl aber durch ein fehlerhaftes lebendes Modell erklären.

Bei der Bronzefigur des nackten Weibes hingegen wie- gen die griechischen Vorbilder vor, und zwar die des männ- lichen Körpers; denn ihnen zu Liebe ist off"enbar bei der Fig. 17. Weinendes Mädchen von Eberlein. Behandlung des Oberkörpers,



WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.


37


namentlich aber der männ- lich gebildeten Schultern und Arme, vom lebenden Modell abgewichen, wäh- rend der Unterkörper rein weibliche, sehr gute, dem schönen Leben abge- lauschte Formen zeigt. Die Gestalt erscheint wie ein weibliches Gegenstück zum betenden Knaben, der auch im BerHner Museum aufgestellt ist.

Diese beiden Beispiele wurden weniger ihres Kunstwertes wegen aus- gewählt, als vielmehr, weil sie besonders kennzeich- nend sind für den künst- lerischen Geschmack, der zwischen der kritiklosen Nachahmung der alten Meisterwerke und der lebenden Natur schwankt, und bald hier, bald da hineingreift.

Dazwischen erheben sich die kraftvollen Ge- Stalten der großen Meister, die durch ihre mächtige Individualität sich einen völlig eigenen Stil aus- bilden, wie Michel Angelo, Giovanni da Bologna u. a. Auch auf sie haben die alten Griechengötter eben-



Fic. i8. Salambo von Faul Breton.


38 WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.

SO wie die ewig junge Natur gewirkt, aber aus beiden liaben sie völlig neue, allein dastehende, kraftvoll eigenartige Werke zu- sammengesetzt, denen allen gerecht zu werden den engen Rahmen dieses Buches überschreitet. Sie ragen wie einzelne hohe Säulen am Wege empor, den die fortschreitende Entwicklung sich ge- bahnt hat.

Der letzte große Vertreter des an den klassischen Traditionen festhaltenden Künstlertums ist der Däne Bertel Thorwaldsen. Seine Gestalten sind aber keine echten alten Griechen mehr, sondern lebende Menschen, die den alten Ueberlieferungen angepaßt sind. Dies geht schon allein aus den Körperverhältnissen hervor, da alle von Thorwaldsen geschaffenen Gestalten Köpfe tragen, welche dem Durchschnittsmaß jetziger Menschen entsprechen, aber viel größer sind, als die der griechischen Götter.

Die in Fig. i6 abgebildete Venus von Thorwaldsen hat eine Körperhöhe von 7^/2 Kopf höhen statt 8 Kopf höhen wie die griechi- schen Idealgestalten, außerdem ist der Rumpf länger und die Beine kürzer, ein Verhältnis, das sich namentlich bei den nordischen Frauen im Leben sehr häufig findet.

Die neueste Richtung der Kunst ist gekennzeichnet durch eine immer stärker sich bahnbrechende Rückkehr zur Natur, ein Bestreben, selbst auf Kosten der Schönheit möglichst wahr zu sein \). Rechnet man dazu das durch die lebhafte Konkurrenz gesteigerte Streben nach Originalität, so ist es leicht zu erklären, daß die moderne Kunst ohne Wahl gesunde und kranke, schöne und häßfiche Körper nach- bildet und die weise Mäßigung der alten Schule verachtet.

Unter diesen Verhältnissen ist es schwer, die Spreu von dem Weizen zu scheiden, umso schwerer, wenn die Entfernung durch Raum und Zeit noch nicht ihren läuternden und klärenden Einfluß auf unser Urteil ausgeübt hat.

Ebenso wie der Geschmack der Künstler schwankt die Menge, die ihre Schöpfungen betrachtet und in ihnen ihre Ideale sucht und findet.


'j Vgl. J. Leisching, Die Hauptströmungen der Kunst des neunzehnten Jahr- hunderts. Brunn. Winiker. 1904.


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST. 39

Als Beispiele moderner Auffassung weiblicher Schönheit können die Gestalten eines weinenden Mädchens von G. Eberlein (Fig. 17) und der Salambo von Paul Breton (Fig. 18) dienen.

Beide zeigen sorgfältig nach dem Leben modellierte Körper mit weichen und sehr reinen Formen. Bei dem französischen Bildhauer geht die Naturtreue sogar so weit, daß er eine durch das Schuhwerk verursachte Verkrümmung der großen Zehe seines Modells gewissen- haft nachgebildet hat. Anderseits hält er wieder an dem griechischen Ideal des völlig unbehaarten Körpers fest.

Ob und inwieweit die zeitgenössischen Künstler den modernen Schönheitsbegriff zu beeinflussen im stände sind, läßt sich heute noch nicht entscheiden.

Denn nicht um Naturtreue allein handelt es sich, sondern um die richtige Erkenntnis des Schönen in der Natur und um dessen ins Künstlerische übersetzte Wiedergabe.

Im allgemeinen läßt sich sagen , daß das Schönheitsideal in der Kunst in hohem Grade von der Mode, dem Charakter der ton- angebenden Künstler und von zahlreichen sozialen Zuständen ab- hängig ist, die in jedem einzelnen Falle eine genaue Analyse nötig machen.

Erst nach Beseitigung sämtHcher durch Technik, Zweck und Mode bedingten Stilisierungen tritt der rein menschliche Kern im Kunstwerk zu Tage, der umso höher steht, je näher er der Natur geblieben ist.

Je eher wir im stände sind, den Kunstwerken analoge Gestalten im Leben zurückzufinden, desto wahrscheinlicher wird es, daß der Künstler sich ganz an das schöne Leben gehalten hat, und in dieser Beziehung stehen die nackten weiblichen Gestalten von Giorgione, Tizian, Palma Vecchio und van Dyck obenan. Rembrandt und Rubens sind ihnen ebenbürtig in der Naturwahrheit, jedoch haben beide keine so schönen Modelle gehabt oder haben wollen; denn ihnen stand, wie allen Meistern der holländischen Schule, die Farbenwirkung über der reinen Form, und beherrschte ihre Werke.

Wir können den Einfluß der großen Künstler auf das moderne Schönheitsideal bemessen, indem wir fragen : Welche Werke sind in den weitesten Kreisen bekannt geworden?


40 WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER KUNST.

Es sind dies unstreitig die Venus von Milo, die Venus von Medici, die sixtinische Madonna und die Madonna della sedia.

Man sieht also, daß in Bezug auf den weiblichen Körper die klassische Kunst auch heute noch den Sieg davongetragen hat, und daß von allen späteren Künstlern RafFael der einzige war, der das liebreizende Gesicht seiner Madonna zum allgemein anerkannten Ideal zu erheben wußte. Auch hier in der Kunst, wie in der Ge- schichte, ist der beste unbeeinflußte Kenner die Nachwelt, der das Echte unverloren bleibt.


III. Weibliche Schönheit in der Literatur.

Die Darstellung weiblicher Schönheit in der Literatur kann man von künstlerischem sowie von rein wissenschaftlichem Standpunkt aus betrachten.

Den ersteren hat Lessing im Laokoon eingenommen, in dem er die Grenzen des Darstellbaren in Malerei und Poesie bestimmt^). »Homer sagt von Helena nichts weiter, als daß sie weiße Arme und schönes Haar gehabt habe. Er malt ihre Schönheit, indem er den Eindruck schildert, den sie auf die versammelten trojanischen Greise macht. Zeuxis malte sie selbst: Sein Gemälde bestand aus der einzigen Figur der Helena, die nackend dastand.« 

Nach Lessings Auffassung muß demnach der Dichter an die Stelle der Augen und des Mundes den Blick und das Lächeln setzen, statt schlanker Glieder die Bewegungen beschreiben, statt körperlicher Schönheit den Eindruck, den sie hervorruft. Will er uns die Vor- züge eines schönen Körpers vorführen, so soll er nicht sie selbst schildern, sondern den Akt der Entkleidung, der sie dem Auge ent- hüllt, oder den Eindruck, den sie auf den Beschauer machen.

Als Muster kann die eingangs wiedergegebene Schilderung des sich entkleidenden Mädchens von Goethe gelten. Er sagt nichts von ihrem Körper, als daß ihr Gesicht eine schöne, regelmäßige Bildung zeigte, und daß braune Haare mit vielen und großen Locken auf die Schultern herunterrollten; alle übrigen Körperteile sind gar nicht erwähnt. Daß sie schön ist, sehen wir aus dem Eindruck auf den bewundernden Zuschauer während des EnthüUens. Ein Maler hätte nicht den staunenden Jüngling, sondern wie Zeuxis die entkleidete Schönheit darstellen müssen.


1) Lessings gesammelte Werke, Cotta, 1886, II, p. 620 ff.


42 WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER LITERATUR.

Ein weiteres interessantes Beispiel, das von zwei Diclitern beliandelt ist, bietet die bekannte Geschichte der schönen Ginevra.

Bei Boccaccio^) steigt Ambrogiuolo im Schlafzimmer Ginevras aus seiner Kiste und prägt sich das Aussehen des Gemaches ein. »Darauf näherte er sich dem Bette und sah, daß die Dame und ihre jugendliche Dienerin in tiefem Schlafe lagen. Er zog die Decke von ihrem Leibe und erkannte, daß sie nackt ebenso schön war als be- kleidet. Er suchte an ihrem Körper nach einem Zeichen und fand endlich unter der linken Brust ein kleines Mal, um das einige gold- blonde Haare standen. Und obgleich ihn beim AnbHck ihrer Schön- heit eine unwiderstehHche Lust beschhch, sie zu küssen und sich ihrer Liebe zu erfreuen, so deckte er sie doch vorsichtig wieder zu, weil er ihren Zorn fürchtete.« 

In Gymbehn^) hat Shakespeare dieselbe Szene bearbeitet:

Imogen schläft ein. Joachimo kommt aus der Kiste.

— O Cytherea, Wie hold stehst du dem Bette! Frische Lilie Und weißer als das Linnen. Dürft' ich rühren, Nur küssen einen Kuß ! Rubinenwunder, Wie köstlich sie's verstehn! Ihr Atem ist's. Der so die Kammer würzt. Das Licht der Kerze Beugt sich zu ihr, möcht' unterm Augenlid Die Lichter schaun, die nun verschleiert ruhn Von diesem Vorhang, weiß und azurblau. Gesäumt mit Himmelstinten. — Doch mein Zweck. Die Kammer mir zu merken, schreib' ich's auf: Die und die Bilder — dort das Fenster — so Der Zierat ihres Betts — Teppich, Figuren, Nun so und so, was die Geschichte vorstellt. O, nur ein paar Merkzeichen ihres Körpers — Affe des Todes, Schlaf, lieg dumpf auf ihr. Und ihr Gefühl sei wie ein steinern Bild In Grabkapellen! Komm herab! —

(Er streift ihr Armband ab.)

— Auf der linken Brust Ein Mal, fünfsprenklig wie die Scharlachtröpflein Im Schlüsselblümchen; hier ist ein Beweis, Stärker, als die Justiz ihn je erfand.


^) Decamerone, 2. Tag, Novelle 9.

^) Act II, Sc. 2, übersetzt von Gildemeister.


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER LITERATUR. 43

Boccaccio beschreibt ausschließlich den Eindruck der Schönheit. Allein aus den goldenen Härchen um das Mal kann der Leser schließen, daß Ginevra blond war. Bei Shakespeare wird nur von dem »weißen Lilienteint«, dem »Rubinen wunder« des Mundes und von dem bläu- lichen Schimmer der geschlossenen Augenlider gesprochen.

Beide sind noch sparsamer wie Goethe in der Beschreibung des Körpers, desto stärker aber zeichnen sie die Leidenschaften, welche der Anblick der nackten Schönheit entfesselt.

Mit viel Geschick ist eine Entkleidungsszene in den Liedern der Bilitis behandelt, wobei ein anderer Kunstgriff benützt wird.

In freier Uebersetzung lautet der betreffende (132.) Gesang:

Blumen tanz. Anthis, die lydische Tänzerin, Ist in sieben Schleier gehüllt. Sie wirft den gelben Schleier hin, Dem schwarzes Gelock entquillt. Der rosige Schleier gleitet vom Mund, Der weiße enthüllet die Arme zur Stund. Den roten Schleier knüpfet sie ab, Der den sprossenden Busen entblößt. Der grüne sinkt von den Hüften herab, Von den Schultern der blaue, gelöst. Doch den durchsicht'gen Schleier der Lenden Bedeckt sie mit schamhaften Händen.

Man bittet. Sie wirft das Haupt zurück;

Doch wie nun die Flöten erschallen,

Zerreißt sie den Schleier, Stück für Stück,

Läßt ihn, den letzten, fallen.

Dann, singend zum Tanze, pflücket sie ab

Die Blüten des Leibes, die Gott ihr gab.

»Was ist meine knospende Rose.? Die Brust.

»Was sind meine Veilchen? Die Augen voll Lust.

»Die rote Nelke? Mein küssender Mund.

»Die Lilie? Mein Leib, so blühend und rund.

»O pflücket, bevor sie verwelken,

»Die Rosen, die Veilchen, die Nelken.« 

Auch hier wird von den einzelnen Körperteilen nichts gesagt, als daß die Haare schwarz und die Brüste klein sind. Daß das Auge blau und der Mund rot, verrät uns der Vergleich mit Veilchen und Nelke. Alle übrigen Körperteile werden nur genannt, nicht beschrieben.


44 WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER LITERATUR.

Ich bin überzeugt, daß Lessings künstlerischer Standpunkt der richtige ist, und muß mit ihm zu dem Schlüsse kommen, daß gerade die besten literarischen Werke am meisten auf die Phantasie des Lesers wirken und darum am allerwenigsten im stände sind, uns ein Bild zu geben , das wir direkt mit der lebenden Wirklichkeit ver- gleichen können: die Absicht des Dichters ist, daß jeder Leser sich unter dem Bild der gepriesenen Schönheit seine eigene Geliebte vor- stellt oder diejenige Frau, deren körperliche Vorzüge den tiefsten Eindruck auf ihn hinterlassen haben.

Hier müssen wir vom künstlerischen Standpunkt ganz absehen.

Stellen wir uns auf den rein wissenschaftlichen Standpunkt, sehen wir ganz ab von dem literarischen Wert, beschränken wür uns auf das Feststellen von Tatsachen, dann haben so manche selbst minder- wertige dichterische Leistungen gerade für unseren Zweck einen ge- wissen Wert, indem sie einerseits ein Spiegelbild der Anforderungen geben, die zur Zeit des Schriftstellers an lebende weibliche Schönheit gestellt wurden, andererseits insofern, als sie maßgebend geworden sind für eine gewisse Geschmacksrichtung in der Schönheitsauffassung. Eine derartige Untersuchung erhält dadurch einen höheren Wert, daß erfahrungsgemäß die in der Poesie herrschende Mode stets auch die bildende Kunst in gleicher Weise beherrscht, so daß wir auch das Schönheitsideal jeder Zeit in Wort und Bild zugleich zurückfinden können.

Wenn Martial verlangt, daß die weibliche Brust von der Art sein müsse, »ut capiat nostra tegatque manus«, so kann man daraus schließen, daß zu seiner Zeit große Brüste nicht für schön galten. Dementsprechend finden wir auch auf allen klassischen weibHchen Statuen kleine Brüste dargestellt.

Niemand wird ein Mädchen mit einem wirklichen Schwanenhals und einer wirklichen Wespentaille schön finden; der Gebrauch dieser Bilder lehrt indes, daß ein langer Hals und eine schmale Mitte als Attribute des Schönheitsideals aufgefaßt wurden und in gewissem Sinne noch werden. Ein BUck auf Familienbilder aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts oder auf die schönen Zeichnungen Gavarnis lehrt ferner, daß die bildende Kunst derselben Auffassung huldigt.


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER LITERATUR. 45

Houdoy ^) hat in einem mustergültigen Werke das Schönheits- ideal des 12. — 16. Jahrhunderts in dieser Weise wissenschaftlich analysiert.

Ihm schließen sich an Vachon^), Ploß-Bartels^), Mantegazza^), Schaeffer^), Heyck*^), Hirsch'^) und zahlreiche andere.

Die Kunst und die Literatur aller Völker bietet Bausteine genug, um, ebenso wie es Houdoy für das spätere Mittelalter getan hat, ein Schönheitsideal der gebildeten Welt mit allen seinen durch Zeit und Geschmacksrichtung bestimmten Variationen aufzubauen.

Eine derartige Arbeit würde jedoch weit über die Grenzen dieses Buches hinausgehen. Ich verweise hier auf die zitierten Autoren und begnüge mich damit, zu konstatieren, daß in der Literatur ebenso wie in der bildenden Kunst das Schönheitsideal auf Beobachtung des Lebens beruht, jedoch stets durch Mode und künstlerische Auffassung beeinflußt ist.

Daß wiederum literarische Werke Einfluß auf die herrschende Auf- fassung weiblicher Schönheit ausüben können, beweist unter anderem das Beispiel von Rousseau, der durch seinen Emile zahlreiche seiner weiblichen Zeitgenossen zum Selbststillen ihrer Kinder veranlaßte und dadurch das Schönfinden gefüllter Busen in die Mode brachte.

Von den tausend Beschreibungen weiblicher Schönheit, die sich in der Literatur finden, gebe ich als Beispiel nur eine wieder, die ich dem Buche von Houdoy entnehme. Ich wähle diese, einmal, weil neben ihr ein Bild des Originals besteht, dann aber, weil sich darin ein Maßstab zur Beurteilung weiblicher Schönheit findet, der bis jetzt noch nicht berücksichtigt wurde, und der unmerklich zur weiteren Entwicklung unseres Themas leitet.

Es ist dies die von Niphus verfaßte Beschreibung von Giovanna


^) La beaute des femmes dans la litterature et dans l'art du Xlle au XVI«  siecle, 1876.

-) La femme dans l'art.

^) Das weibliche Schönheitsideal in: Das Weib, s. o.

  • ) Physiologie des Weibes u. a.

^) Die Frau in der venezianischen Malerei. Bruckmann, 1899.

'^) Frauenschönheit im Wandel von Kunst und Geschmack. Velhagen & Klasing, 1902.

^) Die Frau in der bildenden Kunst. Enke, 1904.


46 WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER LITERATUR.

d'Aragona, deren Bild, von Raffael oder wahrscheinlicher von Giulio Romano gemalt^), im Louvre in Paris hängt.

Houdoy gibt neben einer vorzüglichen Uebersetzung ins Fran- zösische den lateinisch geschriebenen Originaltext von Niphus.

»Die erhabene Joanna ist für uns ein Beweis, daß die wahrhafte Schönheit nur in der Natur besteht, denn sie paart die vollkommene Schönheit des Körpers und der Seele.

Ihre Seele vereinigt sittliche Heldengröße und Sanftmut (und in dieser liegt gerade die Schönheit der Seele), so daß sie nicht von irdischer, sondern von göttlicher Abkunft erscheint.

Ihre Körperformen sind von solch hervorragender Schönheit, daß selbst Zeuxis, der zur Darstellung der Helena die verschiedenen Reize der allerschönsten Mädchen von Croton vereinigen mußte, sich mit Joanna als einzigem Modell begnügt hätte, wenn es ihm vergönnt ge- wesen wäre, dieselbe zu schauen und ihre Vortreff lichkeit zu erkennen.

Ihre Gestalt ist von Mittelgröße, gerade und zierlich, geschmückt mit dem wunderbarsten Ebenmaß der Glieder; sie erscheint weder fett noch knochig, sondern in jugendlicher Fülle (succulenta); ihre Hautfarbe ist nicht bleich, sondern spielt vom Weißen ins Rote; ihre langen Haare schimmern wie Gold. Ihre Ohren sind klein und rund, dem Munde entsprechend"). Dunkelbraune, nicht zu dicht stehende Härchen wölben sich im halben Kreise zu den Brauen; ihre blauenden Augen erstrahlen heller als alle Sterne unter den schwarzen geraden Wimpern und streuen Liebreiz und Freude um sich her; zwischen den' Augenbrauen steigt die gleichmäßig und schön geformte Nase gerade herunter; von göttlicher Form ist das Tälchen, das die Nase von der Oberhppe scheidet. Der kleine, süß lächelnde Mund zieht die Küsse stärker an, als der Magnet das Eisen; weiche Lippen umschließen ihn, honigsüß und korallenrot. Die Zähne sind klein, glänzend wie Elfenbein und schön geordnet; ihr Atem ist der köst- lichste Wohlgeruch.

Ihre göttliche Stimme hat nichts Menschliches. Ein niedhches


ij Gruyer (Gazette des beaux-arts, XXII, p. 465) weist auf Grund histo- rischer Dokumente nach, daß Raffael Giovanna niemals gesehen haben kann und allein die Arbeit Romanos beaufsichtigte.

-) Nach Agrippa mußten die Ohren vereinigt einen Kreis bilden, der der Größe des geöffneten Mundes entsprach.


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER LITERATUR.


47



Fig. 19. Bildnis der Jeanne d' Aragon im Louvre.

Nach einem Kohledruck von Braun, Clement & Co. in Dornach i. E.

Grübchen ziert das Kinn; auf ihren Wangen spielt die Farbe der Rose und des Schnees. Der Umriß ihres AntUtzes ist rund, zum männhchen hinneigend.

Der gerade, gestreckte Hals hebt sich voll und weiß zwischen den glänzenden, gut gewölbten Schultern, die auf breiter Fläche keinen Knochen hervortreten lassen. Die Brüste von mäßiger Größe sind gleich- mäßig gerundet und ähneln den Pfirsichen, deren Duft sie ausströmen.


48 WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER LITERATUR.

Die weichen Hände sind von außen wie Schnee, von innen wie Elfenbein, und genau so lang wie das Angesicht; die gefüllten, run- den Finger sind nicht zu kurz und tragen feine, gewölbte Nägel von zarter Farbe.

Der Oberkörper hat im ganzen die Form einer umgekehrten, etwas platten Birne, deren untere Spitze schmal und rund im Durch- schnitt ist, und deren breites Ende sich oben in bewunderungswür- digen Linien und Flächen an die Wurzel des Halses ansetzt.

Der Unterleib ist flach gewölbt und im guten Verhältnis zu Hüften und Lenden. Die Oberschenkel sind kräftig und drehrund; der Ober- schenkel steht zur Wade, die Wade zum Oberarm im richtigen Eben- maß von drei zu zwei^).

Die Arme sind in Göttlichem Gleichmaß zu den übria^en Teilen des Körpers geformt.

Die Füße sind zierlich und endigen in bewunderungswürdig ge- formten Zehen.

Ihr Ebenmaß und ihre Schönheit ist von der Art, daß man sie mit Recht den Unsterblichen zurechnen kann.

Wenn nun die geistigen Eigenschaften, der Liebreiz und die Schön- heit dieser Prinzessin so groß sind, so kann man daraus schließen, nicht allein, daß das wahrhaft Schöne nur in der Natur besteht, sondern auch, daß nichts an Schönheit den menschlichen Körper übertrifft.

Besser und rascher als diese Beschreibung überzeugt das diskretere Bild der Jeanne d'Aragon im Louvre von deren körperlichen Reizen (Fig. 19). Ob der alte Niphus sie nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch studieren konnte, ist Nebensache-).

Die Hauptsache ist, daß er bestrebt ist, uns von der Schönheit Jeannes nicht nur durch die Aufzählung und Umschreibung der ein- zelnen Körperteile zu überzeugen, sondern auch durch die Ver- gleichung mit einem gewissen Maßstab, durch die Proportion der Teile unter sich.

Er bildet damit den Uebergang von der Auffassung des Dichters


') D. h. der Umfang des Oberschenkels = i72nial dem Umfang der Wade, Umfang der Wade = iY2maI Umfang der Oberarms.

2j Guyon (Diverses legons III) weist nach, daß Niphus als Arzt häufig Gelegenheit hatte, den Körper der Prinzessin zu sehen.


WEIBLICHE SCHÖNHEIT IN DER LITERATUR. 49

ZU der des Philosophen, der nicht nur den Eindruck hervorrufen und wiedergeben, sondern auch begründen wiU.

An Versuchen , die verschiedenen Formen weibhcher Schönheit systematisch einzuteilen, fehlt es nicht, Künstler, Philosophen und Aesthetiker haben darin gewetteifert.

A. Walker^) unterscheidet drei Formen: locomotive, nutritive, mental beauty, und stellt als Typen für die erste Diana, für die zweite Venus, für die dritte Minerva auf.

Lairesse-) schreibt: Die Schönheit eines nackten Frauenbildes besteht hierin, daß erstlich die Ghedmaßen gut geformt sind, zum zweiten, daß sie eine schöne, freie und gemächliche Bewegung habe, und endlich eine gesunde und frische Couleur.

Andere unterscheiden wieder zwischen erhabener und lieblicher, zwischen sittlicher und sinnlicher, zwischen blonder und brünetter Schönheit. Bei allen diesen Einteilungen ist es beim Versuche ge- blieben und keine hat sich allgemeine Geltung verschafft.

Das einzige Positive, was sich aus allen diesen Versuchen heraus- entwickelt hat, ist das Bestreben, eine gewisse Gesetzmäßigkeit in der Form , in den Größenverhältnissen der einzelnen Teile zuein- ander zu entdecken, die Lehre von den Proportionen.

Es erübrigt noch, der Aesthetik zu gedenken, desjenigen Teils der Philosophie, der den Begriff und das Wesen des Schönen zu ergründen strebt.

Der Aesthetiker beschäftigt sich hauptsächlich mit dem seelischen Eindruck des Schönen. Seine Aufgabe fängt da an, wo die unserige aufhört. Sein Rüstzeug ist das richtige Gefühl, wie das unsere der richtige Blick ist; beide sind angeboren, können aber durch Uebung erhöht und verfeinert werden.

Unsere Aufgabe ist, dem Aesthetiker der Zukunft den richtigen Einblick in den natürlichen Mechanismus der körperlichen Schönheit zu verschaffen, der die Grundlage zu dem ästhetischen Begriff der seelischen Schönheit bildet.


Analysis and Classification of beauty in woman. London 1852. Groot schilderboek. Amsterdam 17 16.


Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers.


IV.

Proportionslehre und Kanon.

In dem vorigen Abschnitt wurde gezeigt, daß Niphus die Schön- heit Johannas von Aragonien zum Teil nach gewissen Verhältnissen beurteilt: die Ohren sind zusammen gleich groß wie der Mund, die Hand entspricht genau der Länge des Angesichts, Schenkel, Wade und Oberarm stehen im Verhältnis von 3 zu 2 u. s. w.

Gleich Niphus haben sich schon seit der grauen Zeit der Aegypter bis in unsere Tage zahlreiche hervorragende Männer bemüht, die Gesetzmäßigkeit der Proportionen des menschlichen Körpers zu er- forschen.

Dies geschah von einzelnen ausschließlich in der bescheidenen und löblichen Absicht, dem Künstler dadurch ein Hilfsmittel zur Nachbildung menschlicher Figuren an die Hand zu geben, andere aber haben sich verleiten lassen, aus einer scheinbaren Gesetzmäßig- keit der von ihnen genommenen Maße ein theoretisches Gebäude zur Bestimmung des Schönheitsbegriffs zu konstruieren.

Erst in allerneuester Zeit finden sich vereinzelte Bestrebungen, aus einer großen Anzahl Messungen in wissenschaftlicher Weise das Mittelmaß und damit zw^ar nicht das Schönheitsideal, wohl aber die Normalgestalt zu bestimmen.

Die sorgfältigen Untersuchungen von Ch. Blanc^) haben nach- gewiesen, daß die alten Aegypter als Grundmaß die Länge des Mittel- fingers annahmen , der nach ihnen neunzehnmal in der Körperlänge enthalten ist.

Eine genau nach diesen Regeln konstruierte Figur heißt Kanon, das sie bestimmende Grundmaß wird Modulus genannt.

Es scheint, daß der ägyptische Kanon zum Teil in die griechische Kunst übernommen wurde, daß daneben aber auch noch andere


^) Gazette des beaux-arts, VII.


PROPORTIONSLEHRE UND KANON. 51

Kanons bestanden, bei denen die Länge der Hand, des Fußes oder des Kopfes den Modulus abgab.

Der bekannteste ist der des Polyklet, den manche in dem Speer- träger von Neapel zurückzufinden glauben^). A'itruv, Galen und Plinius bericiiten über den Kanon des Polyklet. Danach ist das Gesicht ein Zehntel, der Kopf ein Achtel der Gesamthöhe, Kopf und Hals ein Sechstel und gleich der Fußlänge. Das Gesicht zerfällt in drei gleiche Teile, vom Kinn zum unteren Rand der Nase, von da bis zur Nasenwurzel, und von da bis zum Haaransatz^).

Archäologen und Historiker haben auszumachen, ob damit wirk- lich der Kanon des Polyklet durch Ueberlieferung bewahrt ist^). Uns interessiert hier nur die Tatsache, daß diese Maße bis in unsere Zeit als Maßstab menschlicher Schönheit gegolten haben , trotzdem sie, wie Langer^) nachgewiesen hat, selbst bei zahlreichen klassischen Bildwerken nicht immer zu finden sind.


') Guillaume hält denselben für eine Kopie, da das Original wahrschein- lich aus Bronze gewesen ist.

-) Vgl. L. von Sybel, Weltgeschichte der Kunst, 1888, p. 193.

^) »Wir Archäologen, schreibt mir Professor Michaelis, »nehmen an, daß auch Polyklet seinen Proportionskanon durch Abstraktion aus einer großen Zahl von Messungen gut gebildeter Jünglinge gewonnen habe. Daß sein Kanon in dem Neapler Doryphoros wieder zu finden sei, ist nich bloß die Ansicht mancher, sondern seit Friedreichs Nachweis im Jahre 1S63 ganz allgemein angenommen, ebenso sicher aber ist es, daß die Neapler wie alle andern uns erhaltenen Exemplare römische Marmorkopien nach Polyklets Erzoriginal sind. Die von Ihnen angeführten Normalmaße sind nur bei Vitruv überliefert, aber ohne Poly- klets Namen, und es hat immer als zweifelhaft gegolten, ob es wirklich die polykletischen Proportionen sind. Professor A. Kalkmann in Berlin hat sie in seiner Abhandlung ,Die Proportionen des Gesichts in der griechischen Kunst', Berlin 1893, p. 42 ff., dem jüngeren Künstler Euphranor zugeschrieben, der die polykletischen Proportionen mit Bewußtsein änderte, wie Phnius 35, 128 meldet. Die Proportionen sowohl des Körpers insgesamt wie die des Gesichts zeigen überhaupt im Verlauf der griechischen Kunstentwicklung die größten Ver- schiedenheiten, die nur zum Teil einer konsequenten Weiterbildung angehören, großenteils individuelle Auffassungen einzelner führender Künstler oder Rich- tungen darstellen. Kein Archäologe wird jene vitruvischen Maße als allgemein gültig für die ganze griechische Kunst ansehen. Leonardo geht von ihnen aus, kommt aber aus seinen ohne Zweifel sehr zahlreichen Messungen zu teilweise abweichenden Ergebnissen. Ich habe darüber im Journal of Hellenic Studies von 1883 gehandelt.« 

^) 1. c. p. 60.


52 PROPORTIONSLEHRE UND KANON.

Als mit der Renaissance das Interesse an dem menschlichen Körper wieder erwachte, sind Leonardo da Vinci, Albrecht Dürer und Agrippa die ersten gewesen, die sich wieder mit den Propor- tionen des menschlichen Körpers beschäftigten; die ersteren beiden stellten sich ausschließhch auf den Standpunkt des Künstlers zur leichteren Nachbildung, der letztere hat ein ganzes System aufgebaut, nach dem sich nicht nur der menschliche Mikrokosmus, sondern auch jede geometrische Figur, selbst die Sternenwelt, systematisieren läßti).

Wer sich für die historische Entwicklung der verschiedenen Systeme interessiert, findet eine ziemlich vollständige Uebersicht und Besprechung in der fleißigen Arbeit von Zeising ^). Daselbst werden 78 Philosophen, Künstler, Anatomen und Physiologen aufgezählt, dazu kommt der von Zeising nicht erwähnte Agrippa und Zeising selbst mit seiner Lehre vom goldenen Schnitt, so daß wir bis zum Jahre 1854 nicht weniger als 80 Autoren haben, deren jeder wieder einer persönlichen Auffassung huldigt.

Die meisten bestimmen die Proportionen nach Kopf- und Ge- sichtslängen, Hay^) legt seinem System den musikalischen Akkord zu Grunde, indem er den Abstand der einzelnen Teile des Körpers nach Terzen, Quinten, Oktaven u. s. w. bestimmt. Zeising wendet die Lehre vom goldenen Schnitt an, wonach die Linie so geteilt wird, daß das Ganze sich zum größeren Teil verhält, wie dieser zum kleineren; so verhält sich nach ihm die Körperhöhe zur Nabelhöhe, wie diese zu der Entfernung des Nabels bis zum Scheitel.

Wie Langer"^) richtig bemerkt, hat diese Einteilung schon des- halb keinen Wert, weil die Höhe des Nabels sehr variabel ist; jedoch erkennt er an, daß bei der Bestimmung der Taillenhöhe einer ge- kleideten weiblichen Figur die Zeisingsche Einteilung zutrifft. Einen wissenschaftlichen Wert hat aber die Zeisingsche Methode schon darum nicht, weil die Teilungspunkte des goldenen Schnittes völlig willkürlich auf den Körper übertragen werden, und in keiner Weise


^) Agrippa de philosophia occulta, 1531.

2) Neue Lehre von den Proportionen des menschlichen Körpers, 1854.

^) The geometric beauty of the human figure defined, 185 1.

•*j 1. c. p. 56.


PROPORTIONSLEHRE UND KANON. 53

den durch Gelenke und Knochenlängen gegebenen natürlichen Tei- lungspunkten des Körpers entsprechen^).

Es sei hier noch erwähnt, daß unter allen Autoren Cenino Cen- nini ^) der einzige ist, der den Frauen überhaupt jegliche richtige Körperproportion abspricht und sich deshalb nur mit dem männlichen Körper beschäftigt.

Die erste rein wissenschaftliche Arbeit über Proportionen stammt von Quetelet ^), der aus den an dreißig jungen Männern gefundenen Maßen eine Durchschnittsproportion konstruierte.

Er betritt damit den modernen, von den Anthropologen mehr und mehr ausgebildeten Weg, durch Vergleichung einer möglichst großen Zahl von Einzelmaßen ein Durchschnittsmaß des Menschen, je nach Rasse, Lebensalter und Geschlecht verschieden, zu kon- struieren. Topinard"^) hat versucht, aus den ihm zugänglichen Messungen derartige Durchschnittsmaße für den Europäer festzustellen, sieht jedoch eine große Schwierigkeit in dem Umstand, daß man in Europa keine größere Anzahl von Individuen absolut reiner Rasse erhalten kann.

Es ist bekannt, daß in neuester Zeit Bertillon in gleicher Weise die Identität von Verbrechern festzustellen suchte.

In Deutschland hat Schadow in seinem bekannten »Polyklet« eine ganze Reihe von Einzelbeobachtungen in sorgfältigen Messungen und vortrefflichen Zeichnungen niedergelegt; ein schönes Material, das G. Fritsch ^) neuerdings gebührend gewürdigt hat.

In Amerika hat Sargent") mehr als zweitausend Jünglinge und Mädchen im Alter von 20 Jahren gemessen und nach den Durchschnitts- maßen zwei Tonmodelle angefertigt, die in Chicago ausgestellt waren.

1) In neuester Zeit ist die Zeisingsche Lehre wieder aufgewärmt durch Bochenek (Das Gesetz der Formenschönheit. Weicher, Leipzig 1904), wobei der Autor von dem neuen, durch ihn entdeclvten Gesetz spricht. Zeisings Namen wird darin nicht genannt. Sapienti sat.

^) Lübke, Italienische Malerei, zitiert bei Langer p. 62, bei Zeising nicht erwähnt.

  • ) Des proportions du Corps humain. Bulletin de l'academie royale des

sciences, lettres et beaux-arts de Belgique, XV.

^) Zitiert bei Richer, Anatomie artistique, 1890, p. 258.

  • ) Fritsch-Harleß, Die Gestalt des Menschen, 1899.

^) Scribners Magazine, 1893, Vol. XIV, Nr. 79.


54 PROPORTIONSLEHRE UND KANON.

Richer ^) hat in gleicher Weise wie Sargent einen Kanon der Proportionen des menschlichen Körpers konstruiert, nach Kopflängen bestimmt und als Statue ausgearbeitet. Er unterscheidet den Kanon von 7V2 Kopf höhen, den Type moyen, und den Kanon von 8 Kopf- höhen, den Type heroique. Den weibUchen Körper hat er leider nur beiläufig berücksichtigt.

Als letzter hat Geyer-) ein mit vortrefflichen Abbildungen ge- schmücktes Buch über die Proportionen geschrieben, in dem er den Körper in 7 X 7 gleichgroße Teile (Partes) zerlegt, denen sich der Kopf mit gleichfalls 7 Teilen anschließt.

Geyer gibt die genauen Proportionen für die verschiedenen Lebensalter und Vergleichungen mit anderen Proportionssystemen, namentlich auch mit der Kopfhöhenzahl.

Er betrachtet den Mann und die Frau von 8 Kopfhöhen als normal, gibt aber daneben gleich Schadow und Richer auch Ge- stalten Erwachsener von 7V2 Kopf höhen.

Die Vergleichung der von verschiedenen Untersuchern gewonnenen Resultate wird erschwert durch den Umstand, daß man bisher noch nicht einer einheitlichen, allgemein gültigen Methode gefolgt ist.

Trotz der verschiedenen Wege decken sich aber die Endresultate gewissenhafter Beobachter. Um dies darzutun, diene als Grundlage die von G. Fritsch^) befürwortete und verbesserte graphische Me- thode zur Bestimmung der menschhchen Proportionen, welche von C. Schmidt ^) und C. Carus °) inauguriert ist.

Fig. 20 stellt die weibliche Normalgestalt von Merkel '^) dar, welche in ein Zehntel natürlicher Größe gezeichnet ist, entsprechend einer Gesamtlänge von 155 cm. Daneben sind die Maße für diese Figur nach dem Fritschschen Kanon konstruiert und der Deutlich- keit halber in punktierten Linien in die Figur selbst übertragen.


^j Richer, Canon des proportions du corps humain, 1893.

^) Otto Geyer: Der Mensch, Hand- und Lehrbuch. LTnion Deutsche Ver- lagsgesellschaft, 1902.

^) Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft, 16. Februar 1895. Die Gestalt des Menschen, p. 136 ff.

^) Proportionsschlüssel. Stuttgart 1849.

^) Die Proportionslehre der menschlichen Gestalt, 1854.

^) Handbuch der topographischen Anatomie, 1896, II, p. 256.


PROPORTIONSLEHRE UND KANON.


55



Fig. 20. Kanon von G. Fritsch und Merkeische Normalgestalt.

Als Modulus des Fritschschen Kanons dient die Länge der Wirbelsäule, gemessen vom unteren Rand der Nase bis zum oberen Rand der Symphyse in gerade gestreckter Haltung = a b. Dieser Hauptmodulus genügt, um alle übrigen Maße zu bestimmen.

Zunächst wird er in vier gleiche Teile ae, e f , fN und Nb geteilt; von diesen Untermoduli (= ^/i Modulus) wird einer, a c, in der Verlängerung von ab angefügt, um die Scheitelhöhe zu bestimmen; je ein Untermodulus bei e, eS und eS^ bestimmt den


56 PROPORTIONSLEHRE UND KANON.

Abstand der Schultergelenke SS^, je ein halber Untermodulus bei b, bH und b H^ gibt den Abstand der Hüftgelenke H H^

Verbindet man jedes Schultergelenk mit dem gegenüberliegenden Hüftgelenk, so schneiden sich die Verbindungslinien SH^ und S^H bei N im Nabel.

Zieht man von den Schultergelenken Linien durch a, so bilden deren Verlängerungen S adj und S^ad mit den von c ausgezogenen Parallelen cd und cd^ ein Quadrat, dessen quere Diagonale dd^ die Schädelbreite angibt.

Eine zu a S gezogene Parallele von e aus schneidet die Linie SHj in der Höhe der Brustwarze B, der die linke Brustwarze Bj entspricht.

Nun kann man die Länge der Extremitäten in folgender Weise

bestimmen:

Obere Extremität:

SBj rechtes Schultergelenk bis linke Brustwarze = S E Oberarm. BjN linke Brustwarze bis Nabel = EM Unterarm. NH Nabel bis Hüftgelenk = MP Hand.

Untere Extremität: HBj rechtes Hüftgelenk bis Unke Brustwarze = H K Oberschenkel. Bj Hj Hüftgelenk bis Brustwarze derselben Seite =:KF Unterschenkel. Die Höhe des Fußes ist (ungefähr) ein halber Untermodulus. Die gesamte Körperlänge ch ist gleich lo^js — 10V2 Untermoduli.

Fritsch nimmt die Fußhöhe = dem oberen Abschnitt der Linie eB, was einem halben bis drittel Untermodulus gleichkommt. Ich bin zu demselben Resultate gekommen, indem ich auf der Mittellinie cb fünf weitere Unter- moduli = b g und ein Drittel U m = g h abtrug und damit zugleich die Körper- länge ch bestimmte.

Merkel gibt nicht an, in welcher Weise er zur Konstruktion seiner weibhchen Normalgestalt gelangt ist; jedenfalls hat er sich nicht der Fritschschen Methode bedient, denn sonst hätte er sie unzweifelhaft erwähnt.

Umso auffallender ist es, daß er auf anderem Wege beinahe zu den gleichen Resultaten kommt, wie Fritsch, denn wir sehen aus der Figur, daß die Merkeische Gestalt bis auf kleine Abweichungen von einigen Millimetern mit den Fritschschen Maßen sich deckt. (Die Maße des Armes stimmen genau, sobald man sich die Schulter etwas gesenkt vorstellt.)


PROPORTIONSLEHRE UND KANON. 57

Froriep hat seiner Anatomie für Künstler^) acht Proportions- tafeln beigefügt, die zum Teil nach Liharzik konstruiert, nebenbei aber auch nach Kopfhöhen berechnet sind. Die achte Tafel stellt ein erwachsenes Weib von 25 Jahren vor. Trägt man bei dieser die Fritschsche Konstruktion ein, so stellt sich heraus, daß auch hier die Maße beinahe vollkommen sich decken; nur ist bei Froriep die Schädelbreite um i cm breiter und die Brustwarzen stehen tiefer.

Diese doppelte Uebereinstimmung spricht sehr entschieden für die Brauchbarkeit des Fritschschen Kanons, der abgesehen von der äußerst einfachen Konstruktion noch den Vorteil hat, daß auch durch einfache Berechnung ohne Konstruktion ein Teil der Maße bestimmt werden kann.

Ist der Modulus z. B. = 60, so ist der Untermodulus = 15, demnach SSj (Fig. 20) = 30, HHj = 15, ddj = 15, ch = 155. Zur ungefähren Vergleichung mit einer Berechnung nach Kopfmaßen kann man beobachten, daß der Abstand der Brustwarzen BBj ungefähr gleich ist der Kopflänge. Rechnet man die Ge- samtlänge auf 7^2 Kopflängen, dann verhält sich eine Kopflänge zu einem Untermodulus wie 772 zu loVs, also etwa wie 3 zu 4; im gegebenen Fall 3 Kopflängen (BBj = 20) von 20 = 4 Untermoduli von 15 = 60.

Richer^) hat die Proportionen ausschHeßHch nach Kopflängen bestimmt. Die weibHche Normalfigur von Richer (Fig. 21) kommt auf das Genaueste überein mit dem Fritschschen Kanon ^), außer zwei kleinen Abweichungen: die Scheitelhöhe ist bei Richer um etwas kleiner und die Länge des Vorderarms um etwas größer (auf der Zeichnung scheint der Unterschied noch stärker, weil die oberen Meßpunkte höher liegen als die etwas gesenkten Schultergelenke).

Auch die Geyersche Normalgestalt des Weibes von 8 Kopf- höhen (Fig. 22) stimmt mit dem Fritschschen Kanon in Rumpf und Gliedmaßen völlig überein. Beim Kopf zeigt sich ebenso wie in der Richerschen Figur eine etwas zu geringe Höhe.

Somit sind auf den verschiedensten Wegen Fritsch, Merkel und Froriep zu einer gleichen Normalgestalt gekommen, während auch


^) Zweite Auflage 1890.

-) Anatomie artistique, 1890, p. 169 und 252.

^) Diese Uebereinstimmung ist umso auffallender, als Richer, wie er mir mitteilte, diese weibliche Figur aus dem Gedächtnis so zeichnete, wie er sie für richtig proportioniert hielt.


PROPORTIONSLEHRE UND KANON.



Fig. 21.

Weibliche Normalfigur nach Richer,

verglichen mit dem Kanon von Fritsch.


Fig. 22.

Weibliche Normalfigur nach Geyer,

verglichen mit dem Kanon von Fritsch.


Richer und Geyer mit Ausnalime einer etwas geringeren Kopfhöhe dieselben Verhältnisse als normal aufstellten.

Wie ich mich durch zahlreiche Kontrollemessungen an Lebenden überzeugen konnte, erklärt sich dieser kleine Unterschied daraus, daß Merkel, Fritsch und Froriep sich an den Durchschnittstypus der weißen Rasse gehalten haben, dem auch der Type moyen von


PROPORTIONSLEHRE UND KANON. 59

Richer^) entspricht und der eine Körperhölie von 7^/2 — 7^/4 Kopf- höhen gleichkommt.

Die weibliche Normalfigur Richers und Geyers dagegen fällt ebenso wie der Type heroique von Richer in den Kanon von 8 Kopfhöhen, welcher sich über die Durchschnittsproportionen erhebt.

Langer ^) hat nach direkten Messungen an Lebenden ein Linear- schema aufgestellt. Da er ebenso wie Schmidt und Fritsch die Gelenke und das Knochengerüst als Grundlage seiner Messungen benützt, so decken sich seine Maße mit den obigen vollkomimen, was den Rumpf betrifft.

Bei den Extremitäten findet Langer, abweichend von Fritsch, daß Ober- und Unterarm, Ober- und Unterschenkel gleich lang sind^), die Endergebnisse sind aber die gleichen, trotz dieser Ver- schiedenheiten, die nur auf verschiedener Annahme der Meßpunkte beruhen.

Langer hat außer lebenden Menschen noch eine größere Anzahl antiker Statuen gemessen und dabei gefunden , daß namentlich die Figuren des Parthenon vollkommen mit den Normalverhältnissen lebender Menschen übereinstimmen.

Die bisherigen Betrachtungen haben demnach das folgende Er- gebnis.

Durch genaue vergleichende Messungen wohlgebauter Individuen gelangt man zu stets wiederkehrenden Normalmaßen, die im großen und ganzen trotz der verschiedenen Messungsmethoden stets die glei- chen sind. Von allen angewandten Methoden geben diejenigen die zuverlässigsten Resultate, die sich an unveränderhch feststehende, durch das Knochengerüst und die Gelenke bestimmte Punkte halten. Unter allen diesen Methoden verdient wiederum die von Fritsch den Vor-


') Bei dem männlichen »Type moyen« von Richer stimmen die Verhältnisse genau mit dem Fritschschen Kanon.

2) 1. c. p. 48.

^) Dieser Unterschied erklärt sich aus der Methode der Messung von Langer. Die Länge des Unterschenkels berechnet er nach dem unteren Rande des Wadenbeinknöchels; dieser liegt jedoch viel tiefer als das Gelenk; den Unterarm rechnet er von der Achse des Ellbogengelenks, die im Oberarmknochen liegt, bis in die Mitte des (doppelten) Handgelenks, wodurch der Unterarm auf Kosten von Oberarm und Hand um einige Zentimeter vergrößert wird.


60


PROPORTIONSLEHRE UND KANON.


zug, weil sie mit der Genauigkeit der Messung eine einfaclie Kon- struktion und bequeme Berechnung vereinigt und sich dadurch als Maßstab zur Beurteilung gegebener Figuren besonders eignet.



Fig. 23. Weibliche Norinalfigur nach Hay.


Fig. 24. Weibliche Normalfigur nach Thomson.


Diese Verhältnisse lassen sich sowohl an anderen Kanons als auch an normalen Exemplaren von Lebenden wiederfinden, ebenso wie in mustergültigen Darstellungen der idealen Menschengestalt.

Nun sei versucht, die gemachten Erfahrungen auch kritisch zu


PROPORTIONSLEHRE UND KANON



Fig. 25. Durchschnittsfigur der Amerikanerin von Sargent, verglichen mit dem Kanon von Fritsch.

verwerten zur Entdeckung von Fehlern in einer gegebenen Figur. Als Beispiel wähle ich zunächst die obenerwähnte weibliche Nor- malgestalt von Hay, die nach musikalischen Akkorden konstruiert ist (Fig. 23).


62


PROPORTIONSLEHRE UND KANON.


Trägt man den Fritsch- schen Modulus a b ein und konstruiert die nötigen Linien, so zeigt sich zu- näciist, daß die Beine viel zu kurz sind, und daß dieser Feliler hauptsächlich auf starke Verkürzung der Unterschenkel zu setzen ist, ein Fehler, der in den arbeitenden Klassen sehr häufig gefunden wird.

Das scheinbare Ebenmaß der Figur wird jedoch ge- rettet durch einen zweiten Fehler, nämlich durch eine starke Verkleinerung des Hauptes, die als eine Eigen- tümlichkeit bevorzugterGe- schlechter gilt.

Es werden also gewisser- maßen die plebejischen Beine durch einen aristo- kratischen Kopf verdeckt, und dadurch entsteht eine Gestalt, die vielleicht ein- mal vorkommen kann, jedenfalls aber kein Ideal ist.

Noch stärker sind die Fehler in der Thomson- schen Normalfigur (Fig. 24) ausgedrückt. Hier sind die Unterschenkel noch kürzer, das Haupt erscheint noch unproportionierter, weil das Gesicht im Verhältnis zum Schädel größer gehalten ist als bei Hay.



Fig. 26. Frau mit Rückgratsverkrümmung und Plattfuß bei richtigen Proportionen.


PROPORTIONSLEHRE UND KANON.


63


Auffallend ist, daß diese sogenannten Nor- malgestalten mit der gleichfalls bei angelsäch- sischen Frauen ermittel- ten Durchschnittsfigur von Sargent, die oben erwähnt wurde, in der Kürze der Beine über- einstimmen. Wenn man zu demUmriß derDurch-

schnittsamerikanerin Sargents (Fig. 25) den Fritschschen Kanon kon- struiert, so zeigt sich, daß diese, wenn auch weniger als ihre englischen Nor- malschwestern , in den Beinen verkürzt ist.

Da gerade unter den Engländerinnen der bes- seren Kreise schöne Ge- stalten mit langen Beinen häufig vorkommen , so ist wohl anzunehmen, daß Hay und Thomson nicht gerade die besten

Vertreterinnen eng- lischer Frauenschönheit zur Norm erhoben haben.

Weitere Beispiele fin-

j . , . , , Fig. 27. Rückansicht von Fisr. 26.

den sich m den oben-

erv/ähnten Werken von Fritsch. — Wenn man nun auch einerseits nach den Gesetzen der Proportionslehre im stände ist, eine ganze Reihe von Körpern als weniger schön oder häßlich auszuschalten, so ist andererseits doch wieder der Fall denkbar, daß ein völlig richtig



64


PROPORTIONSLEHRE UND KANON.


VII



Fig. 28. Schema von Fig. 26 verglichen mit dem Kanon von Fritsch.

proportionierter Körper dennoch häßlich ist; man braucht nur zu be- denken, daß trotz abschreckendster Magerkeit, trotz der unästhetisch- sten Fettleibigkeit ein Körper in seinen Längenmaßen richtig gebaut sein kann.

Ein merkwürdiges Beispiel, daß trotz richtiger Proportionen doch zahlreiche Fehler vorhanden sein können, bieten die Figuren 26,


PROPORTIONSLEHRE UND KANON. 55

27, 28, die photographischen Aufnahmen eines Eberleinschen Mo- dells von vorn (Fig. 26) und von hinten (Fig. 27) und der dazu konstruierte Kanon (Fig. 28).

Schon an der Vorderansicht bemerkt man, daß die rechte Hüfte scheinbar viel höher steht als die linke, daß die Luftiigur der Taillen- knickung zum Arme rechts viel stärker ist als links. Dies tritt auf der Rückansicht noch viel schärfer hervor, und dabei zeigt sich zu- gleich an der MitteUinie des Rückens, daß die Ursache dieser Un- regelmäßigkeit eine starke Rückgratsverkrümmung ist.

Da durch die seitliche Krümmung die Länge des Rumpfes stark verkürzt ist, so müßten unter sonst normalen Verhältnissen die Beine besonders lang sein. Dies ist aber nicht der Fall. Wie man sich mit dem Fritschschen Schlüssel überzeugen kann, stehen sie genau im Verhältnis zum Oberkörper. Der Grund dafür liegt darin, daß die Beine ebenfalls zu kurz sind, und zwar infolge des Plattfußes, der sich in der Ansicht von vorn durch das Fehlen der Wölbung am inneren Fußrande erkennen läßt.

So sind durch Rückgratsverkrümmung einerseits , durch Plattfuß anderseits Rumpf und Beine verkürzt, und durch das Zusammen- treffen dieser beiden Fehler ist das richtige Verhältnis der Proportio- nen wieder hergestellt.

Aus diesem Beispiel geht hervor, daß der Körper auch bei völlig normalen Proportionen fehlerhaft sein kann, und daß eben die richtigen Verhältnisse nur eines der zahlreichen Zeichen guter Kör- perbildung darstellen.

Wie bereits gesagt wurde, ist das dem Fritschschen Kanon zu Grunde hegende Maß die Länge der Wirbelsäule. Sämthche Körper- teile treten mit dieser, bezw. mit einem Viertel ihrer Länge (als Untermodulus) in Vergleichung. Vom Kopfe jedoch wird nach der Fritschschen Methode zwar die Scheitelhöhe, die Schläfenbreite und der untere Grenzpunkt des Hirnschädels, nicht aber auch die Kopf- höhe festgelegt.

Um auch dem Verhältnis des Rumpfes und der Gliedmaßen zur Kopfhöhe gerecht zu werden, empfiehlt es sich, die Fritschsche Kon- struktion durch eine Berechnung der Kopfhöhen zu vervollständigen, wie dies in den Figuren 22 und 28 geschehen ist.

St ratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers. 5


66


PROPORTIONSLEHRE UND KANON.


r


Vor der Einteilung in Kopfhöhen hat die Fritschsche Methode die größere Länge des Grundmaßes voraus, wodurch alle Fehlerquellen um so viel kleiner werden, und außerdem die anatomisch bestimmte Lage der meisten Meß- punkte innerhalb der Gelenke, die sich der Kopfhöhenmessung nicht einordnen lassen.

Bei der praktischen Anwendung kann die Auffindung des Meßpunktes, namentHch bei fetten Gestalten, einige Schwierigkeiten bereiten, die sich aber bei allen anderen Methoden von Messungen am Lebenden in gleichem Maße finden . Bei Mitgliedern anderer Rassen gestalten sich die Verhältnisse wesentlich anders. An mehr Ir als 600 Messungen konnte ich nachweisen, daß der Kanon der mongolischen Rasse sich durch Unterlänge sämtlicher Gliedmaßen, der der Ni- gritier durch Ueberlänge der Arme und Beine vom Kanon der weißen Rasse unterscheidet, während die meisten Naturstämme eine dem weißen Kanon entsprechende Beinlänge, dabei aber längere Arme aufweisen.

Das Endergebnis ist, daß der Fritsch- sche Kanon genau den normalen Durch- schnittsverhältnissen der weißen Rasse entspricht, und daß diese mit einer Kör- perhöhe von 7^/4 Kopf höhen zusammen- fallen.

Somit bildet der Fritschsche Kanon ein wert- volles, auf streng anatomischer Basis empirisch aufgebautes graphisches Hilfsmittel zur Unter- stützung und Berichtigung des Augenmaßes bei der Beurteilung des Körpers der weißen Rasse.

Geringere Abweichungen von den Fritschschen Proportionen nach oben und unten entsprechen den Spielarten der jeweiligen Indivi- dualität.


Fig. 29. Pasteursche Tangente.


PROPORTIONSLEHRE UND KANON. 67

Als oberste Grenze, wenn man will, als Ideal ergibt sich eine Gestalt, deren Körpermaße dem Fritschschen Kanon entsprechen, während der Kopf so viel kleiner ist, daß er achtmal in der Gesamthöhe enthalten ist (Richer, Geyer).

Dieses Idealverhältnis wird auch dann nicht gestört , wenn die Länge der Beine das Fritschsche Grundmaß um ein Geringes über- schreitet.

Wie gesagt, sind aber richtige Körperverhältnisse nur eines der verschiedenen Zeichen für die normale Bildung des Körpers. Je mehr er sich ihnen nähert, desto größeren Anspruch kann er darauf machen, für schön gebaut zu gelten.

Der Vollständigkeit halber sei hier noch auf ein weiteres Hilfs- mittel zur Beurteilung normaler Proportionen in der Profilansicht hingewiesen. Das ist die Pasteursche Tangente (Fig. 29). Diese von meinem Freunde J. D. Pasteur in Batavia angegebene Messung besteht darin, daß man bei einem in scharfes Profil eingestellten Körper eine Senkrechte zum hinteren Umriß fällt, die ihn dann an einer Stelle der Hinterbacke treffen muß. Bei völlig normalen Ver- hältnissen muß dieser Berührungspunkt (Fig. 29 c) die Senkrechte a b in zwei gleiche Teile a c =^ c b teilen.

Die Richtigkeit dieser Beobachtung können wir leicht durch Ver- gleichung mit den gegebenen Beispielen der normalen Kanons be- stätigen. Die Pasteursche Beobachtung ergibt den Schluß: Die Körpermitte liegt in einer horizontalen Ebene, welche bei normalen Proportionen die stärkste Wölbung des Gesäßes schneidet.


V.

Einfluß der Entwicklung und Vererbung auf den Körper.

Zur vollkommenen Gesundheit im naturwissenschaftlichen Sinne gehört in allererster Linie eine völlig regelmäßige Entwicklung des menschlichen Keimlings.

Schon vor der Geburt können sich Einflüsse geltend machen, die den normalen Verlauf der Entwicklung stören. Wer sich in die Geheimnisse der Entwicklungsgeschichte vertieft, staunt stets von neuem über die wunderbare Kraft der Natur, die aus mikroskopischen Anlagen ihr schönstes Gebilde, den Menschen zu zeitigen versteht und nur in seltenen Ausnahmefällen ihre Aufgabe nicht glänzend zu Ende führt.

Wie im Laufe der Jahrtausende aus dem Urschleim die Würmer, aus den Würmern die Amphibien, aus diesen nach unendlichen Zeiten die Menschengeschlechter sich entwickelt haben, so macht jedes mensch- liche Individuum in Zeit von wenigen Monaten den großen Entwick- lungsgang von der Zelle zum Wurm, und von diesem bis zum aus- gebildeten Menschenkinde durch ^).

Die kleinste Störung in diesem Entwicklungsgang kann die har- monische Ausbildung des Körpers vereiteln.

Wenn man einen strengen Maßstab anlegt, so muß man fordern, daß die Entwicklung des Körpers eine völlig symmetrische ist, d. h. daß die eine Körperhälfte genau das Spiegelbild der anderen ist. Dieser Anforderung dürfte jedoch kaum ein lebendes Wesen genügen; deshalb muß, um der Natur gerecht zu werden, eine leichte Asym- metrie als individuelle Abweichung, eine stärkere als Fehler aufgefaßt werden.

Stärkere Asymmetrien gehören jedoch zu den großen Ausnahmen.

1) Ausführliches darüber siehe: Stratz, Die Naturgeschichte des Menschen. Enke, Stuttgart 1904.


ENTWICKLUNG UND VERERBUNG. 6Q

Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, daß die Haupt- bestandteile des Körpers schon am Ende der ersten Schwangerschafts- monate in deutlich erkennbarer Form angelegt sind, aber zu einer Zeit, wo die ganze Länge des durchsichtig weißlichen Embryonal- körpers noch kaum die Länge eines Zentimeters erreicht hat.

.Fig. 30 zeigt einen menschhchen Embryo vom Ende des ersten Monats nach His in mehrfacher Vergrößerung und in seitlicher An- sicht. Das den Beschauer seltsam anmutende Gebilde gleicht einem aufgerollten Wurm mit kurzem Schwanz und dickem Kopf, Nase, Mund, Ohr und Augenblase sind im Keime schon deutlich zu er- kennen; die Gesichtsanlage ruht vornübergebeugt auf der mächtigen Herz Wölbung; die Gliedmaßen sind als flossenartige Anhänge aus dem Rumpfteil hervorgetreten, dem Rücken entlang zieht unter der durchsichtigen Haut der gegliederte Chordastrang, aus dem sich später die Wirbelsäule entwickelt. Unter dem Herzen führt der mächtige Bauchstiel nach dem mütterlichen Gewebe hin, das die Ernährung des Keimlings bewerkstelligt.

So sieht die erste, nur mit dem Mikroskop in seinen Einzelheiten erkenntliche Anlage des menschlichen Körpers aus.

Von der symmetrischen Entwicklung beider Körperhälften , auf die es hier in erster Linie ankommt, überzeugt man sich am besten , wenn man sich den Körper aufgerollt von vorn betrachtet

(Fig. 3 0-

Bei dieser Frontalkonstruktion ist der Kopf von der Herzwölbung

abgehoben. Das Gehirn erscheint in dieser Ansicht stark verkürzt. Darunter bildet der Mund einen breiten Spalt , der in die weit von- einander stehenden Nasenlöcher übergeht; die Augen liegen völlig seitlich über den Nasenlöchern. Unterhalb des Mundes ist der Körper noch nicht in der Mittellinie geschlossen. Die symmetrisch gestellten, mit /, //, /// und /f bezeichneten seitlichen Lappen sind die vier sogenannten Kiemenbogen, deren erster sich beim Menschen in zwei Lappen für Ober- und Unterkiefer spaltet, während der zweite, dritte und vierte zum Kehlkopf, Zungenbein und zum Verschluß des Halses zusammenwachsen. Zwischen erstem und zw^eitem Kiemenbogen liegt seitlich die Ohranlage.

Nach unten schließt sich die Herzwölbung an, die nach links


70


ENTWICKLUNG UND VERERBUNG.


etwas stärker vorgebuchtet ist als nach rechts. Zwischen Herz und Hals sind seitlich die oberen Gliedmaßenstummel zu erkennen.

Das untere Körperende mit den Beinanlagen und dem leicht nach links gekrümmten Schwänze ist im Verhältnis viel schwächer ent- wickelt.

Am Ende des zweiten Monats hat der Embryo eine Größe von 3 — -4 cm erreicht und hat sich der menschlichen Form schon viel stärker genähert (Fig. 32).

Die Extremitäten zeigen bereits eine deutliche Gliederung und

die fünfteiligen Endstücke, aus denen die Zehen und Finger sich bilden. Der Kopf ist größer, der Schwanz kleiner und kürzer geworden. Im Gegensatz zu dem Bild aus dem ersten Monat hat er hier eine Krümmung nach rechts, so daß sich schon in diesem zarten Alter leichte individuelle Unterschiede nachweisen lassen.

HäckeU) hat seinerzeit die außer- ordenthche AehnUchkeit verschiedener tierischer und menschlicher Embryonen in diesem Alter für seine Theorie der Affenabstammung der Menschen ins Feld geführt. Bei einiger Uebung erkennt aber der Eingeweihte solch ausgeprägte Verschiedenheiten, daß er im Keime die späteren Tiere deutlich erkennen kann. Kennzeichnend für den Menschen ist nament- lich die auffallend starke Entwicklung des Vorderhirns und dessen Ueberwiegen über den Gesichtsteil.

Es läßt sich leicht begreifen, wie zu dieser Zeit die geringste Ver- lagerung einer einzigen Zelle, die leiseste Störung in der gleichmäßigen Blutversorgung genügen kann, um die Symmetrie des werdenden Körperchens für immer zu zerstören.

Schon in dieser Zeit liegen aber auch die Keime des künftigen Geschlechtes, die von Eltern und Großeltern überkommenen Gesichts-



Fig. 30.

Menschlicher Embryo am Ende

des I. Monats (nach His).


'j Anthropogenie. I. Auflage, Leipzig 1874.


ENTWICKLUNG UND VERERBUNG.


71


Sti-lkdesO/m


Züge, ja selbst bestimmte Eigentümlichkeiten in Gang und Haltung in dem kleinen Körper verborgen.

Ja, man nimmt selbst an, daß ein großer Teil später auftretender Krankheiten, wie z. B. die meisten Geschwülste, als Keime schon mit auf die Welt gebracht wurden (Cohnheimsche Krebstheorie).

Zu den leichtesten Störungen in der gleichmäßigen Entwicklung gehören die sogenannten Muttermäler, die bei kaum einem Menschen fehlen. Sie sind nichts anderes als eine Anhäufung von kleinen Pig- mentzellen , Haarbalgdrüschen oder Gefäß- anlagen an unrichtiger Stelle.

Wichtigere Störungen linden sich als un- gleichmäßige Entwicklung der beiden Körper- hälften oder einzelner Organe. Wenn man genauer darauf achtet, so findet sich fast bei jedem eine wenn auch noch so leichte Asym- metrie, die oft kaum wahrnehmbar ist und sich durch Zufälligkeiten verrät.

Eine unbedeutende Verkürzung eines Beines zeigt sich beim Manne z. B. daran, daß sich der Rand der Hose an dieser Seite leichter ab- stößt, als an der anderen, bei der Frau an einer etwas stärkeren Rundung der Hüfte an der Seite des längeren Beins.

Ein etwas schiefer Nasenrücken ist oft nichts anderes als die Folge davon, daß die eine Gesichtshälfte kleiner ist als die andere, wodurch die Nase nach der kleineren Seite hin gebogen wird. Sehr häufig ist der Haarwuchs an einer Seite des Körpers kräftiger als an der anderen.

Ganz erstaunlich ist die Mannigfaltigkeit in der Entwicklung der Ohren. Das rechte Ohr kann normal sein, am linken kann das Läppchen fehlen, und umgekehrt.

Alle diese Störungen in der gleichmäßigen Entwicklung werden aber erst dann zu Fehlern, w^enn sie in auffallender Weise die Sym- metrie des Körpers stören. Wenn sie nur in geringem Grade vor- handen sind, so fallen sie innerhalb der Eigentümlichkeiten des individuellen Gepräges.

Alle Keime oder vielmehr die Anlagen dazu gehen von einem



Fig. 31-

Frontalkonstruktion

zu Fig;. 30.


72 ENTWICKLUNG UND VERERBUNG.

Menschengeschlecht auf das folgende durch Vererbung über, und so findet sich auch das individuelle Gepräge der Eltern in dieser oder jener Form in den Kindern wieder.

Welchen Einfluß die Erblichkeit ausübt, ist zunächst deutlich er- kennbar an der sogenannten Familienähnlichkeit. Jedoch läßt sich diese Famihenähnlichkeit meist erst in der späteren Entwicklung erkennen, und dabei ist es eigentümlich, daß man sehr häufig in den heranwachsenden Kindern nicht die Züge der Eltern, sondern die der Großeltern zurückfindet. Darum wird heiratslustigen Jünglingen ge- raten , sich bei der Wahl eines Mädchens nicht nur deren Mutter, sondern auch beide Großmütter erst gründlich anzusehen.

Noch merkwürdiger ist das Wiederauftauchen einer älteren Form in einem späteren Geschlechte, wie etwa die Aehnlichkeit der jüngsten Tochter mit der nur noch im Bilde bekannten Ahnfrau.

Zu den interessantesten und merkwürdigsten Erscheinungen gehören die in ganzen Generationen oder in einzelnen Individuen wieder auf- tretenden Körperbildungen, die auf einen vor viel Tausenden von Jahren durchlaufenen Zustand des Menschengeschlechts hinweisen.

Die seltenen Haarmenschen, geschwänzte Menschen und ähnliche an das Fabelhafte grenzenden Geschöpfe kommen hier ebensowenig in Betracht, als die eigentümlichen Bildungen innerer Organe, wie des Blinddarms, gewisser Knochen und Muskeln, weil die ersteren an und für sich eine normale Körperbildung ausschließen, die letzteren zu un- bedeutend sind, um die äußere Körperform wesentlich zu beeinflussen.

Dagegen gibt es eine ganze Reihe von vererbten, zum Teil noch in Umw^andlung begriff"enen Körpereigenschaften, wie die Bildung des Fußes und der Hand, die für unsere Zwecke von Bedeutung sind.

Von ganz besonderer W^ichtigkeit für den weiblichen Körper ist eine eigentümfiche Bildung über der Brustdrüse, auf die Balz zuerst aufmerksam gemacht hat^). Balz fand bei Japanerinnen außer- ordenthch häufig einen Fettwulst, der sich von den Brüsten nach den Schultern hin erstreckte. Bei genauerer Untersuchung zeigten sich oft in der Haut dieser Wülste kleine Pigmentablagerungen, ein Wärzchen oder Grübchen, oft auch nur ein Haarwirbel, welche Balz als Spuren

^) Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft, i6. März 1901. Ed. Balz. Die Menschenrassen Ostasiens.


ENTWICKLUNG UND VERERBUNG.


73


einer überzähligen Brustdrüse auffaßte und als »Oberhrust« be- zeichnete.

Wenn sich dieser Fettwulst bei der weißen Rasse auch nicht so häufig findet wie bei der gelben, so ist er doch in vielen Fällen mehr oder weniger deutlich ausgeprägt.

Entwicklungsgeschichtlich ist die Oberbrust darum von besonderer Bedeutung, weil sie auf eine früher von der Menschheit durchlaufene



Fig. 32. Menschlicher Embryo am Ende des 2. Monats (nach His).

Stufe der Vielbrüstigkeit hindeutet, welche heute noch zahlreichen Säugetieren eigen ist.

Eine sehr deutlich ausgesprochene Oberbrust besitzt eine 20jährige Münchnerin (Fig. 33), bei welcher sie besonders an der rechten Seite leicht erkannt werden kann.

Fig. 34 zeigt die Umrisse dieses Mädchens, in dessen linke Kör- perhälfte die Stellen eingetragen sind, an denen bisher bei verschie- denen Menschen überzählige Brustdrüsen gefunden wurden. Außer den heute noch vorhandenen Brüsten sind es je sieben Punkte auf jeder Seite, woraus geschlossen werden darf, daß in uralten Zeiten die menschlichen Weiber mit 16 Brüsten begabt waren und wahrschein- lich auch eine dementsprechende Zahl von Kindern zu säugen hatten.


74


ENTWICKLUNG UND VERERBUNG.



^"'g- 33- 20Jähriges Mädchen mit Oberbrust.

Ueber die Häufigkeit der Oberbrust bei der weißen Rasse bestehen keine Angaben. Offenbar aber ist sie häufiger, als man bisher annahm.


ENTWICKLUNG UND VERERBUNG.


75


In ihrer rudimentären Bildung als Fettwulst, der sich dem weib- lichen Drüsenkörper als obere Fortsetzung anlegt, findet sie sich sogar in Idealgestalten der griechi- schen Kunst, wie z. B. in der Venus von Milo (vgl. Fig. 5).

Von unserem Standpunkt aus muß die Oberbrust bei aus- gesprochener Bildung als ein individueller Rückschlag auf eine niedrigere Entw^icklungs- stufe und darum als ein körperlicher Fehler angesehen werden.

Denn da heutzutage in der Regel ein, höchstens zwei Kin- der geboren werden, so er- scheint eine größere Zahl von Brüsten unzweckmäßig und unnatürlich.

Als normal im Sinne der heutigen Bildung des Weibes darf nach den Untersuchungen von Balz eine durch diese

entwicklungsgeschichtlichen Gründe bedingte größere oder geringere Fettablagerung ange- sehen werden, welche den Hautwulst über der Brust stärker vorwölbt.

Diese Beobachtung ordnet sich den Gesetzen des Kampfes ums Dasein unter, in dem durch die natürliche und geschlechtliche Zucht- wahl die jeweils besten Individuen ihre guten Eigenschaften auf die Nachkommen fortpflanzen, während die für veränderte Daseinsbedin- gungen weniger gut beanlagten Individuen und deren Nachkommen allmählich ausgeschaltet werden.

Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Nachkommen zweier Indivi- duen umso kräftiger sind, je weniger die Familien selbst miteinander verwandt sind, daß hingegen bei zahlreichen Heiraten innerhalb einer



Fig. 34. Umrißzeichnung von Fig. 33 mit An- gabe der Stellen, wo überzählige Brustdrüsen srefunden wurden.


76 ENTWICKLUNG UND VERERBUNG.

Familie das Geschlecht mehr und mehr entartet, und zwar zunächst psychisch, dann aber auch körperlich.

Die Erklärung für diese Tatsache ist sehr einfach: Kein Mensch ist vollkommen normal. Vereinigen sich zwei Menschen verschiedener Familien , so ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen , daß einer der Beteiligten andere Fehler hat als der andere. Die Kinder können nun, wie die Vorzüge, so auch die Fehler ihrer Eltern erben, jedoch werden die Fehler des einen Individuums durch die Vorzüge des anderen verdeckt werden. Vereinigen sich jedoch zwei Indivi- duen derselben Familie, die neben den gleichen Vorzügen die gleichen Fehler besitzen, so werden die Kinder die Fehler sowie die Vor- züge der Eltern in erhöhtem Maße zeigen. Je häufiger ähnliche Verbindungen in einer Familie vorkommen, desto stärker werden in den Nachkommen ihre Fehler sowie ihre Vorzüge ausgeprägt sein.

Wie die Menschen im allgemeinen geneigt sind, eher die Fehler als die Vorzüge ihrer Nebenmenschen anzuerkennen , so wird im besonderen unter Heredität oder Erblichkeit meist die Uebererbung von Fehlern, nicht aber von Vorzügen verstanden, und wenn man von einem erblich belasteten Menschen spricht, so versteht man darunter meist das Erbteil an Fehlern, das er seinen Vorfahren zu danken hat.

Hier tritt nun aber der Kampf ums Dasein in seine Rechte und läßt nur die jeweils besten Individuen durch lange Reihen von Ge- schlechtern ihre Eigenschaften vererben, während die schlechter bean- lagten Individuen untergehen.

Das Menschengeschlecht müßte sich demnach zu einer stets schöner und kräftiger blühenden Sippe gestalten, wenn es im heutigen Kampfe ums Dasein nicht mehr noch auf geistige als auf körperliche Eigenschaften ankäme.

Außerdem aber ist dem kurzlebigen Menschenverstand der End- zweck alles Daseins ein Buch mit sieben Siegeln. Eigenschaften, die heute als Tugenden erscheinen , können morgen unter veränderten Lebensumständen Fehler sein.

Von den verschiedenen Menschenrassen steht heute die weiße entschieden am höchsten ; damit darf auch ihr Schönheitsbegriff als der höchststehende angesehen werden. Man sagt, daß der Europäer stets die europäische Frau am schönsten finden wird, der Chinese


ENTWICKLUNG UND VERERBUNG. 77

dagegen die Chinesin, der Neger die Negerin, der Hottentotte die Hottentottin. Daraus will man ableiten, daß der Scliönheitsbegriff individuell und undefinierbar ist.

Es läßt sich daraus viehiiehr ableiten, daß der SchönheitsbegrifF mehr oder minder entwickelt ist, und daß ein Hottentott geringere Ansprüche stellt als ein Neger, dieser geringere als ein Chinese und so weiter. Maßgebend ist allein die Auffassung des höchstentwickelten Individuums, und es erscheint mir nicht zweifelhaft, daß die weiße Rasse und ihre Stammverwandten auf den ersten Platz mit Recht Anspruch erheben dürfen.

Der schlagendste Beweis ist, daß diese Rasse nicht nur in Europa selbst, sondern auch in allen anderen Weltteilen die übrigen allmäh- lich zurückdrängt und ausrottet. In Amerika sind jetzt schon die Rot- häute zu zählen, in einigen hundert Jahren wird man mit Schaudern in alten Märchen lesen, daß es Menschen mit schwarzer Haut gegeben hat.

Wenn auf Grund ihrer Erfolge im Kampf ums Dasein der weißen Rasse der erste Platz in der naturwissenschaftlichen Rangordnung gebührt, so werden wieder unter den weißen Frauen diejenigen am höchsten stehen, die sich am weitesten von den Merkmalen anderer Rassen resp. von den mehr tierischen Formen entfernt haben.

Mit Rücksicht auf die Entwicklung läßt sich demnach sagen, daß jeder Körper den Anspruch auf normale Bildung verHert, bei dem die Symmetrie beider Körperhälften in deutlich erkennbarer Weise gestört ist.

Was die durch Vererbung veranlaßten Körperfehler anbetrifft, so können es entweder Rückschläge auf frühere Stufen menschlicher Bildung sein, oder aber individuelle Anhäufungen einer besonderen Eigentümlichkeit, welche die Harmonie der Körperformien zerstört.

Zu diesen letzteren kann zum Beispiel eine von zwei großnasigen Eltern ererbte noch größere Nase gehören, die besonders beim Weibe das Gesicht in hohem Maße verunziert.

Für die Beurteilung des weiblichen Körpers läßt sich mit Be- ziehung auf die Entwicklung eine möglichst gleichmäßige, sym- metrische Ausbildung beider Körperhälften verlangen, und mit Bezug auf die Vererbung eine sorgfältige Beachtung und Ausschaltung un- günstiger Einflüsse früherer Geschlechter.


VI.

Einfluß von Geschlecht und Lebensalter.

Mit sehr viel Sctiarfsinn, aber mit noch mehr Einseitigkeit haben verschiedene Anthropologen (Albrecht, Delanna}-) und Philosophen (Lotze, Schopenhauer u. a.) nachzuweisen versucht, daß das Weib tiefer als der Mann und dem Affen näher stehe, oder sie betrachten das Weib als ein niederes, dem Kinde näher verwandtes Entwick- lungsstadium.

Hauptsächlich Charcot, Richer und deren Schüler haben auf Grund sorgfältiger Naturbeobachtungen einige Klarheit in die Frage gebracht. Eine sehr sorgfältige Zusammenstellung aller Geschlechtsunterschiede findet sich in dem Buche von EUis: »Mann und Weib«.

Ohne mich hier auf nochmalige Kritik entgegengesetzter Ansichten einzulassen, stelle ich mich auf den von der Charcotschen Schule vertretenen Standpunkt.

Danach stehen Mann und Weib in ihrer Vollendung als zwei in sich abgeschlossene Typen nebeneinander ^), deren jeder sich gleich- weit, doch in verschiedener Richtung, von dem ursprünglichen, kindlichen Typus entfernt hat.

Hunter hat zuerst einen Unterschied zwischen primären und se- kundären Geschlechtscharakteren gemacht.

Wir können als primäre Geschlechtscharaktere die Geschlechtsteile als solche auffassen, als sekundäre alle diejenigen Veränderungen des kindlichen Körpers, die ihm das weibliche bezw. männliche Gepräge verleihen.

Die wichtigsten sekundären Geschlechtscharaktere des Weibes sind: zarter Knochenbau, runde Formen, Brüste, breite Hüften, reiche lange Kopfhaare und Fehlen der Körperhaare außer in den Achsel- höhlen und am Schamberg.


^) Plato, Symposion: Die beiden Hälften, die sich suchen.


GESCHLECHT UND LEBENSALTER. 7g

Die wichtigsten sekundären Geschlechtscharaktere des Mannes sind: hoher Wuchs, kräftiges Skelett, starke Muskeln, eckige Formen, breite Schultern, schmale Hüften, Bart und Körperbehaarung.

Die sekundären Geschlechtscharaktere sind deutlich aus den Figuren ^^ — 38 zu erkennen, welche die männliche und weib- liche Normalgestalt nach Merkel darstellen^). Für den Rumpf sind die Maße der Merkeischen Normalfiguren :

Mann Weib

Körperlänge 165,5 158

Schulterbreite 47 37

Taillenbreite 25 23

Hüftbreite 32,5 34

Abgesehen von der absoluten Größe der Maße ist namentlich wichtig, daß der Unterschied zwischen Hüftbreite und Schulterbreite beim Manne 14,5, beim Weibe nur 3 cm beträgt. Das Ueberwiegen der Hüften im Verhältnis zu den Schultern ist der wichtigste von den sekundären Geschlechtscharakteren des Weibes.

Weiter sieht man aus diesen Figuren die größere Zierlichkeit des Skelettes und die größere Breite des Beckens, sowie die durch Ausbildung der Brustdrüsen veränderte Gestalt des Oberkörpers und die runderen Formen des Weibes.

Entschieden den größten Einfluß auf den Aufbau des Körpers hat die Gestalt des Beckens, dessen Form ja auch mehr als die übrigen Körperteile vom primären Geschlechtscharakter bedingt wird. Die Fortpflanzungsorgane liegen beim Weibe innerhalb des Beckens, beim Manne größtenteils außerhalb ; schon darum allein muß das weibliche Becken viel geräumiger sein als das männliche.

Noch deutlicher als in den Merkeischen Figuren erkennt man die Unterschiede des männlichen und weiblichen Beckens in den Becken- umrissen nach His-Spalteholz-), welche in Fig. 39 in der Ansicht von vorn unten dargestellt sind.

Beim Weibe ist das Kreuzbein (5) breiter und kürzer, die Becken-

^) Fr. Merkel, Handbuch der topographischen Anatomie. Vieweg, 1896, Bd. II, p. 182 und 256. Autor und Verleger waren so liebenswürdig, die Re- produktion der vortreffUchen Figuren zu gestatten. Die Verhältnisse der Re- produktion zum Original sind 138 : 165; die Originale sind ^lo natürliche Größe.

-) Anatomischer Atlas. Leipzig, Hirzel, 1896.


80


GESCHLECHT UND LEBENSALTER.



Fig. 35.

Männliche Normalgestalt

nach Merkel.


^


Fig. 36- Weibliche Normalgestalt nach Merkel (vgl. Fig. 9).


schaufeln (z/) laden stärker aus, sind flacher, niedriger und breiter, die vordere Vereinigung der Schambeine (P) ist niedriger und die aufsteigenden Aeste des Sitzbeins {TP, T P^ vereinigen sich beim Weibe in einen stumpfen, beim Manne in einen spitzen Winkel «tpt).


GESCHLECHT UND LEBENSALTER.


81



Fig. 37- Männliche Normalgestalt von hinten nach Merkel.


Fig. 38.

Weibliche Normalgestalt von hinten nach Merkel.


Im ganzen ist demnach das weibliche Becken viel breiter, nied- riger, flacher und geräumiger als beim Manne.

Die Lage des Beckens innerhalb des Körpers ist aus Figur 40 ersichtlich, die nach Knochendurclischnitten verschiedener gefrorener Leichen konstruiert ist. Ohne weiteres läßt sich zunächst auch in

St ratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers.


82


GESCHLECHT UND LEBENSALTER.


der Profilansicht erkennen, daß die Beckeneingangsebene (^E) ebenso wie die Beckenausgangsebene (^A) beim Weibe sehr viel größer ist als beim Manne.

