Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance  

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Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance (1908) is a book by Julius von Schlosser.

It was translated as Art and Curiosity Cabinets of the Late Renaissance: A Contribution to the History of Collecting in 2021 by Jonathan Blower and edited by Thomas DaCosta Kaufmann.

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Blurb of the English translation

Julius von Schlosser’s Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance (Art and Curiosity Cabinets of the Late Renaissance) is a seminal work in the history of art and collecting. Originally published in German in 1908, it was the first study to interpret sixteenth- and seventeenth-century cabinets of wonder as precursors to the modern museum, situating them within a history of collecting going back to Greco-Roman antiquity. In its comparative approach and broad geographical scope, Schlosser’s book introduced an interdisciplinary and global perspective to the study of art and material culture, laying the foundation for museum studies and the history of collections. Schlosser was an Austrian professor, curator, museum director, and leading figure of the Vienna School of art history whose work has not achieved the prominence of his contemporaries until now.

This eloquent and informed translation is preceded by Thomas DaCosta Kaufmann’s substantial introduction. Tracing Schlosser’s biography and intellectual formation in Vienna at the turn of the twentieth century, it contextualizes his work among that of his contemporaries, offering a wealth of insights along the way.



Full text[1]

DIE KUNST- UND

WUNDERKÄMMERN DER

SPÄTRENÄISSÄNCE


EIN BEITRAG ZUR GESCHICHTE UU DES SAMMELWESENS O^

VON

JULIUS VON SCHLOSSER


MIT 102 ABBILDUNGEN


LEIPZIG 1908. VERLAG VON KLINKHARDT & BIERMANN


Alle Redite vom Verleger vorbehalten


H-10

Ss

5 82908


Den Druck dieses Werkes besorgte die Offizin von o Julius Klinkhardt in Leipzig



VORWORT

|ie Blätter, die wir im Folgenden vorlegen, wollen ein Kulturbild vornehm- lich aus der deutschen Spätrenaissance zur Anschauung bringen. Man wird leicht erkennen, daß sidi das Thema aus der Beschäftigung des Autors mit einer der berühmtesten unter diesen alten Kunst- und Wunderkammern, der Ferdinandeischen, einst auf Scliloß Ambras in Tirol, herauskristallisiert hat; diese steht denn auch im Mittelpunkt, und aus ihren Beständen hat man das vorliegende Buch zu einem großen Teile zu illustrieren versucht. Die Stellung der Verfassers als dermaligen Vorstandes dieser heute im kunsthistorischen Hofmuseum zu Wien aufgegangenen Sammlung wird das begreiflich erscheinen lassen. Das Bestreben, die Entstehung dieser Kunstkammern nach rückwärts zu verfolgen und ihr Ausmünden in moderne Formen vorzuführen, brachte es mit sich, daß das Ganze zugleich ein Beitrag zu der Geschichte des Sammel- wesens überhaupt geworden ist, ein Versuch, der insofern auf nachsichtige Billigung zu rechnen hat, als über den Gegenstand, von vereinzelten Ansätzen abgesehen, unseres Wissens kaum weiter greifende Vorarbeiten, dafür aber um so mehr zerstreute und zersplitterte Materialien vorliegen.

Es ist eine Pflicht der Dankbarkeit, wenn ich hier meines Kollegen Dr. Camillo List gedenke, dessen freundschaftlicher und sachkundiger Hilfe ich den allergrößten Teil der Abbildungen schulde.

Landskron-Gratschach in Kärnten, im Marsjahre 1907.


Julius von Schlosser.


Übersicht des Inhalts

^ Seite

Vorwort '^'J

I. Einleitung. Vorgeschidite der Kunst- und Wunderkammern . . 1-21 Ursprünge des Sammelwesens 1 — Sdiatzhäuser und Totenkammern 3 — Der Tempel als Museum 4 — Griechen und Römer 5 — Mittelalter 8 — Die Kirche als Museum 10 — Rolle der Antike 12 — Das Abenteuerliche und Kuriose 12 — Profangeräte in der Kirche 15 — Die Wachsplastik 16 — Die Heiltumbücher 18

II. Die Kunst- und Wunderkammern 22—119

Die weltlichen Sdiatzkammern der Fürsten 21 — Die Sammlungen des Herzogs von Berry 22 — Die Herzöge von Burgund 31 — Margarethe von Österreich 32 — Erzherzog Ferdinand und die Ämbraser Samm- lung 34 ff. — Die Münchener Sammlungen und die Methodologie Quiche- bergs 72 — Die Rudolfinische Kunstkammer in Prag 76 — Die Wiener Schatzkammer 82 — Die Kunstkammern in Dresden und Berlin 84 — Die Gottorpisdie Kunstkammer 85 — Privatsammlungen 88 — Die Rolle des Kuriosen 90 — Die Kunstsdiränke 95 — Das Künstliche und die Drechslerkunst 97 — Virtuosentum 99 — Die Naturwunder 100 — Italien 104 — Italienische Kuriositätenkammern 106 — Idealbild einer Kunstkammer 110 — Die Rolle des Kuriosen im XVIII. Jahrhundert 112 — Literatur der Kunstkammern 115

III. Sdiluß. Fernere Entwickelung des Sammelwesens 120—137

Italien und seine Stellung im modernen Leben 120 — Die großen Galerien des XVII. Jahrhunderts 125 — Holland und seine Stellung zum Sammelwesen 126 — England und das moderne Museum 129 — Reisen der Engländer 131 — Aufkommen des staatlichen Museums 133 — Das Musee Napoleon 134 — Entwidtelung des Musealgedankens in der Gegenwart 135

Anmerkungen 138—146




Fig. 1. Reliquien-Olifant, angeblich von Landgraf Albert III. von Habsburg 1199 dem Kloster Muri gespendet. (Wien, Hofmuseum.)


L Einleitung.

Vorgeschichte der Kunst- und Wunderkammern.