Die Entfernung E, welche die geburtshilflich außerordentlich wichtige Konjugata darstellt, ist nach Waldeyer^) beim Manne im Durchschnitt lo, beim Weibe ii cm. Dieser Unterschied ist umso

bedeutender mit Rücksicht auf die größere Körperhöhe des Mannes.

Die Entfernung A beträgt beim Manne nach Waldeyer-) 7,5— 9,5,beiderFrau9— II cm. Einen weiteren wichtigen Unterschied zeigt die B e ck e n- neigung. Denkt man sich durch den unteren Endpunkt der Linie E eine Horizontale (////) gelegt, so bilden diese Linien beim Weibe einen viel größeren Winkel (-j- 60 °) als beim Manne (-[- 45 ") , das heißt also mit anderen Wor- ten, daß die Beckenneigung

F'g- 39- Umrisse des männlichen (yl/) und weib- i t-u -i i • i n •

liehen {IV) Beekens von vorn unten. des Weibes Sehr Viel großer ISt.

Allgemein wurde bisher angenommen, daß der Lendenteil der weiblichen Wirbelsäule größer sei. Merkel hat nachgewiesen, daß dies allerdings der Fall ist, wenn man die Vorderseite der Lendenwirbel mißt, daß man aber genau das umgekehrte Verhältnis findet bei Vergleichung der Rück- seite der Lendenwirbelkörper, denn da sind die des Mannes größer. Daraus folgt, daß die weibliche Wirbelsäule in der Lendenkrüm- mung stärker gebogen ist als die männliche, eine Tatsache, die mit der stärkeren Neigung des weiblichen Beckens in Zusammenhang steht. Für die äußere Form des Körpers ergibt sich aus dieser

^j Das Becken. F. Cohen, Bonn 1899. 'j 1- c. p. 55-



GESCHLECHT UND LEBENSALTER.


83


Beobachtung als weherer Geschlechtscharakter, daß das weibliche Kreuz mehr eingezogen und die Rückenlinie im Profil stärker ge- bogen erscheint als die des Mannes.

Dieser Unterschied zeigt sich deutlich in Fig. 41.

Zu dieser durch das Skelett verursachten Gestaltung der Becken- gegend kommt ferner noch die verschiedene Verteilung des Unter- hautfettes. Diese bedingt zunächst durch seine stärkere Entwicklung


  1. --



H


Fig. 40. Beckendurchschnitt von Mann und Weib.

beim Weibe dessen rundere Formen; außerdem aber häuft es sich beim Weibe an gewissen Stellen des Körpers mehr an als beim Manne. Nächst der bereits erwähnten Oberbrust ist es beim Weibe stärker entwickelt in der Nabelgegend, namentlich aber an den Hüften, den unteren Teilen des Rückens und den Oberschenkeln.

Beim Manne liegt ein mäßiger Fettwulst oberhalb der hinteren oberen ßeckengrenze, beim Weibe steigt das Unterhautfett ziemlich gleichmäßig vom Oberschenkel über die Hüften bis zu dieser Stelle empor.

Die dadurch bedingten Unterschiede in der äußeren Gestaltung der Körperoberfläche bei beiden Geschlechtern hat R icher ^) sorg-

') Anatomie artistique.


84


GESCHLECHT UND LEBENSALTER.


fältig beschrieben. Seiner mustergültigen Darstellung ist Figur 42 entnommen.

Die sekundären Geschlechtscharaktere prägen sich beim Mädchen schon früher aus als beim Knaben^). In sehr schöner Weise treten sie in Erscheinung bei einer Gruppe von Plüschow (Tafel 11)^ die ein 13 jähriges Mädchen und einen 15jährigen Knaben aus Rom darstellt.



Fig. 41. Weiblicher und männlicher Torso im Profil nach Thomson.

Beide haben noch den kindlichen Ausdruck im Gesicht und im Körper, der noch nicht sein volles Wachstum erreicht hat. Doch schon treten beim Knaben die Muskeln an Armen und Beinen stärker hervor, die Gesichtszüge nehmen das schärfere männliche Gepräge an, während beim Mädchen die Formen sich runden und weicher werden; besonders in den Oberschenkeln ist der Unterschied des Ge- schlechtes deutlich ausgeprägt. Der Knabe zeigt die verlegene Haltung des werdenden Jünglings, das Mädchen die verschämte der werdenden Jungfrau.

^) Vgl. Stratz, Der Körper des Kindes. F. Enke. II. Aufl. 1904.


GESCHLECHT UND LEBENSALTER.


85


Mit vollendetem Wachstum entfernt sich der Mann immer mehr von der kindlichen Form, während die Frau sich die zarte Haut, die weicheren Formen, das haarlose Gesicht zeitlebens bewahrt.

In den Figuren 43 und 44 sind zwei nach dem Leben gemachte



Fig. 42. Rückansicht von Mann und Weib nach Richer.

i 000 Stärkere Anhäufung von Fett.

Aufnahmen völlig normal proportionierter Menschen einander gegen- übergestellt, welche in kräftigster Entwicklung die Verschiedenheit der Körperform bei beiden Geschlechtern zum Ausdruck bringen.

Trotzdem bei der Frau die Muskeln besonders kräftig, bei dem Manne die Formen durch etwas Fettansatz gemildert sind , so sind doch die Linien bei dem weiblichen Körper unendlich weicher, und


86


GESCHLECHT UND LEBENSALTER.


das Ueberwiegen der Hüftgegend beim Weibe, der Brustgegend beim

Manne springt deutlich ins Auge.

An dieser Stelle genügt es, auf diese

Hauptmerkmale der körperlichen Unterschiede bei- der Geschlechter hinzuweisen. Bei Betrachtung der einzelnen Körper- teile werden sich noch zahlreiche weitere Merkmale ergeben.

Der Körper des Weibes ist umso vollkom- mener, je reiner er die sekundä- renGeschlechts- m e r k m a 1 e be- sitzt.

Um Mißver- ständnisse zu ver- meiden, sei noch besonders hervor- gehoben, daß nicht

Flg. 43. Weibliche Normalgestalt. etwa daS Weib mit

den breitesten Hüften und größten Brüsten auch das schönste ist. Es handelt sich nicht um die Quantität, sondern um die Qualität der geschlechtlichen Charaktere.



GESCHLECHT UND LEBENSALTER.


87


In Laienkreisen ist die Ansicht vielfach verbrei- tet, daß aus der Breite der Hüften und der Größe der Brüste auf die größere Gebärfähigkeit, und von ihr auf das naturwissen- schaftliche Zweckmäßig- keitsideal des Weibes ge- schlossen werden kann.

Die Erfahrung lehrt indessen, daß gerade die fettesten Brüste am we- nigsten Milch liefern, und daß sehr häufig gerade die breitesten Hüften bei schlechtgebauten, platten Becken zu finden sind.

In den Ehen, in denen die Kinderlosigkeit nicht von der sehr viel häufi- gerenUnfruchtbarkeit des Mannes, sondern von dem Weibe herrührt , zeigt dieses meistens ein sehr ausgesprochenes, ja oft übertrieben weibliches Gepräge und außerge- wöhnlich starke Neigung zu Fettansatz.

In allen Fällen, in denen die primären Ge- schlechtscharaktere nicht gut ausgebildet sind, bei den sogenannten Hermaphroditen, sind auch die sekundären Geschlechtscharaktere Misch- formen vom männlichen und weiblichen Typus.

Es gibt Fälle, wo selbst erfahrene Aerzte nur mit dem Mikroskop



Fig. 44. Männliche Nonnalgestalt.


88


GESCHLECHT UND LEBENSALTER.


entscheiden konnten, ob es sich um einen inännHchen oder weib- lichen Zwitter handelte^).

Abgesehen von diesen Fällen von wirklicher oder scheinbarer Zwitterbildung gibt es aber eine ganze Anzahl Weiber mit nor- malem priniciren Geschlechtscha- rakter, deren sekundäre Ge- schlechtsmerkmale trotzdem An- näherung an den männlichen resp. kindlichen Typus zeigen.

Es läßt sich auf Grund der bis jetzt bekannten Tatsachen nicht ausmachen, ob nicht in solchen Fällen stets eine mangelhafte Entwicklung der Geschlechtsteile mit im Spiele ist.

Man bezeichnet das Stehen- bleiben des Körpers auf kindlicher Entwicklungsstufe als Infanti- lismus, die Neigung zu männ- licher Körperbildung als Viri- lismus.

Ein sehr schönes Beispiel von weibhchem Infantilismus hat Meige*) beschrieben. Das be- treffende Mädchen ist 30 Jahre alt und hat das Aeußere einer etwa Zwölfjährigen. Sie litt an Hysterie; die Genitalien waren Fig. 45. iniantilismus der Frau nach Meige. normal, jedoch in ihrer Ent- wicklung gleich dem Körper zurückgeblieben. Dieser Körper zeigt



') Sänger, Pozzi, Neugebauer. Vgl. Zentralblatt für Gynäkologie, 1898, p. 389 ff. fNr. 15).

^) Nouvelle Iconographie de la Salpetriere, 1895, p. 218.


GESCHLECHT UND LEBENSALTER.


89



den ausgeprägt kindlichen Bau ohne irgend welchen sekundären Ge- schlechtscharakter (Fig. 45). Die Brüste fehlen, der Körper ist völlig unbehaart; weder Hüften und Ober- schenkel, noch Arme und Schultern zeigen den Fettansatz des reifenden oder gereiften Weibes; der Rumpf ist gleichmäßig zylindrisch, in der Taille nicht eingezogen, das Becken ist schmal, der Bauch wölbt sich vor und geht ohne scharfe Ab- grenzung in den Schamberg über.

In Fig. 46 ist ein Münchener Kind von 12^,2 Jahren mit völlig normalem Körper abgebildet; die Uebereinstimmung in der Entwick- lung springt ohne weiteres in die Augen.

Ausgeprägte Formen von In- fantilismus finden sich ebenso wie ausgeprägter Virilismus sehr selten. Für letzteres spricht ja schon der Umstand, daß Frauen mit Barten in Schaubuden und auf Jahrmärkten als Sehenswürdigkeiten gezeigt wer- den. Leichtere Grade beider Phä- nomene sind jedoch gar nicht so außerordentlich selten, unter 100 darauf hin untersuchten Frauen habe ich 4 mit mehr männlicher, 2 mit mehrkindlicherGestaltunggefunden.

Wenn auch der ausgeprägte Typus der virago, des Mannweibes, leicht zu erkennen ist, so erheischt die richtige Ausschaltung der ans Männliche streifenden Formen in vielen Fällen doch eine sehr sorg- fältige Untersuchung, ja sogar Bestätigung durch Meßinstrumente.



46.


^Mädchen von 12^2 Jahren aus München.


QO


GESCHLECHT UND LEBENSALTER.



Fig. 47. iSjähriges Mädchen aus Wien mit männlichen Kurperformen.

Einen leichten Grad von Virilismus zeigt der Körper eines i8jäh- rigen Mädchens aus Wien (Fig. 47).


GESCHLECHT UND LEBENSALTER.


91



Fig. 48. Ausgesprochener Virilismus der P'rau.


Die Brüste sind nur wenig entwickelt, die Brustwarzen klein mit sehr schmalem Warzenhof.

Die sehr breiten und kräftigen Schultern, die wenig ausgeprägte


92 GESCHLECHT UND LEBENSALTER.

Tailleneinziehung, die verhältnismäßig schmalen Hüften, die spitzzu- laufenden Leistenhnien , die geringere Abrundung der Oberschenkel verleihen der Gestalt ein mehr männliches, kräftiges Gepräge.

Der kindhchen Bildung entwachsen, vereinigt dieser Körper die Merkmale des Jünglings und der Jungfrau, und erinnert an die Herma- phroditendarstellungen der klassischen Künstler.

Eine ausgesprochen männliche Bildung trotz deutlicher Zeichen des weiblichen Geschlechts findet sich in Fig. 48. Weiblich sind nur die langen Haare und die Brustdrüsen. Die breiten Schultern, die kaum angedeutete Taille, die schmalen Hüften, die verhältnismäßig dünnen, muskelkräftigen Oberschenkel und Beine, die scharf ge- schnittenen Gesichtszüge, das starke vorspringende Kinn tragen ausge- sprochen männlichen Charakter.

Bei der Beurteilung des weiblichen Körpers sind dem Gesagten zufolge alle ausgesprochenen Anklänge an kindliche und männliche Formen , die den reinen Charakter des Weibes beeinträchtigen , als ebensoviele Fehler auszuschließen.

Geringere Fehler dieser Art, wie z. B. schlecht entwickelte Brüste (infantil) oder eine stärkere Körperbehaarung am Unterleib, zwischen den Brüsten, an der Oberlippe (viril) finden sich gar nicht so selten.

Es mag scheinbar ebenso paradox klingen, wenn noch besonders hervorgehoben wird, daß das Lebensalter einen Einfluß auf die Kör- pergestaltung ausübt; denn jeder weiß, daß ein kleines Mädchen und eine alte Frau anders aussehen als eine Frau in ihrer Blüte. Was ich hier hervorheben möchte, ist, daß eben diese Blüte bei der einen Person früher, bei der anderen später eintritt, daß darin eine große individuelle Schwankung besteht.

Jede Frau erreicht im Laufe ihres Lebens eine höchste Blüte, die, bildlich dargestellt, den höchsten Punkt einer Kurve bildet, welche im Kindesalter aufsteigend, im höheren Alter absteigend gedacht ist.

Diese Schönheitskurve kann in einem Falle sehr rasch ansteigen, um ebenso rasch wieder abzufallen, und wir haben dann vor uns die sogenannte Beaute du diable, ein Begriff, der nur in der fran- zösischen Sprache besteht.

In anderen Fällen wieder steigt die Kurve sehr langsam an, um


GESCHLECHT UND LEBENSALTER.


93


ebenso langsam wieder zu sinken, der Höhepunlct dieser Kurve tritt später ein , erreicht aber eine absolut größere Höhe als im ersten Fall, die absteigende Kurve sinkt viel langsamer (Fig. 49).

Das Lebensalter, in welchem die höchste Höhe erreicht wird, ist sehr wechselnd. Namentlich bei südlichen Völkern wird sie oft schon im 14. bis 15. Jahre erreicht, bei germanischen Stämmen, bei Deutschen, Holländerinnen, Skandinavierinnen und Engländerinnen meist mit dem 20. Lebensjahre oder noch später. Mir sind Fälle


Jahre


5


10


15


20


25


30


35


40


45


50


55





yi


^


X __



^


\


s^










/ 1 M 1


\






X


V.






f 1


\







^^





/


/


\


\







\^




/


/



V







^




/-













/-












>






^^








^













^













X '






N.








^ '













r /







^s^







/







"-~


























" - — _











Schönheitslturve '


"— «— = Beaute dudiable Flg. 49.


bekannt, in denen erst im 30. und 33. Jahre die volle Blüte er- reicht wurde.

Eine geistreiche Künstlerin machte mir einst die folgende Be- merkung: Der Endzweck der Frau ist, iMutter zu werden; die Frau hat demnach ihre höchste Blüte erreicht, wenn sie schwanger ist; also muß eine schöne Frau am schönsten sein, wenn sie schwanger ist.

Ich erwiderte ihr, daß dies wirklich der Fall ist, wenn nämlich der Zeitpunkt der höchsten Blüte mit dem ersten Monat der ersten Schwangerschaft zusammenfällt. Denn mit dem Eintreten der Schwanger- schaft wird, wie jedem Arzt bekannt ist, der Stoffwechsel erhöht, alle Gewebe sind strotzend gefüllt, das Likarnat der Haut ist zarter und lebhafter, die Brüste werden praller und härter. Dadurch wird der Reiz der vollen Blüte gesteigert bis zu dem Augenblick, wo das


94 GESCHLECHT UND LEBENSALTER.

Schwellen des Leibes im weiteren Verlauf der Schwangerschaft die Harmonie der Formen beeinträchtigt.

Wie wenig eigentlich das Lebensalter einer Frau an ihrem Aeußeren erkannt werden kann, dafür ist das oben abgebildete 30jährige Mäd- chen (Fig. 45) ein sprechender Beweis.

In demselben klassischen Werke, dem dieses Bild entnommen ist, haben Souques und Charcot unter dem Namen von Geromorphisme cutane die 21 jährige Amandine beschrieben, die trotz ihres jugend- lichen Alters mit ihrem gerunzelten Körper den Eindruck einer 60jährigen Greisin macht. Ich verzichte hier auf die Wiedergabe der sprechenden, aber nicht gerade sympathischen Photographie und verweise den wißbegierigen Leser auf das Original^).

Außer derartigen Extremen gibt es jedoch eine große Reihe schwierig zu beurteilender Fälle, die nicht so deutlich ausgeprägt sind. Jedermann kann sich leicht davon überzeugen, wenn er gleich- altrige Frauen aus seiner Umgebung miteinander vergleicht. Er wird dabei zu der Ueberzeugung kommen, daß der Augenblick der höchsten Blüte bei den einzelnen Frauen sehr verschieden ist und keineswegs an ein bestimmtes Alter gebunden.

Im allgemeinen reifen die Frauen der sogenannten besseren Stände später und bleiben länger schön als die der arbeitenden Klasse, bis auf wenige Ausnahmen.

Einen bald mehr, bald weniger stark ausgeprägten Einfluß auf die äußeren Formen des Weibes übt schließlich auch das regelmäßige Auftreten der Menstruation, der monatlichen Reinigung. Vor dem Eintritt sind die Brüste praller, voller, größer und härter, der Unter- leib gespannter, oft stellt sich sogar eine leichte Schwellung des Gesichtes ein. Nach der Menstruation tritt eine geringe Erschlaffung in allen Geweben des Körpers ein , bei stärkerem Blutverlust sogar krankhafte Blässe und blaue Ringe unter den Augen, jedoch handelt es sich in solchen Fällen meist nicht mehr um normale Verhält- nisse, sondern um mehr oder weniger ausgeprägte krankhafte Erschei- nungen.

Nächst der Menstruation ist es die Schwangerschaft und die Ge-


'j Iconograf)hie de la Salpetriere, 1891, p. 170.


GESCHLECHT UND LEBENSALTER. g5

burt, welche die Gestaltung des Körpers vorübergehend verändert. Bei vielen Frauen werden einzelne Körperteile durch häufig sich folgende Geburten dauernd entstellt, bei anderen wieder geht die Geburt und das Säugen vorüber, ohne bleibende Spuren zu hinter- lassen. Eine meiner Patientinnen hatte sechs Kinder geboren und alle sechs während mehrerer Monate selbst gestillt. Trotzdem hatten die Brüste und der Unterleib völlig jugendliche Formen bewahrt, und der Körper der 3 6 jährigen erschien wie der eines jungen Mädchens von 18 Jahren.

Unter sonst gleichen Umständen behalten die Brüste viel besser ihre schöne Form, wenn sie gestillt haben, als wenn durch künstliche Mittel die Milch vertrieben worden ist. Das Versäumen der Mutter- pflicht rächt sich durch einen frühzeitigen Verfall der Schönheit.

Die wichtigsten vorübergehenden Veränderungen, welche die Schwangerschaft außer der Auftreibung des Unterleibs am weiblichen Körper hervorbringt, sind die Dehnung und Pigmentierung der Haut, das Schwellen der Brüste und eine stärkere Fettanhäufung am Hais und Oberarmen.

Häufig bleiben kleinere Narben der Bauchhaut, der Oberschenkel und Brüste, sowie die stärkere Fülle der Oberarme auch nach der Geburt noch bestehen, während alle übrigen Veränderungen des Körpers, aut die näher einzugehen außer dem Rahmen dieser Be- trachtung liegt, bei richtiger Pflege meist völlig verschwinden.

Mit Rücksicht auf Geschlecht und Lebensalter hat man den weib- lichen Körper auf möglichst reine Ausprägung der sekundären Ge- schlechtsmerkmale, das Fehlen von infantilen und virilen Zeichen zu untersuchen und den Zeitpunkt der höchsten Blütezeit festzustellen.

Bei Frauen, die geboren haben, kommt der Nachweis von Spuren hinzu, welche Schwangerschaft und Geburt am Körper hinterlassen haben können.


VII.

Einfluß der Ernährung und Lebensweise auf den Körper.

Die Physiologie beschäftigt sich mit den Funktionen des lebenden Körpers , die sich am besten mit einem fortgesetzten chemischen Prozeß vergleichen lassen, bei dem durch Atmung und Nahrungs- aufnahme die durch die Arbeitsleistung des Körpers verlorenen Kräfte durch neue Elemente ersetzt werden.

Normal ist ein Körper, in dem die Einnahmen im richtigen Ver- hältnis zu den Ausgaben stehen.

Durch zu große Einnahmen kann der Körper ebenso leiden wie durch zu kleine, so daß er nach beiden Richtungen hin seine normale Gestalt einbüßt. Der durch die Atmung aufgenommene Sauerstoff ist für das Leben so wichtig, daß ohne ihn sofort der Tod eintritt. Anders dagegen ist es mit der Nahrungsaufnahme, denn der Körper kann eine fehlerhafte, zu große oder zu kleine Ernährung sehr lange aushalten, ohne seine Arbeit einstellen zu müssen. Wohl aber leidet er dadurch früher oder später in seiner schönen Gestaltung, wird geschwächt und im weiteren Verlauf krank. Die Grenzen zwischen einfachen Ernährungsstörungen und ausgesprochenen Krankheiten sind oft schwer zu ziehen und gehen häufig ganz unmerkbar inein- ander über.

Eine gute Ernährung ist ebensosehr von der Menge, als von der Art der Nahrungsmittel abhängig.

Für den Menschen ist, namentlich in den Entwicklungsjahren, eine kräftige, eiweißreiche Kost von größter Wichtigkeit. Fleisch, Eier und Milch sind die besten und wertvollsten Nahrungsmittel; in den ärmeren Klassen werden sie größtenteils durch minderwertige, wie Kartoffel, Brot und Hülsenfrüchte ersetzt. Von diesen sind viel größere Massen nötig, um denselben Nährwert zu erreichen. Selbst


ERNÄHRUNG UND LEBENSWEISE. Q7

bei genügender Nahrung wird deslialb bei der Bewältigung dieser minderwertigen Kost eine größere Arbeit vom Körper gefordert; meist aber ist außerdem nicht nur die Qualität, sondern auch die Quantität der Nahrung zu gering, um allen Anforderungen zu genügen.

Die Erfahrung hat gelehrt, daß bei vorwiegender Fleisch- und Milchkost unter sonst gleichen Verhältnissen alle Gewebe des Körpers, vor allem aber die Muskeln, kräftiger und straffer werden, der Fettansatz kein übermäßiger und die Haut elastisch ist. Bei reichlicher Ernährung mit Kartoffeln und Brot bleiben die Muskeln schwächer, der Fettansatz wird viel reichlicher, der Unterleib ist auf- getrieben, die Haut schlaff.

Die Masse kann in letzterem Fall größer sein als in ersterem, der Gehalt und die Dauerhaftigkeit des Körpers ist im ersteren weit- aus besser.

Wie aus dem inneren Bau der menschlichen Verdauungsorgane hervorgeht, sind diese für eine gemischte Kost eingerichtet^). Eine ausschließliche Fleischkost ist darum für den Menschen ebenso un- zweckmäßig wie eine ausschließliche Pflanzenkost; denn der Mensch ist weder zum Beruf eines Raubtiers noch zu dem eines Wieder- käuers von der Natur eingerichtet worden.

Ueber den richtigen Grad der Ernährung eines Körpers kann

man sich am besten überzeugen durch das Gewicht.

T R

H. von Vierordt bestimmt es nach folgender Formel: '- ^= K,

^ 240

das heißt: L = Körperlänge in Zentimetern vervielfältigt mit B = Brustweite, über den Brustwarzen gemessen, in Zentimetern, geteilt durch 240 gibt K == das Körpergewicht in Kilogrammen.

Da Vierordt seine Formeln aus zahlreichen Einzelmessungen gesunder Individuen berechnet hat, so haben wir damit einen ziem- lich genauen Maßstab gewonnen.

Ist z. B. die Körperlänge = 168 cm, der Brustumfang = 88, so

muß das Gewicht = 61,6 kg sein.

240 ^

Dieses Verhältnis trifft ziemlich genau ein bei einem 20 jährigen

Mädchen, welches in Figur 50 und 51 dargestellt ist. Bei einer


') Vgl. Stratz, Naturgeschichte des Menschen. Enke, 1904.

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers.


98


ERNÄHRUNG UND LEBENSWEISE.


Körperhöhe von i68 und einem Brustumfang von 88 hat sie 6i kg Körpergewicht, also nur etwa ein Pfund zu wenig.

Da dieser Körper auch sonst in jeder Beziehung normal ist, so kann seine Gestaltung als Maßstab zur Beurteilung einer normalen Ernäh- rung benützt werden.

Dabei zeigt sich dann, daß die richtige Ernährung mit einer jener seltenen Gestalten zusammentrifft, die trotz schlanker Taille und schlanken, langen Gliedmaßen doch volle Formen aufweisen. Es ist einer jener Körper, welche die Franzosen »une tausse maigre« be- zeichnen , da sie in Kleidern einen mageren Eindruck machen und ent- kleidet durch ihre vollen Formen überraschen.

Das Mädchen zeigt vöUig normale Proportionen bei einer Körperhöhe von 7^/4 Kopf höhen, eine reine Aus- prägung des weiblichen Geschlechts- charakters und eine selten symme- trische Entwicklung beider Körper- hälften, die besonders in der Rük- kenansicht erkennbar ist.

Außer der Gewichtsbestimmung bietet somit die Gestaltung dieses Körpers gewissermaßen einen K a n o n guter Ernährung, nach dem sich andere beurteilen lassen.

Eine zu große oder zu geringe Körperfülle kann außer durch un- zweckmäßige Ernährung auch durch natürliche Anlage, Vererbung und andere Ursachen bedingt sein, welche hier nicht alle berück-



Fig. 50. Mädchen mit schlanken Formen bei normaler Fülle.


ERNAHRUNG UND LEBENSWEISE.


99


sichtigt werden können. Abgesehen davon kann eine zu geringe Körperfülle angeboren oder erworben sein, d. h. es kann sich um einen von Natur mage- ren oder um einen ab- gemagerten Körper handeln.

Während bei norma- len Gestalten das Unter- hautfett die Gestalt ab- rundet, ohne doch die darunterliegenden For- men der Muskeln, Ge- lenke und Knochen vöUig verschwinden zu lassen, läßt ein magerer Körper sie zu stark vortreten und macht die Gestalt eckig. Beim Weihe bleibt trotz starker Magerkeit doch immer noch eine gewisse Rundung der Formen erhalten, da die zierlicherenKnochen sich weniger scharf durch die Haut abzeichnen als beim Manne. Die Haut ist dabei überall gleichmäßig elastisch und gespannt (Fig. 52).

Wenn ein gefüllter Körper abmagert, so kann die Haut nur bis zu einem gewissen Grade ihre ur- sprüngliche Elastizität

wieder erlangen. Wo diese im Stiche läßt, hängt sie schlaff" auf ihrer Unterlage und bildet Falten und Runzeln.



Fig. 51. Dieselbe von hinten.


100


ERNÄHRUNG UND LEBENSWEISE.


An diesen Zeichen, sowie an den Narben, die sich hauptsächlich am Bauch, auf den Oberschenkeln und am Gesäß finden, kann man einen abgemagerten Körper von einem mageren unterscheiden.

Beim Weibe finden sich die deuthchsten Zeichen an den Brüsten. Am mageren Körper sind sie zwar klein, aber prall, fest und ohne untere Falte, am abgemagerten weich, schlaff, hängend und vom Brustkorb sich in scharfer Falte ab- setzend.

Fig. 52 zeigt einen mageren, Fig. )^ einen abgemagerten Körper. Eine stärkere Körper- fülle kann bedingt sein durch eine gleichmäßige Zunahme der weichen Teile des Körpers. In solchen Fällen ist nicht nur das Unterhautfett, sondern auch die Mus- kulatur stärker entwik- kelt, und meist ist die stärkere Fülle durch eine Zunahme des Brustum- fangs ausgeglichen, wo- durch dann auch das entsprechend vergrößerte Gewicht mit den übrigen Körperverhält- nissen in Uebereinstimmung ist. Eine derartige, vollere Normalgestalt zeigt die 20jährige Wienerin von Figur 54. An den runderen Formen dieses Körpers erkennt man deutlich die Modellierung durch die dar- unterliegenden kräftiger entwickelten Muskeln.



Fig. 52. Magerer Körper. Mädchen von 23 Jahren.


ERNÄHRUNG UND LEBENSWEISE.


101


In Figur ^y ist ein anderes Mädchen von i8 Jahren dargestellt, dessen stärkere Körperfülle ausschließlich durch Fettgewebe hervor- gerufen wird. Trotz des jugendlichen Alters sind in diesem Falle die feineren Nuancen der Körperoberfläche abgestumpft und ver- deckt. Es ist dies eine Körperbildung, wie sie bei bleich- süchtigen , zu Fett- bildung neigenden Mädchen sehr häufig als Folge einer un- zweckmäßigen, eiweißarmen Nah- rung angetroffen wird. Die Blütezeit solcher Gestalten tritt meist sehr früh auf und dauert sehr kurz. Bei zu starker Fett- anhäufung werden zunächst die tieferen Teile des Körpers verdeckt, es bilden sich an den Beuge- stellen der Glied- maßen , unter den Brüsten und am Kinn Wülste und Furchen, die feine Gliederuns:



Fig. 53. Abgemagerter Körper. Mädchen von 22 Jahren.


der Gestalt verschwindet. An Stellen, an denen die Spannung der Lederhaut zu stark wird, entstehen weiße, zackige Narben, ähnlich den sogenannten Schwangerschaftsnarben.

Eine derartige, schon dem Krankhaften sich nähernde Fettleibig- keit zeigt eine Kanakin (Fig. y6 u. 57), welche trotz des Verhältnis-


102


ERNÄHRUNG UND LEBENSWEISE.


mäßig jugendlichen Alters von 32 Jahren schon den Eindruck einer Matrone macht.

Sehr häufig findet sich eine ofi; sehr stark ausgesprochene Neigung



Fig. 54. Volle Formen bei guter Muskelbildung. Mädchen von 20 Jahren.

zum Fettansatz in den sogenannten Wechseljahren der Frau. Die meisten Frauen fügen sich dann seufzend in das scheinbar Unver- meidliche, vergessen aber, daß die als ein Zeichen der Wechseljahre betrachtete zunehmende KörperfiAlle eine durch Uebermaß von un- zweckmäßiger Nahrung hervorgerufene Ernährungsstörung ist. In


ERNAHRUNG UND LEBENSWEISE.


103


England, wo die eiweißhaltige Nahrung vorherrscht, findet man auch unter den alteren Frauen nur selten die übervollen Gestalten, an denen Frankreich, Deutschland, Rußland und Italien so reich ist.



■f^'g- 55- Volle Formen durch Fettbildung. Mädchen von i8 jähren.

Neben der Ernährung übt auch die Lebensweise einen tief- greifenden Einfluß auf die Bildung des Körpers aus.

Wo der Beruf dies verlangt, wird eine besondere Muskelgruppe häufiger und nachhaltiger gebraucht als die anderen. Infolge davon entwickeln sich diese Muskeln mehr, werden dicker und springen


104


ERNAHRUNG UND LEBENSWEISE.


mehr hervor als die anderen. Wie bei Schmieden die Arm- und Schul- termuskeln, mit den Muskeln der Beine verglichen, unverhältnismäßig kräftig sind, so zeichnen sich wieder Ballettänzerinnen durch sehr kräftige Formen der Beine aus, bei zu schwacher Entwicklung der Arme und Schultern.

Im allgemeinen werden bei Frauen der besseren Stände alle Muskeln nicht genügend geübt, namentlich aber diejenigen der Arme und Schul- tern, und gerade von der guten Bil- dung dieser Muskeln hängt die schöne und bleibende Form der Büste und des Busens ab.

Da ist es denn ein rechter Trost, daß viele junge Mädchen, trotz höch- ster Talentlosigkeit, weil es einmal zum guten Ton gehört, stundenlang Klavier spielen müssen. Das einzige, was dabei herauskommt, ist eine regelmäßige Uebung der Armmus- keln, welche freiHch auch ohne Klavier mit viel geringerem Auf- wand von Zeit und Kosten und mit geringerer Belästigung der Nachbar- schaft ausgeführt werden könnte.

In den ärmeren Klassen wird hin- wiederum frühzeitige und anstren- gende Arbeit von den Beinen gefor- dert, so daß diese zwar unter sonst normalen Umständen kräftig und gedrungen, aber im Längenwachs- tum der Knochen behindert und dadurch im Verhältnis zum übrigen Körper zu kurz werden. Kommt nun noch schlechte Ernährung



Fig. 56. Frau von 32 Jahren mit übermäßiger Fettbildung.


ERNÄHRUNG UND LEBENSWEISE.


105



und Rhachitis hinzu, so werden sie außerdem noch krumm und plump in den Gelenken.

Es läßt sich schwer be- stimmen, inwieweit hier bloß Ernährung und Lebens- weise, oder auch Vererbung,

natürliche Anlage und schließlich auch Krankheiten mit im Spiele sind.

Immerhin ist es auf- fallend, daß gerade in den arbeitenden Klassen die gedrungenen, kurzbei- nigen Gestalten vorherr- schen, während in den besseren Kreisen sich häu- figer langbeinige Gestalten finden.

Die Figuren 58 und 59 zeigen deutlich den Unter- schied, der durch gedrungene und gestreckte Körperbil- dung hervorgebracht wird. Während die erste (Fig. 58) eine ziemliche Unterlänge in den Beinen aufweist, hat die zweite normale Propor- tionen.

Die kurzen Beine der jungen Französin (Fig. 58) lassen sich in diesem Falle kaum durch Rhachitis allein erklären ; zwar besteht ein geringer Grad von Plattfuß und eine leichte Krüm- mung der Unterschenkel, im übrigen aber zeigt der Körper einen sehr guten Bau.



Fig. 57. Dieselbe von hinten.


106


ERNÄHRUNG UND LEBENSWEISE.



Fig. 58. Kurzbeinige Gestalt (Pariserin).

Es ist darum anzunehmen, daß Lebensweise und natürliche An- lage hier einen stärkeren Einfluß ausgeübt haben.

Wir stehen hier an dem Grenzgebiet, in dem mangelhafte Er-


ERNÄHRUNG UND LEBENSWEISE.


107



59-


Lüngücinige Gestalt (^Wienerin}.


nährung und unzweckmäßige Lebensweise in die Krankheitserschei- nungen übergreifen und wo es oft schwierig ist, trotz sorgfähiger Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse, eine Entscheidung zu


108 ERNÄHRUNG UND LEBENSWEISE.

treffen, inwieweit der eine oder der andere schädigende Einfluß als Ursache für das Abweichen vom Normalen angesehen werden muß. Als weitere Momente zur Beurteilung des normalen weiblichen Körpers sind demnach zu beachten : die gleichmäßige Ernährung, die sich durch Vergleichung des Gewichts mit der Körperlänge und dem Brustumfang bestimmen läßt, und die Ausschaltung der durch un- zweckmäßige Ernährung und Lebensweise bedingten Verunstaltung vom ganzen Körper oder dessen Teilen.


VIII.

Einfluß von Krankheiten auf die Körperform.

Viele Krankheiten können bestehen und heilen, ohne irgendwelche Veränderung der Körperform zu verursachen, andere verändern sie in einer Weise, daß selbst dem Laien sofort die Entstellung auffällt, in weiteren Fällen hinterläßt die überstandene Krankheit Fehler, die nicht sofort ins Auge springen und oft selbst von Sachverständigen nur mit Mühe gefunden werden können. Mit der ersten Gruppe von Krankheiten, zu denen namentlich die akuten Infektionskrank- heiten, wie Typhus, Scharlach, Masern u. a. gehören, haben wir hier nichts zu tun. Ebensowenig mit der zweiten Gruppe; denn einen Höcker, eine eingefallene Nase, Triefaugen, eine Trichterbrust oder ein zu kurzes Bein wird jeder mit Leichtigkeit erkennen und den damit Behafteten ohne weiteres die normale Körpergestaltung ab- sprechen.

Die dritte Gruppe von Krankheiten jedoch, die leichte Ab- weichungen von der Norm zurückläßt, verdient unsere besondere Beachtung.

Da die äußere Form des Körpers in erster Linie vom Skelett, von den es umkleidenden Muskeln, der Haut- und dem Fett- polster abhängt, so sind es hauptsächlich Krankheiten dieser Teile, die hervorzuheben sind, erst in zweiter Linie Krankheiten innerer Organe, insoweit sie die äußere Form beeinflussen.

Unter allen diesen Krankheiten sind wiederum diejenigen die wichtigsten, die den Körper in seiner Entwicklungszeit befallen, weil sie dann auf die zarten, in der Bildung begriifenen Formen viel nach- haltiger einwirken können als nach erlangter Reife.

Von Krankheiten, die vorwiegend das Skelett beeinflussen, ist die verbreitetste und bekannteste die sogenannte englische Krankheit, die Rhachitis. Sie tritt meist schon im i. — 4. Lebensjahr, selten


110 KRANKHEITEN.

später auf. Ihr Hauptsymptom ist eine eigentümliche Störung im Wachstum der Knochen^), die wegen zu geringer Kalkablagerung weich bleiben und an den Gelenkenden sich verdicken. Die weichen Knochen folgen dem Muskelzug und dem Druck der Körperlast, es entstehen Verkrümmungen, die namentlich an den Beinen sehr auf- fallend sein können, wenn die kranken Kinder zum Gehen veranlaßt werden. Tritt Heilung ein, dann erfolgt dabei eine sehr kniftige Kalkablagerung, durch welche die Verkrümmungen der Gliedmaßen, sowie die Verdickungen der Gelenkenden als bleibende Verunstaltung erhalten werden.

üeber die Hcäufigkeit des Vorkommens der Rhachitis sind die Auffassungen sehr geteilt, weil, wie Vierordt hervorhebt, »die ein- zelnen Beobachter den Begriff der Rhachitis sehr verschieden weit fassen, und weil das Urteil über Häufigkeit und Schwere der Rha- chitis auch sonst nicht nach einheitlichen Gesichtspunkten gewon- nen ist.« 

Diese Auffassung von Vierordt kann ich aus eigener Erfahrung noch dahin erweitern, daß eine große Anzahl der leichteren rhachiti- schen Fälle überhaupt nicht zur ärztlichen Beobachtung kommen. Zur Zeit meiner poliklinischen Tätigkeit in Berlin achtete ich auf diesen Umstand und fand unter der arbeitenden Klasse beinahe in jeder Familie ein oder mehr rhachitische oder rhachitisch gewesene Kinder, die niemals ärztlich behandelt worden w^aren.

In manchen Fällen sind sogar die Ansichten darüber geteilt, ob man gewisse Abnormitäten als Entwicklungsfehler oder als Folgen von Krankheiten aufzufassen hat.

So hat Mikulicz auf Grund eingehender Untersuchungen ange- nommen, daß alle Formen der sogenannten X- oder Bäckerbeine, die durch Einwärtskrümmung der Beine im Kniegelenk gekennzeichnet sind (Fig. 60), auf englischer Krankheit beruhen.

Hoffa u. a. nehmen wieder an, daß eine derartige Verbie- gung im Kniegelenk sehr wohl auch ohne Rhachitis durch ver- hältnismäßig zu schwere Belastung der weichen Knochen beim Stehen hervorgerufen werden könne. Im ersten Falle also krankhafter Ein-


^) Vgl. O. Vierordt, Rhachitis und Osteomalacie, 1896. Holder.


KRANKHEITEN.


111


fluß, im zweiten unrichtige Lehensweise in den Entwiclclungsjahren (Bäckerbein).

Ebenso leitet Rupprecht alle Skoliosen (Verkrümmungen der Wir- belsäule) von Rhachitis ab, während Hoffa auch hierbei rein statische Einflüsse (z. B. Schreibhaltung der Schulkinder) gelten läßt, allerdings bei »abnormer Weich- heit« der Knochen.

Abgesehen von diesen Mei- nungsverschiedenheiten bleibt die Tatsache bestehen, daß leichtere Formen von Rhachitis außer- ordentlich häufig vorkommen. Darum glaube ich, daß wir den von Senator und Ritchie gefun- denen höchsten Prozentsatz von 30 *^/o als Minimalzahl des wirk- lichen Verhältnisses ansehen dürfen.

Am häufigsten findet sich die Krankheit in der arbeitenden Klasse größerer Städte, also ge- rade in derjenigen Bevölkerungs- schicht, die den Künstlern die meisten Modelle liefert. Unter hundert Mädchen aus dem Volke sind aber mindestens dreißig, die sicher Rhachitis gehabt haben.



■..*ä..





^ ?





W




1






M;


\



%h


T


h^:'


\


1


■ ?-




F"ic;. ÜO.


Kleines Alädcheii uuL X -Beinen (nach Hoffa).


Welcher Gefahr ein Künst- ler sich aussetzt, der diesen Um- stand nicht beachtet, erhellt aus dem Beispiel von Klein. Dieser Maler hat ein Urteil des Paris ^) gemalt, in dem man aus den dicken Hand- und Fußgelenken, aus der Verkrümmung der unteren Extremitäten mit Sicherheit nachweisen kann, daß alle drei Göttinnen die enghsche


Publiziert durch die Berliner Photographische Gesellschaft.


112


KRANKHEITEN.


Krankheit gehabt haben. Aphrodite erhält offenbar den Preis , weil sie diese Symptome am deutlichsten aufweist. Auch die bekannte

Eva von Stuck hat in ihrer Jugend eine nicht unbedeu- tendeRhachitis durchgemacht.

Nach Vierordt sind Mangel an Luft und Sonnenlicht, schlechte Hautpflege und schlechte Ernährung von schwerwiegender Bedeutung für die Entwicklung der Rha- chitis. Aus diesen Gründen findet man sie auch seltener in besser situierten Kreisen.

Die wichtigsten Verände- rungen, die die Rhachitis hin- terläßt , sind die folgenden :

Verdickung des Handge- lenks, namentlich an der Seite des kleinen Fingers (Ulnar- köptchen);

Verkrümmung des Unter- armsund schiefe Stellung des- selben gegen den Oberarm ;

Verkrümmung der Wirbel- säule und des Brustkorbes;

Veränderungen des Bek- kens, das weniger geräumig wird und dadurch wieder einen größeren oder geringe- ren Grad von Hängebauch

Fig. 6i. Hochgradige Rhachitis. , ,

veranlassen kann ; Verdickung der Knöchel und der Gelenkenden am Knie; Verkrümmung der Unterschenkel und Oberschenkel, O-Beine, Säbelbeine, X-Beine, Plattfuß.

Die schwereren Einflüsse der Rhachitis, wie Knickungen der Ex-



KRANKHEITEN.


113


tremitäten, Veränderungen der Schädelknochen, der rhachitische Rosen- kranz (die Auftreibung der Rippengelenke am Brustbein) fallen außer- halb des Bereiches dieser Betrachtungen, da derartige Störungen ohne weiteres jeden Gedanken an normalen Körperbau ausschließen. Ein Beispiel schwerster Rhachitis, die in der Regel mit zwergartigem Körperbau sich verbindet, ist die 24- jährige Rulfie H., welche Professor Nyhoff in Groningen^) aufnehmen ließ (Fig. 61). Mit diesem Bild vor Augen kann man auch die leichteren Zeichen von Rhachitis besser verstehen.

Das Wesen der Krankheit, die auf- getriebenen, verdickten Gelenke zwi- schen verkrümmten Röhrenknochen läßt sich am ganzen Körperbau er- kennen. An den Armen überwiegt die Auftreibung der Gelenke, was sich besonders deutlich an den Ellbogen und Schultergelenken zeigt. An den Beinen überwiegt infolge des Mißverhältnisses zwischen der schwe- reren Belastung und dem schwächeren Stützorgan die Verkrümmung der Röhrenknochen. Noch deutlicher sind diese am Skelett zu sehen (Fig. 62), welches nach dem Tode der Patientin montiert wurde und im Groninger Museum bewahrt ist.

Dem plumpen, verkrümmten, ge- wissermaßen geschmolzenen Skelett entspricht der übrige Körperbau, so daß die rhachitischen Gestalten im allgemeinen einen plumpen, verkrümmten, gedrungenen und untersetzten Eindruck machen. Die Verkürzung des Rumpfes läßt den Kopf stets größer erscheinen, noch mehr aber, wenn dieser, wie bei Rulfie, die für Kopfrhachitis kenn- zeichnende Verdickung, die Tete carree, zeigt.

^) Vgl. Nederl. Tydschrift voor Gynaecologie, 1904.

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers. 8



Fig. 62. Skelett des Unterkörpers von Fig. 61.


114


KRANKHEITEN.


Die Rhachitis äußert sich in verschiedener Weise. Einzelne Teile desKörpers können stärker erkranken als andre; oft be- schränkt sich die rhachitische Abweichung auf einen ganz bestimmten Körperteil, mit Vor- liebe auf die Beine und das Becken.

Alle diese Abweichungen können in der weiteren Entwick- lung des Körpers zum Teil ab- geschwächt werden und auch wohl ganz verschwinden, meist aber bleibt die Verdickung der Gelenke zeitlebens bestehen. Fig. 6^ zeigt ein Mädchen mit deutlichen Zeichen überstan- dener Rhachitis. Am Knie, am Fußgelenk, am Ellbogen ist die rhachitische Auftrei- bung deutlich zu sehen, das Schlüsselbein ist verdickt und verkrümmt, was an der linken Seite bei gehobenem Arme besonders auffallend in Er- scheinung tritt. Dem Skelett entsprechend erscheint der ganze Körper trotz der ju- gendHchen Fülle plump und gedrungen.

Fig. 64 stellt ein Mädchen vor, bei der noch Spuren der früheren Rhachitis zu finden sind.

Am linken Arm sieht man die starke Vorwölbung des Ulnar- endes oberhalb der Kleinfingerseite des Handgelenks, sowie eine geringe Verkrümmung des Unterarms. Am linken Bein besteht die



Fig. 63. Deutliche Zeichen überstandener Rhachitis.


KRANKHEITEN.


115


charakteristische Verkrüm- mung des Unterschenkels, welche namentlich ober- halb des inneren Knöchels hervortritt. Das Fußge- lenk selbst ist verdickt und plump.

Durch das trotz seiner Breite von vorn nach hinten abgeflachte Becken erscheint der Unterleib breit , vorgetrieben und leicht hängend wie ein Froschbauch.

Neben der Rhachitis sind alle anderen Krank- heiten, die das Knochen- gerüst betreffen, von unter- geordneter Bedeutung, da sie meist so tiefgreifende Veränderungen der be- troffenen Gliedmaßen her- vorrufen, daß sie für unsere Zwecke füglich außer Be- trachtung bleiben können. Dahin gehört die Knochen- erweichung(Osteomalacie), die Knochenmarkeiterung (Osteomyelitis) und andere mehr.

Der zweite Faktor, der die äußere Form des Körpers bestimmt, ist das Fleisch, die Muskeln.

Abgesehen von einigen schwereren Rückenmarkskrankheiten, in deren Verlauf geringere oder größere Muskelkomplexe zum Schwund kommen, haben Erb, Landouzy, Dejerine, Leyden u. ;a. gewisse Krankheiten beschrieben, in denen, meist bei jugendlichen



Fig. 04. Spuren iiljcr^iamlciiLr Rhachitis.


116


KRANKHEITEN.


Individuen, ganz bestimmte und stets dieselben Muskelgruppen erkranken, erst sich verdicken und dann schrump- fen. So tritt in der einen von Erb beschriebenen Form die Erkrankung meist in bestimmten Muskelgruppen der Schulter und der Oberarme auf, in einer anderen Gruppe von Fällen sind es Muskeln des Rückens und der Beine, die zuerst erkranken.

Charcot\) hat alle diese verschie- denen Formen unter dem Namen der »Myopathie primitive progressive«  vereinigt. Erb-) hat sich ihm später angeschlossen und die verschiedenen Krankheitsbilder unter dem Namen »Dystrophia muscularis progressiva«  (etwa = fortschreitender Muskel- schwund) zusammengefaßt.

Abgesehen von der Funktionsstö- rung übt diese Krankheit je nach ihrer Lokalisation einen starken Einfluß auf die Form und die Haltung des Kör- pers aus.

Bei der einen Form z. B. erkranken am Rumpf und den Schultern haupt- sächlich die von vorn und hinten zur Schulter tretenden Muskeln (Pectorales, CucuUaris , Serratus anticus major, Rhomboideus, Sacrolumbalis und La- tissimus dorsi), während die von oben hinzutretenden Muskeln (Deltoideus, Supraspinatus, Infraspinatus etc.) normal bleiben. Die Folge davon



Fig. 65. Myopatliie primitive progressive nach Londe und Meige.


') Charcot, Revision nosographique des atrophies musculaires. Progr. medic. 7. März 1885.

^) Erb, Dystrophia muscularis progressiva. Leipzig 1891.


KRANKHEITEN.


117


ist Vornübersinken des Kopfes und Halses, Abstehen der Schulterblätter und Abflachung der oberen Brust- gegend. An den unteren Extremitäten sind es vorwiegend die großen Gesäß- muskeln (Glutaei) und die vorderen Streckmuskeln des Oberschenkels (Quadriceps) , die zuerst von der Krankheit befallen werden. Hiervon ist die Folge eine starke vordere Ab- flachung des Oberschenkels und ein schärferes Hervortreten der Falte zwischen Hinterbacken und Ober- schenkel.

Beide oben beschriebene Zustände sind in ihrem ersten Stadium bereits deuthch erkennbar in Fig. 6) , die der Monographie von Londe und Meige^) entnommen ist.

Man vergleiche damit Fig. 66, eine etwa 26jährige Berlinerin mit beson- ders gut entwickelter Muskulatur, die mit dem kräftigen Rücken, der guten Wölbung von Brust und Oberschenkel und dem stumpfen Winkel zwischen Hinterbacken und hinterer Ober- schenkelkontur einen schlagenden Ge- gensatz zu der ungefähr gleichalterigen PauHne C. L. (Fig. 6^) bildet.

Krankheiten der Haut haben kaum einigen Einfluß auf die allgemeine Körperform, wohl aber können die zurückbleibenden Xarben die Glätte und Farbe der Körperoberfläche beeinträchtigen. Man denke nur an die entstellende Wirkung der



Fig. 66. kräftic


Mädchen von 26 Jahren mit entwickelter Muskulatur (Berlinerin).


') Iconographie de la Salpetriere, tome VII, plan che XIX, 1894, p. 442 ff.


118 KRANKHEITEN.

Pockennarben, die man gegenwärtig glücklicherweise viel seltener sieht als vor einigen Jahrzehnten.

Muttermäler können ebenfalls sehr häßlich sein, und vom ärzt- Hchen Standpunkte aus muß man auch die kleinen schwarzen Maler als eine Abnormität ausschalten, die den Namen der Schönheitsmäler oder grains de beaute führen.

Krankheiten, die ausschließlich das unter der Haut liegende Fett- gewebe ergreifen, gibt es kaum. Die abnorm starke oder abnorm schwache Ausbildung von Fett ist meist eine Folge von unzweck- mäßiger Ernährung und Lebensweise. Allgemeine Fettsucht ergreift den ganzen Körper und entstellt ihn in einer Weise, die an und für sich die Annäherung an die Normalform ausschließt.

Abgesehen von den erwähnten Krankheiten, die direkt auf Knochen, Muskeln und Haut ihren Einfluß ausüben, gibt es aber noch eine ganze Reihe von inneren Krankheiten, die diese Teile gemeinschaft- lich und damit auch die allgemeine Körperform beeinflussen. Sie alle aufzählen , hieße ein Lehrbuch der physikalischen Diagnostik schreiben. Wer Vollständigkeit wünscht, den verweise ich auf das bekannte Lehrbuch von Vierordt^).

Die häufigste und wichtigste dieser Krankheiten ist die Schwind- sucht, an der nach Strümpell ein Siebtel aller Menschen ^ 15 °/o sterben.

Den sogenannten »phthisischen Habitus«, d. h. diejenige Körpergestaltung, die auf Anlage zur Schwindsucht schließen läßt, beschreibt Strümpell^) folgendermaßen.

»Die Merkmale des ,phthisischen Habitus' sind: schmächtiger, dabei oft ziemlich hoch aufgeschossener Körperbau , schwächliche Muskulatur, geringes Fettpolster, blasse, oft sehr zarte, bläulich durch- schimmernde Haut, welche an den Wangen zuweilen eine umschriebene Rötung zeigt, langer schmächtiger Hals, schmaler, langer Brustkasten, schmale magere Hände u. s. w.« 

Der Brustkasten zeichnet sich im allgemeinen durch seine Länge aus, ist aber dabei schmal und flach. Mit der Länge des Brustkorbes


^) O. Vierordt, Diagnostik der inneren Krankheiten. Leipzig, Vogel. 2j Strümpell, Spezielle Pathologie und Therapie der inneren Krankheiten, 1894, I, p. 363.


KRANKHEITEN.


119


hängt es zusammen, daß die

einzelnen Zwischenrippen- räume breit sind, der Winkel in der Herzgrube ein spitzer ist. Das Brustbein ist eben- falls lang und schmal, der Winkel zwischen Griff und Körper zuweilen besonders hervortretend; die oberen und unteren Schlüsselbeingruben, ebenso wie die Drosselgrube sind eingesunken, die Schulter- blätter von der Brustkorbwand abstehend.

Fig. 67 stellt ein junges Mädchen mit beginnender Schwindsucht vor , welches die genannten Erscheinungen ziemlich deutlich zeigt. Ich verdanke dasselbe der Freund- lichkeit von Dr. Roessingh, Direktor des städtischen Kran- kenhauses im Haag.

Noch deutlicher sind die äußerlichen Zeichen der Schwindsucht in dem Bau des Oberkörpers von Fig. 68 aus- gedrückt. Die schmalen, stark abfallenden Schultern , der schmächtige lange Brustkorb, an dem die Brüste trotz ihres



Fig. 67. 20jähriges Mädchen mit phthisischem Habitus (Holländerin).


kleinen Umfangs und trotz des jugendhchen Alters ihrer Trägerin schlaff herabsinken, der lange Hals und die mageren Arme sprechen eine beredte Sprache.

Der gleichen Gestaltung begegnet man in der obenerwähnten Aphrodite von BotticeUi (Fig. 12). Derselbe Typus findet sich auch


120


KRANKHEITEN.



an der nackten Figur des Frühlings in der Primavera desselben Meisters. Während in der letzteren die dem baldigen Untergang geweihte Blüte durch die körperlichen Reize einer Schwindsüchtigen vortreffUch

zum Ausdruck kommt, scheint mir bei einer Venus dieser Typus weniger glücklich ge- wählt zu sein.

Mit der Schwind- sucht nahe verwandt

und wahrscheinlich wie diese durch Ver- giftung des Körpers mit Tuberkelbazillen verursacht, ist die Skrofulöse. Der Name stammt von Scrofa, Schwein, und erklärt sich daraus, daß das Gesicht durch Schwellung der Hals- drüsen, der Nase und der Oberlippe einen an das Schwein er- innernden Ausdruck bekommt.

Man unterscheidet zwei Formen : Die eine, die sogenannte torpide Skrofulöse, ist charak- terisiert durch gedun- senes Gesicht , dicke Nase und dicke, vor-


Fig. 68. Oberkörper einer Schwindsüchtigen.



stehende Lippen, mit ott rüsselförmiger Verlängerung der Oberhppe, Schwellung und Verdickung der Halsdrüsen, schmutzigbleicher Haut- farbe, spärlicher Muskulatur, bei verhältnismäßig starker Entwicklung


KRANKHEITEN. 121

des Unterhautfettgewebes, wodurch die Gestalt ein etwas schwammiges Gepräge erhält, dicken Bauch, dünne Extremitäten und oft entzündete Augenlider.

Die zweite Form, die erethische Skrofulöse, ist charakterisiert durch mäßige Röte der Haut und magere Körperiormen mit starker Neigung zur Eiterung in den geschwollenen Drüsen; der Allgemein- zustand erinnert an den phthisischen Habitus.

Bei dieser Form der Skrofulöse wie bei den Schwindsüchtigen finden sich meist auffallend tiefe, glänzende Augen mit langen, meist dunklen Wimpern, die viel dazu beitragen, die wehmütige Schönheit des kranken Körpers zu erhöhen.

Die Skrofulöse tritt meist im späteren Kindesalter auf; von allen Erscheinungen erhält sich neben der Schwellung der Halsdrüsen am längsten die Verdickung der Oberlippe.

Eine liebenswürdige Künstlerin zeigte mir vor einiger Zeit eine jugendliche Psyche, die sie getreu nach dem lebenden Modell aus- geführt hatte. Aus der Verdickung der Oberlippe meinte ich schließen zu können, daß das Modell skrofulös sei, und die Künstlerin be- stätigte mir, daß in der Tat das Mädchen oft erkältet gewesen sei und an Drüsenschwellungen am Halse und entzündeten Augen ge- litten habe. Ex ungue leonem.

Eine weitere, den Aerzten wohlbekannte Körperbeschaffenheit ist der sogenannte Habitus apoplecticus und emphy semat osus, das Aussehen der zu Schlagfluß und Asthma neigenden Individuen : kurzer Hals, gedrungener Körper, gedunsenes und gerötetes Gesicht, faßförmiger Brustkorb.

Dieses Aeußere findet sich jedoch meist in vorgerücktem Alter, und dann auch bei Männern häufiger als bei Frauen, so daß es hier nicht weiter in Betracht kommt.

Von allen den genannten Krankheiten sind die Rhachitis und die Schwindsucht die wichtigsten. Wie oben gesagt, leiden an eng- lischer Krankheit, die leichten ärztlich nicht behandelten Fälle aus- geschlossen, mindestens 30^^/0 aller lebenden Menschen und sterben an Schwindsucht 1 5 ^-jo . Zusammen also 45 °/o , die an enghscher Krankheit und an Schwindsucht leiden, also beinahe die Hälfte aller jetzt lebenden Menschen. Nun können allerdings häufig bei ein und


122 KRANKHEITEN.

demselben Individuum beide Krankheiten zugleich auftreten, wodurch der Prozentsatz der Gesunden ein wesentlich besserer würde. Dem steht aber gegenüber, daß einerseits die leichteren Fälle von Rhachitis, andererseits die geheilten Fälle von Schwindsucht in dieser Berech- nung nicht berücksichtigt sind, beides Umstände, die das Verhältnis wieder wesentlich ungünstiger gestalten.

Für unsere Zwecke genügt es, festzustellen, daß wir bei der Be- stimmung der Normalgestalt mit großer Sorgfalt auf die Zeichen zu achten haben, die gerade diese beiden Krankheiten hervorrufen, und daß wir den damit behafteten Frauen die anatomisch schöne, i. e. normale Gestalt absprechen müssen.

Jedoch dürfen wir dabei nicht vergessen, daß eine ganze Reihe von Fällen besteht, in der beide Krankheiten ausgeheilt sind, ohne irgend welche Spuren zu hinterlassen.


IX.

Einfluß der Kleider auf die Körperform.

Wahrheit und Dichtung am bekleideten Weibe voneinander zu trennen ist schwer, oft unmöglich. Die Mode ist viel weniger dazu erschaffen, Schönheiten hervorzuheben, als vielmehr Schönheiten zu heucheln und Fehler zu verdecken, und darum wird alles Eifern gegen die sogenannten Modetorheiten immer und ewig nutzlos bleiben.

Schöne Körper w^erden unter jeglicher Bekleidung schön er- scheinen, am schönsten natürlich, wenn sie unverhüllt sind; für diese sind keine Modekünste nötig. Da deren Besitzerinnen jedoch in der Minderzahl sind, so sehen sie sich gezwungen, der Uebermacht ihrer weitaus zahlreicheren Schwestern zu weichen, die bestrebt sind, sich vorteilhafter zu zeigen, als die Natur es ihnen gestattet hat. Zur Erreichung dieses Zweckes werden wieder diejenigen Mittel die be- liebtesten und verbreitetsten sein, die einer möglichst großen Anzahl von Frauen zu statten kommen können.

Hat einmal die Mode eine derartige Bestrebung geheiligt, dann ist wieder jede einzelne Frau bestrebt, ihre Schwestern zu überbieten. So entstehen Uebertreibungen, die sich mehr und mehr vom Normalen entfernen, die Grenzen des Schönen überschreiten und nun durch ihre Unzweckmäßigkeit eine bleibende Schädigung des normalen Körpers veranlassen können.

Unter allen Vorzügen des weiblichen Körpers gilt als einer der wichtigsten die schlanke Mitte, und um diese hervorzuzaubern, be- diente man sich des Schnürleibs in allen möglichen Formen ^).

Von Hippokrates bis Sömmering haben viele und gelehrte Herren gegen das Korsett geeifert, und viele werden es nach ihnen auch tun.


^) Vgl. Witkowsky, Les seins et rallaitement, Maloine 1898. • — Chap. IV, l'histoire du corset.


124 KLEIDUNG.

aber alle ohne Erfolg. Die Korsettbedürftigen unter den Frauen haben es stets beibehalten und werden es behalten, solange die Erde besteht.

Ich bin kein Gegner des Korsetts, wohl aber ein Gegner des Mißbrauchs, der damit getrieben wird. Schlecht gebauten Frauen das Korsett abzuraten, ist hoffnungslos. Ich habe mich, und zwar mit Erfolg, damit begnügt, die gut gebauten Frauen vor den schäd- lichen Folgen zu bewahren, wenn es noch Zeit war.

Um den moralischen Wert des Korsetts zu begreifen, müssen wir uns zunächst deutlich machen, was eine Taille ist, und was man darunter zu verstehen gewohnt ist.

Die natürliche Form der Taille zeigt ein javanisches Mädchen (Fig. 69) von gutem Bau, das nie in seinem Leben ein Korsett ge- tragen hat.

Trotz guter Fülle des Körpers kommt die schlanke Taille gut zum Ausdruck.

Dieser Ausdruck beruht nicht auf dem absoluten Umfang der schmalen Mitte, sondern auf dem Gegensatz der schmäleren Mitte zu den breiteren Hüften und Schultern.

Als natürliche Bedingung einer schlanken Taille muß man dem- nach annehmen, daß von der schmälsten Stelle am unteren Rand des Brustkorbes die Körperkontur in weich auslaufender Wellenlinie sich nach unten und ebenso nach oben verbreitert ; dabei ist der absolute Umfang der schmälsten Stelle vollständig Nebensache.

Im gewöhnlichen Leben, aber namentlich unter den Frauen selbst, urteilt man anders. Man spricht höchstens von langer oder kurzer Taille, hauptsächlich jedoch vom absoluten Umfang der Gürtelhöhe. Eine Taille von 60 cm ist schön, eine von 50 cm entzückend u.s. w.

Durch zahlreiche Messungen an gut gebauten Frauen aus den verschiedensten Ständen konnte ich feststellen, daß der Durchmesser an der schmälsten Stelle des Rumpfes 18 — 24 cm am nackten Körper beträgt. Diesem Durchmesser entspricht ein Umfang von 54 — 72 cm, so daß 54 cm die unterste Grenze der natürlichen schlanken Taille angeben.

Wichtiger als der absolute Durchmesser der Taille selbst ist dessen Verhältnis zur Schulterbreite und Hüftbreite. Die Hüften


KLEIDUNG.


125


müssen mindestens 12, die Schultern 1 6 cm brei- ter sein als die Taille.

Unter allen Frauen zeichnen sich die der weißen Rasse angehörigen durch ein breiteres Bek- ken, breitere Schultern und einen geringeren Um- fang der Mitte aus. Ge- rade sie sind es also, die, wie ich an anderer Stelle^) ausgeführt habe, beson- ders bestrebt sind , dies Rassenmerkmal auch in der Kleidung möglichst zum Ausdruck zu bringen und künstlich zu übertrei- ben. Aus diesem Grunde ist auch die künstliche Einschnürung des Rum- pfes zur Erhöhung des Rassenvorzugs gerade bei den Frauen der weißen Rasse seit jeher am meisten geübt worden.

Im Gegensatz zu den übertriebenen Anforde- rungen der Mode an die Ausprägung der Taille sind die Eiferer gegen das Korsett zu der ebenso übertriebenen, in Schrif- ten und soo;enannten Normalgewändern vertretenen Auffassung ge-



69. Javanisches Mädchen, das nie ein Korsett setraeen hat.


^) Vgl. Stratz, Die Frauenkleidung in ihrer natürlichen Entwicklung, 3. Auf- lage. F. Enke, 1904.


126


KLEIDUNG.


kommen, daß es überhaupt keine natürliche Taille gebe, und daß

auch eine noch so geringe Einbuchtung des Körpers unter dem

Brustkorb ein Kunstprodukt sei.

Zwischen diesen extremen Anschauungen Hegt die Wahrheit in

der Mitte.

Ein klassisches Beispiel der durch die Kunst verherrlichten natür- lichen Gestaltung der Taille ist der schöne Torso der Aphrodite in Nea- pel (Fig. 70).

Die Taille steht zu Hüften und Schultern im Ver- hältnis von 2 zu 3 zu 3,5, entspricht also ganz den Ma- ßen, die ich an gut gebauten le- benden Frauen ge- funden habe.

Zur Vergleich-

ung habe ich von

einer 18jährigen

Holländerin mit

robustem Bau

Fig. 70. Torso der Aphrodite. (Museum in Neapel.) einen Gipsab^USS

nach dem lebenden Körper machen lassen. Dies Mädchen, das der Volksklasse angehört, hat nie ein Korsett getragen, kann also als Beispiel eines natürlichen, unverdorbenen Körpers angesehen werden

(Fig- 70-

Die Maße waren 20 für die Taille, ^^ für die Hüften und ^6

für die Schultern. Während der Unterschied zwischen Taille und Schultern genau dem von mir für den gut gebauten weiblichen Kör- per gefundenen Durchschnittsmaße entspricht, sind die Hüften infolge von größerer Ausbildung des Fettpolsters stärker entwickelt.



KLEIDUNG.


127


Beide Figuren zeigen eine keineswegs zu stark ausgeprägte Taille, liefern aber den Beweis, daß der Eindruck der Schlankheit durch den Gegensatz zur größeren oberen und unteren Körperbreite erzeugt wird.

Da nun die erste Figur dem durch keinerlei Kleiderzwang beein- flußten Ideal der Vorzeit, die zweite einem durch keinerlei Kleider- druck verunstalteten le- benden Körper derjetzt- zeit angehört, und da beide eine schlanke Taille besitzen, so er- gibt sich der Schluß, daß die Einziehung der Taille von jeher eine natürliche Bildung und als solche eine Schön- heit der Weiber der weißen Rasse war.

Daß nicht nur die größere Breite der Hüf- ten, sondern auch die der Schultern einen großen Einfluß auf die Gestalt der Taille aus- übt, beweisen die Figu- ren 72 und 73.

Fig. 72 zeigt die Rückansicht des in Fi-



Fig. 71. Gipsabguß nach dem Torso einer 18jährigen Holländerin, die nie ein Korsett getragen hat.


gur 71 dargestellten Torso, Fig. 73 den Gipsabguß nach der jugend- lichen Leiche einer Selbstmörderin aus dem ersten anatomischen Institut in Berlin; bei der letzteren erscheint die Taille trotz brei- terer Hüften viel weniger schlank, weil der Brustkorb in beinahe gerader Linie nach oben verläuft, so daß der Körper am unteren Rand der Schulterblätter beinahe ebenso breit ist als in der Taille. Diese Rumpfform findet sich regelmäßig bei schlechter Entwick- lung der Lungen, wobei auch der Brustkorb flach und schmal bleibt.


128


KLEIDÜNG.


Sie ist das wichtigste Zeichen der Anlage für Schwindsucht. Die Gestahung der Taille und damit die normale Form des Körpers wird erst dann beeinflußt, wenn durch künsthches Schnüren und Zusammenpressen die Natur überboten und dem Körper ein Vorzug angedichtet werden soll, den er in Wirklichkeit nicht besitzt. Dieser Mißbrauch erst ruft die Entstellung des Körpers hervor und beein- trächtigt außerdem in hohem Maße die Funktion innerer Organe und damit die Ge- sundheit.

Meinert ^) und andere haben den Schleier gelüftet und nachgewiesen, daß Schnürlebern und Magen- senkung, Bleichsucht und Stuhlverstopfung, Lungen- und Herzkrankheiten durch zu starkes Zusammenpressen des unteren Brustumfangs hervorgerufen werden.

Von diesen schweren in- neren Schäden abgesehen, haben wir uns hier aber noch zu fragen: Wird, mit so viel Opfern an Gesund- heit und Lebensfreude, der eigenthche Zweck, die Ver-



Fig. 72. Rückansicht von Fig. 71.


schönerung des Körpers, erreicht oder nicht? Die Antwort lautet: Scheinbar wohl, in Wirklichkeit nicht.

Der großen Masse imponiert die so erzeugte schlanke Taille, der Erfahrene kann, selbst an der bekleideten Frau, an dem Mißverhält- nis der dünnen Mitte zu den übrigen Teilen des Körpers die ver- borgenen Fehler meistens erkennen. Am entkleideten Körper tritt die Verunstaltung für jeden deutlich hervor.

') Zentralblatt für innere Medizin, 1896, 12 und 13. Sammlung klinischer Vorträge, 1895, Nr. 115, 116.


KLEIDUNG.


129


Bei einem nicht entstellten Mädchenkörper (Fig. 74) geht der Umriß des Brustkorbs weich in die Linien des Unterleibs über, dessen gleichmäßige flache Wölbung durch das Vortreten der Muskeln, namentlich rechts und links von der Mittellinie oberhalb des Nabels markiert wird; der am stärksten vortretende Teil ist die fettreichere Umgebung des Nabels. — Als erster Einfluß des Schnürens zeigt sich zunächst oberhalb des Nabels eine querverlaufende Furche, die eine schärfere, nicht natür- liche Abgrenzung des Rumpfes in einen oberen und unteren Abschnitt hervorruft ; die unter- halb dieser Linie liegenden weichen Teile des Unterleibs werden nach unten und vorn gepreßt: der Bauch wird rund und tritt heraus. Fig. 75 zeigt diese Entstellung an einem üb- rigens schön gebauten Körper.

Im weiteren Verlauf wird die Einschnürung immer schär- fer, der Bauch darunter tritt mehr und mehr hervor (Fig. 76). Infolge der geringen Wölbung des Brustkastens sinken die Brüste mehr und mehr her- unter. Durch die starke Ein- schnürung der Bauchmuskeln, namentlich der geraden , die vom Schambein zum Brustbein hinziehen, ist das Relief des Unter- leibes zerstört, zugleich aber auch dessen Hauptstütze, die Musku- latur, so daß er schlafli" herunterhängt und zum Hängebauch wird.

Ein solcher Körper wird durch die erste Schwangerschaft, durch jeden noch so geringen Fettansatz endgültig entstellt; Bauch und Brüste werden dicker und schlaff"er und hängen; statt der Taille bildet sich eine querverlaufende wulstige Falte, und nur das Korsett

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers. 9



Fic


73. Gipsabguß nach der Leiche einer

jugendlichen Selbstmörderin, (i. anatomisches Institut, Berlin.)


130


KLEIDUNG.



Fig. 74. Mädchen ohne Schnürfurche.


ist noch im stände, eine Zeitlang die verlorene Form vorzutäuschen, die es selbst verdorben hat.


KLEIDUNG.


131


Ebenso wie die Bauchmuskeln beeinflußt ein Mißbrauch des Kor- setts auch die Rückenmuskeln in ihrer Entwicklung und Wirkung.



Fig. 75. Mädchen mit deutlicher Schnürfurche.

Frauen, die an das Korsett gewöhnt sind, fühlen sich rasch er- müdet und klagen über Schmerzen im Rücken, wenn sie einige Zeit


132


KLEIDUNG.



Fig. 76. Mädchen mit sehr starker Einschnüruns


ohne Korsett sich bewegen. Der Rücken erscheint dann hohl, flach und wenig modelliert infolge des geringeren Vortretens der Muskel- wülste.

Der nachteilige Einfluß des Korsetts ist umso größer, je stärker es geschnürt wird, je höher es ist und je früher es angelegt wird.


KLEIDUNG.


133



Fig. 77. Einschnürung durch Rockbänder (ohne Korsett).


Es ist leicht zu begreifen, daß in den Entwicklungsjahren, wo das Gerüst des wachsenden Körpers noch zart und biegsam ist, ein verhältnismäßig viel geringerer Druck genügt, um die Form zu beein- flussen, ebenso, daß die Arbeit der Rumpfmuskeln bei einem hohen Korsett viel stärker und in größerer Ausdehnung beeinträchtigt wird, als bei einem niederen, das nur wie ein breiter Gürtel die Mitte


134


KLEIDUNG.



umspannt. Daß endlich bei stärke- rem Sclmüren die Druckwirkung ent- sprechend erhölit wird, ist auch ohne weiteres einleuchtend.

Nun haben aber anatomische Un- tersuchungen^) ergeben, daß Bauern- weiber, die überhaupt kein Korsett trugen, oft viel stärkere Schnür- furchen zeigten als eingeschnürte Damen , und zwar , weil sie die Rockbänder stark anzogen, die dann ihre ganze Wirkung auf eine klei- nere Fläche umso kräftiger geltend machten.

Eine derartige, durch Rockbänder ohne Korsett hervorgerufene Ein- schnürung zeigt Fig. 77, bei der der Rumpf oberhalb des Nabels tief eingeschnitten erscheint , während der Unterleib in unschöner Weise mächtig vorspringt. Dazu kommt ein flacher Brustkorb mit hängenden Brüsten, wodurch der Körper trotz seiner jugendlichen Reize in hohem Maße künstlich entstellt wird.

Es läßt sich darüber streiten, wel- cher Entstellung man den Vorzug gibt, ob der mit oder der ohne Kor- sett hervorgebrachten.

Für unsere Zwecke genügt es, die nachteiligen Folgen beider Ursachen auf die schöne Bildung des Kör- pers dargelegt zu haben und in ge- gebenen Fällen als Fehler zu erkennen.

Somit ist das Korsett als Stützpunkt für die Kleider des Unter- ') Siehe Meinert 1. c.



Fig. 78. Druckfurchen der Strumpf- bänder unterhalb der Kniee bei einem 23iährigen Mädchen.


KLEIDUNG. 135

körpers völlig gerechtfertigt, andererseits aber darf das Korsett nicht mißbraucht werden, um eine künsthche Taille zu formen.

Nach der schlanken Taille kommt der kleine Fuß, den jede Frau gern haben möchte und dem zu Liebe sie die angeborene Schönheit dieses Körperteils durch unzweckmäßige Bekleidung verdirbt.

Eine Künstlerin, deren Hauptaufgabe die Darstellung des weib- hchen Körpers in seiner höchsten Vollendung ist, klagte mir, daß sie noch nie in ihrem Leben einen schönen weiblichen Fuß — nicht Stiefel — gesehen habe. Sie war noch jung; aber ich muß gestehen, daß unter den zahlreichen weiblichen Füßen, die ich gesehen habe, nur wenige sind, die vor einer strengeren Kritik standhalten. Haupt- sächlich ist es die Verdrehung der großen Zehe nach außen und die Krallenstellung der kleineren Zehen, die den Fuß verunstalten.

Als drittes Glied in der Kette des schädlichen Einflusses moderner Frauenkleidung ist das Strumpfband zu nennen, das je nach dem Geschmack der Trägerin entweder die Form der Wade oder die des Knies verdirbt. Die Rembrandtschen Modelle haben das erstere vor- gezogen.

Nach Lücke ^) soll aber auch die jetzt bei Kindern übliche Be- festigung der Strümpfe am Leibchen zu Verkrümmung der Beine Veranlassung geben.

Man hätte demnach die Wahl zwischen Schnürfurchen am Knie oder an der Wade und krummen Beinen, wenn man es nicht vor- zieht, kurze Socken oder sehr lange, bis zur Mitte des Oberschenkels reichende Strümpfe zu tragen.

Die Entstellung der Wade durch den Druck der Strumpfbänder zeigt Fig. 78 deutlich ausgeprägt.

Dies sind die drei wichtigsten Teile der weiblichen Kleidung, welche die Schönheit des Körpers beeinträchtigen können^). Man hat demnach des weiteren zu achten auf Verunstaltung des Rumpfes durch Schnüren von Korsett und Rockbändern, der Füße durch drückende Schuhe, der Kniee und Waden durch Strumpfbänder.


Zitiert bei Hoffa, Orthopädische Chirurgie, 1894, p. 112. Vgl. Stratz, Frauenkleidung. III. Auflage.


X.

Beurteilung des Körpers im allgemeinen nach diesen Gesichtspunkten.

In den vorigen Abschnitten wurde dargetan, daß die Schönheit des weiblichen Körpers abhängig ist von gewissen, mehr oder weniger fest umschriebenen Gesetzen, die teils empirisch und statistisch, teils exakt und deduktiv gewonnen sind.

Diese Gesetze ermöglichen zunächst, gewisse Grenzen zu ziehen, innerhalb deren ein Körper als schön gelten kann. Je strenger man diese Grenzen innehält, desto geringer wird die Zahl der allen An- forderungen genügenden Körper sein ; ja, wenn man die Gesetze der Entwicklung und Vererbung in ihrer ganzen Strenge walten läßt, dann erscheint kein einziges Kunstwerk von Menschenhand und kaum ein lebendes Geschöpf vollkommen.

Bei der Anwendung dieser Gesetze muß darum auch insofern der naturwissenschafthche Standpunkt gewahrt werden , daß nach dem durch sie gegebenen Maßstab nicht blindlings schematisiert und gene- ralisiert, sondern eine individualisierende Kritik geübt wird.

Die Gefahr des Verallgemeinerns ist hauptsächlich bei den auf empirischem und statistischem Wege gefundenen Tatsachen sehr nahe- liegend. Ein bei Vergleichung einer großen Anzahl von Individuen gefundener Wert ist ein Durchschnittswert, der höchstens als unterste Grenze des Normalwertes, in keinem Falle aber als maß- gebend für »das normale Individuum« gelten darf.


So hat R. von Larisch (Der Schönheitsfehler des Weibes, München i^ die Behauptung aufgestellt, daß die Weiber zu kurze Beine hätten und als Beweis loo von ihm ausgeführte Messungen von Modellen geliefert.

Die Messungen von Larisch beweisen nur, daß es viele Weiber mit kurzen Beinen gibt, und namentlich unter Künstlermodellen ; dies ist aber bei Männern genau ebenso der Fall und beruht in beiden Fällen beinahe immer auf Rhachitis.


BEURTEILUNG DES KÖRPERS IM ALLGEMEINEN. 137

Um einen Normalwert zu bestimmen, muß man zunächst alle Individuen, die aus irgend einem Grunde den Anspruch auf Norma- lität verloren haben, außer Betracht lassen. Der Durchschnitt der übrig bleibenden normalen Individuen ist dann der Normalwert.

Normal in diesem Sinne ist aber, wie sich zeigen wird, auch schön.

Das erste Erfordernis zur Erkennung normaler Formen ist ein scharfer und geübter Blick.

Ebenso wde der künstlerische, ist auch der ärztliche Blick an- geboren. Man braucht weder Arzt noch Künstler zu sein, um beide zu besitzen. Es gibt aber nicht nur farbenblinde, sondern auch formenblinde Menschen , die beides in größerem oder geringerem Maße entbehren, und auch von diesen sind leider so manche Aerzte und Künstler.

Der Künstler, sowie der Arzt schärft seinen Blick durch die Uebung, und um sich von der Richtigkeit ihres Augenmaßes zu über- zeugen, sind beide gezwungen, gewisse technische Hilfsmittel zu ge- brauchen, die ihnen ermöglichen, die gewonnenen Gesichtseindrücke mit absoluten Werten zu vergleichen.

Hier handelt es sich zunächst nur um die Art und Weise, wie man sich vom ärztlichen Standpunkte den richtigen Eindruck von der Form des weiblichen Körpers verschafft, und hierbei hat man, ebenso wie bei einem Patienten, zunächst die Gestalt im allgemeinen zu betrachten, bevor man zur Beurteilung der einzelnen Teile über- geht.

Wichtig ist es, daß man zunächst den völlig entkleideten Körper so aufstellt, daß das volle Licht gleichmäßig darauf fällt, also dem Fenster gegenüber. Bei schräger Beleuchtung ist es schwierig, die rechte mit der linken Körperhälfte zu vergleichen. Der Beschauer stellt sich, auf einigen Abstand, mit dem Rücken nach dem Fenster, der zu beurteilenden Person genau gegenüber.

Die Körperhaltung muß die aufrechte, militärische sein, jedoch so, daß die Füße in ihrer ganzen Länge sich berühren (Fig. 79).

In dieser Stellung kann man sich zunächst über die Propor- tionen, das Verhältnis der einzelnen Körperteile zueinander und zum Ganzen orientieren, und, wo nötig, dem Auge mit Zirkel und


138


BEURTEILUNG DES KÖRPERS IM ALLGEMEINEN.


Bandmaß nachhelfen. Streng wissen- schafthchen Anforderungen entspricht der Zandersche Meßapparat.

Zu rascher Orientierung genügt es, einige Hauptmaße zu nehmen, die durch vergleichende Messungen an gut gebauten Körpern festgestellt sind :

A. Höhen maße.

1. Die Körperhöhe ist 7^2 — y^/imal so groß als die Kopfhöhe; in seltenen Fällen ist das Verhältnis i : 8. Die durch- schnittliche Körperhöhe von europäischen Frauen ist 158 nach Quetelet, 160 nach von Lange, und 170 nach Geyer.

2. Die Körpermitte (Fig. 79 x) ist gleich der halben Gesamthöhe; sie liegt bei der Frau ungefähr an der oberen Haargrenze des Schamberges. Eine auch nur geringe Verschiebung nach oben deutet auf einen Fehler in den unteren Extremitäten.

3. Bei richtiger Länge der Arme muß das Ellbogengelenk in der Höhe der Taille, das Handgelenk in der Höhe des Schambergs stehen, wenn der Arm ruhig herabhängt.

4. Die Länge der Beine ist bereits bestimmt durch den Stand der Körper- mitte. Wenn die Beine ganz gerade und gut geformt sind, müssen sie sich in der angegebenen Stellung an vier Punkten

berühren, nämlich am oberen Drittel des Oberschenkels, am Knie, an der Wade und am Fußgelenk. Bei jugendlichen Individuen mit noch nicht voll entwickelten Waden kann der dritte Berührungspunkt fehlen, ohne daß darum die Form der Beine eine schlechte ist. Berühren sich die Kniee bei geschlossenen Knöcheln nicht, dann



Fig. 79. Symmetrische Körperhaltung.


BEURTEILUNG DES KÖRPERS IM ALLGEMEINEN. 13g

sind die Beine nach außen gekrümmt (O-Beine), berühren sich bei geschlossenen Knieen die Knöchel nicht, dann sind die Beine nach innen gekrümmt (X-Beine).

Der oberste Berührungspunkt ist abhängig von der Fülle der Oberschenkel.

B. Breitenmaße.

1. Die Schult erb reite ist beim weiblichen sowie beim männ- lichen Körper das absolut größte von allen Breitenmaßen; die genaue Messung ist erschwert durch die große Beweghchkeit und den wech- selnden Hoch- und Tiefstand der Schulter. Am sichersten mißt man bei gerade herabhängenden Armen die größte Entfernung der weichen Teile der Oberarme. Die Schultergelenk breite findet man von oben her, vom äußersten Rand des Schulterblatts, dem Akro- mion, aus.

2. Die Taillenbreite ist der schmälste Durchmesser des Rumpfes am unteren Rippenrand.

3. Die Hüftbreite ist am größten in der Höhe der von außen fühlbaren Vorsprünge der Oberschenkelknochen (Trochanteren) , ja sogar noch darunter; zur Bestimmung des Maßes ist es am empfeh- lenswertesten, durch die Haut hin diese Knochenvorsprünge abzutasten und von ihnen aus zumessen. Die Hüftgelenkbreite ist schwie- riger zu bestimmen wegen Unzugänglichkeit des Hüftgelenks; sie beträgt die Hälfte der Schultergelenkbreite.

Aus dem Verhältnis dieser drei Maße ergibt sich die charakteri- stische Form des gut gebauten weiblichen Rumpfes.

Bei 25 wohlgebauten Frauen fand ich folgendes Verhältnis:

Durchschnitt . . .162,5

. • 37,5

. . 21,5

33,5

Ganz unabhängig von der Körperlänge sind die Breitenmaße stets so angeordnet, daß die Hüftbreite um 4 cm, die Taillenbreite um 16 cm geringer ist als die Schulterbreite.

Will man weitere Maße nehmen, so kann man dazu entweder die Richersche Einteilung in Kopfhöhen, die Fritschsche oder Langer- sche Methode benützen.


Körperlänge . .


. 155 — 170


Schulterbreite .


■ 35—40


Taillenbreite . .


. 19—24


Hüftbreite . .


. 31-36


140 BEURTEILUNG DES KÖRPERS IM ALLGEMEINEN.

Die oben angegebenen Maße genügen jedoch zur Beurteilung der allgemeinen Verhältnisse der Figur. Außerdem aber hat man mit den Breitenmaßen bereits einen der wichtigsten sekundären Geschlechts- charaktere, die weibliche Bildung des Rumpfes, festgestellt.

Außer der Bildung des Rumpfes sind die weichen, runden For- men, die zarteren Farben, die Bildung der Brüste, die Länge der Kopfhaare, die geringe Körperbehaarung wertvolle Zeichen des gut ausgeprägten weibHchen Geschlechtscharakters, während eckige For- men, schlecht entwickelte Brüste, starke Körperbehaarung als ebenso- viele Fehler anzumerken sind.

Die Proportionen lassen sich entweder durch unmittelbare Messung am lebenden Körper, oder durch die Konstruktion über der Photo- graphie bestimmen.

Zu rascher Orientierung genügen die Verhältnisse Kopfhöhe zu Körperhöhe = i : 8. Arm zu Bein = 4:5. Kopf zu Rumpf = i : 3. Kopf zu Bein =1:4. Kopf zu Arm =1:3.

Die Verwertung des Fritschschen Kanons zur Bestimmung der

Proportionen an einer Photographie erläutern die Figuren 80 und 81.

Beiläufig sei bemerkt, daß ich durch Vergleichung der nach der Photo- graphie erzielten mit den an der Lebenden genommenen Maßen mich in diesem Falle direkt von der Richtigkeit der Proportionen nach dem Fritsch- schen Kanon überzeugen konnte. Um einen tadellosen Körper handelt es sich aber trotz richtiger Proportionen nicht, denn die eigentümliche Stellung der Handgelenke und die verdickten Knöchel sind Zeichen von leichter Rhachitis.

Hat man sich so über die Proportionen und die Ausbildung des Geschlechtscharakters im allgemeinen orientiert, so muß man des weiteren die symmetrische Entwicklung des Körpers beur- teilen.

Dies gelingt in gewissem Sinne auch bei Betrachtung der Figur von vorne in der oben beschriebenen Stellung. Besser jedoch ist es, zu diesem Zwecke die zu untersuchende Person sich gerade aus- gestreckt auf den Rücken legen zu lassen, hinter das Haupt derselben zu treten und von hier aus in der Verkürzung die rechte mit der linken Körperhälfte zu vergleichen. Unregelmäßigkeiten treten hier- bei viel schärfer hervor.

In zweifelhaften Fällen, deren Zahl bei einiger Uebung sich rasch vermindert, muß die direkte Messung entscheiden.


BEURTEILUNG DES KÖRPERS IM ALLGEMEINEN. 141



Fig. 80. 23Jähriges Mädchen in symmetrischer Körperhaltung.


Fig. 81. Proportionen von Fig. 80 nach Fritsch.


Ueber den Ernährungszustand entscheidet das Körpergewicht. Dieses wird nach der Vierordtschen Formel aus der Körperlänge und dem Brustumfang über den Brustwarzen berechnet. Das normale


142 BEURTEILUNG DES KÖRPERS IM ALLGEMEINEN.

weibliche Durchsclinittsgewiclit schwankt zwischen 52 und 60 kg. Ein wertvolles Zeichen zur Beurteilung der Ernährung ist das Aus- sehen der Haut, ihre Spannung, ihr Glanz und ihre Farbe.

Eine gesunde Haut schmiegt sich glatt und ohne Falten der Körperoberfläche an; die natürlichen Falten in den Beugestellen gleichen sich aus bei Streckung der Gliedmaßen. Namenthch bei der Frau werden durch das Fettpolster alle vorspringenden Ecken und Kanten des Knochengerüstes ausgeglichen, an Stellen, an denen die Haut an den darunter liegenden Teilen fester haftet, bilden sich Grübchen, so am Kinn, in den Wangen, auf den Schultern, am Ell- bogen, im Kreuz. Nimmt man eine Falte der Haut mit den Fingern auf, so glättet sie sich sofort wieder. Durch starke Abmagerung kann die Haut vorübergehend oder dauernd ihre Spannung verlieren und schlaff" werden.

Wenn die Spannung mit dem Alter schwindet, bilden sich Runzeln, die zuerst an den Augen auftreten (Krähenfüße).

Ebenso wie die Haut, ist auch das unter ihr liegende Fett- polster an verschiedenen Stellen des Körpers von wechselnder Dicke.

Bei der Frau ist im allgemeinen die Haut dünner und das Fett- polster dicker wie beim Manne. Darum findet man bei der Frau auch nie die scharf umschriebenen, durch Furchen begrenzten Mus- kelwölbungen, die sich bei männhchen Arbeitern finden.

Kräftige Muskelarbeit schädigt darum auch bei einem Weibe bei- nahe niemals die Schönheit der äußeren Formen, was ich mehrmals bei Akrobatinnen und Reiterinnen feststellen konnte.

Es ist oben schon hervorgehoben, daß durch zu starken und aus- schließlichen Gebrauch einer bestimmten Muskelgruppe der harmo- nische Eindruck des Ganzen leiden kann. Um das beurteilen zu können, ist eine genauere Kenntnis der Muskeln des menschHchen Körpers nötig.

Man kann sich die Lage und Bildung der Muskeln noch an- schaulicher machen, wenn man das zu untersuchende Individuum Bewegungen ausführen läßt, wobei sich die einzelnen Muskeln zu- sammenziehen und verdicken.

Bei einiger Uebung wird man bald im stände sein, durch einen


BEURTEILUNG DES KÖRPERS BI ALLGEMEINEN. 143

raschen Blick sich über ihre gleichmäßige Entwicklung aus der Mo- dellierung des Körpers zu überzeugen. Ueber die Schulter- und Brustmuskeln orientiert man sich am besten, wenn man die Arme bis über den Horizont langsam heben und senken läßt, über die Bauch- und Rückenmuskeln durch Beugen und Strecken des Ober- körpers, über die Muskeln der Beine durch Gehbewegungen. Wenn die Rundung der Formen hauptsächlich durch Fett bedingt ist, wer- den bei all diesen Bewegungen die Körperformen verhältnismäßig wenig beeinflußt; bei gut ausgebildeter Muskulatur aber treten die durch die Muskeln bedingten Rundungen deutlich hervor.

Der schädliche Einfluß der Kleider äußert sich hauptsächlich an der Taille, der Wade und dem Fuß. Diese Körperteile verdienen demnach daraufhin besonders aufmerksam beurteilt zu werden.

Ob eine Frau ihre höchste Blütezeit erreicht oder über- schritten hat, läßt sich bei einmaliger Untersuchung oft schwer aus- machen.

Im allgemeinen nimmt man an, daß der weibliche Körper mit dem 23. Lebensjahre völlig ausgebildet ist, doch ist bereits oben darauf hingewiesen worden, daß das Lebensalter in dieser Beziehung sehr großen individuellen Schwankungen unterworfen ist.

Größere Sicherheit bietet noch das Auftreten der ersten Menstrua- tion. Je später diese sich einstellt, desto wahrscheinlicher tritt auch die höchste Blütezeit später ein.

Einen weiteren Anhaltspunkt hat man an den Proportionen. Beim neugeborenen Mädchen ist im Verhältnis der Kopf am größten, die Extremitäten am kleinsten. Um die volle Ausbildung zu erreichen, muß sich der ganze Körper um reichlich das Dreifache vergrößern; dabei wächst der Kopf bis zum Doppelten, der Rumpf bis zum Drei- fachen, die Beine bis zum Vierfachen ihrer ursprünglichen Länge. Der Kopf hat meist schon gegen das 13. Lebensjahr seine bleibende Länge erreicht, der Rumpf ebenfalls, die Beine jedoch erreichen sie viel später. Da nun aber die Körpermitte umso tiefer reicht, je länger die Beine werden, so muß deren tiefster Stand mit dem voll- endeten Wachstum zusammenfallen. Demnach ist die Wahrschein- lichkeit, daß man es mit einem ausgebildeten Körper zu tun hat, umso größer, je tiefer die Körpermitte steht. Jedoch behält sie diesen


144 BEURTEILUNG DES KÖRPERS IM ALLGEMEINEN.

tiefsten Stand auch noch zu einer Zeit, in der die höchste Blüte ver- strichen ist, und darum können die Proportionen höchstens dazu dienen , den nicht völhg gereiften vom reifen Körper zu scheiden, nicht aber vom überreifen. — Den sichersten Anhaltspunkt zur Ent- scheidung dieser Frage bildet die jeweilige Beschaffenheit der Brüste. Die höchste Blütezeit der Brüste fällt mit der höchsten Blütezeit des Körpers zusammen; ihr Welken ist das erste Zeichen, daß die Blütezeit vorübergeht.

Von Krankheiten kommen hauptsächlich solche in Betracht, welche die äußere Form des Körpers dauernd beeinträchtigen, also in erster Linie Rhachitis und Schwindsucht. Bei bestehendem Zweifel kann es erforderlich werden , den objektiv aufgenommenen Befund durch Aussagen der Untersuchten bestätigen zu lassen. Für die Wahrschein- lichkeit einer früher durchgemachten Rhachitis spricht, wenn jemand spät gehen gelernt hat, als Kind sich langsam entwickelt; für Schwind- sucht spricht Neigung zu Husten, leichte Ermüdung, das Bestehen ähnlicher Krankheitserscheinungen bei den nächsten Angehörigen u. s. w.

Aus dem Vorstehenden ist ersichtlich, daß man zur Erhebung des Befundes nicht umhin kann, einige Fragen an die untersuchte Person zu stellen. Das Alter, das Eintreten der ersten Menstruation, Be- schäftigung, Lebensweise und Familienverhältnisse können wichtige Handhaben zur Beurteilung der jeweiligen Körperverhältnisse ab- geben.

Man ist also in gewissem Sinne gezwungen , eine »Anamnese«  aufzunehmen und sein Urteil zum Teil auf Aussagen zu stützen, die man von dem Subjekt der Untersuchung selbst erhalten hat.

Dabei ist jedoch darauf zu achten, daß diese Anamnese, ebenso wie in der ärztlichen Welt, nur einen subjektiven Wert hat, d. h. daß wir sie nur dann als glaubwürdig ansehen dürfen, wenn sie mit dem von uns erhobenen objektiven Befund übereinstimmt.

Das ist eine wissenschaftliche Forderung und keineswegs ein Miß- trauensvotum für die Frauen im allgemeinen und für das untersuchte Individuum im besonderen.

Mit der Ausschaltung aller hier angeführten Fehler der Pro- portionen, der symmetrischen Entwicklung, der Ernährung, des weib-


BEURTEILUNG DES KÖRPERS IM ALLGEMEINEN. I45

liehen Geschlechtscharakters, aller durch unzweckmäßige Kleidung und Krankheiten hervorgerufenen Veränderungen, mit der höch- sten Blütezeit sind somit die Eigenschaften bestimmt, die dem zu untersuchenden Weibe den Anspruch auf einen normalen Körperbau zusichern.

Innerhalb der in solcher Weise festgestellten Grenzen machen sich gewisse, durch Vererbung und Lebensweise bedingten Einflüsse bemerkbar, welche jeden einzelnen Körper von sämthchen anderen unterscheiden lassen. Diese beiden Einflüsse wirken in so fein ab- gestuften Unterschieden, daß sie sich einer regelrechten schematischen Beurteilung völlig entziehen. Durch sie wird die Individualität bedingt, d. h; diejenigen Abweichungen von dem allge- meinen Schema, welche der einzelnen Gestalt ihr cha- rakteristisches Gepräge verleihen.

Die Gesetze, nach denen sich jeder einzelne Körper als Mikro- kosmus ausbildet, sind uns nur zum Teil bekannt. Wem die Natur heihg ist, für den hat jede auch noch so geringe körperliche Eigen- tümlichkeit einen großen Wert, welcher zwar nicht immer begriflien, in jedem Falle aber sorgfältig beachtet werden muß.

Allgemeingültige Gesetze zur Beurteilung der Individualität lassen sich deshalb nicht aufstellen , dagegen ist die sorgfältige Beachtung der Eigenart im gegebenen Falle ein strenges Gebot.

Jede Frau hat ihre Individualität, die sie von allen anderen Individuen ihrer Art unterscheidet. Diese Indi- vidualität ist begründet auf gewissen Abweichungen von den allgemeinen Regeln. Diese Abweichungen geben dem Körper sein persönliches Gepräge und sind nicht als Fehler anzusehen, solange sie sich innerhalb der aufgestellten Grenzen der Gesetze über Proportionen, symmetrische Entwicklung, gleichmäßige Ausbildung und sekundären Geschlechts charakter halten.

Man kann, wie Langer^) hervorhebt, aus der großen Zahl der Individualitäten wiederum größere Gruppen mit gemeinschaftlichen Merkmalen zusammenstellen, und z. B, große, mittelgroße und kleine.


') Anatomie der äußeren Formen, p. 79.

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers.


146


BEURTEILUNG DES KÖRPERS IM ALLGEMEINEN.


schlanke und gedrungene Gestalten voneinander schei- den. Langer findet dabei, daß auch diese Gruppen ge- wissen Gesetzen unterworfen sind, so daß sich meist groß und schlank, klein und ge- drungen zusammenfindet.

Dies sind individuelle Schwankungen, die sich alle auf das Verhältnis zwischen den Proportionen der Län- gen- und Breitenmaße des Körpers zurückführen, und somit bis zu einem gewissen Grade durch Berechnung kontrollieren lassen.

Außer diesen gibt es aber zahlreiche feinere Unter- schiede, welche sich der mathematischen Berechnung völlig entziehen.

Für das Gesicht ist zuerst von Piderit^) nachgewiesen worden, daß sich durch einen regelmäßigen Gebrauch der mimischen Gesichtsmuskeln eine gewisse Physiogno- mie ausprägt, welche für ein bestimmtes Individuum, bezw. Gruppen von Indivi- duen, kennzeichnend wird. Für den übrigen Körper, mit Ausnahme der Hand, sind ähnliche Beobachtungen noch nicht gemacht w^orden. Trotzdem ist als sicher



Fig. 82.

Normaler Körper mit sanguinischem Gepräge


^) Piderit, Wissenschaftliches System der Mimik und Physiognomik, 1867.


BEURTEILUNG DES KÖRPERS JM ALLGEMEINEN.


147



anzunehmen, dai] je- der einzelne Körperteil seinen ganz bestimm- ten physiognomischen Wert hat.

Daß die Anfänge einer bisher noch nicht wissenschaftlich bear- beiteten Körperphy- s i o g n o m i k alsKeime in unserem Bewußt- sein schlummern, da- für sprechen verschie- dene in der Umgangs- sprache wie in der Wis- senschaft gebrauchte

Bezeichnungen für eine durch Vererbung oder Lebensweise her- vorgebrachte Körper- eigentümlichkeit; da- hin gehört derjüdische Gang, der in Holland als Wüstenschritt bezeichnet wird, das Bäckerbein, der Bierbauch, die Am- menbrust u. dgl. m.

Für unsere Zwecke genügt es, festzustel- len, daß innerhalb der normalen Grenzen die durch Vererbung und Lebensweise bedingte Lidividualität nicht nur dem Gesicht, sondern auch dem Körper jedes einzelnen Individuums ein ganz bestimmtes Gepräge verleiht und dadurch eine große Schwan- kungsbreite für den körperlichen Ausdruck der Schönheit hervorruft.


Fig. 83.

Normaler Körper mit phlegmatischem Gepräge.


148 BEURTEILUNG DES KÖRPERS IM ALLGEMEINEN.

Leichter verständlich werden diese Unterschiede, wenn man die aus der Gesichtsphysiognomik geläufigen Begriffe, wie z. B. die Be- zeichnungen der vier Temperamente, auf den Körper überträgt.

In den Figuren 82 und 83 sind zwei völlig normale Körper dar- gestellt. Die Proportionen entsprechen dem Fritschschen Kanon, bei der ersten beträgt die Körperhöhe 8, bei der zweiten etwas über 7^/2 Kopf höhen. Beide Körper zeigen keine Spuren von überstan- denen Krankheiten, keine Druckstellen von Kleidern, die Ernährung ist bei beiden eine gleichmäßig gute, der weibliche Geschlechts- charakter ist bei beiden gut ausgeprägt, namentlich sind die Brüste bei beiden sehr schön gebildet und entsprechen nach Form und Größe dem Zustand der höchsten Blüte.

Von einigen geringeren Fehlern abgesehen, wie etwas zu geringe Hüftbreite bei der ersten, eine nicht ganz reine Umrißlinie des Ober- schenkels (links) bei der zweiten , besitzen beide einen besonders regelmäßig gebauten Körper.

Trotzdem beide Gestalten völlig in den Rahmen weiblicher Schön- heit hineinpassen, zeigen sie doch, miteinander verglichen, bemerkens- werte Unterschiede.

Bei Fig. 82 erkennt man im Gesicht ebenso wie im Körper eine feiner ausgearbeitete Oberfläche, eine bessere Ausprägung der Mus- kulatur. Dem lebhafteren Ausdruck im Gesicht entspricht eine freiere Bewegung des Körpers, die sich auch in der angenommenen Stellung kundgibt. Die ganze Gestalt ist von einer Feinheit des Baus belebt, an der man bei schönen Pferden das reine Blut, die »Rasse«, er- kennt. Zu diesem Bilde passen auch- die zarten und zierlichen Ge- lenke, die auffallend gute Gestaltung der feingefesselten Füße.

Von den physiognomischen Temperamenten entspricht das leb- hafte sanguinische dieser Körperbildung am besten (Sanguis^Bkit).

Bei Fig. 83 zeigen Gesicht und Körper eine behagliche Daseins- freude, alle Formen sind weich und rund, mehr fett als fleischig. Die Fesseln sind schwerer, die Hände und Füße trotz guter Form von massiverem Bau. Der Ausdruck des Gesichts ist trotz großer Regelmäßigkeit der Züge weniger tief, weniger lebhaft, und dement- sprechend macht sich auch im Körper eine bequeme Lässigkeit in Form und Haltung geltend.


BEURTEILUNG DES KÖRPERS IM ALLGEMEINEN. 14g

Wie die erste Gestalt dem sanguinischen, so entspricht diese dem trägen, phlegmatischen Temperament.

Die erste ließe sich mit Diana, die zweite mit einer Nymphe vergleichen, die erste zeigt eine ausgearbeitete Individualität, die zweite ist mehr eine Vertreterin der Gattung, die erste ist eine Per- sönlichkeit, die zweite ein Weib wie viele andere.

Diese Beispiele zeigen, daß trotz aller Gesetze und Einschränkun- gen die Individualität schon bei einer oberflächlichen allgemeinen Betrachtung des Körpers zu zahlreichen Variationen der weiblichen Schönheit Gelegenheit bietet. In noch höherem Maße ist dies der Fall, wenn man auch die einzelnen Teile des Körpers einer genaueren Prüfung unterzieht.

Wie wir beim Krankenexamen nach der allgemeinen Betrachtung seine Organe näher untersuchen, so müssen wir auch hier uns nach Erledigung der allgemeinen Fragen ausführlicher mit den einzelnen Körperteilen befassen.

Bei der Betrachtung im allgemeinen war es erforderlich, das Licht voll und gleichmäßig von vorn auf den Körper fallen zu lassen, zur Beurteilung seiner Teile ist eine seitliche und halbe Beleuchtung oft wünschenswert, weil dadurch die Einzelheiten der Bildung schärfer hervortreten.

Außerdem ist man oft genötigt, die einzelnen Teile in verschie- dene Stellungen zu bringen. Beim Kopf genügt die Betrachtung im Profil und en face, beim Rumpf und bei den Gliedmaßen kann man damit oft nicht einmal auskommen und muß die verschiedenen Phasen der Bewegungen zu Hilfe nehmen.


XL

Kopf und Hals.

Die Form des Kopfes, als Ganzes betrachtet, ist im wesentliclien abhängig von der Bildung des Schädels. Da nun aber von loo Kin- dern 97 in Schädellage geboren werden, wobei der nach hinten liegende Teil der Schädelwölbung eine w^enn auch noch so geringe Ab- fiachung erleidet, die selten völlig wieder ausgeglichen wird, so sind in weitaus den meisten Fällen die Schädel asymmetrisch. Meist ist jedoch diese Abweichung so gering, daß sie sich der Beachtung entzieht.

Eine völlig symmetrische Entwicklung der beiden Kopfhälften vor der Geburt ist so außerordentlich selten, daß sich kaum ein Mensch finden läßt, bei dem die rechte Hälfte genau das Spiegelbild der linken ist. Kleinere Abweichungen dieser Art fallen dem.nach in den Rahmen der Individualität.

Während der Schädel bei beiden Geschlechtern im Kindesalter die gleiche Bildung hat, finden sich mit zunehmender Reife mehr oder weniger scharf ausgeprägte sekundäre Geschlechtscharaktere.

Zunächst ist die Größe sowie der Inhalt des Gehirnschädels bei der Frau geringer, und ebenso die Größe des Gesichtsschädels, ver- ghchen mit dem Gehirnschädel (Fig. 84).

Die Wölbung des Schädeldaches ist beim Manne stärker und gleichmäßiger; bei der Frau ist der Scheitel flacher und setzt sich im Profil von der Stirn und vom Hinterhaupt in schärferem Winkel ab als beim Manne. Dadurch wird die Stirngegend bei der Frau kürzer und verläuft mehr senkrecht als beim Manne.

Von vorn gesehen ist die Stirn der Frau gleichmäßig rund gewölbt, während beim Manne die Stirnhöcker kräftig ausgebildet sind und der Stirn eine mehr eckige Form geben. Der Gesichts- schädel der Frau erscheint breiter und weniger hoch , und im Ver- hältnis zum Hirnschädel kleiner als beim Manne.


KOPF UND HALS.


151


Im allgemeinen ist damit der Geschlechtsiinterschied am Schädel der folgende :

Männerschädel: eckig, hoch, mit Ueberwiegen des Gesichtsteils.

Weiberschädel: rund, breit, mit Ueberwiegen des Gehirnteils.

Bei der Betrachtung der lebenden Frau sind es im Profil nament- lich die Knickung zwischen Stirn und Scheitel und en face die relative Kleinheit und Rundung des Gesichts, welche der Beobachtung zugänglich sind, und, gut ausgeprägt, den Vorzug rein weiblicher Bildung in sich schließen.

Das starke Hervortreten der Stirnhöcker, das sich in der Regel



Fig. 84. Weiblicher (a) und männlicher (/;) Schädel. Modifiziert nach Ecker.


erst beim erwachsenen Manne deutlich ausprägt, kann bei beiden Ge- schlechtern schon im jugendlichen Alter auftreten und zwar als Folge von englischer Krankheit (Tete caree). Abgesehen vom jugendlichen Alter erkennt man den krankhaften Ursprung solcher Schädelbildung meist an dem gleichzeitigen Vorhandensein rhachitischer Zeichen an anderen Körperteilen.

Die übrige Form des Schädels wird durch die Haare verdeckt, welche beim Manne, auch wenn man sie nicht abschneidet, nie so lang werden als bei der Frau.

Die Haare der Frau erreichen eine durchschnittliche Länge von 75 cm (Ranke) und sind außerdem dicker als beim Manne (Virchow).

Sie können aber auch eine Länge von 150 cm und mehr er-


152 KOPF UND HALS.

reichen^). Demnach bildet langes und reichliches Kopthaar einen sekundären Geschlechtscharakter der Frau und damit einen weib- lichen Vorzug, der umso größer wird, je länger und je reichlicher das Haupthaar im gegebenen Falle ist.

Der wichtigste Teil nicht nur des Kopfes, sondern des Körpers überhaupt ist das Angesicht. Im Gesicht ist die Individualität am stärksten ausgedrückt. Das Gesicht ist stets unbedeckt und häufiger und gründlicher Beobachtung ausgesetzt: jedermann kennt die feinen Nuancen seines Ausdrucks, wenn er auch nicht die Erklärung dafür zu geben vermag.

Man ist so sehr gewöhnt, allein nach dem Gesicht zu urteilen, daß dessen schöne Bildung alle Fehler des Körpers vergessen läßt, ein häßliches Gesicht aber trotz aller Vorzüge des übrigen Körpers ein Verdammungsurteil in sich schließt.

Um sich darüber Rechenschaft zu geben, welche Anforderungen man anatomisch an die schöne Gesichtsbildung stellen darf, muß man auf die embryonale Entwicklung zurückgreifen.

Die erste Anlage des Körpers besteht aus Keimblättern, welche sich über der Vorderfläche zusammenrollen und dort mehr und mehr verwachsen (vgl. Abschnitt V).

Das Kopfende des menschlichen Embryos unterscheidet sich von dem tierischen durch eine sehr frühzeitige Ausbildung des Vorder- hirns, das die seitlich von den Kiemenbogen umgebene primitive Gesichtshöhle von oben her überdacht.

Von dem Stirnlappen des Gehirnteils wachsen ein mittlerer und zwei seitliche Nasenfortsätze nach unten und fassen die primitiven, mit dem Gehirn in Zusammenhang stehenden Riechgruben zwischen sich. Nach außen von den seitlichen Nasenfortsätzen liegen die Augenblasen, welche gestielt vom Gehirn ausgehen und der Körper- oberfläche entgegenwachsen.

Außer diesen drei Nasenfortsätzen sind es namentlich die paarigen Oberkieferfortsätze und die in der 6. Woche bereits verwachsenen Unterkieferfortsätze, welche zur Bildung des Gesichts verwendet


'j Bei vier Frauen mit besonders schönem Haar liabe icli 120, 126, 130 und 153 cm gemessen; in Münclien fand ich 1S99 eine Dame von 164 crh Körperlänge mit Haaren von 155 cm Länge.


KOPF UND HALS.


153


werden. Beide gehen durch Spaltung aus dem ersten Kiemenbogen hervor.

Von der gleichmäßigen Entwicklung dieser Fortsätze hängt im wesentlichen die regelmäßige Form des Gesichtes ab, und zwar sind es die Oberkieferfortsätze, die dabei die Hauptrolle spielen.

Jeder der erwähnten Fortsätze enthält in der Anlage die Haut, die Muskeln, die Blutgefäße, die Nerven und die Knochen des zukünftigen Gesichtes.

In Fig. 85 stehen die Augenblasen (A) stark seitlich, die Ohren tief unten in der Höhe des zweiten Kiemenbogens; die Vor- derfläche wird von der gemeinschaftlichen Nasenmundhöhle eingenommen. Die Unter- kieferbogen {7/1 /) sind bereits in der Mitte verwachsen, die Oberkieferbogen (w .y) schie- ben sich seitlich zwischen Augenblasen und primitiver Mundhöhle nach den Stirnfort- sätzen hin. Am Boden des Mundes liest die Zungenanlage.

In Fig. 86 ist der breite klaffende Mund- spalt mehr geschlossen, weil die Oberkiefer und mittleren Nasenlappen sich stärker aus- gebildet und in der Mittellinie einander ge- nähert haben.

In Fig. 87, dem Ende des 2. Monats entsprechend, ist die Nasenanlage von der Mundspalte, und beide von den Augen- spalten bereits völlig getrennt.

In diesem Stadium der Entwicklung ver- wachsen die fünf oberen Fortsätze mehr und mehr, bis schließlich die beiden Ober- kieferfortsätze mit einem Teil des mitt- leren Nasenfortsatzes zusammen die Ober-




Fig. 85—87. Entwicklung

des Gesichts (nach His).

« ;« mittlerer, «/ seitliche Nasen- fortsätze, JUS Oberkieferfortsätze, A Augen, Ö Ohren, ?« z' Unter- kieferfortsätze.


154 KOPF UND HALS.

lippe bilden. Wo diese Vereinigung nicht in vollständiger Weise zu Stande kommt, bleibt ein größerer oder geringerer Grad von »Hasen- scharte« bestehen.

Bei gleichmäßig guter Entwicklung aller Teile muß nicht nur die Oberlippe völlig vereinigt sein, sondern es muß sich auch das Grüb- chen zwischen Nase und Mund deutlich und scharf abgrenzen, und das Lippenrot muß in der Mitte mit leicht nach unten konvexem Bogen zusammenfließen. Es ist bekannt, daß bei den EngLindern häufig zu kurze OberHppen gefunden werden , und bei den Negern wiederum häufig Oberlippen, die den normalen Grad der Entwicklung in ihren seitlichen Partien überschreiten. Diese letztere Eigentümlich- keit ist meist eine Folge von starker Entwicklung des Oberkiefers überhaupt und findet sich deshalb zusammen mit stark vorstehenden Backenknochen.

Beim Vergleich der Embryonalanlage mit dem Schädel eines neu- geborenen Kindes (Fig. 88) sieht man, daß die den drei Nasenfort- sätzen angehörigen Knochen , die Nasenbeine und der Mittelkiefer, an Wachstum durch die Knochen des Oberkiefers und Jochbogens weit überholt sind.

Die Oberkieferknochen bilden den Mittelpunkt, um den sich die übrigen Knochen des Gesichts anordnen , wie man sich leicht an nebenstehender Figur (88) überzeugen kann. Zunächst bilden sie in Vereinigung mit dem schmalen Mittelkiefer die obere Begrenzung des Mundes und die untere der Nase; durch die nach oben sich weiterschiebenden Fortsätze begrenzen sie einen Teil der Augenhöhle und scheiden diese von der Nase. Augen, Mund und Nase, die wichtigsten Teile des Gesichtes, sind dadurch in Abhängigkeit gebracht von der Entwicklung des Oberkiefers.

Geht man nun einen Schritt weiter und vergleicht den Schädel des Neugeborenen mit dem der erwachsenen Frau, so tritt der Ein- fluß des Wachstums des Oberkiefers sofort deutlich vor Augen (Fig. 89, 90).

Sind die oberen Ausläufer des Oberkiefers zu stark entwickelt, so wird die Wurzel der Nase breit und die Augen treten mehr aus- einander (Fig. 90), sind die mittleren Teile zu mächtig, so schieben sie die Jochbogen nach außen und die Backenknochen treten stärker


KOPF UND HALS.


155


hervor, während zugleich die Nase einen stärl-:eren Winkel nach vorn macht.

Von der Entwicklung des unteren Teiles hängt zunächst, wie



Fijr. 88. Schädel eines Neugeborenen. Die rote Fläche entspricht dem Gesichtsteil des Oberkieferknochens.



Fig. 89. Schädel einer Frau mit schmalem und langem Oberkiefer.



Fig. 90. Schädel einer Frau mit kurzem und breitem Oberkiefer.


ervv'ähnt , die Bildung der OberHppe ab. Tritt der Oberkiefer in schräger Richtung nach vorn voraus (Prognathie), ist er dabei kräftig entwickelt , dann beherrscht er die übrigen Teile des Gesichts und bildet den Typus, der bei den Negern ein Rassenmerkmal ist. Mit


156 KOPF UND HALS.

dieser Verstärkung der oberen Mundpartie geht aber Hand in Hand eine Verkürzung und Verbreiterung der Nasengegend, so daß diese in die Höhe gebogen und breiter wird und zugleich in der Ansicht von vorn die Oeffnung der Nasenlöcher sichtbar sind. Meist ver- bindet sich damit eine stärkere Entwicklung des Unterkiefers (Fig. 90).

Wenn jedoch die unteren Partien des Oberkiefers schmal bleiben und zugleich mehr senkrecht sich stellen (Orthognathie), dann tritt die Mundpartie mehr zurück, zugleich aber wird die Nase schmäler und länger in ihrem unteren Teil (Fig. 89).

Aus allen diesen Momenten ergeben sich zahlreiche Verschieden- heiten der Gesichtsbildung.

Daß die anderen Gesichtsknochen auch mehr oder weniger dazu beitragen können, liegt auf der Hand. Wer sich dafür interessiert, findet Ausführhcheres darüber bei Langer ^).

Wir haben uns hier auf den Oberkiefer als den weitaus wichtig- sten der Gesichtsknochen beschränkt.

Da nun aber ein breiter, kurzer und vorstehender Oberkiefer das Merkmal des Negertypus resp. des Affentypus ist, so wird die Ge- sichtsbildung umso vollkommener sein, je schmäler, länger und senkrechter der Oberkiefer sich entwickelt hat, und je schmäler seine oberen Ausläufer sind.

Die Folgen derartiger Bildung sind: eine schmale und ge- streckte Nase, eine gleichmäßige, mehr senkrechte Ab- ilachung der seitlichen Nasenpartie nach der Oberlippe zu, senkrechter Stand der Zähne des Oberkiefers, wenig vortretende Backenknochen.

Diese Vorzüge zeigen sich deutUch ausgeprägt in dem jugend- lichen Gesicht eines 13jährigen Mädchens aus Rom (Fig. 91), deren Gesichtsoval auffallend rein und regelmäßig gebildet ist.

Zu diesen , beiden Geschlechtern gemeinsamen Vorzügen in der Bildung des Kopfskeletts gesellen sich beim Weibe noch die ihm. eigentümlichen sekundären Geschlechtsmerkmale, welche auch in der Schädelbildung ausgesprochen sind.

Zunächst ist es die relative Kleinheit des Gesichts im


^) Anatomie der äußeren Formen, p. iio fT.


KOPF UND HALS.


157


Verhältnis zum Schädel, durch die sich das Weib vom Manne unter- scheidet und sich in dieser Hinsicht weniger als jener vom kindlichen Typus entfernt.

Dazu kommt, daß die Augenhöhlen des weiblichen Skeletts



f^'ö- 91- Junge Italienerin von 13 Jahren. Regelmäßiges Gesichtsoval.


geräumiger sind als beim Manne. Auch hierin steht das Weib dem Kinde näher als der Mann.

Die gleichmäßige Abrundung des weiblichen Gesichts läßt sich schon im Skelett erkennen. Hierzu tragen zwei weitere wesentliche sekundäre Geschlechtscharaktere bei.

Schaafhausen ^) tand, daß bei Frauen aller Rassen die mittleren Schneidezähne absolut größer sind als bei Männern ; da nun die mittleren Schneidezähne dem Mittelkiefer entsprechen (auf Fig. 89


^) Zitiert bei Ploß-Bartels, Das Weib, 1897, p. 25.


158


KOPF UND HALS.


und 90 zwischen den roten Feldern weiß gelassen), so können wir die Breite des Mittelkiefers und damit der mittleren Schneidezähne als einen Vorzug des weiblichen Körpers auffassen. Am lächeln- den Munde eines Samoanermädchens (Fig. 92) ist dieser Vorzug

sehr schön zu sehen. Es resultiert daraus eine stär- kere Breite des Gesichts unter- halb derBacken- knochen in den mittleren Partien. Endlich hat Mor- selh ^) durch ver- gleichende Mes- sungen und Wä- gungen gefunden, daß der Unter- kiefer der Frau

kleiner und leichter ist als der des Mannes. Wir können dem- nach als einen wei- teren Vorzug weib- licher Bildung ver- zeichnen: schma- ler Unterkiefer mit schräg nach oben und auswärts verlaufenden Gelenk tortsätzen.

Daraus resultiert wieder eine starke Verjüngung des Gesichts von der Mitte nach dem Kinne zu.

In besonders schöner Weise findet sich diese Bildung bei einer 18jährigen Ungarin (Fig. '^^).



Fic


92. Mädchen ans Samoa. Breite vordere Schneidezähne. (Aufnahme von Andrew.)


^) Sul peso del cranio e dclla manclil:)ola in rapporto col sesso. Firenze 1876.


KOPF UND HALS.


159


Dem stark zum Kinn hin sich verschmälernden Unterkiefer entspricht auch eine besonders kleine Mundspalte, welche von den Chinesen als eines der höchsten weiblichen Schönheitszeichen angesehen wird.

Fassen wir das Resultat der erwähnten Geschlechtsunterschiede zusammen, so kommen wir zu dem Schlüsse, daß die gut entwickelte knöcherneUnter- lage des weib- lichen Gesichts in der Höhe des unteren Augen- höhlenrandes am breitesten ist und sich von da nach unten stark und gleichmäßig zum Kinne verjüngt.

Die Gesamt- verhältnisse des gleichmäßig aus- gebildeten Schä- dels müssen nach den übereinstim- menden Messun- gen an zahlrei- chen gut gebau- ten Individuen

derart sein, daß die Längsachse in drei gleiche Teile zerfällt, nämlich vom Stirn winkel bis zum oberen Augenrand, von da bis zum unteren Nasenrand, von da bis zum Kinn; die größte Breite über den Schläfen muß zur Länge des Schädels im Ver- hältnis von 2 : 3 stehen.

Außerdem muß natürlich auch die linke Hälfte mit der rechten völlig symmetrisch gestaltet sein.

Die dadurch bedingte regelmäßige Bildung des Gesichts kommt in dem Kopf einer Oesterreicherin (Fig. 94) auffallend schön zur Geltung. Zugleich läßt sich daran die feinere Ausarbeitung und in-



l^'g- 93- Ungarin von iS Jahren, kleiner Mund und schmaler Unterkiefer. (Collier de Venus.)


160 KOPF UND HALS.

dividuellere Prägung des weiblichen Gesichts im Gegensatz zum kind- lichen (Fig. 91) leicht erkennen.

Aus alledem ergibt sich, daß durch die knöcherne Unterlage die Hauptform.en des Gesichts bestimmt sind, jedoch in einer Weise, die



Fig. 94. Kopf einer Uesterreichenn. Sürn, Nase, Kinnmundpartie gleich groß, Regelmäßige Züge. (Collier de Venus.)

einen großen Spielraum für individuelle Ausbildung innerhalb normaler Grenzen gestattet.

Von beiden Geschlechtern kann man verlangen, daß die Zähne gleichmäßig gestellt, weiß und glatt sind, bei der Frau kommt dazu die größere Breite der vorderen oberen Schneidezähne.

Noch feinere Nuancen der Individualität geben die Muskeln. Die scheinbare Regellosigkeit derselben entwirrt sich (Merkel), wenn man bedenkt, daß sie alle um die Oeifnungen des Gesichts, die Augen, die Ohren, die Nase und den Mund, gruppiert, entweder


KOPF UND HALS. 161

Schließ- oder Oeffnungsmuskeln sind. Die Schließmuskeln legen sich kreisförmig um die Oeffnung, die Oeffnungsmuskeln stehen radial zum Rande angeordnet. Jedoch verflechten sich die einzelnen Muskeln wieder untereinander, und außerdem unterscheiden sie sich dadurch, daß nicht nur der Muskel im ganzen, sondern auch jedes einzelne Muskelbündel einer selbständigen Bewegung fähig ist. So entstehen z. B. die Grübchen in den Wangen durch die isolierte Wirkung eines daselbst in der Haut endigenden Muskelbündels , das sich beim Lächeln zusammenzieht. Eine vortreffliche Beschreibung der Gesichts- muskeln findet sich bei Merkel ^) und bei Langer -).

Die Muskeln sind die hauptsächlichsten Träger der Individuali- tät und haben als solche hier nur untergeordnetes Interesse, es sei denn, daß man die feine Ausbildung des Mienen- spiels mit als einen der Vorzüge weiblicher Vollkommenheit er- wähnen will. Den Ausdruck des Gesichts, des Spiegels der Seele, hier ausführlich zu analysieren, würde die Grenzen des Buches zu sehr überschreiten.

Eine Eigentümlichkeit der Gesichtsmuskeln jedoch, die Langer besonders hervorgehoben hat, verdient unsere besondere Beach- tung.

An einzelnen Stellen des Gesichts flechten sich nämlich die Enden einiger Muskeln in die Haut ein, und zwar in der Stirngegend, an den Nasenflügeln, in den Lippen und am Kinn. Die Grenzen dieser Einpflanzungen sind die Augenbrauen und die quere Furche zwischen Kinn und Unterlippe, ferner jederseits zwei Furchen, von denen die eine vom Nasenflügel nach dem äußeren Mundrand, die andere vom äußeren Mundrand nach dem Kinn herabzieht; diese letztere vereinigt sich häufig unterhalb des Kinnes mit der gegen- überliegenden.

Diese Muskelbildung übt Einfluß auf die Verteilung des Fett- polsters im Gesicht. Innerhalb der Grenzen der festen Muskelanhef- tung kann es sich nicht entwickeln ; wir sehen daher auch bei starker Fettleibigkeit stets Stirn, Nase, Mund und Kinn davon verschont, während durch starke Fettanhäufung in den Wangen die erwähnten

^) Merkel, Topographische Anatomie, I, p. loo. ^) Anatomie der äußeren Formen, p. 129.

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers. II


162


KOPF UND HALS.


Furchen schärfer und schärfer hervortreten. Am Kinn bilden sich ein oder mehrere Fettwülste unterhalb der vereinigten Lippenkinn- linie, das bekannte Doppelkinn.

Da nun eine gewisse Rundung der Formen dem Weibe eigen- tümlich, eine zu große Fülle aber unschön ist, können wir als Bedingung guter Entwicklung für die Frau aufstel- len, daß die genann- ten Grenzlinien an- gedeutet sein müssen, ohne zu scharf hervorzutre- ten (Fig. 95).

Das Grübchen im Kinn, eine Zierde des weibhchen Ge- schlechts, ist, ebenso wie die Grübchen in den Wangen, durch den Zug der in die Haut verflochtenen Muskeln veranlaßt. In Oesterreich , wo das »Grüberl im Kinn« in vielen



Fig. 95. Kopf einer Pariserin mit fein modelliertem,

gut proportioniertem Gesicht.

(Nach einer Photographie von Reutlinger, Paris.)


Liedern und Gesängen verherrlicht wird, findet es sich viel häufiger als in anderen Ländern: Chacun preche pour sa paroisse. Ein 25Jähriges Mädchen aus Wien (Fig. 96) zeigt diesen Vorzug sehr schön ausgeprägt.

Die Auspolsterung der Wangen mit Fett vollendet die Abrundung des Gesichts zum gleichmäßigen Oval, zum »länglichen Eirund«, jedoch nur so lange, als die Spannung der Haut erhalten ist. Wenn diese erschlafft, hängen die Backen herab und werden schlaff". Es


KOPF UND HALS.


163


ist deshalb ein gutes, wenn auch nicht stets erlaubtes Mittel älterer Herren, sich von dem Gesundheitszustand weiblicher Pflegebefohlenen dadurch zu überzeugen, daß sie sie in die Backen kneifen.

Die Haut des Gesichtes ist über den Wangen am zartesten und



Fig. 96. Kopf einer Oesierreicherin. Grübchen im Kinn.


dort bei gesunden Menschen stets leicht gerötet, weil das Blut stärker durchschimmert. Eine scharf umschriebene, kreisrunde helle Röte über den Backenknochen ist ein Zeichen der Schwindsucht und darum nicht normal.

Wie für das Gesicht im allgemeinen, so lassen sich auch für dessen einzelne Teile, die Augen, die Ohren, den Mund und


164


KOPF UND HALS.


die Nase, bestimmte Kennzeiclien sctiöner Bildung objektiv fest- stellen.

Die Augäpfel haben mit dem 8. Lebensjahre ihre bleibende Größe erreicht und sind bei allen Menschen gleich groß. Der scheinbare Unterschied hängt allein ab von der größeren oder kleineren Lid- spalte und von der tieferen oder oberflächhchen Einbettung.



Fig. 97. Kopf eines japanischen Mädchens mit Mongolenfalte.

Abgesehen davon, daß dunkle Augen etwas größer erscheinen als helle, hängt der Eindruck der Größe völlig ab von der Umgebung des Auges.

Die Augenbrauen liegen auf der Grenze zwischen Augenhöhle und unterem Stirnrand. Da große Augenhöhlen ein sekundäres weibliches Geschlechtsmerkmal sind, so sind die Augenbrauen umso schöner, je höher sie gewölbt sind. Da ferner buschige Augen-


KOPF UND HALS.


165


brauen den Mann und ein höheres Lebensalter kennzeichnen, können schmale, glatt verlaufende Augenbrauen als weibHcher Vorzug ange- sehen werden.

Es gilt als schön , wenn die Augenbrauen zur Seite lang und



Fie.


Dame ans Valencia. Hohe obere Ausenfalte.


spitz auslaufen, als häßlich, wenn sie in der Mitte verwachsen sind; eine befriedigende Begründung dieser Auffassung läßt sich nicht finden. Daß das gänzliche Fehlen der Augenbrauen als Entstellung angesehen wird, scheint der in Japan übliche Brauch zu beweisen, daß verheiratete Frauen zur Beruhigung ihrer eifersüchtigen Ehemänner


156 KOPF UND HALS.

nicht nur die Zähne schwarz färben, sondern auch die Augenbrauen abscheren müssen ^). —

Die Augenwinkel müssen- bei geschlossenen Lidern in einer hori- zontalen Linie hegen, bei geöffneten Lidern steht der innere, mit der Tränengrube rund auslaufende etwas tiefer als der äußere, scharfe Augenwinkel. Stärkeres Höhertreten des äußeren Augenwinkels ist eine Eigentümlichkeit der Mongolen und darum bei Mitgliedern der weißen Rasse als ein Fehler zu bezeichnen, und zwar ohne Unter- schied des Geschlechts. Es ist jedoch hierbei hervorzuheben, daß der Schiefstand des Mongolenauges nur zum Teil ein wirklicher ist, und daß in vielen Fällen ein scheinbarer Tiefstand erzeugt wird durch die sogenannte Mongolen f alt e "). Unter Mongolenfalte versteht man den eigentümlichen Verlauf der auch bei Europäern regelmäßig vorhandenen oberen Augenfalte , welche horizontal zwi- schen Augenbrauen und oberem Lidrand sich hinzieht. Während diese Falte aber bei den Europäern oberhalb des inneren Augenrandes weich und gerade verläuft, legt sie sich beim Mongolenauge (Fig. 97) scharf über den inneren Lidrand hin, das Tränensäckchen ganz oder teilweise bedeckend, und verliert sich nach abwärts in der Nasen- haut.

Der gerade Verlauf der oberen Augenfalte ist in dem feingeschnit- tenen Gesicht einer Dame aus Valencia, deren Bild ich befreundeter Hand verdanke, besonders scharf ausgeprägt (Fig. 98).

Zuweilen findet sich diese Falte nur beim geschlossenen Auge, und verschwindet beim Oeffnen der Augen unter der stark sich herabwöl- benden oberen Hälfte des Augenlids. Eine derartige Bildung zeigt ein von Hugo Erfurth aufgenommenes Mädchen aus Dresden (Fig. 99).


^) Ich konnte mich vor einigen Jahren m Japan selbst davon überzeugen, daß diese Sitte mehr und mehr al^nimmt. Es ist jedoch auch mögUch, daß diese Sitte darauf zurückzuführen ist, daß ein hoher Stand der Augenbrauen für schön galt und daß deshalb die natürlichen Augenbrauen rasiert und künst- liche höher oben auf die Stirn gemalt wurden. Wenn dem so ist, dann ist das Rasieren der Augenbrauen aus einem künstlichen Verschönerungsmittel entstanden.

-) Vgl. Abelsdorff, Ueber Augenbefunde bei Malaien, Mongolen und Negern. 27. Versammlung der ophthalmologischen Gesellschaft. Wiesbaden, Bergmann, 1899, p. 269.


KOPF UND HALS.


167


Da hierdurch das Rassenmerkmal verdeckt wird, zugleich aber das Auge und die Augenhöhle kleiner erscheint, so darf diese Bil- dung als eine weniger vollkommene individuelle Abweichung be- zeichnet werden.



F'g- 99- Mädchen aus Dresden. Verdeckte obere Augenfalte. (Phot. H. Erfurth.)

Die Stellung der Wimpern auf den Lidknorpeln muß gerade und regelmäßig sein, denn spärhche und unregelmäßige Einpflanzung deutet auf Krankheiten, hauptsächlich auf skrofulöse Augenentzündung. Auch dies ist beiden Geschlechtern gemeinsam.

Zwei weitere Anforderungen an die Bildung des Auges können


168


KOPF UND HALS.


ebenfalls als Vorzüge beider Geschlechter gelten, jedoch sind sie anatomisch mehr im weiblichen Bau begründet.

Das ist zunächst die Größe der Lidspalte und dann die be- reits erwähnte Bildung der Hautfalte, die sich bei geöftnetem Auge über das obere Augenlid legt. Je höher die Augenhöhle ist, desto weniger wird sich die Hautfalte über das Lid herabsenken, in desto weiterem Schwünge wird sie sich nach der Schläfe zu verUeren. Eine größere Lidspalte läßt das Auge und damit auch die Augen- höhle größer erscheinen. Da nun aber die große Augenhöhle ein sekundäres weibliches Geschlechtsmerkmal ist, so können eine weite Li dspalte und eine hoch über dem oberen Augenlid verlaufende Haut- falte als vorwiegend weibliche Schönheit ver- zeichnet werden.

Am schönsten ausgeprägt und sehr hoch verlaufend ist diese Falte in Fig. 98.

In Fig. 95 setzt sie sich sehr weit nach außen fort und verleiht dadurch dem Gesicht einen schwärmerischen Ausdruck.

Das Ohr kommt im embryonalen Leben erst sehr spät zur Entwicklung und zeigt im

7"Bock (Tragus), ^^Gegenbock

(Antitragus), i7 Leiste (HeiLx), Späteren Leben außerordentlich starke indivi-

A Gegenleiste (Anthelix). , . . , . , , ,

duelle Verschiedenheiten, welche von den meisten kaum beachtet werden. Die Bildhauer der Antike kannten sie indessen (Winkelmann) sehr genau, und in neuerer Zeit hat Bertillon das Charakteristische des Ohrs zur Feststellung der Person von Verbrechern benützt.

Bei guter und regelmäßiger Entwicklung hat die Ohrmuschel nach Langer folgende Gestaltung (Fig. 100).

Am äußeren Gehörgang stehen sich Bock (7) und Gegenbock (At) von ungefähr gleicher Größe gegenüber, ebenso am oberen Teil der Ohrmuschel Leiste (II) und Gegenleiste (A). Die Leiste umkreist den äußeren Rand des Ohres in langer Linie, die Gegen- leiste erhebt sich in der Mitte höher und spaltet sich nach vorn, während sie sich nach hinten, flacher werdend, mit der Leiste ver-



Fig. 100. Schöngebildetes Ohr nach Lanier.


KOPF UND HALS.



Fig. loi. Mädchen aus Schapbach. schöngebautes Ohr. Nordisches Profil.


einigt und in den Gegenbuck ausläuft. Das Ohrläppctien endigt trei. Ein namentlich beim weiblichen Ohr störender Fehler ist zu starke Entwicklung und Größe der Ohrmuschel.

Da die Stellung des äußeren Gehörgangs, der mit der Gehirnbasis stets gleich hoch steht, fest bestimmt ist, so ist es namentlich zu starke Entwicklung des oberen Teils der freien Ohrmuschel, die entstellt.

Bei gerader Stellung des Kopfes muß der äußere Gehörgang un-


170


KOPF UND HALS.


gefähr in derselben Höhe Hegen wie der obere Rand des Nasenflügels, und der obere Rand der Ohrmuschel nicht höher als der obere Rand der Augenhöhle.

Ein sehr schönes und regelmäßig gebautes Ohr findet sich bei einem Mädchen aus Schappach (Fig. loi).



Fig. I02. Kopf einer jungen Pariserin mit feingeschnittenem Mund. (Nach einer Photographie von Reutlinger, Paris.)


Von der Form des Mundes ist bereits gesagt, daß die gut ent- wickelte Oberlippe derart sein muß, daß die zwei äußeren Ränder nach innen in sanfter Linie leicht ansteigen, und der mittlere, dem Nasenlappen entstammende Teil sich scharf absetzt (Fig. 102). Dem- gemäß muß auch die freie Mitte der OberHppe deutlich nach unten herabragen. Ferner muß, bei regelmäßiger Bildung, das Lippenrot genau bis an den gebogenen Rand der Lippe heranreichen und nach


KOPF UND HALS.


171


außen schmäler werden. Die Unterlippe legt sich in leichtem , in der Mitte breiter werdendem Bogen der Oberlippe an. Bei schön geschnittenem Munde muß die Oberlippe etwas weiter vorstehen als die Unterhppe. Während die übrigen Vorzüge beiden Geschlechtern



Fig. 103. Kopf einer jungen Üesterreicherin mit feingeschnittenem Mund im verlorenen Profil. (Fig. 94.)


gemeinsam sind, ist der letztgenannte wieder ein besonderer Vorzug des weiblichen Geschlechts , da er mit der geringeren Größe des Unterkiefers in ursächlichem Zusammenhang steht.

Namentlich in der Protilstellung wird dadurch der harmonische Eindruck des Gesichts beeinflußt; eine stärker entwickelte oder zu weit vorstehende Unterlippe kann in der Ansicht von vorn wenig


172 KOPF UND HALS.

auffallen, dagegen im Profil die Regelmäßigkeit der Züge völlig zer- stören. Ein sehr gutes Verhältnis der Lippen findet sich bei Fig. 103 (welche in Fig. 94 in der Vorderansicht dargestellt wurde).

Die Breite der Mundspalte steht zur Lidspalte im Verhältnis von



Fig. 104. Zwei Sabinerinnen mit griechischem Profil. (Aufnahme von Plüschow.)

3 : 2, die Augen stehen um eine Augenbreite voneinander ab, so daß die äußeren Augenwinkel doppelt so weit voneinander entfernt sind als die Mundwinkel.

Die Form der Nase wird vorwiegend durch das knöcherne Gerüst zusammen mit dem Nasenknorpel bestimmt. Aus dem oben


KOPF UND HALS.


173


Gesagten geht hervor, daß die Form der Nase gut ist, wenn sie schmal ist, was namentlich im schmalen und gestreckten Nasenrücken zum Ausdruck kommt. Ob dieser dann gerade verläuft oder gebogen, ist eine individuelle Abweichung innerhalb der normalen Grenzen.




Fig. 105. Sevillana. (Römisches Profil.)

Innerhalb dieser Grenzen lassen sich drei Grundformen von schön gebauten Nasen unterscheiden, die griechische, die römische und die nordische Nase.

Für alle drei Bildungen ist die Grundbedingung der Schönheit, daß der Nasenrücken in der Ansicht von vorn schmal und gerade ist.


174 KOPF UND HALS.

In seitlicher Ansicht erscheint die griechische Nase ebenfalls ganz gerade und setzt sich nach oben gleichmäßig ohne Knickung in den Umriß der Stirne fort, die römische Nase (Adlernase) hat einen mehr oder weniger konvexen Verlauf, und ist an der Nasenwurzel gegen die Stirn abgeknickt ; die nordische Nase hat einen geraden Rücken, dabei aber eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Abknickung nach der Stirn. In einzelnen Fällen kann sogar eine leichte Kon- kavität bestehen, ohne die Schönheit zu beeinträchtigen. Wenn aber auch das leise angedeutete Stumpfnäschen bei übrigens feiner Bildung für hübsch gilt, so ist ein Uebermaß derartiger Gestaltung, namentlich bei breiter Nase (Mopsnase), ein Fehler, weil er an die mongolische und die Negernase erinnert.

Beim Manne kann jede der drei Nasenformen auch bei sehr kräf- tiger Ausbildung schön sein, weil sie das individuelle, kraftvolle Ge- präge des Gesichts erhöht; bei der Frau darf die Individualität nicht zu stark ausgeprägt sein , um die Harmonie der Gesichtszüge nicht zu zerstören. Deshalb ist besonders die römische Nase bei der Frau nur dann schön, vv'enn sie nicht zu groß und zu lang ist.

Zwischen diesen drei Formen gibt es zahlreiche Uebergänge, be- sonders zwischen griechischer und nordischer Nase, je nachdem der Winkel zwischen Stirn und Nasenrücken mehr oder weniger aus- geglichen ist.

Gute Beispiele für die griechische Nase sind die Figuren 104 und 106, für die römische die Figuren 98, 103 und 105, für die nordische die Figuren 95 und loi.

In noch viel höherem Maße als der Mund bedingt die Form der Nase die Schönheit des Profils, das denn auch, der Nase entspre- chend, als griechisches, römisches oder nordisches bezeich- net wird.

Als schönste Gesichtsbildung gilt das sogenannte griechische Profil, bei dem die Stirne in gerader Linie in den Nasenrücken sich fortsetzt.

Brücke (1. c. p. 13) schreibt darüber: »Der antike Schnitt wird von vielen als ein Ideal angesehen, das man heutzutage nicht mehr findet, und das vielleicht überhaupt niemals zu finden war; aber dem aufmerksamen Beobachter wird es nicht entgehen, dal) man in Italien


KOPF UND HALS. 175

und selbst in Deutschland zuweilen Köpfe findet, welche sich diesem Ideale in hohem Grade nähern. Nach den Mitteilungen eines aus-



Fig. io6. Kopf mit klassischem Gesichtsschnitt. (Leicht nordisches Profil.) (Aufnahme von A. Enke.)

gezeichneten Malers, der längere Zeit im Orient lebte, soll es in Smyrna noch in seiner vollen Reinheit zu finden sein.« 

Es ist in der Tat nicht schwer, ein reines oder doch wenigstens dem griechischen sehr sich näherndes Profil zu finden.

Fig. 104 zeigt zwei ItaHenerinnen, die beide ein rein griechisches Profil aufweisen.


176 KOPF UND HALS.

Fig. io6 gibt das von Herrn A. Enke aufgenommene vortreff- liche Bild einer Zigeunerin mit geradezu klassischem Gesichtsschnitt, dessen Profil sich vom griechischen Kanon kaum merklich nach der nordischen Richtung entternt.

Wie Brücke hervorhebt, gaben die klassischen Bildhauer dem grie- chischen Profil bei der Darstellung ihrer Idealgestalten den Vorzug, weil es in jeder Ansicht einen vorteilhaften Abschluß der Gesichtszüge bot.

Im Halbprofil vertritt den Typus des römischen Profils ein Mäd- chen aus Sevilla (Fig. 105), welches allerdings die Grenzen des Er- laubten darstellt. Eine etwas längere oder gar eine dickere Nase würde in diesem Gesicht die Harmonie der weiblichen Formen zerstören und ihm ein männliches Gepräge und damit einen Fehler verleihen.

Ebenso wie der römischen kann auch der stumpf mit der Stirn- linie abschneidenden Nase ihre ästhetische Berechtigung nicht abge- sprochen werden.

In dem schönen Profil des Enkeschen Bildes (Fig. 106) ist diese Form leicht angedeutet, stärker ausgeprägt findet sie sich in Fig. 95, am ausgesprochensten bei der jungen Schapbacherin (Fig. loi).

Derartige Profile sind in Deutschland die weitaus häufigsten.

Alle diese Schwankungen innerhalb der festgestellten Grenzen bilden zusammen die charakteristischen Merkmale der jeweiligen In- dividualität, die ja an keinem Teile des Körpers so sehr ausgeprägt ist und zur Geltung kommt, wie gerade am Gesicht.

Hals.

Unter Hals versteht man die Verbindung zwischen Kopf und Rumpf, und zwar meist nur die vordere Seite, während man deren hinteren Abschnitt mit Nacken bezeichnet. Die Begriffe sind auch hier etwas verwirrt; anatomisch am zweckmäßigsten erscheint es, die ganze Verbindung als Hals zu bezeichnen, dessen hintere bis an das Schulterblatt reichende Hälfte den Nacken, die vordere durch die Schlüsselbeine begrenzte die Büste zu nennen.

Im täglichen Leben versteht man unter den beiden letzteren Be- griffen meist sehr viel größere Bezirke, ja in der Satire über weibliche Mode erstreckt sich die Büste selbst bis zum Nabel.


KOPF UND HALS.


177


Die knöcherne Unterlage des Halses wird gebildet von dem Halsteil der Wirbelsäule, der bei allen Menschen bis auf einige Millimeter gleich lang ist. Er verläuft in einem leicht nach vorn konvexen Bogen.



Fig. 107. Weiblicher Hals und Schulter im Profil. I, II, in, IV, I. bis 4. Rippe, K Kopfnicker (Sternocleidomastoideus), M Mönchskappen- oder Kapuzenmuskel (Trapezius), D Schultermuskel (Deltoideus).

Die obere Grenze bildet vorn der Unterkiefer, hinten der Schädel- boden; die untere vorn das Schlüsselbein, und in der Kehlgrube das Brustbein, hinten der erste Brustwirbel mit der sich daran anschließen- den ersten Rippe und das Schulterblatt. Wie man sich leicht bei Vergleichung von Fig. 36 und 38 überzeugen kann, liegen die

Stratz, Die Schünheit des weiblichen Körpers. 12


178 KOPF UND HALS.

hinteren Grenzen höher als die vorderen, so daß demnach der Hals im ganzen von oben und von unten durch zwei schräg nach vorn abwärts verlaufende Flächen begrenzt wird.

Es geht daraus ohne weiteres hervor, daß bei der stets gleichen Länge der Halswirbelsäule die scheinbare Länge des Halses aus- schheßlich abhängt von der Lage der oberen und unteren Begren- zung.

Er wird kürzer erscheinen, wenn der Unterkiefer sich nach unten vorschiebt , oder wenn die Schlüsselbeine und der Brustkorb vorn, die Schultern seitlich sich heben.

Fig. 107 verdeutlicht die Verhältnisse.

Bezüglich der oberen Grenze wissen wir bereits, daß der weib- liche Unterkiefer klein und niedrig sein muß; dies weibliche Ge- schlechtsmerkmal hat demnach auf die Bildung des Halses einen maßgebenden Einfluß.

Die untere Grenze hängt in erster Linie ab von der Bildung des Brustkorbs.

Im Gegensatz zum Manne hat das Weib einen schmäleren und längeren Brustkorb, es wird sich demnach der Hals von der Brust- wölbung weniger scharf absetzen. Wenn jedoch, wie bei dem Brust- korb der Schwindsüchtigen, die Rippen vorn nach abwärts verlaufen und weiter auseinander stehen, dann wird nicht nur die Brust verflacht, sondern es muß auch der obere Rand des Brustbeins herabsinken, und mit ihm die inneren Enden der Schlüsselbeine. Gleichzeitig sinken aber auch an dem abschüssigen Brustkorb die Schultern nach unten, so daß dadurch ein scheinbar langer, dünner Hals entsteht, der für Schwindsucht charakteristisch und daram nicht normal ist.

Man muß jedoch bedenken, daß das Schlüsselbein des Weibes dadurch ausgezeichnet ist, daß es zierlicher, gerader und w^eniger vorspringend ist als beim Manne, und daß es bei normal gebautem Brustkorb, demselben dicht anliegend, nach den Schultern zu sich etwas senkt. An den Schlüsselbeinen ist demnach die fehlerhafte Bildung, die den längeren Hals vortäuscht, daran erkennbar, daß bei dem schmalen abschüssigen Thorax ihre Krümmung eine stärkere wird, wodurch sie mehr hervortreten, und daß ihre inneren Enden an der Kehlgrube tiefer stehen.


KOPF UND HALS. ] 79

Bei frühzeitiger Verknöcherung durch Rhachitis entsteht ein plumper, breiter, dabei aber häufig flacher, selbst eingedrückter Brust- korb, zugleich mit Verdickung und Verkrümmung der Schlüsselbeine.

Die verdickten und unregelmäßig gekrümmten Rippen bilden mit den stark vorspringenden Schlüsselbeinen eine viel dickere und plum- pere Masse , die zwar in normaler Höhe steht , aber durch ihre Massenzunahme den Hals kürzer und dicker erscheinen läßt.

Zugleich aber treten aus demselben Grunde die Schulterknochen stärker hervor und mehr nach oben, wodurch die Kürze des Halses noch erhöht wird.

Die Gestaltung des Halses hängt also, was das Skelett anbelangt, lediglich ab von: der Kleinheit der Unterkiefer, dem geraden und schlanken Verlauf der Schlüsselbeine und der guten und gleichmäßigen Wölbung des Brustkorbes. Einen sogenannten langen Hals hat Fig. io8, einen sogenannten kurzen Hals Fig. 109.

Bei dem ersteren (Fig. 108) findet sich ein Fehler leicht ange- deutet, auf den Brücke zuerst aufmerksam gemacht hat^). Der Hals erscheint hier unten breiter als oben.

Da nun eine stärkere Ausdehnung in dem unteren Abschnitt auf Anlage zur Kropf bildung und damit auf einen krankhaften Zustand deutet, so ist eine derartige Gestaltung ein Fehler.

Weitere Fehler sind: starke Entwicklung des Unterkiefers in die Länge und Breite, starke Krümmung, Verdickung und Vorspringen der Schlüsselbeine, zu schmaler und abschüssiger, oder zu breiter und plumper Brustkorb.

Von den Muskeln sind es namentlich der Kopfnicker und die Kapuzenmuskeln, welche die Form des Halses beeinflussen. Ihr Ver- lauf erhellt aus Fig. 107.

Die Kopfnicker laufen beiderseits von der Kehlgrube und dem inneren Schlüsselbeinrand nach oben hinter das Ohr. Der vordere Teil des Halses zwischen ihnen ist durch den Kehlkopf, die Luft- röhre, die Speiseröhre und die kleineren , sie umgebenden Muskeln ausgefüllt. Die Kapuzenmuskeln gehen vom seitlichen Ende des Schlüsselbeins und vom oberen Rand des Schulterblatts fächerförmig


^) Schönheit und Fehler der menschhchen Gestalt.


180


KOPF UND HALS.


nach der Wirbelsäule und dem Hinterkopf. Ihre Wölbung bildet die Nackenhnie. Zwischen beiden Muskeln bleibt der mittlere Teil des Schlüsselbeines frei, über dem bei ungenügender Entwicklung des



Fig. io8. Langer Hals. (Aufnahi


.11 H. Erfurth.


Fettpolsters die so sehr gefürchteten als Salzfässer bezeichneten Gruben sich bilden.

Die übrigen Muskeln des Halses beeinflussen seine äußere Gestalt nicht. Die beiden genannten Muskeln sind bei guter und gleichmäßiger Entwicklung bei allen Bewegungen des Kopfes sichtbar, in der geraden aufrechten Stellung des Kopfes nach vorn jedoch müssen sie sich in


KOPF UND HALS.


181


der gleichmäßigen Rundung des Halses verlieren mit Ausnahme des vorderen Ansatzes der Kopfnicker neben der Kehlgrube.

Diese letztere muß deutlich erkennbar sein (vgl. Fig. 109); ihr


, W^.-i4^«**» ; ,»IKMLi.«ÄiS«lj«BPB« 




l<"lg. 109. Kurzer Hals. (Aufnahme von O. Schmidt.)

Fehlen deutet auf Schwellung der darunter liegenden Schilddrüse, demnach auf Anlage zum Kropf, die krankhaft und unschön ist (Fig. 108).

Die Haut des Halses ist vorne zart, im Nacken etwas dicker und den übrigen Weichteilen fester anhaftend. Das unter ihr liegende Fettpolster rundet die Form des Halses ab. An der vorderen Seite


182


KOPF UND HALS.


zwischen den Kopfnickern umgibt es die tieferliegenden Organe, von denen der Keiilkopf das wichtigste ist. Da dieser beim Manne als Adamsapfel stark vorspringt, so muß eine flache gleichmäßige Wölbung dieser Stelle, als für das weibliche Geschlecht charakteristisch,

als besonderer Vor- zug gelten.

Beim Kopf ist her- vorgehoben worden, daß das Fettpolster sich seithch in den

Wangenpartien stärker anhäuft. Bei schmalem Unterkie- fer geht^ das Fett- polster gleichmäßig in das des Halses über, so daß wir das Verstreichen der Unterkieferwin- kelund den weiche- ren Uebergang der Wangen zur vorderen Hals- fläche als Vorzüge betrachten müssen, weil sie dem weib- lichen Geschlecht an- gemessen sind. Aus demselben



Fig. HO. I2jährige Amerikanerin. (Collier de Venus.) (Phot. Dr. Shufeldt, New York.)


Grunde muß im Profil die Umrißlinie vom Kinn zum Halse weich sein und einen möglichst stumpfen Winkel bilden, da das Gegenteil nur bei starker, männlicher Entwicklung des Unter- kiefers möglich ist. — Ueber die gute Füllung der Schlüsselbein- grube ist bereits gesprochen.

Treffen alle diese Bedingungen ein, dann bildet der Hals von den Wangen herab vorne eine gleichmäßig gerundete, allmählich breiter


KOPF UND HALS.


183


werdende Fläche, die ohne scharfe Abgrenzung über die Schlüssel- beine hin in die Brustwölbung übergeht.

Ueber dem Kehlkopf finden sich eine oder mehrere horizontal verlaufende Furchen, das sogenannte Collier de Venus; sie sind ein Zeichen guter Span- nung bei elastischer Haut und normalem Fettpolster und finden sich stets bei Kindern undjugendhchen, gut- genährten Individuen. Da sie nur bei zarten Formen vorkommen können, so sind sie ein besonderer Vorzug weiblicher Bildung.

Alle diese Vorzüge sind vereint an dem Hals einer jungen Amerikanerin, welche Dr. R. A. Shufeldt in New York photogra- phiert hat (Fig. iio).

Das Collier de Venus findet sich auch am Halse einer Ungarin (Fig. 93) und einer Oesterreicherin (Fig. 94). Brücke nennt diese Querlinien nicht Furchen, sondern Rillen, um zu betonen, daß sie nur äußerst zart angedeutet sind. Nicht zu verwechseln sind sie mit den Knickungslinien, welche sich bei Drehung des Halses zeigen (Fig. iii) und zwar nur an der Seite, nach welcher der Hals gedreht wird. Noch weniger aber haben sie mit höher über der Kehle hegenden Querfalten gemein, welche sich unter dem Doppelkinn bei zu starker Fettentwicklung im reiferen Alter bilden.



Fig. III. Kopf einer 1 8jährigen Pariserin mit seitlicher, durch Drehung bedingter Halsfurche.


184


KOPF UND HALS.



Fig. 112. Süddeutsche. Schöne Nackenlinien und Drehungsfalte am Hals.

(Aufnahme von A. Enke.)

Man hat den dünnen Hals als ein Zeichen der Jungfräulichkeit angesehen und behauptet, daß selbst einmaliger Geschlechtsgenuß sich sofort in einer Dickenzunahme des Halses verrate. Die Richtigkeit dieser Annahme ist nicht erwiesen.

Daß der Umfang des Halses gleich dem der Wade sein müsse, hat Brücke widerlegt, der durch Messungen nachgewiesen hat.


186 KOPF UND HALS.

daß bei gleichmäßiger Entwicklung die Wade stets dicker ist als der Halsi).

Die zur Schulter herabreichende Halsnackenlinie wird durch die obere Wölbung des Kapuzenmuskels gebildet, der sich am Rücken und der hinteren Schultergegend gleichmäßig ausbreitet und den Nacken in weichen Linien mit Rücken und Schultern verstreichen läßt. Zu starke Ausbildung dieses Muskels bildet bei Ringkämpfern den sogenannten Stiernacken und ist bei Frauen darum häßlich. Bei gleichmäßiger Entwicklung des Muskels, der Haut, sowie auch der knöchernen Unterlage, muß der Nacken nach beiden Schulter- blättern in gleichmäßiger Wölbung herabziehen und in der Mitte unter dem siebenten Halswirbel sich allmählich zur mittleren Rücken- furche verflachen.

Während vorn die Schlüsselbeine die feste untere Grenze des Halses, beziehungsweise der Büste bilden, geht hinten der Nacken allmähhch in den Rücken über.

Brücke unterscheidet zwei Formen schöner Nackenbildung. Bei der einen steigt der Umriß des Halses gerade herunter und bildet mit der Schulter einen scharfen Winkel, bei der anderen ist dieser Uebergang ein gleichmäßig abfallender. Die erste Form findet sich ausgesprochener bei kurzem Hals und kräftiger Muskulatur, die zweite bei langem Hals und schwächeren Weichteilen.

Mir scheint, daß beide Formen etwas willkürHch geschieden sind, da beide an ein und demselben Nacken bei Bewegung der Schultern sich finden, und ledighch auf Anspannung verschiedener Muskeln beruhen.

Fig. 112 zeigt den Nacken einer jungen Süddeutschen; der Ka- puzenmuskel (Cucullaris) ist besonders gut entwickelt, der Schulter- muskel (Deltoideus) bedeutend schwächer. Die Nackenlinie, deren oberer Verlauf durch den Kapuzenmuskel bestimmt ist, geht an der rechten Seite, der ersten Form von Brücke entsprechend, gleichmäßig in die Schulter über. Da der Kopf nach links gedreht und die Hnke Schulter etwas angehoben ist, so zeigt sich an dieser Seite eine dop- pelt gebrochene Linie, welche der zweiten Form von Brücke entspricht.

') 1. c. p. i6.


KOPF UND HALS. 187

Wird der Arm gehoben und dadurch der Schultermuskel vorge- wölbt, dann ist der Unterschied noch deutlicher (Fig. 113) und würde bei stärker entwickeltem Schultermuskel noch mehr auffallen.

In ihrem Extrem entspricht die erste Brückesche Form der asthma- tischen, die zweite der schwindsüchtigen Körpergestaltung. Ein schöner Nacken muß deshalb von beiden Aeußersten gleichweit ent- fernt bleiben, und weder gedrungene noch zu stark abfallende Um- rißlinien zeigen. Diesen Anforderungen entspricht der Nacken der Süddeutschen (Fig. 112 und 113), während Fig. 108 sich dem einen, Fig. 109 dem anderen Extrem nähert.


XII.

Rumpf.

Man unterscheidet am Rumpf von vorn die Brust (im weiteren Sinne) und den Bauch, von hinten den Rücken. Seine Verbin- dungen mit Kopf und Gliedmaßen sind der Hals, die Schultern und die Hüften. So selbstverständlich diese Einteilung auch sein mag, so stößt man doch schon auf Schwierigkeiten bei dem bloßen Versuch, die einzelnen Teile scharf voneinander abzugrenzen. Noch schwieriger wird es, wenn man noch weitere Benennungen einzelner Körperteile hinzunimmt, wie Nacken, Lenden, Kreuz, Weichen, Leisten u. s. w. Jedem Arzt fällt es auf, daß die meisten nur einen ganz dunklen Begriff haben, wo diese Teile eigentlich liegen. Eine Frau z. B., die über Kreuzschmerzen klagt, bezeichnet fast immer die Lenden als die empfindliche Stelle; — • sie weiß beim Ochsen- fleisch den Ziemer vom Filet vortrefflich zu unterscheiden, dürfte aber kaum im stände sein , die Lage der entsprechenden Teile am eigenen Körper anzugeben. Jedoch sind selbst Männer vom Fach nicht im stände, alle einzelnen Teile des Rumpfes mit unfehlbarer Sicherheit voneinander zu trennen.

Dies hat seinen Grund darin, daß feste, unverwischbare Grenzen überhaupt nicht bestehen und die Uebergänge sich allmählich in- einander verlieren ^).

Es empfiehlt sich deshalb , erst den Aufbau des Rumpfes als Ganzes und dann seine einzelnen Teile in ihrer mehr oder weniger scharfen Abgrenzung zu besprechen.

Der Rumpf als Ganzes.

Vom Kopf unterscheidet sich der Rumpf dadurch, daß bei ihm die weichen Teile bei der Bestimmung der äußeren Formen eine viel größere Rolle spielen.

^j Vgl. Merkel, Topographische Anatomie, II, p. i8o ff.


RUMPF.


189


Das Skelett des Rumpfes wird gebildet durch die Wirbelsäule, den Brustkorb, den Schultergürtel und das Becken.

Das Verhältnis des Skeletts zur Körperoberfläche ist ersichtlich aus den Figuren ^y — 38, die zu- gleich die sekundären Geschlechts- charaktere deutlich machen.

Die Wirbelsäule muß bei sym- metrischer Stellung völlig gerade verlaufen. Abweichungen davon deuten auf Rhachitis, ungleich- mäßige Entwicklung, Tuberkulose und Lungenkrankheiten.

Von der senkrechten Richtung überzeugt man sich in zweifel- haften Fällen, indem man bei nach vorn gebeugtem Oberkörper auf der Rückseite die Dornfortsätze der Wirbel durch die Haut abtastet und mit schwarzer Farbe bezeich- net. Die so bezeichneten Punkte müssen in einer geraden Linie liegen. Noch einfacher ist es, den Dornfortsatz des siebenten Hals- wirbels, der im Nacken am stärk- sten vorspringt, aufzusuchen und von ihm aus ein Senklot herab- hängen zu lassen , welches bei gutem Bau genau in der Spalte zwischen den Hinterbacken liegen muß. Die Länge der Wirbelsäule, welcher der Abstand vom unteren Nasenrande bis zum oberen Rand der vorderen Beckenverbindung entspricht, ist ein konstantes Maß, das Fritsch, Carus und Schmidt als Modulus zur Bestimmung der Proportionen benutzt haben.

In der seitlichen Ansicht ist die Wirbelsäule der Frau im Lenden- teil stärker eingebogen als beim Manne (vgl. Fig. 41).



Fig. 114. Rumpfskelett eines 25jährigen

Mädchens, durch Schnüren verunstaltet

(nach Rüdinger).


1 90 RUMPF.

Der Brustkorb besteht aus den Rippen, dem Brustbein und dem Brustteil der Wirbelsäule.

Bei guter Ausbildung muß er kräftig gebaut sein , so daß die Rippen am Rücken nur wenig nach abwärts, an der Seite fast horizontal und vorn leicht nach oben verlaufen. Von seiner Breite und Tiefe hängt im wesentlichen die Form der Brust ab.

Bei der Frau ist der Brustkorb im allgemeinen schmäler und länger als beim Manne, jedoch muß er stets so gebaut sein^ daß der Winkel, den der untere Rippenrand bildet, wenig kleiner ist als ein rechter.

Größer ist er bei dem faßförmigen Thorax asthmatischer Per- sonen, kleiner, oft sehr viel kleiner bei Personen mit schwindsüchtiger Gestaltung und bei Verunstaltung durch zu starkes Schnüren.

Oben wurden bereits die dadurch hervorgerufenen Entstellungen des Rumpfes im Bilde vorgeführt; hier sei die Entstellung des Skeletts durch ein weiteres Beispiel verdeutlicht (Fig. 114). Zwischen den freien Rippen beider Seiten ist nur ein schmaler Spalt mit sehr spitzem Winkel vorhanden. Ein vergleichender Blick auf Fig. ^6 genügt, um den Unterschied zu erkennen.

Noch deutHcher zeigt sich der Unterschied zwischen normalem und durch Schnüren erzeugtem Brustkorb in dem auch heute noch mustergültigen schematischen Bilde, das Sömmering vor mehr als 100 Jahren entworfen hat (Fig. 115 und 116).

Der Schultergürtel ist mit dem Brustkorb nur in der Kehlgrube durch die Gelenke der beiden Schlüsselbeine verbunden. Diese sowie das Brustbein sind die einzigen Knochen, die in ihrer ganzen Länge dicht unter der Haut hegen.

Am unteren Ende ist die Wirbelsäule durch das Kreuzbein mit dem Becken verbunden. Das Kreuzbein ist bei der Frau breiter und kürzer als beim Manne.

Beim weiblichen Becken sind wichtige sekundäre Geschlechts- charaktere zu verzeichnen. Es ist geräumiger, der Schambogen ist stumpfer, die Beckenschaufeln flacher und breiter ausladend, als beim Manne. Dadurch überwiegt im Skelett die Beckengegend beim Weibe weitaus über den Brustkorb, während die größte Schulterbreite die größte Beckenbreite bei der Frau nur sehr wenig, beim Manne jedoch


RUMPF.


191


bedeutend übertrifft. Vom Becken liegen die Kämme der Darm- schaufeln jederseits dicht unter der Haut.

Die tastbaren Knochen des Rumpfskeletts geben feststehende Punkte zur Bestimmung der Grenzen seiner einzelnen Gegenden.

Der Schlüsselbeinrand bildet die Grenze zwischen Hals und Brust,






Fig. 1 15 u. 116. Veränderung des Rumpfskeletts durch Schnüren nach Sömmering.

der untere Rippenrand zwischen Brust und Bauch, der Kamm der Darmschaufeln zwischen Bauch und Hüften. Während sich am Skelett die Schulterknochen, die Lendenwirbelsäule und das Kreuz scharf umschreiben lassen, werden diese Grenzen durch die be- deckenden Weichteile am lebenden Körper wieder stark verwischt. Immerhin aber bietet die Kenntnis des Skeletts eine Reihe von An- haltspunkten, die zum Verständnis und zur Beurteilung der äußeren Formen unerläßlich sind.


192


RUMPF.


Außer dem Knochengerüst sind es zunächst die Muskeln und dann die Fettpolster der Haut, welche die Formen des Rumpfes bestimmen.



Fig. 117. Muskulatur des weiblichen Torso von vorn.


Fig. 117 zeigt die Rumpfmuskulatur des weibHchen Torso in der Ansicht von vorn.

Bei der allgemeinen Betrachtung fäUt auf, daß sich die ober-


RUMPF.


193


flächlichen Muskeln des Rumpfes in drei größere Gruppen teilen. Zunächst diejenigen, die zusammen den vorderen und seitlichen Ab-



Fig-. Ii8. Muskulatur des weiblichen Rückens.


Schluß der Bauchhöhle bewerkstelligen, dann diejenigen, die von vorn und hinten, von oben und unten nach der Schulter hinziehen, und endhch die Muskeln der Hüften.


Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers.


13


1 94 RUxMPF.

Von diesen drei Gruppen bildet die erste die Verbindung zwischen Brustkorb und Beckenwand.