Wer GS unternähme, eine Geschichte des Sammelwesens von seinen Ur- sprüngen an und in allen seinen vielfachen Verästelungen und Aus- wüchsen zu schreiben^) — und es wäre ein psychologisch wie kulturgeschichtlich gleich interessantes Thema — dürfte vielleicht nicht verschmähen, zu der gazza ladra und den mannigfaltigen und merkwürdigen Beobachtungen hinabzusteigen, die man über Sammeltriebe innerhalb der Tierwelt gemacht haben will. Neuere Untersuchungen, wie die von Karl Groos über die Spiele der Tiere zeigen, daß hier mancher Aufschluß zu gewärtigen wäre. Aber daran kann auf diesen wenigen Blättern unmöglich gedacht werden, wie denn auch nur ein rascher Seitenblick auf das leichter zugängliche und an Weisern aller Art reiche Gebiet der Psychologie des Kindes verstattet ist. Wir alle wissen hin- länglich aus eigener, lächelnder Rückerinnerung, wie andringend und lebhaft der Sammeltrieb des Kindes ist, wie er in Schule und Haus, zum Verdruß von Lehrern und Eltern, sich zu steigern vermag. Der alte Montaigne, vielleicht der hellblickendste Mensch seiner Zeit und zum mindesten seines Landes, hat schon den Ausspruch getan, daß des Kindes Spiel seine ernst- hafteste Tätigkeit sei: — „les jeux des enfants ne sont pas jeux, et les fault juger en culx comme leurs plus serieuses actions" Ess. I, 22. Der früher genannte Psychologe-) hat in der Tat dieses Rperqu auf breiter Basis ent- wickelt, indem er das kindliche Spiel als die notwendige Vorbereitung und Einübung zu dem, leider so wenig scherzhaften Leben des Erwachsenen dar- stellt. Eine Vorübung, aber zugleich in ihrem heiteren Schweben auf den Flügeln der Phantasie das Gebiet der Kunst streifend und überfliegend, wie dies schon Schiller in seiner schönsten und gedankenvollsten philosophischen Abhandlung, den „Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen" behauptet hat. An dem allen muß hier vorbeigegangen werden; nur auf eines wäre doch hinzuweisen, auf den engen Zusammenhang, in dem der Sammel-

V. Schlosser, Kunst- und Wunderkammern. 1


2 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

trieb mit der Vorstellung des persönlichen Eigentums und mit der nicht minder komplizierten des Schmucks, vor allem des eigenen Leibes, steht, und mit dieser letzteren einer der tiefsten Quellen aller bildenden Kunst überhaupt sidi nähert. Das wird deutlicher, wenn wir hören, daß der primitive Mensch in sehr vielen Fällen seine eigene wandelnde Schatzkammer vorstellt'), daß er aus leicht zu durchschauenden Gründen, was er persönlich wert hält und sein eigen nennen will, auch am eigenen Leibe, oft mit nicht geringer Mühsal, herumträgt; — und dazu gehört natürlich und vor allem die dauerhaft in die Haut gravierte bunte Tätuierung, die ihm nur mit jener selbst genommen werden kann, ein materielles und groteskes Gegenbild zu dem Leibsprüchlein des cynischen Philosophen. Daß dergleichen Dinge aber — wie bekanntlich die Tätuierung auch — bis in die Niederungen moderner und europäischer Kultur noch hineinragen, das lehrt manches klein- und vorstädtische Äus- lagenfenster mit den Photographien von Vereins- und Sporthelden niedriger Sphären, behangen und bebändert mit ganzen Sammlungen von Denk- und Ehrenmünzen, ganz so wie weiland Herr Abraham Grapheus, Bote der Äntwerpener Sanct Lucasgilde auf dem köstlichen Porträt des Cornelis de Vos erscheint, nicht nur als Behüter, sondern als Träger der Preis- medaillen und Erinnerungszeichen. Satirisch veranlagte Gemüter möchten wohl hier Lust zu einem Ausflüge in das vielverspottete und doch so heiß umlagerte Gebiet der Dekorationen und Ordenszeichen aller Art überhaupt verspüren. Unleugbar mischt sich aber dabei schon ein geistiges Element höherer Ordnung ein ; es ist nicht allein die menschliche Vanitas, auch nicht allein die elementare Freude am Besitz und Schmuck, sondern diese glänzenden Nichtigkeiten werden vielfach zu Symbolen von Geltung und Tätigkeit, von Ansehen und schließlich von Madit für ihren Besitzer, und wirken als soldie zurück. Sie sind zu sozialen Werten und Faktoren geworden. Allmählich ist dann überall, wo der Einzelne sich herrschend über eine kleinere oder größere Mehrheit erhoben hat, gleichsam die Projektion dieser Dinge erfolgt. Die Feldzüge der Engländer in Afrika, die überhaupt so merkwürdige Aufschlüsse über die staatliche und soziale Organisation der Negervölker zutage förderten, haben uns mit den reichen und wohlgefüllten Sdiatzkammern der schwarzen Könige bekannt gemacht; es verschlägt nichts, daß es sich dabei im ganzen um eine sehr junge Kultur handelt. Diese Schätze sind es, auf denen gewiß zu einem nicht geringen Teil das Geheimnis von Macht und Ansehen der Häupter beruht. Freilich ist es zuerst und zunächst das Material an sich, das durch Köstlichkeit, durdi Seltenheit und Gesuchtheit, im weitern auch durch die Konvention in seinem Wert bestimmt ist, der Goldbarren und der Elefanten- zahn ; aber fast überall drücken sich Freude und Eigensucht des Besitzers frühzeitig in der künstlichen Bearbeitung dieses rohen Materials, in der Umformung zu Schmuck und Gerät aus, durch die sidi der Mensdi das Naturprodukt erst tätig und schaffend aneignet und anpaßt; und so rinnen auch hier zwei Strömungen geistiger Kultur noch in einem Bette. Längst hat die moderne Ethnologie die Gleichung zwischen primitivem Schmuck und primitivem Geld aufgestellt; auf die Halsbänder aus Kaurimuscheln deutet schließlich der malerische Münzenschmuck der Griechin oder Südslavin ebenso


I. Einleitung. Vorgeschichte der Kunst- und Wunderkammern. 3

zurück wie der Talerknopf an den Westen oberdeutscher Bauern. Die Sdiatz- kammer ist, wie gesagt, die Projektion dieses urtümlich naiven Gedankens des Eigentums als Schmuck nacti außen, aus dem Bewegten in das Ruhende.

Diese unvollständigen und aphoristischen Erwägungen erscheinen an ihrem Platze, wenn man bedenkt, daß aus diesem Protoplasma des Schatzes und der primitiven Schatzkammer schließlich die so complizierte und vieldeutige Form unserer Museen herausgewadisen ist. Es wird noch einmal davon die Rede sein müssen, wie diesen ihr Ursprung aus rein privatem Besitz bis hart an die Sdiwelle des abgelaufenen Jahrhunderts, ja über sie hinaus angehangen hat, und an einzelnen höchst konservativen Stellen noch bis heute zu Redit besteht. Denn natürlicherweise ist die Schatzkammer nur ihrem Besitzer und allenfalls seiner Familie oder wenigen begünstigten Gastfreunden zugänglidi und sichtbar gewesen ; wem fielen hierbei nicht die Histörchen Herodots vom Besuche des weisen Solon beim Lyderkönig Krösus oder vom Schatz des Rhampsinit ein ?