Während die zweite alle scharfen Ecken und Kanten zwischen Schultern, Brust und Rücken verbindet und ausfüllt und die Umrisse des Rumpfes zu den oberen Gliedmaßen in weichen Linien hinüber- leitet, sind die Hüftmuskeln seitlich und hinten durch die Kämme der Beckenschaufeln, vorn durch das Leistenband scharf von dem übrigen Rumpfe geschieden.

Die Muskeln sind bei beiden Geschlechtern gleich, jedoch schwächer bei der Frau. Schlechte Entwicklung der Muskeln kann den weib- Hchen ebensogut wie den männlichen Körper entstellen. Bei krank- haften Störungen der gleichmäßigen Entwicklung der Muskeln sind es, wie oben erwähnt, namentlich die Schultern und Hüften, die zuerst ergriffen werden. Bei guter Ernährung müssen auch bei der Frau trotz des Fettpolsters die Muskelbäuche deutlich erkennbar sein. Abgesehen davon, daß das Unterhautfett bei ihr im allgemeinen reichlicher ist als beim Manne, sind es namentHch die Nabelgegend, Hüften und die unteren Partien des Rückens, die eine kräftigere und charakteristische Verteilung des Fettes bei der Frau besitzen.

Bei der Betrachtung des Rumpfes als Ganzes hat man somit hauptsächlich zu achten auf gleichmäßige und symmetrische Ent- wicklung des Skeletts, soweit es dem Auge und der Messung zu- gänglich ist, Ueberwiegen der Bauch- und Beckengegend im Ver- hältnis zum Oberkörper nach den oben aufgestellten Gesetzen der Proportionslehre, und auf den Einfluß des Schnürens.

Als Muster eines gut entwickelten weiblichen Torso kann Tafel III gelten.

Die einzelnen Teile des Rumpfes.

Schultern.

Die Verbindung des Rumpfes mit den oberen Gliedmaßen ist die Schulter. Ihre Form hängt zunächst ab von der knöchernen Unter- lage, von der bereits ausführlich gesprochen wurde.

Normale Verhältnisse verlangen demnach gute und gleichmäßige Wölbung des Brustkorbs, gerades, gestrecktes, der Brustkontur sich anschmiegendes Schlüsselbein, gut anliegendes, flaches Schulterblatt.


SCHULTERN. 195

Die Muskeln, welche vom Schulterblatt zum Arm ziehen, werden alle bedeckt durch den großen Schultermuskel (Deltoideus, Fig. lO'j D\ der hauptsächlich, bei übrigens guten Verhältnissen, die Form der Schulter bedingt. Er entspringt vom seitlichen unteren Rand des Schlüsselbeins und vom Kamm des Schulterblatts , bildet demnach eine Fortsetzung des Kapuzenmuskels unterhalb dieser knöchernen Leiste. Er dient hauptsächlich zum Heben des Arms und zum Halten desselben in erhobener Stellung.

Von vorn schließt sich ihm unmittelbar der große Brustmuskel an, der sich neben ihm am Oberarmbein befestigt.

Von der guten Entwicklung des Schultermuskels hängt die gleich- mäßige kräftige Abrundung der Schulter ab, die sich durch stärkere Absetzung gegen den übrigen Arm von einer anderen durch Fett- anhäufung bedingten Schulterrundung unterscheidet. Diese letztere ist ein Zeichen reiferen Alters und darum ein Fehler, sobald sie die darunter liegenden Muskelbäuche verdeckt.

Die schöne Form der Schulter kann durch Muskelübung, Heben der Arme etc. hervorgehoben und durch sie auch erhalten werden. Brücke^) bemerkt, daß die Albanerinnen, die ihre Lasten mit er- hobenen Armen auf dem Kopfe tragen, besonders schöne Schultern besitzen.

Von der guten Gestaltung dieser Muskeln , die ja auch bei nor- malen Verhältnissen eine analoge Ausbildung der übrigen Muskeln zur Folge haben muß, hängt eine Bildung an der weiblichen Schulter ab, die sich bald mehr, bald weniger deutlich auch in der Ruhe findet; dies sind ein oder zwei flache Grübchen an der Stelle, wo die Haut dem Kamm des Schulterblattes an der Grenze zwischen Kapuzen- muskel und Schultermuskel fester anhaftet.

Wird der Arm gehoben und dadurch der Schultermuskel ver- kürzt und verdickt, so vertiefen sich diese Grübchen zu einer halb- mondförmigen Furche, die sich um die hintere und obere Ansatz- stelle des Muskels bildet.

Diese Erscheinung ist somit als ein Zeichen guter Muskelbil- dung und demnach als Vorzus; anzusehen.


') 1. c.


1 Q6 RÜMPF.

Der Stand der Schultern ist sehr wechselnd. Bei jedem Atem- zuge werden die Schultern mit dem Brustkorb gehoben und gesenkt. Jede Bewegung des Armes verändert den Umriß und den Stand der Schulter (vgl. Fig. 117, 118).

Man muß demnach zur Vergleichung stets einen symmetri- schen Stand mit herabhängenden Armen einnehmen lassen, die Be- wegungen können, namentlich bei seitlicher Beleuchtung, wertvolle Aufschlüsse über die Entwicklung der Muskeln verschaffen.

Die Achselhöhle ist nur bei erhobenem Arm sichtbar. Ihre Grenzen bilden vorn der untere Rand des großen Brustmuskels, hinten der äußere Rand des großen Rückenmuskels. In der Tiefe ist sie mit einem dicken Fettpolster versehen, das besonders zwischen Brustmuskel und Brustkorb kräftig entwickelt ist. Ihre normale Ge- staltung wird abhängen von der guten Entwicklung der sie bildenden Muskeln und von guter Wölbung des Brustkorbes.

Die Haut ist, der großen Beweghchkeit des Armes entsprechend, in der Achselhöhle sehr locker an der Unterlage befestigt, während sie an der Schulter etwas fester mit den darunter liegenden Muskeln verbunden sein muß.

Von der Behaarung der Achselhöhle gilt das bereits von der übrigen Körperbehaarung Gesagte. Als Zeichen der Reife ist ein zarter Flaum normal und darum schön; starke Behaarung ist bei der Frau häßlich, weil sie ans Männhche und Tierische erinnert.

Brust.

Die Brust im weiteren Sinne ist derjenige Teil des Rumpfes, der von oben durch die Schlüsselbeine, von unten durch den unteren Rippenrand begrenzt wird. Beim Weibe erhält er sein besonderes Gepräge in den beiden durch die wachsenden Milchdrüsen verursachten Hervorwölbungen, die Brüste im engeren Sinne.

Aus ihrer Beschaffenheit kann man wichtige Rückschlüsse nicht nur auf die Brust, sondern auch auf den Körper im allgemeinen machen.

Die Grundlage der Brust bildet der Brustkorb; auf sein Ver- hältnis zu den übrigen Teilen des Skeletts ist bereits hingewiesen.


TAFEL III.



BÖHMISCHES MÄDCHEN. (Photographie nach dem Leben.)


BRUST. 197

Es lassen sich an einen normal gebauten Brustkorb die folgenden Bedingungen stellen, deren Nichterfüllung anatomische Fehler sind.

1. Die Brustwirbelsäule muß, von vorn gesehen, völlig gerade in der Mittellinie des Körpers verlaufen; im Profil bildet sie einen leichten, nach hinten konvexen Bogen in ihrer oberen Haltte.

2. Die Rippen verlaufen symmetrisch in einem gleichmäßigen Bogen, liegen hinten beinahe horizontal, senken sich etwas stärker in der Seite, liegen wieder horizontal in der Linie der Brustwarze und steigen von da unmerklich ohne Knickung gegen das Brust- bein an.

3. Das Brustbein liegt etwas tiefer als die vordersten Punkte der Rippen, schließt sich aber deren Wölbung überall gleichmäßig an. Der Winkel zwischen Handgriff und Körper, in der Höhe der 2. Rippe (Angulus Ludovici), darf nicht scharf hervortreten.

4. Die gemeinschaftliche Wölbung des Brustkorbes ist in seinen höheren Partien (bis zur 4. Rippe) nach oben gerichtet, in den mittleren (bis zur 8. Rippe) nach vorn, und erst in den untersten Partien (bis zur 12. Rippe) etwas nach abwärts. Die Wölbung muß eine ganz gleichmäßige sein, im Profil sowie in der Ansicht von vorn.

5. Der untere Rippenrand bildet in der Herzgrube einen Winkel von beinahe 90 ^.

Als gemeinschaftliche Folge dieser Eigenschaften kommt hinzu, daß sich die Schlüsselbeine und die Schulterblätter in guter Wölbung dem Brustkorb glatt anlegen.

Die häufigsten Ursachen, die fehlerhafte Bildung veranlassen, sind die Rhachitis, die Anlage zur Schwindsucht und das Schnüren.

Rhachitis veranlaßt Verkrümmungen der Wirbelsäule und da- durch unsymmetrische Entwicklung, ungleichmäßige Wölbung der Rippen;, die bei ihrer Weichheit durch Zug und Druck verunstaltet werden, Knickung des Brustbeins zwischen Griff" und Körper (Hühner- brust), Auftreibung der Rippenenden, wodurch eine Verdickung und starke Knickung des Brustkorbs innerhalb der Brustwarzenhnien entsteht. Durch die stärkere Knickung der Rippen wird der Brust- korb im ganzen flacher und breiter, namentlich in seiner oberen Wölbung, seine unteren Partien fallen stärker ab.


1 gs RUMPF.

Die Anlage zur Schwindsucht ist gekennzeichnet durch einen langen und schmalen Brustkorb. Mit dem gesunden verglichen zeigt der schwindsüchtige Brustkorb demnach weiter voneinander abstehende Rippen, die in ihrem ganzen Verlauf stärker nach unten ziehen , wodurch wiederum eine geringere Wölbung der oberen Partien und eine zu geringe Ausdehnung in die Breite veranlaßt wird. Dies hat zur Folge, daß die Schlüsselbeine stärker gekrümmt sind, weiter vorspringen und ebenso wie die Schulterblätter hervor- treten. Unter den Schlüsselbeinen bilden sich dann tiefere Gruben. Der untere Rippenrand bildet einen sehr viel spitzeren Winkel.

Durch das Schnüren wird der Brustkorb in seinen unteren Partien stark verengt, die Wölbung wird geringer und namentlich sehr verschärft in den mittleren Partien, so daß von der 4. Rippe ab die Wölbung statt nach vorn, mehr nach abwärts steht. Der untere Rippenrand ist ein spitzer Winkel.

Alle diese drei Ursachen, am stärksten allerdings die letzte, haben die Verunstaltung veranlaßt, die Figur 114 deutlich zeigt.

Lungenkrankheiten, namentlich Brustfellentzündungen in jugend- lichem Alter können durch Verwachsungen einen Teil des Brust- korbs sehr wesentlich in seiner Entwicklung beeinflussen. Es finden sich dann an der früher erkrankten Stelle Einziehungen oder Auf- treibungen, die die Symmetrie stören.

Die meisten dieser Fehler im Bau des Brustkorbs lassen sich beim lebenden Weibe aus dem ungleichmäßigen Heben und Senken des Brustkorbs beim Atmen erkennen. Nur an den Stellen, wo wenig Weichteile zwischen Skelett und Haut liegen, treten die Fehler ohne weiteres zu Tage. Außer den schon erwähnten Fehlern im Schlüsselbein lassen sich demnach schlechte Bildungen des Brust- beins und der oberen Rippen leicht nachweisen.

Besonders häufig findet sich die auf Rhachitis beruhende Ab- knickung des Brustbeins in der Höhe der 2. Rippe, welche bei stärkerer Ausprägung die sogenannte Hühnerbrust hervorruft. Auf Figur 119 ist sie sehr deutlich ausgeprägt.

Von größeren Weichteilen sind es namentlich die großen Brustmuskeln (Pectoralis major), welche die Form der Brust be- einflussen (Fig. 117). Ihre Bündel entspringen an der ganzen Vorder-


BRÜST.


199


fläche der Brust vom unteren Rippenrand , dem Brustbeinrand und der unteren Fläche des Schlüsselbeins und vereinigen sich zu einem kräftigen Muskelbauch, dessen Sehne sich am Knochen des Ober- arms ansetzt. Der untere Rand dieses Muskels bildet die vordere



Fig. 119. Knickung des Brustkorbs bei einem 15jährigen ^Mädchen (Hühnerbrust).

Begrenzung der Achselhöhle, die demnach beim Senken des Armes sich vertieft, beim Heben verstreicht. Je kräftiger er ist, desto stärker wird diese Grenzlinie hervortreten, und desto gleichmäßiger wird die obere Wölbung der Brust in die Schulter übergehen.

Ist der Muskel schlecht entwickelt, dann treten die Schultern vor.


200


RUMPF.


und es entsteht eine tiefe Einsenkung zwischen Schulter und Brust unterhalb des Schlüsselbeins bis in die Achsel (vgl. Fig. 6^).

Auf den großen Brustmuskeln, den äußeren Rand nur wenig überragend, liegen die Brüste (vgl. Fig. 117) in der Höhe der ^. — 6. Rippe.

Aus diesem Verhältnis geht hervor, daß der Brustkorb sowie der Brustmuskel einen sehr wesentlichen Einfluß auf die Form der Brust im engeren Sinn haben müssen.

Die Haut ist in der Gegend der Brustwarzen besonders zart und dünn; in der Mitte nach dem Brustbein zu wird sie etwas dicker und heftet sich der knöchernen Unterlage, der sie hier unmittelbar aufliegt, fest an. Nach den Achseln zu wird sie ebenfalls dicker,



Fig. 120. Durchschnitt durch den Brustkorb in der Höhe der Brustwarzen bei einem 20jährigen Mädchen (nach Rüdinger).

liegt dem Brustmuskel am unteren Rande wieder etwas fester an, zugleich aber entwickelt sich hier eine mächtigere Fettlage , die die Achselhöhle auspolstert, sich zwischen Brustmuskel und Brustkorb hineinschiebt und sich am unteren Rande des Muskels nach vorn zu allmählich verliert.

Zwischen Haut und Muskel liegt über der 4. Rippe, unter der Brustwarze, beim Kinde die Anlage der Milchdrüse, die beim Knaben nicht zur Entwicklung kommt, beim Mädchen aber etwa vom zehnten Jahre an zu wachsen beginnt und schließlich den Raum von der 3, bis zur 6. Rippe einnimmt.

Die Milchdrüse bildet anfänglich einen flachen scheibenförmigen Körper, dessen Ausführungsgänge nach den Brustwarzen ziehen. Diese sind mit ihrer Achse nach außen gerichtet. Später entstehen zwei halbkugelige Erhabenheiten, die zunächst dem großen Brust- muskel in ihrem ganzen Umfang aufliegen. Je größer die Drüsen


BRUST.


201


werden, desto mehr spannen sie die Haut in ihrer Umgebung und schieben sich zwischen diese und die darunter liegenden Teile hinein. Da nun aber die Haut bei guter Entwicklung am Brustbein fest an- haftet, so wird die losere Haut aus der Achselgegend stärker heran- gezogen, während über dem Brustbein zwi- schen den wachsenden Brüsten eine leichte Vertiefung, der Busen, bestehen bleibt. Zu- gleich drehen sich dann die Achsen der Brust- warzen etwas mehr nach vorn.

Rüdinger^) hat an der gefrorenen Leiche eines 20jähri- gen Mädchens einen Durchschnitt in der Höhe der Brustwarzen gemacht, welcher diese Verhältnisse gut ver- anschaulicht(Fig. 1 20).

An dem bei der Be- handlung etwas ver- schobenen Präparat wird die Grundlage durch den Brustkorb gebildet , von dem in der Mitte das Brust- bein (5), seitlich je



Fig. 121. Brustknospe. I2jähriges Mädchen aus München.


vier Rippenpaare {^^) durchgeschnitten sind. Darüber legen sich die Muskeln (MM), deren größte Masse vom großen Brustmuskel ge- liefert wird.

Ueber dem Brustbein ist die Haut am Busen {B) der Unterlage

^) Topographische Anatomie.


202


RUMPF.


fest angeheftet, seitlich erheben sich die Brüste, deren Drüsenkörper (■DJi) von der Grundfläche zur Brustwarze (P) hinzieht und überall mit der Haut durch elastisches Bindegewebe verbunden ist.

Die Maschen dieses elastischen Netzes sind mit größeren und kleineren Fettklümpchen prall angefüllt, welche die Abrundung der Brüste vollenden. Auf der Zeichnung ist das Fettpolster durch einen

punktiertenTon an- gedeutet.

Die Entwicklung der weiblichen Milchdrüse ^) aus dem kindlichen,neu- tralen Zustand fällt in der Regel zwi- schen das IG. und 14. Lebensjahr und setzt zunächst mit einer gleichmäßigen stärkeren Hervor- wölbung des War- zenhofes ein , in welche die Brust- warze mit einbezo- gen Avird und ver- streicht. In diesem Stadium bilden die werdenden Brüste



Fig. 122. Knospenbrust. 20jähriges Mädchen aus Böhmen.


kleine kugelige, rosige, selten schon braun pigmentierte Erhaben- heiten, die Brustknospen. Dieser Zustand findet sich bei einem I2jäh- rigen Mädchen aus München (Fig. 121).

Sehr bald aber wächst der Drüsenkörper weiter, es sammelt sich zwischen ihm und dem elastischen Bindegewebe, das ihn an die Haut heftet, eine größere Menge von Fett an, und die ßrustknospe wird von einer größeren kugeligen Wölbung emporgehoben, die mit ihr zusammen die Knospenbrust (Mamma areolata) bildet (Fig. 122).

') Vgl. Stratz, Der Körper des Kindes. F. Enke, 1904, 2. Auflage.


BRUST.


203


Die Knospenbrust stellt bei vielen niederen Rassen und bei den Negerinnen den Endzustand der Entwicklung dar, sie findet sich aber auch sehr häufig unter den Mitgliedern der gelben und weißen Rasse. Das in Fig. 122 abgebildete Mädchen aus Böhmen liefert einen Beleg hierfür.

Bei weiterer Ausbildung der Brüste wird der Warzenhof in die



Fig. 123. Reife Brust. 20jährige Maurin.


stärkere Wölbung der Haut wieder mit einbezogen, und die Warze sitzt der gemeinschaftlichen, halbkugeligen Erhabenheit knopfförmig auf; es hat sich die reife Brust (Mamma papillata) gebildet, welche der gelben und weißen Rasse eigentümlich ist. In sehr schöner Form besitzt sie eine junge Maurin (Fig. 123).

Da die Knospenbrust, welche bei stärkerer Entwicklung zur Euterbrust sich auswächst, das Kennzeichen niederer Rassen ist, so muß die reife Brust (Zitzenbrust) als die vollendetere und darum schönere Bildung angesehen werden.


204


RUMPF.


Schöne Bildung der Brüste ist das beste Kennzeichen für schöne Bildung des Körpers überhaupt, sie ist aber auch nicht denkbar, ohne die bereits erwähnten guten Eigenschaften ihrer näheren Um- gebung.

Die gute Wölbung des Brustkorbes läßt sich am besten in der Ansicht von oben erkennen. In Fig. 124 sieht man, daß die breite Wölbung des Brustkorbs gleichmäßig in die ihr aufliegende stärkere Wölbung der Brüste übergeht und am lebenden Modell die Verhält-



Fig. 124. Lage der Brüste zum Brustkorb. 16jährige Norddeutsche.


nisse veranschauHcht, welche Rüdinger in seinem anatomischen Prä- parat (Fig. 120) zur Darstellung gebracht hat.

Der Einfluß des großen Brustmuskels auf die Form der Brust ist an dem sehnigen, kräftig und doch zierlich gebildeten Körper einer 14jährigen Münchnerin (Fig. 125) zu sehen, und in Fig. 117 als Muskelpräparat dargestellt.

Beim lebenden Modell erkennt man deuthch die von der rechten Schulter her fächerförmig sich ausbreitenden Grenzen des großen Brustmuskels, dem die Brustdrüse noch völlig aufliegt.

Die Absetzung der Brüste gegen die Achsel zeigt eine 13jährige


BRUST.


205


Italienerin (Fig. 126) in guter Ausprägung, namentlich an der linken Seite bei leicht gehobenem Arm. Hier hat die Drüse den unteren Rand des großen Brustmuskels zum Teil überschritten. Nach oben ist ihre Grenze scharf

gegen die vordere Achselfalte abgesetzt, in welcher die Bündel der Brustmuskeln zur Schul- ter ziehen. DievonBaelz erwähnteFettablagerung in diesem Wulst, welche derOberbrust entspricht, ist hier in leichter Weise angedeutet.

Da eine stark aus- gebildete Oberbrust einem niederen Zustand entspricht, so muß eine nur mäßige Fettanhäu- fung in der vorderen Achselgrenze als die bessere Bildung ange- sehen werden.

Die Stellung der Brüste wird in hohem Grade durch ihre Um- gebungbeeinflußt. Beim Atmen heben und sen- ken sich die Brüste mit dem Brustkorb und treten beim Ausatmen

weiter auseinander. Wenn der Arm erhoben wird, so zieht er, bei guter Anheftung der Brust an ihrer Unterlage , auch diese mit in die Höhe. Durch das Emporheben des Brustmuskels wird die Brust mit diesem flacher und breiter.



Fig. 125. Lage der Brüste zum großen Brustmuskel. 14jährige Süddeutsche.


206 RÜMPF.

Fig. 127 zeigt diesen Unterschied in gleicher Weise am lebenden Modell, wie ihn Fig. 117 am Muskelpräparat vorführt.

Da man mit dem Tiefstehen der Brüste den Begriff des Hängens



Fig. 126. Absetzung der Brüste gegen die Achsel. 13jährige Itahenerin.

verbindet, so hält man einen hohen Ansatz für schön. Als Beispiele mögen die Figm'en 128 und 129 dienen, zwei Mädchen von 16 Jahren, von denen die erstere allerdings für ihr Alter weiter entwickelt ist.


BRUST.


207


Bei ihr sind die jugendliclien Brüste auffallend hoch angesetzt, bei

der zweiten stehen sie trotz ihres geringen Umfangs auffallend tief.

Die Schönheit des hohen Brustansatzes ist naturwissenschaftlich



Fig. 127. Verschiebung der Brüste bei Bewegung der Arme.


begründet, da bei gut gewölbtem Brustkorb die Rippen enger an- einander stehen und horizontaler verlaufen, wodurch der obere Teil des Brustkorbs dem Ansatz der Brüste eine breitere Fläche bietet. Diese Avird durch einen kräftig entwickelten Brustmuskel noch er- weitert und abgerundet. So wird gegenseitig hoher Brustansatz und


208 RUMPF.

gute Entwicklung des Brustkorbs und Brustmuskels bedingt. Am schwindsüchtigen Brustkorb stehen die Brüste an und für sich tiefer, da die Rippen alle, und demnach auch die der Warze entsprechende



Fig. 128. Norddeutsche von 16 Jahren mit hochangesetzter Brust.

vierte, schräg nach abwärts verlaufen und weiter auseinander stehen. Außerdem aber folgen die Brüste dem Gesetze der Schwere umso eher, als der Brustkorb mehr abschüssig und die Gewebe schlaff sind. Aus demselben Grunde bildet sich unter ihnen eine Hautfalte (vgl. Venus von Botticelli, Fig. 12). Mit der wachsenden Drüse ver- größert sich stets auch das Fettpolster, welches in das elastische


BRUST.


209


Gewebe zwischen dieser und der Haut eindringt, die Gestalt der Drüse mehr abrundet und die Uebergänge in den umliegenden Teilen weicher macht.

Je fester das elastische Unterhautbindegewebe getügt ist, desto schwieriger wird daselbst Fett abgelagert, und darum ist eine vor-



Fig. 12g. Münchnerin von 16 Jahren mit tiefangesetzter Brust.


wiegend aus Drüsensubstanz bestehende Brust meist gepaart mit praller, elastischer Haut; aus dem gleichen Grunde aber ist sie mit der Haut sowohl als mit dem darunter liegenden Brustmuskel viel fester und inniger verbunden.

Durch die Elastizität der Haut und die feste Anheftung wird zu- gleich die wachsende Brust am Herabsinken verhindert, und bildet eine scheibenförmige bis halbkugelige Hervorragung, die bei gleich-

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers. I4


210 RUMPF.

mäßiger Spannung der Haut sich überall in weichen Linien aus der Umgebung erhebt.

Neigung zu Fettansatz aber geht meist gepaart mit geringerer Bindegewebsausbildung und geringerer Elastizität der Haut. Dem-



Fig. 130. Gut gebaute Brüste.

nach werden vorwiegend aus Fett bestehende Brüste schlaffer sein, sich senken und tiefer stehen, und eher an ihrem unteren Rande die Haut in einer Falte abheben, als bei ersterwähnter Beschaffenheit.

Der naturwissenschaftliche Wert der Brust hängt ab von der Ent- wicklung des Drüsenkörpers , der ästhetische Wert von einer gleich- mäßigen Abrundung durch Fett. Demnach muß bei einer schönen Brust Drüse und Fettpolster sich gegenseitig in einem bestimmten


BRUST. 211

Verhältnis ergänzen. Ein Leb ermaß von Fett oder Drüsengewebe ist ein Fehler.

Von diesem Standpunkt aus kann man verlangen, daß die Brust hart und prall, nicht zu groß, scheibenförmig bis halb-



Fig. 131. Schlecht gebaute Brüste.

kugelförmig sei, daß sie ihrer Unterlage sowie der Haut gut anhafte, daß sie zwischen der 3. und 6. Rippe, die Warze nicht tiefer als die 4. Rippe, stehe und daß sich unter der Brust keine Hautfalte bilde. Außerdem muß die Warze gut und gleichmäßig entwickelt sein und etwas über den Warzenhof emporragen.

Der Messung zugänglich ist der jeweilige Abstand der


212


RUMPF.


Brustwarzen. Dieser darf bei gut entwickelten Brü- sten nicht kleiner sein als 20 cm.

Den gleichen Standpunkt hat aber auch die Kunst, vor allem die griechische, stets eingenom- men , und so deckt sich auch hier wieder das Normale mit dem Schönen.

Als Beispiel für eine gut ge- baute Brust kann Fig. 130 an- gesehen werden.

Der Brustkorb ist gleich- mäßig gewölbt, die Schlüssel- beine springen nicht vor, unter ihnen wölbt sich die Brust gleich- mäßig mit breiter oberer Fläche, ohne daß die Rippen sichtbar sind. Die kräftige Entwicklung des Brustmuskels ist außer der gleichmäßigen Wölbung an der guten Ausprägung der vorderen im Arm sich verlierenden Achsel- linie erkennbar. Die Brüste sind halbkugelig, hoch angesetzt, liegen dem Brustmuskel zum größten Teil auf, bilden keine Hautfalte. Daß sie mit der Unter- laa;e verwachsen sind, ist ersieht- lieh aus der rechten Brust, die mit dem rechten gehobenen Brustmuskel zusammen empor- steigt. Der untere Rippenrand bildet in der Herzgrube einen rechten Winkel.

Das nämliche Verhältnis zeigt Tafel III bei kleineren Brüsten.



Fig. 132. Zu kleine Brüste.


BRUST.


213


Eine trotz ihrer geringen Größe schlechtgebaute Brust stellt Fig. 131 vor. Der Brust- korb ist flach , die Knickung des Brustbeins in der Höhe der 2. Rippe deuthch zu sehen. Der durch den großen Brust- muskel bedingte vordere Ach- selwulst ist schlecht ausgeprägt, die Brüste hängen und bilden an ihrer unteren Grenze eine Falte.

Noch stärkere, durch Schwindsucht und Schnürung hervorgerufene Entstellungen zeigen die Figuren 68 und 77.

Wenn man trotz aller dieser Fehler solchen Gestalten einen gewissen jugendlichen Lieb- reiz nicht absprechen kann, so erinnere ich nur wieder an die Venus des Sandro Botticelli, die den gleichen Typus reprä- sentiert. Auch das Krankhafte kann seinen Reiz haben, aber schön ist es nicht.

Nächst dem elastischen Ge- webe der Haut und des Drü- senkörpers wird die schöne Form der Brüste durch die Ausfüllung mit Fett bedingt. Diese steht nicht immer im Verhältnis zu der Fettvertei- lung am übrigen Körper. Es gibt schlanke Frauen mit fetten und dicke Frauen mit schwachen Brüsten. Das Fettpolster der Brüste selbst kann zu wenig oder zu viel entwickelt sein.



Zu große Brüste.


214


RUMPF.


Fig. 132 zeigt ein keineswegs mageres Mädchen von 20 Jahren, bei dem die Brüste sehr klein und fettarm sind, Fig. 133 eine gleich- altrige Wienerin mit besonders großen fetten Brüsten. Beide Gestal- ten sind fehlerhaft, die erste, weil sie den weiblichen Ge- schlechtscharakter nur unvollständig be- sitzt, die zweite, weil das Uebermaß seiner Ausbildung an dieser einen Stelle die Sym- metrie des Körpers zerstört.

Außerdem aber geht die Neigung zu Fettansatz meist ge- paart mit einer ge- ringeren Elastizität der Haut und ist dar- um ein Zeichen we- niger guter Körper- bildung.

Die Verringerung der Hautspannung ist das wichtigste Mo- ment, welches auch

die ursprüngHch schöne Form der Brüste vorübergeh- end oder auch dau- ernd entstellen kann.



Fig. 134. Vollentwickelte Brüste einer Beaute du diable.


Verringerung der Elastizität tritt ein, wenn auf stärkere An- spannung Erschlaffung erfolgt, oder wenn die Grenze der Dehnbar- keit überschritten ist. Der erste Fall findet sich bei starker Abmage- rung und nach Schwangerschaft, der letzte bei Neigung zum Fettansatz.


BRUST. . 215

Starke Abmagerung als Folge akuter Krankheiten oder anstren- gender Lebensweise kann leicht durch Ruhe und gute Kost wieder ausgeglichen werden , auch die durch Schwangerschaft verursachte zeitweise Füllung der Brüste kann verschwinden, ohne eine bleibende Entstellung zu hinterlassen, und zwar geschieht dies bei richtiger Behandlung viel häufiger, als im allgemeinen angenommen wird. Eine meiner Patientinnen, die sechsmal geboren hatte, zeigte weder an den Brüsten noch sonst an irgend einem Teil ihres Körpers die geringsten Spuren der überstandenen Schwangerschaften.

Neigung zu Fettansatz hingegen verdirbt die Form der Brüste meist dauernd, und zwar umso eher, wenn sie mit unzweckmäßiger Ernährung gepaart geht.

Es ist dies ein Fehler, der die Brüste von weitaus den meisten Künstlermodellen in sehr kurzer Zeit unbrauchbar macht. Diese meist der ärmeren Klasse angehörigen Mädchen wachsen bei mangelnder Fleischkost in spärlichen Körperverhältnissen heran, wobei dann zur Zeit der Reife durch stärkere Fettablagerung eine gewisse Fülle der Formen entsteht, die bei mangelnder Elastizität der Haut nur von äußerst kurzer Dauer ist.

Fig. 134 zeigt eine derartige vergängliche Schönheit. Die Ge- stalt zeigt gedrungene, aber gefällige Formen; deren Rundung ist je- doch nicht durch kräftige Muskeln bedingt, sondern durch den Fettan- satz der jugendlichen Reife. Die Brüste sind rund, gut gefüllt und prall; jedoch fehlt die gute Ausprägung der vorderen Achselgrenze, der Beweis des Vorhandenseins eines kräftigen Brustmuskel.

Die schräge Linie, die vom Brustbein nach außen unten verläuft und die rechte Brust vom Busen scheidet, beweist, daß die Brust durch ihre Schwere die Haut bereits herabgezogen hat. Bei der ge- ringsten Vermehrung des Gewichts wird die untere Begrenzung der Brüste zur Falte, und dasselbe tritt ein, wenn die jugendHche Fülle durch anstrengende Lebensweise oder nach Schwangerschaft ver- schwindet. Die höchste Blüte ist erreicht, vielleicht schon über- schritten, so oder so muß sie vergehen: Beaute du diable.

Sehr hübsch und sehr wahr ist die Anekdote, die, wie ich glaube, von Cabanel erzählt wird. Er hatte ein sehr schönes Mädchen für schweres Geld als iVIodell angenommen unter der Bedingung, daß


216


RUMPF.


sie ein streng regelmäßiges Leben fiibire. Eines Tags fand er sie verändert und schickte sie weg. Tags vorher war das Mädchen zum

ersten Male von der vor- geschriebenenLebensweise abgewichen.

Fig. 134 kann zugleich als Vorbild dienen für die oben aufgestellte Behaup- tung, daß die Beschaffen- heit der Brüste eines der besten Kriterien ist zur Bestimmung der höchsten Blüte einer Frau.

Im allgemeinen kann man sagen, daß jede Ver- minderung einer einmal erreichten Fülle den Kör- per nachteilig beeinflußt, und daß die Brüste der- jenige Körperteil sind, an dem auch die geringste Ab- magerung am ersten und deuthchsten sichtbar wird. Vor der höchsten Blüte tritt eine stetige Zunahme in der Rundung der For- men ein. Nach ihr tritt Abmagerung ein oder eine Fig. 135. Hängebrust bei kleiner Drüse. mit Ueberspannung der

Haut gepaarte Ueberfülle. Während der höchsten Blüte muß demnach die Form der Brüste derart sein, daß die geringste Vermehrung oder Verminderung ihres Umfangs die Form beinträchtigt.

Beide Fälle sind dadurch gekennzeichnet, daß der obere Teil der Brüste sich abflacht, während der untere Teil sich stärker rundet, wo- bei zugleich die Achse der Brustwarze mehr nach oben gerichtet wird.



BRUST.


217


Am dauerhaftesten sind kleine, flache, hochangesetzte Brüste mit schön gewölbtem Brustkorb und kräftig entwickeltem Muskel.

Das Lebensalter hat wenig mit der Schönheit der Brust zu tun ; ich habe ein Mädchen von 15 Jahren mit hängenden Brüsten gesehen, und eine Dame von 60, die, dank dem kalten Wasser und körper- lichen Uebungen, trotz mehrf;icher Geburten die vollendet schöne Form ihrer Brüste bewahrt hatte. Bei richtiger Pflege und als Vorbe- dingung elastischer Haut können auch Geburten und Wochenbetten spurlos an der weiblichen Brust vorübergehen. Nach meinen Er- fahrungen erhalten sich die Brüste viel länger und besser, wenn sie gesäugt liaben. Nur häufige und rasch einander folgende Geburten und ein zu lange fortgesetztes Säugungsge- schält sind im stände, eine ur- sprünglich schöne Brust unwider- ruflich zu verderben.

Das erste Zeichen, daß die Brüste ihre liöchste Blüte über- schritten haben, ist eine leichte Abflachung der oberen und eine stärkere Vorwölbung der unteren Hälfte. Bald darauf bildet sich am unteren Rand eine Falte zwi- schen Brust und Brustkorb, und

damit ist die erste Stufe der Hänge- ^'S- ^36- Hängebrust be. großer Drüse.

brüst erreicht. Ob eine Brust groß oder klein, vorwiegend aus Drüsen- gewebe oder aus Fett besteht, ist von untergeordneter Bedeutung.



218 RUMPF.

Wohl wird eine schwere Brust eher als eine leichte, eine ge- wölbte eher als eine flache zur Hängebrust neigen, die wichtigste Ursache aber zum Zustandekommen dieser fehlerhaften Form ist der Schwund des elastischen Gewebes in der Haut und der Drüse selbst.

Die Figuren 135 und 136 stellen zwei Mädchen dar, die beide noch nicht geboren haben und einen im übrigen gut entwickelten Körper in ungefähr gleichem Ernährungszustand besitzen. Beide haben Hängebrüste. Bei der ersten sind die Brüste klein und be- stehen vorwiegend aus Drüsensubstanz; bei der zweiten sind sie sehr groß und fettreich. In beiden Fällen läßt sich außer der mangelnden Elastizität ein sehr flacher und abschüssiger Brustkasten als eigentliche Ursache dieses Fehlers nachweisen. Die erstere ist eine weiter entwickelte Stufe der Beaute du diable, welche in Fig. 134 dargestellt wurde.

B a uch.

Der Bauch wird von oben durch den unteren Rippenrand, von unten durch die Kämme der Darmbeinschaufeln und die Leisten- bänder begrenzt. Seine Form hängt im wesentlichen ab von seiner muskulösen Bedeckung und von der Form der oberen und unteren knöchernen Grenze.

Die für den unteren Rippenrand bereits genannten Bedingungen gelten auch für die Plastik des Bauches. Der Brustkorb 'muß eine gleichmäßig gewölbte untere Grenze haben, die am Brustbein in einem nahezu rechten Winkel zusammenstößt, um den Bauchmuskeln eine breite Anheftungsfläche zu bieten.

Das Becken liegt größtenteils im Innern des Körpers verborgen; dicht unter die Haut treten nur die Darmbeinkämme und die Ver- einigung der Schambeine.

Bei normal gebautem Becken des Weibes muß der größte Ab- stand der Darmbeinkämme (Cristae) mindestens 28 cm betragen^ während ihre vordersten Enden, die Dornen (Spinae), mindestens 26 cm voneinander abstehen müssen. Noch wichtiger als die Maße selbst ist der jeweihge Unterschied, der durchschnittlich 3 cm, nie weniger als 2 cm betragen soll.

Ein drittes Breitenmaß ist der Abstand der Hüften an den


BAUCH.


219


Oberschenkelknorren (Trochanteren), dieser muß mindestens 31 betragen, also 2 — 3 cm mehr als der Kammabstand (Fig. 137).

Der Unterschied in diesen drei Maßen läßt Rückschlüsse zu auf die Gestaltung des Beckenkanals und ist deshalb von großer Wich- tigkeit für den Geburtshelfer.

Je größer die Maße und je größer ihr Unterschied unter ein- ander, desto besser gewölbt ist das Becken und desto geräumiger seine Höhle,

Die normalen, durch zahlreiche Messungen testgestellten Durch-



,xT


F'g- 137- Weibliches Becken.

CC Kammbreite (Cristae), SS Dornbreite (Spinae), i"7" Hüftenbreite (Trochanteren), y X Schambeinvereinigung.

schnittsmaße sind: Dornbreite 26, Kammbreite 29, Hüftbreite 31,5 (Differenz 3 und 2,5 cm).

Das breite Becken ist ein naturwissenschaftlicher Beweis lür die Tüchtigkeit der Besitzerin zur Fortpflanzung, also das wichtigste sekundäre Geschlechtsmerkmal. Zugleich aber wird es vom künst- lerischen Standpunkt als Schönheit angesehen. Also auch hier wieder ein sprechender Beweis , daß das Normale und das Schöne oft un- bewußt denselben Gesetzen gehorchen müssen. Je geringer die Wöl- bung der Beckenschauteln ist, desto mehr müssen die Dornen nach außen treten, bis sie schließlich ebenso weit abstehen als die Kämme in ihrer größten Entfernung, ja es kann sogar vorkommen, daß die Dornen den mittleren Abstand der Kämme in der Breite über- schreiten. Die Erfahrung hat gelehrt, daß dann auch die Becken-


220 RUMPF.

höhle stark verengert wird, und daß derartige Fehler in der Ent- wicklung des Beckens in weitaus den meisten Fällen auf Rhachitis beruhen.

Hand in Hand mit der geringeren Wölbung der Beckenschaufeln geht aber eine geringere Wölbung der von ihr entspringenden mus- kulösen Bauchwand ; diese hat bei dem geringeren Umfang der knö- chernen Basis eine größere Last zu tragen und wenn sie ihrer Auf- gabe nicht gewachsen ist, sinkt sie nach unten. Es entsteht ein Hänge- bauch.

Die Vereinigung der Schambeine liegt hinter dem Schamberg, so daß ihre obere Grenze etwa mit der Grenze der Schamhaare nach oben zusammenfällt. Bei aufrechter Stellung liegt ihr vorderster Punkt ungefähr in derselben senkrechten Fläche wie die Dornen. Von hier zieht gegen die Dornen zu von beiden Seiten das Leisten- band, das, mit den Knochen lest verbunden, die untere Grenze des Bauches bestimmt.

Die vordere Bauchwand besteht ausschließlich aus Muskeln und Haut.

Von den Muskeln sind die wichtigsten die geraden Bauchmuskeln (Fig. 117), die von der Mitte des unteren Rippenrandes zu den Schambeinen herabsteigen. Wenn sie gut entwickelt sind, müssen sich rechts und links von ihnen zwei Furchen erkennen lassen, deren Fehlen ein Zeichen ungenügender Entwicklung ist.

Die übrigen Bauchmuskeln liegen seitlich über den Kämmen und bilden die Weichen, die nach hinten in die Lenden übergehen; auch sie müssen gut ausgeprägt sein, da sie die gute Spannung des Bauches in die Quere bedingen.

Fig. 117 zeigt die Lage der Muskeln, welche bei guter Entwick- lung ebenso viele Hervorwölbungen auf der Bauchfläche, zwei mitt- lere längere und zwei kürzere seitliche, zum Gesetze machen. Einiger- maßen wird diese Gestaltung beeinflußt durch die Verteilung des Fettpolsters, das bei der Frau sich in der Gegend um den Nabel und auf dem Schamberg stärker anhäuft. Diese Fettverteilung ist ein sekundäres weibliches Geschlechtsmerkmal und muß unter nor- malen Verhältnissen deutlich ausgeprägt sein.

Da durch die von oben und seitlich einsetzenden Muskelmassen der Unterleib abgeflacht und zurückgedrängt werden muß, soweit er


BAUCH.


221



Fig. 138. Wellenlinie des Rumpfes im Profil.

(Aufnahme von Heid, Wien.)


unterhalb der Muskeln liegt (also nicht die Nabelgegend), so läßt sich am gut gebauten Bauche das folgende erkennen:

Der Bauch ist flach ijewölbt; in der Mittellinie so-


222 RUMPF.

wie beiderseits etwa handbreit davon ziehen zwei Furclien herab, die sich allmählich in der am stärksten und weich sich vorwölbenden Nabelgegend verlieren, unterhalb derselben aber wieder etwas deutlicher werden. Der Nabel liegt in einer (durch die Fettanhäufung bedingten) tie- feren Grube. Außerhalb der seitl ich en Furchen w ölben sich die Weichen stärker hervor. Der Uebergang aller dieser Furchen und Wölbungen muß weich sein.

Zwischen Nabelgegend und Schamberg bildet der Um- riß im Profil eine leichte Wellenlinie, aus der sich der Schamberg stärker hervorhebt (Fig. 138).

Jedes Abweichen von diesen Vorschriften ist ein Fehler, verursacht durch schlechte Ernährung, fehlerhafte Knochenbegrenzung nach Rha- chitis etc., unrichtige Fettverteilung, nicht genügende Entwicklung der weiblichen Geschlechtscharaktere und endlich durch das Schnüren.

Außer den Fehlern treten aber auch deren Folgezustände mehr und mehr hervor.

Bei schlechter Ernährung, das heißt ungenügender Fleischkost, ist die Masse der nötigen Nahrung größer, die Därme werden stärker ausgedehnt, so daß die Spannung des Bauches zunimmt, ohne daß die Muskeln kräftiger werden: die Bauchwand wird dünner, wölbt sich stark vor und ist wenig modelliert, es entsteht der Spitzbauch.

Bei zu starkem und gleichmäßig über den ganzen Bauch ver- teiltem Fettpolster entsteht der gleichmäßig runde, durch keine Furche in seiner Gestaltlosigkeit getrübte Froschbauch. Ein gut aus- gebildetes Exemplar dieser Gattung zeigt Figur 64.

Bei schmalem Brustkorb ist der Verlauf der Bauchwand nach dem Becken zu verbreitet, namentlich aber die Wirkung der geraden Bauchmuskeln bei geringerer Breite beeinträchtigt. Bei ungenügen- der Wölbung des Beckens, wie sie namentlich häufig bei Rhachitis auftritt, ist durch das Nachaußentreten der Dornen ein ähnliches Ver- hältnis geschaffen, das noch ärger wird, wenn zugleich auch ein enger Brustkorb besteht. Die ganze Last der Baucheingeweide ruht dann auf dem unteren Teil der an und für sich in ungünstigen Ver- hältnissen verkehrenden Muskelwand, die sich mehr und mehr nach unten vorv/ölbt; es entsteht ein Häns-ebauch.


BAUCH.


223


Ein sehr wichtiges Hilfsmittel zur Erzeugung dieser Diftbrmitäten ist der Mißbrauch der Korsetts.

Schnürt man die Mitte ein, dann verengert sich zunächst die untere Rundung des Brustkorbs, so daß alle Muskeln an kurzer Haftfläche liegen. Die geraden Bauchmuskeln, von deren Entwick- lung hauptsächhch die schöne Form des Unterleibes abhängt, können sich nicht zusammenziehen, da die Druckfurchen mitten über sie hin- laufen; ihre oberen Partien sind zur Untätigkeit verurteilt, während die unteren die ganze Last der herabgepreßten Eingeweide zu tragen haben. Seitlich werden die Weichen eingeschnürt, auch hier schwin- den die Muskeln und das Fett sinkt nach unten.



•f^'S- 139- Schema der Grenzlinien zwischen Rumpf und Schenl<eln.

Eine einzige Geburt genügt, um alle diese ihrer Widerstands- fähigkeit beraubten Elemente zeitlebens in einen schlafii"en, herab- hängenden Sack zu verwandeln, nachdem sie der betroffenen Patientin selbst viel mehr Leiden verursacht hat, als je im Fluche nach dem Sündenfall dem Weibe zugemutet worden war.

Schwangerschaften unter normalen Verhältnissen hinterlassen nur dann bleibende Spuren, wenn sie sehr zahlreich und rasch hinter- einander auftreten. Bei geschnürtem Leibe dagegen ist die Stufen- leiter: Wespentaille, Spitzbauch, schwere Geburt, Hängebauch, zweite schwere Geburt, faltiger Hängebauch.

Noch rascher verliert sich die Schönheit des Bauches, wenn wäh- rend der Schwangerschaft stark geschnürt wird, dagegen wird sie durch kräftiges Einbinden nach der Geburt erhalten.


224


RUMPF.


Die Schwangerschaftsnarben bilden sich bei genügender Elasti- zität der Bauchdecken ganz oder doch größtenteils zurück.

An den Leisten geht der Bauch in weichen Linien in die



Fig. 140. Weiblicher Rumpf mit Vorwiegen der Leistenlinie.

Schenkel über, in der Mitte setzt er sich fort in den Schamberg. Die leichte quere Einsenkung darüber ist zugleich die obere Grenze der Schambehaarung. Höher hinauf wachsende Haare sind dem Manne eigentümlich und darum bei der Frau ein Fehler.


BAUCH.


225


Es ist bereits früher darauf liingewiesen, daß der Laie, durch Traditionen der bildenden Kunst veranlaßt, sich geneigt fühlt, die Behaarung des Schambergs für unschön zu halten. Der Arzt, an



Fig. 141. Weiblicher Rumpf mit Vorwiegen der Beckenlinie.

den Anblick gewöhnt, findet sie natürlich und darum nicht häßlich bei mäßiger Entwicklung. Starke Entwicklung ist ein Fehler, weil sie ans Tierische und Männliche erinnert , und dadurch den weib- lichen Geschlechtscharakter verletzt.


Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers.


15


226


RUMPF.



ig. 142. I4jähriges Münchener Modell mit guter Ausprägung der Becken- und Leistenlinie.


In ausführlicher Weise hat Brücke^) die Grenz- Hnien zwischen Bauch und Schenkeln beim Weibe besprochen.

Brücke unterscheidet zunächst zwei Grenzlinien, die Inguinal- oder L ei- ste nlinie(i3 9al), ^Yelche den Schamberg von den Schenkeln trennt, und die höherliegende Becken- linie (139 all), welche zwischen den vorderen Dornen sich hinzieht und den Schamberg vom Un- terleib abgrenzt.

Eine dritte, etwas höher liegende Linie (139 a III) erwähnt Brücke nur bei- läufig, während Richer^) sie ausführlich beschreibt und pli semicirculaire de Tab dornen nennt. Diese Bauchlinie hält Richer für ein Kennzei- chen des weiblichen Ge- schlechts; sie ist die un- tere Grenze des um den Nabel stärker entwickel- ten Fettpolsters und darf bei guter Bildung nur eine leichte Rille bilden. Durch starkes Schnüren entsteht


') Brücke, Schönheit und Fehler der menschlichen Gestalt, p. 1 1 1 ff . ^) Anatomie artistique, p. 188.


BAUCH.


227


•an ihrer Stelle eine scharfe Furche.

Je nachdem die Leistenlinie oder die Beckenlinie das

Gesamtbild be- herrscht, können nach Brücke zwei »scheinbar extreme Formen der Grenz- linien« entstehen.

Bei der ersten Form verlaufen die Leistenlinien flach und treffen sich in stumpfem Winkel.

Die Beckenli- nien sind weniger scharf ausgeprägt und bilden ge- wissermaßen eine seitliche Verlänge- rung der Leisten- linien (Fig. 139 b).

Bei der zweiten Form treflen sich die Leistenlinien in spitzem Winkel, verlaufen steiler nach oben und setzen sich schein- bar direkt in die Beckenlinien fort



Fig. 143. Weiblicher Körper mit sclioiien Grenzlinien zwischen Rumpf und Schenkel (Oesterreicherin).


bis nach oben zu den vorderen oberen Dornen (Fig. 139 c). Brücke gibt zu, daß es zwischen diesen beiden extremen Formen zahlreiche Uebergänge gibt, ja daß sogar an ein und derselben Gestalt durch


228


RUMPF.


Streckung und Beugung der Schenkel gegen den Rumpf bald diese, bald jene Form hervorgerufen werde.

Eine junge Belgierin (Fig. 141) zeigt den ersten Typus, bei dem



Fig. 144. Unterrippengrübchen bei einer 15jährigen Wienerin.

die Grenzlinien zwischen Schamberg und Oberschenkel fast horizontal nach außen ziehen, in sehr guter Ausprägung.

Fig. 140, eine junge Münchnerin, entspricht dem zweiten Typus, bei dem die Grenzlinien steil nach oben zu den Dornen verlaufen.


BAUCH. 22Q

Die erstere bildet eine stumpfe Imlbmondförmige, die zweite eine spitze, dreieckige Begrenzung des Schambergs. Die erste Form ist bedingt durch geringere Beckenneigung, hohe Darmbeinschaufeln und näher gestellte Dornen, die zweite durch stärkere Beckenneigung, breite Darmbeinschaufeln und weit gestellte Dornen.

Da nun eine stärkere Beckenneigung ebenso wie ein breites Becken für das weibliche Geschlecht charakteristisch sind, so kann man ohne weiteres der zweiten Form den Vorzug geben.

Da in diesem Falle, bei stärkerer Beckenneigung, die Schamspalte ebenfalls mehr nach unten und hinten tritt, so ergibt sich daraus die weitere Folge, daß die Gestaltung des Bauches umso normaler und darum schöner ist , je weniger in der aufrechten Stellung von vorn die Schamspalte sichtbar ist.

Bei gleichmäßiger Bildung muß aber, wie auch Brücke sagt, die Beckenlinie ebensogut wie die Leistenlinie erkenntlich sein.

Fig. 142 zeigt ein i4Jähriges Mädchen aus München, bei dem beide Linien besonders gut gezeichnet sind, und zwar findet sich hier am linken, stützenden Bein der Brückesche Beckenlinientypus, am rechten Spielbein der Brückesche Leistenlinientypus. Außerdem läßt sich die dritte Richersche Bauchlinie über den beiden anderen er- kennen.

Eine sehr schöne Beckenbegrenzung mit stumpfem, halbmond- förmig abgeteiltem Schamberg und glücklicher Verbindung von Leisten- und Beckenlinie zeigt der auch im übrigen völlig fehlerfreie Rumpf einer Oesterreicherin (Fig. 143).

Bei guter weiblicher Ausbildung muß demnach die Leistenlinie stumpf sein, die Beckenlinie darf, wie auch Langer ^) hervorhebt, nur an den Seiten deutlich sein und muß in der Mittellinie zu einer seichten Furche verflachen. Erst bei übermäßiger Fettbildung tritt sie schärfer hervor.

Der Nabel kann groß oder klein, flach oder eingezogen sein, hoch oder tief stehen. Da ein großer Nabel die Folge eines mangel- haften Verschlusses des Nabelrings ist, so muß ein kleiner Nabel schön sein, weil er die Folge besserer Entwicklung ist. Und da beim


^) Anatomie der äußeren Formen, p. 209.


230 RUMPF.

Weibe eine stärkere Fettanliäufung um den Nabel, die ihn zugleich vertieft, zu den sekundären Geschlechtscharakteren gehört, so ver- dient bei ihr ein eingezogener Nabel den Vorzug. Beim Kind steht der Nabel am tiefsten und rückt mit zunehmender Ausbildung des Körpers bei beiden Geschlechtern mehr und mehr nach oben; Hoch- stand des Nabels ist demnach ein Zeichen besserer Entwicklung. Für den Nabel der Frau ist als Fehler zu bezeichnen, wenn er groß, flach und tiefstehend, als Vorzug, wenn er klein, eingezogen und hoch angesetzt ist.

Eine besondere Bildung der Bauchoberfläche hat Ernst Gaupp im Anschluß an eine Bemerkung von Puchstein gemacht^). Es ist dies eine grübchenförmige Einziehung der Hautoberfläche rechts und links seitlich oberhalb des Nabels, unterhalb des Rippenrandes, welche durch die Muskelbildung bedingt ist und besonders bei Anspannung und seitlicher Beugung des Rumpfes stärker hervortritt. Gaupp nennt sie das Unterrippengrübchen. Da es durch gute Bildung der Muskulatur und elastische Spannung der Haut bedingt ist, so kann man es als einen Vorzug in der Bildung des Unterleibs an- sehen. Fig. 143 zeigt ein Grübchen an der linken Seite; besonders schön ist es an der rechten Seite des jugendlichen Körpers Fig. 144 ausgeprägt.

Von den Schamteilen sieht man bei richtiger Beckenneigung nicht mehr als das vordere Drittel in der aufrechten Stellung von vorn. Bei guter Entwicklung bilden die Schamlippen zwei pralle, von vorn nach hinten ziehende Wülste, welche, auch bei mäßiger Spreizung der Beine, an der Schamspalte einander anliegen und die darunter Hegenden Teile bedecken. Bei starker Spreizung erscheinen die Nymphen als zartrot gefärbte, hahnenkammartige Gebilde in der Tiefe.

Ein Fehler ist das Klaff"en der Schamspalte und das Hervorragen der Nymphen über die Schamlippen. Das letztere kommt auch in Europa häufig vor. Die Nymphen erhalten dann eine braune Farbe. Unter den Hottentottinnen ist dieser Fehler sehr häufig und stark aus- geprägt; er wird als »Hottentottenschürze« beschrieben.

^) Ernst Gaupp, Plastisch-anatomische Betrachtungen. Bericht der Natur- forschenden Gesellschaft zu Freiburg. XII, p. 175 — 231, 1902.


RÜCKEN. 231


Rücken.


Der Rücken bildet die gemeinschaftliclie Kehrseite von Brust und Bauch. Seine schöne Gestaltung hängt in erster Linie vom nor- malen Bau der knöchernen Unterlage ab, und dafür gelten dieselben Vorschriften wie oben.

Die Wirbelsäule muß , von hinten betrachtet , ganz gerade ver- laufen. Durch Rhachitis, durch unzweckmäßige Lebensweise, haupt- sächlich Ueberanstrengung in jugendlichem Alter mit oder ohne Rhachitis, durch tuberkulöse Wirbelkrankheiten können Verkrüm- mungen entstehen, die als ebenso viele Fehler zu betrachten sind.

Im Profil muß die Wirbelsäule im oberen Brustteil etwas nach hinten, im Lendenteil sich nach vorn vorwölben, wodurch eine leichte Rundung in der Schultergegend und eine Höhlung im Kreuz ent- steht; diese letztere muß beim Weibe besonders deutlich ausgeprägt sein, weil sie, zusammen mit der stärkeren Beckenneigung, ein se- kundäres Geschlechtsmerkmal bildet.

Eine zu starke Rundung des oberen Rückenteils, der runde Rücken, ist ein Fehler. Dieser kann nicht entstehen, ohne daß auch der Brustkorb stark nach hinten tritt. Deshalb wird auch die Brust flach und die Schultern sinken nach vorn. Es ist bekannt ^), daß eine derartige Bildung in einzelnen Geschlechtern erblich ist und sich namentlich bei Juden häufig findet.

Fig. 145 zeigt den typischen runden Rücken.

Hofii"a nimmt an, daß eine derartige laxe Haltung hauptsächlich auf Willensschwäche beruht. Ein vergleichender Blick auf Fig. 6) jedoch lehrt uns, daß mangelhafte Muskelentwicklung denselben Ein- fiuß ausüben muß. Im ersteren Fall müßte demnach durch Muskel- spannung der Fehler ausgeglichen werden können, im zweiten nicht.

Eine zu starke Höhlung im Lendenteil, der hohle Rücken, ist ebenfalls ein Fehler, der wiederum ein starkes Vorspringen des Bauches nach vorn und des Gesäßes nach hinten veranlassen muß. Er findet sich physiologisch in der späteren Zeit der Schwangerschaft, bei der das Uebersiewicht des stark gedehnten Bauches durch L'eber-


') Vgl. Hoffa, Orthopädische Chirurgie, p. 221.


232


RUMPF.


sinken des Oberkörpers nach hinten ausgegHchen wird ; dann aber auch bei jeder zu starken Neigung des Beckens, wie sie namentlich bei Hüftgelenksentzündung vorkommt.



Fig. 145. Runder Rücken.

Ein hohler Rücken geht gepaart mit zu schwacher Entwicklung der Rückenmuskulatur.

Fig. 146 zeigt einen typischen hohlen Rücken.

Auf der Mittellinie des Rückens sind die Dornfortsätze der Wirbelbogen deutlich durch die Haut fühlbar, zum Teil auch sichtbar; am stärksten springt oben im Nacken der 7. Halswirbel ins Auge.


RÜCKEN.


233


Seitliche Verkrümmungen der Wirbelsäule haben stets auch fehler- hafte Bildung des Brustkorbes zur Folge.

Der Brustkorb muß auch hinten symmetrisch crebaut und gut



Fig. 146. Hohler Rücken.


gewölbt sein. Ist er, bei flacher Brust, zu stark gewölbt, dann treten die Schulterblätter zu stark heraus, und die Schultern sinken nach vorn. Ist er, wie bei der Anlage zur Schwindsucht, zu lang und zu schmal, dann sinken die Schultern herab und heben den unteren Winkel der Schulterblätter heraus. Ist er ungleichmäßig entwickelt, dann steht das eine Schulterblatt höher als das andere, und der eine Winkel steht weiter entfernt oder schiefer gegen die Mittellinie als der andere.


234


RUMPF.



Geringere Fehler der Wirbelsäule sowohl wie des Brustkorbes lassen sich demnach am besten nach dem Stand der Schulterblätter beurteilen. So zeigt Fig. 147 einen tieferen Stand des rechten Schulterblattes mit stärkerem Hervortreten seines un- teren Randes als erstes Zeichen einer beginnenden Rückgratsver- krümmung nach links mit stärkerer Wölbung der rechten Hälfte des Brustkorbes.

Daß ein zu schmales Becken die Gestalt des Rückens verderben muß, geht schon daraus hervor, daß für ihn dasselbe Verhältnis zwischen Schulterbreite, Taillenbreite und Hüftbreite bestehen muß, wie an der Vorderseite des Rumpfes, und daß die Verringerung der Hüftbreite den weiblichen Geschlechtscharakter verschwinden läßt.

Von besonderer Wichtigkeit jedoch ist das Kreuzbein, das beim Weibe sehr viel breiter ist als beim Manne, und das zur Gestaltung des Rückens umso mehr beiträgt, als es dicht unter der Haut liegt; rechts und links von ihm liegen die hin- teren Dornen der von vorn kom- menden Darmbeinkämme , deren Abstand zugleich die obere Breite des Kreuzbeines angibt und min- Je gleichmäßiger die Wölbung der Darmbeinkämme ist, desto besser wird die Wölbung des Rückens in den Lenden; und diese muß der unteren hinteren Rippenwölbung



Fig. 147. Tiefstand der rechten Schulter

bei beginnender Rückgratsverkrümmung

bei einem 23jährigen Mädchen von

holländisch-englischer Abkunft.

destens lo cm betragen muß.


RÜCKEN. 235

entsprechen, um eine gleichmäßige Spannung der daran befestigten Muskeln zu ermögHchen.

Während die tieferliegenden Rückenmuskeln beinahe alle mit der Wirbelsäule parallel verlaufen und die Skelettteile verbinden, ab- runden und ihre Uebergänge verstreichen lassen, sind die höher- Hegenden Rückenmuskeln, also gerade diejenigen, die der Oberfläche das Relief geben, alle nach der Schulter gerichtet (Fig. ii8).

Um das feine Relief der Rückenmuskeln zu verstehen , ist deren genaue Kenntnis nötig; für unsere Zwecke genügt es, darauf auf- merksam zu machen, daß die meisten Muskeln zum Schulterblatt und von diesem zur Schulter ziehen, daß sich aber der große Ka- puzenmuskel und der breite Rückenmuskel jederseits darüber hin- legen, so daß sich an ihnen außer ihren eigenen Bevv^egungen auch die der darunter liegenden Schulterblattmuskeln gewissermaßen ver- schleiert in wechselvollem Spiele ausprägen.

Da die Muskeln von der Mitte nach rechts und links verlaufen, so wird sich zwischen den Muskelbäuchen bei guter Entwicklung eine Rinne bilden, die umso tiefer wird, je stärker die Schultern nach hinten gezogen werden. Im Kreuz läuft diese Rinne flach aus, weil hier das knöcherne Gerüst der Haut sich anlegt.

Eine gute Bildung der Rückenmuskeln und der mittleren Furche zeigt eine 20jährige blonde Amerikanerin, welche von schwedischen Eltern stammt. Das Bild ist von Dr. Shufeldt in New York nach dem Leben autgenommen worden ^).

Das gute Relief der Rückenmuskeln wird durch zu starkes Schnüren zwar weniger und später entstellt als am Bauch und an der Brust, es hat aber doch einen langsam sich steigernden nachteiligen Einfluß, namentlich auf die Entwicklung und Ausbildung der langen Rückenmuskeln.

Dafür sprechen die Klagen über Rückenschmerzen von Frauen, die an das Korsett gewöhnt sind und es zeitweise ablegen. Aeußer- lich sichtbar ist der Einfluß des Korsetts an den schwächer ent- wickelten Weichen und an der Verflachung der mittleren Rücken- furche; später wird der ganze Rücken flacher, das Muskelrelief

\) Photo from life by Dr. Shufeldt. From thc Photographic Times-Bulletin New York City, June 1904.


236


RUMPF.



Fig. 148. Rücken einer Amerikanerin (schwedischer Herkunft) mit schönem Muskelrelief. (Phot. Dr. Shufeldt )

verliert sich ganz, die Schulterblätter stehen ah, und das Kreuz wird hohl.

Den ersten Einfluß auf die ModelHerung der Rückenmuskeln bei noch gut erhaltener Wölbung zeigt der flache Rücken einer jungen Pariserin (Fig. 149). Die mittlere Rückenfurche ist nur schwach angedeutet, das Fehlen der Muskelreliefs in der Schultergegend tritt besonders im Vergleich mit Fig. 148 zu Tage.


RÜCKEN.


237



Fig. 149. Rücken einer Pariserin, durch Schnüren verflacht.


In seiner unteren Hälfte hängt die Schönheit des Rückens wesent- Hch von der Gestaltung des knöchernen Beckens , ganz besonders aber von der des Kreuzbeins ab.

Bei schönem Bau des Skeletts verflacht sich die mittlere Rücken- furche in der Höhe des Kreuzes. Flier legt sich die Haut dem Kreuz- bein vom Dornfortsatz des 5. Lendenwirbels ab fester an bis hinunter an seinen unteren Rand, wo der Spalt der Hinterbacken beginnt.


238


RUMPF.



Seitlich, wo das Kreuzbein an die Darmbeinscliaufeln stößt, ent- stellen beim Weibe zwei seichte Vertiefungen, an denen die Haut sich fester anlegt, die Kreuz- grübchen.

Der von diesen vier Punkten, unterstem Lendendorn , oberstem Punkt der Gesäßspalte und den

Kreuzgrübchen eingeschlossene vierseitige Raum heißt die Mi- chaelis sehe R a u t e ^). Je schöner die Rautenform ausgeprägt ist, desto wahrscheinlicher ist auch das Bek- ken schön gebildet und für den Zweck des Gebarens gut gestaltet.

Auch beim Manne kommen zu- weilen Kreuzgrübchen vor, jedoch nur bei i8 — 25*^/0, während sie sich bei gut gebauten Frauen regel- mäßig finden. Außerdem beträgt ihr Abstand beim Manne 7 — 8, bei der Frau 10 — 12 cm; beim


') Vgl. St ratz, Die Raute von Mi- chaelis. Zeitschrift für Geburtshilfe, 33. Waldeyer, Das Becken, 1899. Mül- le rh e i m , Die äußere Untersuchung der Gebärenden, 1900. Bumm, Lehrbuch der Geburtshilfe, 1901. St ratz, Der Wert der Lendengegend für anthropo- logische und obstetrische Messungen. Archiv Anthropolog. 1900. Bena, Die Bedeutung der Michaelisschen Raute in der Geburtshilfe. Fehlingsche Klinik, Straßburg, 1903. Bena fand, daß bei einer größeren Reihe von untersuchten Patientinnen in 96% die schöne Bildung der Raute mit geburtshilflich gutem Becken zusammentraf. Bei platten Becken stand der obere Grenzpunkt stets tiefer; bei Trichterbecken erlaubte die Ge- stalt der Raute keinen Rückschluß.


Fig. 1 50. Schön modellierter Rücken eines javanischen Mädchens. Kreuzgrübchen.


RÜCKEN.


239


Mann bildet die Kreuzbeinfigur meist ein Dreieck mit unterer Spitze, bei der Frau behält es stets mehr oder we- niger die Gestalt einer Raute.

In sehr schöner Ausprägung findet sich diese Raute an dem Rücken eines iSjährigen javanischen Mädchens na- mensMuakidja(Fig. 150), deren schlan- ker Körper niemals durch drückende Kleider verunstaltet wurde.

Ich war in der Lage, mich zu überzeugen, daß in diesem Falle auch der Bau des Beckens ein vom ärztlichen Standpunkt völlig normaler war.

Durch fehlerhafte Bildung des Beckens, namentlich aber durch rha- chitische Einflüsse büßt auch die Mi- chaelissche Raute ihre regelmäßige Form ein.

Fig. 151 zeigt den Rücken eines Mädchens mit plattem Becken. Auch hier sind die Kreuzgrübchen schön ausgeprägt, der obere Grenzpunkt der Raute aber ist tief heruntergetreten, so daß die Gesamtfigur mehr einem Dreieck mit unterer Spitze ähnelt, eine Gestaltung also, die beim Manne, seines schmaleren Kreuzbeins und der höher tretenden Darmbeinschaufeln wegen, die Regel ist.

Als wichtigstes Zeichen eines schöngebauten Rückens ergeben sich demnach: gute Ausprägung der Taille mit brei- teren Hüften und noch breiteren Schultern, gute Mo- dellierung der R ü c k e n m u s k u 1 a t u r , mittlere R ü c k e n f u r c h e, leicht gehöhltes Kreuz, deutlich ausgeprägte Kreuz-



Fl£


Rücken einer Frau mit plaUem Becken.


240


RUMPF.



Fig. 152.


Kreuzgrübchen und mittlere Rückenfurche von schöner Form bei einer Münchnerin. (Phot. Estinger.)


g rübchen von mindestens 10 cm Abstand. Allen diesen Bedingungen entspricht der schöne Rücken einer 2oiährigen Münch- nerin (Fig. 152), welche von Estinger als Freilichtstudie, im Wasser stehend, aufgenommen wurde.


Hüften und Gesäß.

Die knöcherne Grundlage für die Hüfte und das Gesäß bilden die Beckenschaufeln, die in der Mitte durch das keilförmig sich ein- schiebende Kreuzbein voneinander geschieden sind.


HÜFTEN UND GESÄSS.


241


Für das weibliche Ge- schlecht charakteristisch ist eine breite, niedrige, weit ausgebuchtete Beckenschau- fel, ein in seinem oberen Teil breites und zugleich kürzeres Kreuzbein und eine

stärkere Beckenneigung, durch die ein hohleres Kreuz bedingt wird.

Diesen Ansprüchen muß bei guter Bildung die knö- cherne Unterlage genügen, außerdem muß das Becken symmetrisch sein und keine Zeichen von Rhachitis er- kennen lassen.

Nach außen bis unter die Haut tritt nur der obere Rand der Beckenschaufel, der Kamm,deramvorderenDorn am deutlichsten fühlbar, in gleichmäßigem, an der Seite höher stehendemBogen nach hinten verlaufen muß; sein hinteres Ende ist erkennbar an den Grübchen über den hinteren Dornen.

Zur Beurteilung der rich- tigen Verhältnisse dienen die oben bereits erwähnten Brei- tenmaße.

Die vorderen Muskeln der Hüfte treten in der Tiefe vom Becken an den Oberschenkelknochen, so daß sie mit den Schenkelmuskeln eine Masse bilden, die durch das Leistenband vom Bauche scharf geschieden ist. Bei Beugung des Oberschenkels tritt diese Grenze

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers. lo



Fig. 153. Hautfalten über der (rechten) Hüfte bei geneigter Haltung des Beckens.


242


RUMPF.



Fig. 154. Verlorenes Profil von Fig. 143 mit schönen Hüften.


noch schärfer hervor. Der hintere Teil der Hüfte da- gegen erhält seine Form hauptsächlich durch die gro- ßen Gesäßmuskeln, die in kräftiger Fleischmasse vom hinteren Teil des Kammes und vom äußeren Rand des Kreuzbeins nach der hinte- ren und äußeren Fläche des Oberschenkelknochens hin- ziehen. Durch den oberen Ansatz dieser Muskeln wird zugleich die untere Begren- zung des Kreuzdreiecks stär- ker ausgedrückt, die sich von den Kreuzgrübchen bis zum oberen Ende der Spalte er- streckt und dort in rechtem Winkel mit der gegenüber- liegenden zusammentrifft.

Innerhalb dieses Dreiecks haftet die Haut der Unter- lage fester an, so daß sich daselbst nur ein mäßiges Fettpolster entwickeln kann.

Der Abrundung der weib- lichen Formen entsprechend, ist die Entwicklung des Fett- polsters gerade in dieser Gegend von großer Bedeu- tung.

Schon von vorn ist da-


durch die der Frau eigentümHche Bildung der Hüfte deuthch gekenn- zeichnet. Der Umriß des Oberschenkels setzt sich in weicher Linie hoch über den Nabel hinauf fort, so daß bei mäßiger Fettlage und


HÜFTEN UND GESÄSS.


243


etwas weniger elastischer Haut sich in der Taille ein bis zwei quere Haut- falten bilden, sobald von oben her der untere Brust- korbrand einen Druck ausübt, wie es in der ge- neigten Beckenstellung (Fig. 153) der Fall ist.

Im Gegensatz zum Manne zieht sich beim Weibe das mächtigere Fettlager seitlich über die breiteren und flacheren Kämme ununterbrochen nach der Lendengegend hinauf (vgl. Fig. 42). wo- durch die Hüften noch breiter und höher erschei- nen und den weibhchen

Geschlechtscharakter noch mehr hervorheben.

Bei guter Bildung muß demnach in der seithchen Ansicht die Hüfte bis an die Taille eine gleich- mäßig gerundete Fläche, um den Oberschenkel- knorren daa:egen, wo die Haut der Unterlage wie- der fester anhaftet, eine flache halbrunde Grube bilden. Diese Gestaltung



Fig. 155. Abrundung der Hüfte bei einer mageren Wienerin.


tritt in Fig. 154 besonders schön und gleichmäßig zu Tage. Fig. 143, welche das nämliche Mädchen in der Ansicht von vorn darstellt, liefert den Beweis, daß die schöne Bildung der Hüften mit schöner


244


RUMPF.


Bildung des Rumpfes überhaupt zusammenfällt, weil alle diese Teile von den gleichen Grundbedingungen abhängen.

Auch bei mageren Kör- pern findet sich stets eine stärkere Abrundung der Hüfte (Fig. 155).

Unterhalb des Gesäßmus- kels ist die Haut mit sehr kräftigem Bindegewebe an das Sitzbein befestigt, so daß diese Befestigungen beider- seits imi Halbkreis in der Spalte nach oben zusammen- laufen und gewissermaßen zwei Hauttaschen formen, in die die Gesäßmuskeln ein- gelagert sind. Die Muskeln füllen jedoch nicht den gan- zen Raum aus, der im üb- rigen durch ein sehr pralles und reichliches Fettpolster austapeziert ist. Dieses wölbt zusammen mit den Muskeln die Hinterbacken in kräf- tiger Rundung hervor. Der Form des Beckens entspre- chend sind diese bei der normal gebauten Frau brei- ter, niedriger und stärker abgerundet als beim Manne, und treten, der größeren Beckenneigung wegen, stär- ker hervor.

Außer dem guten Bau des Beckens tragen demnach kräftige Mus- kulatur, pralles Fettpolster und elastische Haut zur schönen Gestal- tung des Gesäßes bei.



Fi


156. I2jähriges Mädchen mit weiblichen Formen in der Entwicklung.


HÜFTEN UND GESÄSS.


245


Je elastischer die Haut ist, desto kräftiger wird sich die Falte unter den Hinterbacken spannen, und desto praller werden sich diese darüber vor- wölben; da außerdem bei elastischer Haut deren Befestigung im Umkreis des Oberschenkelknorrens eine stär- kere ist, so wird das Fettpolster sich mehr nach der Mitte zu aus- dehnen und dadurch einen stärkeren Verschluß der mittleren Gesäßspalte mit gleichzeitiger Vertieiung zur Folge haben.

Die unteren Querfalten ändern sich mit der Stellung; je stärker das Bein nach außen gehoben, oder das Becken an der einen Seite gesenkt wird, desto schräger nach unten wird die Falte verlaufen und zu- gleich nach außen sich mehr und mehr abflachen (vgl. Fig. 152). Noch mehr ist dies der Fall bei Beugung des Oberschenkels nach vorn. An dem jugendlichen Körper eines 12- jährigen Mädchens (Fig. 156) er- scheint rechts die Hautfalte gut aus- geprägt, während sie an dem nach vorn gebeugten linken Bein un- deutlicher wird und tiefer tritt. Bei starker Beugung verstreicht die Falte völlig.

Nach außen verliert sich die Falte allmählich in der Oberfläche des Schenkels.

Unter dieser Falte findet sich häufig eine zweite, etwas seichtere.




Fig. 157. Rückansicht eines schlanken

Mädchens von i8 Jahren.

(Phot. G. Fritsch.)


246


RUMPF.


Sie ist ein Vorzug, da sie sich nur bei Frauen findet, und auch bei diesen nur bei ela- stischer Haut mit prallem Fett- polster.

Von hinten läßt sich diese Falte bei geeigneter Beleuch- tung (Fig. 149) leicht erken- nen, im Profil gibt sie dem Umriß das charakteristisch Weibliche, indem sie den Ueb ergang von der Hinter- backe zum Schenkel in einem weicheren, doppelt gebro- chenen Winkel vermittelt (Fig. 154), während dieser beim Manne trotz des ge- ringeren Umfangs des Ge- säßes viel schärfer akzen- tuiert ist.

Eine sehr schöne Bildung des Gesäßes, sowie des Rük- kens überhaupt zeigt die Hin- teransicht eines jungen Mäd- chens von 18 Jahren, das G. Fritsch aufgenommen hat. Trotz mäßiger Fettentwick- lung kommen hier bei der jugendlich-elastischen Haut die weichen, weibHchen Run- dungen gut zum Ausdruck. Auch die Grübchen im Kreuz und die quadratische Form

der Lendenraute sind gut ausgeprägt (Fig. 157).

Jedes Abweichen von den angegebenen Formen muß als Fehler

bezeichnet werden. Zu starkes Klaffen, zu geringe Wölbung der



Fig. 158.


Uebermäßige Fettanhäufung am Gesäß (Steatopygie).


HÜFTEN UND GESÄSS.


247


Hinterbacken bei ungenügender Fettentwicklung , zu kräftiges Hervortreten und Verscliwom- mensein der Formen bei zu starker Fettablagerung, stark nach unten verlaufende Falten bei zu schmalem Becken mit hohlem Kreuz , alles dies sind Fehler, die sich von selbst aus dem oben Gesagten ergeben.

Hierbei muß noch hervor- gehoben werden, daß zu starke Fettentwicklung meist mit Ver- ringerung der Elastizität der Haut gepaart ist, so daß die gewucher- ten Massen schlaff herabhängen. Sehr häufig findet sich eine solche lokale Fettanhäufung bei zu starkem Schnüren, wodurch das Fett aus der Lendengegend her- abgedrängt wird.

Richer ^) hat darauf auf- merksam gemacht, daß eine abnorme Fettanhäufung an Hüf- ten und Gesäß sich bei euro- päischen Frauen in größerem oder geringerem Maße ziem- lich häufig findet. Mir scheint, wie gesagt, das Schnüren als ursächliches Moment von großer Wichtigkeit. Vielleicht handelt es sich aber auch um ein gewissen Menschengruppen anhaftendes Rassenmerkmal, das die weiße Rasse mit den Buschmännern



Fig. 159. Erste Zeichen des Verwelkens.


Anatomie artistique, p. 86.


248 RUMPF.

und Hottentotten gemein hat. Fig. 158 zeigt eine derartige außer- gewöhnlich starke Anhäufung von Fett in der Gesäßgegend (Stea- top3gie), welche im Gegensatz zu dem schlanken jugendlichen Rücken von Fig. 157 besonders auffällt.

Tritt nach stärkerer Fülle wieder Abmagerung ein, dann zeigt sich dies am Gesäß daran, daß sich an dem inneren Winkel mit dem Schwinden des Fettpolsters die Haut zunächst in leichte quere Falten legt.

In leichtem Maße zeigt dies Fig. 159 an der linken Seite. An derselben Figur ist die beginnende Abmagerung sichtbar am stärkeren Hervortreten der Schulterblätter, sowie aus der stärkeren Wölbung des unteren Teils und dem Herabsinken der Brüste.

Diese Zeichen zeigen, wie die ersten fallenden Blätter, das Heran- nahen des Herbstes an.

Bei den kurzlebigen Künstlermodellen, denen dies Mädchen auch angehört, finden sie sich sehr bald.

Bei noch stärkerer Abmagerung zeichnen sich schließhch unter der Haut nur noch die vermagerten Bündel der Gesäßmuskel ab, während neben der klaffenden Spalte das letzte Fett in zwei schlaff"en Hautsäckchen herabhängt.

In vortrefflicher Weise hat Richer in seiner Figur »La paralysie agitante« neben allen anderen auch dieses Kennzeichen des Greisen- alters zum Ausdruck gebracht.


XIII.

Obere Gliedmaßen.

Ueber die Verhältnisse der oberen Gliedmaßen zum übrigen Körper wissen wir bereits, daß bei richtiger Länge das Handgelenk des herabhängenden Arms ungefähr in der Höhe der Schamteile zu stehen kommt, während der Ellenbogen etwa die Höhe der Taille erreicht.

Ferner ist der Abstand des Schultergelenks vom Ellenbogengelenk gleich groß wie von der gegenüberliegenden Brustwarze, vom Ellen- bogengelenk bis zum Handgelenk gleich dem Abstand der Brust- warze vom Nabel.

Die Länge der Hand entspricht dem Abstand vom Nabel bis zum Hüftgelenk und beträgt außerdem ein Neuntel der Körperlänge (nach Langer).

Ein genauestes Eingehen auf alle Einzelheiten, wie dies Richer, Langer und Brücke getan haben, erfordert eine sehr ausgebreitete anatomische Kenntnis, der wir für unsere Zwecke eine ebenso genaue Kenntnis der Krankheitserscheinungen beifügen müßten. Ich will diese beim Leser nicht voraussetzen und ihn auch nicht durch die Fülle der Einzelheiten zu sehr ermüden und beschränke mich darum auf die wichtigsten, häufigsten und am leichtest erkennbaren Fehler.

Ebenso wie bei den übrigen Körperteilen hängt auch bei den Gliedmaßen, den oberen sowie auch den unteren, die Form in erster Linie von der Bildung des Skeletts ab.

Am Oberarm besteht, wie am Oberschenkel, das Skelett aus einem, am Unterarm und am Unterschenkel aus je zwei Röhren- knochen.

An allen diesen Röhrenknochen macht sich als häufigste Ent- stellung der Einfluß der Rhachitis in stets gleicher Weise geltend.


250 OBERE GLIEDMASSEN.

Das Wesen der Rhachitis besteht, wie gesagt, in einer abnormen Weichheit der Knochen, auf die dann eine abnorme Ablagerung von harter Knochenmasse folgt.

An den Rölirenknochen haben wir ein schlankeres, längeres Mittelstück (die Diaphyse) und zwei kürzere, dickere Gelenkenden (die Epiphysen) zu unterscheiden. Der Einfluß der Rhachitis äußert sich nun bei den Röhrenknochen in der Weise, daß das Mittelstück nur wenig kürzer und dicker, jedoch mehr oder weniger stark ver- krümmt wird, an den Gelenkenden jedoch tritt eine viel stärkere Dickenzunahme ein, die mehr oder weniger auch die Krümmung der Gelenkflächen und damit den Stand der Gliedmaßenteile zuein- ander beeinflußt.

Am Arm können wir die Verdickung des Oberarmbeinkopfes an der Schulter wegen der darüber liegenden Muskeln nicht wahrnehmen, eine Verkrümmung des Mittelstückes schon eher, ganz deutlich aber die Verdickung des unteren Endes am Ellenbogen, die namentlich an der inneren Seite, entsprechend der größeren Knochenmasse, stark auffällt.

Die Folge dieser stärkeren Auftreibung des inneren an und für sich schon dickeren Gelenkendes ist, daß die Gelenkfläche des Ellen- bogens noch stärker als normal in einer nach außen ansteigenden Linie verläuft. Demnach muß auch der Unterarm sich schief an- setzen, so daß er bei Streckung des ganzen Armes schief nach außen verläuft.

Wir haben also als Fehler, verursacht durch Rhachitis des Ober- armknochens, zu verzeichnen: Verdickung des Ellenbogen- gelenks, namentlich in der Breite und am inneren Rand. Schiefer Ansatz des Vorderarms (vgl. Fig. 64, rechter Arm).

Wenn wir die Hand auf die gegenüberliegende Schulter legen, dann fühlen wir am Unterarm eine gerade knöcherne Leiste, die vom Ellenbogen zur Kleinfingerseite der Hand verläuft, den äußeren Rand der Elle (Ulna). An diesem Knochen äußert sich die Rha- chitis gleichfalls durch Verdickung der Gelenkenden.

Das obere Ende läuft in einen rundUchen Knopf (Olekranon) aus, der sich bei gestrecktem Arm in den Oberarmknochen hinein- senkt. Bei guter Bildung entsteht dann in der daselbst fester an-


OBERE GLIEDMASSEN.


251


haftenden Haut ein Grübchen, bei Verdickung des Olekranon aber durch Verschiebung der Haut eine oder mehrere Falten.

Das untere Ende ist das EUenbeinköpfchen (Capitulum) am Klein- fingerrande des Handgelenks, dessen kugelige Verdickung als eines der charakteristischen Zeichen von Rhachitis bereits oben erwähnt wurde.

Der zweite Knochen des Unterarms, die Speiche (Radius) , ist in seinem oberen Verlauf durch die Muskeln bedeckt, am Hand- gelenk aber legt sich sein breites unteres Ende neben das Ellenköpfchen und gibt bei rhachitischer Verdik- kung dem Handgelenk eine plumpe, breite Form.

Als durch Rhachitis veranlaßte Fehler des Un- terarms können wir dem- nach nennen: Verdik- kung des Handgelenks mit kugelförmigem Hervortreten des El- lenköpfchens. Verdik- kung des oberen El- lenköpfchens mit Fal- tenbildung an der Hinterseite des Ellenbogens bei Streckung und spitzem Hervortreten desselben bei Beugung.

Der spitze Ellenbogen (Fig. i6o, linker Arm) kann aber außer durch Rhachitis auch durch anderweitige Vergrößerung des Olekranon, z. B. durch starke Muskelarbeit in früher Jugend, ent- stehen, doch ist in solchen Fällen nicht mit Sicherheit zu bestimmen, inwieweit dann die Weichheit der Knochen durch die Jugend , in-



Fig. i6o. Spitzer Ellenbogen.

(Aufnahme von Dr. G. Klein.)


252


OBERE GLIEDMASSEN.


wieweit durch die Rhachitis bedingt ist. Die einfachste Erklärung ist wohl die, auch von Vierordt gegebene, daß eben leichtere Formen von Rhachitis viel häufiger vorkommen, als man im allgemeinen anzunehmen geneigt ist.

Um die richtige Lage der Armknochen zueinander zu bestimmen, läßt man den Arm gestreckt herabhängen und die Hand so drehen,



Fig. i6l. Armachse in Pronation und Siipination.

daß die Hohlhand nach vorn sieht (Supination). Dann muß nach Merkel eine gerade Linie, die die Mitte des Schulter- und des Ellen- bogengelenks verbindet, mit ihrer Verlängerung zwischen dem vierten und fünften Finger durchgehen (Supination, Fig. i6i).

Brücke, Richer u. a. nehmen, namenthch für den Mann, an, daß die Verlängerung dieser Linie das Handgelenk überhaupt nicht trifft, so daß nach ihnen der schiefe Ansatz des Vorderarms als normal gilt. Es scheint in der Tat, daß beim Manne in der Regel, wohl



Fi<T. 162. Völliij srerade Armachse.


254


OBERE GLIEDMASSEN.


infolge der stärkeren Muskelwirkung, der Vorderam stärker im Winkel absteht als beim Weibe. Ich habe mich jedoch davon über- zeugen können, daß die von Merkel als normal angenommene Kon- figuration bei gutgebauten Frauen häufig genug vorkommt.


/



Fig. 163. Schön gerundeter Arm (Münchnerin).

Wird in der gleichen Lage die Hand mit dem Rücken nach vorn gebracht (Pronation), dann haben sich Elle und Speiche umeinander herumgewälzt, jedoch so, daß der untere Rand der Speiche stärker nach innen tritt als die Elle nach außen. In dieser Lage läufi: die Verlängerung der oben genannten Linie im Zeigefinger aus (Fig. 161, Pronation).


OBERE GLIEDMASSEN.


255



Flg. 104.


Schön gebauter Arm und Schulter (^Schwäbinj. (Aufnahme von A. Enke.)


Ein Beispiel der völlig gerade verlaufenden Armachse zeigt Fig. 162 am gestreckten linken Arm. Die gute Bildung des Armes steht im Ein- klang mit dem auch sonst völlig fehlerlosen Bau dieses Körpers, nament- lich aber mit dem gleichfalls völlig geraden Verlauf der Beinachse.


256


OBERE GLIEDMASSEN.


Zu geringe Entwicklung des Olekranon ermöglicht in der Streckung ein zu starkes Ausweichen der Unterarme nach hinten, eine Ueb er- streckung, die auch als ein häufig vorkommender Fehler angesehen



Fig. 165. Kräftige weiblich geformte Anne und Hände eines Wiener Mädchens.

werden muß (Brücke). Diese Armbildung findet sich bei Hindu- frauen und Javaninnen außerordentlich häufig und ist auch in den plastischen Darstellungen buddhistischer Kunst sehr oft zur Wieder- gabe gelangt.

Nächst den Knochen sind es die Muskeln, die die Form des Armes bestimmen. Am Oberarm ist es wesentlich der o;i-oße Schulter-


OBERE GLIEDMASSEN.


257



'^



Fig. l66. Wiener Mädchen (Tafel I, 3 Jahre später). Vollendete Bildung der Hände.

(Aufnahme von O. Schmidt, Wien.)

muskel, der sich seitlich zwischen die vorn verlaufenden Beuger und die hinten verlaufenden Strecker einschiebt.

Die Muskeln des Unterarms bilden zusammen einen gleich- mäßigen Fleischkegel, der dicht unterhalb des Ellenbogens am dicksten, nach dem Handgelenk zu in dünneren Sehnen schmal ausläuft.

Bei guter Entwicklung der Muskeln müssen demnach eine gleich- mäßige seithche Schulterwölbung, eine vordere und eine hintere

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers, 17


258


OBERE GLIEDMASSEN.


Oberarmwölbung, sowie eine zylindrische, nach unten schmäler wer- dende Wölbung des Unterarms erkennbar sein.

Während zu kräftige Wölbung der Muskeln, oder gar das Hervor- treten einzelner Muskelbündel an männlichen Bau erinnert und darum beim Weibe ein Fehler ist, so ist andererseits schwächUche Armmuskelbildung, die sich ja leider recht häufig findet, als Zeichen ungleichmäßiger Körperausbildung zu rügen.



Fig. 167. Weibliche Hände mit spitz auslaufenden Fingern.

Die Haut ist, namenthch am Oberarm, bei der Frau zarter als beim Mann; das Fettpolster ist reichlicher, wodurch der Arm eine runde Form erhält.

Da jedoch stärkere Anhäufiing von Fett, namentlich am Oberarm und der Schulter, ein Zeichen reiferen Alters ist, so ist ein runder Frauenarm nur dann schön, wenn sich unter der Haut die Wölbungen der Muskeln erraten lassen.

Am Ellenbogen und etwas darunter haftet die Haut der knö- chernen Unterlage etwas fester an und dadurch entsteht am Unter-


OBERE GLTEDMASSEN.


259


arm eine kleine Abflachung, im Ellenbogen ein bei Streckung sich vertiefendes Grübchen. Eine gute Form zeigt der Hnke Arm von Fig. 163.

Fig. 164 kann als Vorbild eines schön gebauten Arms dienen mit kräftig entwickelten und doch weichen, echt weiblichen Formen.

Eine kleine Hand gilt für schön. Vom anatomischen Standpunkt kann man jedoch nur verlangen, daß sie ein Neuntel der Körper- länge betrage. Sie wird demnach bei der Frau im Verhältnis zur



Fip. K


Weibliche Hand mit stumpf auslaufenden Fingern.


Körperlänge und zum Bau des Skeletts stets kleiner und zierHcher sein als beim Manne.

Fehler sind: breite, plumpe Handfläche, dicke, kurze und krumme Finger, starkes Vortreten der Fingerknöchel und Gelenke. Alle diese Fehler lassen sich auf rhachitische Entstellungen zurückführen, und ich bin geneigt, sie in weitaus den meisten Fällen auch als solche aufzufassen.

Je breiter die Endglieder sind, desto breiter, kürzer und flacher müssen auch die Nägel sein.

Die Muskeln treten an der Hand wenig hervor, dagegen ist die weichere Fülle durch Fettansatz ein mit Recht geschätztes weibUches


260 OBERE GLIEDMASSEN.

Geschlechtsmerkmal, das bei genügender Elastizität der Haut die Bildung der Grübchen über den Gelenken veranlaßt.

Als Vorzüge können demnach gelten: schmale, weich ge- rundete Hand mit Grübchen auf den Gelenkflächen, ge- rade, schmaler werdende Finger, gebogene Nägel, deren Länge die Breite übertrifft.

Kräftige, dabei doch weiblich abgerundete Arme zeigt ein Wiener Mädchen (Fig. 165). An der linken Hand sind die Grübchen über den Fingergelenken sehr schön ausgeprägt; der Ansatz der Arme an die Schulter ist namentlich rechts als mustergültig zu erkennen.

Verschiedene Gelehrte haben sich darüber gestritten, ob und wie oft der Zeigefinger der Menschen länger sei als der Ringfinger. Da nämlich beim Affen der zweite Finger stets kürzer ist als der vierte, so kann die größere Länge des zvv^eiten Fingers als ein Zeichen höherer Entwicklung aufgefaßt werden.

Casanova, Mantegazza u. a. tun sich zu gute mit ihren dies- bezüghchen Entdeckungen und halten die größere Länge des zweiten Fingers für eine seltene, schöne Erscheinung. Li seiner Physiologie des Weibes, die mir in deutscher Uebersetzung vom Jahre 1894 vor- liegt, hat Mantegazza denselben Standpunkt eingenommen. Es scheint ihm demnach unbekannt zu sein, daß Braune^) bereits im Jahre 1874 durch zahlreiche Messungen nachgewiesen hat, daß die scheinbare Verkürzung des zweiten Fingers meist auf seiner schiefen Stellung zu den Mittelhandknochen beruht, und daß bei durchschnittlich 70 °/o der von ihm gemessenen Menschen der zweite Finger in der Tat der längere war.

Eine Hand, die alle genannten Vorzüge in sich vereinigt, zeigt Fig. 166 bei einer jungen Wienerin. Auch sie hat den längeren Zeigefinger, der sich beim weiblichen Geschlecht häufiger findet als beim männlichen.

Den hier aufgestellten Bedingungen für die schöne Bildung der Hand können verschiedene Formen genügen, so daß auch der Li- dividualität der Hand ebenso wie der des Gesichtes ein großer Spiel- raum gelassen ist.


^) Festgabe für Karl Ludwig. Verlag von Vogel. Leipzig 1874.


OBERE GLIEDMASSEN. 261

Als Beispiele zeigen die Figuren 167 und 168 sehr schön ge- baute Hände, die sich jedoch voneinander dadurch unterscheiden, daß bei der einen (Fig. 167) die Finger sehr spitz auslaufen, bei Fig. 168 nur wenig nach der Spitze hin sich verjüngen.

Durch den größeren oder geringeren Grad der Verjüngung, durch schmälere oder abgerundete, längere oder kürzere Finger sind zahl- reiche Abwechslungen möglich, die alle innerhalb der Grenzen schöner Bildung fallen können.


XIV.

Untere Gliedmaßen.

Bei der Beurteilung der Beinlänge im Verhältnis zum Rumpf wird häufig ein Fehler gemacht, indem nicht die ganze Länge der Beine berücksichtigt wird.

In der Mitte senkt sich, wie oben beschrieben, der Rumpf tiefer, während die Beine schräg nach außen gegen die Hüften zu ab- schneiden.

Rechnet man nach Richer die Körperlänge gleich 7^/2 Kopf- längen, dann ist die Länge des Rumpfes mit dem Kopf, in der Mitte gemessen, bis zum Schamspalt gleich vier Kopflängen, die Länge des Beines, bis zum Hüftgelenk gemessen, ebenfalls gleich vier Kopflängen. Die Beine überragen deshalb die halbe Körperlänge um ein Viertel Kopflänge und stehen um ebensoviel höher als die Körpermitte.

Dies ist beim Manne genau ebenso wie beim Weibe. Der Unter- schied zwischen beiden besteht jedoch in Verhältnissen, die durch die Form des Beckens gegeben sind. Beim Manne ist es schmal und hoch, so daß der mittlere, zwischen die Beine sich einschiebende Rumpfteil in spitzerem Winkel tiefer nach unten tritt, wodurch die Körpermitte scheinbar am Rumpfe ebenfalls tiefer rückt. Bei der Frau dagegen ist das Becken breit und flach, der mittlere, zwischen die Beine sich einschiebende Rumpfteil tritt in stumpfem Winkel weniger tief und die Körpermitte steht demnach scheinbar höher als beim Manne.

Dadurch, daß sich der Umriß des Beines in den der Hüften fort- setzt, welche wegen der steilen und hohen Darmschaufeln beim Manne schmäler und länger erscheinen, wird der Eindruck des längeren Beines beim Manne noch erhöht.

Die Länge des Beines läßt sich nach Richer bestimmen auf vier


UNTERE GLIEDMASSEN. 263

Kopflängen, nach Fritsch ist die Länge des Oberschenkels gleich dem Abstand des Hüftgelenks von der Brustwarze der anderen Seite, die Länge des Unterschenkels gleich dem Abstand des Hüftgelenks von der Brustwarze derselben Seite,

Die Länge des Oberschenkels ist ungefähr gleich der Länge des Unterschenkels zusammen mit der Höhe des Fußes.

Man hat früher angenommen, daß beim Weibe der Schenkelhals mehr horizontal zum Schenkelkopf verläuft als beim Manne. Langer^) hat nachgewiesen, daß dies unrichtig ist, und daß der mehr oder weniger horizontale Verlauf des Schenkelhalses nichts mit dem Ge- schlecht zu tun hat. Höchst wahrscheinlich ist der horizontale Schenkelhals und die dadurch verursachte Verkürzung des Ober- schenkels in den meisten Fällen, beim Manne sowie beim Weibe, auf den Druck der Körperlast bei rhachitischer Anlage zurück- zuführen.

Von den Beinen gilt bezüglich des Knochengerüstes im allgemeinen dasselbe, was von den Armen gesagt ist.

Wir haben als durch Rhachitis entstandene Fehler zu bezeichnen: Verdickung des unteren Gelenkendes des Oberschenkelknochens (Femur), namentlich an seiner inneren Seite, demgemäß Ver- dickung des Kniegelenks und schiefer Ansät z des Unter- schenkels an den Oberschenkel. Verdickung der Unter- schenkelknochen am Knie und an den Knöcheln, demnach plumpes, verdicktes Sprunggelenk und schiefer Ansatz des Fußes im Sprunggelenk bei tieferem Stand des massigeren inneren Knöchels. Dazu kommt beim Beine aber noch der Druck der Körper- last und dadurch stärkere Verkrümmung der mittleren Stücke der Röh- renknochen. Die gemeinschaftliche Folge aller dieser krankhaften Ver- änderungen ist die Verkürzung der Gesamtlänge des Beines ^).


^) 1. c. p. 229.

^) Sehr lehrreich ist eine Beobachtung von E. Dubois (Archiv für Anthro- pologie XXV, Heft 4). Er fand, daß das Hirngewicht stets in einem genauen Verhältnis zur Sitzlänge, nicht dagegen zur Gesamtlänge des menschlichen Körpers steht. Der Schluß liegt nahe, daß das Mißverhältnis im letzteren Falle nicht durch entwicklungsgeschichtUche Störungen, sondern durch krankhafte, meist durch Rhachitis veranlaßte Verkürzungen der unteren Extremitäten be- dingt wird, und daß diese demnach außerordentlich häufig vorkommen.


264 UNTERE GLIEDMASSEN.

Je nachdem verschiedene Momente, wie Beschäftigung, Beruf, stärkere oder schwächere Belastung zusammengewirkt haben, erhalten wir die verschiedenen Formen der krankhaften Beine, die X-Beine, die O-Beine, die Säbelbeine etc., beim Fuße aber den mehr oder weniger ausgeprägten Plattfuß.

Gröbere Fehler derart sind leicht zu erkennen. Hier handelt es sich hauptsächlich darum, auch geringere Grade dieser Abweichungen beurteilen zu können.

Vom geraden Verlauf der unteren GHedmaßen kann man sich dadurch überzeugen , daß in der in Fig. 79 angewiesenen Stellung die Beine sich an vier Punkten, am oberen Drittel der Oberschenkel, am Knie, an der Wade und am inneren Knöchel berühren müssen. Bei Frauen können bei guter Füllung die Oberschenkel auch in ihrer ganzen Länge einander anliegen, ohne daß dies ein Fehler ist.

Ein weiteres durch Mikulicz angegebenes Mittel ist, sich durch Messung davon zu überzeugen, daß die zweite Zehe, die Mitte des Sprunggelenks, die Mitte des Knies und die Mitte des Hüftgelenks in einer geraden Linie Hegen (Fig. 169).

Da die Lage des Hüftgelenks selbst an der Lebenden oft schwer zu bestimmen ist, kann man statt dessen die Mitte des Leisten- bandes setzen.

Rückt aus besagter Linie die Kniescheibe nach innen , dann be- steht ein X-Bein, ein bei Weibern sehr häufig vorkommender Fehler. Ein X-Bein in leichtem Grade wird ebenso wie der schiefe Ansatz des Unterarms von Einzelnen für die normale Gestaltung angesehen, weil es so außerordentlich häufig vorkommt.

Mit dem X-Bein darf man nicht eine durch Beugung verursachte Einwärtsdrehung des Knies verwechseln, wie sie Fig. i zeigt. Am gestreckten rechten Bein dieser Figur kann man erkennen, daß es völHg gerade ist.

Unwillkürlich sieht man jedoch "n X-Beine mit

milderen Augen an, da sie an ait welche die

Schamhaftigkeit des Weibes so schön zum ingt.

Aus dem gleichen Grunde findet man die ' des Knies

nach außen, das O-Bein, gerade beim Weibe Mßlicher.

Scheinbar der Geraden von Mikulicz entsprechend ist eme Verbin-


UNTERE GLIEDMASSEN.


265


düng des X-Beins mit dem Säbelbein, wie es Fig. 64 zeigt. Die Abweichung des Knies nach innen wdrd durch den im Bogen erst



Bestimm des Bei


Fig. 170. Brückesche Linie.


nach außen und dann nach innen abweichenden Unterschenkel aus- gegHchen, so daß Fußgelenk, Knie und Hüftgelenk ungefähr in einer Geraden liegen.


266 UNTERE GLIEDMASSEN.

Wenn die vordere Ansicht des Beines gut ist, muß es die liintere ebenfalls sein.

In der seitlichen Ansicht hingegen kann durch rhachitische Ver- krümmung sowohl als durch Fehler in den Kniebändern (Brücke) eine Abweichung entstehen, die man nach Brücke an einer Linie kon- trollieren kann, die vom Oberschenkelknorren zum äußeren Knöchel gezogen wird (Fig. 170). Diese Linie muß das Knie in der Mitte seiner Breite treffen, wenn das Bein gut gestreckt ist. Trifft sie es weiter nach vorn, dann besteht Ueberstreckung oder Abweichung des Unterschenkels nach hinten bei zu langem Kniebande, trifft sie es zu w^eit nach hinten, dann ist das Knie zu stark nach vorn durchgebogen.

Da einerseits die Muskeln beim Manne stärker entwickelt sind als beim Weibe, andererseits aber ein absolut dickerer Schenkel schon beim heranwachsenden Mädchen ein wichtiges sekundäres Geschlechts- merkmal bildet, so muß die Dicke des weiblichen Schenkels haupt- sächHch auf ein stärkeres Fettpolster zurückgeführt werden, und dem- gemäß müssen die Formen der Muskeln viel weniger stark hervor- treten als beim Manne. Darum ist ein flacher Oberschenkel, der, entsprechend der vorn und hinten am kräftigsten entwickelten Mus- kulatur, das Bein von vorn schmäler, von der Seite breiter er- scheinen läßt, dem Manne eigentümlich, der Frau dagegen ein runder Oberschenkel, der in jeder Ansicht die gleiche runde Form zeigt.

Namenthch bei leichter Beugung kommt die mächtige Rundung des weiblichen Oberschenkels gut zur Geltung.

Bei einer 25jährigen Amerikanerin, welche Dr. Shufeldt aufnahm (Fig. 171), findet sich dieser breite runde Oberschenkel sogar bei einem verhältnismäßig sehr schlanken und zierlichen Oberkörper.

Die Muskulatur spielt beim Weibe nur insofern eine Rolle, als der Oberschenkel, dem Fleisch entsprechend, im oberen Drittel, also unterhalb der Schenkelknorren, am stärksten gewölbt sein muß.

Als Fehler ist anzusehen, wenn das Fett darüber so stark an- gehäuft ist, daß der Umriß des Oberschenkels von der Hüfte in gerader oder gar eingefallener Linie nach dem Knie zu abläuft.

Auch am weiblichen Knie werden die Konturen durch stärkere Fettanhäufung weicher, jedoch muß das Knie dünn sein, weil es sonst an rhachitische Bildung erinnert.


UNTERE GLIEDMASSEN.


267


Das gleiche wie vom Oberschenkel gilt von der Wade des Weibes; während an der Wade des Mannes die Muskeln hervortreten, sind sie beim Weibe durch stärkeres Fettpolster zu einer gleichmäßigen



Fig. 171. Breite des Oberschenkels bei einer Amerikanerin. {Photographie nach dem Leben von Dr. R. A. W. Shufeldt.)

Rundung vereinigt, die im oberen Drittel jedoch, den in der Tiefe liegenden Muskelbäuchen entsprechend, den stärksten Umfang hat (Fig. 172).

Durch unzweckmäßige Strumpfbänder wird ihre Form, wie bereits erwähnt, verdorben.


268 UNTERE GLTEDMASSEN.

Ein schlanker Knöchel ist ein großer Vorzug, weil er einer- seits, auf zarterem Knochenbau beruhend, ein sekundäres weibliches Geschlechtsmerkmal bildet, andererseits eines der wichtigsten Merk- male ist, um frühere Rhachitis auszuschließen.



Fig. 172. Schön geformte Waden und Füße. (Aufnahme von Heid, Wien.)

Enges Handgelenk und enge Knöchel sind, wie beim Pferde die engen Eesseln, das hervorragendste Zeichen einer guten Rasse.

Der Fuß ist nächst der Taille derjenige Körperteil, der die stärkste Verunstaltung durch fehlerhafte Bekleidung zu erdulden hat.

Was seine Größe betrifft, so gilt von ihm, was bereits von der Hand gesagt ist. Sie muß im Verhältnis zur Körpergröße stehen, und zwar nach Quetelet sechs- bis höchstens siebenmal in ihr ent- halten sein. Die Länge des Fußes ist demnach größer als die des


UNTERE GLIEDMASSEN.


269


Kopfes; nach einer alten Regel ist die Länge des Fußes gleich dem Umfang der geballten Faust.

Von allen Fehlern des Fußes ist der häufigste der Plattfuß, der meist auf Rhachitis beruht.

Während bei gut gebautem Fuße seine innere Wölbung derart sein soll, daß ein Vögelchen, wenn auch nur ein ganz kleines, darunter sitzen kann, sinkt beim Plattfuß das Gewölbe ein und die Sohle liegt in größerer Fläche dem Boden an. Von dem Vorhanden- sein eines geringeren Grades von Plattfuß kann man sich über-








ab c d

Fig. 173. Abdrücke von normalen (a) und von Plattfüßen {l> c d) nach Volkmann.

zeugen, wenn man den mit Wasser befeuchteten Fuß auf dem Boden abdrückt (Fig. 173).

Der guten Wölbung entspricht ein hoher Rist.

Wir haben demnach als Vorzüge des Fußes die gute Wölbung und den hohen Rist zu fordern.

Eine richtige Wölbung und entsprechenden Rist zeigen die Füße von Fig. 172; sie können als Muster eines schön gebauten, wenn auch nicht allzu zarten, weiblichen Fußes gelten.

Da beim Fuß ebenso wie bei der Hand das Skelett viel weniger von Weichteilen bedeckt wird als an anderen Körperteilen, so übt seine Bildung einen hervorragenden Einfluß auf die äußere Form.

Ein Fehler ist ein kräftiges, großes, ans Männliche erinnerndes


270 UNTERE GLIEDMASSEN.

und ebenso ein plumpes, dickes, durch Rhachitis verunstaltetes Fuß- skelett, und aus beiden Gründen ist ein zierlicher, schmaler Fuß mit langen, schmalen Zehen eine Zierde des Weibes.

Von den Zehen ist bei guter Entwicklung die zweite am längsten. Braune ^) hat nachgewiesen, daß schon beim Embryo die zweite Zehe am längsten ist, und daß dies bei mehr als 70*^/0 von Erwachsenen, die er maß, ebenso war.

Die scheinbar größere Länge der großen Zehe rührt davon her, daß im Stiefel die große Zehe gerade bleibt , während die anderen Zehen eine Krallenstellung einnehmen, die sie kürzer erscheinen läßt.

Abgesehen von dieser Krallenstellung bewirkt der dauernde Druck zu enger Stiefel eine Drehung der großen Zehe nach einwärts mit starkem Hervortreten ihres verdickten Mittelfußgelenkes.

Weniger ein Fehler als vielmehr ein meist unerhört verklingender Notschrei der Natur nach besserer Bekleidung sind die Hühneraugen. Bei ihrer geringen Ausdehnung können sie die Form des Fußes nur wenig entstellen.

Wie es scheint, will sich jedoch die Natur der leidenden Mensch- heit erbarmen: Pfitzner^) hat durch eine größere Reihe von Unter- suchungen festgestellt, daß bei einer großen Anzahl von Menschen die kleine Zehe, der Lieblingsplatz der Hühneraugen, anstatt aus drei nur aus zwei Knochen besteht, woraus er schließt, daß die kleine Zehe des Menschen in einem Rückbildungsprozeß begriffen ist und im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr verschwinden wird.

Auch hier scheinen wieder die Frauen den Männern in der Ent- wicklung voraus zu sein, denn Pfitzner fand unter je hundert Frauen 41, unter je hundert Männern bloß 51, deren kleine Zehe nur zwei Knochen besaß.

Derselbe Autor stellte fest, daß auch die große Zehe bei Weibern im Verhältnis viel kleiner ist als bei Männern.

Wir können demnach als Merkmal guter weiblicher Bildung für die Zehen festsetzen : lange zweite Zehe, kurze erste und sehr kurze fünfte Zehe.

Wir haben hiermit die wichtigsten Punkte zur Beurteilung der

') Festgabe von Karl Ludwig.

-) Zitiert bei Havelock Ellis, Mann und Weib,


UNTERE GLIEDMASSEN. 271

unteren weiblichen Gliedmaßen hervorgehoben; zu erwähnen bleibt nur noch, daß man ihre richtige Gestaltung, sowie mögliche Fehler auch am Gang, namentlich in der Ansicht von hinten, leicht er- kennen kann.

In ergötzlicher, jedoch ernst gemeinter Weise beschreibt Walker im 21. Kapitel seiner »Beauty of woman« die »External indications; or Art of determining the precise figure, the degree of beauty, the mind, the habits and the age of woman, notwithstanding the aids and disguisses of dress«.

Jedem, der sich dafür interessiert, kann ich diese naive Lektüre nur empfehlen.


XV.

Schönheit der Farbe.

Wir haben uns bisher nur mit der Form des weiblichen Körpers beschäftigt. Neben dieser kommt aber noch ein anderer wichtiger Faktor weibhcher Schönheit in Betracht, nämlich die Farbe. Es fragt sich, inwieweit wir auch hier Gesetze zur Beurteilung der Schön- heit aufstellen können.

Ein schlechter Teint! wie viel Kummer und Sorgen, Tränen und schlaflose Nächte hat er schon manchem jungen Mädchen, man- cher alternden Frau verursacht; ein schlechter Teint ! wie viele haben dagegen die verschiedenartigsten und oft nicht ungefährlichen Mittel ersonnen und erfunden, und sich bereichert mit dem Tribute der zahlreichen leichtgläubigen Opfer.

Im Urteile der Menge spielt der Teint die größte Rolle. Ebenso wie ein hübsches Gesicht bhnd macht für Fehler des übrigen Körpers, ebenso wird bei schönen Farben ein Mangel in der Form leicht über- sehen und verziehen. Ein Mädchen mit feurigen Augen und einer Haut wie Milch und Blut kann einen wulstigen Mund mit breiten Lippen, eine stumpfe Nase und kleine Schweinsäuglein haben und gefällt doch, während eine andere mit klassischen Formen und ge- fleckter Haut unbarmherzig verurteilt wird.

Das allgemeine Urteil erklärt sich aus der bereits Eingangs er- wähnten Beobachtung, daß die Augen der meisten Menschen im Erfassen der Form nur wenig geübt sind, während die Farbe sich von selbst dem Beschauer überall aufdrängt; daher sind auch Ver- gleichungen des menschlichen Körpers mit anderen Dingen in der Natur mit Bezug auf die Farbe viel häufiger zu finden als mit Bezug auf die Form.

Das Auge z. B. vergleicht man seiner Form nach mit der Mandel, mit dem Myrtenblatt, wohl auch mit dem Edelstein in der Spange,


FARBE. 273

seiner Farbe nach wird es mit Augen von Tieren , dem Reh , der Gazelle, der Katze, dem Hund, der Taube, in weniger schmeichel- hafter Weise mit dem des Kalbes, des Schweines oder des Schell- fisches verglichen, außerdem mit Blumen, wie Vergißm.einnicht, Lotos- blume, mit Sternen, mit Kohlen, mit der Nacht, mit Sammet und noch gar viel anderen Dingen.

Dieser Sprachgebrauch gibt das allgemeine Fühlen und Denken wieder.

Lassen sich nun auch für die Farbe des weiblichen Körpers ge- wisse Regeln zur objektiven Beurteilung aufstellen? Wir müssen zunächst hervorheben , daß wir in unseren Hilfsmitteln zur wissen- schaftlichen Feststellung der Farbe viel beschränkter sind als bei der Form. Dort hatten wdr außer dem Auge den Tastsinn, die Messung, die genaue Wiedergabe der Form durch die Photographie zur Ver- fügung, hier fehlt dies alles mit Ausnahme des Auges, und es sind demnach ausschließlich die optischen Gesetze, die neben der Empirie zur Geltung gebracht werden können.

Es liegt nicht auf unserem Wege, hier in systematischer Reihen- folge die Gesetze zu besprechen, nach denen sich die bunte Außen- welt im menschlichen Auge widerspiegelt ; auch die Gesetze der Lichtbrechung , der Kontrast- oder Komplementärfarben , die sich gegenseitig zu Weiß ergänzen , müssen wir als bekannt voraus- setzen.

Wer sich dafür interessiert, dem sei, abgesehen von den be- kannten Fachbüchern, die hübsche allgemein verständliche kurze Darstellung empfohlen, die Severin Schröder seinem Buch »Die Farbenharmonie in der Damentoilette« i) vorausschickt.

Hier müssen wir uns darauf beschränken, in großen Zügen die verschiedenen Einflüsse zu besprechen, welche auf die Farbe des weiblichen Körpers einwirken.

Die Farbe des Körpers wird bestimmt durch diejenigen Teile, welche seine Oberfläche ausmachen, also zunächst die Haut, die Haare und die Nägel, dann durch Teile, welche regelmäßig oder doch zeitweise sichtbar sind, die Schleimhautränder des Mundes, der


') Severin Schröder, Die Farbenliarmonie in der Damentoilette. Wien 1S97, Berte & Czeiger.

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers, lo


274 FARBE.

Augen und der Geschlechtsteile einerseits, die Augäpfel, die Zähne und die Zunge andererseits.

Wie wichtig auch die mehr verborgenen Teile im Urteil der Außenwelt sind, erhellt aus der Beobachtung, daß auch das schönste Mädchengesicht entstellt wird, wenn sich beim Lächeln ein zerrüt- tetes Gebiß enthüllt. Wie viele junge üVlädchen lächeln nicht einzig und allein aus dem Grunde, um ihre hübschen Zähne zu zeigen !

Am wichtigsten ist die Beschaffenheit der Haut.

Die Haut hat einen matt sammetartigen Glanz von weicher Glätte. Dichter vergleichen sie mit Elfenbein, Alabaster und Marmor; die Künstler aber wissen, wie schwierig es ist, dem Marmor und dem Elfenbein das Aussehen der Haut zu geben.

Die Oberfläche ist nicht gleichmäßig glatt, sondern von zahl- reichen kleinsten Spalten durchsetzt, so daß sie gewissermaßen ein zusammengewachsenes allerfeinstes Netzwerk bildet und eine klein- körnige Oberfläche erhält. Je kleiner das Korn, desto zarter ist der matte Glanz der Haut. Bei schlechter Ernährung, bei Krankheiten wird die Haut welk und trübe, bei zu starker Talgabsonderung er- hält sie einen fettigen, spiegelnden Glanz.

Die Farbe der Haut zu beschreiben ist ebenso schwierig als sie darzustellen. Sie wird mit Rosen und Lilien, Milch und Blut, Wachs und Schnee, selbst mit neugeborenen Schafen verglichen, der Maler benutzt außer Weiß, Vermillon, Kobalt und gelbem Ocker alle Farben seiner Palette, um die Nuancen der Menschenhaut wiederzugeben. Die obersten Schichten der Haut sind matt durchsichtig, so daß alle darunter liegenden Teile je nach der Dicke der Haut ihr mehr oder weniger ihre Farbe mitteilen und so die verschiedenen Nuancen der Haut begründen. Die dunkelroten Venen erscheinen bläulich, der brünette Ton ist eine Folge der stärkeren Pigmentanhäufung in der Lederhaut, die bräunhch durchschimmert. Je zarter die Haut ist, desto lebhafter wird das Kolorit sein.

Die nicht bedeckten Teile der Haut erhalten durch die Einwir- kung der Kälte und des Lichtes eine stärkere Färbung. Deshalb rötet sich das Gesicht, wenn man viel im Freien sich bewegt, und erscheint bleich bei Menschen, die ihr Leben in geschlossenen Räumen zubringen.


FARBE. 275

Daß die Wangen stets ein liöhieres Rot zeigen als das übrige Gesicht, erklärt sich daraus, daß dort die arterielle Blutversorgung am reichlichsten und die Haut am zartesten ist. Die Röte der Wangen bleibt auch bei allgemeiner Blässe noch lange erhalten.

Bei guter Ernährung ist die Haut im allgemeinen weißlich mit einem rosigen Schimmer; gelbliche oder bläuliche Verfärbung deutet auf Krankheiten, aber auch auf eiweißarme, schlechte Ernährung.

Die weibliche Haut ist zarter, dünner, von kleinerem Korn und heller als die männUche. Mit Rücksicht darauf kann also auch die dunklere Haut einer Brünetten als schön gelten, wenn sie zart und von feinem Korn ist, den ersten Preis aber verdient jedenfalls die weiße Haut der Blondinen, weil sie sich am meisten vom männ- lichen Geschlechtscharakter entfernt und dem sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmal den stärksten Ausdruck verleiht.

Fehler der Haut sind außer den bereits erwähnten Muttermälern in erster Linie die Folgen der Hautkrankheiten, unter denen die Pocken früher die größten Verwüstungen angerichtet haben.

Ein von Pocken zerfressenes Gesicht gehört heutzutage, Dank sei dem allgemeinen Impfzwang, in Europa zu den größten Selten- heiten, immerhin gibt es aber noch Hautkrankheiten genug, die durch Hinterlassung häßlicher Narben das Korn der Haut zerstören, die glatte Oberfläche unterbrechen und dadurch die Schönheit mehr oder weniger beeinträchtigen. Außer den Hautkrankheiten sind es namentlich unzweckmäßig gearbeitete, drückende Kleider, die zunächst rote Striemen, bei regelmäßigem Gebrauche wunde Stellen und da- nach braune, verfärbte Narben hinterlassen, die sich am Rumpfe stark geschnürter Frauen häufig genug finden lassen.

Bei mangelhafter Pflege der Haut verstopfen sich die Talgdrüsen, es entstehen die sogenannten Mitesser im Gesicht und am Hals, an anderen bedeckten Stellen des Körpers bekommt die Haut das charak- teristische grobe Korn der Gänsehaut, die Farbe wird schmutziggelb bis braun. Alle diese durch Krankheiten, schlechte Kleidung, mangel- hafte Pflege und unzweckmäßige Ernährung verursachten Entstellungen der Hautoberfläche und des Teints sind von Paschkis ^) ausführlich


') Paschkis, Kosmetik. Wien 1893. 2. Auflage. Holder.


276 FARBE.

zusammengestellt in einem sehr lesenswerten Buche, in dem auch die bekanntesten Mittel zur Beseitigung angegeben sind.

Als wichtigste Fehler des Teints können wir nach dem Gesagten bezeichnen: dunkle Farbe, grobes Korn, rauhe Oberfläche, starke Talgabscheidung, Muttermäler, Narben und Druckfurchen, unregel- mäßige Pigmentierung; als Vorzüge: helle Farbe, zartes Korn, glatte Oberfläche, Fehlen von Narben, gleichmäßige Pigmentierung.

Nächst der Haut kommen die Haare.

Es ist bereits erwähnt, daß jede zu starke Körperbehaarung bei der Frau, die an das Männliche und Tierische erinnert, ein Fehler ist, und daß im Gegensatz zu dem zarten Flaum, den der Körper und das Gesicht bedeckt, eine starke Entwicklung und 2;roße Fänge des Haupthaares eine der schönsten Zierden des weiblichen Ge- schlechtes ist.

Da starke Pigmentanhäufung ein gemeinschaftliches Merkmal niedrig stehender Rassen ist , so kann man im allgemeinen blondes Haupthaar als einen Vorzug betrachten, und namentlich bei der Frau, bei der durch den schwächeren Gegensatz von Blond und Weiß die Harmonie der zarteren Bildung erhöht wird.

Bei den Augenbrauen und Augenwimpern jedoch verdient die dunklere Färbung den Vorzug, weil durch sie die Weite der Augen- höhlen noch deutlicher hervorgehoben wird.

Außer dem Haar des Kopfes und der Augen findet sich bei der erwachsenen Frau das Haar der Achselhöhlen und des Schamberges. Dieses Körperhaar entspricht, wie Bartels durch verschiedene Be- obachtungen nachgewiesen hat, nicht immer der Farbe des Kopf- haares, es ist manchmal heller und manchmal dunkler.

Wir haben bereits darauf aufmerksam gemacht, daß die weibhche Körperbehaarung auf Grund ins Leben übertragener falsch verstandener Kunstbegrifl!"e im allgemeinen häßlich gefunden wird ; daß im Gegen- satz dazu in der Natur das Fehlen der Körperbehaarung ebenso wie eine zu starke Behaarung häßlich wirkt, und daß die weibliche Bil- dung durch eine mäßige Behaarung am Scham.berg und noch ge- ringere in den Achseln charakterisiert ist.

Was die Farbe betrifft, so wird aus den oben erwähnten Gründen im allgemeinen eine hellere Farbe den Vorzug verdienen, da sie sich


FARBE. 277

mit der Weichheit der weibhchen Formen besser vereinigen läßt. Dies ist bei den Achselhaaren auch der Fall, bei den Schamhaaren dagegen wird durcli eine dunlclere Behaarung die Breite des Beckens und die Stumpfheit der Grenzhnie zwischen Schamberg und Schenkeln stärker hervorgehoben und dadurch der sekundäre weibliche Ge- schlechtscharakter erhöht.

Demnach würde dem Ideal am nächsten kommen: helles Haupt- und Achselhaar, dunkle Scham- und Augenhaare.

Ich habe nur eine Frau gesehen, die bei übrigens vollendeten Körperformen auch diese Vorzüge besaß. Bei einem sehr gleich- mäßigen matten Teint aschblondes, sehr langes, glattes Haupthaar und sehr spärliche, ebenfalls aschblonde, gekrauste Achselhaare; trotz blauer Augen waren aber die Wimpern und Augenbrauen schwarz und die nicht übermäßig entwickelten Schamhaare ebenfalls.

Blondinen mit schwarzen Augenbrauen und braunen Schamhaaren habe ich häufiger gesehen.

Die Farbe der Augen hängt ausschließlicli von der Verteilung des Pigments ab; wenn es ausschließlich hinter der Regenbogenhaut sitzt, erscheint sie blau, dringt es in sie ein, so erscheint sie braun bis schwarz.

Demnach können wir die Farbe der Augen nur als einen Aus- druck der Individualität betrachten.

Je besser die Ernährung des Körpers, je regelmäßiger der Blut- umlaut ist, je zarter die Haut, desto lebhafter rosenrot werden die sichtbaren Teile der Schleimhäute, am Augenrand und Tränensäck- chen, sowie an den Lippen sein. Dieselben Gründe bedingen die zarte rosige Farbe der Brustwarzen. Rote Lippen gelten als schön und sind zugleich ein Beweis von Gesundheit. Ueber die Farbe am Eingang der Scheide wurde bereits oben gesprochen.

Wie Zahnärzte bezeugen können, ist es ein Irrtum, daß alle ge- sunden Zähne rein w^eiß sind. Das Email kann mehr oder w^eniger gelblich oder auch bläulich erscheinen, ohne daß dadurch der an- genehme Eindruck des gesunden Gebisses geschädigt ist. Die Haupt- sache ist , daß alle Zähne dieselbe Farbe und einen gleichmäßigen Glanz haben. Ein milchweißer Zahn in ein bläuliches Gebiß ein- gesetzt, verdirbt dessen Schönheit.


278


FARBE.



Fig. 174. Blondine.


Der Reiz der hellen Farben, Weiß, Rosig, Hellblau und Blond, dem zarteren Körper des Weibes eigen, wirkt an und für sich schon so mächtig, daß er vielen gleichbedeutend mit Schönheit ist.

In der Tat lassen sich nicht nur gewöhnliche Menschen, sondern sogar Künstler durch die wunderbaren Farbentöne der Blondine, be-


FARBE.


279



Fig. 175. Brünette.


sonders wenn sie von der Blüte der Jugendlichkeit erhöht werden, so sehr verblenden, daß sie darüber alles andere vergessen.

Wenn sich aber schöne Farben mit schönen Formen verbinden.


280 FARBE.

dann bilden sie ein Ganzes, das allen berechtigten Anforderungen an Schönheit im höchsten Maße entspricht.

Fig. 174 zeigt den vollendeten Typus einer Blondine, deren schöngebauter Körper auch im schwarzen Bild den eigentümlichen Reiz seiner zarten Farben bewahrt hat, und die blonde Schönheit in würdigster Weise vertritt.

Einen schroffen Gegensatz zu diesem Bilde bietet Fig. 175, der Typus der Brünette, mit schwarzem Haar, dunklen Augen, braunen Brustwarzen und leicht bräunlich gefärbter Haut.

Auch dieser Körper ist durch den Kontrast der Lichtwerte schon im schwarzen Bilde in seinen Farbentönen gekennzeichnet.

Niemand kann leugnen, daß auch er schön ist, trotzdem er die zarten Farben der Blondinen nicht besitzt.

Der Wert der mattweißen Haut, der rosigen Lippen und Wangen wird durch die kräftige Farbe der dunklen Haare und Augen zu stärkerer Geltung gebracht und wirkt gerade durch den Gegensatz in erhöhtem Maße.

Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Schönheit der Farbe bei der Frau zunächst bedingt ist durch das zarte Kolorit der weißen Haut und die hellen dazu gestimmten blonden und blauen Farben der Haare und Augen, die rosigen der Lippen, die weißHchen der Zähne. Neben der zusammenstimmenden Wirkung der Farben haben wir aber auch eine andere, die Kontrastwirkung, die darin besteht, daß durch einen kräftigen, tiefen Farbenton die Zartheit der um- gebenden Farbentöne erhöht wird. Die Kontrastwirkung ist stärker als die Zusammentönung der Farben.

Aus diesem Grunde wird eine zarte Haut umso blendender weiß erscheinen, je stärker sie zu den sie hebenden Teilen, Haaren und Augen , in Gegensatz gebracht wird , am blendendsten demnach bei schwarzem Haar und schwarzen Augen.

Eine brünette Haut ist mit den dunklen Augen und Haaren zu- sammengestimmt und wirkt durch Abtönung ebenso harmonisch wie die weiße Haut mit blondem Haar und hellen Augen. Bei Zu- sammenstellung der weißen Haut mit schwarzem Haar werden aber durch den Kontrast die Vorzüge beider Teile noch lebhafter sprechen.

Durch Kontrast und Abtönung läßt sich somit eine ganze Reihe


FARBE. 281

von Farbenzusammenstellungen bilden, die den Eindruck von Schön- heit machen.

Wir haben:

Haut: I. weiß, 2. rosig, 3. gelblich, 4. brünett.

Haupthaar: i. hellblond, 2. goldblond, 3. rotblond, 4. aschblond, 5. rot, 6. hellbraun, 7. dunkelbraun, 8. schwarz.

Augenhaare: i. blond, 2. braun, 3. rot, 4. schwarz.

Augen: i. blau, 2. grau, 3. braun, 4. schwarz.

Schamhaare: i. blond, 2. rot, 3. braun, 4. schwarz.

Haut I läßt sich mit sämtHchen Nuancen von Haupthaar, Augen- haar, Augen und Schamhaaren vereinigen. Haut 2 wird mit Haupt- haar I und 2 und Augenhaar i eine zu lebhafte Farbe abgeben. Haut 3 ist bei Haupthaar i — 5 , Augenhaar i und Augen i ein Fehler, bei den übrigen Unterabteilungen nicht.

Zu Haut 4 endlich darf nur Haupthaar 7 und 8 , Augenhaar 4, Augen 3 und 4 , von den Schamhaaren aber 2 , 3 und 4 hinzu- kommen.

Da nun alle diese Farben hauptsächlich durch das dem Blut ent- stammende Pigment hervorgebracht werden , so ist meistens die ge- meinschaftliche hellere oder dunklere Nüancierung sämtlicher Farben durch die größere oder geringere gleichmäßige Pigmentablagerung bedingt.

Aus demselben Grunde werden Ausnahmen , wie z. B. schwach pigmentierte weiße Haut bei stark pigmentierten schwarzen Haaren als seltenere Schönheiten in der Farbenzusammenstellung besonders geschätzt.

Es ist bekannt, daß bei einigen Völkern derartige Ausnahmen sich häufiger finden als bei anderen.

So findet sich z. B. bei Polinnen häufig eine zarte weiße Haut bei schwarzem Haar, schwarzem Augenhaar und blauen Augen, ohne daß man dafür eine Erklärung geben kann. In Seeland , wo sich derselbe Typus von Frauenschönheit ebenfalls häufig findet, nimmt man an, daß diese Farbenzusammenstellung eine Folge der Ver- mischung mit spanischem Blut ist, die früher dort stattgefunden hat.

Es gibt viele von der Natur besonders bevorzugte Frauen, die stets dieselben schönen Farben zur Schau tragen, andere, die ihre


282


FARBE.



Fig. 176. Frauenkörper auf orange Hintergrund.

guten und schlechten Tage haben. Die letzteren sind häufig zart- besaitete Naturen, bei denen sich jede auch noch so geringe Störung


FARBE.


283



F'g- 177- Frauenkörper auf violettem Hintergrund.

des Nerven- und Seelenlebens oder des Blutumlaufes in der Verände- rung des Teints erkennen läßt.


284


FARBE.



Fig. 178. Frauenkörper auf weißem Hintergrund,

Abgesehen von diesen , von der Konstitution abhängigen Ur- sachen gibt es aber noch eine Reihe von äußeren Erscheinungen,


FARBE.


285



F'g- 179- Frauenkörper auf schwarzem Hintergrund.

die die Farbe des weiblichen Körpers beeinflussen können und die eine eingehendere Besprechung erfordern.


286 FARBE.

In Fig. 176 und 177 hebt sich ein gleichmäßig abgetönter Frauen- körper mit den Grundfarben Kobalt, Vermillon und gelbem Ocker von orangegelbem und von violettem Hintergrunde ab. Der Schatten ist neutral.

Bei Vergleichung dieser Bilder erscheint der neutrale Schatten dem Auge auf der ersten Figur bläulich, auf der zweiten gelb- grünlich.

Der nackte Körper wiederum scheint auf dem ersten Bilde blaß und rosig, auf dem zweiten mehr gelblich.

Diese optische Erscheinung oder optische Täuschung, wenn man will, beruht auf dem Gesetze, daß unser Auge einer neutralen oder schwächer gefärbten Fläche die Komplementärfarbe der stärker ge- färbten Umgebung verleiht. Im ersten Falle läßt das kräftige Orange den neutralen Schatten blaugrün erscheinen , im zweiten bringt das Violett seine gelbgrünliche Komplementärfarbe zur Geltung. Am nackten Körper ist die Farbe im ersten Bilde durch das Hervor- treten der blauen Töne blasser geworden, erscheint aber durch die Beimischung von Rot mehr rosig; im zweiten Bilde wird er gelb- lich, weil durch die gelblichgrüne Komplementärfarbe seine gelb- lichen Elemente erhöht werden.

Durch die Farbe der Umgebung wird demnach das Kolorit der Haut stark beeinflußt.

Die Nutzanwendung zeigt Tafel IV. Oben ist der nackte Körper einer jungen Frau auf grünlichem Hintergrunde dargestellt, das Kolorit der Haut erhält dadurch einen rosigen Schimmer. Darunter ist die- selbe Figur einem rötlichen Hintergrunde gegenübergestellt, durch den sie einen grünlichen Schimmer erhält. Im ersten Falle hat sie ihren »beau jour«, im zweiten nicht.

Der Einfluß ist natürlich umso größer, je kräftiger die Farbe der Umgebung gehalten ist und je mehr sie leuchtet. Jedoch nicht nur auf die Farbe, sondern auch auf die Form übt die Umgebung ihre optische Wirkung; helle Farben machen breit, dunkle schmal. Das ist am deutlichsten bei dem schärfsten Gegensatz, Schwarz und Weiß. Dieselbe Figur erscheint auf weißem Hintergrunde voller und breiter, auf schwarzem Hintergrunde schmaler undschlanker(Fig. 17S und 179).

Es läßt sich demnach durch die Wahl der richtigen Farbe und


TAFEL IV.



NACKTE FRAU AUF GRÜNLICHEM UND ROTLICHEM HINTERGRUND.


FARBE. 287

der stärkeren oder schwächeren Beleuchtung der Umgebung in jedem gegebenen Falle der Farbenreiz des damit kontrastierenden Frauen- leibes um ein Bedeutendes erhöhen, eine Wissenschaft, die den meisten Frauen von Natur eigen ist und die namentlich in der Wahl der nächstliegenden Umgebung, der Bekleidung des Körpers, eine her- vorragende Rolle spielt.

Außer der Umgebung ist schließlich noch die Lichtquelle selbst von Einfluß auf die Farbe des Körpers. Es genügt, darauf hinzu- v^^eisen, daß Sonnenglanz und Mondschein, Gaslicht, Petroleum- und elektrisches Licht die Farben in der verschiedenartigsten Weise be- einflussen, und den schönheitsbedürftigen Leserinnen kann ich an- vertrauen , daß von allen künstlichen Lichtquellen immer noch die Wachskerze die günstigste Beleuchtune: weiblicher Schönheit lietert.


XVI.

Schönheit der Bewegung.

Die Schönheit der Bewegung ist die Anmut. Das feinsinnige Volk der alten Hellenen hatte nur eine einzige Göttin der Schön- heit, Aphrodite, dagegen drei Göttinnen der Anmut, die Chariten oder Grazien. Wollten sie damit ausdrücken, daß die unendhch wechselnden Reize der bewegten weiblichen Schönheit sich nicht in einem Körper vereinigen lassen? Ja, sind selbst drei Körper im Stande, auch nur die Hauptzüge weibhcher Anmut zu versinnbild- lichen? Man denke nur an die verschiedenen Lieblinge der bilden- den Kunst, die in stets neuer, tausendfältiger Gestalt der Phantasie ihrer Schöpfer entspringen: die hoheitsvolle, verklärte Maria, die trauernde, in hilfloser Nacktheit ausgestreckte Magdalena, das züch- tige, verschämte Gretchen, die kindHche Psyche, die in Schönheit strahlende, lockende Aphrodite, die sehnsüchtig blickende Danae, die wildanmutige Bacchantin und tausend andere.

Man vergegenwärtige sich die unendliche Mannigfaltigkeit, in der die weibliche Anmut uns im täglichen Leben entgegentritt: der tolle Uebermut des spielenden Backfisches mit seinen halb eckigen, halb reizenden Bewegungen, all die lieblichen Mädchengestalten, die eine, wie sie mit leicht zur Seite geneigtem Köpfchen, mit halbgeöffneten Lippen und sinnenden Märchenaugen den Worten des Erzählers lauscht, eine andere, die mit zierlich ausgespreizten Fingern und lachendem Munde von den Speisen nascht und von den Getränken nippt, eine dritte, die mit strahlenden Augen und wogender Brust im Tanze dahinschwebt, dann das liebende Weib, das mit halb ver- schämter, halb leidenschaftlicher Erregung sich hingibt, und endlich die junge Mutter, die in liebender Sorgfalt das Kind betrachtet.

Jede ist anders, jede hat ihre eigenen, unnachahmlichen Reize, jede einzelne ist eine unerschöpfliche Quelle stets neuer Beobach-


BEWEGUNG. 289

tungen, über jede einzelne ließe sich ein dickes Buch der körper- lichen Anmut schreiben.

Wenn es aber nicht zwei Frauen gibt, die genau in derselben Weise die widerspenstigen Löckchen aus der Stirne streichen , nicht zwei, die genau ebenso die Hand zum Gruße ausstreken, nicht zwei, die mit der gleichen Bewegung die Röcke beim Gehen zu- sammenfassen, dann ist damit auch festgestellt, daß alle diese ver- schiedenen Bewegungen nichts anderes sind als ebensoviele Aeuße- rungen weiblicher Individualität, und daß sie sich demnach jeder objektiven allgemeinen Beurteilung entziehen.

Was sich dagegen nicht der objektiven Beurteilung entzieht, das sind die Veränderungen der Körperoberfläche, die diese durch ge- wisse Gruppen gleichmäßiger Bewegungen erleidet, das sind die Ge- setze, die sich aus der Uebereinstimmung stets wiederkehrender Be- obachtungen ableiten lassen.

Wie bei der Beurteilung der Körperform, so hat man auch beim Studium des bewegten Körpers außer dem Auge noch das Tast- gefühl, die Messung und die Photographie zur Verfügung, und für das Studium der Bewegung ist in neuester Zeit namentlich die Moment- photographie eine wichtige Quelle neuer Erfahrungen geworden.

Wie beim Studium des normalen menschlichen Körpers die Ana- tomie sich mit der Erforschung der Formen, die darauf sich auf- bauende Physiologie mit den Lebensäußerungen, den Funk- tionen beschäftigt, so können wnr auch hier der Schönheitsana- tomie eine Schönheitsphysiologie, eine Lehre von der bewegten Schönheit, gegenüberstellen. Aber wie dort, so greifen auch hier Anatomie und Physiologie untrennbar ineinander.

Die Veränderungen , die der menschliche Körper durch Bewe- gungen erleidet, sind mannigfaltigster Art: Verschiedene Stellungen und Lagen einzelner Glieder zum übrigen Körper, dann verschiedene Stellungen und Lagen des Körpers als Ganzes, und schließlich die Fortbev/egung des Körpers beim Gehen, Laufen, Springen, Tanzen, Fallen u. s. w. können seine Formen beeinflussen.

Zur physiologischen Erklärung dieser Zustände kommen außer den anatomischen Grundlagen eine Reihe von Naturgesetzen über Hebel Wirkung, Schwerkraft, schiefe Ebene, Bewegungsmechanismus

St ratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers. 19


290


BEWEGUNG.


u. s. w. in Betracht. Eine vortreffiiclie und sehr ausführHche Dar- stellung der einschlägigen Verhältnisse findet sich in zwei klassischen Büchern, in der: »Physiologie artistique« von P. Richer^) und in »Die Gestalt des Menschen« von G. Fritsch ^).



Fig. i8o. Torso eines Mädchens von 14 Jahren mit gesenkten Armen.

Brücke^) schreibt: »Schön nenne ich diejenige Gestalt, welche sich in allen Stellungen und in allen Ansichten , soweit sie in der idealen Kunst überhaupt zur Anwendung kommen, vorteilhaft ver- wenden läßt.« 


^j Octave Doin. Paris 1895. 2) Paul Neff. Stuttgart 1899. ^) Schönheit und Fehler der menschhchen Gestalt.


2. Auflage, p. 3.


BEWEGUNG. 2Q1

Das ist viel verlangt, hauptsächlich wenn man bedenkt, in welch gewagten Stellungen manche modernen Meister, wie z. B. Klinger in seiner Nymphe mit dem Faun, ihre Modelle verwerten.



Fig. i8i. Torso desselben Mädchens mit gehobenen Armen.

Von diesem Grundsatz ausgehend, leitet jedoch Brücke gewisse Vorschriften ab, welche dem Künstler ermöglichen sollen, auch ein weniger schönes Modell in einer für den besonderen Fall geeigneten Stellung benutzen zu können.

Hier handelt es sich zunächst nicht um die Verwertung des weib- lichen Körpers in der Kunst, sondern um diesen an und für sich, und es gilt somit zu untersuchen, welche Bedingungen zusammen- treffen müssen, um einen schönen Körper auch in jeder Ansicht und


292


BEWEGUNG.



Leichte Beugung des rechten, Streckung des linken Beins.


Stellung schön er- scheinen zu lassen, welche Bewegungen im Stande sind , die Schönheit des Kör- pers zu erhöhen oder zu beeinträchtigen.

Zu diesem Zwecke ist eine erschöpfende Darstellung aller nur denkbaren Stellungen und Ansichten nicht nötig; es genügt, einige der wichtig- sten darunter heraus- zugreifen und an ihnen die Wirkung der Naturgesetze zu erforschen; dann er- geben sich die wei- teren Schlußfolge- rungen für alles üb- rige von selbst.

Zunächst läßt sich feststellen, daß der aus Knochen , Ge- lenken und Muskeln bestehende Bewe- gungsapparat bei Mann und Frau im Prinzipe derselbe ist. Die Gelenke sind die Drehpunkte, die Kno- chen die daran sich


ansetzenden Hebelarme, die Muskeln, welche die Knochen mitein- ander verbinden, bilden die eigentlich bewegende Kraft, indem sie


BEWEGUNG.


293



durch ihre Arbeit die Hebelarme um die Gelenke drehen und ein- ander nähern (Beugung), oder voneinander entfernen (Streckung). Der sich zusammenziehende Muskel wird kürzer und dicker. Die dadurch entstehenden Formveränderungen an der Körperoberfläche lassen sich nur bei genauer Kenntnis sämtlicher Knochen, Gelenke und Muskeln verstehen. So schwillt' bei Beugung des Armes im Ell- bogengelenk die Vorderfläche durch Verkürzung und Verdickung des

zweiköpfigen Oberarmmuskels, bei Streckung die Rückfläche des Ober- armes durch denselben Vorgang im dreiköpfigen Armmuskel. Ich ver- weise für weitere Einzelheiten auf die oben zitierten Werke von Richer und Fritsch.

Ganz allgemein läßt sich somit als Grundbedingung aufstellen, daß die Knochen möglichst gerade, die Gelenke möglichst geschmeidig und die Muskeln möghchst kräftig sind.

Der Un- terschied der Ge- schlechter besteht da- rin, daß bei der Frau der Umriß des gespann- ten Mus- kels trotz kräftigster Entwick- lung nie so

deutlich sichtbar ist wie beim Manne, weil bei ihr infolge des stärkeren Unterhautfettes die Oberfläche stets eine gefällige, gleichmäßige Ab-



Fig. 183.


Starke Beugung des rechten, starke Streckuni linken Beins.


des


294


BEWEGUNG.


rundung behält. — Daß durch die Bewegung

eines Teiles aber auch die Form des üb- rigen Körpers mehr oder we- niger verändert wird, ist jedem, der die Wir- kung und Lage der Muskeln kennt, ohne weiteres deut- lich. Das He- ben und Sen- ken der Arme beeinflußt in hohem Maße die Gestaltung der Brust, der Schultern und des Nackens, das Strecken, Beugen und Spreizen der Beine verän- dert wiederum

die untere

Rumpfhälfte,

besonders die

Leistenlinie

Fig. 184. Spreizung des linken Beins. und das Gesäß.

Die Figuren 180 und 181 stellen dasselbe Mädchen mit hängen- den (180) und gehobenen (181) Armen dar.



BEWEGUNG.


295


Im ersten Falle ist die Senkung der Arme mit einem leichten Vorn- übersinken des Rumpfes verbunden, die Schultern fallen in gleichmäßiger Rundung ab, die Brüste sind trotz ihrer jugend- lichen Prallheit gesunken, unter der linken Brust hat sich eine leichte Hautfalte gebildet.

Mit dem Heben der Arme (Fig. i8i) ist zu- gleich eine leichteHebung des Oberkörpers erfolgt, die Schultern sind durch Anspannung des Delta- muskels rund, hoch und voll geworden, von bei- den Schultern sieht man die halbgespannten, hoch- gehobenen großen Brust- muskeln nach dem Brust- korb fächerförmig her- unterziehen, die ihnen aufsitzenden Brüste sind nach oben gezogen und gehen an ihrer unteren Seite in weicher Linie ohne Falte in den Rumpf über. Der Hals erscheint infolge der gehobenen Schultern kürzer.

Durch die eine Be- wegung der Arme ist



Fig. 185.


Leichte Beugung und Spreizung des linken Beins. Rückansicht.


296 BEWEGUNG.

demnach die Gestaltung von Armen, Hals und Brust völlig ver- ändert.

Aus diesem Beispiel folgt zunächst, daß die Form der Brüste bei erhobenen Armen schöner ist und besser zur Geltung kommt; in diesem Falle, weil die natürliche Spannung der jugendlich elastischen Haut durch die Spannung der gedehnten Muskeln erhöht ist. Des weiteren aber folgt daraus, daß auch in Fällen, wo die Elastizität der Haut geringer ist, durch Heben der Arme die schöne Form der Brust verbessert werden kann.

Ganz allgemein ausgedrückt lautet der gefundene Satz: Durch die Tätigkeit entsprechender Muskeln kann die elastische Spannung der darüberliegenden Haut erhöht, die fehlende ersetzt werden.

Ebenso wie das Heben und Senken der Arme wirkt das Vor- schieben und Zurückziehen, Heben und Senken der Schultern. Bei vorgeschobenen Schultern erscheint der Brustkorb flach und eingefallen, die daran befestigten Weichteile schlaff" und hängend, der Rücken gekrümmt.

Bei zurückgezogenen Schultern spannen und wölben sich der Brustkorb und seine Teile, zugleich aber wölben sich auch die Schultern durch Muskelanspannung und lassen die mittlere Rücken- furche stärker hervortreten.

Da außerdem die stark abfallende Schulter das Zeichen der Schwindsucht ist, so muß die zurückgezogene und gehobene runde Schulter und die dadurch bewirkte Spannung der Brusthaut den Vorzug verdienen.

Durch das Beugen und Strecken der Beine wird in gleicher Weise die Gestaltung des unteren Rumpfabschnitts beeinflußt.

Schon bei leichter Beugung des Oberschenkels vertieft sich die der Leistenlinie entsprechende Knickung, und verläuft schräger und weiter nach außen. Zugleich erscheint der Oberschenkel wegen der Muskelschwellung breiter (Fig. 182, rechtes Bein).

Mit stärkerer Beugung tritt die Grenzlinie zwischen Schenkel und Unterleib immer schärfer hervor und die Wölbung der hier sich treff'enden Körperflächen wird stärker (Fig. 183, rechtes Bein).

Je stärker das Bein gestreckt wird, desto mehr verstreicht diese


BEWEGUNG.


297


Grenze und desto stärker spannt sich die Haut an der entsprechenden Körperhälfte.

In Fig. 183 kommt dieser Unterschied sehr scharf zum Ausdruck. Zwischen dem rechten, gebeugten Oberschenkel und dem darüber stark sich vorwölbenden Un- terleib ist eine tief ein- geschnittene Grenzlinie sichtbar, am linken ge- streckten Oberschenkel geht die Bauchhaut gleichmäßig gespannt in ihn über und zeigt an dieser Seite ein flacheres Relief.

Die S p r e i z u n g des Beines wirkt in glei- cher Weise wie die Streckung (Fig. 184, linkes Bein). Die Span- nung der Haut wird durch Auswärtsrollen des Beines, wie dies Fig. 184 in leichtem Grade zeigt , noch er- höht.

In der Rückansicht wird die Gesäßfalte flacher und läuft schrä- ger nach unten, und zu- gleich flacht sich das Ge- säß an der Seite ab, an welcher das Bein gebeugt bezw. gehoben oder gespreizt wird. Fig. 185 zeigt an dem rechten gestreckten Bein die Gesäß falte scharf ausgeprägt, bei dem linken leicht gehobenen und etwas gespreizten



Fif


14J ähriges Mädchen mit vorgeschobenem Becken.


298


BEWEGUNG.



Fig. 187. I4jährigcs Mädchen mit gehobenem Zwerchfell und eingezogenem Bauch.

Bein ist die Falte fast verstriclien und die Rundung des Gesäßes geht gleichmäßiger in die des Oberschenkels über.


BEWEGUNG.


299



Fig. i88. i4Jähriges Mädchen mit gestrecktem Rücken und eingezogenem Bauch im Profil.

Bei Stärkerer Beugung bildet das Gesäß mit dem Oberschenkel zusammen eine gleichmäßig gewölbte Masse, während vorn in der


300 BEWEGUNG.

Leistenlinie der Oberschenkel scharf v-om Bauch abgesetzt ist. Die Streckung der Beine beeinflußt demnach die Gestalt des Rumpfes in gleicher A\'else ^vie das Zurückziehen der Schultern und das Heben der Arme. An der vorderen Rumpffläche wird die Haut stärker gespannt, an der hinteren Fläche wird das Relief stärker aus- geprägt und abgerundet. Deshalb heben gestreckte Beine die Schön- heit eines gutgebauten Körpers am vorteilhaftesten hervor, und sind im Stande, geringere Mängel in der Elastizität der Haut zu ver- bergen.

Jedoch ist der Einfluß der Beine auf die Gestaltung des Rumpfes ein viel geringerer als der der Arme, weil sie weniger innig mit ihm verbunden sind und ihre schärfer abgeschlossenen Muskel- gruppen haben.

Abgesehen von dem mittelbaren Einfluß der bewegten Ghed- maßen ist die Oberfläche des Rumpfes verschiedenen Gestaltsverände- rungen unterworfen, die teils auf einfacher Verschiebung des Schwer- punkts, teils auf der Wirkung der Rumpfmuskeln beruhen.

Zunächst wird die Lunge bei jedem Einatmen ausgedehnt, beim Ausatmen fällt sie zusammen. Dementsprechend dehnt sich der ela- stische Brustkorb und wird breiter und kürzer bei gefüllter, schmäler und länger bei entleerter Lunge.

Die Atembewegungen abgerechnet, bildet der elastische Brustkorb mit der Brustwirbelsäule ein Ganzes, das durch die sehr bewegliche Lendenwirbelsäule mit dem als Grundlage dienenden unbeweglichen Becken verbunden ist.

Bei Bewegungen des Rumpfes handelt es sich demnach im wesent- lichen um Heben und Senken, Zurseitebeugen und Drehen des Brust- korbs als Ganzes auf der bewegflchen Wirbelsäule, und um seine Verschiebung gegen das unbewegliche Becken.

Bei jeder Bewegung des Körpers ist der Rumpf bestrebt, die Gleichgewichtslage wiederherzustellen, wobei er größtenteils dem Gesetz der Schwere folgt und die Muskeln nur wenig in Anspruch nimmt. Das Ausstrecken der Arme genügt , um das schwankende Gleichgewicht des Rumpfes wiederherzustellen.

Durch einfaches Hintenübersinkenlassen des Oberkörpers, wobei allerdings die Muskeln auch mitwirken, um das Gleichgewicht zu


BEWEGUNG.


301


erhalten, kann die Vorderfläche des Rumpfes in gleicher Weise wie durch die Streckung der Ghedmaßen gespannt werden.

Fig. i86 zeigt eine derartige Stellung bei einem Mädchen von 14 Jahren.

Durch das Vorschieben des Beckens, das Hintenübersinken des Oberkörpers wird bei ihr der weibhche Geschlechtscharakter erhöht, da das Becken dadurch viel breiter und aus- gebildeter erscheint. Die Brüste sind nach oben und seitlich gehoben. Die Spannung der Haut über dem Bauch und der Brust ist erhöht.

Eine weitere Veränderung der vorderen Rumpffläche im Sinne erhöhter Spannung tritt ein, wenn bei hochgehobenem Zwerch- fell die Bauchmuskeln gespannt werden. Da- durch wird ein Teil der Baucheingeweide nach oben unter den Brustkorb verlagert, der Bauch erscheint namenthch in seiner oberen Hälfte flach und eingezogen.

Fig. 187 verdeutlicht diese Gestaltung an dem schlanken Körper eines anderen I4iäh- rigen Mädchens.

Im Profil (Fig. 188) tritt die Wirkung der Muskeln besonders gut hervor. Durch die Einziehung der Magengegend ist der Um- riß des Unterleibs schärfer gegen den Brust- umfang abgesetzt, die Wellenlinie des Rumpf- profils ist bewegter und ausgesprochener. Wo die Muskelwirkung erschlafft ist, w^ie bei abgemagerten oder verschnürten Personen, hängt unterhalb des Magens der Unterleib als schlaff"er Sack herab.

Die Streckung und Beugung des Rumpfes wird außer der Gleichgewichtsverschiebung durch bestimmte Muskelgruppen bewerk- stelligt. Die wichtigsten Strecker bilden zusammen die Gruppe der langen Rückenmuskeln . die wichtigsten Beuger setzen sich aus der



Fig. 189. Sctiema der

wichtigsten Muskelgruppen

des Rumpfes.


302


BEWEGUNG.


Gruppe der Bauchmuskeln und aus der Psoasgruppe zusammen. Letztere steigt in der Tiefe des Beckens vom vorderen unteren Teil der Wirbelsäule zum Oberschenkel in kräftigen Bündeln herab, vs^elche beim Tiere zusammen das Filet bilden. Je nach der Lage des Schwer-



Fig. 190. Knickungsfurchen bei Streckung.

punkts kann sie den Rumpf zum Beine oder das Bein zum Rumpfe heranziehen. Bei fixiertem Bein trägt sie demnach zur Beugung des Rumpfes bei. Diese beiden Beugergruppen werden durch die Wirkung der zwischen ihnen ausgespannten Zwerchfellmuskeln unterstützt und zueinander in Beziehung gebracht.

Fig. 189 zeigt grob schematisch das Verhältnis dieser vier Gruppen zum Rumpfskelett.


BEWEGUNG.


303


H und F entsprechen den Punkten, wo Arme und Beine im Schulter- und Hüftgelenk in den Rumpf einlenken. TJi ist der als Ganzes dargestellte Brustkorb, welcher auf der hohen, in verschiedenen Scharnieren beweglichen Lendenwirbelsäule über dem Becken {P^



Fig. 191. Knickungsfurchen bei Beugung.


balanciert. Hinten verbindet die Streckergruppe (i) P und Th, und gibt mächtige Bündel auch zur Schulter hin ab.

Vorn setzen sich die Bauchmuskeln (2) am Brustkorb an und verbinden ihn mit dem Schambein.

Denkt man sich das Becken feststehend, so wird eine wechselnde Wirkung der beiden Gruppen den unteren Brustkorbrand vorn im Sinne der Rumpfachse dem Becken nähern und von ihm entfernen.


304 BEWEGUNG.

Werden beide Gruppen zugleich gespannt, so erhalten sie den Brust- korb über der Lendenwirbelsäule im Gleichgewicht. Hierbei wird die schwcächere Gruppe (2) durch die Psoasgruppe (3) den Rücken- muskeln gegenüber verstärkt.

Nun folgt aber der Rumpf bei Bewegungen in erster Linie dem Gesetz der Schwere.

Die Beugung des Rumpfes wird deshalb nicht nur durch An- spannung der Beugemuskeln bewirkt, sondern hauptsächlich durch Vornübersenken der Rumpflast.

Die Zusammenziehung der Beuger findet sich nur im Anfang der Bewegung; des weiteren folgt der Körper dem Gesetz der Schwere, und die Bewegung wird durch allmähliches Erschlaffen der Strecker ausgeglichen und fortgesetzt.

Umgekehrt wirken bei der Streckung die Gruppen der Beuger als Hemmschuh.

Bei Streckung des Rumpfes im Sinne seiner Achse spannt sich die Haut der vorderen Rumpffläche, während sie sich auf dem Rücken zusammenschiebt.

Bei stärkerer Streckung bilden sich zwischen diesen Hautwülsten zwei Knickungs furchen, die Taillenknickung und die Lendenknickung (Fig. 190, 7" und /^), zu denen sich bei fett- reicher und wenig elastischer Haut eine zweite, akzessorische Lenden- knickung unterhalb hinzugesellt.

Der Rücken wird hohler im Kreuz, die Bauchfläche stark ge- wölbt und gedehnt.

Bei Beugung des Rumpfes wird die Haut am Rücken gespannt, das hohle Kreuz gleicht sich aus, der Rücken wölbt sich nach hinten vor und läßt bei mageren Personen in der Mittellinie die Rückgrats- dornen erkennen.

An der Bauchseite bildet sich erst zwischen Brustkorb und Nabel eine Knickungsfurche, die vordere Taillenknickung aus, der sich bei stärkerer Beugung eine der Brückeschen Beckenlinie entsprechende Unterleibsknickung (Fig. 191, 7" und 6') hinzugesellt. Bei stärkerer Fettbildung oder weniger elastischer Haut kommt eine Falte unter den Brüsten und je eine akzessorische etwas höher liegende Taillen- und Unterleibsknickung hinzu. Die akzessorische Unterleibsknickung ent-


STRECKUNG.


305


spricht der Richerschen Bauch- linie.

In den Figuren 190 und 191 sind die Stellen der akzes- sorischen Knickungen durch feinere Linien angedeutet.

Streckung des Rumpfes.

Die Figuren 192, 193 und 194 zeigen den Einfluß der Streckung des Rumpfes am lebenden Modell.

Bei einem iSjährigen Mäd- chen aus Böhmen mit sehr regelmäßig gebildetem Körper (Fig. 192) ist die leichte Strek- kung des Rumpfes durch Hin- tenüberziehen des Brustkorbs und Spannung der Rücken- muskeln bedingt. Eine Ver- gleichung mit Fig. 138 genügt, um zu beurteilen, wie dadurch allein schon die Umrißlinie des Rumpfes verändert wird: das Kreuz wird hohler und setzt sich in stärkerem Winkel vom Brustkorb ab, der Bauch wird gespannt, der untere Rand des Brustkorbs steht vorn höher, die Brüste sind gehoben und setzen sich an ihrer unteren Fläche weniger scharf ab. An der rechten Seite ist die Wir- kungder Streckungerhöht durch das Heben des Arms. Dadurch



Fig. 192. Streckung der Wirbelsäule. Böhmin von i8 Jahren. (Aufnahme von O. Schmidt.)


Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers.


306


BEWEGUNG.



Fig. 193. Streckung bei Fußspitzenstand. (Phot. von Dühren, Berlin.)


wird die rechte Brust abge- flacht und noch stärker ge- hoben.

In Fig. 193 ist ein nicht ganz fehlerfreies Modell, mit schlaffen Brüsten und leicht rhachitischer Verkürzung der Beine, zur Darstellung ge- bracht. Die Streckung ist hier verstärkt durch weiteres Hin- tenübersinken des Brustkorbs, durch Hochheben und Strek- ken der Arme und völlige Streckung der Beine im Fuß- spitzenstand. Hier erscheint das Kreuz noch hohler, der Unterleib noch flacher und der Fehler in der Bildung der Brüste durch die starke Span- nung einigermaßen ausge- ghchen; nur die stärkere Wöl- bung der unteren Hälfte läßt trotz der vorteilhaften Stellung erkennen, daß das Modell eine hängende Brust hat.

Das höchste Maß der Strek- kung ist bei einem 23jährigen Mädchen mit ziemHch guten Körperformen (Fig. 194, Vor- deransicht Fig. 80) erreicht. In dieser Stellung sind selbst- verständlich die Rückenmus- keln ganz außer Wirkung ge- treten. Der Oberkörper folgt der eigenen Schwere und wird vorn nur durch die starke


STRECKUNG.


307


Spannung der Bauchmuskeln festgehalten und durch Vorschieben des Beckens ins Gleichgewicht zu dem Stützpunkt an der Fußsohle ge- bracht. Durch Streckung der Arme ist die Gleichgewichtslage und



Fig. 194. 23jähriges Mädchen in äußerster Streckung des Rumpfes.

die Spannung der vorderen Rumpffläche erhöht. Die Brüste sind völlig abgeflacht und stark nach oben gezogen. Im Kreuz sind die Taillen- und Lendenknickungen erkenntlich.

Der Einfluß der Streckung des Rumpfes auf die Körperschönheit läßt sich dahin zusammenfassen: Streckung des Rumpfes erhöht


308 BEWEGUNG.

die Schönheit der Körperformen, die Haut wird gespannt, der Unterleib flach, der Brustkorb stärker gewölbt, die Brüste sind praller und stehen höher, das Kreuz wird hohler. Geringere Fehler des Körpers können durch die Streckung ausgeglichen werden. Bei stärkerer Streckung bilden sich normalerweise auf dem Rücken zwei quer verlaufende Falten. Der günstige Einfluß ist umso größer, je kräftiger die Muskulatur und je elastischer die Haut ist.

Beugung des Rumpfes.

Wenn man den gerade auf dem Rücken ausgestreckten Körper erheben will, so sind es hauptsächlich zwei Muskelgruppen, die durch gemeinschaftliche Wirkung die liegende in eine sitzende Stellung verwandeln. Das sind die Muskeln der vorderen Bauchwand, welche den Brustkorb an das Becken heranziehen, und die Psoasgruppe, welche den Rumpf zum Bein heranzieht.

In aufrechter Stellung dagegen tritt die Wirkung dieser Muskel- gruppen in den Hintergrund, da der Rumpf bei der Beugung in der Hauptsache dem Gesetz der Schwere folgt. Sein Vornübersinken wird reguliert durch allmähUches Erschlaffen der langen Rückenmuskeln und entsprechenden Zug der Psoasgruppe; die Hauptarbeit aber ver- richtet sein eigenes, nach vorn ziehendes Gewicht.

Die verschiedenen Stufen der Beugung des Rumpfes zeigen die Figuren 195 — 198 an lebenden Modellen.

Die erste Veränderung, die der Rumpf bei Beugung nach vorn erleidet, ist, daß das Profil der Lendenkrümmung sich mehr und mehr abflacht und das hohle Kreuz zunächst in eine gerade Linie, schließlich in einen nach hinten sich vorwölbenden Bogen übergeht.

Fig. 195 zeigt das erste Stadium bei einem gutgebauten Mädchen von 20 Jahren.

Wird der Rumpf stärker gebeugt, so bildet sich bei gewölbtem Rücken eine Knickung an der vorderen Bauchfläche, etwas oberhalb des Nabels und unterhalb des vorderen unteren Rippenrandes.

Die »Taillenknickung« findet sich in der Beugung naturgemäß auch an Körpern jugendlicher, magerer Menschen mit elastischer


BEUGUNG. 309

Haut, und ist auch in der klassischen Kunst, so unter anderen an der kauernden Aphrodite im Vatikan, wiedergegeben worden.

Dieses zweite Stadium der Beugung, die Wölbung des Rückens nebst der Taillenknickung, findet sich bei Fig. 196 am normalen Körper einer iSjährigen Wienerin.



Fig. 195. Beugung des Rumpfes, erstes Stadium. Oesterreicherin von 20 Jahren. (Aufnahme von O. Schmidt-Wien.)

Im dritten Stadium tritt an der vorderen Bauchwand die »Unterleibsknickung« auf, die, zwischen Unterleib und Scham- berg verlaufend, sich nach den Leisten hin verliert. Auch diese ist normal und findet sich regelmäßig. In diesem Stadium tritt der Bauch zwischen beiden Knickungen stärker hervor, und zwar am kräftigsten mit der fettreichen, stärker ausgepolsterten Nabelgegend,

Diese Stufe der Beugung zeigt sich an dem übrigens gut gebauten,


310


BEWEGUNG.


aber etwas schlaffen Körper einer 2oiährigen Münchenerin (Fig. 197), welche von Estinger als Freilichtstudie aufgenommen wurde.



Fig. 196. Beugung des Rumpfes, zweites Stadium.

In der halben Profilstellung ist die stärkere Krümmung des Rückens ersichtlich , vorn zeigt der zierliche Körper die beiden normalen Knickungen gut ausgeprägt, daneben aber auch Andeutungen weiterer Faltenbildungen.


BEUGUNG.


311


Das höchste Stadium der Beugung bietet der geschmeidige Körper einer jungen Italienerin (Fig. 198). Die Beugung ist so stark, daß



Fig. 197. Beugung des Rumpfes, drittes Stadium.

die Brüste auf den Oberschenkeln ruhen und das Kinn aut den Knieen.


312


BEWEGUNG.


Abgesehen davon, daß die Leistenfalte zwischen Rumpf und empor- gezogenem Bein vertieft und verlängert ist, lassen sich trotz der stärksten Beugung nur die zwei normalen Knickungen, die Taillen- knickung und die Unterleibsknickung, erkennen.

Die gute Form des gebeugten Körpers beruht demnach in erster Linie auf der elastischen Spannung der Haut, auf der guten Ent- wicklung der Muskulatur und der Festigkeit der Verbindung zwischen



Fig. 198. Höchstes Stadium der Beugung des Rumpfes. Italienerin von 20 Jahren.

(Aufnahme von Plüschow.)

Haut und Unterlage. Jedoch stellt die gebeugte Haltung durch die dadurch verursachte größere Spannung viel höhere Ansprüche an die erwähnten guten Eigenschaften der Konstitution. Ein etwas zu starker Fettansatz, ein geringer Nachlaß in der elastischen Spannung von Haut und Muskeln genügt, die Formen in der Beugung zu ver- derben, und gar manche Frau, die bei gestrecktem Körper leidlich gut aussieht, wird in der Beugung gezwungen sein, zahlreiche Fehler zu enthüllen. In erster Linie werden es hier wieder die Verwüstun- gen sein, die der Mißbrauch des Korsetts, das zu starke Schnüren angerichtet hat.

Bei stärkerem Fettansatz ohne entsprechende Entwicklung der


BEUGUNG.


313


Muskulatur tritt über der ersten Taillenknickung eine zweite auf, außerdem wird die untere Begrenzung der volleren Brüste zur Quer- falte ausgezogen.

Zu der ersten Knickung am Unterleib tritt die zweite hinzu, die



Fig. 199. Starke Beugung des Rumpfes bei schlafferer Haut. (Aufnahme von A. Enke.)

dann etwas näher beim Nabel verläuft. Diese akzessorischen Knik- kungen finden sich auch bei schlanken Körpern in starker Beugung, wenn die elastische Spannung der Haut vermindert ist.