In den Geschichtserzählungen von den beiden ersten großen Welt- monarchien im Bereiche niittelseeischer Kultur wie in den freilidi viel jüngeren, aber nicht minder phantastisch gefärbten von den amerikanischen Inka- und Äztekenreidien finden wir denn nun auch die Urbilder jener fabel- und märchenhaften Schatzhäuscr wieder, in denen Aladins Wunderlampe leuchtet und die unsere jugendliche Phantasie, dank den orientaiisdien Sagen von Tausend und einer Nacht, mit ihrem Edelsteinglanz erfüllten. Sie sind freilich auf immer dahin ; denn diese ältesten aller Museen waren naturgemäß, da die Anhäufung von Reichtümern, materieller Kostbarkeiten ihren Grundcharakter ausmacht, dem Furor menschlicher Begierde, den Wediselfällen irdischen Glücks am meisten ausgesetzt. Aber wie die mütterliche Erde in ihrem Sdioße die Urkunden ältester Geschichte des organischen Lebens überhaupt bewahrt hat, so kommt sie uns audi hier zu Hilfe. Das seltsamste und inkommensurabelste aller Erdenwesen hat, trotz aller ihm anscheinend unvertilgbar eingepflanzten Sucht, seine kurzlebige Individualität in eine Welt hinter den Sinnen zu retten, zu verlängern und zu erhöhen, sich doch niemals seiner menschlichsinnlichen Änsdiauung gänzlidi zu entschlagen vermocht, und auch den geistigsten, erdenflüchtigsten Religionen haftet diese Schale an. Wie nun in primitiver Auffassung das Grab des Toten als seine Wohnung und in sehr vielen Fällen der gewohnten Behausung direkt nachgebildet erscheint, so folgte der wert- vollste Besitz den Abgeschiedenen — aus mannigfaltigen Gründen, die uner- örtert bleiben müssen — ihm wenigstens epitomiert oder symbolisch nach. So sind die vermeintlichen Schatzhäuser der homerischen Helden, deren Auf- deckung wir Schliemann danken, in Wahrheit die Stätten ihrer letzten Rast, und über Jahrhunderte hinweg finden wir in einer ähnlich gearteten Kultur den gleichen Gedanken in den Gräbern der Heerkönige aus der Völkerwan- derungszeit wieder, für unseren Standpunkt unschätzbare kleine Museen früh- mittelalterlicher Kunstübung.

Der Gedanke der Schatzkammer der hier gleichsam skizziert und abge- kürzt erscheint, kehrt aber noch an einer anderen höchst bedeutenden Stelle

wieder.

1*


V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Spötter und ernsthafte Leute haben gelegentlich gesagt, der Satz, daß Gott den Menschen nach seinem Ebenbilde erschaffen habe, sei vielmehr in seiner Umkehrung wahr. So wie diese ins übermenschliche und übernatürliche, zur Gottheit gesteigerte Menschlichkeit ihr Haus im Tempel erhielt, so hat sie auch ihr persönliches erhöhtes Eigentum im Tempelschatze empfangen, der ebensoweit in seiner Bedeutung und Beharrung über die Schatzkammer des sterbliclien Fürsten hinausragt, als der Gott wie ein über alle irdische Macht erhabener Herrsdier gedacht wird. Denn der Tempelschatz ist nicht mehr ausschließlicher Besitz eines Einzelnen, wenn auch noch so Mächtigen, sondern in höherem oder geringerem Grade einer Gemeinde, einer Kaste, eines ganzen Volkes, und darum ein sozialer Wert von größter Bedeutung wenn er auch vom Wechsel der Geschicke und der Meinungen nicht unberührt bleibt. Das gilt ganz besonders von jenem ewig denkwürdigen Küsten- und Inselvolke der ägäischen See, das auch dem nicht in klassizistischem Vorurteil Befangenen leidit als die Blüte des Menschengeschlechts erscheinen möchte; vielleicht ist es das einzige, das aus der weltgeschichtlichen Entwicklung im eigensten Sinne des Wortes nicht hinweg gedacht werden kann. Ihm ist zuerst und fast allein unter den Völkern der alten Welt die Idee bürgerlicher Freiheit aufgegangen — es hat schwer genug dafür gebüßt. So wird denn auch bei den Hellenen zuerst der Schatz des Gottes in Wahrheit ein öffentlicher Besitz, die Tempel- kammer und ihr Bezirk in gewissem Sinne das älteste öffentliche Museum. Denn hier ist nicht mehr wie in den alten orientalischen Reidien mit ihrer starren Hieratik des Lebens, zuerst und zunächst ein Depot von Reichtümern, sondern unter diesem Volke, das, in der Fieberglut seiner Entwicklung sich selbst verzehrend, in wenigen Jahrhunderten weiter gekommen ist, als der Orient in Jahrtausenden, bei diesem Volke, das den tiefsinnigen Gedanken vom Götterneide aussprechen durfte und mußte, trat audi die freie Kunst als soldie in ihre Rechte. Dient sie auch dem Kultus, so hat sie dennoch eine ganz andere Rolle inne als im Orient. Und so versammelt sich schon in sehr alter Zeit um das Bild der Gottheit eine Reihe von bedeutenden Kunstwerken, darunter solche, die mit dem nationalen Leben und Kult des Volkes auf das innigste verknüpft sind, wie die Siegerstatuen. Sdion ziemlich frühe muß das agonale Grundwesen der hellenischen Kultur, die Freude am freien Spiel und am gegenseitigen Messen der Kräfte, gleichermaßen etwas, das ganz und gar der Öffentlichkeit angehört und dem Hellas einen guten Teil seiner rasdien Entwicklung dankt, auch hier zur Geltung gekommen sein ; vieles deutet auf Preiskonkurrenzen unter den Künstlern, wie sie später wieder, vor allem in dem mannigfach verwandten toskanischen Städtewesen, stattgefunden haben, so daß die Dombauhütten dort noch heute als kleine Museen bedeutender Kunstwerke, von ganz bestimmter Lokalfärbung sich darstellen. Die Tempel- schätze Griechenlands sind damit die ersten öffentlichen, jedem Bürger zu- gänglidien Museen lebender Kunst wie jener der nationalen Vergangenheit geworden; nichts belehrt besser über ihre Stellung im sozialem Leben als die köstlidie Szene des Herondas, wo die beiden Gevatterinnen im Äsklepiostempel die zur Schau gestellten Kunstwerke bestaunen und beschwatzen. Dazu gesellt sich aber noch etwas anderes.


I. Einleitung. Vorgesdiidite der Kunst- und Wunderkammern. 5

Dem Wesen des Künstlervolkes entsprechend, steht freilich — und das wird aus Herondas ganz deutlich — die Kunst, ihrer formalen Seite nach, gar sehr im Vordergrund, allein der Tempelschatz spiegelt als National- oder Munizipalgut auch die gesamten mit dem Kultus enge verknüpften Interessen der Kommune wieder. So finden sich hier denn, wie später in den mittel- alterlichen Kirchen, nicht nur Reliquien und Gebeine verehrter Heroen, gewiß vielfach in kostbaren Behältern, sondern auch geschichtlidie, volkstümliche Erinnerungen, wie Waffen und Beutestücke aller Art, beides charakteristisdi für ein Volk, dessen Denken ganz im Mythologischen wurzelte, das aber auch die erste innerlich wahre und mensdilich bedeutsame Geschichte geschrieben hat. Ferner aber auch all das, was diese gern und viel fabulierende Nation unwiderstehlich anzog : Merkwürdigkeiten der Natur — nur in unserem Sinne darf man die von uraltem Kult geheiligten Meteorsteine hierherzählen — Knochen urweltlicher Gesdiöpfe als Gigantengebein, dann Straußeneier, Kokusnüsse, ausgestopfte Tiere aus fernen Fabellanden, etnographische Kurio- sitäten von nah und fern^); ist doch Odysseus, der Vielgeübte, mit seinem unverwüstlichen Schifferlatein, dem Wahrheit und Diditung sich stets durch- einander weben, der rechte Patron dieses Völkleins, aus dessen Mitte jener stets ehr- und liebenswürdige Erzähler, Herodot, hervorgegangen ist, der zuerst mit offenem und hellem Menschenblick, durch kein Priesterdogma beschränkt, die Eigenheiten der Natur und fremder Völkerschaften betrachtet und beschrieben hat. So sind in manchem Betrachte jene hellenischen Tempel- schätze die ältesten Vorläufer der späteren Kunst- und Raritätenkammern.

Aber es ist zu wiederholen : was hier, unter der Obhut der Gottheit, aufgespeichert lag, war in ganz anderer Weise noch als in der mittelalterlichen Kirdie, öffentlich und zugänglich, Neugier und Wißbegierde reizend und be- friedigend. Das ist nichts geringes gewesen ; jene Jonier und Attiker hatten Fragen an die Natur zu stellen, die wir heute noch nicht losgeworden sind. An diese großen Tempelschätze nun, die wir uns nicht bedeutend genug vor- stellen können, hat dann, in den späteren Zeiten des Griechentums zumal, eine umfängliche Literatur angeknüpft, zunächst wohl in der Art der mittel- alterlichen Heiligtumsbücher auf die Bedürfnisse gläubiger Wallfahrer, dann aber auf das große Reisepublikum, mit den antiquarischen Interessen der römischen Zeit namentlich, berechnet und zugeschnitten. Vollständig erhalten ist davon nur der bekannte Führer des Pausanias durch Griechenland, ein Buch, das sich in vieler Hinsicht der reichen Lokalliteratur Italiens vergleichen läßt und wie diese großenteils eine Kodifizierung alter landläufiger Ciceroniweisheit darstellt.'^)

Pausanias beschreibt nicht nur die Tempelschätze, sondern ganz besonders auch die zahllosen Kunstwerke auf den öffentlichen Plätzen und in den Hallen der Märkte. Denn dieses Volk der Hellenen, dessen Dasein sich wie das der Italiener zum allerbesten Teile unter einem freundlichen Himmel, auf offenem Markte, im lebendigsten Verkehr abspielte, besaß jene wahrhaft öffentliche und monumentale Kunst, die dem Norden dodi eigentlidi bis heute versagt geblieben ist. Rom hat dann diese Traditionen fortgesetzt; noch ein Zeuge spätesten, letzten antiken Lebens, wie Cassiodor, spricht von dem Statuenvolk der verödeten Foren.


6 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

DerglGichen erhält freilich eine eigentümliche Folie, wenn man sich in Erinnerung ruft, wie sehr nodi im altgriechischen Leben das Individuelle, Per- sönlidie gebunden war und um seine Geltung zu ringen hatte. Die demokra- tische Tyrannei der Polis mag zu Zeiten für den einzelnen drückender ge- wesen sein als die unumschränkte Gewalt orientalischer Selbstherrscher. Ist doch die Geschichte der griechischen Philosophie zu einem guten Teile ein langer Kampf der freien Individuen mit dieser Tyrannei gewesen'^); nicht um- sonst hatte der Weise des Gartens der Aphrodite seine Welt- und Staatsflucht in die lakonische Formel: ^äds ßiojöag gekleidet: die Asebieprozesse, vor allem der berühmteste des Sokrates, sind die unerfreuliche Kehrseite dieser glänzen- den demokratischen Freiheit und Öffentlichkeit. Man begreift, wie eine individuelle Kunst, ein Privatgeschmack so wenig als ein nenneswerter Privatbau sich dort entwickeln konnte, wo die Polis den Bürger völlig, mit seiner ganzen Per- sönlichkeit und seinem ganzen Eigentum, in Beschlag nahm, und drohend darüber wachte, daß kein einzelner allzuweit aus ihren Schranken trete.

Es ist längst ausgesprochen worden, daß der Prozeß des Sokrates schon die Peripetie antiker, vor allem rein hellenischer Kultur bezeichne; nicht lange nachher ging auch der Traum griechischer Städtefreiheit zu Ende, und es er- folgte mit der ungeheuren politischen Ausdehnung, die der große Makedonier dem Griechentum nach Osten gegeben hatte, jene denkwürdige Restauration orientalischer Staats- und Lebensformen in griediischer Verkleidung, die man den Hellenismus zu nennen sich gewöhnt hat. Fast wäre man versucht, ein providentielles Geschehnis darin zu erblicken, daß die gleiche Expansion nach dem Westen, von einem andern halbgriechischen Soldatenreich entnommen, an einer neuen bedrohlich sich erhebenden einheimischen Macht, an Rom, gescheitert ist. Indes ein persönliches, privates Moment tritt doch jetzt, audi in der Kunstpflege, bedeutend hervor; es dürfte kaum an dem Zustand der Überlieferung liegen, daß wir es zunächst so gut wie ausschließlich am Herrscher haften oder doch zum mindesten im Schatten seiner Macht sich entwickeln sehen, wie in jener Periode des Nordens, die mit den französischen Königen und Fürsten des vierzehnten Jahrhunderts beginnt und ihre Mittags- höhe mit Ludwig XIV. erreicht. Die Könige von Pergamon, die Ptolemäer in Ägypten haben große Kunstsammlungen und Gemäldegalerien, zum Teil schon aus historischen Interessen heraus angelegt'), und es ist bedeutend, daß aus diesem Kreise der Name unserer „Museen" stammt. Auch darin sind die Römer ihre Erben geworden; aber bei diesen letzten und westlichsten Trägern antiker Kultur schlägt doch bereits ein Individualismus durch, der vielfach ganz moderne Formen zeigt, und allem Anschein nach bodenständig, nicht bloß ein Produkt der Zeitumstände ist. Der demokratische Caesarismus älterer Zeit ist denn doch auf einer ganz anderen Erde und unter ganz anderen Verhältnissen erwachsen als die hellenistische Monarchie, und er ist erst im III. Jahr- hundert n. Chr. der Orientalisierung verfallen. So steht ursprünglich neben dem- Kaiserpalast fast ebenbürtig, frondierend die luxuriöse Villa des vornehmen Römers, freilich auch des reichen Parvenü zweifelhaftester Herkunft, wie des Trimalchio im Sittenroman des Petron, als individuelles Ganzes, mit erlesenen Kunstwerken alter und neuer Zeit geschmückt. Hadrians, des schöngeistigen