In Fig. 199 ist eine junge Süddeutsche in stark gebeugter Hal- tung dargestellt. Der Körper zeigt Spuren einer geringen Abmage- rung. Dadurch ist die Haut weniger elastisch geworden und läßt


314 BEWEGUNG.

in der gewählten Stellung eine zweite, sehr ausgesprochene Taillen- knickung erkennen. Daß es sich im übrigen um einen sehr gut ge- bauten Körper handelt, beweist der gerade Verlauf der Armachsen, die feinen Gelenke und die gute Form der Schulter.

Bei sehr fettleibigen Personen quellen zwischen all diesen Knik- kungen , die zu tiefen Falten geworden sind, die Fettwülste hervor, und schließlich kann durch den stark sich vorwölbenden, über die Leisten herabhängenden Bauch und die darauf ruhenden Hängebrüste jede Beugung unmöglich gemacht werden.

Die Beugung beeinflußt demnach die Körperschön- heit unter allen Umständen in ungünstiger Weise. Selbst ein tadellos gebauter Körper kommt in der Streckung besser zur Geltung; alle Fehler, verursacht durch zu starkes Fett- polster, mangelnde Elastizität der Haut und schlaffe Mus- kulatur, werden durch die Beugung erhöht und deutlicher gemacht.

Es kann deshalb als ein Zeichen hoher körperlicher Vollkommen- heit angesehen werden, wenn ein Körper trotz der Beugung noch gute Formen zeigt. Als ein solches Zeichen kann gelten, wenn trotz stärkerer Beugung nur die zwei normalen Knickungsfurchen an der Vorderfläche des Rumpfes auftreten.

Seitliche Bewegung und Drehung des Rumpfes.

Außer der Streckung und Beugung des ganzen Rumpfes im Sinne der Rumpfachse sind eine ganze Reihe von seitlichen Bewegungen mögUch, die dadurch entstehen, daß die eine Hälfte des Körpers in Streckung, die andere in Beugung versetzt wird, oder aber das Maß der Streckung und Beugung an der einen Seite geringer ist als an der andern. Ferner kann eine Drehung des Brustkorbs um die Rumpfachse bewerkstelligt werden. Eine noch größere Abwechslung erhalten diese Bewegungen durch Verschiebung der Beckenebene, auf welche bereits oben (Fig. 153) hingewiesen wurde.

Ganz allgemein wird durch diese verschiedenartigen Bewegungen das Rehef des Rumpfes in der Weise beeinflußt, daß dessen Spannung an den gestreckten Teilen erhöht, an den gebeugten verringert wird.


DREHUNG.


315


Die Drehung wirkt in querer Richtung, so daß eine Dehnung und Verschiebung der gedrehten Teile senkrecht zur jeweiUgen Lage der Rumpfachse zu stände kommt.

Von den Knickunö^sfalten wird allein die Unterleibsknickung durch



Fig. 200. Seitliche Knickungsfurchen bei Beugung und Drehung.

die vorderen Dornen der Beckenschaufeln seitlich in ihrer Aus- dehnung begrenzt. Sämtliche übrigen Falten können bei seitHcher Beugung und Drehung verschoben werden und ineinander übergehen. Die schon durch die leichte Senkung des Brustkorbes am Becken bei geringerer Elastizität der Haut seitUch auftretenden Hautfaiten


316


BEWEGUNG.


(Fig. 153) sind nichts anderes als die durch die Stellung hervor- gerufene Fortsetzung der hinteren Taillen- und Lendenknickung. Durch seitliche Beugung nebst Rumpfdrehung bedingt, finden

sie sich in Fig. 200 an einem völlig normal gebauten Körper. Bei stärkerer Drehung nach der entgegengesetzten Seite ändert sich der Verlauf dieser beiden Furchen in der Weise, daß sie schräger nach aufwärts verlaufen und mehr der Vorder- fläche des Körpers anliegen; hierbei verliert sich die hintere Taillenknickung mehr und mehr in der vorderen (Fig. 201).

Bei schlaffer Haut und stär- kerem Fettpolster treten neben den normalen auch die fehler- haften akzessorischen Knik- kungen auf. Ein Beispiel hier- für bietet Fig. 202.

Der Rumpf ist auf der rech- ten Seite gestreckt, auf der linken gebeugt, zugleich ist der Brustkorb nach der gebeugten Seite hin gedreht; dadurch ent- stehen Verhältnisse, die an der linken Seite die Knickungen doppelt kräftig erscheinen lassen. Man sieht denn auch außer der übermäßig ausgebildeten Tail- len- und Unterleibsknickung, die vorwiegend auf der linken Seite zum Ausdruck kommen, die akzessorische Taillenknickung, und zwischen beiden Taillenknickungen den vorderen Ausläufer der Lendenknickung.

Alle diese durch Streckung, Beugung und Drehung des Rumpfes



Fig. 201. Dieselben Furchen bei stärkerer Drehung nach der entgegengesetzten Seite.


STAND. 317

und der Gliedmaßen verursachten Veränderungen der Körperober- fläche bilden die Grundlage der mannigfaltigen plastischen Körper- gestaltung in der Ruhe und in der Bewegung.



Fig. 202. Starke und fehlerhafte Knickungen bei Drehung und Beugung hnks.

Die Hauptstellungen am ruhenden Körper sind die aufrechte, die sitzende und die liegende Stellung, Stand, Sitz und Lage, und am bewegten Körper das Gehen und das Laufen.

Schlußfolgerungen für das Knieen, das Hocken, das Gehen aut schiefer Ebene, treppauf, treppab, Heben, Tragen, Schieben, Tanzen u. s. w. ergeben sich von selbst. Eine systematische Ueber- sicht findet sich bei Fritsch und Richer.

I. Stellungen des ruhenden Körpers.

Die aufrechte Stellung.

In aufrechter Stellung hat der Körper das unbewußte Bestreben eine Haltung einzunehmen, bei der mit möglichst geringer Muskel- arbeit das Gleichgewicht bewahrt wird.


318


BEWEGUNG.


Dieses Ziel wird am besten erreicht durch Vorschieben der Beckenpartie, leichtes Vor- beugen des Kopfes und Nach- hintenschieben der Schultern.

Die dadurch hervorgerufene »lässige Haltung« ist die natürliche Form der aufrechten Stellung.

Bei oberflächlicher Betrach- tung macht auch ein gut ge- bauter Körper in dieser Stel- lung einen schlaffen und weniger günstigen Eindruck.

Fig. 203 zeigt die Seitenan- sicht eines lyjährigen, völlig normal gebauten Mädchens mit vollen Formen in läs- siger Haltung. Der Bauch wölbt sich vor, der Rücken scheint rund, die Brüste leicht hängend.

Wird der Körper in auf- rechter Stellung durch An- spannung und Streckung der Rücken-Oberschenkel-undGe- säßmuskeln [mit vorgewölbter Brust und gehobenen Schul- tern im Gleichgewicht erhal- ten, so geht er in die »straffe«  sogenannte militärische

Fig. 203. Lässigerstand. HaltUn<J über.

In der Seitenansicht macht ein Körper in straffer Haltung einen viel vorteilhafteren Eindruck.

Fig. 204 ist nach einem Mädchen angefertigt, das einen keines- wegs fehlerfreien Körper hatte. Das Rückgrat war leicht seitlich ver-



STAND.


319



krümmt, außerdem fanden sich verschiedene Zeichen überstan- denerRhachitis (Fig. 26 u. 27).

Trotzdem scheint dieser nicht ganz einwandfreie Kör- per in straffer Haltung im Profil schöner gebaut zu sein als der normale Körper des in Fig. 203 abgebildeten Mäd- chens in lässiger Haltung.

Demnach kommen durch die straffe Haltung bezw. durch die damit verbundenen Mo- mente der Streckung nicht nur normale Körper am vorteil- haftesten zur Geltung, sondern es können auch Fehler durch diese Stellung in der Seiten- ansicht verdeckt werden.

Die lässige Stellung ist kennzeichnend für den nack- ten Körper. Die natürliche Gleichgewichtslage wird aber durch die Form und das Ge- wicht der Kleider außerordent- lich stark beeinflußt.

In Europa, wo die Frauen den größten Teil ihres Lebens in Kleidern zubringen, findet man nur sehr wenige, welche im Stande sind, entkleidet ihren Körper auf natürliche Weise zu bewegen. Am meisten be- einflußt wird die Körperhaltung durch die Erhöhung der Fersen mit mehr oder weniger hohen Absätzen.

Um auf den Absätzen die Gleichgewichtslage zu erhalten, muß


Fig. 204. Straffer (militärischer) Stand.


320


BEWEGUNG.


die lässige in eine straffe Haltung umgewandelt werden (Fig. 205 und 206). Daß das Tragen von Absätzen, wenn sie nicht zu hoch und zu

schmal sind, keineswegs zu ver- urteilen ist, sondern im Gegen- teil die Schönheit des Körpers, namentlich bei kurzen Beinen, erhöht, habe ich an anderer Stelle bereits besprochen ^).

Hier handelt es sich nur dar- um, daß die Körpergestalt bei der Erhöhung durch Absätze entschieden günstig beeinflußt werden kann; schöngebaute Frauen mit langen geraden Beinen können sie aber ent- behren.

Eine Abart der natürlichen lässigen Haltung ist die Gleich- gewichtslage, bei der die Becken- partie nach hinten, die Schul- tern nach vorn gebracht wer- den. Es ist dies die typische Haltung vieler Aphroditesta- tuen , besonders ausgeprägt findet sie sich in der Medicei- schen Venus.

Hierbei ist jedoch eine An- spannung der langen Rücken- muskeln nötig, um das Vorn- übersinken des leicht gebeugten Körpers zu verhüten.

Man nimmt allgemein an, daß die Haltung der Mediceerin die für die Schamhaftigkeit ^) typisch



Fig. 205. Fig. 206.

Fig. 205. Lässige Haltung auf ganzer Sohle. Fig. 206. Straffe Haltung bei erhöhter Ferse.


^) Vgl. Frauenkleidung, 3. Auflage. F. Enke, 1904.

^) Vgl. Havelock Ellis, Geschlechtstrieb und Schamgefühl, deutsch von Kötscher. 1900. Stratz, Frauenkleidung, 3. Auflage, 1904.


STAND. 321

ist. Das ist jedoch nicht richtig: Wenn eine an Kleidung gewöhnte Frau nackt überrascht wird, nimmt sie eine andere Stellung ein. Der Rumpf wird leicht nach vorn gebeugt, die Schultern emporgezogen und beide Arme über den Brüsten gekreuzt. Die Schamteile werden durch Uebereinanderschieben der Oberschenkel möglichst verborgen. Das ist die natürliche Haltung, die das Schamgefühl ausdrückt. Die durch die Kunst geheiligte Darstellung der Aphrodite ist meiner An- sicht nach eine Vermischung dieser natürlichen Haltung mit der ursprünglichen Auffassung, wobei die Göttin mit den Händen auf die Brust und die Geschlechtsteile als Symbole der Fruchtbarkeit hinwies. Für den Künstler ist die Göttin mehr und mehr zum Weibe geworden, denn daß eine Göttin der Schönheit sich ihres nackten Körpers schämt, ist undenkbar.

In der Ansicht von vorn ist die gestreckte, aufrechte Haltung die bereits oben (Fig. 81} erwähnte symmetrische aufrechte Körperstellung.

Diese in der neueren Kunst häutiger als früher benutzte Stellung macht die strengsten Anforderungen an normale Verhältnisse. Mit einem Blicke läßt sich die geringste Asymmetrie erkennen, und nur ein vollendet schöner Körper kann in dieser Stellung einen guten Eindruck machen. Jedoch ist sie die Grundlage, aus der sich die übrigen aufrechten Stellungen entwickeln lassen.

Bei dieser Stellung (Fig. 207) steht die Rumpfachse (ab) senk- recht zu den Verbindungslinien der Schulter- und Hüftgelenke, die sie beide in der Mitte schneidet; die Beinachsen laufen nahezu parallel zur Rumpfachse, und das Körpergewicht ist auf beide Beine gleichmäßig verteilt.

Im Gegensatz zu andern, mehr oder weniger bewegten, sogenannten »künstlerischen Stellungen« wird diese symmetrische Haltung als »anthropologische Stellung« bezeichnet. In der Tat ent- spricht sie ja auch dem wissenschaftlichen Zwecke am besten, da sie körperliche Fehler am wenigsten verbirgt und einen raschen Ueber- blick über die Proportionen und die Vergleichung beider Körper- hälften miteinander gestattet.

Daß sie aber trotzdem auch in der Kunst angewandt wird, be- weist u. a. Fig. 18, die Salambo von Paul Breton.

St ratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers, 2 1


322


BEWEGUNG.


Fig. 208 zeigt ein 20jähriges, sehr gleichmäßig entwickeltes Mädchen in dieser Stellung. Abgesehen von der Drehung des Kopfes und dem rechts etwas stärker gehobenen Arm steht der Körper sym- metrisch.

Dank dieser Stellung erkennt man so- fort eine leichte Einwärtsknickung der Kniee, welche durch eine noch so geringe Abänderung der Beinhaltung verdeckt wer- den würde. Ein Körper, der in dieser Stellung völlig tadellos erscheint, gehört zu den größten Seltenheiten.

Als wichtigste Vorbedingung der Schön- heit in dieser Stellung sind völlig gerade, gut gebildete und lange Beine anzusehen. Das objektive Zeichen hierfür bilden außer der geraden Achse, welche nach Mikulicz bestimmt werden kann, die vier Berüh- rungspunkte der Beine in der Mitte der Oberschenkel, an den Knieen, Waden und Knöcheln.

Der Umstand, daß in Fig. 208 die Beine sich zwar in der ganzen Ausdehnung der Oberschenkel, sowie an den Waden und Knieen, dagegen nicht an den Knö- cheln berühren, genügt, um einen, wenn auch leichten Fehler in der Ausgestaltung der Beine zu erkennen.

Durch Senken der einen Hüfte und seitliche Verschiebung der anderen ent- steht aus der symmetrischen Stellung die sogenannte »Hüftstel- lung«, die »Position hanchee« der Franzosen. Hierbei wird die Gleichgewichtslage in der Weise verschoben, daß das Hauptgewicht des Körpers von dem Bein der jeweils höher stehenden Hüfte ge- tragen wird, vom sogenannten Standbein, dessen Achse nun schief



Fig. 207. Schema der symme trischen Stellung.


STAND.


323


nach außen verläuft. Durch Krümmung der Wirbelsäule nach der Seite des Stand- beins hin wird die Gleichgewichtslage des Rumpfes ausge- glichen.

Das der anderen Hütte entsprechende Bein, das sogenannte

Spielbein, ist durch die Senkung

des Hüftgelenks künstlich verlängert worden. Diese Ver- längerung wird aus- geglichen durch eine Beugung in der Hüfte und im Knie oder durch Auswärtsstel- len des Fußes.

Richer unter- scheidet zwei Abarten der Position hanchee (Fig. 209).

Bei der einen (Hnks) verläuft die Rumpfachse (ab) pa- rallel zur Achse des Standbeins (c d), bei der anderen (rechts) schneidet sich die Verlängerung der Rumpfachse (a b) mit derjenigen des Stand- beines (cd).

Im ersteren Falle muß zur Erhaltung des Gleichgewichts der



Fig. 208. 20jähriges Mädchen in symmetrischer Stellung.


324


BEWEGUNG.


Oberkörper viel stärker nach der Seite des Standbeins lierübergebeugt werden. Im Grunde genommen sind beide Stellungen nur ver-



d d

Fig. 209. Schema der Hüftstellung nach Richer.

schiedene Phasen der Hüftstellung. Wenn wir in einen völlig normal gebauten Körper in leichter Hüftstellung die Achsen in der Weise hineinkonstruieren, daß die Beugung der Lendenwirbelsäule


STAND.


325


berücksichtigt ist (Fig. 210), so erhalten wir eine Stellung, die der ersten position hanchee von Richer entspricht. Wir sehen aber zu-



Fig. 210. Schema einer 20jährigen Rheinländerin in HüftsteHung.

gleich, daß hierbei nur der obere Teil der Rumpfachse mit der Achse des Standbeins parallel verläuft , wahrend der untere Teil die Bein- achse schneidet.

Denken wir uns nun, daß das Mädchen sich in dieser Stellung


326


BEWEGUNG.


in den Hüften wiegt, so wird dabei die rechte Hüfte abweciiselnd seit- lich und nach der Mit- telHnie bewegt, wobei zugleich die entspre- chende Beinachse mehr oder weniger schräg zum Boden verläuft. Die Gleichgewichtslage des Oberkörpers wird durch entsprechende geringere oder stärkere Beugung der Lenden- wirbelsäule ausge- glichen. Je weiter die Hüfte seitlich ausweicht, desto stärker nähert sich der Körper der zweiten Stellung von Richer, je mehr die Hüfte des Standbeins der Mittel- linie genähert wird, desto mehr entspricht sie der ersten Stellung. Die Körperform wird durch die Hüftstellung in der Weise beeinflußt, daß die dem Standbein entsprechende Körper- hälfte in Beugung, die

entgegengesetzte in Streckung kommt.

Fig. 211. Mädchen in Hüftslellung mit zum Standbein Da in dieser Stellung

gleichlaufender Rumpfachse. jj^ Becken- und Hüft-

linie und damit der weibliche Geschlechtscharakter stärker zum Aus-



STAND.


327


druck kommt, so darf diese in der bildenden Kunst so beliebte Stellung als eine vorteilhafte, die Schönheit der Formen erhöhende bezeichnet werden.

Durch größere oder geringere Beugung, durch Drehung des Rumpfes oder seiner Teile, durch Bewegungen der Arme und des Kopfes kann sie ins UnendHche modifiziert werden. Ein sehr häufig vorkommender Fehler beim Weibe, die X-Beine, wird bei geeigneter Anwendung dieser Stellung völlig verdeckt.

Daraus erklärt sich auch die Vorliebe vieler Frauen für einen wiegenden Gang, der im Grunde nichts anderes ist, als eine Ver- schiebung des Körpers aus einer Hüftstellung rechts in eine Hüft- stellung links.

Beispiele von lebenden Mo- dellenfür die zwei von Richer auf- gestellten Formen der Hüftstel- lunggeben dieFiguren2i i U.2I2.

Fig. 21 1 entspricht dem ersten Typus, bei dem die Rumpfachse parallel mit dem Standbein, hier dem linken Bein, verläuft. Dem Standbein entsprechend findet sich an der linken Seite die bereits er- wähnte Vertiefung und stärkere Ausprägung der LeistenHnie.

-Fig. 212 entspricht dem zweiten Typus von Richer, wobei die Rumpfachse sich mit der Achse des Standbeins schneidet, zu welchem



Fig. 2 12. -Mädchen in HülLslellung mit dem

Standbein entgegengesetzter Ruinpfachse.

(Phot. H. Erfurth.)


328


BEWEGUNG.



Fig. 213. Zwei Mädchen von 16 Jahren in Hüftstelhing.

Rückansicht. (Aufnahme von Recknagel.)


hier das rechte Bein geworden ist.

In dieser künst- lerisch ausgeführ- ten Aufnahme von Hugo Erfurth wird hierdurch das zier- liche,eclitweibUche Gepräge des Kör- pers noch beson- ders hervorgeho- ben.

In der Ansicht von hinten ist die Hüftstellung weit weniger geeignet, Fehler zu verber- gen, als in der Vor- deransicht.

Ein treffliches Beispiel der gün- stigen und ungün- stigen Wirkung der Hüftstellung bietet Fig. '213 an zwei 1 6jährigen Mäd- chen.

Bei dem einen Mädchen, das einen völlig normalen Körper hat , ist


durch die kräftige Wölbung der linken Hüft- und BeckenHnie der jugendlich weibhche Geschlechtscharakter in erhöhter Schönheit zum Ausdruck gebracht.

Bei der zweiten bestehen X-Beine, die Haut ist schlaff, der Rücken zu stark gewölbt in der Schultergegend. In dieser Stellung tritt das


SITZ. 329

einwärts gedrehte Knie nocii liäßlicher hervor, über der linken Hüfte hat sich eine scharfe Hautfahe gebildet, die unregelmäßige Krüm- mung des Rückens ist schärfer gezeichnet. Bei der ersten sind die Vorzüge, bei der zweiten die Fehler durch die Stellung stärker aus- geprägt worden.

Nach dem Gesagten lassen sich im allgemeinen die Schlußfolge- rungen ziehen, daß in der Vorderansicht die gestreckte auf- rechte Stellung nur bei vollendet gebautem K örper schön ist, und daß die Hüftstellung die Schönheit des normalen Körpers zu erhöhen, geringe Fehler zu verdecken im Stande ist.

I n d e r S e i t e n a n s i c h t erscheint der Körper stehend umso vorteilhafter, je mehr die Elemente der Streckung über- wiegen. In der Ansicht von hinten werden die höchsten Anforderungen an körperliche Schönheit gestellt.

Die Hauptbedingung für die Schönheit des Körpers im Stand sind aber unter allen Umständen völlig gerade, normal lange und abgerundete Beine mit zarten Gelenken. Wenn die Beine gut gebaut sind, dann erscheint der Körper in der aufrechten Stellung am schönsten und vorteilhaftesten, und zwar eben- sogut von vorn wie von hinten und von der Seite, umso besser aber, je mehr in der jeweils gewählten Stellung die Momente der Streckung überwiegen.

Die sitzende Stellung.

Bei der sitzenden Stellung ist eine Beugung der Oberschenkel zum Rumpfe unerläßliche Vorbedingung. Dabei kann der Rumpf sich in den verschiedensten Stadien der Streckung, Beugung und Drehung befinden. Da durch die Beugung der Oberschenkel die Gesamtlinie des Körpers gebrochen ist, so wird ein schöner Körper in sitzender Stellung niemals so voll seine Vorzüge entfalten können, als in der aufrechten Stellung. Dagegen werden alle Körper mit zu kurzen oder nicht ganz gerade verlaufenden Beinen sitzend viel besser wirken als stehend, weil durch die sitzende Stellung die Ver- gleichung der Längenmaße von Ober- und Unterkörper und die Be- urteilung der Beinachsen dem Auge unmöglich gemacht wird.


330 BEWEGUNG.

Dasselbe gilt natürlich von der knieenden, kauernden, hockenden, reitenden Stellung u. a. m.

Umgekehrt werden wieder Frauen mit sehr langen Beinen und solche mit kurzem Oberleib im Sitz einen sehr viel schlechteren Ein- druck machen als im Stand.

Es ist bekannt, daß auch der bekleidete Körper durch die ge- wählte Stellung stark beeinflußt wird. Da die meisten Frauen zu kurze Beine haben, so sind diejenigen, welche im Sitzen vorteilhafter aussehen, sehr in der Mehrzahl; ganz besonders aber verschönert kurzbeinige Frauen der Sitz auf dem Pferde, wobei die Mängel des Unterkörpers nicht nur durch die gewähke Stellung, sondern auch durch die lange herabwallenden Gewänder verdeckt sind.

Durch die Kleider, besonders durch ein hohes Korsett, ist eine ausgiebige Beugung des Oberkörpers im Sitzen erschwert, ja unmög- lich, so daß für die bekleidete Frau unserer Tage die Sitzstellung durch Beugung der Beine mit Streckung des Rumpfes gekennzeichnet ist. Wird der Körper in der Sitzstellung vorgebeugt, so erweckt er dadurch den Eindruck des »Hängens in den Kleidern« und darum haben die so oft gehörten Ermahnungen von Müttern, doch gerade zu sitzen, ihre ästhetische Berechtigung.

Für den nackten bezw. nicht durch Kleider gestützten und ein- geengten Körper ist dagegen die normale Ruhelage im Sitz mit den verschiedenen Stadien der Beugung des Oberkörpers verbunden.

Den völlig normal gebauten Körper eines 14jährigen amerikani- schen Mädchens mit schwarzen Haaren und schwarzen Augen hat Dr. R. W. Shufeldt in einer mit dem ersten Stadium der Rumpf- beugung kombinierten Sitzsteliung aufgenommen (Tafel V).

Dies Bild zeigt außer seinen technischen Vorzügen und der künst- lerisch abgerundeten Verwertung des Modells, daß die natürliche Schönheit des jugendlichen Körpers auch in der Sitzsteliung nichts von seinen Reizen verliert.

Dank der elastischen Haut sind trotz der Beugung des Rückens keine Knickungsfurchen an der Vorderfläche des Rumpfes aufgetreten, an den jugendhchen Brüsten ist der Einfluß der Beugung durch das Heben der Arme und Schultern ausgeglichen. Der Unterleib zeigt eine stärkere Wölbung, die zum Teil durch die Beugung der Beine,


TÄFBL V.



I4JAHRIGE AMERIKANERIN. (Photographie von Dr. R. A. W. Shufeldt, New York.)


SITZ.


331


zum Teil durch die dem Gesetz der Schwere folgenden, nach unten gedrängten Baucheingeweide bedingt ist.

Der harmonische Eindruck des Gesamtbildes wird erhöht durch die feineVerteilungderMo- mente von Streckung und Beugung aut die beiden Körperhälften : die stärkereBeugung des linken Beins ist ausge- glichen durch stärkere Hebung und Streckung der linken Schulter ; rechts ist die Schulter stärker gesenkt, dafür aber auch das Bein in schwächerer Beugung. Belebt wird die Stellung durch eine von unten nach oben zunehmende Drehung nach vorn : das rechte Bein steht im Profil, das linke zeigt bereits eine leichte Ver- kürzung, der Rumpf ist nach der linken Schul- ter zu in Dreiviertel- protil gestellt und das Gesicht steht beinahe en face. Hier verbindet sich ein tadelloser Kör- per mit der tein empfun- denen und gut berech-



Fig. 214. Sitz bei Beugung des Rumpfes.

Münchener Mädchen von 12 Jahren.

(Aufnahme von Recknagel.)


neten Pose zu einem künstlerisch vollendeten Gesamteindruck. — Die Sitzstellung verbun- den mit dem zweiten Stadium der Beugung, bei der die erste An- deutung der vorderen Taillenknickung auftritt, findet sich bei Fig. 214


332


BEWEGUNG.


an dem jugendlich zarten Körper eines I2iährigen Mädchens. Hier wie bei der 14jährigen Amerikanerin handelt es sich um einen sehr jugend- Hch geschmeidigen Körper mit elastischer Haut, welcher in vollem Maße der Brückeschen Anforderung genügt, in jeder Stellung die natürliche Schönheit zu bewahren. Als schön in unserem Sinne muß



Fig. 215. Sitz iniL ycbcuglL'in Uberkurijcr und gesenkten Armen.

gelten, daß die Momente der Beugung die Gestaltung des Rumpfes in möglichst geringem Maße beeinflussen.

Die Veränderungen der Form des gleichen Körpers in verschie- denen Sitzstellungen zeigen sich in ihren äußersten Extremen bei zwei Aufnahmen von derselben Person (Fig. 215 und 216).


SITZ. 333

Bei diesem ziemlich normal gebauten Mädchen sind am Ober- körper im Sitz auf Fig. 215 alle oben besprochenen Symptome der Beugune: im dritten Stadium anzutreffen. Infolge der etwas schlaffen



Fig. 216. Sitz mit gestrecktem Oberkörper und erhobenen Armen.

Haut hat sich eine doppelte Taillenknickung und die Brustfalte aus- gebildet. In der Streckung mit gehobenen Armen erscheinen die Vorzüge des Rumpfes in vortrefflicher Weise ausgeprägt, namentlich die Brüste von vollendeter Form.

Es geht daraus hervor, daß die sitzende Stellung umso schöner


334


BEWEGUNG.


ist, je gestreckter der Oberkörper dabei gehalten wird. Mit Rücksicht auf das bereits bei Streckung und Beugung Gesagte können wir für



Fig. 217. Mädchen von 13 Jalircii, im Sitz mit gespreiztem Bein.

die sitzende Stellung und ihren Einfluß auf die Körperschönheit feststellen :

Vollendet schöne Körper kommen in sitzender Stellung weniger zu ihrem Recht als in stehender. Bei kurzen oder krummen Beinen mit schönem Rumpf wird der Gesamtein-


LAGE. 335

druck körperlicher Schönheit in der sitzenden Stellung er- höht. Die sitzende Stellung wirkt umso vorteilhafter auf die Körperform, je gestreckter der Oberleib ge- halten wird.

Eine Verbindung der sitzenden Stellung mit stark bewegten Stellungen der Gliedmaßen kann nur bei sehr elastischer Spannung der Haut ohne Nachteil für die Harmonie der Formen ertragen wer- den. Als Beispiel diene ein I3iähriges Mädchen (Fig. 217), deren Stellung der von Klinger für seine Nymphe gewählten entspricht. AehnUche gewagte Stellungen kommen namenthch in letzter Zeit in der Kunst häufiger in Anwendung.

Die liegende Stellung.

Aus der sitzenden in die liegende Stellung sind zahlreiche Ueber- gänge denkbar, die sich von der ersteren hauptsächlich durch ge- ringere Beugung der Beine unterscheiden.

Ein Beispiel ist Fig. 218.

Der Rumpf ist im zweiten Stadium der Beugung; durch Drehung nach links ist die Beugungsfalte an der Taille stärker nach der linken Seite verlegt ; durch Hebung der Arme ist der Charakter der Beugung gemildert, namentlich an der rechten Seite, wo die stärkere Hebung des Armes mit Streckung der rechten oberen Rumpfhälfte zusam- mentrifft. Dagegen hat links wieder die größere Streckung des Beines die Rumpfbeugung ausgeglichen.

Durch das Zusammentreffen dieser Momente erscheint der Körper trotz seiner gefüllten Formen in vorteilhaftem Lichte; ein Senken des rechten Armes würde genügen, den Eindruck zu zerstören.

In der eigentlich liegenden Stellung treten neben den Mo- menten von Streckung, Beugung und Drehung hauptsächlich die Gesetze der Schwerkraft in ihre Rechte. Alle weichen, nicht durch Knochen gestützten Teile sinken nach der jeweils tiefsten Stelle hinab, und zwar umsomehr, je schwerer sie sind, und je weniger sie durch die Elastizität der Haut zurückgehalten werden.

Deshalb erleiden namentlich die weicheren und weniger an das Skelett gebundenen Teile der vorderen Rumpffläche eine Gestalt-


336


BEWEGUNG.


Veränderung, welche umso günstiger wirken muß, je mehr die Richtung der Schwerkraft mit der Richtung der Streckung zusam- menfällt.

In der liegenden Stellung macht sich ferner eine etwa vorhandene



Fi<T. 2iS. Halb sitzende, halb lieeende Stellung;.


Verkürzung der Beine und Arme weniger bemerkbar, weil unser Auge gewöhnt ist in senkrechter Richtung einen Maßstab anzulegen und darum kleinere Längenunterschiede in wagrechter Richtung weit schwieriger, oft überhaupt nicht zu erkennen vermag.

Aus allen diesen Gründen erscheinen so manche weibliche Körper in liegender Stellung schön, welche in aufrechter Stellung zahlreiche


LAGE. 337

Fehler aufweisen. Wie der Stand und der Sitz, so bietet auch die Lage durch die Zusammenstellung der verschiedenen Formen von Streckung und Beugung des Rumpfes und der Gliedmaßen ein sehr wechselndes Bild.

Die denkbar günstigsten Verhältnisse treffen bei schlankem Körper mit elastischer Haut in gestreckter Lage zusammen.

Fig. 219 stellt eine 2oiährige Italienerin in dieser Stellung in der Ansicht von vorn dar.

Die rechte Körperhälfte liegt etwas höher als die linke, infolge- dessen ist der gespannte Bauch rechts mehr abgeflacht als links. Durch die gleichzeitige Streckung der Arme sind die Brüste stark emporgezogen und abgeflacht, jedoch hat sich die linke Brust, dem Gesetze der Schwere folgend, leicht in die Achselhöhle gesenkt und setzt sich an ihrem vorderen Rande deutlich ab. Bei Frauen mit schwachen Brüsten flachen sich diese derart ab, daß man nur an der etwas stärkeren Füllung der Achselhöhle ihre Anwesenheit erkennen kann. Diese Stellung macht demnach den Gesamteindruck des Frauen- rumpfes jugendlicher und nähert ihn, bei weniger entwickelten Brüsten, den Formen des Kindes.

Fig. 220 zeigt ein sächsisches Mädchen, das O. Erfurth in Dresden aufgenommen hat.

Hier ist der Körper in Seitenlage mit Ueberwiegen der Beugungs- momente gebracht. Beide Beine sind an den Rumpf herangezogen, der rechte Arm ist gesenkt, und nur der linke in der Schulter ge- hoben. Dadurch ist auch die linke Brust gehoben und gespannt und erscheint flacher und höher angesetzt. Hier vereinigt sich aber die Spannungsrichtung mit der Richtung des Schwerpunkts, um der Brust ihre gute Form zu erhalten. An der rechten, kaum merklich dem Gesetz der Schwere folgenden, jugendlich gerundeten Brust läßt sich übrigens erkennen, daß der Körper elastisch und gut gebaut ist, ebenso auch an der nur geringen Vorwölbung der Hnken, nach unten liegen- den Bauchhälfte.

Bei Vergleichung beider Figuren ergibt sich, daß die Hauptver- änderungen des vorderen Körperreliefs, die durch die liegende Stellung, unabhängig von der Streckung und Beugung, bedingt werden, in einer Abflachung und Senkung der weicheren Teile nach der

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers. 22



o ^

> b




342 BEWEGUNG.

abschüssigen Seite des Körpers hin bestehen. Demnach erscheinen Unterleib und Brüste flacher. Außerdem treten die Brüste höher zu der Achselhöhle, und ihre untere Kontur verstreicht gegen den Brust- korb hin.

Aus diesem Grunde läßt sich sogar ein ziemlich stark entwickelter



Fig. 223. Gebeugte Lage in Vorderansicht bei fehlerhaftem Körper.

Grad von Hängebrust und ebenso ein Hängebauch durch die Ein- nahme einer liegenden Stellung verbergen.

Da die Gestaltung des Rückens durch das kräftig entwickelte Skelett gestützt und in allen Stellungen wenig durch die Schwere der Weichteile beeinflußt wird, so sind an ihm die Formverände- rungen in liegender Stellung lange nicht so groß als an Brust und Bauch.

Fig. 221 zeigt den Rücken einer dreizehnjährigen Italienerin mit schlankem Körper, praller Haut und guter Muskulatur in gestreckter Lage.

Der gute Bau dieses Körpers vereinigt sich mit den günstigen


LAGE.


343


Momenten der Streckung, um dessen Schönheit möglichst vorteilhaft hervorzuheben. Es ist ein in allen seinen Teilen weicher und sehr kräftiger Körperumriß; namenthch ist die Form der Hinterbacken trotz ihres geringen Umfangs sehr schön ausgeprägt und in keiner Weise abgeplattet.

Fig. 222 stellt den Rücken einer jungen Oesterreicherin mit etwas volleren Formen in gebeugter Lage dar. Auch hier ist die Gestal- tung nur wenig beeinflußt, das Gesäß nur insoweit, als es normaler-



Fig. 224. Gebeugte Lage in Rückansicht bei fehlerhaftem Körper.


weise durch die Beugung der Oberschenkel verändert wird. Da- durch, daß die rechte Körperhälfte gerade auf der Unterlage ruht, kommt die weibliche Rundung des Beckens im Umriß der oberen linken Seite doppelt stark zur Geltung.

Alle bisher gegebenen Beispiele zeichneten sich durch eine ela- stische, pralle Haut und jugendliche Fülle der Formen aus, wodurch der Einfluß der Lage auf die Körpergestaltung nur wenig zur Gel- tung kommt.

Schlaff"e Haut, stärkerer Fettansatz, voflere Formen, schwächere Muskulatur sind aber dazu angetan, den Einfluß der Schwere stärker sprechen zu lassen.


344 BEWEGUNG.

Fig. 223 zeigt eine junge Oesterreiclierin mit volleren Formen und geringerer Elastizität der Haut in halb gebeugter Seitenlage mit leichter Drehung nach links.

Der Charakter der Beugung ist durch die Senkung der Arme noch erhöht.

Die Hauptmasse des Unterleibs ist, seiner Schwere folgend, nach rechts, die Brüste sind nach beiden Seiten und nach unten gesunken, die linke hat infolge der stärkeren Beugung und Verschiebung des Armes eine Falte an ihrem unteren Umfang gebildet. In diesem Falle würde selbst nicht, wie bei Fig. 218, das Heben des Armes ge- nügen, um der Brust eine gute Form zu geben, weil infolge der Beugung der linken Körperhälfte die Falte unter der Brust doch be- stehen bliebe. Bei einem derartigen Körper treten bei jeder auch noch so geringen Beugung die Fehler hervor.

In der Rückansicht zeigt Fig. 224 ein Mädchen von einer Körper- beschaffenheit, welche die Franzosen »potelee« nennen; alle Formen sind weicher, die Haut ist zwar elastisch, aber sehr verschiebbar, mit starkem Fettpolster versehen und neigt zur Grübchenbildung. Dies zeigt sich im Bilde an der schönen halbmondförmigen Grube auf der rechten Schulter unter dem gespannten Deltamuskel.

Trotz solcher Vorzüge ist dieser Körper weniger vollkommen als bei den beiden Mädchen von Fig. 221 und 222. Die nach unten liegende Hinterbacke ist stärker abgeplattet, die untere Grenze der linken verläuft stärker nach abwärts. Ueber der Hüfte hat sich eine in dieser Stellung fehlerhafte Taillenknickung ausgebildet.

Als Schlußfolgerungen für die Schönheit der Stellungen des Körpers in der Ruhe ergeben sich:

Ein schöner Frauenkörper ist in jeder Stellung schön, umso schöner, je schlanker er ist. Jedoch werden die Vorzüge in der Streckung in allen Stellungen erhöht. Am vorteilhaftesten ist die gestreckte Lage.

Geringe Fehler können durch geeignete Stellungen der- art verdeckt werden, daß der Körper normal erscheint. Bei der Wahl dieser verbessernden Stellungen hat man darauf zu achten, daß die Elemente der Streckung die- jenigen der Beugung überwiegen.


GEHEN. 345

Fehler in den Achsen der Beine können in der Beuge- stellung, in der sitzenden und liegenden Stellung gemil- dert undverdeckt werden, Fehler in der Beinlänge ver- schwinden bei sitzender und liegender Stellung.

Seihst gröbere Fehler des Rumpfes und besonders der Brüste können in der gestreckten Lage ausgeglichen werden.

Daß namentlich in der Malerei, wo die perspektivische Verkürzung besser als in der Plastik in ihre Rechte tritt, die liegende Stellung bei der Darstellung der nackten Frau mit Vorliebe benutzt wird, Hegt wohl nicht zum geringsten Teil in dem Bestreben, durch die gewählte Stellung alle kleinen UnvoUkommenheiten des Modells möglichst zu verdecken und dessen Vorzüge in ein besseres Licht zu stellen.

2. Stellungen des bewegten Körpers.

Im zweiten Abschnitt dieses Buches wurde bereits gesagt, daß die alten Griechen und die Japaner die so schwierig faßbaren Be- wegungen lebender Wesen mit völliger Naturtreue wiederzugeben im Stande waren; bei uns dagegen hat sich im Lauf der Jahrhunderte eine traditionelle Auffassung des Gehens und Laufens in der bildenden Kunst ausgebildet, die mit der Natur völlig im Widerspruch steht. Wenn schon die meisten Künstler trotz ihres geschulten künstlerischen Blickes sich unbewußt der herrschenden Ueberlieferung fügten, so war dies mit der großen Menge der übrigen Menschen in noch viel höherem Maße der Fall. Ohne weiteres wurde die in der bildenden Kunst herrschende Auffassung des Gehens und Laufens ins tägliche Leben übertragen und als wahr angenommen. Erst in der letzten Zeit war es den Ergebnissen der Momentphotographie vorbehalten, den Beweis zu liefern, daß die herrschende Auffassung völlig falsch und nicht naturgemäß ist.

Die photographische Platte zeigt viel schärfer alle Einzelheiten als das flüchtige Auge des Menschen, sie gibt uns außerdem die Möglichkeit, jede Phase eines rasch sich abspielenden Vorgangs im Bilde festzuhalten, länger zu betrachten und zu studieren, und das


346 BEWEGUNG.

Endergebnis dieses Studiums ist, daß alle die bisher in der Kunst dargestellten Bilder gehender und lautender Menschen in Wirklich- keit gar nicht vorkommen, und daß wir, dadurch verleitet, Dinge gesehen zu haben glauben, die in Wirklichkeit nicht bestehen.

Der Einfluß, den die Erkenntnis dieses Irrtums auf uns und auf die zukünftigen Künstler haben kann, wird verschieden beurteilt.

Fritsch sagt, daß unser Auge nicht im stände ist, mehr als eine gewisse Anzahl Bilder, sagen wir neun in der Sekunde, zu erfassen; der photographische Apparat sieht schärfer und rascher. Der Künstler aber, der den Eindruck der Bewegung wiederzugeben bemüht ist, muß an Stelle einzelner aufeinander folgender Phasen einen selbst- geschafFenen, neuen Begriff setzen, der im stände ist, alle empfange- nen Eindrücke zugleich wiederzugeben. Deshalb wird die Darstellung des bewegten Menschen auch in Zukunft eine traditionelle bleiben, höchstens wird die Tradition durch bessere Erkenntnis gereinigt.

Richer ist anderer Ansicht. Er beruft sich auf das Beispiel der alten Griechen, deren Auffassung der natürlichen völlig entsprach, er beruft sich auf das Streben einzelner spcäterer Künstler, die, aller- dings oft vergebens, bemüht waren, in ihren Werken sich der Wahrheit zu nähern, und er ist überzeugt, daß es der Wissenschaft gelingen wird, die Künstler und mit ihnen das Publikum von ihrem Irrtum mehr und mehr zu überzeugen.

Ich neige mich der letzteren Ansicht zu. Die Macht der einmal erkannten Wahrheit übt ihren unbesiegbaren Einfluß, früher oder später; sehen wir ja doch gerade in diesen Jahren, daß die soge- nannte »moderne Richtung« in der bildenden Kunst nichts anderes ist als der unbewußte stets mächtiger werdende Einfluß der schein- bar so naiven, in getreuer Naturbeobachtung aber so unendlich höherstehenden japanischen Kunstbegrifie auf die veralteten europäi- schen, von der Natur abweichenden Traditionen.

Hier handelt es sich aber zunächst nicht um die Darstellung der Bewegung in der Kunst, sondern um diese selbst oder vielmehr um den Einfluß, den die Bewegung auf die Formen des lebenden weib- lichen Körpers ausübt.

Das heutzutage noch leider recht spärliche Material liefert in erster Linie die Momentphotographie.


GEHEN.


347



Richer^) hat in weit ausgiebigerer Weise als Fritsch die Resul- tate wissenschaftlich verwertet. Seine hauptsächlich an nackten Männern gemachten Studien ergeben das Folgende.

Auf Fig. 225 sehen wir die Abdrücke der Fußsohlen bei einem Doppelschritt. Die Richtung des Ganges ist durch eine gerade Linie ab dargestellt; von den sie 7

schneidenden Linien entspricht die kürzere jeweils der Verbindungs- linie derHüftgelenke, die längere der Verbindungslinie der Schulter- gelenke. Bei a ruht der Körper in symmetrischer Lage auf beiden Fuß- sohlen, die Achsen der Schulter- und Hüftgelenke laufen parallel.

Beim ersten Halbschritt wird das rechte Bein vorgeschoben, mit ihm zugleich die rechte Hüfte, die Hüft- achse steht schief, die Schulterachse steht schief in der entgegengesetzten Richtung, weil zur Erhaltung des Gleichgewichts mit der rechten Hüfte unter Drehung des Rumpfes zugleich die linke Schulter vorgeschoben wird. Am Ende dieser Bewegung ruht der Körper auf beiden, schrittlings ge- stellten Füßen.

Nun wird der linke Fuß erhoben, vom Boden abgewickelt und nach vorn geschleudert. Bei erhobenem linken Bein ruht der Körper auf dem rechten Fuß allein, während in diesem Augenblick Schulter- und Hüftachsen wieder parallel laufen. Sobald der linke Fuß auf den Boden aufgesetzt wird, entsteht wieder die erste Schrittstellung in umgekehrtem Verhältnis. Linke Hüfte vorn, rechte Schulter vorn, Ruhen des Körpers auf beiden Sohlen.


Siiltze redjt'S Stutze doppelt

Stütze links Stutze d-oppclt

Stütze recpis Stutze doppelt


Fig. 225. Schema des menschlichen Gansres nach Richer.


^) Physiologie artistique. Doin, 1895.


348 BEWEGUNG.

Das Gehen ist demnach nichts anderes, als ein fortgesetztes Fallen des Körpers aus einer Gleichgewichtslage in die andere, wobei abwechselnd einer oder zwei Stützpunkte benutzt werden; zugleich kreuzen sich jedesmal die Achsen der Becken- und der Schulter- gelenke.

Nun ergibt die Momentphotographie, daß die Phasen des Fallens viel rascher verlaufen, daß dagegen die Ruhepausen auf den wechseln- den Stützpunkten jeweils viel länger dauern und darum auch leichter beobachtet werden können. Richer unterscheidet danach die phases d'appui, unilateral droit, bilateral und unilateral gauche.

Wir haben also die länger dauernden Phasen : Stütze doppelt — Stütze Hnks — Stütze doppelt — Stütze rechts u. s. w. und da- zwischen die kürzer dauernden Phasen des Uebersinkens des Körpers aus einer unterstützten Stellung in die andere.

Bei einiger Uebung kann man sein Auge leicht gewöhnen, sämt- liche Stützphasen bei nicht zu raschem Gange leicht zu erkennen, während die Uebergangsphasen sich mehr der Beobachtung entziehen. Der photographische Apparat dagegen kann alle die verschiedenen Phasen gleich scharf festhalten.

Da nun der Künstler in seiner Darstellung mit dem mensch- lichen Auge allein zu rechnen hat, so ergibt sich daraus, daß für ihn allein die Stützphasen bei der Darstellung des Gehens von Wichtigkeit sein dürfen.

Die Analyse der photographischen Momentbilder hat Richer in seinem Werke vortrefflich dargestellt, jedoch leider nur für den Mann.

Muybridge ^), dem Fritsch einige Tafeln entnommen hat , bildet eine lange Reihe von Momentaufnahmen einer nackten, gehenden Frau ab. Es ist dies, soweit mir bekannt, die einzige derartige Darstellung.

An der Muybridgeschen Serie sind zwei Fehler, die den Wert seiner Beobachtung für unsere Zwecke illusorisch machen. Zunächst hat sein Modell die Gangart eines Mannes; es macht lange, weit- ausgreifende Schritte, wie die Männer Richers, während die Frau in

^) Animal Locomotive. An electrico-photographic Investigation. University of Pennsylvania. Philadelphia 1887.


GEHEN.


349


Wirklichkeit viel kürzere Schritte macht. Außerdem aber ist bei seinen Bildern der Einfluß des Absatzes nicht beachtet.

Um ein richtiges Bild zu bekommen , wie eine Frau wirkHch





d e f

Fig. 226. Schema des weiblichen Ganges (nach Richer).

geht, müßte man sie entweder nackt, aber mit Schuhen gehen lassen, oder bei völliger Nacktheit ein geeignetes Modell sich im Gang auf bloßen Füßen vorher üben lassen; ohne Uebung erscheint dieser ent-


350 BEWEGUNG.

weder ängstlich und zögernd oder plump. Das letztere ist bei Muybridge der Fall.

In Java gehen nicht nur die eingeborenen Frauen, sondern auch die dort lebenden Europäerinnen im Hause auf bloßen Füßen oder in kleinen, goldgestickten Pantoffeln ohne Absätze. Wie man nun in Indien sehen kann, daß neuangekommene Niederländerinnen sich im Anfang etwas unbeholfen ohne Absätze bewegen, so erkennt man umgekehrt in Holland alle Damen, die länger in Indien gelebt haben, namentlich aber die mehr oder weniger mit indischem Blut gemischten sofort an ihrem eigentümlich wiegenden und schleppenden Gang, der dem barfußgehenden Weibe eigen ist.

Vom Gange des Mannes unterscheidet sich der Gang der Frau hauptsächlich dadurch, daß ihre Schritte kürzer, das Vorschieben der Hüfte ausgeprägter, die Stützphasen im Verhältnis zu den Ueber- gangsphasen länger sind, und daß die kompensatorischen Bewegungen des Oberkörpers weniger kräftig durch Bewegung der Arme, mehr jedoch durch Drehung in den Lenden unterstützt werden. Der Gang des Mannes hat mehr einen stoßenden, aktiven, der der Frau einen wiegenden, passiven Charakter; während der Mann das fliehende Gleichgewicht zu erreichen sucht, strebt die Frau danach, das be- stehende zu erhalten.

Dem Richerschen Schema für den männlichen Gang entsprechend sind die verschiedenen Phasen für die Frau in Fig. 226 nachgebildet.

Im Stadium a geht der Körper aus der Stütze links in die Stütze rechts über und befindet sich auch im Stadium b noch in doppelter Stütze, wobei jedoch das Hauptgewicht schon auf der voll dem Boden anliegenden rechten Sohle ruht. Im Stadium c bis e steht der Körper in Stütze rechts, während das linke Bein gehoben und nach vorn geschoben wird. Im Stadium f erhebt sich der rechte Fuß und der linke nähert sich mit erhobener Spitze dem Boden, den er zuerst mit der Ferse berührt. Darauf folgt wieder die doppelte Stütze, welche dem Stadium a mit vorgestelltem linken Fuß entspricht.

Die Veränderungen, die die Form des weiblichen Körpers beim Gehen erleidet, sind nichts anderes als die oben bereits ausführlich besprochenen verschiedenen Momente der Beugung und Streckung. Der Körper kommt aus einer Hüftstellung in die andere, und die


GEHEN.


351


Spreizstellung bei doppelter Stütze ist nur ein kurzer Uebergang aus der

ersten Hüftstellung einer Seite in die zweite Hüftstellung der anderen

Seite, einwiegen in den Hüften. Mit

der Streckung und Beugung verbindet

sich aber auch eine Drehung des

Körpers, da die Schiefstellung der

Hüften durch eine entgegengesetzte

in den Schultern ausgeglichen wird.

Mit der rechten Hüfte wird die linke

Schulter und der linke Arm, mit der

linken Hüfte der rechte Arm nach

vorn geschoben.

Eine vortreffliche Darstellung des weiblichen Ganges zeigt Fig. 227 an dem Körper eines etwa 12jährigen Mädchens, der den Liebreiz des Kindes mit der Anmut der erwa- chenden Jungfrau vereinigt. Die ge- wählte Stellung entspricht dem Sta- dium b des Schemas bei vorgesetztem linken Bein. Der rechte Arm ist dem- entsprechend nach vorn gebracht; der linke Arm holt gewissermaßen leicht nach hinten aus, um das be- vorstehende Vorschieben des rechten Beines durch seine Bew^egung nach vorn zu unterstützen.

Wann ist nun der Körper einer gehenden Frau schön und wann nicht?

Nach dem oben Gesagten kön- nen wir die Schönheit des weiblichen Ganges dahin definieren: Der Gang des Weibes ist schön, wenn er den ausge- sprochen weiblichen, wiegenden Charakter trägt, mit möglichstem Ueberwiegen der Momente der Streckung über die der Beugung.



Fig. 227.


Gehendes Mädchen von 12 Jahren.


352


BEWEGUNG.



Fig. 228. 18jährige Wienerin, gehend, von hinten.


Ein Beispiel für die schöne Ausprägung des Körpers im Gange bietet das Bild des jungen Mädchens in Fig. 227.

Als Beispiel von feh- lerhafter Stellung mö- gen zwei Aufnahmen eines Modells beim Gehen in der Ansicht von hinten dienen (Fig. 228 und 229).

In der ersten Stel- lung (228) ist durch richtige Verteilung von Beugung undStreckung das Ebenmaß der For- men gewahrt, in der zweiten Stellung (229) ist durch Senken des linken Armes, zu starke Ueberdrehung desBrust- korbs nach der Seite des Standbeins eine un- schöne Falte über der hnken Hüfte entstan- den , trotzdem in der Beinstellung der weib- hche Charakter des Ganges völlig gewahrt wurde.


Für die wechselnde Verschiebung der Gesäßfalten beim Gehen in der Ansicht von hinten gilt das gleiche, was bereits für die Hüftstellung gesagt wurde. Die verschiedenen Spielarten des Ganges, auf schiefer Ebene, auf-


GEHEN.


353



wärts, abwärts, das Treppensteigen u. a. stellen die gleichen An- forderungen an die Ge- staltung des Körpers.

Ein gut gebauter Körper wird in jeder Phase der Bewegung schön aussehen, bei

einem fehlerhaften wird sich durch die Bevorzugung der Streckungsmomente der Eindruck vorteil- hafter gestalten lassen.

Am bekleideten Körper übertragen sich die Bewegungen auf den Faltenwurf der Gewandung. Je loser diese ist, desto mehr folgt sie der Bewegung und verrät darum umso leichter etwaige Fehler der Gliedmaßen.

Aus diesem Grunde stellt ein loses Kleid, das in der Ruhe den Körper verbirgt, bei der Bewegung viel höhere Ansprüche an die Schönheit und An- mut seiner Trägerin, als ein modisches Kleid, welches besonders die Bewegungen der Beine dem prüfenden Blick entzieht.


Fig. 229. Dieselbe mit fehlerhafter Haltung.


Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers.


23


354


BEWEGUNG.



Fig. 230. Treppensteigendes Mädchen. Rückansicht.

Bis zu einem gewissen Grade läßt sich aber auch aus dem Gang der bekleideten Frau auf die Vorzüge ihrer Körperbildung schließen.


LAUFEN. 355

Abgesehen von diesen objektiv erkennbaren Vorzügen und Fehlern gibt es gewisse durch die Sitte vorgeschriebene Körperstellangen, die das objektive Urteil beeinflussen.

Bei uns gilt es als schön, daß die Spitzen der Füße beim Gehen nach auswärts gesetzt werden, bei den Japanern ist wieder das Ein- wärtsdrehen der Füße vorgeschrieben.

Die natürliche Haltung dagegen, wie sie bei barfußgehenden Völkern beobachtet werden kann, ist weder einwärts noch auswärts, sondern ein gerades Vorschieben der Füße.

Diese Stellung hat jedoch den Nachteil, daß sie nur bei völlig geraden Beinen einen guten Eindruck macht, weil sie am leichtesten etwaige Fehler in den Beinachsen verrät.

Es gilt von ihr das gleiche, was von der symmetrischen Haltung gesagt wurde, daß nur ein tadelloser Körper in dieser Gangart schön ist, zugleich aber dadurch den Beweis seiner Vorzüge liefert.

Auch für die verschiedenen Nuancen des Gehens kann ein Bei- spiel (Fig. 230) genügen, das ein die Treppe emporsteigendes Mädchen von tadellosem Körperbau vorstellt.

Die linke, durch die Hüftstellung vorgewölbte Beckenpartie, das durch Hintenüberneigen des Oberkörpers noch hohler erscheinende Kreuz, das in der Streckung nach hinten geschobene rechte Bein betonen den weiblichen Geschlechtscharakter und die Abrundung der Formen, während zugleich durch alle diese Momente der Streckung die Vorzüge des Körpers erhöht werden.

Für das Laufen der Frau gelten im allgemeinen die gleichen Gesetze wie für das Gehen. Ihrer Natur nach ist diese Bewegung viel lebhafter, docli kann auch hier der weibliche Charakter in Gegen- satz zum männlichen deutlich zum Ausdruck kommen. Während beim Mann das aktive Vorwärtsstreben in der starken Beugung von Kopf, Brust und Schultern nach vorn zum Ausdruck kommt, ist der der Frau eigentümHche Charakter gekennzeichnet durch Zurückhalten des Oberkörpers bei kräftigerer Vorschiebung in den Hüften. Das Senken des Kopfes erhöht beim Mann den Ausdruck der Kraft, das Zurückneigen des. Hauptes erhöht bei der Frau den Reiz der Bewegimg.

Die Definition des Laufes nach den Ergebnissen der Moment- photographie hat Richer in gleicher Weise, wie das Gehen, mit


356


BEWEGUNG.


points d'appui festgelegt. Er unterscheidet, wie beim Gang, einen »appui unilateral gauche« und »droit«, der »appui bilateral« aber, die doppelte Stütze, wird beim Laufen zur »phase de Suspension«, zur





d e f

Fig. 231. Schema des weiblichen Laufes (nach Richer).

Schwebe. In der beigefügten schematischen Zeichnung (Fig. 231) ist Fig. a die Stütze rechts, in die der Körper aus der Schwebe fällt und aus der er sich in c und d wieder emporschnellt, e und f sind das Stadium der Schwebe, aus dem er dann in die Stütze links überfällt.


HÜPFEN. SPRINGEN. TANZ. 357

Beim Hüpfen und Springen werden die Phasen der Stütze verstärkt und die Schwebe verlängert.

Die verschiedenen Arten des Tanzes sind aus den Bewegungs- stellungen des Gehens, Laufens, Hüpfens und Springens in verschieden- artigster Weise zusammengesetzt, und lassen sich ebenso wie diese auf die mannigfaltigen Elemente der Streckung und Beugung zurück- iühren.

Aus den angeführten Beispielen ergibt sich, daß man auch den bewegten Körper in völlig objektiver Weise beurteilen , daß man auch an ihn einen Maßstab anlegen kann, der, wie bei der Schön- heit in der Ruhe, die Grenzen feststellt, innerhalb deren die zahl- losen Beispiele der Schönheit in der Bewegung, der weiblichen Anmut, zu finden sind.


xvir.

üeberblick der gegebenen Zeichen normaler Körperbildung und deren Verwertung.

Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, den Leser, der bis hierher meinen Erörterungen gefolgt ist, davon zu überzeugen, daß der Be- griff der weiblichen Schönheit nicht ausschließlich Geschmackssache ist, und daß es einzelne unumstößliche Tatsachen gibt, die diesen Begriff ganz unabhängig von der individuellen Auffassung bestimmen. Der Weg ist neu, vieles ist noch dunkel, jedoch bin ich überzeugt, daß sich noch mehr Gesetze werden feststellen lassen, um den all- gemeinen Begriff der Schönheit noch schärfer zu umschreiben. Ab- sichtlich habe ich es auch so viel wie möglich vermieden, anatomische Einzelheiten zu bringen, um durch eine zu große Fülle davon den Gesamteindruck nicht zu verwischen.

Aus den angeführten Tatsachen ergibt sich eine Reihe von Maßen, deren Größe und gegenseitiges Verhältnis durch die Natur unab- änderlich vorgeschrieben ist. Ein Körper, der die geforderten Maße besitzt, ist normal; jedes Abweichen davon ist ein Fehler.

Schwankungen innerhalb der normalen Grenzen bestimmen die Individualität.

Die wichtigsten Maße zur Beurteilung normalen Körperbaus sind:

1. Körperhöhe,

2. halbe Kötperlänge von oben zur Bestimmung der Körpermitte,

3. Kopfhöhe,

4. Nasenschambeinlänge (Modulus von Fritsch},

5. Brustumfang,

6. Schläfenbreite,

7. Schulterbreite,

8. Taillenbreite,


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORIMALER KÖRPERBILDÜNG. 35Q

9. Hüftbreite,

10. Abstand der Brustwarzen,

11. Beckenmaße,

a) vordere Dornbreite,

b) Kammbreite,

c) Schenkelknorrenbreite (Hüftbreite),

d) hintere Dornbreite,

12. Fußlänge.

Zur Verwertung dieser Maße dienen zunächst folgende Glei- chungen:

1. Körperhöhe = 7^/2 — 8 Kopf höhen = 10 Gesichtshöhen = 9 Handlängen = 6 — 7 Fußlängen = 10^3 Untermoduli,

2. Schläfenbreite =^ Gesichtshöhe,

3. Armlänge = 3 Kopf höhen,

4. Beinlänge =: 4 Kopfhöhen = obere Länge bis zum Schritt,

5. Schulterbreite = 2 Kopfhöhen,

^ Brustumfana; X Körperläns;e „.. . , ,

6. ^ ^^ — ■ = Korpergewicht . ks^.

240 ^ ^ °

Das Verhältnis der einzelnen Maße untereinander wird bestimmt durch den jeweiligen Unterschied. Derselbe muß betragen :

I. zwischen Schultern und Hüften mindestens 4 cm,

» Schultern und Taille » 16 »

» Hüften und Taille » 12 »

» Schenkelknorren und Kämmen » -,5 "

)) Kämmen und vorderen Dornen » 3 »

wobei die erstgenannten Abstände jeweils die größeren sind. Als niedrigster Wert für ein bestimmtes Maß fand sich:

1. Abstand der vorderen Dornen 26 cm,

2. » » hinteren » 10 »

3. » » Brustwarzen 20 »

Weitere Verhältnisse sind:

1. Stirnlänge = Nasenlänge = Mund- und Kinnlänge = Ohrlänge,

2. Augenspalte zur Mundspalte zur Gesichtsbreite = 2 : S : y Mit der Nasenscham beinlänge als Modul us lassen sich nach

der Methode von Fritsch die Maße für sämtliche Körperteile kon- struieren. Da diese mit den übrigen Normalmaßen übereinstimmen,


360 VERWERTUNCx DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG.


SO besteht damit eine doppelte Kontrolle zur Beurteilung des unter- suchten Körpers.

Von Winkeln sind zu messen:

1. Winkel des unteren Rippenrandes in der Herzgrube,

2. unterer Winkel des Kreuzdreiecks;

der erste muß beinahe, der zweite genau 90*^ betragen.

Des weiteren ergeben sich aus den bisherigen Betrachtungen eine Reihe von körperlichen Eigenschaften, deren Vorhandensein als Vor- zug, deren Abwesenheit als Fehler aufgefaßt werden muß.

Bei Berücksichtigung der Entwicklung und Vererbung, Ernährung und Lebensweise, sowie krankhafter Einflüsse finden sich gewisse Fehler und Vorzüge, welche in Tabelle I zusammengestellt sind. Es sind dies allgemeine Merkmale menschUcher Gestaltung, welche ohne Unterschied des Geschlechts die normale Form und Schönheit des Körpers bedingen.

Tabelle I. Allgemeine Merkmale.


Vorzüge Symmetrie beider Körperhälften, Tiefer Stand der Körpermitte, Normales Körpergewicht,

Glatte, elastische Haut, Gleichmäßige Muskelentwicklung, Feine Gelenke, Gerade Augenspalten, Gut gewölbte Oberlippe,


Gerade, gleichgestellte Zähne, Gleichmäßige Rundung des Gesichts,

Schmale, gerade Nase, Rundes Kinn und Grübchen, Runde Schultern, Gerade Wirbelsäule, Gleichmäßig gewölbter Brustkorb,


Flacher, runder Leib, Gewölbter Rücken,


Fehler

Asymmetrie beider Körperhälften.

hoher Stand der Körpermitte.

zu großes oder zu kleines Körper- gewicht.

schlaffe, faltige Haut.

ungleichmäßige Muskelentwicklung.

plumpe Gelenke.

schiefe Augenspalten.

stark vorspringende Oberlippe, dicke Oberiippe, zu kurze Oberlippe (Hasenscharte).

schräge, unregelmäßig gestellte Zähne.

vorstehende Backenknochen , vor- springende Kauwerkzeuge.

breite Nase, Stumpfnase, Mopsnase.

Doppelkinn, Hakenkinn.

eckige, stark abfallende Schultern.

Verkrümmung der Wirbelsäule.

flacher Brustkorb, schiefer Brustkorb, Hühnerbrust, Schusterbrust, Trichter- brust.

Spitzbauch, Hängebauch, Froschbauch.

flacher Rücken, runder u. hohler Rücken.


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG, 361


Vorzüge Gerade obere Gliedmaßen,

Runder Ellenbogen, Schmale, lange, kleine Hand, Längerer zweiter Finger, Gebogene lange Nägel, Gerade, lange Beine,

Schmaler, langer Fuß, Gerade große Zehe, Längere zweite Zehe,


Fehler schief angesetzter Unterarm, Vortreten

des Ellenköpfchens, spitzer Ellenbogen, kurze, breite, große Hand, längerer vierter Finger, breite, flache Nägel. kurze Beine, krumme Beine, 0-Beine,

X-Beine, Säbelbeine, plumper, breiter Fuß. nach innen gekrümmte große Zehe, länsere erste Zehe.


. Nach der guten oder schlechten Ausbildung der weiblichen Ge- schlechtscharaktere ergeben sich die in Tabelle II zusammengestellten Vorzüge und Fehler.

Tabelle IL Sekundäre weibliche Geschlechtsmerkmale.

schlecht ausgeprägt: Fehler

plumper Knochenbau.

eckige Formen.

tief angesetzte, sinkende, schlaffe Brüste, Hängebrüste, fehlende Brüste.

schmales Becken.

dünnes, kurzes Haar.

hohe , spitz zulaufende Schamhaar- grenze.

reichliche, lange Achselhaare.

Schnurrbart und starke Körperbehaa- rung.

dicke Haut.

eckiger Schädel.

großes Gesicht.

kleine Augenhöhlen.

niedrige, buschige Augenbrauen.

hoher, breiter Unterkiefer.

scharf abgesetzter Hals mit vor- springendem Unterkiefer.

eckiger Hals mit vorstehendem Kehl- kopf.

plumpes Handgelenk.

breite Hand mit längerem Ringfinger.


gut ausgeprägt: Vorzüge Zierlicher Knochenbau, Runde Formen, Hochgestellte, runde, pralle Brüste,

Breites Becken,

Reiches, langes Haar,

Gerade, niedrige Schamhaargrenze,

Spärliche Achselhaare, Keine Körperbehaarung,

Zarte Haut,

Runder Schädel,

Kleines Gesicht,

Große Augenhöhlen,

Hohe schmale Augenbrauen,

Niedriger, schmaler Unterkiefer,

Weicher Uebergang von Wange zum

Hals, Runder Hals, Collier de Venus,

Feines Handgelenk, Schmale Hand mit längerem Zeige- finger, Runde Schultern,


eckige Schultern.


362 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG.


Vorzüge Gerade, schmale Schlüsselbeine, Schmaler, langer Brustkorb, Schlanke Taille, Hohles Kreuz,

Vorstehende, gewölbte Hinterbacken, Kreuzgrübchen, Runder, dicker Oberschenkel, Niedriger, stumpfer Schambogen, Weiche Knieumrisse, Runde Wade, Feines Fußgelenk, Trockener, schmaler Fuß mit schmalen Zehen, Größere Länge der zweiten und

größere Kürze der fünften Zehe, Breite vordere Schneidezähne,


Fehler gebogene, dicke Schlüsselbeine, kurzer und breiter Brustkorb. Fehlen der Taille, gerades Kreuz. Hache, kleine Hinterbacken, keine Kreuzgrübchen, flacher, magerer Oberschenkel, hoher, spitzer Schambogen, scharfe Knieumrisse, eckige Wade. ])lumpes P^ußgelenk. l)lumper, dicker Fuß mit breiten Zehen, größere Länge der ersten und stärkere

Entwicklung der fünften Zehe. schmale \\)rderzähne.


Bei Vergleichung der zweiten und der ersten Tabelle wird man finden , daß verschiedene Fehler sow^ie Vorzüge auf beiden genannt sind. Die gleichen Fehler können von verschiedenen Ursachen her- rühren, wie die gleichen Symptome von verschiedenen Krankheiten.

Die Zahl der genannten Merkmale ließe sich leicht auf beiden Tabellen beträchtlich vermehren und vervollständigen, jedoch genügen sie, um die Möglichkeit eines weitgehenden objektiven Urteils dar- zutun.

Unter den bisher gegebenen bildlichen Darstellungen sind zehn, welche den meisten der hier aufgestellten Anforderungen entsprechen. Die Oesterreicherin von Tafel III, die Amerikanerin von Tafel V^ und die in den Figuren 50 und 51 dargestellte Französin sind in erster Linie zu nennen. Ferner zeigen Fig. 43 (dieselbe in Fig. 162), Fig. 74, Fig. 82, Fig. 83, Fig. 143 (dieselbe auch in Fig. 154), Fig. 174 und Fig. 175 sehr schöne Körperbildung. Als elfte kommt das auf Tafel I und in Fig. 166 (3 Jahre später) dargestellte 17jährige Mädchen aus Wien hinzu.

Trotz großer körperlicher Vorzüge entsprechen die in den Figuren 69 und 150 abgebildeten javanischen Mädchen unserem Schönheitsideal nicht, weil dafür die Köpfe im Verhältnis zu groß und die Gesichtszüge zu plump sind.

Wissenschaftliche Untersuchungen haben nur dann für weitere


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG. 353

Kreise Interesse, wenn sie einem praktischen Zwecke dienstbar ge- macht worden sind.

Da der weibHche Körper als solcher seit Abschaffung des Sklaven- handels keinen Marktwert mehr hat, so besteht das Bedürfnis, ihn nach einem festen Maßstabe beurteilen zu können, sich eine gewisse Kennerschaft, gleich der der Pferde- und Weinkenner, anzueignen, im allgemeinen nicht mehr.

Trotzdem hat auch jetzt noch die körperliche Schönheit für die Besitzerin einen hohen Wert, umsomehr, da sie zugleich ein Zeichen körperlicher Gesundheit ist.

Die Entwicklung und Ausbildung weiblicher Schönheit kann will- kürlich befördert oder geschädigt werden und zwar am meisten in den Jahren des Reifens. Ein fester Maßstab ist demnach wichtig für alle, die heranwachsende Mädchen zu überwachen haben.

Den Eltern und namentlich den Müttern ist die heilige Pflicht auferlegt, in zarter Sorge den knospenden Leib des zukünftigen Weibes vor allen Schädlichkeiten zu wahren und durch liebende Fürsorge zu schöner Blüte sich entfalten zu lassen. Mit Dankbarkeit gedenke ich so mancher unter ihnen, die mir genug vertraute, um mir einen Anteil an diesem ihrem erhabenen Werke zu gönnen.

In zweiter Linie hat die Kenntnis des normalen weiblichen Körpers einen praktischen Wert für den Künstler bei der Wahl seiner Modelle, für den Kritiker bei der Beurteilung des Kunstwerks.

Daß für den ersten der künstlerische Blick und die Kenntnis der Anatomie allein nicht genügen , habe ich bereits an einigen Beispielen bewiesen, die sich durch zahlreiche andere vermehren lassen.

Für den Kritiker ist, wenn er seinen Beruf ernst autfaßt, ein fester Maßstab von noch viel größerer Wichtigkeit, da er sowohl das Modell, als das, was der Künstler daraus machte, zu beur- teilen hat.

Diese besonderen Verhältnisse finden im nächsten Abschnitt eine ausführlichere Besprechung. Hier handelt es sich zunächst um die Beurteilung lebender weiblicher Schönheit an und tür sich.

Man hat behauptet , daß sich alle körperlichen Vorzüge niemals an einem lebenden Weibe zusammen finden lassen. Durch meinen


364 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG.

Beruf kam ich öfters in die Lage, mich von der Unrichtigkeit dieser Auffassung zu überzeugen und sie objektiv widerlegen zu können.

Von 25 Frauen besitze ich genaue Angaben, die es ermöghchen, deren Schönheit, wenn man so will, schriftlich zu beglaubigen. 40 weitere, von denen ich Aufzeichnungen gemacht habe, besitzen neben vielen Vorzügen nur wenige und unbedeutende Fehler.

Von diesen 65 gehörten 51 alten Familien der besseren Stände an und waren alle unter sehr günstigen äußeren Umständen auf- gewachsen. Die übrigen 14 stammen aus dem Volke, waren jedoch durch ihren Beruf in der Lage, ihre Muskeln gut auszubilden und sich kräftig zu nähren.

Um allen Anforderungen an eine objektive Beurteilung weiblicher Schönheit gerecht werden zu können, bedarf man zunächst einer ge- nauen ärztlichen Untersuchung, der sorgfältigen Betrachtung und Messung des nackten lebenden Körpers. Ferner einer photographischen Aufnahme in aufrechter Stellung von vorn, von hinten und im Profil, und womöglich eine Aufnahme des bekleideten und nackten Körpers in der Vorderansicht, um außer dem Einfluß der Kleidung auch den Geschmack der Trägerin beurteilen zu können.

An der nackten Enfaceaufnahme, für welche eine symmetrische Stellung den Vorzug verdient, lassen sich die Proportionen nach Fritsch am besten berechnen, deren Richtigkeit durch die bei der Messung gefundenen Zahlen geprüft werden kann.

Die Photographie ist die wissenschaftliche Beglaubigung des durch Anschauung und Messung erworbenen Urteils und ermög- licht so auch einem Dritten, sich von der Richtigkeit des gefundenen Ergebnisses zu überzeugen.

Auch die beste Zeichnung steht an wissenschaftlichem Wert hinter der Photographie zurück, weil bei ihr jeweils die künstlerische In- dividualität zwischen Objekt und Beschauer sich einschiebt.

Die Betrachtung, ärztliche Untersuchung und Messung behält zwar auch ohne Photographie ihren Wert; aber dieser hängt dann in hohem Maße von der Persönlichkeit des Untersuchers ab und setzt ohne Hinzufügung der Photographie mehr guten Glauben als selb- ständiges Urteil bei einem Dritten voraus.


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG. 365

Schwieriger wird die Sache, wenn zur Begründung des Urteils aus- schließlich eine oder mehrere Photographien zur Verfügung stehen.

Bei der Verwertung von Photographien zur Bestimmung der Proportionen muß man alle diejenigen ausschalten, bei denen durch Einstellung des Apparates auf den Kopf der Unterkörper perspek- tivisch stark verkürzt ist. Dieser sehr häufig vorkommende Fehler läßt sich leicht mit der Bestimmung des Augenpunktes aus der Staffage nachweisen.

Absolut sichere Resultate erreicht man nur dann, wenn man mit Linsen von möghchst großer Brennweite möglichst kleine Aufnahmen macht und diese dann nachträglich vergrößert. Auch dann noch empfiehlt es sich, die Messungen an Negativen oder Diapositiven vorzunehmen , da das Albuminpapier beim Aufkleben nach der Richtung der größeren Dehnbarkeit des Papiers gezerrt wird.

Allerdings lassen sich viele, wenn nicht die meisten Detailfragen an guten Aufnahmen mit ziemlicher Sicherheit feststellen; eine ge- naue Bestimmung der Verhältnisse ist jedoch nur dann möglich, wenn die Aufnahme in symmetrischer Stellung genau von vorn ge- nommen ist. Und auch dann noch fehlt die Möglichkeit, die Körper- länge in Zentimetern, sowie den Brustumfang und damit das Körper- gewicht zu bestimmen.

Trotzdem kann man immerhin auch aut diesem Wege recht befriedigende Resultate erzielen.

Das Urteil nach Photographien allein läßt sich umso besser be- gründen, je mehr Aufnahmen ein und derselben Person in ver- schiedenen Stellungen zur Verfügung stehen.

Einige Beispiele mögen diese Auseinandersetzungen hier näher erläutern.

Als Beispiel für die Beurteilung nach Anschauung und Messung allein wähle ich eine der vierzig genannten Frauen und Mädchen, die neben vielen Vorzügen nur wenige und unbedeutende Fehler aufzuweisen hatten.

Jungverheiratete Frau von 24 Jahren:

Lungen und Herz völlig gesund, hat außer einigen leichten In- fektionskrankheiten sich stets gesund gefühlt.


366 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG.

Körperlänge 168,5 cm.

Kopflänge 21 cm.

Beinlänge 90 cm (bis zum Oberschenkelknorren).

Schrittlänge 82, bei gespreiztem Bein 84 cm.

Brustumfang 88,5 cm.

Nasenschambeinlänge (Modulus) 62,5 cm.

Schulterbreite 38,5 cm.

Taillenbreite 21 cm.

Hüftbreite 34,5 cm.

Brustwarzenabstand 23,5 cm.

Becken:

Dornbreite 26,5 cm. Kammbreitc 29 cm. Hüftbreite 34 cm. Hintere Dornbreite 12 cm.

Körpergewicht 60 kg.

Aus diesen Maßen ergibt sich zunächst die seltene Erscheinung, daß die Kopflänge beinahe achtmal in der Körperlänge enthalten ist.

Da die Schrittlänge 82 cm beträgt, so liegt die Körpermitte nur 2^2 cm höher, also noch unterhalb der oberen Schamhaargrenze.

Das Bein ist um 6 cm länger als vier Kopflängen.

Der Unterschied zwischen Schultern und Taille ist 17,5, zwischen Hüften und Taille 13,5 cm, also jeweils 1^2 cm mehr als nötig.

Die Schultern übertreffen die Hüften, wie vorgeschrieben, um 4 cm.

Am Becken übertrifft die Kammbreite die Dornen um 2,5 cm, die Hüftbreite sogar um 5 cm die der Kämme.

Der Abstand der hinteren Dornen von 12 cm ist ein Beweis für besondere Breite des Kreuzbeins.

Auch der Brustwarzenabstand überschreitet das erforderliche Maß um 3 Vi' cm, trotzdem in diesem Falle die Brüste selbst nicht groß waren.

Daraus ergibt sich, daß die Längenmaße ebenso wie die Breiten- maße den Normalsatz schöner Verhältnisse stellenweise sogar beträcht- lich übertreiTen.


BEISPIELE. 367

Wenn man das Körpergewicht aus der Länge und dem Brust- umfang berechnet, kommt man auf 61,2 kg. Hier beträgt es nur 60 kg, also 1,2 kg zu wenig.

Bei den übrigens normalen Verhältnissen läßt sich daraus schließen, daß die höchste Blüte noch nicht erreicht ist.

In der Tat machte der zartgebaute Körper auch einen sehr jugend- lichen Gesamteindruck.

Der einzige Fehler, den ich an diesem sonst tadellosen Bau ent- decken konnte, war ein etwas schiefer Ansatz des Vorderarms.

Da jedoch das Ellenköpfchen nicht hervortrat, und das Hand- gelenk sehr schmal war, so ist in diesem Falle Rhachitis als Ursache auszuschließen.

Ein ganz ähnliches Beispiel habe ich bei anderer Gelegenheit ^) veröffentlicht:

30jährige, völlig gesunde Frau, die einmal sehr leicht geboren hat. Von der Geburt waren keinerlei Spuren nachweisbar, die Brüste hatten (nach viermonatlichem Säugen) ihre volle Schönheit bewahrt.

Die Maße betrugen:

Körperlänge 167 cm.

Kopflänge 21 cm.

Beinlänge 88 cm bis zum Schenkelknorren.

Schulterbreite 38 cm.

Taille 22 cm.

Hüftbreite 34 cm.

Brustwarzenabstand 21 cm.

Becken:

Vordere Dornen 26 cm. Kämme 29 cm. Hüften ^^ cm. Hintere Dornen 10,5 cm.

Bei beiden Frauen war die Beckengegend besonders schön aus- gebildet, die unteren Grenzen der Kreuzraute bildeten einen Winkel


') Zeitschrift für Gcburtsliilfe und Gynälcologie, 3^,, p. 121.


368 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDÜNG.



Fig. 232. 14jährige Amerikanerin in symmetrischer Stellung. {Aufnahme von Dr. Shufeldt.)

von genau 90", die Kreuzgrübchen waren, dem breiten Kreuzbein

entsprecliend, sehr gut ausgeprägt, besonders bei der letzteren, bei

der ich übrigens keinen einzigen Fehler nachzuweisen im stände war.

Ein weiteres Beispiel, bei dem mir außer der Anschauung und


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG. 369



Fig. 233. Proportionen derselben.


Messung die künstlerische Wiedergabe zur Verfügung stand, findet sich im folgenden Abschnitt.

Als Beispiele für die Beurteilung nach Photographien allein können die Bilder einer i4iährigen Amerikanerin und zweier lyjährigen Wienerinnen dienen.


Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers.


24


370 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDÜNG.

Die junge Amerikanerin ist von Dr. Shufeldt in New York auf- genommen worden. Fig. 232 zeigt das Mädchien in aufreciiter Stel- lung von vorn; Tafel V ist auch nach diesem Modell genommen worden. Fig. 233 gibt die Berechnung der Körperverhältnisse.

Dem jugendlichen Alter entsprechend, sind an dem schlanken Körper die weiblichen Geschlechtsmerkmale noch nicht zu voller Ausbildung gekommen. Die Hüften sind ziemlich schmal , die Leistenlinien laufen in spitzem Winkel zusammen, die Brüste sind klein und haben die Form der Knospenbrust. Die Schamhaare sind spärlich, die Achselhaare, wie auf Tafel V zu erkennen ist, über- haupt noch nicht vorhanden.

Dagegen trägt das reichliche, bis über die Hüften herabhängende schwarze Haupthaar und die vollen gerundeten Oberschenkel ein aus- gesprochen weibliches Gepräge.

Trotz der runden Fülle erscheinen die Beine schlank und lang; dabei haben sie vöüig gerade verlaufende Achsen. Die Füße sind klein und von sehr reiner Form , ohne Verkrümmung der großen Zehe durch drückendes Schuhwerk. Die Gelenke sind schmal und lassen Rhachitis ausschließen.

Der symmetrische und regelmäßige Bau kommt in der geraden aufrechten Stellung vortrefflich zur Geltung. Auch das Gesicht hat sehr regelmäßige Züge; nur die Kinnmundpartie ist stärker entwickelt als die Nase und die Stirn und beträgt mehr als ein Drittel des Gesichts.

Die gute Entwicklung der Muskeln ist aus der Wade, besonders aber aus der Modeüierung der Arme nachzuweisen.

Wenn man zu diesem Körper die Konstruktion nach Fritsch macht (Fig. 233), so ergeben sich für den Körper völlig normale Verhältnisse, am Kopf fällt der Scheitelpunkt allerdings mit der oberen Grenze der Haare, nicht aber mit dem in Wirklichkeit etwas tiefer liegenden Scheitelpunkt zusammen. Die Proportionen stimmen demnach genau mit der Geyerschen Normalfigur (Fig. 22). Die Körperhöhe beträgt acht Kopfhöhen.

Der einzige Fehler dieses Mädchens ist somit die zu große Kinn- mundpartie, welche ihrerseits wieder die Folge einer kräftigen Ent- wicklung des Unterkiefers ist. Diese Abweichung ist jedoch so un-


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG. 371

bedeutend, daß sie eigentlich weniger als Fehler, denn vielmehr als Ausdruck des individuellen Gepräges aufzufassen ist.

Sowohl in der (hier ziemlich genauen) symmetrischen Enface- stellung (Fig. 232) als in gebeugter Sitzstellung (Tafel V) zeigt dieser schlanke geschmeidige Körper gute Formen und entspricht somit völlig den von Brücke gestelhen Anforderungen an körperliche Schönheit.

Durch die freundliche Vermittlung der Kunsthandlung von Amsler und Ruthardt erhielt ich mehrere Photographien eines 17jährigen Mädchens aus Wien, deren eine in Tafel I wiedergegeben ist.

Da der Oberkörper leicht nach hinten übergebeugt ist, läßt sich der Fritschsche Modulus nicht messen, dagegen kann man die Ver- hältnisse der Figur nach Kopflängen bestimmen (Fig. 234).