I. Einleitung. Vorcjesdiiciite der Kunst- und Wunderkauunern.


Touristen Villa zu Tibur mit ihren Reproduktionen merkwürdiger historischer Stätten und Gegenden, nimmt sich neben den Villen seiner Zeitgenossen noch immer wie etwa Augustus neben Maecenas aus, als erster Privat- mann unter gleichen. Es ist von Bedeutung, daß der Name jenes alttoskanischen Kunstfreundes zum Gattungsnamen überhaupt geworden ist! Schon erhob sich indessen die Klage, die uns an moderne englisclie Verhältnisse denken läßt, daß die Kunstwerke in das Exil der Villen verbannt seien; schon bringt auf der andern Seite ein Agrippa die Verstaatliclumg dieses Kunstbesitzes in Vorschlag, ein Gedanke, dem das neue Italien mit seinen monumenti nazionali und Kunstedikten aller Art mühsam genug nachzuleben sich bestrebt. Ein wohlgesinnter Privatmann dieser Zeit, Asinius Pollio — in seinem Besitz ist der farnesisdie Stier gewesen — öffnet seine vielbewunderte Sammlung dem Publikum; man sieht, es sind ganz moderne Gedanken und Strömungen im Werke. Bei dem nodi immer nicht überwundenen Vorurteil gegen die antike Kunst auf italischem Boden liegt es nahe, in diesem höchst expansiven Kunst- leben die zweifellos und sehr stark vorhandenen Auswüdise, das Kunstnarren- und Kunstgeckentum einseitig hervorzuheben; nur kann die Bemerkung für jede gleichgestimmte Periode, auch für die maßlos verherrlichte italienisdie Renaissance gemacht werden. Was ferner neben diesem privaten an öffent- lichem Kunstbesitz in Rom allein, auf Märkten, in offenen Hallen, in kommu- nalen Bauten vorhanden gewesen ist, muß unermeßlich gewesen sein; den Titusthermen ist der Laokoon entstiegen. Italien hat auch da ein Antikes als nationales Erbe übernommen, das dem Norden zu Glück oder Unglück versagt geblieben ist. Audi die Tempel haben nicht aufgehört, Museen zu zu sein, obwohl ihre Bedeutung längst nicht mehr die alte war; noch immer beherbergten sie Kunstwerke und seltene Naturdinge, die beide jetzt in reidister Fülle und zuweilen exotisch genug in Rom zusammenströmten. Von Caesar heißt es, daß er allein sechs Sammlungen geschnittener Steine im Tempel der Venus genitrix hinterlegt habe. Aus griechischen Heiligtümern erwähnt Plinius eine Reihe von Inventarstücken, die völlig unter den Begriff der curiosa artificialia in den späteren Wunderkammern fallen, wie Vexierspiegel, seltsame chirurgische und musikalische Instrumente, und namentlidi Arbeiten, denen besondere Künstlichkeit und Künstelei ihren Wert verlieh.'^) So ist die römische Zeit, wie auf so vielen anderen Gebieten, nicht bloß eine Epitome und Rekapitulierung des gesamten Altertums, sondern sie deutet vorwegnehmend auf spätere Entwicklungen hin.

Das ist denn auch der Grund, weshalb bei diesen alten Dingen so lang verweilt worden ist. Einmal lehren die geschichtlichen Anfänge hier wie anderwärts das Wesen der Entwicklung des Ganzen deutlicher erkennen; dann aber hängt damit nodi ein anderes innig zusammen. Der zweite große Durch- führungsteil in der abendländischen Kultursymphonie — wenn dieser preziöse Ausdruck erlaubt ist — ist in seiner komplizierten Fügung viel schwerer zu durdischauen; die Themen, die der erste Teil gebracht hat, zeigen sich ab- weichend gewendet, transponiert und in anderer harmonisdier Gestalt, obwohl sie im Wesen dieselben geblieben sind. Die Gesamtbahn der vom Mittel- meerbecken ^ausgegangenen bildenden Kunst scheint in den beiden großen.


8 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkamniern der Spätrenaissance.

für uns unterscheidbaren Zeiträumen, von denen der erste durch die Herrschaft Diocletians, der zweite dem Anschein nach durch die französisdie Revolution äuRerlidi abgeschlossen worden ist, ein eigentümliches System der Periodicität, vor allem einen Parallelismus der Entwicklung aufzuweisen. Es ist wohl er- laubt zu fragen, ob es nidit dereinst Sadhe der Kunstgeschichte sein wird, diesen Periodenbau im Einzelnen vollständig und sachlich zu beschreiben und zu begründen, ohne der Versuchung zu erliegen, etwas den Naturgesetzen ähnlidies hypostasieren zu wollen. Jedenfalls ist jene zweite große Periode, eben weil sie an eine abgelaufene direkt anknüpft, mannigfaltiger und kom- plizierter; wie ihr aber von dieser aus viel Aufklärung zukommt, so enthält sie mandies, was in diese an Tatsachen ärmere und dunklere Vorzeit zurück- leuditet.

Es kann unmöglich unsere Absidit sein, den gewaltigen Zusammenbruch der antiken Kultur, einer der tiefsten und vieldeutigsten Probleme der Völker- psydiologie, auch nur in Andeutungen zu berühren. Es ist nur eine Tatsadie von größter Tragweite hervorzuheben, daß die Kontinuität antiker Überlieferung, wenn auch in beträchtlicher Umgestaltung und Entstellung, an einer Stelle bis in den Ausgang des sogenannten Mittelalters gewahrt blieb, im Rom des Ostens, am Bosporus, ebenso dem Mittelpunkt der Kultur für den ganzen weiten sarazenisch-slavisch-mongolischen Osten, wie Paris das Zentrum des Westens zu werden bestimmt war. Hier sind, um nur ein höchst bedeutendes Phänomen zu nennen, die Reste einer echt hellenischen Erfindung, der Malerei in unserem Sinn, als Raumkunst, erhalten geblieben, um durcli das Zwisdien- land Italien, genauer das alte etrurische Toskana, zunächst nach einem andern Mittlerlande, Frankreich, verpflanzt zu werden und damit nadi dem Interregnum des gothischen Linien- und Flächenstils, auch im Norden die Periode der modernen Malerei zu inaugurieren. Es ist nidit durchaus eine müßige Parallele, wenn daran erinnert wird, daß zwei Männer, jeder mitten inne zwisdien einer versinkenden und einer neuen Zeit, am Abschlüsse einer Weltperiode stehend, jeder für sich, gleicherweise wie von einer Inspiration erfüllt, den hödist autokratisdien Gedanken gefaßt haben, das Kunsterbe der Vergangenheit gewaltsam in ihren Residenzen zu konzentrieren, Constantin in dem weiterhin nach ihm genannten Byzanz und Napoleon in Paris — man sieht, die beiden Schicksalsstädte stellen sich nodi einmal zum Vergleiche dar.

Der Reichtum der Konstantinstadt an öffentlich aufgestellten Bildwerken muß unbeschreiblidi gewesen sein; sie wird so ziemlich das größte Museum alter Kunst, das jemals existiert hat, beherbergt haben, in einer ardiitektonisdien Umrahmung ohne gleichen. Der einzige Anblidt des Louvre unter Napoleon mag sidi damit nur bedingterweise vergleichen lassen. In der Sophienkirche allein sollen sich über vierhundert Statuen befunden haben. Noch ganz antik sind die zahlreichen Foren mit ihrem Heer von Bildsäulen; Constantin hat den Besitz ganzer Städte übertragen lassen. Es dämmert uns eine Ahnung von dem künstlerischen Reichtum öffentlicher Plätze in jenen Zeiten auf, von dem das heutige Italien nur hin und wieder eine Andeutung zu geben vermag, wenn wir erfahren, daß aus einer einzigen weltentrückten Provinzstadt am pontischen Gestade, aus Amastris. allein ein förmliclies Museum mit Nadi-


I. Einleitung. Vorgeschichte der Kunst- und Wunderkammern. 9

bildungen berühmter Kunstwerke auf das in der Folge sogenannte Forum Ämastrianum versetzt worden ist; jene Galerie erscheint aber, als Äußerung eines munizipalen Stolzes, der wieder an italienische Verhältnisse denken läßt, auf dem autonomen Kupfergelde der Stadt in der Kaiserzeit zur Kennzeichnung der einzelnen Mijnzemissionen. Dergleichen ist auch anderwärts nicht ohne Beispiel; ein hellenistischer Kleinherrscher wie der Judenkönig Ägrippa hat nach dem Zeugnis des Josephus Flavius die Stadt Berytus mit Kopien be- rühmter alter Kunstwerke geschmückt.) Im übrigen wird klar, daß Constantin nicht weniger planmäßig als Napoleon vorgegangen ist. Freilich ist zu be- zweifeln, ob die Einwirkung dieses gewaltigen öffentlich zur Schau stehenden Erbes der Antike jemals tiefere Einwirkung auf die lebende Kunst geübt hat, trotz aller nadi dem Bilderstreit und später wieder unter den Paläologen einsetzenden Renaissancebewegungen; nur vereinzelte Zeugnisse sprechen für gelegentlidic Benutzung. Es ist eben nicht zu vergessen, daß in der einstigen Kolonie von Megara im thrakischen Barbarenlande kaum mehr echtes Hellenen- blut zu finden war; eine unsäglich gemisdite Bevölkerung orientalischer und barbarisdier Herkunft trieb ihr buntes Wesen um jene Kunstwelt, die im Grunde nur mehr ein literarisches Schattendasein wie die echte alte Hellenen- spradie audt, in Gelehrtenstuben und in einer preziösen Hofwelt führte. Um die heidnischen Bilder rankte sich, aus dem Volke heraus, ähnlich wie im Rom des Westens, eine märchenhaft phantastische Sagenvegetation hervor, die für den Forscher im Grunde viel interessanter ist als jene Altertümelei der vornehmen Kreise, bis endlidi jene alten Werke unter dem Wüste dämo- nistischen Aberglaubens und spukhafter Teufelei verschwanden, nodi früher, als der Schutt der von den Lateinern und Türken gebrochenen Stadtmauern sie bedeckte. So ist die große Sdiöpfung Constantins trotz ihrer langen Dauer im ganzen vielleidit von geringerer Wirkung gewesen als die kurz- lebige Napoleons, die zum mindesten den Künstlern und Forsdiern jener Tage reiche Anregung gegeben hat.

Im Abendlande hatten indessen gründlichere Umwälzungen stattgefunden. Schon begann jedoch hier, aus den Trümmern der Antike heraus, eine neue, zunächst unscheinbare und formlos gährende, aber verheißungsvolle Entwicklung, in einem Nebeneinander von absterbenden Resten und primitiven Anfängen; besonders auf dem Gebiete der bildenden Kunst zu gutem Teil eine Rekapitu- lation jenes Prozesses, der sich einst im östlidien Mittelmecrbecken abgespielt hatte. Mit einem halben Gleidinis könnte man sagen, jene neuen Völker — und zu ihnen gehören audi die auf altem Reichsboden sidi bildenden romanisdien Nationen — wären in der Lage von Kindern gewesen, die ihre naive und primitive Zeidienkunst unter der steten, nicht immer heilsamen Kontrolle der Erwachsenen üben. So kehren denn überall verwandte Züge wieder, wie es bei dem typischen Verlauf alles Lebens im ganzen nicht wohl anders sein kann. Wie einst der griechisdie Tempel, so wird jetzt die Kirche der Mittel- punkt geistigen Lebens, nur in viel einseitigerer Weise. Denn inzwischen hatte eine durdiaus spiritualistische Religion und Weltanschauung gesiegt, die das Irdisdie und Profane verneint und soweit es nur angeht, verflüchtigen möchte. Ein ganz neuer, der Antike unbekannter und unfaßbarer Dualismus


10 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

von Geistlich und Weltlich, von Kirchen- und Laientum, der zu den schwersten Kontlikten führen sollte, tat sich auf. So hat das Mittelalter denn für uns die seltsamsten Erscheinungen aufzuweisen; selbst ein so durchaus unheiliger Weitling, wie der alte Ovid, mußte es sich gefallen lassen, daß seine mitunter docli sehr bedcnklidien Geschichten ins Erbauliche und Moralische gewendet wurden. Vieles, was uns heute in der kirchlichen Kunst, Literatur und Musik des Mittelalters übernaiv, ja anstößig und blasphemisch erscheint, ist nur von diesem Standpunkt aus zu verstehen. Die Kirche zieht eben alles in ihr Bereidi, denn in ihr allein ist das wahre Leben wie die wahre Geschichte, neben der alles andere als Akzidenz erscheint, ein Gedanke, der erst die groß- artige Einheitlichkeit mittelalterlicher Weltansdiauung verständlich macht. Überall dringen kirchliche Formen, kirclilicher Inhalt in das Profane.