Trägt man neben dem Umriß die Kopflängen an einem Maßstab auf, dann zeigt sich zunächst auch hier wieder, daß die Körperlänge nur um weniges kürzer ist als acht Kopflängen. Denkt man sich die Figur gerade aufgerichtet, dann dürfte das Verhähnis etwa = 7^/4 sein. Die Beinlänge beträgt ziemlich genau vier Kopflängen, so daß die Körpermitte noch unterhalb der oberen Schamhaargrenze zu liegen kommt.

Die Lage der Schulterbreite, Taille und Hüftbreite ist auf der Figur mit punktierten Linien angegeben; an der obersten ist die wahrscheinliche Lage der Gelenke sowie der äußeren Schulterbreite bei gesenkten Armen durch Kreuzchen bezeichnet. Durch Messung kann man sich überzeugen, daß das Verhältnis der drei Maße den normalen Anforderungen entspricht, und zwar umsomehr, als die Verkürzung auf allen drei Linien ungefähr die gleiche ist.

Das rechte Bein ist so gestellt, daß mit Hilfe der Mikuliczschen Linie dessen völlig gerader Verlauf mit Sicherheit festgestellt werden kann.

Im allgemeinen läßt sich zunächst sagen, daß der Körper gute Proportionen bietet, daß jedoch die Länge der Beine das normale Durchschnittsmaß nicht unbeträchthch überschreitet.

Zur Vergleichung habe ich in den Umriß einer anderen Auf- nahme dieses Mädchens (Fig. 235) die Konstruktion von Fritsch eingezeichnet.

Hier läßt sich zunächst die Nasenschambeinlinie trotz der asym-


372 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG.

metrischen Haltung mit etwas größerer Sicherheit bestimmen. Das Ueberwiegen der Schulterbreite über die übrigen Breitenmaße tritt



Fig. 234. Bestimmung des Wiener Mädchens nach Kopflängen.

hier noch deutUcher hervor. Konstruiert man die Fritschsche Figur, dann fällt die Scheitelhöhe genau hinein. Dasselbe ist der Fall mit der linken Schulter und Brust. Die rechte Schulter ist mit der Brust etwas gesenkt und steht tiefer. Dieser tiefere Stand ist jedoch nur


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG. 373


Ct


abhängig von der Stellung; denn Nabel und Hüftgelenke stehen in der richtigen Höhe.

Die Längenverhältnisse am Arme sind richtig; denn sobald der tiefere Stand der Schulter ausgeglichen wird, fallen die Meßpunkte in die Gelenke.

Am Bein stehen sie etwas höher, und bei der Gesamthöhe ergibt sich, daß sie auf Kosten der Beine um das Stück hx größer ist, als die Konstruktion verlangt.

Die Kopfbreite läßt sich aus keiner der beiden Figuren bestim- men.

Beide Messungen ergeben dem- nach übereinstimmend, daß alle Proportionen richtig sind, daß je- doch die Beine die üblichen Ver- hältnisse überschreiten.

Dies ist kein Fehler; man kann es im Gegenteil als einen Vorzug ansehen, da dadurch die Körper- mitte am Rumpf umso tiefer tritt. Außerdem aber ist durch die Lage der Mikuliczschen Linie die Form des rechten Beins als vöüig normal gekennzeichnet. Es hat dabei einen schlanken Knöchel, und wenn man die innere Tangente zieht, berührt sie das obere Drittel des Ober- schenkels, das Knie und den in- neren Knöchel. Die schwächer aus- Y\g. 235.

gebildete Wade erreicht diese Linie Bestimmung des Wiener Mädchens . , 11- • 1 • 1 nach dem Modulus von Fritsch.

nicht, und dies ist bei den sonst

richtigen Verhältnissen ein Beweis, daß es sich um einen noch nicht voll entwickelten Mädchenkörper handelt. Die Betrachtung der Tafel I läßt alle oben erwähnten Vorzüge erkennen; hervorzu-



374 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG.



Fig. 236. Mädchen aus Wien von 1 7 Jahren

mit völlig normalen Proportionen.

(■Aufnahme von Heid.)


heben sind der runde Ellen- bogen, der gutgewölbte Brust- korb, der gute Ansatz der jugendlichen, ebenfalls noch nicht vollentwickelten Brüste und der gutgeformte Fuß mit längerer zweiter Zehe.

Besonders beachtenswert ist in diesem Falle, daß kein ein- ziges Zeichen vorhanden ist, das auf Rhachitis oder auf Schwindsucht deutet.

Wir haben eine schöne, gesunde Knospe vor uns, die ihre höchste Blütezeit noch nicht erreicht hat.

Den Kopf dieses Mädchens zeigt Fig. 166, die drei Jahre später , bei etwa 2oiährigem Lebensalter, von Schmidt in Wien gemacht ist.

Sie erinnert viel an die Raffaelsche Fornarina. Die volleren Formen dieser spä- teren Aufnahme haben die Schönheit des freundhchen Gesichtes keineswegs beein- trächtigt, was bei der großen Regelmäßigkeit der Züge auch zu erwarten war. Hervorzu- heben ist in dieser Aufnahme der schöne Bau des Auges und seiner Umgebung, der beson- ders gut zur Geltung kommt.


Auf die reine Form der Hände wurde oben bereits hingewiesen. Einen Gegensatz zu diesem schlanken Mädchenkörper bildet eine


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG. 375


ebenfalls i yjährige Wie- nerin mit vollen Formen aus der Heidschen Serie (Fig. 236, 237, 238). Zunächst ist hervor- zuheben, daß das Mäd- chen bei einer Körper- höhe von wenig mehr als 7 Kopfhöhen völlig normale Proportionen mit dem Fritschschen Schlüssel zeigt(Fig.238). Zur Messung der Pro- portionen wurde eine andere, mehr geeignete Aufnahme gewählt. — Die Körpermitte steht dicht über dem oberen Rand der Schamspalte, demnach besonders tief. Die Beine, mit der Mi- kuHczschen Achse be- stimmt, verlaufen völlig gerade und betragen 3^/4 Kopf höhen, dem- nach ein Viertel Kopf- höhe mehr als die halbe Körperlänge.

Gestützt auf die photographischen Auf- nahmen kann man als Vorzüge verzeichnen : weiche, runde und doch



Fig- 237. Dieselbe von hinten.


kräftige Körperformen, Schönheitsfalten über den Augen, Grübchen im Kinn, kleiner, tiefer, hochangesetzter Nabel, reichliches Haupt- haar bei geringer Körperbehaarung, runde Ellenbogen, lange, weich-


376 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG.


geformte Hand mit Grübchen und geraden, nach der Spitze schmäler werdenden Fingern, gerade, lange Beine, schmales Knie, runde.



Fig. 238. Proportionen der 17jährigen Wienerin.

kräftige Wade mit weichem Umriß, gutgeformte Füße mit längster zweiter Zehe.

In der Rückansicht ist der weiche und doch kräftige Uebergang vom Nacken zur Schulter hervorzuheben, gut ausgeprägte mittlere Rückenfurche und schöne Kreuzgrübchen, pralle, runde Hinterbacken mit zweiter, doppelter Wölbung darunter am inneren Oberschenkel, deutliches Hervortreten der Muskelsehnen in der Kniekehle, weibUche


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILüUNG. 377

Form der Waden. Die Geradheit der Beine springt besonders in der Rückansiclit deutlich in die Augen.

Als Fehler sind zu betrachten die etwas plumpen Gesichtszüge, die große Ohrmuschel und das schwergebaute Fußgelenk.

Die frühzeitige Fülle dieses kräftigen Mädchenkörpers beruht zum Teil auf der guten Muskulatur, zum Teil aber auch auf starker Fett- ablagerung, die den schönen jugendlichen Formen ein baldiges Ende durch stärkere Anhäufung prophezeien läßt.

Eine derartige Gestalt wird — namentlich bei den geringen Vor- zügen des Gesichts — in Kleidern wenig oder gar keinen Eindruck machen, weil sie, selbst bei geringer Bedeckung, plump erscheinen würde.

Dieses Mädchen ist — vom künstlerischen Standpunkt betrachtet — geboren, um nackt zu sein, und das hat sie mit so manchen klassi- schen Statuen von Göttinnen gemein.

Zur Beurteilung nach Maßen und Photographien zugleich können die folgenden Beispiele dienen.

Bei einem 22jährigen Mädchen aus Scheveningen, das für einige wenige Künstler Modell steht, fand ich vom Normalen nur sehr wenig abweichende Maße. Sie gilt als das zur Zeit beste Berufs- modell.

Fig. 239 stellt sie in ihrer Nationaltracht, Fig. 240 in gleicher Größe entkleidet dar, um die Verschiedenheit in der Taille zu zeigen. Diese ist bei der bekleideten Figur etwas hinaufgerückt und teilt die Gestalt etwa im Verhältnis von 1:2, w^as, verglichen mit der Ge- samtlänge, ungefähr die Teilung im Goldenen Schnitt ist.

Die Rückansicht bietet Fig. 241 , die Proportionsbestimmung Fig. 242.

Das Mädchen hat niemals ein Korsett getragen.

Die Maße sind:

1. Körperlänge 152 cm.

2. Mittellänge 80 cm.

3. Kopflänge 20 cm.

4. Beinlänge 83,5 cm.

5. Nasen-Schambeinlänge 58 cm.


378 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG.



Fig- 239. 22jähriges Mädchen aus Scheveningen.


6. Schulterbreite 36 cm.

7. Taillenbreite

22 cm.

8. Hüftbreite 32 cm,

9. Brustwarzen- abstand 22 cm.

10. Fußlänge

23 cm.

1 1 . Brustumfang 90 cm.

i2.HintereDorn- breite 10 cm.

Becken : Dorn- breite 23,5 cm, Kammbreite 26 cm, Hüftbreite 3 1 cm.

Die halbe Kör- perlänge beträgt 76 cm, demnach liegt die Körper- mitte 4 cm über dem unteren Rand der Schamspalte, also noch unterhalb der oberen Scham- haargrenze,

Die Kopflänge ist in der Gesamtlänge 7^/5 mal enthalten. Die Beine sind


länger als vier Kopflängen. 6,6 Fußlängen entsprechen der Körper- länge.

Ein Fehler ist, daß die Taille um 2 cm zu breit ist. Konstruiert man zu der Figur den Kanon von Fritsch (Fig. 242), so ergibt sich,


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG. 379


daß alle Hauptmaße völ- lig mit der Normalgestalt übereinstimmen, ja sie in der Schulterbreite sogar noch übertreffen. Beson- ders auffallend ist diese Uebereinstimmung in den Extremitäten. Nur die Brustwarzen stehen tiefer als normal, zugleich aber weiter nach außen.

Die Betrachtung der Photographie (Fig. 240 und 241) lehrt, daß na- menthch die Arme und Beine von selten reiner Form sind. Die Armachse verläuft völlig gerade (am linken Arm deuthch), am (linken) Standbein trifft die Mikuliczsche Linie alle Gelenke in der Mitte.

Die Brüste überschrei- ten die Grenze des Nor- malen und beginnen sich zu senken. Dafür spricht der besonders starkeBrust- umfang (90 cm) und der tiefere Stand der Brust- warzen. Dies sowie die um 2 cm zu breite Taille deutet an, daß das Mäd- chen seine Blütezeit überschritten hat. Trotzdem aber bietet der Körper schöne Formen, Die Schultergegend ist sehr kräftig ent- wickelt.

Fig. 241 zeigt die Rückansicht, an der besonders die schöne Form



^■S>t.V^^'^«!.■<


Fig. 240. Dieselbe entkleidet.


380 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG.


der Kreuzgrübchen und der Michaelisschen Raute zu erwähnen ist.Die gerade Achse und schöne Model- lierung der Beine tritt in der Rückansicht beson- ders deutlich hervor.

Die Mädchen von Sche- veningen zeichnen sich durch eine besonders weiße, zarte Haut und frische rote Wangen aus. Sie sind das Vorbild der Gesichter von »Milch und Blut«. Diesen Vorzug be- sitzt das Modell in hohem Maße.

In diesem Falle bietet die photographische Auf- nahme die weitere Be- stätigung der durch Mes- sung an der Lebenden gefundenen Verhältnisse.

Es lassen sich somit die Fehler und Vorzüge dieses Modells in völlig objektiver Weise fest- stellen.

Hinzuzufügen wäre noch, daß sich auch durch die ärztlicheUntersuchung Fig. 241. Dieselbe m Rückansicht. ^er inneren Organe keine

Fehler nachweisen ließen und daß besonders keinerlei Zeichen von Schwindsucht und englischer Krankheit zu finden waren.

Von einer jungen Italienerin , welche W. von Plüschow in Rom



VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG. 381


in verschiedenen Stellungen auf- genommen hat, ist mir nur be- kannt, daß sie aus Sacrocenesco in den Albanerbergen stammt, ungefähr 14 Jahre alt und 152 cm hoch ist^).

Nach diesem Modell sind die Figuren 243, 244, 246, 247, 248, 249, 250 und 251 angefertigt, ebenso auch Fig. 126; Fig. 245 gibt die Berechnung der Pro- portionen.

Neben einer größeren Aus- wahl von Aufnahmen des be- kleideten und nackten Körpers ist in diesem Falle das einzige verfügbare Maß die Körperhöhe von 152 cm.

Um aus diesem Maß die übrigen Körperverhältnisse zu bestimmen, ist man genötigt, den Kanon zu konstruieren. Am geeignetsten zu diesem Zweck erschien die Aufnahme Fig. 246, nach der die Proportionen in Fig. 245 berechnet sind.

Daraus ergibt sich für die junge Albanerin eine Gesamt- höhe von 7,3 Kopf höhen, eine geringe Unterlänge der Arme und eine stärkere der Beine. Der Kopf ist im Verhältnis zu groß.



Fig. 242. Kanon des Mädchens aus Scheveningen.


') Dasselbe Modell wurde von Schultze-Naumburg in seinem Buch »Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der Frauenkleidung - wiederholt als Vorbild eines völlig normalen, durch kein Korsett verdorbenen Körpers angeführt. Aus diesem Grunde ist es doppelt interessant, zu wissen, daß dieses Mädchen stets ein Korsett getragen und trotzdem einen normalen Körper behalten hat.



Pig. 243. 14jährige Albanerin in der Vulkstracht. (Phot. von Plüschow.)



Fig. 244. Dieselbe entkleidet.

(Phot. von Plüschow.)


384 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDÜNG.



vnr


vn


Fig. 245. 14jährige Albanerin. Proportionen nach Fig. 246.

Da aber der Kopf 7,3 mal in der Gesamthöhe aufgeht, imd diese 152 cm beträgt, so ist der Kopf mit 20,8 cm der normalen Größe


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG. 385



Fig. 246. Ganzakt in Vorderansicht.


entsprechend. Demnach handelt es sich auf Grund der Proportionen nicht um einen fehlerhaften, sondern um einen jugendlichen, noch nicht völlig erwachsenen Körper.


Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers.


25


386 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG.

Das Verhältnis von Taille, Hüften und Schultern stellt sich auf 6:9:9, so daß bei einer Taillenbreite von 18 cm die Hüften und Schultern je 27 cm betragen müßten. Also auch hier sind die sekun- dären Geschlechtsmerkmale nur unvollkommen ausgedrückt und das kindliche Gepräge noch deutlich erhalten.

Die Hand geht 8 mal und der Fuß 6 mal in der Körperhöhe auf; auch dieses Verhältnis deutet auf den wachsenden Körper mit größeren Händen und Füßen, zugleich aber auch auf dessen bevorstehende stärkere Streckung.

Von dem einzigen gegebenen Maß der Körperhöhe mit 152 cm lassen sich somit aus der Vergleichung der Photographien mit der Konstruktion alle übrigen Maße berechnen. Die Kopfhöhe beträgt 20,8, die Handlänge 17, die Fußlänge 25,3, die Taille 18, die Hüften 27 u. s. w. Hierbei ist jedoch darauf zu achten, daß man bei der Vergleichung der einzelnen Teile mit der Körperhöhe jeweils ge- eignete Aufnahmen aussucht. So ist z. B. die Bestimmung der Fuß- länge nur aus der Profilaufnahme Fig. 247 möglich.

Das Alter, die Größe und die Proportionen lassen demnach gleich- miäßig auf einen noch nicht völlig ausgebildeten, wachsenden Körper schließen. In unseren kühleren Gegenden würde man eine Vierzehn- jährige noch kaum unter die Backfische zählen. In der Tat macht die Aufnahme in der kleidsamen italienischen Volkstracht (Fig. 243) den Eindruck, als ob das Mädchen 16 — 17 Jahre alt sei, und in ihrer südlichen Frühreife entspricht sie wohl auch einer Jungfrau von 16 Jahren aus dem Norden.

Ueber Einzelheiten der Körperbildung geben die verschiedenen Aufnahmen des nackten Körpers weiteren Aufschluß.

In der Vorderansicht (Fig. 244) zeigt sich das den gefundenen Verhältnissen entsprechende Bild eines halb kindlichen, halb weib- lichen Körpers.

Die Arme und Beine sind überschlank und eckig, mit Ausnahme der weiblich gerundeten Oberschenkel. Das Gesicht zeigt weiche kindhche Formen und einen kindHchen Ausdruck.

Am Rumpfe verraten die kleinen , gut geformten und hochan- gesetzten Brüste, die volleren Hüften und die sprossenden Scham- haare das knospende Weib.


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG. 387

Die Grenzlinien zwischen Rumpf und Schenkeln zeigen eine schöne, echt weihHche Bildung, der Nabel ist klein, tief und steht



Fig. 247. Ganzakt in Seitenansicht.

hoch, die Achsen der Beine sind gerade, die Hände und Füße, ab- gesehen von ihrer Größe, regelmäßig gebildet.


388 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG.

Als Fehler sind zu verzeichnen eine leichte Plattfußstellung und Verdrehung der ersten Zehe und eine zu geringe Ausbildung der



Fig. 248. Torso derselben in der Landestracht.

(Phot. G. von Plüschow, Rom.)

Oberarmmuskeln. Letzteres ist in diesem Alter, wie Brücke bemerkte, sehr häufig zu finden.

In seithcher Ansicht (Fig. 247) tritt die gute Bildung und gerade


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG. 389

Achse des Beines besonders schön hervor, jedoch läßt diese Aufnahme einen weiteren Fehler in der Ausbildung erkennen, auf den schon



Fig. 249. Torso, nackt, in leicht gebeugter Stellung.

(Phot. von Plüschow.)

oben hingewiesen wurde. Der Hnke, stützende Arm zeigt nämlich eine Einknickung im Ellbogen, die auf Ueberstreckung beruht.


390 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG.



Fig. 250. Torso, nackt, in gestreckter Stellung. (Phot. von Plüschovv.)

Wie gesagt, sind die Ansichten darüber geteilt, ob man diese Körperbildung in der Tat als Fehler zu betrachten hat. In der alten Hindukunst ist der eingeknickte stützende Arm ein Zeichen weib- licher Anmut. Als Vorbedingung dazu muß das Gelenk sehr ge- schmeidig und das Olekranon sehr klein sein.


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG. 39I



Fig. 251. Ganzakt in sitzender Stellung.

(Phot. von Plüschow.)

Vom naturgeschichtlichen Standpunkt aus ist diese Bildung ein Fehler, weil sie auf ein weniger festes, leichter verrenkbares Gelenk und schwächere Streckmuskeln des Oberarms schließen läßt.

Im gegebenen Fall trifft ja auch die schwache Entwicklung der Oberarmmuskeln mit dem überstreckten Ellbogengelenk zusammen.

Bei Vergleichung des bekleideten und nackten Oberkörpers in


392 VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÖRPERBILDUNG.

ungefähr der gleichen Stellung fällt auf, wieviel älter das Mädchen in den Kleidern aussieht. Zugleich aber erkennt man, daß die weiten, faltigen Gewänder trotz dem vielgeschmähten Korsett sich so lose dem schlanken kindlichen Körper anlegen, daß sie in keiner Weise dessen zarte Form verdorben haben.

Die Geschmeidigkeit der Haut, die schon in den gestreckten Stellungen aus der guten Bildung der Brüste und des Bauches er- kenntlich ist, tritt in der leichtgebeugten Stellung mit gesenkten Armen (Fig. 249) noch günstiger zu Tage, Durch Beugung und Drehung ist hier eine leichte Andeutung der vorderen Taillenknickung mit leichter Verschiebung nach links entstanden. In Fig. 250 ist sie durch Heben der Arme und leichte Streckung völlig ausgeglichen. Die jugendliche Elastizität dieses Körpers erhält ihm auch in gewag- teren Beugestellungen seine gute Gestalt.

In Fig. 251 hat das Mädchen eine stark gebeugte Sitzstellung eingenommen, deren Einfluß auf die Rumpfgestaltung durch das Heben und Beugen des linken Beines noch erhöht ist.

Trotz dieser Anhäufung beugender Momente ist am Rumpfe außer der normalen Taillenfurche nur eine ganz leichte seitliche akzesso- rische Knickung links bemerkbar.

Alles in allem ergibt die vergleichende Betrachtung und Zu- sammenstellung der Abbildungen und Maße , daß dieses Mädchen noch halb Kind ist, daß ihr Körper abgesehen von der jugendlichen Unreife kleine Fehler in der Bildung der Füße und der Oberarme besitzt, sonst aber viele Vorzüge aufweist, unter denen die zarte Aus- prägung der knospenden Weiblichkeit, die geschmeidige Haut und die feinen Gesichtszüge die wichtigsten sind. Dieser Körper ent- spricht in hohem Maße der Brückeschen Forderung, in jeder be- liebigen Stellung eine gute Bildung erkennen zu lassen.

Die Möglichkeit einer objektiven Beurteilung weibhcher lebender Schönheit dürfte nach den angeführten Tatsachen und Beispielen erwiesen sein.

Ihre praktische Anwendung wird manchem als ein allzu kühner Gedanke erscheinen. Trotzdem lassen sich Beispiele anführen, daß in größerem Maßstabe auch das Weib in ähnhcher Weise auf die körperliche Tauglichkeit zu seinem Beruf geprüft wurde, wie in


VERWERTUNG DER ZEICHEN NORMALER KÜRPERBILDUNG. 393

Deutschland und in anderen Kulturstaaten die Männer auf ihre mili- tärisch wünschenswerten Eigenschaften.

Schon in Sparta wurde eine scheinbar grausame staatliche Zucht- wahl dadurch ausgeübt, daß alle schwachen und mißgebildeten Kinder beiderlei Geschlechtes ausgesetzt wurden. In einigen Staaten Nord- amerikas werden heutzutage Männer und Frauen einer ärztlichen Untersuchung unterworfen, bevor ihnen die Erlaubnis zur Ehe er- teilt wird.

Jeder Arzt wird, ebenso wie ich, hie und da in der Lage ge- wesen sein , ein junges Mädchen auf ihre Ehetauglichkeit zu begut- achten.

Im allgemeinen aber gehören diesbezügliche Wünsche von Mit- gliedern des weiblichen Geschlechts und deren Angehörigen bei uns leider zu den seltenen Ausnahmen.

Für die Vervollkommnung der Menschheit im allgemeinen ist mit dem Fehlen einer ärztlichen und staatlichen Prüfung des weib- lichen Körpers nicht viel verloren. Denn der Kampf ums Dasein übt auch ohne diese, wenn auch auf großen Umwegen und in längeren Zeiträumen, seine natürhche Zuchtwahl und entfernt mit tödlicher Sicherheit alle Einzelwesen und Menschengruppen, die sich seinen stets erhöhten Anforderungen nicht anpassen können.

Für das einzelne Mädchen, die einzelne Frau aber hat die genaue und rechtzeitige Erkenntnis ihrer körperlichen Vorzüge und Fehler einen desto höheren Wert, einmal, weil ihr dadurch viele Enttäu- schungen und Irrungen, oft sogar ein verlorener Lebensweg erspart bleibt, dann aber auch, weil viele Fehler, einmal als solche erkannt, leichter und bewußter bekämpft und verbessert werden können.

Aber bis diese Einsicht sich allgemein Bahn brechen und zum Glück und der Wohlfahrt zahlreicher Existenzen dienen wird, hat es noch gute Wege.


XVIII.

Verwertung in der Kunst und Kunstkritik. Modelle.

Im zweiten Abschnitt wurden bereits die verschiedenen Umstände besprochen, welche den Künstler veranlassen, bewußt oder unbewußt von der Natur abzuweichen. Wenn auch nicht immer die Dar- stellung des Schönen der Endzweck seiner Kunst ist, so kann er doch in jedem Falle seiner Aufgabe umso besser gerecht werden, je mehr er auch der Natur gegenüber eine objektive Kritik übt, je mehr seinem intuitiven Gefühl ein bewußtes Urteil über die Natur- formen zu Hilfe kommt.

Der Maßstab, den der Künstler selbst und andere an sein Werk anlegen müssen, ist immer nur der Vergleich mit der Natur. Von der Natur ging sein Werk aus, und zur Natur kehrt es zurück.

Ohne Modell kann er nicht arbeiten, und wenn das Modell seinem ideellen Bilde nicht entspricht, so ist er gezwungen, dessen Fehler zu verbessern.

Da aber die Gesetze, nach denen sich jeder einzelne Körper als Mikrokosmus entwickelt, nur zum Teile bekannt sind, wird der dar- stellende Künstler, wenn er sich von seinem Modell entfernt, Gefahr laufen, wider die Naturwahrheit zu sündigen.

Jeder Mensch ist ein in sich so abgeschlossenes Ganze, daß es nicht angeht, von einem Modell diese, von einem anderen jene körperliche Eigenschaft zu nehmen. Selbst ein Apelles wäre nicht im stände gewesen, in dieser Weise durch die Vereinigung der Vorzüge der zwölf schönsten Mädchen von Kroton einen lebensfähigen Körper, sei es auch nur im Bilde, zu erschaffen, weil dabei die Harmonie des einzelnen Individuums nicht mehr zur Geltung kommen könnte.

Weitaus die meisten Künstler sind auf bezahlte Modelle ange- wiesen, die sich aus den ärmeren, schlecht genährten Klassen rekru-


VERWERTUNG IN DER KUNST. 395

tieren, so daß man nur ausnahmsweise schöne Gestalten unter ihnen findet.

Auch die Werke anderer bieten nur einen schlechten Ersatz, da auch sie unter dem Einfluß des gewählten Modells sowie der je- weiligen Mode stehen.

So hat Burne-Jones über dem präraff'aelitischen Ideal die Natur vergessen und nach seinen gesunden Aktstudien schwindsüchtige Idealbilder geschaff"en. So hat auch Stuck seine Eva in der Ver- treibung aus dem Paradies, wie Fritsch sich kräftig ausdrückt, mit einem Fettsteiß versehen und sie rhachitisch gemacht. Merkwürdiger- weise finden sich diese Fehler auch in der von Birnbaum ^) veröff'ent- lichten Studie nach dem lebenden Modell, wenn auch in viel schwä- cherem Maße. Der Künstler hat die Fehler des Modells in verstärkter Weise wiedergegeben.

Es lassen sich Hunderte von Beispielen anführen, namentlich unter der großen Zahl moderner Maler, aus deren Werken man ein reich besetztes Krankenhaus zusammenstellen kann.

Dagegen läßt sich ja allerdings nichts einwenden, wenn es den Malern wirklich auf die Darstellung krankhafter Zustände angekommen wäre, wohl aber darf man sie tadeln, wo die Wiedergabe und Ver- herrlichung menschlicher Schönheit und Vollkommenheit beabsichtigt war. Entweder haben also diese Künstler keine besseren Modelle gehabt, oder sie haben deren Fehler nicht gesehen.

Daß im letzteren Falle, wie Brücke meint, die Liebe eine große Rolle spielt, ist nicht so ganz unwahrscheinlich.

Wenn man für diesen Punkt die Literatur zu Rate zieht, so findet man in der Tat bei den meisten Schriftstellern die Beobachtung, daß es die Liebe ist, die das Weib veranlaßt, ihren Körper den BHcken des angebeteten Künstlers preiszugeben.

Das ist der Fall in Heyses Paradies, in Zolas l'oeuvre, selbst in Goethes Briefen aus der Schweiz sagt die erfahrene alte Matrone, daß es viel leichter sei, ein Weib zu finden, das seinen Körper der Liebe, als eines, das ihn nur den Augen des Mannes preisgibt.

Den stärksten Ausdruck dieser Auffassung hat Henrik Ibsen


Knackfuß, Künstlermonographien, 142, Fi». 123.


396 VERWERTUNG IN DER KUNST.

in »Wenn wir Toten erwachen« seiner Irene in den Mund ge- legt. Im ersten Akt sagt sie:

Ich streckte drei Finger zum Himmel und gelobte, daß ich Dir folgen wollte bis ans Ende der Welt, bis ans Ende des Lebens. Und Dir dienen in allen Dingen — in freier, hüllenloser Nacktheit. Mit all meiner Jugend pochen- dem Herzblut diente ich Dir und fiel nieder zu Deinen Füßen und diente Dir. — Aber Du hast Dich vergangen wider mein innerstes Wesen. Ich stellte mich zur Schau, wie man sich nur zur Schau stellen kann — (Leise) Und nicht ein einziges Mal hast Du mich berührt.

Und weiter:

Rtibek. Du hast mir Deine ganz nackte Schönheit gegeben. Irene. Aber das größte Geschenk, das hast Du vergessen. Ich gab Dir meine junge lebendige Seele — und stand da mit leerer Brust — ■• seelenlos.

Noch leidenschaftHcher und stärker drückt Irene sich im zweiten Akt aus:

Nie hab' ich Deine Kunst geliebt, ehe ich Dich kennen gelernt hatte — Und auch dann nicht.

Den Künstler hass' ich. — Wenn ich so ganz entkleidet vor Dir dastand, da hab' ich Dich gehaßt, Arnold — Ich haßte Dich, weil Du so unberührt bleiben konntest — oder wenigstens so voll Selbstbeherrschung. Und weil Du Künstler warst, nur Künstler — nicht Mann.

Daß dem liebenden Weibe gegenüber der Künstler seine Ob- jektivität oft schwer bewahren kann, liegt in der menschlichen Natur begründet.

Eine andere und höhere Auffassung findet sich in du Mauriers Trilby (S. 95). »She was equally unconscious of seif with her clothes on or without; she could be naked and unashamed.« 

Das ist das Gefühl, was wir auch am unverdorbenen Kinde sehen; die erste Regung der Liebe zerstört es, wie dies ja auch bei Trilby der Fall ist.

Die höchste Auffassung habe ich nur bei einem einzigen Schrift- steller gefunden, und zwar bei dem holländischen Dichter Vosmaer.

In seiner »Amazone« will die schöne Marciana erst dann dem Künstler Modell stehen, nachdem sie sich davon überzeugt hat, daß er sie nicht liebt.

Das ist eine Frau, die weiß, daß sie schön ist, und die sich aus reiner Liebe zur Kunst entkleidet, aber nicht vor dem Manne, son- dern vor dem Künstler, und zwar vor dem großen Künstler.


MODELLE. 397

Ein gleicher Geist beseelte die schöne Frau Charlotte Fossetta, das Modell von Danneckers berühmter Ariadne. Sie bot sich dem Künstler, in dessen Hause sie verkehrte, mit den Worten an : »Und Sie glauben in der Tat, daß meine Erscheinungsformen Ihrer Kunst zu wirklicher Förderung gereichen könnten? Gut denn, verfügen Sie über mich, wenn Sie meinen. Neues, Geniales schaffen zu können« ^).

Derartige Frauen, wie Charlotte Fossetta, Agnes Sorel, Paola Borghese, Diana von Poitiers, Lady Digby u. a. gibt es aber nur wenige. Weit häufiger sind die, die sich aus Liebe zum Künstler als Modell hergeben. Man denke nur an die Gemahlinnen von Rubens, von van der Werff u. a.

Wenn aber wieder die Liebe noch ein anderer Zufall dem Künstler ein vollendetes Modell zuführt, dann bleibt ihm nichts übrig, als minderwertige Körper zu nehmen und deren Fehler, so gut es geht, zu verbessern. Hierbei aber kann ihm außer seinem künstlerisch geschulten Blick auch die Erfahrung des Arztes zu statten kommen.

Hiermit ist zugleich gesagt, daß der Künstler berechtigt ist, wo ihm dies für seine Zwecke gut dünkt, von der strengen Wiedergabe der Natur abzuweichen.

Wenn er dies aber tut, muß er es mit Sachverständnis und vollem Bewußtsein tun, so daß der Beurteiler seiner Werke im stände ist, nachweisen zu können, wie und warum in diesem oder jenem Falle eine Aenderung erforderhch war.

Diese Art der Kritik, bei der es nötig wird, das Modell mit dem Kunstwerk zu vergleichen, ist meines Wissens zuerst von G. Fritsch^) ausgeübt worden. Außer mir hat bisher nur L. Volkmann ^) den gleichen Weg eingeschlagen.

Nur in dieser Weise ist es möglich, das Werk, die Arbeit des Künstlers in ihrem vollen Umfang zu würdigen. Das vollendete Gemälde, das fertige Steinbild ist stumm und verrät nicht mehr den Streit und die Kämpfe, aus denen es geboren wurde.


^) C. Beyer, Danneckers Ariadne. Zeitschrift für bildende Kunst. See- mann & Co., 1897, Heft 10, p. 244.

") Unsere Körperformen im Lichte der modernen Kunst, 1895. ^) Naturprodukt und Kunstwerk. Dresden, Muthmann, 1902.


398


VERWERTUNG IN DER KUNST.


Als Beispiele führe ich hier einige Kunst- werke an, bei denen mir die Maße oder die Photographien der Modelle zur Ver- fügung stehen.

Klinger erzählte mir, daß er sich so genau wie möglich nach dem Modell richte, daß er aber sehr große Schwie- rigkeiten habe , je- weils ein passendes Modell zu finden. Eines seiner besten Modelle hat er für die bekannte Statue der Badenden be- nutzt.

DerleitendeGrund- gedanke war für Klin- ger aber weder die genaue Wiedergabe des Modells noch der bildlich festgehaltene Eindruck einer Ba- denden, sondern die Darstellung eines

gut gebauten weiblichen Kör- pers in einer sogenannten g e w a g t e n S t e 1 1 u n g. Es ist der gleiche Gedanke, der die griechischen Künstler zu ihren Darstellungen der kauernden Aphrodite veranlaßte.

Es handelt sich somit um ein Problem, das einerseits ein sehr



Fig. 252. Klingers Badende in linker Seitenansicht.


MODELLE.


399


gutes Modell, ande- rerseits ein großes künstlerisches Kön- nen erheischt.

Fig. 252 zeigt Klingers Badende in linkerSeitenansicht, Fig. 253 das Modell in der gleichen Stel- lung. In Fig. 254 und 255 sind beide in rechter Seiten- ansicht aufgenom- men.

Nur das Hnke Bein ist gestreckt, alle übrigen Kör- perteile sind in Beu- gest eilung gebracht ; durch Zurückschie- ben der rechten Schulter und Dreh- ung des Kopfes nach links sind die Beu- gungsmomente rechts oben ausge- ghchen.

Die gehäuften Momente der Beu- gung stellen an den Körper desModelles erhöhte Anforde- rungen, und zwar nicht nur an die Form, sondern auch an die Leistungsfähigkeit.

Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß nur ein sehr muskel- kräftiger Körper so lange in dieser Stellung aushalten kann, wie



Fig. 253. Klingers Modell in linker Seitenansicht.


400


VERWERTUNG IN DER KUNST.


zur Nachbildung er- forderlich ist. In der Tat zeigt auch das Modell eine ganz her- vorragende Ausbil- dung seiner Musku- latur, besonders an den Beinen.

Klinger hat nur sehr wenig verbes- sert; das Gesichts- profil ist dem grie- chischen Profil ge- nähert, an den durch Schuhwerk verdor- benen und etwas platten Füßen sind die entzündeten Zehen- ballen weggelassen, die zu schwach ent- wickelte Ferse ver- stärkt und das Ge- wölbe am Rist leicht erhöht; außerdem sind die Brüste voller und straffer geworden.

Im übrigen ist das Modell mit großer Naturtreue verwer- tet; alle seine Vor-

Fig. 254. Klingers Badende in rechter Seitenansicht. ^ÜgC , deren größter

die gut gebauten, völlig geraden Beine sind, finden sich in gleicher Weise in der Statue wieder.

Alle Momente der Beugung, Taillen- und Unterleibsknickung sind gewissenhaft beobachtet und unverändert wiedergegeben.



MODELLE.


401


Das einzige Zu- geständnis, das Klinger der Ueber-

lieferung oder, wenn man will,dem Stein gemacht hat, ist das Weglassen der Körperhaare.

Dem entspricht auch die durch das Material gebotene Vereinfachung in der Behandlung des Haupthaares.

In dieser Statue ist ein bewußtes,

sachverständiges Verbessern kleine- rer Fehler mit ge- wissenhafter Natur- treue zu einer har- monischenGesamt- wirkung vereinigt. Ganz abgesehen von ihrem künst- lerischen Wert ist die Klingersche Ba- dende ein Meister- stück durch die Art und Weise, wie die Brüste verbessert sind.

Schon Brücke hat daraufhingewiesen, daß gerade dieser Körper- teil bei Berufsmodellen fast stets einer Verbesserung bedarf. Nun hat allerdings das Modell Klingers etwas schlaffe, aber sonst ziemlich gute Brüste, die nur durch die Beugung und die dadurch hervor-

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers. 20



Fig. 255. Klingers Modell in rechter Seitenansicht.


402 VERWERTUNG IN DER KUNST.

gerufene Verstärkung ihrer unteren Wölbung weniger vorteilhaft aus- sehen.

Klinger hat sie nicht nur praller, sondern auch größer gemacht. Er hat damit die Harmonie der Formen erhalten und zugleich sein feines Verständnis für die Natur gezeigt. Hätte er die Brüste in gleicher Größe prall gemacht, so ständen sie nicht mehr im Ein- klang zu dem kräftigen Körper. Die am Modell erkenntliche ge- ringere Elastizität der Haut , welche die etwas schlaffere Form der Brüste bedingt, kann lediglich durch deren stärkere Fülle ausge- glichen werden; und das hat Klinger mit richtigem Gefühl getan.

Gerade in dieser Beziehung werden häufig schwere Sünden gegen die Naturwahrheit begangen. Die breiten Hüften, die vollen Arme und Beine findet man leichter beim reifen Weibe, die runden, prallen, kleineren Brüste leichter bei der Jungfrau. Aus der Verbindung beider Vorzüge gehen dann die in der darstellenden Kunst so be- liebten Zwitterformen hervor, die dem unbefangenen Beobachter den gleichen unbehaglichen Eindruck des Unwahren und Gefälschten in der Kunst machen , wie die fehlerhaften , durch das Korsett ver- besserten Frauen im Leben. Solche Gestalten erscheinen künstlich, aber nicht künstlerisch.

Eines der vollendetsten Künstlermodelle, das ich jemals gesehen habe, ist das 1 6jährige Mädchen, nach dem Therese Schwartze die Studie von Tafel VI gemacht hat.

Neben einem auffallend zarten weißen Teint, blauen Augen, rotblondem , leuchtendem Haar und gesunden roten Wangen zeigt das Mädchen, das in Amsterdam geboren ist, eine besonders feine Bildung der Gelenke und Gfiedmaßen und völlig normale Proportio- nen. Ich hatte Gelegenheit, sie auf dem Ateher der Künstlerin zu untersuchen. Es waren auch nicht die geringsten Spuren von Rha- chitis oder schwindsüchtiger Anlage zu finden. Die Körpermaße waren: Körperlänge 165 cm. Schulterbreite 38 cm. Taille 20 cm. Hüftbreite 31 cm. Kopf höhe 21 cm. Abstand der Brustwarzen 21 cm.


MODELLE. 403

Rumpflänge bis zum Schritt 85 cm. Beinlänge bis zum Hüftgelenk 97 cm.

Becken :

Dornenbreite 24 cm. Kammbreite 27 cm. Knorrenbreite 31 cm.

Es ergab sich daraus die seltene Erscheinung, daß die Körperhöhe über 8 Kopf höhen betrug. Von schöner Form waren Hände und Füße.

In seinem Wesen entsprach das Mädchen völlig dem Bilde von Trilby. Sie bewegte sich mit der größten Ungezwungenheit und mit seltener Grazie, sobald sie bemerkte, daß wir sie nur als Kunst- gegenstand betrachteten; sie ließ sich auch gern photographieren, leider aber weigerte sie sich dessen zum zweiten Male, als die erste Aufnahme mißglückt war, und — unbewußt ihrer eigenen Schön- heit — kam sie nicht mehr zur Künstlerin zurück , weil sie eine vorteilhaftere Stellung als Dienstmädchen gefunden hatte. — So ist das Bild, das eine schlafende Psyche vorstellen sollte, nicht fertig geworden, weil diese kleine Psyche in die Küche gehen wollte, statt in effigie zum Olymp emporzusteigen. Aber solch schöne Modelle sind große Ausnahmen, namentlich in den niederen Kreisen.

Eine sehr merkwürdige Erfahrung auf diesem Gebiet machte G. Eberlein. Ein Mädchen, das ihm als Kind Modell gestanden, kam von Zeit zu Zeit auf sein Atelier, um seine Dienste anzubieten. Während der Entwicklungsjahre schien dem Künstler der magere wachsende Körper wenig geeignet. Als sich aber im 16. Jahre während der Reifeperiode die Formen füllten, klopfte sie wieder an und Eberlein war so überrascht von dem Ebenmaß des jungfräu- lichen Körpers, daß er in wenigen Tagen eine genaue Kopie nach der Natur machte, in der natürlichen Stellung, in der das Mädchen nackt vor ihm stand. Er bestimmte sämtliche Maße bis auf die Länge und Breite der einzelnen Fingerglieder, der Nägel und der Zehen genau mit dem Zirkel, so daß, wie er selbst sagte, »eigent- lich kein künstlerischer Gedanke dabei im Spiele war, als vielmehr ein genaues Abschreiben nach der Natur«. Die Gestalt zeigte eine ganz vollendete Schönheit (Fig. 2^6).


404


VERWERTUNG IN DER KUNST.



Vier Wochen später kam das Modell wieder, um dieses Mal nicht mehr kopiert, sondern künst- lerisch verwertet zu werden. Als die Hülle fiel, waren die Formen nicht mehr dieselben, kein Maß stimmte mehr mit der früheren Aufnahme; der Körper war plump und fett geworden. So hatte Eber- lein die unwiederbringhch verlo- rene Schönheit dieses Mädchens im Fluge erfaßt und hatte der Nach- welt erhalten, was das Leben selbst in dieser kurzen Blütezeit von nur vier Wochen zum Dasein schuf.

Ein Zufall fügte es , daß Pro- fessor G. Fritsch einige Monate vorher eine Photographie nach diesem Mädchen anfertigte (Fi- gur 257). In jener Zeit war der Körper, wie aus dem Bild ersicht- lich, noch ganz kindUch in der Form.

Ein besonders überzeugendes Beispiel, wie es dem Künstler möglich ist, ganz allein durch die Stellung einem fehlerhaften Kör- per den Schein der vollendeten Form zu geben , habe ich der Freundlichkeit von Gustav Eber- lein zu verdanken.

Fig. 258 und 259 stellt eines der Mädchen dar, die Eberlein für seine Nymphen mit dem Silen^) als Modell gedient haben.


Fig. 256. Das Mädchen von Gustav Eberlein.


') Vgl. Nymphen und Silen von G. Eberlein. Stratz, Erster Essay. F. Enke, Stuttgart 1900.


MODELLE.


405


Die Maße sind:

Körperlänge 157 cm.

Schulterbreite 40 cm.

Taille 22 cm.

Hüftbreite 32 cm. Die Körperhöhe be- trägt nur sieben Kopf- höhen.

Die Beine sind zu kurz, stehen mit den Knieen nach innen, die

Unterschenkel sind säbelförmig gekrümmt, die Knöchel sind plump, die Unterarme sind etwas verkürzt; es besteht ein leichter Grad von Platt- fuß. Der Brustkorb ist breit, aber flach, und verdirbt infolgedessen die Gestalt der Brüste. Zu allen diesen Zeichen der überstandenen Rha- chitis gesellt sich eine wahrscheinlich auch auf

Rhachitis beruhende krankhafte Lordose, eine zu starke Lendenkrüm- mung, die ein flaches Kreuz, zu starkes Vor- springen des Bauches nach vorn und der Hin- terbacken nach hinten verursacht. Während an den Hüften, am Gesäß und an den Ober- schenkeln die Fettbildung zu stark ist, zeigt dieser Körper als Vor- züge eine kräftig entwickelte Muskulatur und gefällige Rundung



Fig. 257.


Original von Fig. 256, aufgenommen.


Monate früher


406


VERWERTUNG IN DER KUNST.


der jugendlichen Formen unter einer elastischen, prall gespannten Haut.

Die Gestalt ist der Ty- pus einer beaute du diable, ihre Hauptfehler sind die kurzen und krummen Beine, das im Verhältnis zur Brust zu schmale Becken.

Nach demselbenModell sind die von Eberlein selbst gestellten photo- graphischen Aufnahmen (Fig. 260 und 261) ge- macht.

An diesen beiden Auf- nahmen kann man die zahlreichen Fehler des Modells nicht erkennen.

Durch die starke Vor- beugung wird der Ober- körper perspektivisch ver- kürzt und läßt darum die Beine länger erscheinen, durch die leichte Bewe- gungskrümmung im rech- ten, die starke im linken Knie wird die nur am gestreckten Bein deutliche Verkrümmung dem Auge völlig entzogen. Der ge- drungene Gesamttypus wird durch die lang aus- gestreckten Arme, die mit der feinen Modelherung ihrer Muskeln zu vollem Recht kommen, ganz aufgehoben.



Fig. 258. Berliner Modell von 20 Jahren.


MODELLE.


407


Das im Verhältnis zu den übrigen Breitenmaßen zu schmale Becken wird durch seitHche Verschie- bung und Erhöhung der rechten, bei gesenkter hn- ker Hüfte mehr ins Licht gesetzt und kommt in kräf- tiger Ausladung im Umriß hervor. Das hohle Kreuz wirkt hier nicht als solches, weil es durch die forcierte Streckung des Rumpfes in der Bewegung moti- viert ist.

Der in der Richtung der Längsachse des Kör- persausgestreckte Arm läßt die ganze Figur länger und schlanker erscheinen und bringt die gute Form der nach oben gezogenen lin- ken Brust zur vollen Gel- tung. Durch die Stellung der Hände ist das rhachi- tisch verdickte Ellenköpf- chen unsichtbar gemacht.

In ähnlicher Weise sind die Fehler des lebenden Modells in der Rückan- sicht verdeckt worden.

Wie mir Gustav Eber- lein selbst später mitgeteilt hat, waren ihm damals die anatomischen Fehler des Modells völlig unbekannt. Er hat sich allein durch sein künstlerisches Fühlen bei der Auswahl der geeigneten.



Fig. 259. Fig. 258 in Rückansicht.



Fig. 260. Das Modell Fig. 258 durch Eberlein gestellt.



Fig. 261. Dieselbe, in Rückansicht gestellt.



Fig. 262. Nymphen und Silen von Gustav Eberlein.


MODELLE. 411

zur künstlerischen Verwertung vorteilhaftesten Stellung leiten lassen und dabei doch mit beinahe orthopädischer Genauigkeit die Fehler ausgeglichen und verborgen.

Fig. 262 zeigt die künstlerische Verwertung dieses Modells in Eberleins Gruppe: Nymphen und Silen.

Im Gegensatz zu KHnger, dessen Badende, Dank sei ihrem guten Körperbau, trotz der starken Beugung, schön bleibt, hat hier Eberlein durch richtige Verbindung von Beugung und Streckung den fehler- haften Körperbau verdeckt und ihm den Schein der Schönheit verliehen.

Von einem 17jährigen Berliner Modell, Margarete E., stehen mir die genauen Maße, die Photographie und die künstlerische Nach- bildung zur Verfügung.

Ich war in der Lage, alle Maße selbst zu nehmen, Professor G. Fritsch nahm in verschiedenen Stellungen photographische Auf- nahmen und war so freundlich, mir diese zu überlassen. Außerdem aber hat Frau Paczka das Modell künstlerisch verwertet.

Die Maße sind:

Körperlänge 166 cm.

Kopflänge 2^ cm.

Beinlänge 85 cm bis zum Oberschenkelknorren.

Schrittlänge 79 cm.

Brustumfang 85 cm.

Nasenschambeinlänge (Modulus) 66 cm.

Schulterbreite 38 (Umfang 92) cm.

Taillenbreite 22,4 (Umfang 65) cm.

Hüftbreite 32 (Umfang 90) cm.

Brustwarzenabstand 19,75 '^^•

Scheitelschritthöhe 87 cm.

Becken:

Dornbreite 23 cm. Kammbreite 27,25 cm. Hüftbreite 31 cm. Hintere Dornbreite 11 cm.

Hieraus folgt zunächst, daß die Kopflänge 7,2mal in der Körper- länge enthalten ist, daß demnach der Kopf unverhältnismäßig groß ist.


412


VERWERTUNG IN DER KUNST.


Das Bein ist um 7 cm kürzer als vier Kopflängen.

Die Körpermitte liegt unter- halb der oberen Schamhaar- grenze.

Der Unterschied zwischen Schultern und Taille ist 15,6, zwischen Hüften und Taille 9,6, also um 0,4 und um 2,4 cm zu gering. Die Schultern über- treffen die Hüften um 6 statt um 4 cm.

Daraus kann man auf ein Ueberwiegen der Schulter- partie schheßen, was an mehr männliche Bildung erinnert oder an zu geringe Entwick- lung des Beckens denken läßt. Die Beckenmaße haben einen Unterschied von 4,25 und 3,75 cm, sind dabei aber im allgemeinen klein; es handelt sich also um ein typisch weib- lich geformtes Becken, das jedoch im Verhältnis zur Kör- pergröße nicht besonders stark entwickelt ist.

Da der hintere Dornabstand II cm, also I cm über das Maß beträgt, so geht daraus hervor, daß das Becken selbst weibhch ist, jedoch die Schau- feln geringer ausgebildet sind. Von den übrigen Maßen ist auffallend, daß trotz der zu kurzen Beine die Körpermitte doch noch unterhalb der oberen Schamhaar- grenze zu liegen kommt.



Fig. 263. 17jährige Berlinerin nach einer Aufnahme von G. Fritsch.


MODELLE.


413



Fig. 264. Dieselbe von hinten.


Auf die Maße allein angewiesen, muß man die Erklärung für diese Tatsache vorläufig schuldig bleiben.

Was läßt sich nun aus den Maßen allein schHeßen?


414


VERWERTUNG IN DER KUNST.


Zunächst, daß das Mädchen noch nicht völhg entwickelt ist, da der Körper für den Kopf zu klein ist und das Becken trotz guter Maße zu klein für die Schultern.



5


'a


/



e


V




l]<^


/


>-.4





Fig. 265. Proportionen von Margarete, verglichen mit dem Kanon von Fritsch.

Ferner ist irgend ein Fehler anzunehmen, der die Verkürzung der Beine veranlaßt hat.

Damit steht im Zusammenhang die Verkürzung der ganzen Körper- länge, die, nach dem Fritschschen System berechnet, 10^3 Unter-


MODELLE.


415


moduli (hier = 16,5), also 170,5 cm betragen müßte, statt 166 cm, dem- nach um 4,5 cm zu kurz ist.

Von den verschiedenen Aufnahmen, welche Professor G. Fritsch von dem Mädchen gemacht hat, sind zwei in Fig. 263 und 264 reproduziert. Beide Aufnahmen sind unter nicht gerade sehr günstigen äußeren Umständen mit Blitzlicht gemacht; auf künstlerische Auffassung ist dabei absichtlich kein Wert gelegt; sie sollen nichts weiter sein als wissenschaftliche Dokumente.

Zur Vergleichung mit den abso- luten Maßen habe ich zunächst in die Umrisse der ersten Photographie einige Gelenkpunkte und den Modulus ein- getragen, daneben auf den Modulus die Normalmaße in vollen Linien kon- struiert und nach der Vorschrift von Fritsch in punktierten Linien die wirk- lichen Maße der Margarete beigefügt (Fig. 265).

Endlich ist in Fig. 266 ein Maß- stab in Kopflängen mit einer diop- trisch nach der Photographie über- tragenen Profilzeichnung des Mädchens zusammengestellt.

Aus der Vergleichung der Figuren lassen sich jetzt eine Reihe von Er- scheinungen erklären, die bei der Ver- gleichung der Maße bereits auffielen.

In Fig. 266 ist auffällig, daß das Kreuz wenig eingebogen ist, in Fig. 263 resp. 265, daß die Begrenzungslinien des Unterleibs gegen die Schenkel einen sehr spitzen Winkel bilden. Daraus geht hervor, daß die Neigung des Beckens eine sehr geringe ist. Infolge-



Fig. 266. Dioptrische Profilzeichnunj nach Kopflängen.


416 VERWERTUNG IN DER KUNST.

dessen ist ein größerer Teil der Schamspalte von vorn zu sehen, und aus dem zu hohen Stande dieser Teile erklärt sich, warum die Kör- permitte trotz der kurzen Beine doch noch unterhalb der oberen Schamhaargrenze steht. Wäre das Becken bei sonst gleichen Ver- hältnissen stärker geneigt, dann müßte die Körpermitte mehr am Unterleib in die Höhe treten.

Der scheinbare Widerspruch ist also erklärt durch das Zu- sammentreffen von zv/ei Fehlern: zu schwache Beckenneigung und zu kurze Beine.

Letztere hängt, wie aus Fig. 265 hervorgeht, namentlich von der Verkürzung unterhalb des Knies ab, und zwar lehrt der Anblick von Fig. 263, daß es sich um einen etwas schief angesetzten und zugleich verkrümmten Unterschenkel, außerdem aber um einen leichten Grad von Plattfuß handelt. Ebenso sind auch die A^orderarme verkürzt, und in Fig. 263 erkennt man deutlich am rechten Arm das vor- springende Ellenköpfchen.

Außer der Verkürzung und Verkrümmung von Unterschenkel und Unterarm, außer dem vorspringenden Ellenköpfchen finden sich noch Verdickungen der Handgelenke und der Knöchel, und damit eben- soviele Zeichen einer früheren Rhachitis.

Trotz der krankhaften Verkürzung des Beines bleibt aber immer noch ein gewisses Mißverhältnis zwischen der Kopf- und der Körper- länge; denn selbst bei einer Länge von 170,5 cm ist sie doch nur gleich 7,4 Kopflängen. Dies Verhältnis ist kennzeichnend für einen noch nicht völlig ausgewachsenen Körper.

Es ist aber auch ersichthch, daß trotz gut entwickelter Muskeln, die sich namentlich am Oberarm und Rücken sehr schön ausprägen, die Formen etwas Eckiges haben; ferner treten die Schlüsselbeine und die Muskeln darüber stark vor, alles infolge von geringer Ent- wicklung des Fettpolsters der Haut. Auch dies ist ein Zeichen ent- weder schlechter Ernährung oder noch nicht vollendeten Wachstums. Gegen erstere sprechen aber die kräftige Muskulatur, die gut ent- wickelten Brüste und die glatte Haut.

Dies sind somit lauter Zeichen, aus denen hervorgeht, daß das Mädchen seine volle Reife noch keineswegs erreicht hat, daß es halb Kind, halb Jungfrau ist.


TAFEL VII.



JUNGES MADCHEN. (Nach einer Zeichnung von Cornelia Paczka )


MODELLE. 417

Auffallend bei dem sonst mageren Körper ist die relative Größe der Brustdrüsen bei verhältnismäßig wenig voneinander entfernten Warzen. Dies erklärt sich aus der großen Elastizität der Haut, die auch den größten Vorzug dieses Körpers bildet. Während die Haut am Busen dem Brustbein fest anhaftet, hat sie der wachsenden Brust- drüse hier gar nicht, in der Achselhöhle nur widerstrebend nachge- geben, bis die größte Masse der Drüse seitlich ausgewichen ist; die Warzen aber sind in gleicher Entfernung voneinander stehen geblieben.

Ein weiterer Vorzug ist der schöne Bau des Auges.

Bei Vergleichung der gegebenen Abbildungen lassen sich leicht noch zahlreiche w^eitere Fehler und Vorzüge entdecken.

Im wesentlichen ist der Hauptreiz die jugendliche Frische, der Hauptfehler die Ueberreste der englischen Krankheit.

Wenn man das Modell kennt, so muß man über das feine Ge- fühl staunen, mit dem Frau Paczka dessen Vorzüge zu erhöhen und die Fehler zu verdecken wußte, ohne dabei jemals das Original und die Naturtreue zu verleugnen.

Tafel VII ist eine getreue Nachbildung des Werkes der Künst- lerin, das direkt auf die Aluminiumplatte gezeichnet wurde.

Die gewählte Stellung erinnert an den betenden Knaben im BerHner Museum.

Frau Paczka wußte nicht, daß das Mädchen Rhachitis hatte, trotz- dem aber hat sie deren Zeichen als häßlich empfunden und sie so weit abgeschwächt, daß sie nicht störend wirken.

Die größten Schwierigkeiten boten die Beine; hier galt es, die leichte X-Form, den Plattfuß, die Verdickung des Fußgelenkes, die Krümmung und Verkürzung des Unterschenkels zu bedecken.

Das linke Bein ist zunächst im ganzen etwas nach außen ge- dreht, wodurch sich die leichte X-Stellung weniger scharf ausprägt. Im rechten Beine ist durch die Einwärtsbeugung des Knies die X-Stellung in natürlicher Weise erklärt und wirkt darum nicht als Fehler.

Dadurch aber, daß diese Beugung stärker ausgedrückt ist, läßt sie den Fehler am nicht gebeugten Bein beinahe verschwinden.

Durch Verkürzung ist rechts, durch Drehung Hnks die Ver-

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers. 27


418 VERWERTUNG IN DER KUNST.

krümmung der Unterschenkel dem prüfenden Auge entzogen, der Mangel in der Länge ist ausgebessert.

Die Drehung des linken Fußes nach außen ist groß genug, um die Messung des geraden Verlaufes durch die Mikuliczsche Linie zu vereiteln, und doch auch wieder nicht so groß, daß an dem Tiefer- treten des inneren Fußrandes der Plattfuß erkannt werden kann.

Am rechten Fuß ist durch die Bewegung der fehlerhafte Stand völlig verwischt.

Die Knöchel sind etwas höher gestellt und etwas schlanker ge- zeichnet.

Somit hat Frau Paczka durch gut gewählte Stellung und einige leichte Verbesserungen ihre Aufgabe in glücklichster Weise gelöst.

Das Verhältnis des Kopfes zur Körperlänge ist in dem Kunstwerk wie 7 zu I, also noch ausgeprägter zu Gunsten der Kopfgröße.

Die Begrenzungslinie zwischen Rumpf und Beinen bildet einen stumpfen Winkel, und die Stellung ist so gewählt, daß die Becken- neigung eine größere ist.

Durch diese Bewegung wird auch die Beckenpartie mehr nach vorn gebracht, sie erscheint größer und zeichnet die Muskeln deut- licher.

Am Oberkörper ist die schöne Entwicklung der Brüste und der Muskulatur des Modells ganz unverändert beibehalten.

Alle diese Mittel haben den gleichen Zweck, die Weiblichkeit und die Jugend des Modells noch mehr hervortreten zu lassen.

So, wie sie vor uns steht, ist es eine halbgeöffnete Mädchen- knospe, die mit leichtem Schritte dahinwandelt, um die lächelnde Zukunft mit offenen Armen zu umfassen.

In der Ansicht von hinten (Fig. 267) war es weit schwieriger, die gegebenen Fehler zu verbergen; am rechten, zum Teil bedeckten Bein ist das Problem wieder durch die Beugung im Knie gelöst; am linken ist die Einwärtsstellung des Knies dadurch gemildert, daß das Becken im Hüftgelenk nach rechts tiefer gestellt ist. Doch läßt sich nicht leugnen, daß trotzdem der Fehler nicht völlig ver- schwunden ist.

Die freundliche Künstlerin möge mir verzeihen, daß ich ihr Werk dazu benutze, um auch zugleich ein wenig die Künstlerseele


MODELLE. 419

ZU analysieren; aber ich fand die Gelegenheit zu verlockend, um darzutun , daß der echte Künstler unbewußt den Maßstab des



Fig. 267. Rückansicht eines jungen Mädchens. (Zeichnung von Cornelia Paczka.)

Schönen in sich trägt, und seinem Gefühle folgend als häßlich ver- meidet, was Männer der Wissenschaft als krank und fehlerhaft brand- marken.


420 VERWERTUNG IN DER KUNST.

Und indem ich dieses Beispiel antührte, habe ich zugleich gesagt, was mein Buch dem Künstler sein soll. Es soll ihn nichts Neues lehren, es soll ihm nur den wissenschaftlichen Beweis Hefern, daß sein Gefühl das richtige ist, es soll ihm ein Wegweiser sein im Gebiete des Schönen und ihn überzeugen , daß sein Schönheitsgefühl den gleichen Naturgesetzen unterworfen ist, denen wir uns alle fügen müssen.

Je genauer der Künstler die Natur kennt, je tiefer er in das Wesen ihrer Erscheinungsformen eingedrungen ist, desto besser w'ird er das Schöne und Erhabene der Natur in seine künstlerische Hand- schrift übersetzen und seinen kurzsichtigen Mitmenschen verständHch machen können. Je heiliger ihm die Natur ist, desto erhabener wird sein Werk sein.

Der echte Künstler ist der Hohepriester der Natur. Seine schöne und erhabene Aufgabe ist es, deren Herrlichkeiten der lauschenden staunenden Menge zu offenbaren, sie, durch seinen SeherbHck ver- klärt, dem Volke zu enthüllen. So wie seine geweihten Augen die Schönheit erblickt haben , so zeigt er sie den niederen Sterb- lichen, deren blöde Sinne erst durch ihn zum richtigen Verständnis geweckt werden. Seine Kraft , seine Stärke aber empfängt er aus dem ewig unversieglichen Bronn der schönen Gotteswelt selbst. Sie sei sein Gott, sein Werk ihr Evangelium. Wehe aber, wenn er seinen Gott verleugnet und sein eigenes Werk höher stellt als die ewigen Werke der Natur. Dann schwindet seine Macht, und seine Ueberhebung endet mit dem Verlust der Künstlerschaft von »Gottes Gnaden«.

Nicht jeder Künstler, der ganz und voll seinem inneren göttlichen Drange folgt, darf hoffen, bei der lebenden Mitwelt die verdiente Anerkennung zu finden. Im Gegenteil, gerade die Bahnbrecher eilen ihren Mitmenschen oft um Jahrhunderte voraus, und spätere Ge- schlechter ernten die Saat, die der Gestorbene ausstreute. Gerade diese Besten aber dürfen sich durch den mangelnden äußeren Erfolg nicht entmutigen lassen, ihrer inneren Stimme zu folgen und der Wahrheit und Schönheit unentwegt treu zu bleiben.

Zu ihrem Tröste möge dienen, daß auch für sie das Wort des Dichters geschrieben ist:


VERWERTUNG IN DER KUNST. 421

Die wenigen, die was davon erkannt, Die töricht gnug, ihr volles Herz nicht wahrten, Ihr Schauen, ihr Gefühl der Menge offenbarten. Hat man von je gelästert und verbrannt.

Aber später treten gerade die Märtyrer des Fortschrittes in das Reich der Unsterbhchen ein.

Eine mächtige Förderung hat die richtige Beobachtung der Natur in letzter Zeit durch die Ausbildung der photographischen Technik erfahren. Abgesehen von der Vervollkommnung in der Technik läßt sich der Tätigkeit der Photographen auch eine künstlerische Seite abgewinnen, welche auf der ästhetischen Anpassung des Objekts an die Grenzen der mechanischen Wiedergabe beruht.

Nur ausnahmsweise finden sich jedoch unter den zahlreichen Samm- lungen photographischer Aktstudien Aufnahmen, die einen künst- lerischen Eindruck machen und von richtiger Verwertung des Modells zeugen. Einmal liegt dies an der Verwendung schlechter Modelle, dann aber auch an dem Mangel an künstlerischem Gefühl, das der mechanischen Arbeit des Apparates zu Hilfe kommen muß.

Unter den loo Lichtbildern in dem bekannten »Akt« von Koch und Rieth hat keines dieser Künstlermodelle einen normalen Körper, ebensowenig in den 50 Freilichtstudien von Koch. Im Kinderakt von Max Peiser findet sich nur ein einziges Mädchen (Blatt 41), das normal gebaut ist. Also eine unter 200, die aus dem Modell- stehen einen Beruf machen.

Geschmacklose Staffage, schlechte Einstellung und unnatürliche theatralische Haltung sind die Hauptfehler, die auch bei besser ge- bauten Modellen den Gesamteindruck verderben. Davon unterscheiden sich vorteilhaft die leider etwas veralteten Wiener Akte von Heid, die Wiener Aufnahmen von O. Schmidt, sowie eine Münchener Serie von Estinger, der wahrhaft künstlerisches Fühlen nicht abzusprechen ist.

Eine Sammlung meist sehr guter Aktstudien, in der O. Schmidt, H. Erfurth u. a. vertreten sind, hat Klary^) veröfi'entlicht.

Fig. 268 ist ein Münchener Modell von 17 Jahren. Beleuchtung und Gruppierung sind harmonisch ausgesucht, der Gegensatz zwischen


La Photographie du Nu. Paris 1902.


422


VERWERTUNG IN DER KUNST.


dem schlanken glatten Mädchenkörper und dem zottigen Hundeleib kommt gut zur Geltung, alle Vorzüge des ziemHch tadellosen Modells sind richtig gewürdigt, die Fehler geschickt verdeckt; das Ganze macht einen abgeschlossenen künstlerischen Eindruck, gleichviel, ob


1


Wi




^■^%: ^



K



»' 1^


K S. .


^hIHI


\


JH



H $


]:£


^^



■»'ÖBn? ^ ICH


m


u, \





Fig, 268. Münchener Modell von 17 Jahren mit russischem Windhund.

(Aufnahme von Estinger, )

man die Gruppe »Nymphe der Diana« oder »Mädchen mit Hund«  bezeichnen will.

Als Beispiel einer technisch sehr vollkommenen Freilichtaufnahme kann Fig. 269 gelten, zu der eine 20jährige Münchenerin als Modell gedient hat. Der jugendliche Körper zeigt eine sehr gute Bildung


VERWERTUNG IN DER KUNST.


423


des Rückens, schön ausgeprägte Kreuzgrübchen und mittlere Furche; die Beleuchtung ist so glücklich gewählt, daß auch die feinsten



Fig. 269. Freilichtstudie. (Aufnahme von Estinger.)

Einzelheiten dieses Körpers zur Geltung kommen; dabei ist die Stellung ebenso wie der Gesichtsausdruck völHg natürlich und un- gezwungen.


424 VERWERTUNG IN DER KUNST.

Weitere Beispiele künstlerisch empfundener photographischer Auf- nahmen finden sich in den vorigen Abschnitten.

Aber selbst wenn derartige Aufnahmen mit feinstem künstleri- schen Gefühl gemacht sind, können sie an künstlerischem Wert niemals dem Werke des Malers und Bildhauers gleichgestellt werden. Denn es fehlt ihnen das, was ich die künstlerische Handschrift genannt habe, die individuelle Uebersetzung der Natur in ein Kunst- produkt.

Andererseits aber haben sie vor dem Kunstwerk den Wert der Objektivität voraus, und werden dadurch zum wissenschaft- lichen Dokument, das dem Künstler bei seiner Arbeit ebenso wichtig ist, als dem Gelehrten bei der seinigen.


XIX.

Vorschriften zur Erhaltung und Förderung weiblicher Schönheit.

Der Eingeweihte steht erstaunt vor der Fülle von Mitteln, die das Weib besitzt, um Vorzüge zu heucheln, die sie nicht hat, und Fehler so geschickt zu verbergen, daß sie sich in Vorzüge ver- wandeln. Darin ist das Weib Meister, und es wäre vermessen, ihr darüber noch Vorschriften geben zu wollen; das hieße Eulen nach Athen tragen.

Wer Fehler hat und sie verbergen will, für den sind alle Mittel erlaubt, und wenn eine Frau ihren an und für sich schon schlechten Körper noch mehr im Dienste der Mode verderben will, um ihren glücklicheren Schwestern ähnlich zu sehen, so hat sie fremden Rat dabei nicht nötig.

Meine Absicht ist nicht, wie in einem Kochbuch Rezepte für Schönheit oder ein Verzeichnis der zahlreichen, mir bekannt ge- wordenen Toilettengeheimnisse herauszugeben; ich will vielmehr darauf hinweisen, wie jedes Weib die ihr von der Natur verliehenen Gaben am besten entwickeln kann, und da diese am meisten beim heranwachsenden Geschlechte sowohl günstig als ungünstig beein- flußt werden können, so richten sich m.eine Worte hauptsächUch an die Mütter.

Ich habe oben bereits darauf hingewiesen, daß Schönheit stets individuell ist, daß es deshalb keine mathematisch umschriebene Form der Schönheit gibt, sondern daß sie die höchste Ausbildung einer Individualität innerhalb der unabänderlich fest- stehenden Grenzen normaler Entwicklung ist.

Vorschriften lassen sich deshalb nur für die feststehenden Gren- zen geben; doch ist selbst hierbei häufig der Rat und die Erfahrung eines Sachverständigen nötig, und insofern will ich gerne den Vor-


426 VORSCHRIFTEN ZUR ERHALTUNG WEIBLICHER SCHÖNHEIT.

wurf auf mich nehmen, daß ich eine Oratio pro domo hake, wenn ich darauf aufmerksam mache, welche große Rolle im Leben der Frau der Arzt zu spielen berufen ist^).

Ich glaube nicht, daß diese unnötig ist. Allerdings besteht schon seit Jahren in England die Sitte, daß alljährlich die ganze Familie, und namentlich deren weibliche Mitglieder, zum Zahnarzt pilgert, um sich das Gebiß nachsehen zu lassen, gleichgültig, ob es gut oder schlecht ist.

Außer den Engländern zeigt aber niemand seine Zähne, solange sie noch gesund sind, und alle anderen Körperteile werden von allen, die Engländer einbegriffen, vernachlässigt.

Es gibt allerdings einzelne Ausnahmen, und wie mir, ist es wohl jedem Arzte hie und da einmal vorgekommen, daß eine Mutter ihre Tochter untersuchen läßt, um die Gewißheit zu haben, daß sie nicht krank ist.

Wie viel Unheil könnte verhütet werden, wenn diese Sitte all- gemein wäre, und wenn in solchen Fällen weder die Mütter noch die Aerzte sich durch eine gewisse falsche Scham davon abhalten ließen, die Untersuchung so gründlich vorzunehmen, als der Ernst der Sache es erheischt.

Es ist ja im allgemeinen viel leichter, eine deutlich ausgesprochene Krankheit zu erkennen, als einen Körper daraufhin zu untersuchen, daß er keine Krankheit oder Spuren davon besitzt.

Die Sorge für den Körper des Mädchens beginnt eigentlich schon vor der Geburt, da zu starkes Schnüren während der Schwangerschaft den kindlichen Körper zeitlebens zu verderben im stände ist. Die schwerstwiegenden Sünden werden aber meist in der Periode des Wachsens und Reifens begangen.

Ich bilde mir nicht ein, daß es mir gelingen wird, viele Prose- lyten zu werben — der alte Sömmering ist schon beinahe hundert Jahre tot, und noch immer werden Korsetten getragen — , wenn ich aber auch nur eine oder einige Mütter bekehrt habe, dann ist dies Buch nicht umsonst geschrieben.


^) Sehr empfehlenswert ist das vor kurzem in neuer Auflage erschienene Buch von Paschkis über Kosmetik. In anregender Sprache geschrieben, ent- hält es eine Fülle kosmetischer Vorschriften, ohne dabei seinen streng wissen- schaftlichen Charakter zu verleugnen.


VORSCHRIFTEN ZUR ERHALTUNG WEIBLICHER SCHÖNHEIT. 427

Die erste Regel lautet: Weite Kleider vor und enge Kleider nach der Geburt, im eigenen Interesse und in dem des Kindes.

Jeder Druck beeinträchtigt den Raum für das werdende Kind und hemmt es in seiner Entwicklung. Die an und für sich schon in dieser Zeit stark gespannte Bauchwand wird durch Druck von außen noch mehr aus ihrer natürlichen Lage gedrängt, die Muskeln erschlaffen und sind nie wieder im stände, ihre frühere Elastizität zu erlangen.

In den letzten Monaten der Schwangerschaft sind statt des Korsetts Binden empfehlenswert, die den Bauch unterhalb des Nabels stützen und heben, ohne zu drücken.

Um die Elastizität der Haut und damit die schöne Form der Brüste und des Unterleibs zu erhalten, empfiehlt es sich, nament- lich in der letzten Zeit der Schwangerschaft, diese Teile häufig, mindestens zweimal täglich, mit einer möglichst kalten Lösung von 30^/oigem Alkohol gründlich zu waschen.

Nach der Geburt muß, namentlich in den ersten Wochen, durch enge Kleider die Bauchwand so lange in ihrer Lage erhalten und unterstützt werden, bis sie wieder ihre volle Elastizität erlangt hat. Dies ist meistens nach sechs Wochen der Fall. Jeder Tag weniger ist ein Leichenstein auf dem Grabe der Schönheit.

In England erhält das Mädchen, das sich verheiratet, eine Leib- binde mit auf den Weg, die sich genau an die Form des jungfräu- lichen Leibes anschließt. Sie wird sofort nach der Geburt angelegt, drückt wohl am ersten und zweiten Tag, wirkt dann aber wohltuend durch den Halt, den sie gewährt, und erhält seiner Besitzerin die jugendliche Form des Bauches.

Die indischen Frauen, deren Beispiel jetzt viele Holländerinnen nachahmen, binden den Unterleib nach der Geburt sehr fest ein, wobei sie sich der javanischen Gurita (Fig. 270) bedienen.

Die Gurita ist eine aus zwei in der Mitte übereinander genähten viereckigen Leinwandlappen bestehende Binde. Der äußere Lappen ist in fünf bis zehn Streifen jederseits gespalten. Die inneren nicht gespaltenen Lappen werden fest um den Leib angezogen, wo nötig, wird darunter noch ein zusammengefaltetes Tuch zur Erhöhung des Druckes gelegt, und dann werden die Enden der äußeren Streifen fest in der Mitte geknüpft. Man kann nun, ohne die Gurita abzu-


428 VORSCHRIFTEN ZUR ERHALTUNG WEIBLICHER SCHÖNHEIT.


nehmen, jeden einzelnen Knoten nach Bedarf enger und weiter machen. Noch mehr Halt gibt eine Gurita, die bis zur Mitte des Oberschenkels («) herabreicht.

Deutschland, Frankreich und andere gebildete Länder aber, in



fe


')


^ 2)


^


^1


"^


<-)


% ^1


^


^1


'F t '^


L^ f ^^


■^^ ff\


Fig. 270. Indische Gurita.

denen das Schnüren des Unterleibs nach der Entbindung vernach- lässigt und von manchen Aerzten törichterweise selbst abgeraten wird, sind die Heimat der Hängebäuche.

Wie für die Mutter enge, so sind für das Kind nach der Geburt


VORSCHRIFTEN ZUR ERHALTUNG WEIBLICHER SCHÖNHEIT. 429

weite Kleider angemessen. Je freier es sich bewegen kann, desto besser können Gliedmaßen und Brustkorb sich ausdehnen und entwickeln.

Darum ist die zweite goldene Regel für das heranwachsende Mädchen: Weite Kleider und freie Bewegung. Und dies gilt nicht nur für den Säugling, sondern für das ganze Zeitalter des Wachstums.

So natürlich das scheint, so viel wird dagegen gesündigt. Nament- lich die freie Bewegung wird oft falsch aufgefaßt. Das Spielen der Kinder, ihnen von der Natur angeboren, fördert ihre Entwicklung viel mehr als das systematisch betriebene Turnen, bei dem von jedem, ohne Rücksicht auf jeweilige Körperkraft, dasselbe gefordert wird.

Zu früh angestellte Versuche, ein Kind gehen zu lernen, sind schädlich. Wenn es die nötige Kraft besitzt, wird es von selbst laufen. Erzwingt man dies zu früh, dann werden die zu schwachen Beine krumm.

Faule Kinder sind meist auch schwache Kinder. Wenn ein Kind wächst, hat es mehr Bedürfnis nach Ruhe als ein Erwachsener. Kinder zu ermahnen, daß sie gerade sitzen, ist gut; ihnen aber schlechte Stühle ohne Lehne zu geben, um sie dazu zu zwingen, ist eine Sünde, die das erwachsene Kind mit einem krummen Rücken büßt.

Die dritte goldene Regel ist: Kräftige Nahrung, frische Luft und reichlicher Schlaf. Sie sind für Darm, Lungen und Nerven das, was weite Kleider und freie Bewegung für Knochen, Muskeln und damit für die Körperform sind. Da aber alle Teile des Körpers ineinander greifen, so kann die gleichmäßige Versorgung aller nicht entbehrt werden.

Als vierte goldene Regel gilt: Die Pflege der Haut, und dabei ist Wasser und Seife in sehr reichlicher Menge für täglichen Gebrauch ein lange noch nicht genug geschätztes Mittel der weib- lichen Kosmetik.

Schmutzige Kinder können ja auch schön sein, dies zeugt jedoch nur von der Unverwüstlichkeit der menschhchen Natur und ist kein Argument gegen den Rat, durch peinUchste Reinlichkeit die Tätig- keit der Haut und damit die Schönheit des Körpers zu erhöhen.

Wer weiß, wie viel schöner Murillos Zigeunerknaben sein würden, wenn sie sich regelmäßig gewaschen hätten.


430 VORSCHRIFTEN ZUR ERHALTUNG WEIBLICHER SCHÖNHEIT.

Wenn das Mädchen zur Jungfrau heranreift, dann verfällt es dem Korsett, und zwar umso eher, je weniger »Figur« es hat.

Brücke^) hat schon daraufhingewiesen, daß gerade die Backfische mit gedrungenen Formen »sich zu den schönsten Gestalten auswachsen«, sobald sie emporschießen.

Je früher man ein Korsett anlegt, desto mehr verdirbt es die Gestalt und vereitelt die volle Entwicklung der Körperformen. Ich habe bereits oben auf die nachteiligen Folgen des Korsetts hin- gewiesen. Hier sei nur nochmals hervorgehoben, daß ich das Korsett als solches keineswegs verdamme, sondern nur den Mißbrauch, der damit getrieben wird.

Das Korsett ist eine vortreffliche Stütze für die Last der Kleider, die den unteren Teil des Körpers verhüllen, und dient dazu, deren Druck auf eine größere Oberfläche zu verteilen. Um diesem Zweck zu entsprechen, muß es drei Bedingungen genügen:

Es muß auf den Hüften ruhen, damit es die weichen Teile nicht zu sehr drückt.

Es muß lose sitzen, um weder die Bewegungen des Körpers zu hemmen, noch die unter ihm liegenden Organe, den Magen, die Leber und die Gedärme zu beengen.

Es darf nicht hoch hinaufreichen, um weder die Atmung zu hindern, noch die Rückenmuskeln in ihrer Bewegung und Ausbildung zu beeinträchtigen.

Dazu kommt endHch noch, daß die Schwere der Unterkleider auf das geringste Maß beschränkt sein soll; je weniger und je leichtere Unterkleider getragen werden, desto leichter ist die Auf- gabe des Korsetts.

Von allen mir bekannten Formen ist das Corset ceinture sowie ein von Madame Gache-Sarraute, docteur en medecine in Paris, an- gegebenes Modell (auch für Fettleibige geeignet) das beste und natur- gemäßeste^).

Die Frage, wann ein Korsett angelegt werden soll, ist ebenso schwierig zu bestimmen, als der Zeitpunkt der höchsten Blüte. Vor- her ist es schädlich, während und nach derselben empfehlenswert.

^') 1. c. p. 71.

^j Vgl. Stratz, Fraucnkleidung. F. Enke. 3. Auflage, 1904.


VORSCHRIFTEN ZUR ERHALTUNG WEIBLICHER SCHÖNHEIT. 43 1

Da aber diese Blütezeit, wie ich oben auseinandersetzte, bald im 15., bald im 30. Jahre und noch später eintritt, so ist eine Entscheidung nur im individuellen Falle möglich.

Jedenfalls kann man sagen, daß das Korsett nicht eher angelegt werden darf, als bis die Hüften so breit sind, daß sie ohne Schnüren eine Stütze gewähren.

Der zweite dunkle Punkt in unserer Gesittung ist der Fuß. Frau Paczka versicherte mir, daß sie noch nie einen schönen weiblichen Fuß gesehen habe. Ich war glücklicher, aber nicht oft. Auch die Füße werden meist schon in der Jugend verdorben und zwar nicht nur im Reiche der Mitte.

Zahllos sind die Schwestern von Aschenbrödel, denen kein Opfer zu groß ist, um ihre größeren Füße in kleinere Schuhe zu zwängen. Diese Unsitte würde nur dann aut hören, wenn man wieder anfinge, auf bloßen Füßen oder auf Sandalen zu gehen. Daß dies aber nicht geschieht, dafür sorgen die zahlreichen Vertreterinnen des schönen Geschlechts, die ihre Füße nicht mehr zeigen können. Den Mut, den zu kleinen Schuh aufzugeben, um einen schönen Fuß zu be- sitzen, werden nur wenige haben.

Passende Strumpfbänder findet man jetzt häufiger als vor einigen Jahren; doch auch hierin ist noch manches zu verbessern. Für Kinder und junge Mädchen ist es am besten, überhaupt keine Strümpfe, sondern Socken zu tragen, die das Bein nirgends beengen^).

Wenn ich mir schließlich noch den bescheidenen Rat erlaube, dem Frauenarzt Gelegenheit zu geben, durch rechtzeitiges Eingreifen so manchen sorgfältig verborgen gehaltenen Krankheitsherd im Keime zu ersticken, so glaube ich in großen Zügen alles erwähnt zu haben, was zum Heil und Wohlsein des reifenden Weibes getan werden kann.

Ob ich tauben Ohren gepredigt habe, wird die Zukunft lehren.


^) Eine sehr ausführliche, namenthch für die Verfertigung von Kleidern wertvolle Besprechung findet sich, wissenschaftlich und doch allgemein ver- ständlich behandelt, in dem Handbuch der angewandten Anatomie von L. Pfeiffer. 1899, Spamer, Leipzig.


Sachverzeichnis.


Absatz 319.

Achselhöhle 196.

Adamsapfel 182.

Aesthetik 49.

Affentvpus 156.

Aktstudien 422.

Albanerin 382.

Amazone von Vosmaer 396.

Ammenbrust 147.

Anamnese 144.

Anatomie 14.

Anmut 288.

Ansatz, schiefer, des Vorderarms 250.

— , — , — Unterschenkels 268.

Antinous 17. 18.

Aphrodite vom Esquilin 21. 22.

— von Medici 17. 19. 40. 320.

Melos (Milo) 7. 18. 20. 40.

Neapel (Torso) 126.

— vom Vatikan 9. 10.

— kauernde, vom Vatikan 309. 398.

— von Botticelli 29. 32. 33. 119. 208.