So ist es kein Wunder, daß die Kirdie das Museum der nationalen Erinnerungen alter und neuer Zeit wird. Vor allem in Italien flechten diese beiden sich unauflöslich ineinander; denn hier ist die Antike ein nationales Gut, das in aller Zerrissenheit der Zeitläufte stets leidenschaftlich zurückersehnte Idol eines vergangenen goldenen Zeitalters nationaler Größe und Einheit. Nirgends wußten die Florentiner die berühmten, von Pisa geschenkten Porphyr- säulen besser unterzubringen als an dem Hauptheiligtum der Stadt, das für einen antiken Marstempel galt, an der Taufkirche, die für den verbannten Dante das Symbol seiner heißen Sehnsucht nach der zürnend geliebten Vater- erde war. Und so ist der berühmte Campo Santo in Pisa durch die Sitte, daß sich die Vornehmen in antiken Sarkophagen beisetzen ließen, das erste Museum alter Plastik geworden, eine Schule für die Künstler vom dreizehnten bis ins sechzehnte Jahrhundert, von Nicola Pisano bis zu Bertoldo, Midiel Ängelos Lehrmeister.

Etwas anders, aber doch ähnlich liegen die Dinge in dem mächtigsten, stets ein Sonderleben führenden Staatswesen Italiens, in Venedig, das keine direkten Erinnerungen aus dem Altertum her aufzuweisen hat. Auch hier ist die Staatskirche zu S. Marco das nationale Museum, ist die eigene Gesdiidite, stets durdi glänzende kirchliche Feste und Aufzüge im Bewußtsein des Volkes wach erhalten, noch viel merkwürdiger mit der geweihten Stätte und dem Kultus überhaupt verknüpft. In S. Marco selbst finden sich Reliefs eingemauert, die einst die Paläste der zerstörten und versunkenen altvenetisch-römischen Städte am Lagunenrande, Altinum, Heraclea, Equilio usw. gesdimückt haben mögen; und hier ward die Beute, die das wagelustige Kaufmanns- und Matrosenvolk in der griechischen und muselmanisdien Levante geholt hatte, niedergelegt. Noch sieht die vielgewanderte Quadriga aus Konstantinopel über den Marcusplatz, noch stehen die Pfeiler von Ptolemais aufrecht da. Aus dem Dom von Pisa stammt ebenso der jetzt im dortigen Campo Santo aufgestellte Bronzegreif mit arabischer Inschrift, der Tradition nadi ein Beutestück von den Balearen her.

Auch auf der Nordseite der Alpen sind übrigens Kirchen die ältesten Bewah- rerinnen antiker Reste und Fundstücke gewesen. Diese Erfahrung läßt sich ganz besonders in einem der eigenartigsten Kronländer des österreidiischen Alpen- gebiets, in Kärnten, machen. Kaum ein bescheidenes Dorfkirchlein, an dem


I. Einleitung. Vorgesdiichte der Kunst- und Wunderkammern.


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nicht Gin römischer Inschriftstein oder wenigstens ein antikes Gebäli^stück ein- gemauert wäre. Namentlich die ehrwürdige romanische Kirche von Maria Saal auf dem Zollfelde bei Klagenfurt, nahe der Stätte des alten Virunum gelegen, ist derart schon in früher Zeit ein reiclihaitiges Lokalmuseum von Altertümern aus der Umgegend geworden. "0 Noch im XVII. Jahrhundert hat dann der wackere, um die archäologisclie Erforscliung seiner Heimat verdiente Johann Dominik Prunner eine Feldkapelle, das sog. „Prunnerkreuz" (gleich hinter der jetzigen Eisenbahnhaltestelle Zollfeld gelegen) aus lauter antiken Fundstücken errichten lassen (Fig. 2).

Es ist aber nicht zu verkennen, daß hier, diesseits der Alpen, wenn audi noch auf altem Reichsboden, vielfach andere Motive lebendig waren, die im Stammlande Italien nur sehr selten an die Oberfläche kommen. In diesen nördlichen Barba- renländern war docli die römische Kunst allezeit ein exotisches Gewächs, und die Inspiration von der Antike her ist dem entsprechend immer et- was lediglich Zufälliges, Äußerliches gewesen. Jene Kunstgebiide sind hier, auch als sie noch nicht mit dem Makel des Heidnischen behaftet waren, gewiß im Grunde als etwas Fremdes, in der Folge als unheim- lidi und dämoniscli emp- funden worden ; vor ihren Teufeleien war man nur

dann ganz sidier, wenn man sie an die geweihte Kirchenmauer gebannt wußte. Nicht immer wurde so glimpflich verfahren. Die Götzenbilder — im deutschen Norden treten jene der slavischen Vorzeit an die Stelle — sind nicht selten um- gekehrt eingemauert oder gar in die Fundamente hinabgestürzt worden.'^) Wohl blitztauch in Italien gelegentlich ein Strahl dieser dämonistischen Auffassung durch, wie in der auch kulturgeschichtlich höchst merkwürdigen Geschichte, die Ghiberti von der in Siena gefundenen Venusstatue zu erzählen weiß, die unter großem Zulauf auf der Fönte Gaja aufgestellt, später, als die Stadt von allerhand Widerwärtigkeiten heimgesudit wurde, als Sündenbock dienen mußte, herabgeholt und heimlich auf dem Gebiet der feindlichen Nachbarn von Florenz eingescharrt wurde. Aber dergleichen ist höcht selten, und kaum wird man irgendwo in Italien eine Antike wie den barbarisch verstümmelten Venustorso von Trier finden, der jahrhundertelang an einer Wallfahrtskirche als Schandmal den







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Fig. 2. Das Prunnerkreuz bei Maria Saal.

(Nach der Zeidinung von Charlemont in dem Werke:

Die österreichisch-ungarisdic Monardiie.)


12 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

SteinwQrfen und Schmähungen glaubenseifriger Pilger ausgesetzt warJ-) Nodi in der Renaissance muß ein umgestürztes antikes Capital halbsymbolisdi als Postament für den merkwürdigen holzgeschnitzten Christus des Ercole da Ferrara in S. Giovanni in Monte zu Bologna dienen.