— — Thorwaldsen 35. 38.

— — Tizian 31.

Ariadne von Dannecker 397.

Arm 250.

Armachse 252.

Arria und Paetus 8.

Astarte 8.

Auge 164.

— , Farbe des 277.

Augenblase 153.

Augenbrauen 164. 276.

Augenfalte, obere 165. 168.

B

Badende von Klinger 398.

Bäckerbein 147.

Bakairi 6.

Ballettänzerinnen 104.

Bauch 218.

Bauchlinie 226.

Beau jour 286.

Beaute du diable 93. 214. 215. 406.

Becken 79. 82. 83. 137. 190.

— , plattes 239.

Beckenlinie 225. 226.


Beckenneigung 82.

Bein 263.

Beispiele normaler Körper 366.

Beugung 293.

— des Rumpfes 308. Bewegung 288. Bierbauch 147. Bleichsucht 128.

Blick, künstlerischer 12.

Blondine 278. 280.

Blüte, höchste 92. 93. 143.

Bock am Ohr 168.

Breitenmaße 139.

Brünette 279. 280.

Brust (allg.) 196.

Brüste, weibliche 44. 200 f.

— , reife 203.

Brustansatz 207. 209.

Brustdrüsen, überzählige 73. 75.

Brustknospe 201.

Brustkorb 196. 200. 204.

Brustmuskeln 192. 198. 205.

Brustwarzenabstand 211.

Brustwarzenfarbe 277.

Büste 176.

Busen 201.

C Collier de Venus 159. 160. 182. 183. Corset ceinture 430.

D

Darmbein 218. Diaphyse 250. Dornen 218. Dornfortsätze 189. Drehung des Rumpfes 314.

— des Zehenballens 270. Druckfurche der Strumpfbänder 134. Durchschnittsfigur von Sargent 61. Durchschnittswert 136.


Elektrisches Licht 287.

Ellenbogen, spitzer 250.

Ellenköpfchen, Hervortreten des 251.

Email der Zähne 277.

Embryo 69.

— , erster Monat 70.


SACHVERZEICHNIS.


433


Embryo, zweiter Monat 73.

Entwicklung 69.

— , symmetrische 140.

— des Gesichts 153. Epilation 8. Epiphyse 250. Ernährung 96. 141. Euterbrust 203. Eva 25.

— von van Eyck 28. 32.

— vom Mailänder Dom 32. 86.

— von Stuck 112. 395.


Familienähnhchkeit 72. Familienheiraten 75. Farbe der Augen 277.

Haare 275.

Haut 274.

— — Umgebung 288.

Farbenharmonie 273.

Fleischkost 97.

Froschbauch 223.

Fuß 268. 431.

Fußbekleidung 135. 270. 400. 431.


Gänsehaut 275. Gallier, sterbender 8. Gang, menschlicher 346. — , weiblicher 271. 349. Gaslicht 287. Gegenbock am Ohr 168. Gegenleiste 168. Gehörgang 168. Geromorphisme 94. Gesäß 240. Geschlecht 78.

Geschlechtsmerkmale 78. 361. Geschwänzte Menschen 72. Gesicht 152. Gesichtsmuskeln 161. Gipsabguß 14. Ghedmaßen, obere 249. — , untere 262. Grain de beaute 118. Grenzlinien zwischen Rumpf und Schen- keln 223. 227. Grübchen in der Hand 256. 257. — im Kinn 162. 163.

Kreuz 238. 240.

Gurita 427. 428.


H

Haare der Frau 151. 276. Haarmenschen 72. Habitus 118. 121. Hängebauch 223. 428.

Stratz, Die Schönheit des weiblichen Körpers.


Hängebrust 216. 217. Hals 176. 180. 184.

Halswirbel, siebenter 189. Hand 249. 258. Hasenscharte 154. Haut 274. Hautfalten am Gesäß 245.

— über der Hüfte 241. Hautkrankheiten 117. 275. Hebelwirkung 289. Hindukunst 390. Hinterbacken 244. Höhenmaße 138. Hottentottengesäß 248. Hottentottenschürze 230. Hüftbreite 79. 139. 218. Hüften 240. Hüftstellung 322. Hühnerauge 270. Hühnerbrust 197. 199. Hüpfen 357.

I J

Individualität 145. Infantiüsmus 88. Inguinallinie 226. Judit 27. Jungfräulichkeit 284.

K

Kanon 50.

— von Fritsch 54. 55. 66. 141.

Geyer 54. 58. 67.

Hay 52. 60.

Polyklet 51.

Richer 54. 58. 67.

Sargent 61. 63.

. Thomson 60. 62.

— der Ernährung 98. Kapuzenmuskel 177. 179. Keimblätter 152. Kiemenbogen 69. Klavierspielen 104. Kleidung 123. 330. 353. 426. Kleinheit des Gesichts 156. Knickungsfalten 317. Knickungsfurchen 302. 303. Knie 265.

Kniebänder 266. Knochenerweichung 115. Knochenmarkeiterung 115. Knöchel 268. Knospenbrust 202. Körper, abgemagerter 101. — , magerer 100. — , normaler 362. 366. Körpergewicht 97. Körperlänge 79. 139.


28


434


SACHVERZEICHNIS.


Körperphysiognomik 147.

Komplementärfarben 286.

Kontrastwirkung 280.

Kopf 150.

Kopfnicker 177. 179.

Korsett 123—131. 198. 235. 312. 330.

377. 381. 426. 430. Kosmetik 275. 426. Krälienfüße 142.

Krallenstellung der Zehen 135. 270. Krankheiten 109. Krebstheorie 71. Kreuzbein 79. Kreuzgrübchen 238. 240. Kreuzraute 238. Kropf 179.

Kunst, Schönheit in der 13. 394. Kunstkritik 397. Kurzbeinige Gestalt 105. 106.


Lage 335.

Langbeinige Gestalt 105. 107.

Laufen 355.

Lebensalter 78.

Lebensweise 96.

Leiste am Ohr 168.

Leistenlinie 224.

Lendenfett bei Schnüren 247.

Lendenknickung 304.

Lendenraute s. Raute.

Lidspalte 168.

Linearschema von Langer 59.

Linie von Brücke 26.5. 266.

MikuUcz 264. 265. 372. 376.

Lukretia 27.

Lungenkrankheiten 198, s. a. Schwind- sucht.

M

Madonna della Sedia 40.

— Sixtina 40. Magensenkung 128. Mamma areolata 203.

— papillata 204. Mann 87. Mannweib 89. Menschenrassen 76. Menstruation 94. 143. Merkmale, allgemeine 360. — , sekundäre weibliche 361. Mieder 28, s. a. Korsett. Mienenspiel 146. 161. Milchdrüse 200.

Mitesser 275. Mittelkiefer 154. Mode 123. Modelle 395-418.


Modell des Bildhauers von Alma Ta-

dema 24. Modulus 50.

Momentphotographie 289. 347. Mongolenfalte 164. 166. Mopsnase 174. Mund 170. Muskeln 117.

— des Gesichts 161. Rumpfes 192. 301.

— der Schulter 177. Muskelschwund 116. Muttermal 71. 118. 275. Myopathie, primitive 116.

N Nabel 229. Nacken 176. Nackenbildung 186. Nacktheit 6. Nägel 259. Narben 275. Nase 172. Nasenfortsatz 152. Negertypus 156. Normalgestalt, männliche 87. — , weibliche 86.

— von Geyer 57. 58. 370. Hay 60.

Merkel 55. 80. 81.

Richer 57. 58.

Thomson 60. 62.

Normalkleidung 125. Normalwert 137. Nymphe von Klinger 291. 335. Nymphen und Silen von Eberlein 404. 410.

O 0-Beine 112. 264. Oberarm 250. Oberbrust 73. 74. 75. Oberkiefer 152. Oberkieferfortsätze 153. Oberlippe 171. Oberschenkelknorren 219. Ohr 168.. Ohrläppchen 169. Ohrmuschel 169. Olekranon 250. Orthognathie 156. Osteomalacie 115. Osteomyelitis 115.


Paradies von Heyse 395. Petroleumhcht 287. Pflanzenkost 97. Pflege der Haut 429.


SACHVERZEICHNIS.


435


Phases d'appui 348.

Phlegmatisches Temperament 147.

Photographie 289. 347. 364. 369.

Phryiie 15.

PhysiognomiI< 146.

Plattfuß 65. 112. 269. 388.

Pli semicirculaire 226.

Pocken 275.

Position hanchee, Hüftstcllung 323.

Potele 344.

PräraiTaeliten 34. 395.

Profil 172.

— , griechisches 174.

— , nordisches 175.

— , römisches 175.

Prognathie 155.

Pronation 252.

Proportionen 48. 137. 141, s. a. Kanon.

Proportionslehre 50.

Psyche 22. 403.

R

Raute von Michaelis 238. 246.

Renaissance 25.

Rhachitis 109. 112. 113. 114. 115. 121.

144. 179. 197. 220. 241. 249. 259.

269. 405. 416. Rist, hoher 269. Rockl)änder 133. 134. Rosenkranz (rhachi tischer) 113. Rücken 231. 236. — , hohler 233. — , runder 232. Rückenfurche 235. 240. Rückgratsverkrümmung 62. 63. 65. 111.

234. Rumpf 188. Rumpfmuskeln 192. Rumpfskelett 80. 81. — , Veränderung durch Schnüren 189.

191. Runzeln 142.


Säbelbeine 112. 264.

Säugen 217.

Sanguinisches Temperament 146.

Schädel 151.

Schenkelhals, gerader 263.

Schicklichkeit 6.

Schilddrüse 181.

Schneidezähne, mittlere 157. 158.

Schnitt, goldener 52.

Schnürfurche 131. 132.

Schnürleib 123. 190. 191, s. a. Korsett.

Schnürleber 128.

Schönheitsfehler 136.

Schönheitskurvc 92. 93.


Schönheitsphysiologie 289. Schulterblatt, Hervortreten des 248. Schulterbreite 79. 139. Schultermuskel 177. 195. Schultern 194. 255. Schwangerschaft 30. 93. 94. 126. 215.

223. 231. 427. Schwangerschaftsnarben 224. Schwerkraft 289. Schwindsucht 30. 33. 118. 121. 128.

144. 198. 208. 213. Sittlichkeit 6. Sitz 329. Sitzlänge 283. Skelett"" 109.

Skoliose s. Rückgratsverkrümmung. Skrofulöse 120. 121. 167. Spalte, klaffende, des Gesäßes 248. Spielbein 323. Spitzbauch 223. Spreizung 294. 297. Springen 357. Stand 317. Standbein 322. Steatopygie (Fettsteiß) 246. Stellung, anthropologische 321.

— künsderische 321.

— symmetrische 130. 322. Stirn 150.

Stirnhöcker 151. Stirnlappen 152. Streckung 293.

— des Rumpfes 305. Strumpfbänder 135. 267. 431. Stumpfnase 174. Supination 252.


Tangente von Pasteur 66. Tailie 124.

Taillenbreite 79. 139. Taillenknickung 304. Tanz 357.

Teint, schlechter 272. Temperament 146. 147. Tete carree 113. 151. Torso 84. Trilby 396.

Type heroique 54. .59. — moyen 54. 58.

U

Ueberstreckung des Arms 256. 387.

389. Unterarm 257. Unterkiefer 158. Unterkieferfortsätze 152. Unterleibsknickung 304.


436


NAMENVERZEICHNIS.


Unterlippe 171.

Unterrippengrübchen 228. 230. Urteil des Paris von Rubens 31. 35. Klein 111.

V

Venus s Aphrodite.

Venus, Collier de, s. Collier.

Verdickung des Ellenbogens 250.

Vererbung 68.

Verhältnisse s. Proportionen.

Verkrümmung der Röhrenknochen 113.

— des Rückgrats 62. 63. 65.

Verwelken, erstes Zeichen des 247.

Vielbrüstigkeit 73.

Virago, Mannweib 89.

Virilismus 88. 00. 91.

Vorderarm, schiefer Ansatz des 250.


W

Wachslicht 287. Wade 267. 268. Wangenrot 275. Wechseljahre 102. Weichen 220.

W^ellenhnie des Rumpfes 221. Wespentaille 44. 223. Wimpern 167. Wüstenschritt 147.

X

X-Beine 112. 264. 328.


Zähne 160. 277. Zitzenbrust 203. Zwitter 88.


Namenverzeichnis.


Abelsdorff 166. Albrecht 78. Apelles 394. Aragon, Jeanne de 47.

B

Balz 72. 205.

Bandinelli 26.

Bartels 7. 45. 157. 276.

Bena 238.

Bertillon 53.

Beyer 397.

Bical 26.

Birnbaum 395.

Boccaccio 42.

Bochenek 53.

Borghese, Paola 397.

Botticelli 29. 32. 33. 34. 119. 208.

Boucher 35.

Braune 260. 270.

Breton 37. 39. 321.

Bruckmann 9.

Brücke 2. 32. 174. 176. 179. 183. 186.

19.5. 226. 249. 252. 256. 266. 290.

392. 401. 430. Burne Jones ;J4. 395.

C

Cabanel 215. Carracci 26.


Carus 54. 189. Casanova 260. Catanea, Simonetta 32. Cellini 26. Cennini 53. Charcot 78. 94. 116. Chereau 14. Cohnheim 71. Correggio 34. Cranach, Lucas 27. 28.


D


Dannecker 397. Dejerine 115. Delaunay 78. Digby. Ladv 397. Dubois 263^ Dürer, Albrecht 1. Duval 26. Dyck, van 39.


26. 30. 52.


E

Eberiein 36. 39. 65. 403. 404. 410.

Ecker 151.

Ellis, Havelock 78. 270.

Enke, A. 175.

Erb 115. 116.

Erfurth 337. 422.

Euphranor 51.

Eyck, van 28. 30.


NAMENVERZEICHNIS .


437


Falguiere 9. 11.

Fehling 238.

Fontius, Bartholomäus 25.

Fossetta, Charlotte 397.

Fourment, Helene 35.

Fragen ard 35.

Fritsch, Gustav 53. 55. 67. 139. 141.

189. 245. 246. 290. 346. 370. 395.

397. 404. 411. 415.


Caches, Sarraute 430. Galen 51. Gaupp 230. Gavarni 44. Geyer 54. 58. 370. Gildemeister 42, Giorgione 34. 39. Giovanni di Bologna 38. Goethe 4. 41. 395. Greuze 35. Gruyer 46. Guillaume 51. Guyon 48.

H

Havelock Ellis 78. 270.

Hay 60. 61.

Heine 1.

Henke 26.

Heyck 45.

Heyse, Paul 395.

Hippokrates 123.

Hirsch 45.

His 69. 70. 73. 153.

His-Spalteholz 79.

Hoffa 110. 111. 135. 231.

Holbein 28.

Houdoy 45.

IJ

Janitscheck 26.

Ibsen 395.

Jeanne d'Aragon 47.

K

Kalkmann 51.

Kirchner 25.

Klary 422.

Klinger 291. 325. 398.

Klein 111.

Klein, G. 251.

Knackfuß 33.


Lairesse 49. Landouzv 115.


Langer 14. 51. 52. 59. 139. 145. 150.

161. 168. 229. 249. 263. Larisch, von 136. Leisching 38. Lessing 41.

Leonardo da Vinci 26. 34. 51. 52. Leyden 115. Liharzik 57. Londe 116. 117. Lotze 78. Louys 8. Lübke 53. Lücke 135. Lysikrates 14.

M

Mantegazza 12. 45. 260.

Marc, de 34.

Martial 8. 44.

Maurier, du 396.

Meige 88. 117.

Meinert 128. 134.

Memling 30.

Merkel 54. 79. 80. 161. 188. 252. 254.

Meyer 32.

Michaelis, A. 9. 18. 51.

Michaelis, W. 238.

Mikulicz 110. 264. 265. 373. 375. 379.

Morselli 158.

Müllerheim 238.

Muybridge 348.


Neugebaur 88. Niphus 45. Nvhoff 113.


Ovid 8.


N


O


Paczka, Cornelia 411. 417. Palma Vecchio 34. 39. Paschkis 215. 426. Pasteur 67. Pfeiffer 9. 431. Pfitzner 270. Phidias 13. Piderit 146. Plato 78. Plinius 14. 51. Ploß-Bartels 7. 45. 157. Poitiers, Diana von 397. Polaczek 9. 10. Poliziano 32. Pollajuolo 34. Polyklet 13. 51. Pozzi 88.


438


NAMENVERZEICHNIS.


Praxiteles 13. 15. Puchstein 230.


Q


Quetelet .53. 268.

R

Raffael Sanzio 26. 34. 40. 46.

Ranke, J. 151.

Rembrandt 26. 39.

Richer 2. 14. 54. 57. 58. 59. 67. 83.

85. 139. 226. 247. 248. 252. 262.

290. 323. 327. 347. 355. Roessingh 119. Romano, Giulio 46. Rousseau 45.

Rubens, P. P. 26. 31. 35. 39 397. Rüdinger 189. 200. 201. Rupp recht 111.


Sänger 88.

Sargent 53. 61. 63.

Schaafhausen 157.

Schadow 53

Schaeffer 45.

Schmidt 54. 189.

Schröder, Severin 273.

Schultze-Naumburg 381.

Schwartze, Therese 402.

Shakespeare 42.

Shufeldt 183. 235. 266. 267. 330. 368.

Simonetta Catanea 34.

Sömmering 123. 190. 191. 426.

Sorel, Agnes 397.

Souques 94.

Spalteholz 79.

Springer 9.

Steinen, von den 6.


Steinmann 33. Strümpell 118. Stuck 112. 395. Sybel, von 51.


Tadema, Alma 23. 24. Teuscher 12. Thausing 31. Thomson 2. 60. 62. 84. Thorwaldsen 35. 38. Tizian 26. 30. 34. 39. Topinard 53.


U


Ulimann 33.


Vachon 25. 45.

Vierordt, H. von 97. 141.

Vierordt, O. 110. 112. 116. 252.

Virchow 151.

Vitruv 51.

Volkmann, Richard von 269.

Volkmann, L. 397.

Vosmaer 396.

W

Waldeyer 82. 238. Walker 49. 271. Watteau 36. Werff, van der 397. Winkelmann 168. Witkowsky 123.

Z

Zeising 52. Zeuxis 46. Zola 395.


Neuer Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.


Kürzlich erschien;


Die Rassenschönheit

des Weibes. ^"^ ^'^ ^- ^- ^^«^^-

^___^^^.^^^^^^^^^ ^Fünfte Auflage.


Mit 271 in den Text gedruckten Abbildungen und einer Karte in Farbendruck.

gr. S". 1904. Geheftet M. 14.— Elegant in Leinwand gebunden M. 15.40.



Vornehme Eerbeiin aus Tunis.


Auszüge aus den Besprechungen.


Reidis-Medizinal -An- zeiger 1902, Nr. 15:

Das große Aufsehen, das Stratz mit der Heraus- gabe seines Werkes „Die Schönheit des weiblichen Körpers" überall erregte, ließ die Spannung erklär- lich erscheinen, mit der die Fortsetzung desselben er- wartet wurde. Als der geist- volle Autor auf dem Kon- gresse der deutschen Natur- forscher und Ärzte in Ham- burgl901 seinen durchLicht- bilder trefflich illustrierten Vortrag schloß und auf das Erscheinen der „Rassen- schönheit des V^eibes" hin- wies, klang ihm ein in wis- senschaftlichen Versamm- lungen ungewohnter Beifall aus dem Saal als Beweis entgegen , daß der Weg, den er zur Erforschung des weiblichen Körpers mit Kenntnis, Geschick und glühender Feder einge- schlagen hatte, als der rich- tige angesehen wurde, um zu einer einheitlichen Auf- fassung des Problems zu führen. Die damals geheg- ten Hoffnungen haben sich glänzend erfüllt, der Autor hat seine Aufgabe glück- lich gelöst. Wenn aus dem interessanten Werke hier nur weniges mitgeteilt wer- den kann, so tut diese Be- schränk 1 1 11 s (1 riuK I' fi 'renten am mi'i stell Irid, iibri' wollte man alles lui iTcssiiute her-


vorheben, so müßte das ganze Werk abgedruckt werden; es sei deshalb nur eine ober- flächliche Inhaltsangabe gegeben . . .

Internationales ZenfrnIblaU für Anthropologie 1902, Nr.l:

In glänzender Darstellung und an der Ihnid seiner bekannten vorzüglichen Bilder, diesmal von Vertreterinnen last aller Rasseu. lülnt uns Verfasser von Land zu Land über die Erde, uns die Schönheit ihrer Bewohnerinnen meisterhaft erläu- ternd. . . .

Blätter für Volksgesundheits- pflege 1902, Nr. 207 :

Klassisch wie seine anderen "Werke, besonders sein Buch über die Schönheit des weiblichen Kör- pers, dürfte ohne Einschränkung auch diese Arbeit des als Anthropo- logen und kunstverständigen Arztes längst anerkannten und bewährten Forschers genannt werden , und in überraschender Vollständigkeit zeigt sie uns die Frauen der Erde in ihren körperlichen Vorzügen und Nachteilen. Der feinsinnige Schrift- steller, der strenge Forscher und der Freund und Bewunderer des Schönen haben sich in dem Ver- fasser zu einem harmonischen Gan- zen vereint , und diese glückliche Begabung kommt in dem vorliegen- den Werke so durchaus zur Geltung, daß nicht nur der spezielle Ge- lehrte, sondern jeder Gebildete dasselbe mit dem größten Interesse lesen und sich des gebotenen Ge- nusses aufrichtig freuen wird. Die Lektüre des Buches ist gleichsam eine schöne Reise um die Erde ohne die sonst damit verbundenen Unan- nehmlichkeiten , und der Verleger hat durch die vorzüglichen Abbil- dungen , mit denen er das Buch ausgestattet hat , wesentlich dazu beigetragen, diese freundliche und angenehme Illusion zu vervollstän- digen.

Internationales Archiv für

Ethnograph je. 19t i:\Bd.XV':

In dem vorliegenden Werk hat der durch eine Reihe ähnlicher ArbeitenbekannteVerfasser infolge der Dezenz, mit der er alle schwie- rigen Fragen behandelt, nicht allein ein Meisterstück der Stilbehand- lung, sondern auch ein Buch ge- liefert, das nicht allein durch jene, welche sich für rassenanatomische Fragen interessieren, sondern auch durch Angehörige weiterer Kreise, ja selbst durch Frauen gelesen zu werden verdient. . . .

KölnerTageblattl903,Nr.354:

In der vornehmen Reihe der „Stratz-Bücher", die jedem Bild- hauer. Maler, Arzt u. Ethnographen bekannt sind und eigentlich jedem gebildeten Menschen bekannt sein sollten, nimmt das im Herbst 1901 erschienene Prachtwerk : Die Rassen Schönheit des Weibes

(Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart) einen hervorragenden Platz ein. Mit welchem Interesse die zunächst in Frage kommenden Kreise das Buch aufgenommen haben, dafür zeugt die Tatsache, daß trotz des hohen, allerdings bei der glänzenden Ausstattung nichts weniger als zu hohen Preises bereits seit Weihnachten die fünfte Auflage vorliegt. Nicht weniger wie 271 Abbildungen und eine Karte erläutern den wissenschaftlich bedeutenden und doch so wenig trockenen Text. Wir kennen kaum ein Buch, in dem die Ergebnisse ernster Ge- lehrtenarbeit in so künstlerisch vollendeter Sprache vorgebracht werden, wie in diesem Werke.



S uahelimädchen .


Neuer Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.


Kürzlich erschien:


Die Frauenkleidung



Japanerin im Straßenkostüm.


und ihre natürliche Entwicklang

Von

Dr, C. //. Stratz.

Dritte völlig umgearbeitete Auflage.

Mit 269 Textabbildungen und 1 farbigen Tafel.

gr.8'\ 1904. Geheftet M.15.— In Leinwand gebdn. M. 16.40.

INHALT: =

Einleitung. — I. Die Nacktheit. — IL Die Körperverzierung, a) Körper- schmuck, b) Kleidung. — III. Ein- fluß der Rassen, der geographischen Lage und der Kultur auf die Kör- perverzierung. — IV. Der Köri^er- schmuck. a) Bemalung. b) Narben- schmuck und Tätowierung, c) Kör23er- plastik. d) Am Körjjer befestigte Schmuckstücke. — V. Die primitive Kleidung (Hüftschmuck). — VI. Die tropische Kleidung (Rock). — VII. Die arktische Kleidung (Hose, Jacke). — VIII. Die Volkstracht außereuro- päischer Kulturvölker. 1. Chinesische Gruppe. 2. Indische Gruppe. 3. Indo- chinesische Gruppe. 4. Islamitische Gruppe. — IX. Die Volkstrachten europäischer Kulturvölker. 1. Die eigentliche Volkstracht. 2. Die Stan- destrachten. 3. Die Hose als weib- liche Volkstracht. — X. Die moderne europäische Frauenkleidung. 1. Un- terkleider. 2. Oberkleider. — XL Ein- fluß der Kleidung auf den weib- lichen Körper. — XII. Verbesserung der Frauenkleidunsr.


Urteile der Presse.

Mitteilungen der Anthropolo gischen G esellschaft in Wien. 1901, BandXXXI-

Eine gut geschriebene, vom wissenschaftlichen Geiste durchwehte, ernste Arbeit liegt hier vor, die es ermöglicht, einen Überblick über die Entwicklung der Frauenkleidungbei allen Völkern der Erde zu gewinnen ; denn die bisher aus diesem Gebiete vorliegenden Arbeiten haben doch nur mehr oder weniger bestimmte Ländergebiete im Auge gehabt. Sehr gut war es.


daß Verfasser gleiclizeitig die Anthropologie, Ethnologie und Kulturgeschichte zu seineu Stu- dien heranzog, so daß die sich ergebenden Eesultate durchaus auf festem Boden stehen

Archiv für Anthropologie, Bd. XATII ;

.... Das reich illustrierte Buch liann allen Eltern aufs wärmste empfohlen werden, aber auch der Ethnologe und Anthropologe findet in demselben ihn inter- essierende Mitteilungen und Ausführungen.

Frankfurter Zeitun g

1900, Nr. 354:

.... Diese prakti- schen Schlußfolgerun- gen, deren eminente Be- deutung für die Gesund- heit der Frauenwelt ärzt- lich längst anerkannt ist, gewinnen aber erst in ihrer Begründung an ein- dringlicher Kraft. Daher soll allen Müttern das Werk zur direkten Kennt- nisnahme besonders emp- fohlen sein. Die Sprache entspricht ganz der emi- nenten Begabung des Ver- fassers für gemeinver- ständliche Behandlung der intimsten Frauen- fragen. Die ethnographi- schen Studien werden jedermann interessieren. Hervorragend schön sind die Abbildungen, sowie deren Wahl im Hinblick auf den Text.

Frauenbttnd 1900, Nr. 33:


Durch das vielbe- sprochene und vielum- strittene Problem der Re- formkleidung angeregt, hat der Verfasser sieh mit der Frauenkleidung überhaupt näher zu be- schäftigen begonnen. — Auf Grund kulturhistori- schen , kunstgeschicht- lichen und medizinischen Materials ist er zu einer Reihe hochinteressanter und auch wissenschaftlich befriedigender Resultate gelangt. In sehr an- regender und belehrender Weise behandelt Stratz nacheinander die Ent- wicklungsgeschichte der Frauenkleidung in tropi- scher und arktischer Ge- gend, die verschiedenen Nationaltrachten in euro- päischen und außereuro- päischen Ländern, dann die Mode und den Einfluß der Kleidung auf den weiblichen Körper. Letz- teres, sehr instruktiv ge



Madchen aus Helsingland mit Jacke.


haltene Kapitel leitet über zu einem Schluß ab schnitt, der sich in eingehend prüfender Weise mit der Frage der Verbesserung der Frauenkleidung beschäftigt. Sehr richtig weist Stratz darauf hin , daß derartige Reformen ihren Ausgangspunkt in sachverständiger ärzt- licher Überlegung haben müssen, und lehnt daher mit gutem Grund die Mehrzahl jener phantastischen Bestrebungen ab, die zwar von viel gutem Willen, aber von sehr wenig Sachkenntnis zeugen. Eine reiche Fülle anschaulicher, zum Teil farbiger Illustrationen begleitet die Erläuterungen des ausgezeichneten Buches, das nicht bloß an geistvollen und originellen Bemerkungen, sondern auch an praktischen Ratschlägen aller Art reich ist und zugleich den Katechismus einer natürlichen Schönheitspflege enthält.


Neuer Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.


Kürzlich wurde ausgegeben



Der Körper des Kjndes.

Für Eltern, Erzieher, Arzte und Künstler

von

Dr. C. M. Stratz.

Zweite Auflage. Mit 187 in den Text gedruckten Abbildungen und 2 Tafeln. gr. 8^. 1904. Geheftet M. 10.— Elegant in Leinwand geb. M. 11.40.


\l(-\r'r-pir\pi. Es sind viele Bücher geschrieben worden über das kranke Kind

1 und seine Pflege, über das gesunde Kind kaum eines. In den

Werken der Anatomen und Künstler wird der Bau des kindlichen Körpers meist nur nebenbei erwähnt, in keinem einzigen aber seinen äußeren Formen eine eingehendere Beachtung gezollt. Ebensowenig wie bei dem Weibe ist bisher beim Kinde der Versuch gemacht worden, dessen Fehler und Vorzüge von objektiv-wissenschaftlichem Standpunkt aus zu beleuchten.

Indem ich diesen Versuch wage, hoflfe ich damit Fachgenossen und Eltern eine willkommene Gabe zu bieten, und werde jedem dankbar sein, der mir zum weiteren Ausbau meines Werkes und zur Aufdeckung von Irrtümern behilflich ist.

Dem Buche ist die bekannte fesselnde und geistvolle Art der Darstellung eigen, welche alle Bücher dieses Ver- fassers so vorteilhaft auszeichnen und wodurch sie zu so großer Beliebtheit gelangt sind. Da nun auch das äußere Gewand ein ebenso geschmackvolles wie reiches ist, so dürfte sich diese neue Erscheinung als Geschenk, ins- besondere auch für Eltern, wie nur wenige Bücher eignen.

T JJTT A IVTi . Einleitung. — I. Die embryonale Entwicklung. — II. Das neugeborene

1 Kind. — III. Der Liebreiz des Kindes. — IV. Wachstum und Proportionen. —

V. Hemmende Einflüsse. — VI. Die normale Entwicklung des Kindes im allgemeinen. — VII. Das Säuglingsalter und die erste Fülle. (1.— 4. Jahr.) — VIII. Die erste Streckung. f5.— 7. Jahr.j — IX. Die zweite Fülle. (8.— 10. Jahr.) — X. Die zweite Streckung. (11. bis 15. Jahr.) — XI. Die Reife. (15.— 20. Jahr.) — XII. Kinder anderer Rassen : a) Fremde Säug- linge ;b) Kinder des weißen Rassenkreise.s; c) Kinder des gelben Rassenkreises; d) Kinder des schwarzen Rassenkreises.


Neuer Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.


Kürzlich erschien:


Die Körperformen

in Kunst und Lebet!

der Japaner.



Von




Dr, C. //. Stratz,

Mit 112 in den Text gedruckten Abbil- dungen and 4 farbigen Tafeln.


,B^^=^m Zweite Auflage. ^^^=&m gr. 8^. 1904. geh. M. 8.60. Elegant In Leinwand gebunden M. 10.


INHALT :


Einleitung. — I. Die Kürperformen der Japaner. 1. Das Skelett. 2. Maße und Pro- portionen. 3. Gesiclitsbildung. 4. Körperbildung. — II. Japanischer Schönheitsbegriff und Kosmetik. 1. Auffassung der körperlichen Schönheit. 2. Künstliche Erhöhung der Schön- heit.— III. Das Nackte im taglichen Leben, i. In der Öffentlichkeit. 2. Im Hause.— lY. Dar- stellung des nackten Körpers in der Kunst, i. Allgemeines. 2. Ideal- und Normalgestalt. 3. Mythologische Darstellungen. 4, Darstellungen aus dem täglichen Leben, a) Strassen- leben. Aufgeschürzte Mädchen. Arbeiter. Ringer, b) Häuslichkeit. Deshabille. Toilette. Bäder. Yoshiwara. Erotik, c) Besondere Ereignisse und Situationen. Überraschung im Bade. Nächtlicher Spuk. Beraubung edler Damen. Awabifischerinnen.

<sva& Urteile der Presse. <sv;sa>

Dr. C. H. Stratz hat sich durch seine populärwissenschaftlichen Untersuchungen künstlerisch-anatomischer Art einen klangvollen Namen geschaffen. Sein neuestes Buch behandelt „Die Körperformen in Kunst und Leben der Japaner". Eine außer- ordentliche Fülle kulturellen, künstlerischen, ästhetischen, anatomischen Materials ist hier mit großer Übersichtlichkeit, unbedingter Zuverlässigkeit und mit ausserordentlich an- mutiger Darstellungskunst zu einem einheitlich zweckvollen Werke verarbeitet. Es hält nicht nur, was der Titel verspricht, es ist darüber hinaus eine Kulturgeschichte des interessanten ostasiatischen Volkes, bezüglich seiner Körperpflege, seines intimen, häus- lichen Lebens, seiner Kunstideale. Zahlreiche prachtvolle, geschickt ausgewählte Illu- strationen, darunter 4 farbige Tafeln, erhöhen noch die Anziehungskraft des überaus vor- nehm ausgestatteten Werkes. 5 Bi-eslauer Morgen- Zeitung 1902, ^r. 591.

Stratz hat sich durch seine bisherigen Arbeiten („Die Schönheit des weiblichen Körpers", 17 Auflagen; „Die Rassenschönheit des Weibes", ."> Auflagen; „Die Frauenkleidung", 3 Auflagen; „Die Frauen auf Java" u. s. w.) den Ruf eines ernsten, wissenschaftlichen Autors erworben; seine neueste Monographie über die Körperformen der Japaner befestigt diesen Ruf. Mit dem Auge des Naturforschers, des Arztes, des Ethnographen und Kunst- gelehrten betrachtet er den nackten, von allen Kleidern, Krankheiten und Vorurteilen be- freiten menschlichen Körper und zeigt uns dai'an das Schöne, das von Gott erschaffene Ebenbild. Aber auch vom kulturhistorischen Standpunkt aus gibt der Verfasser interessante Aufschlüsse über das Leben und Treiben des kulturell hochentwickelten Volkes im fernen Osten. Bei dem von Tag zu Tag wachsenden Interesse für japanisches Leben und japanische Kunst wird das Buch für viele eine hochwillkommene Erscheinung sein, für deren vor- nehme, künstlerisch vollendete Ausstattung der Name der wohlbekannten Verlagsflrma bürgt.

Deutsche Zeitung 19u2, N>: 11134.


Neuester Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart,


Kürzlich erschien;


Dr. C. H. Stratz:



Naturgeschichte des Menschen,


Gnindriss der » somatischen * Anthropologie.


Mit 342 teils farbigen Abbildungen und 5 farbigen Tafeln.

gr. 8'. 1904. Geh. M. 16.—. Elegant in Leinwand gebunden M. 17.40.

Vorrede.


Kopf eines Eskimo von vorn.


Wie der Titel, so ist auch der Zweck dieses Buches ein doppelter. — Wissen- schaftlich soll es die somatische Anthropologie, die Lehre vom menschlichen Körper, statt wie früher nur über toten Reihen von Messungen und Wägungen, in lebendiger Ge- staltung mit reichem photographischem Anschauungsmaterial auf der Grundlage der ver- gleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte, der Embryologie und der Paläontologie aufbauen. — Allgemeinverständlich soll es auch in weiteren Kreisen die wissen- schaftlichen Bestrebungen und Ziele der Menschenkunde fördern helfen, die schließ- lich doch nur der allgemeinen Weiterentwicklung der Menschheit dienstbar ist und die theoretische Grundlage schafft, von der die praktischen Versuche zur Verbesserung und Veredelung des Menschengeschlechts ausgehen müssen. Von ganz besonderer Wichtigkeit ist sie für einen kolonialen Staat, zu welchem auch Deutschland in den letzten Jahren mehr und mehr geworden ist.

Die Anthropologie ist eine sehr junge Wissenschaft. Durch die hohe Ausbildung der Photographie hat sie in den letzten Jahrzehnten eine mächtige Stütze erhalten, so daß sie besser als bisher im stände ist, objektives Beweismaterial zu sammeln. In diesem Buche ist gerade darauf besonderes Gewicht gelegt und so viel wie möglich mit Photo- graphien gearbeitet worden.

Nur auf diesem Wege ist dem Leser ein eigenes Urteil ermöglicht.

Den reichen Stoff habe ich seit vielen Jahren gesammelt. Dieses Buch ist gewisser- maßen die Grundlage, auf der sich meine früher erschienenen Werke aufbauen; trotzdem aber bildet jedes für sich ein geschlossenes Ganzes. Von den Abbildungen sind nur solche wiederholt verwendet worden, die für mich den Wert von feststehenden Formeln mensch- licher Gestaltung angenommen haben.


Johannes Ranke schreibt im Archiv für Anthropologie, III. Band, über das Werk:


Mit wahrer B^reude habe ich das neueste Werk des so rasch berühmt gewordenen Autors durchgelesen. Wie in seinen vorausgehenden, überall mit größtem Interesse auf- genommenen Werken: „Die Schönheit des weiblichen Körpers", „Die Rassenschönheit des Weibes", „Die Frauenkleidung und ihre natürliche Entwickelung", „Die Körperformen in Kunst und Leben der Japaner", und in dem teilweise geradezu idealen Buche „Der Körper des Kindes, für Eltern, Erzieher, Arzte und Künstler" sind die geistvollen und fesselnden


Darstellungen des Textes in ihrer Wirkung auch in diesem neuesten Werke in liervorragender und überraschender Weise gesteigert durch das in bisher unübertroffener Schönheit und Exaktheit zur Anschauung gebrachte Material an Abbildungen nach dem Leben, es sind 342 Figuren, außerdem zwei Tafeln und drei Karten im Text. Ein Lehrbuch mit dieser Ausstattung existierte bisher für die somatische Anthropologie noch nicht. Die Wiedergabe der photographischen Eassenbilder im Text übertrifft die bisher meist für derartige Werke üblichen Eeproduktionsmethoden bei weitem. Hier haben wir gewissermaßen die Natur selbst vor uns — nicht so, wie sie sich in der Übersetzung in die Formanschauung und das Können des Künstlers spiegelt. Eine Anzahl der von Stratz gegebenen Bilder sind gute alte Bekannte aus älteren Publikationen, aber die Art der Wiedergabe läßt sie auch für den Kenner neu erscheinen, und daneben diese Fülle noch niemals publizierter Auf- nahmen. Dieses uneingeschränkte Lob der Ausstattung des Werkes bezieht sich nicht nur auf den Autor, sondern ganz besonders auch auf die verdienstvolle Verlagsbuchhandlung,

der wir zu diesem neuesten Erfolg auf das herzlichste gratulieren

Nach einem (I.) Überblick über den heutigen Stand der anthropologischen Forschung folgen: II. Die phylogenetische Entwickelung der Menschheit; III. Die Ontogenese des Men- schen: die embryonale Entwickelung, das Wachstum des Menschen, die geschlechtliche Entwickelung; IV. Die körperlichen Merkmale des Menschen, Kraniologie, Anthropometrie, Proportionen; V. Die Rassenentwickelung; VI. Die menschlichen Rassen : 1. die Australier, 2. die Papuas, 3. die Koikoins, 4. Amerikaner und Ozeanier, 5. die melanoderme Hauptrasse, 6. die xantoderme Hauptrasse, 7. die leukoderme Hauptrasse. Schlußwort. — Diese Rassen- einteilung ist den Lesern des Archivs bekannt; hier wird sie eingehend, freilich nicht so- wohl durch anthropometrische Resultate als durch Wort und Bild belegt. Auch die einlei- tenden Kapitel sind originell und bringen manche, von den bisher in populären Darstellungen meist allein vertretenen, abweichende naturphilosophische Anschauungen. Stratz führt hierbei einen älteren, aber erst in den letzten Jahren deutlicher hervorgetretenen Gedanken konsequent durch, den er in die Worte faßt: „Zusammenfassend ergibt sich für die phylo- genetische Entwickelung des Menschengeschlechts, daß es höchst wahrscheinlich mit nur sehr wenigen Mutationen aus der Wurzel der Ursäuger hervorgegangen ist und eines der ältesten, wenn nicht das älteste Geschlecht des gesamten Säugetierreiches vertritt, wobei es trotz höchster Entwickelung doch der gemeinschaftlichen Grundform am nächsten ge- blieben ist."


Nymphen und Silen.

Von Gustav Eberleiii.

Erster Essay von Dr. C. H. Stratz.

Mit 18 in den Text gedruckten Abbildungen, gr. 8". 1900. geh. M. 3.60.

Kulturgeschichte der Menschheit

in ihrem organischen Aufbau.

Von

Julius Lippert.

i^^ Zwei Bände. =


gr. 8". 1886 u. 1887. geb. M. 20.—, elegant gebunden M. 25.—

INHALT: Einleitung. — Die Lebensfürsorge als Prinzip der Kulturgeschichte. — Die Urzeit. — Ausblick auf die Verbreitung der Menschheit. — Die ersten Fortschrittsversuche der Lebensfürsorge. — Die Zähmung des Feuers. — Die Fortschritte des Werkzeugs als Waffe. — Ausblick auf die Entwicklung differenzierter Geräte. — Fortschritte der Speise- bereitung. — Fortschritte des Schmuckes und der Kleidung und ihr sozialer Einfluß. — Der beginnende Anbau und die Verbreitung der jüngeren Völker in Europa. — Das Nomaden- tum und die Verbreitung der Zugtiere. — Die Nahrungspflanzen im Gefolge der Kultur. — Die Genußmittel engeren Sinnes und ihre kulturgeschichtliche Bedeutung.


Neuer Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.


Kürzlich F'~X • W ^

'-""^^ Die rraii

in der bildenden Kirnst

Ein kiinstgeschichtliches Haasbuch

von ANTON HIRSCH,

Direktor der großherzoglichen Kunst- und Gewerbeschule in Luxemburg.

Mit 330 in den Text gedruckten Abbildungen und 12 Tafeln.

gr. 8 0. 1904. Oelieftet M.18.~; elegant in Leinwand gebunden M.20.—

In diesem reich ausgestatteten, in modernem Gewände sich darbietenden Werke sind die mannigfachen Beziehungen der Frau zur Kunst während der

verschiedenen Epochen bis auf unsere Tage geschildert. Wir sehen, wie die größten Meister aller Zeiten in der künstlerischen Darstellung der Frauenschönheit das höchste Ziel ihrer Kunst er- blickten und in edlem Wetteifer sich bemühten, derselben ihre Huldigungen darzubringen.

Zu allen Zeiten begegnen wir wiederum edlen und hoch- herzigen Frauen, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, den Künstler in seinen Bestre- bungen zu fördern und ihn mit Rat und Tat zu unterstützen. Zahlreich sind die Werke der Plastik, der Malerei und der Architektur, welche ihr Ent- stehen der Anregung und dem direkten Einfluß hochsinniger Kunstfreundinnen verdanken.

Und wenn wir die Lebens- geschichte so mancher großer Meister studieren, so finden wir nicht selten , wie es nur dem milden Walten, der geduldigen Ausdauer und der zielbewußten Tatkraft ihrer bescheidenen Frauen zu danken ist, daß die Künstler den Kampf gegen alle

f Hindernisse und Widerwärtig-

t keiten, die ihnen im Anfang ihrer

Laufbahn entgegentraten, auf- Schule des Michel Angelo. nehmen und siegreich zu Ende

London, South Kensington Museum. führen konnten. Wie manches



/


Kunstwerk, das sein Schöpfer in dumpfer Verzweiflung an seinem Können, an seiner Zukunft vernichten wollte, ist nicht durch die gesegnete Hand der Gattin dem Untergange entrissen worden und so der bewundernden Nachwelt erhalten geblieben.

Und wie groß ist endlich die Zahl der Frauen und Jungfrauen, welche ihr Leben ganz der Kunst gewidmet haben, die sich nicht begnügen, die hohe Be- geisterung für alles Schöne und Gute, ein so wesentli- ches Element echter Weib- lichkeit, wie ein heiliges

Feuer zu hüten, son- dern vielmehr selbst zu Pin- sel und Meißel greifen , um dem Ideal, welches sie beseelt, künst- lerische Ge- staltung zu

verleihen ! Wie die Frau in kultureller Beziehung es stets verstan- den hat, den erhöhten An- forderungen der Zeit Ge- nüge zu lei- sten, so ist sie auch niemals

zurückge- blieben, wenn es sich darum handelte, ihr künstlerisches

Empfinden zu vollkom- mener, freier Entfaltung zu bringen. Na- mentlich in unseren gen hat Wirken



Piero della Francesca (?), Bildnis einer jungen Bardi. Mailand, Museo Poldi-Pezzoli.


Ta-

das der Frau auf allen Gebieten der Kunst eine Bedeutung erlangt, noch lange nicht genügend anerkannt und gewürdigt wird.


die


INHALT:


Indien. — Ägypten. — Griechenland. — Rom. — Die altchristliche und byzantinische Kunst. — Das Mittelalter. — Die Renaissance : Die Renaissance in Italien. Die Renaissance in Deutschland. Die niederländische Kunst des 16. Jahrhunderts. Die Renaissance in Frankreich. Spanien und England. Die Frau als Beschützerin der Künste. Die Frau als Künstlerin im 15. und 16. Jahr- hundert. — Das 17. Jahrhundert: Italien. Die Niederlande. Frankreich. — Spanien. Deutschland, Die Frau als Beschützerin der Künste. Die Frau als


^a^<3s^a^a^3fi<3fi^afi<3fi^afi^a^Qfi^sfi<^fi^sfi^sfi<9fi<s^Q^s^3fi^9^Qfi^afis9



Jules Bastien-Lepage, üildiüs der Sarali Bernliardt.

Künstlerin. — Das 18. Jahrhundert: Frankreich. Italien. England, Die Nieder- lande. Sj)anien. Deutschland. Die Frau als Künstlerin. — Die Frau in der Kunst_ des 19. Jahrhunderts und in der Gegenwart. Frankreich. Deutschland und Österreich. England. — Die Frau in der neuzeitigen Kunst der übrigen Länder. — Schlußwort. — Künstlerverzeichnis.


Urteile der Presse, ^r.


.... Jenes vielgestaltige, reiche Thema: Auftreten und Einfluß der Frau in der ge- samten Kunstgeschichte, wurde bisher noch nie so erschöpfend und zugleich so feinsinnig behandelt, wie dies der Autor des erwähnten, mit 330 Illustrationen geschmückten Buches getan hat. Daß Begeisterung ihm die Feder führt ist in jedem Satze ersichtlich, er er- wählte dies Thema, weil es ihn schon seit Jahren beschäftigt hatte. Bei dem Gang durch

12


die verscliiedenen Jahrhunderte ist besonderer Kachdruck auf die Frau als Beschützerin der Künste und die Frau als Künstlerin gelegt worden. Eine Fülle interessanter Beob- achtungen hat der Autor hier zu einem Bilde der Kunstgeschichte vereinigt, welches zahl- reiche neue Gesichtspunkte für das Beurteilen des gesamten Kunstlebens gibt. In selten umfassender Weise ist der Autor hier allen Kulturländern gerecht geworden. Ganz besonders anregend hat sich das Kapitel: die Frau in der Kunst des Mittelalters gestaltet, die bei- gegebenen erläuternden Abbildungen sind — wie dies im ganzen Buche sich geltend macht — typisch vortrefflich und charakteristisch ausgewählt. Daß dieses Werk bald ein kunst- geschichtliches Hausbuch, wie der Tite] sagt, sein wird, dazu bedarf es nicht der Gabe der

Prophetie Norddeutsche Allgememe Zeitung. 1904. 3. XII.

Bei Ferdinand Enke in Stuttgart hat Anton Hirsch ein kunstgeschichtliches Haus- buch: Die Frau in der Kunst- herausgegeben, das mit zahlreichen Hlustrationen aus- gestattet, in höchst anregender und insbesondere auch taktvoller Weise das weit aus-



George Romuey, Des Pfarrers Tochter. London, National Gallerij.

greifende Thema von der Darstellung des Weibes in der Kunst behandelt. Man erhält hier eine ausgezeichnete praktische Schönheitslehre und nebenher gehen sehr wertvolle kultur- geschichtliche Mitteilungen über das Wesen der Frau zu den verschiedensten Zeiten und in verschiedeneu Ländern. Kölnische Zeitung 1904, Ni-. 1313.

.... Das Buch behandelt in feinsinniger und geschmackvoller Weise den_ Einfluß, welchen die Frau zu allen Zeiten der uns zugänglichen Kulturentwicklung auf die Kunst ausgeübt hat. Das mit ausgezeichnetem Verständnis gewählte, reiche und gut gedruckte Illustrationsmaterial veranschaulicht diesen höchst bedeutungsvollen Einfluß in großartiger Weise Miinchener Neueste Nachrichten. 1904. 21. XII.

Schon die vorzügliche, künstlerische Ausstattung des Buches wirkt bestechend — es enthält zwölf Tafeln und 330 in den Text gedruckte ^Abbildungen in der bei den Publi- kationen dieses Verlages bekannten vollendeten Reproduktion, beginnend mit Werken des Altertums und sich fortsetzend bis in unsere Tage, illustrativ abschließend mit Rossetti, Watts, Lavery, Whistler, mit Knöpft', Sargent und dann den deutschen Meistern der Gegen- wart. Das tüchtige Werk berücksichtigt ebensosehr die Plastik wie die Malerei. . . ._. Bei der Fülle des Stoffes konnte natüidich die weit ausgedehnte künstlerische Tätigkeit der Frau im 19. Jahrhundert hier nicht eingehend erörtert werden — es ist dies einem be- sonderen Bande vorbehalten Hier haben wir eine vorzüglich und reich illustrierte Kunst- geschichte, die uns einen Überblick gibt über das Schönste in aller Kunst — über die Frau.

Der Bazar 1904, Heft 48.


Neuester Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart,


Soeben erschien:


Die bildenden Künstlerinnen

Hpr Npil7Pif ^"^ ^^TON HIRSCH,

t^C'/ A \ ^L4^/^C^Ll^» Direktor der groß herzoglichen Kunst- und


' Si'oßhi- Gewerbeschule in Luxemburg.

Mit 107 in den Text gedruckten Abbildungen und 8 Tafeln. 1905. Geheftet M. 9.20; elegant in Leinwand gebunden M. 11. —



Elise Goebeler, Elegie.

Alle Hpm \/nrwnrt ^™- Schlußwort zu dem Werke „Die Frau in der bildenden /AUS UClil VUIWUIL. Kunst" habe ich das Versprechen gegeben, die Frau als aus- übende Künstlerin während des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart zum Gegenstand einer besonderen Abhandlung zu machen.

Das gegebene Versprechen wird mit diesem Buche eingelöst, in welchem meines Wissens der erste Versuch einer zusammenhängenden Darstellung dieser interessanten und zeitgemäßen Frage gemacht wird.

Außer einigen spärlichen, in Tagesblättern und Zeitschriften verstreuten Notizen existiert noch nichts über dieses Thema. Ich war daher vor allem auf die unmittelbaren Eindrücke und die Erinnerungen angewiesen, welche mir ein durch lange Jahre hindurch fortgesetztes Studium weiblicher Kunstwerke in Museen und Ausstellungen hinterlassen hatte. Ferner mußte ich, im persönlichen oder schriftlichen Verkehr mit Künstlerinnen oder ihnen nahestehenden Personen, die Dokumente zusammentragen, die mir als Bausteine dienten zu dem bescheidenen Denkmal, welches ich der weiblichen Kunsttätigkeit der Neuzeit in diesem Buche errichtet habe.

INHALT Vorwort. — Einleitung. — Deutschland. — Österreich-Ungarn. — Schweiz. —

'. Frairkreich. — Belgien. — Luxemburg. — Holland. — Italien. — Spanien. —

England. — Dänemark. — Schweden und Norwegen. — Eußland und Polen. — Amerika. — Verzeichnis der Künstlerinnen und der Abbildungen.


Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.


Neue Lichtbild-Studien

Vierzig Blätter


von


Alfred Enke.

Folio. In eleganter Mappe. 12 Mark.



INHALT: Mondnacht bei Lindau. Nächtliche Fahrt. Madonnenstudie. Kalvarienberg. Campo Santo. Das Pförtchen. Heimkehr vom Feld. Gräber- straße bei Pompeji. Am Weiher. Hof eines italienischen Edelsitzes. Gelände am Gomersee. Arven im Hochgebirg. Heimkehr von der Alp. Des Liedes Ende. Das Märchen. Heuernte am Maloja. Locanda. Seeufer. Im Frühling. Schloß in den Bergen. Italienischer Dorfwirt. Bergpfad in Südtirol. Die Wunderblume. Das Alter. Melancholie. Bildnis des Professors K. in Berlin. Dämmerung. Sturmwind. Luigina. Lili. Trunkene Bacchantin. Junger Südtiroler. Lesendes Mädchen. Bildnis eines jungen Künstlers. Weibliches Bildnis. Die Gebieterin. Buchenwald im Spätherbst. Abend am Canale Grande. Sommerabend am Bodensee. Abendstunde.


Urteile der Presse.

.... Kein bloßer Liebhaberphotograph, ein Künstler hat diese Aufnahmen gemacht. Ein Künstler, der es versteht, mit feinem Geschmack und vertiefter Auffassung das Handwerk des Photographen auf die Höhe echter Kunst zu heben. Zeigt sich der feine Geschmack im Suchen nach Motiven, die er zu Bildern voller Poesie und Plastik zu verdichten vermag, so die vertiefte Auf- fassung darin, daß man mehr als einmal an den einen oder den anderen großen Maler unter unseren modernen Meistern, an das eine oder das andere bedeutende Bild, das Enke angeregt zu haben scheint, erinnert vrird. Nimmt man dazu die wechselreiche Auswahl an Köpfen, Porträts und Landschaften, von denen wir die „Heimkehr von der Alp" als Muster für die Würdigung des Verhält- nisses von Landschaft und Staffage hinstellen möchten, so wird man dem be- dingungslosen Lobe beistimmen, das wir schon der ersten Sammlung „Licht- bild-Studien" von Alfred Enke vor zwei Jahren spenden konnten. Das Album sei jedem empfohlen, der, ein Freund der Kunst, Verständnis auch für die als solche zur Genüge erwiesene Amateurphotographie hat. Auf den Weihnachts- tisch des Liebhaberphotographen passen die beiden Enkeschen Mappen besser als alles andere auf diesem Gebiete.

Kunst für Alle. igo2Jj. Heft 6.

.... Die Monotonie , welche Amateuraufnahmen oft innewohnt , fehlt diesen Blättei-n völlig, sie sind interessant in der Mannigfaltigkeit der Sujets und ungemein reizvoll in der Form und Beleuchtung des Dargestellten, sei es Landschaft oder Figur. Auf beiden Gebieten leitet den photograiDhischen Künstler ein poetisches Empfinden; so entstanden Darstellungen, die in land- schaftlicher Hinsicht an die Werke Böcklins erinnern und im Figürlichen die Größe antiker Werke spüren lassen. me Kunst unserer Zeit. igoj. Liefg. 2.


J. C. Heer, der Verfasser des , Königs der Bernina", äußert sich über die Mappe in folgender Weise:

Unter dem Titel „Neue Lichtbildstudien" hat Alfred Enke im Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart 40 Bilder in Tondruck herausgegeben. Diejenigen, die auf dem Gebiet der künstlerischen photographischen Technik bewandert sind, wissen, was damit gesagt ist: Ein Meisterwerk ! Seit der all- gemeinen deutschen photographischen Ausstellung in Stuttgart im Sommer 1898 und seit Alfred Enke vor einigen Jahren eine erste Sammlung „Lichtbildstudien" herausgegeben hat, kennt man ihn als den besonders erfolgreichen Künstler auf dem Felde der stimmungsvollen, seelisch wie ein subjektives Kunstwerk abge- tönten Photographie, die sich bald in den Reizen des menschlichen Gesichtes und Körpers, bald in auserlesenen Motiven der Landschaft ergeht. Welche Liebe und Hingabe, welches Findertalent, was für eine Kunst den Augenblick zu erhaschen, für eine Virtuosität der Technik dazu gehört, um auf photo- graphischem Weg Bilder zu erzeugen, die frei von jeder Zufälligkeit durch den Filter künstlerischer Stimmung gegangen zu sein scheinen, das genügend zu würdigen sind wir Laien kaum im stände, sogar die Sorgfalt, welche die bloße mechanische Reproduktion solcher Kunstplatten erfordert , geht über unser Wissen hinaus. Wir haben aber doch den Genuß der Bilder und be- trachten sie mit der gleichen Hochachtung für ihren Schöpfer, wie Gemälde berühmter Meister in photographischen Reproduktionen. Besonders fesseln uns in der neuen Enkeschen Sammlung eine Anzahl wunderbar individueller und stimmungsvoller Frauencharakterköpfe und Gestalten, so gleich das geheimnis- volle Bild „Das Märchen", das elegische „Des Liedes Ende", ein Frauenangesicht, das über den Trümmern junger Liebe wehvoll zu träumen scheint. Voll fried- lichen Ernstes ist der liebliche Mädchenkopf „Heimkehr vom Feld", voll exoti- schen Reizes „Die Gebieterin", realistisch stimmungsreich die betende Greisin „Das Alter", fein abgetönt „Luigina", das Italienermädchen, süß und geheim- nisreich die „Madonnenstudie", ein lüstern durstiges Bild die „Trunkene Bac- chantin" und unendlich ansprechend durch den kindlichen Ernst des Ausdrucks


das „Lesende Mädchen". Woher die fast durchweg herrlichen Modelle, denen hier so hohe künstlerische Wirkung abgelauscht ist? So möchten wir den Bildner fragen, allein das ist sein Geheimnis, und seine subjektive Kunst ist es, wie er zu jedem einzelnen Bild die Beleuchtung und Tönung gefunden hat, die seinen Stimmungsgehalt so mächtig bedingt. Allein nicht nur die von einem Zauber der Poesie umwebten Frauenbilder, bei deren Betrachtung einem unwillkürlich etwas wie ein Gedicht durch die Seele geht, sondern auch die veristischen, an des Lebens Unmittelbarkeit gemahnenden Frauenbildnisse und Männercharakterköpfe , die Porträts im engern Sinne also, begeistern uns für die virtuos entwickelte Kunst Enkes, und mit ihnen Schritt halten die stimmungs- vollen, oft durch eine Staffage so reizend belebten Landschaftsbilder, daß die Grenze zwischen Genre und Landschaft nicht ganz streng gezogen werden kann. Das leider ein wenig zu matt belichtete, aber im Stoff vorzüglich gewählte Bild , Heuernte am Maloja" kann sowohl dem einen wie dem andern Feld zu- gesellt werden und zwei der Photographien, „Kalvarienberg" und , Bergpfad in Tirol" mit ihren Kruzifixbildern können sogar als sehr schöne Beiträge zur religiösen Kunst gelten. Am Bodensee und in Italien hat der Künstler die dankbarsten Motive für die rein landschaftlichen Darstellungen gefunden, wundersame Spiele des Lichts und anmutsvolle Idyllen. Allein der uns zuge- wiesene Raum gestattet nicht, daß wir nun alle die vierzig Lichtstudien Alfred Enkes auch nur stofflich durchgehen, den Lesern möge der Hinweis genügen, daß sie einen Reichtum herzgewinnender Kunst bergen und ein vornehmes Weihnachtsgeschenk bilden, das man so gut wie irgend eine Künstlermappe unter den Christbaum des feinsinnigsten Hauses legen darf. Die Studien werden überall freudige Aufnahme finden!


.... Alfred Enke in Stuttgart hat seiner ersten Serie von Lichtbild- studien, die sich mit Recht einer ungemein günstigen Aufnahme erfreuten, eine weitere folgen lassen, deren vierzig Blatt einen künstlerischen Schatz bilden, wie er nicht allzu häufig geboten wird. Es sind Autotypiereproduktionen von einer Feinfühligkeit der Empfindung, einer Weichheit und doch Bestimmt- heit in der Wiedergabe der Naturaufnahme, die wohl nicht leicht mehr über- boten werden kann. Die Landschaftsblätter wie „Heimkehr von der Alp", „Arven im Hochgebirg", „Buchenwald im Spätherbst", „Mondnacht am Boden- see", „Abend in Venedig" etc. sind mit einem künstlerischen Scharfblick für malerische Wirkung aufgefaßt und wiedergegeben, der jedem Künstler zur Ehre gereichen würde und zu wünschen wäre. Perspektive, Luft und Duft ist mit ausgezeichnetem Geschick behandelt und der günstigste Aufnahmepunkt

fewählt. Und hinter diesen Landschaftsstudien stehen die Aufnahmen von ersonen nicht im Geringsten zurück. Blätter wie „Lili", die „Madonnenstudie", „Des Liedes Ende", die „Trunkene Bacchantin", der „Junge Südtiroler" etc. sind von einer Plastizität und feinen Charakteristik, daß jeder Maler oder Bildhauer sie ohne weiteres als Vorwurf zu einem Werke nützen könnte. Es ist Leben in diesen Gestalten, es spricht Seele aus diesen Köijfen und ihren Augen, ihren Mienen, man spürt nichts von jenem mechanischen Abklatsch der Natur, der uns nicht selten so manche Sammlung von Lichtbildern verleidet, der Hauch echten KunstemjDfindens weht uns aus dieser Sammlung wohltuend entgegen; einen nachhaltigen, dauernden Genuß bietet diese Mappe jedem ehr- lichen Kunstfreund, und ihr Inhalt hebt ihren Urheber und dessen Können auf dem Gebiete der Photographie hoch und weit über das Durchschnittsniveau hinaus, ein echter Künstler spricht daraus zu uns und wir freuen uns dessen und hegen den Wunsch , daß er bei recht vielen heimisch werde und bald wieder eine neue Gabe folgen lasse; denn er beweist damit aufs schlagendste, daß die Photographie eine Kunst genannt zu werden verdient.

Mihichener A^eueste Nachrichten igo2. Nr. S7S-


.... Jedes Blatt dieser neuen Reihe ist ein Meisterwerk photographischer Technik; der Inhalt zeigt dieselbe reiche Abwechslung wie die erste Samm-


lung; idealscliöne Frauen- und Männerköpfe, stimmungsvolle Landschaftsbilder, z. B. Mondnacht bei Lindau, Gräberstraße bei Pompeji, Buchenwald im Spät- herbst, Gelände am Comersee, Abend am Canal Grande; auch eine Reihe anmutiger Genrebilder, zumal aus Italien, ist vertreten. Jedes Blatt wirkt auf den aufmerksamen Beschauer mit fesselnder Gewalt und vermittelt Stimmungen wie ein Meisterwerk der Dichtung. Die Wirkung des Bildes wird nicht wenig gefördert durch die meisterhaft angeordnete Beleuchtung, die zum Teil in sogenannter Uembrandt-Manier die Gestalten so recht plastisch hervortreten läÜt. Die Bilder (Folioformat) sind auf dunkelgrauen, starken Karton auf- gezogen. Künstlern und Kunstfreunden, besonders aber auch Amateurphoto- gi'aphen, wird die Mappe eine reiche Fülle künstlerischer Anregungen bieten.

Kölnische Zeitung igo2. Nr. gg4.

Sous le titre: Neue Lichtbild-Studien [Nouvelles etudes de Photographie] M. Alfred Enke publie un bei album qui sera vivement apprecie de tous ceux qui s'interessent , aux progres toujours croissants de la Photographie, d'abord simple traductrice de la realite, puis ä mesure que les procedes techniques se perfectionnaient de plus en plus, s'essayant ä rivaliser avec l'art du peintre par l'heureux choix des motifs, la seience de la composition, l'habile distribution de la lumiere. Les expositions periodiques du Photo-Club de Paris nous ont montre quelle emulation anime dans ce sens les amateurs de tous pays et combien, d'annee en annee, la reussite est plus grande.

Cet album en est une nouvelle preuve. Les quarante photographies que M. Alfred Enke nous offre, excellemment reproduites en typogravure dans toute leur delicatesse, sont autant de tableaux complets, aussi seduisants de ligne que de couleur. Portraits, tetes d'expression, etudes de clairobscur, paysages surtout, oü la poesie des crepuscules ou des clairs de lune, le „flou" savant de l'execution, le contraste des effets de lumiere, s'ajoutent au charme des sites, forment un choix oü non seulement ceux qui pratiquent la Photographie, mais encore les simples amateurs et les artistes eux-memes trouveront grand plaisir et pront. Gazette des Beaux-Arts. Chronique. Janvier igoj.


.... Aus den sämtlichen Bildern spricht ein tiefes künstlerisches Ge- schick und das Bestreben, im Wege der Photographie „Stimmungsbilder" her- zustellen ; nach dieser Richtung ist der Künstler viel weiter fortgeschritten, als in seinem zuerst eröffneten Zyklus zu erkennen war. Das, was die vorliegende Kollektion charakterisiert, ist eine Weichheit der Konturen, die an das „sfumato" der alten Italiener erinnert.

Ein Porträt des Professors K. in Berlin ist geradezu meisterhaft in Charak- teristik und Bildgestaltung und könnte den Modernen als Kronzeuge für die Theorie der „künstlei'ischen Photographie" dienen.

Den Landschaften, unter welchen ganz vorzüglich gesehene und gewählte Motive vorliegen, verleiht Enke überall die Signatur seiner Persönlichkeit, und, wenn man sich entweder prinzipiell mit dem sfumato einverstanden erklärt oder das Auge daran gewöhnt, wird man überall mehr als eine Photographie er- blicken, eine durch die feinste malerische Empfindung erhöhte Wirklichkeit, wobei er von der Reproduktionstechnik in ganz vorzüglicher Weise unterstützt wird.

Unter den Landschaftsskizzen seien erwähnt: das „Schloß in den Bergen", ,Das Pförtchen", „Bergpfad in Südtirol", „Gelände am Comersee", „Abend am Canal Grande", „Nächtliche Fahrt". „Heimkehr von der Alp".

Gegenüber der früheren Kollektion bedeutet das vorliegende Werk eine entschiedene Hinneigung zu dem Kanon der modernen Richtung.

Photographische Korrespondenz jgo2. Dezemberheft.


Das Werk, welches 40 Tafeln enthält, bildet eine Ergänzung zu den vor einigen Jahren erschienenen Lichtbild-Studien desselben Künstlers. Es sind Blätter von außerordentlicher Schönheit: Figuren und Landschaften. Die Wieder- gabe ist mustergültig. Die Mappe wird eine prächtige Zierde für den Weih- nachtstisch sein. Photographische Rundschau igo2, Heft 12.


UNION DEUTSCHE VERLAGSGESELLSCHAFT

Stuttgart, Berlin, Leipzig.



Lichtbild-Stadien.


Dreißig Heliogravüren


nach Aufnahmen von ALFFiED ENKE,

Folio. In eleganter Mappe. 20 Mark.


INHALT:

I. Engadiner Bäuerin. — 2. Mofgeii in San Martina. — J. Venezianischer Muschelhändler. — 4. Schloß am Meer. — 5. Studie. — 6. Vorfrühling. — 7. Auf der Weide. — 8. Italienische Villa. — 9. Studie. — 10. Gewitter in den Bergen. — 11. Im Klostejgarten. — 12. Erwartung. — ij. Studie. — 14. Villa d'Este. — 75. Ave Maria. ■ — ■ 16. Bergsee. — ly. Orientalin. — 18. Herhstmorgen am Königssee. — ig. Bergamaske. — 20. Mondnacht in Florenz. — 21. Bacchantin. — 22. Sonntagsfrieden. — 23. Bei der Arbeit. — 24. Mühle im Gebirg. — 25, /;/ der Kirche. — 26. Am Waldbach. — 27, Sehnsucht. — 28. Dorfgasse. — 2g. Studie. — 30. Ein stiller Winkel.


Urteile der Presse.

Der bekannte Schriftsteller .T. C. Heer äußert sich über das Werk in der „Neuen Züricher Zeitung" wie folgt:

Als die Kunst der Photographie entdeckt wurde, trat sie zunächst jahr- zehntelang in den Dienst der reinen "Wiedergabe der Wirklichkeit, war sie ein durchaus naturalistisches Kunstgewerbe. In neuerer Zeit aber hat sich zu der stetig wachsenden Vervollkommnung der technischen Hilfsmittel eine außer- ordentliche Verfeinerung des Geschmacks und der Auffassung gesellt, welche, wie die auch aus der Schweiz viel besuchte photogra.phische Ausstellung in Stuttgart bewies, die Photographie aus dem Rahmen des Kunstgewerbes in die Höhen der wirklichen Kunst erhebt. Ein glänzendes Zeugnis dafür sind die Lichtbild-Studien Alfred Enkes in Stuttgart, wahre Kabinettstücke der photo- graphischen Kleinmalerei, Genres und Landschaften, wie sie der Künstler auf Ferienfahrten in Italien, den Schweizer und österreichischen Alpen entdeckt hat. Glückliches Finden und feinfühlige Wahl des Motivs, Schönheit der Be- lichtung und plastische Modellierung fesseln uns, ob der Künstler das Figürliche oder Landschaftliche bevorzugt, und Blatt um Blatt überrascht uns lebhaft, wie außerordentlich fügsam sich ihm die Technik erweist. Graziöse, pikante Anmut atmet gleich der jugendliche Frauenkopf auf dem Titelblatt, realistische Kraft die alte, gemütliche Bäuerin in der dunklen strengen Tracht des Unterengadins, Böcklinsche Stimmung das zerfallende Schloß am Meer und die träumerische italienische Villa zwischen Zypressen und Lorbeer. Ob uns nun Enke einen Morgen in den italienischen Alpen mit duftigem Gebirgshintergrund, einen Vor- frühlingstag im lichten Gehölze, ein Tierstück von der Weide, ein Gewitter über dem See und Dorf des Gebirges, die Nonnen, die im Klostergarten arbeiten, den italienischen Hof, in dem ein Mädchen seinen Freund erwartet, den herrlichen Gartenaufgang der Villa d'Este oder den alten Pfarrer, der auf einer Bank sitzend die Hände zum Ave Maria faltet, oder kokette junge Frauenbilder, eine orientalische Träumerin mit sphinxartigem Ausdruck, eine jugendliche Bacchantin, einen verwitterten Bergamasken oder ein feines, schicksalerfahrenes Mütterchen in der Kirche schildert, haben alle Blätter reiche Stimmung und Poesie und ge- winnen wie das Werk als Ganzes durch die überaus sympathische Stoffwahl, durch die reiche Abwechselung von Bild zu Bild. Die Wiedergabe der einzelnen Stücke durch die Verlagsanstalt ist tadellos vollkommen, der Preis im Verhältnis zum Gebotenen durchaus billig, und wir denken, daß das schöne Werk nicht nur bei den Photographen, die darin einen Triumph ihrer Kunst sehen müssen, sondern auch in kunstfreundlichen Familien die wärmste Aufnahme findet und ein her- vorragendes Zugstück des bevorstehenden Weihnachtsmarktes in den Kreisen wird, wo der Sinn für lebeusunmittelbare, doch poesiereiche Kunst zu Hause ist.


.... Die Reihe umfaßt zum größten Teil Landschaftsbilder aus Deutsch- land, besonders aus dem Hochgebirge, und aus Italien, Waldpartieen, Genrebilder, mehrere schöne Frauenbilder (Orientalin, Bacchantin und drei Studienköpfe), Charakterköpfe von Landleuten. Besonders stimmungsvoll und fesselnd sind die Blätter: Schloß am Meere; Vorfrühling (eine blätterlose Birkenwaldpartie); Italienische Villa; Gewitter in den Bergen; Villa d'Este; Herbstmorgen am Königssee; Mondnacht in Florenz. Die ursprünglichen photographischen Auf- nahmen müssen geradezu unübertrefflich gelungen sein ; denn die in der Kunst- anstalt von Meisenbach, Riffarth & Co. in München hergestellten Nachbildungen in Heliogravüre lassen an Feinheit nichts zu wünschen übrig und wirken mit vollendet schöner Perspektive oder treten wie zum Greifen plastisch dem Beschauer entgegen. Die Grundfarbe der Bilder ist in verschiedenartigen Abstufungen von Schwarz, Blau, Braun und Rot gehalten, wie sie für das betreffende Bild am günstigsten wirkt. Gedruckt sind die Bilder auf feinem Kupferdruckpapier in Folioformat. Die Originalbilder haben als photographische Kunstblätter zu Anfang dieses Jahres, als sie im Landesgewerbemuseum in Stuttgart ausgestellt waren, all- gemein höchste Bewunderung erregt. Kölnische Zeitung 1899, Nr. 993.


Verlag von FERDINAND ENKB in Stuttgart.


Die Darstellung

des ersten Menschenpaares

in der bildenden Kunst von der ältesten Zeit bis auf unsere Tage

Von Josef Kirchner,

Mit 105 in den Text gedruckten Abbildungen, gr. 8". 1903. Geheftet M. 10.60; elegant in Leinwand gebunden M. 12. —

Aus dem Vorwort.

Seit mehr als zwanzig Jahren beschäftigt mich der vorUe- gende Stoff. Er erschien mir schon viel früher als ein nicht nur in die christliche, sondern auch die pro- fane Kunst tief eingreifender. Bald da, bald dort sah ich ihn auf meinen Wanderfahrten von einem Künstler verkörpert vor mir auf- tauchen. In den Handbüchern der Kunst, in Museen und Galerien trat er mir entgegen, in Sagen und Legenden; selbst im derbkörnigen VolksUed begegnete ich ihm. — Das vorliegende Buch erhebt nicht den Anspruch auf erschöp- fende Behandlung des Stoffes, bei dessen riesigem Umfang und der Zerstreutheit der einschlägigen Objekte kann es dies auch gar nicht. Mein Wille war, unparteiisch zu sein, einen Leitfaden dem Kunstfreunde und Kunstjünger an die Hand zu geben zum Verständnis und zur Beurteilung eines der tiefgründigsten Kunstmotive seit den Tagen der Antike. Nicht alles konnte ich, namentlich an Abbildungen, erlangen, was ich wollte, aber ich habe wenigstens versucht, soweit als möglich das Charak- teristische herauszugreifen und vorzuführen in Wort und Bild.



Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.

Die Medizin in der klassischen Malerei.


Von


Dr. Eugen Holländer,


Chirurg in Berlin.

Mit 165 in den Text gedruckten Abbildungen. 4°. 1903. Geheftet M. 16. — ; elegant in Leinwand gebunden M. 18. —

INHALT: Vorwort. — Einleitung. — Die Anatomiegemälde. — Medizinische Gruppenbilder. — Krankheitsdarstellungen. — Innere Medizin. — Chirurgie. — Allegorien, Hospitäler und Wochenstuben. Heiligenbehandlung. — Schlußwort.



Urteile der Presse.

Der Verfasser bespricht die in sehr guten Autotypien vorgeführten Darstellungen medizinischen Inhalts, die er als Kunstfreund in den Ixalerien der Alten Welt aufgefun- den und gesammelt hat, in anziehender Weise, und zwar gruppiert die Anatomiegemälde, Krankheitsdarstellungen (Aussatz, Syphilis, Pest etc.), Innere Medizin, Chirurgie, Alle- gorien, Hospitäler und Wochenstuben und Heiligenbehandlung. „Ein frohes Werk außer- beruflicher Tätigkeit" nennt der Verfasser selbst sein Buch, und die Freude, die ihm die Arbeit bereitet haben mag, teilt sich sofort dem Leser mit. Künstlerischer und histo- rischer Sinn, unterstützt durch alle Hilfsmittel der modernen Technik, haben hier ein Prachtwerk im besten Sinne des Wortes geschaffen.

Münclmer medizinische Wochenschrift 1903, Kr. 50.

. . . Wie sehr hat der Autor die an sein Werk geknüpften Hoffnungen und Erwar- tungen zu üViertrumpfen verstanden! Denn ebenso glänzend wie die äußere Aus- stat tung, Aus wähl, photographische Reproduktion der Gemälde und die sonstige typographische Technik hervortritt, ebenso, ja noch glänzen- der, ist der die Bilder begleitende Text. Prof. Pagel-Berlin.

Deutsche Ärzte-Zeitmuj 1904, Kr. 1.


Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart,

ZEUS.

Gedanken über Knnst und Dasein. Von einem Deiitsclieii.

gr. 8". 1904. geheftet M. 3.60; in Leinwand gebunden M. 4.60.

„Zur Einleitung." Anderthalb Jahrzehnte sind verflossen , seit uns Rembrandt der Niederdeutsche als Erzieher vorgestellt wurde; seitdem noch andere, vom launigen Höllenbreughel bis zum biederen Flachsmann; auch Moltke. Sie waren dazu mehr oder minder tauglich, jeder auf seine Weise. Bismarck ist, wie es scheint, vom deutschen Volke noch nicht als Erzieher betrachtet worden; wenigstens nicht hinlänglich.

Wir aber wollen uns wenden zum ewig Fortzeugenden, zu Zeus, dem Vater des Dionysos und Apollon, der, wirliend in nie versiegender Schöpfei'kraft, die Ziele des Da- seins durch die Kunst offenbart. Denn in ihr spiegelt sich das Wirken des Weltengeistes auf dieser Erde. Aber auf seine lichte Hiihe hat er uns nicht gestellt, sondern auf ein Schlachtfeld, wo der Weg dorthin erstritten werden muß.

Grundriss der Anatomie für Künstler.

Von M. Diival,

Professor der Anatomie an der Kuustakademie zu Paris.

Autorisierte deutsche Uebersetzung

herausgegeben von Prof. Dr. med. F. Neelsen. Zweite Auflage bearbeitet von Prof. Dr. Ernst Gaupp.

Mit 78 Abbildungen. 8". 1901. geh. M. 6.—, in Leinwand geb. M. 7.—

Ein auch von der deutschen Presse warm empfohlener , an verschiedenen Kunst- akademien eingeführter Leitfaden, der mit knapper Fassung lebhafte, anregende und leicht verständliche Darstellungsweise verbindet. Die zweite Auflage ist von Herrn Pro- fessor Gaupp in Freiburg gründlich durchgesehen und ergänzt worden. Auch wurden sämtliche Abbildungen nach neu gezeichneten Originalen auf das sorgfältigste erneuert. Demungeachtet wurde zur Erleichterung der Anschaffung der bisherige, billige Preis ein- gehalten. Der Grundriß sei allen jungen Künstlern wärmstens empfohlen.

Photographisches Compendium.

Anleitung zur Liebhaberphotographie

unter Berücksichtigung der Anwendung in der "Wissenschaft.

Von Privatdozent Dr. E. Englisch.

Mit 1 Tafel und 75 Abbildungen. 8". 1902. geh. M. 4.— ; in Leinwand geb. M. 5.—

Das mit großer Sachkenntnis geschriebene Buch enthält neben einer Anleitung zum Erlernen der verschiedenen photographischen Prozesse und zum richtigen Gebrauch der Apparate einiges über Mikrophotographie, Eeproduktionsverfahren, Farbenphoto- graphie u. s. w. Da bei dem Anfänger physikalisch-chemische Kenntnisse nicht voraus- gesetzt werden können, so wurde ein kurzer Abriß über lonentheorie und Gleichgewichts- lehre aufgenommen. Um mathematische Ableitungen möglichst zu vermeiden, wurden solche nur in der Lehre von der Perspektive und Tiefe gegeben. Auch die Ästhetik ist berührt. Fhotogr. Rundschau 1902. Juliheft.

Demnächst erscheint: „

Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft.

Von Prof. Dr. M. Dessoir»

Umfang etwa 50 Bogen, mit Tafeln und einigen in den Text gedruckten Abbildungen. Lexikon 8". Geheftet und elegant gebunden.


Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.

Die Kinderernährung im Säuglingsalter und die Pflege von Mutter und Kind.

Wissenschaftlicli und gemeinverständlich dargestellt von

Prof. Dr. Ph. Biedert.

Fünfte, ganz neu bearbeitete Auflage.

Mit 17 Abbildungen im Text und 1 farbigen Tafel. gr. 8°. 1900. geh. M. 6.40; in Leinwand geb. M. 7.60

Die Frau als Mutter.

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, sowie Pflege und Ernährung der ^Neugeborenen in gemeinverständlicher Darstellung. . Von Dr. Hans Meyer,

Dozent für Geburtshilfe und Frauenkrankheiten in Zürich. Zweite Auflage.


Mit Abbildungen, kl. 8°. 1899. Geh. M. 3.60; in Leinwand geb. M. 4.20.

„Die Frau als Mutter" will ein Ratgeber für junge Frauen sein, denen in Mutter oder Schwester erfahrene Ratgeberinnen nicht zur Seite stehen und die beim Arzte sich Rats zu erholen scheuen. In gemeinverständlicher, erschöpfender, dezenter Darstellung gibt der Verfasser Aufliläi'ung und diätetische Vorschriften über Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, über Pflege und Ernährung der Neugeborenen, und zwar alles in sehr verständiger, klarer praktischer Weise. Seine Ratschläge sind derart, daß sie auch von den Minderbemittelten leicht befolgt werden können und sie laufen meist darauf hinaus, die junge Frau und Mutter bei kleineren Störungen in den Stand zu setzen, sich selbst zu helfen, soweit das eben ohne Gefahr für Mutter und Kind möglich ist. Das Buch kann jungen Frauen warm empfohlen werden.

Doktorsfahrten.

A e r z t li c h e s und Menschliches. Von Max Nassauer.

kl. 8°. 1902. Geh. M. 2.80; geb. M. 3.60.

Inhalt: Der Doktor und sein Doktorsgaul. — Der kluge Doktorsgaul. — Der Millionenbauer. — Die Pest. — Wie ein Dichter stirbt. — Die warme Suppe. — Der blaue Bleistift. — Der Biber ist tot. — Der dankbare Italiener. — Das ist die Welt des Herrn. — Der Dorfseiler. — Das ist die Welt der Knechte. — Die projektierte Eisenbahn. — Die ge- leimte Zehe des Herrn Amtsrichter. — Die Laubfrösche im Darme des Kater. — Die Fliegen. — Der Nekrolog.

Aberglaube und Zauberei

von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Von Dr. Alfr. Lehmann.

Deutsche autorisierte Ausgabe von Dr. Petersen.

Mit 75 in den Text gedruckten Abbildungen, gr. 8°. 1898. geh. M. 12.— ; in Leinwand gebunden M. 13. —

Das Werk ist schon während des Erscheinens als Lieferungsausgabe von der gesamten Presse als eine vortreffliche zusammenfassende Darstellung dieses großen Ge- bietes menschlicher Irrungen auf das wärmste begrüßt worden. Vermöge der licht- und geistvollen, dabei gemeinverständlichen und anregenden Darstellung wird Lehmanns „Aberglaube und Zauberei" von jedem Freund einer ernsteren Bildungslektüre mit Genuß gelesen werden.




Unless indicated otherwise, the text in this article is either based on Wikipedia article "Die Schönheit des weiblichen Körpers" or another language Wikipedia page thereof used under the terms of the GNU Free Documentation License; or on research by Jahsonic and friends. See Art and Popular Culture's copyright notice.

Personal tools