Es ist kein verächtliches Zeugnis für den d8VT8gdc n?.ovg, die stete Wiederkehr aller Grundformen menschlichen Lebens, daß die Kirchensdiätze des Mittelalters fast genau die nämliche Zusammensetzung aufweisen wie einst die Tempelschätze im Altertum. Natürlich dürfen wir hier keine Siegerstatuen im Sinne der Antike erwarten, wohl aber im Sinne der diristlichen Kirche: die Reliquienbüsten und Knochenbehälter ihrer Blut- zeugen. Eifert doch gerade die Kunst des Goldschmiedes darnach, hier ihr Bestes und Höchstes darzubringen. Von der lebenden Kunst jener Zeiten soll nidit weiter die Rede sein; wohl aber ist zu erwähnen, daß die Kunst der Vergangenheit audi hier eine Stätte gefunden hat. Ein köstlicher Nachlaß des Altertums, die geschnittenen Steine, sind zu einem großen Teile an ge- weihter Stelle erhalten geblieben — nachdem sie vorher durch einen Exor- zismus entsündigt worden waren. Die berühmte Gemma Äugustaea in Wien stammt bekanntlich aus dem Schatz von St. Sernin zu Toulouse. Die großen Reliquienkasten der heiligen drei Könige im Domschatz von Köln, der Sdirein der h. Elisabeth in Marburg sind derart förmliche Daktyliotheken voll bunten Märchengepränges geworden. Wie naiv das Mittelalter — nach unseren Begriffen — in dieser Hinsicht war, zeigt hübsch ein im Kölner Metropolitan- museum bewahrtes Kruzifix, dessen Kopf von einer antiken Gemme gebildet wird. Daß dergleichen ab und zu, trotz aller dämonistisdien Furcht vor heid- nischem Bildwerk auch an bedeutender geweihter Stelle vorkam, zeigt hübsch die Statue der h. Helena in ihrer Kirche S. Croce di Gerusalemme zu Rom, bei der ein antiker Junotorso verwendet wurde. Daß dann auch kostbares Gerät der Antike hier seinen Platz fand, erscheint daneben fast selbstverständlidi; die berühmte Gralschüssel der kaiserlichen Schatzkammer in Wien, eine antike Ächatschale größten Umfangs, gehört hierher, dann die merkwürdigen, auf Äbt Suger zurückgehenden antiken Gefäße aus Kristall und Halbedelstein im Sdiatz von St. Denis, jetzt im Louvre.^-^) Im übrigen haben diese Kirchen- tresors treu dem märchenliebenden Sinn des Mittelalters und dessen durdi- gehendem Streben nach dem bedeutenden Inhalt, besonders nach dem Wunder- baren, Seltsamen und Fremdartigen hin, noch viel mehr von dem Charakter der späteren Kunst- und Wunderkammern an sich, als die Tempelschätze der Antike.

Eines der glänzendsten Beispiele war (und ist es nodi immer zu einem großen Teil) der bis zum Ende der Republik unversehrt erhaltene Schatz von S. Marco. ^^) Namentlich nach den Kreuzzügen, die für das Mittelalter etwas ähnliches bedeuteten wie die Erschließung Westindiens und Ostasiens für die spätere Zeit, haben sich die Wunder des Orients in den Kirchen des Abend- landes zusammengefunden. Aber schon vorher hatten fromme Pilgrime mancherlei von der Fahrt ins heilige Land heimgebracht, köstliche Arbeiten kunstfertiger Byzantiner und Sarazenen, nebst allerhand Raritäten und Kuriosi- täten. Alles das mußte sich aber dem Heiligen und der geweihten Stätte


I. Einleitung. Vorgesdiidite der Kunst- und VVunderkanmiern.


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beugen und fügen; so findet sich Christliches und Heidnisches, Wunder der Natur und der Kunst in buntem Wirrsal doch einträditig beisammen; denn alle diese Dinge sind fast immer zu liturgischem Gebraudi, als Behältnisse für Reliquien usw. adaptiert worden. Für uns tut sicli da die Märchenwelt der Gralsdiclitung und der Sagen vom Erzpriester Johannes im Morgenlande auf, seltsam umrankt von den Fabeln mittelalterlicher Naturgesdiichte und Geographie, von Sagen und Legenden, denn die reiche Abenteuerliteratur der alten Schriftsteller spann sich im Mittelalter fröhlich fort; in einem sdion selten gewor- denen, hübschen Büchelchen hat Ferdinand Denis dieses anziehende Gebiet behan- delt.^') Und so finden wir neben arabi- schen Kristall- und Glaspokalen, neben Sei- dengeweben, Edelsteingefäßen und Elfen- beinhörnern des Orients, neben maurischen Majolikaschüsseln, wie sie die Pisaner als Trophäen von den Balearen her an ihren Kirchenfac^aden eingemauert haben, die rech- ten Zeugen dieser verzauberten Welt, ^"^j in die sich das Mittelalter eingesponnen hatte. Schon die „Olifantc" gehören im gewissen Betradit hierher (Fig. 1); der berühmteste dieser reich geschnitz.en Elephantenzähne ist im Münster zu Aachen, angeblich das Jagdhorn Karls d. Gr. und ein Geschenk Harun-al-Raschids. Sie mögen sehr oft, mit Reliquien gefüllt , von zurückkehrenden Kreuzfahrern und Pilgersleuten in die Kir- chen gestiftet worden sein, ebenso die ver- meintlichen „Greifenklauen" — Hörner exo- tischer Antilopen u. dergl. — die gewöhnlidi in Form von phantastischen Pokalen, auf Vogelfüßen ruhend erscheinen; ein berühm- tes Exemplar befindet sich, in Ketten auf- gehängt, im Braunschweiger Dom, es ruft uns die Greifenabenteuer Heinridis des Löwen

in dem bekannten Volksbuche in Erinnerung. Dann die „Eingehürne", die Zier des mystischen, der Jungfrau Maria zugesellten Einhorns, in Wirklichkeit Narwalzähnc; ein altberühmtes Stück ist aus dem Burgunderschatz in die kaiserliche Sdhatz- kammer zu Wien übergegangen und zählt gleich der früher erwähnten Achat- schale zu den unveräußerlichen Kleinodien des Hauses Österreich. Ferner die Straußeneier, die schon in den griechischen Tempeln zu finden waren und wie dort in Ketten aufgehängt, aber auch in goldenen und silbernen Fassungen erscheinen^'); ist doch der Strauß ein von jüdisch-biblischer Sage mit König Salo- mon verknüpftes Naturwesen. Und so wären des weiteren hier zu erwähnen die sog. Natterzungen, d. i. Haifischzähne, die man gerne, wie ein hübsches


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Fig. 3. Kredenz, XV. Jahrh. (Wien, Hofmuseum.)


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V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkanimern der Spätrenaissance.


Exemplar im Wiener Hofmuseum zeigt (Fig. 3), als „Kredenzen" faßte, dann Kokosnüsse, endlicli Pokale und Schalen aus dem unverweslichen Holz der Zedern des Libanon und der Ölbäume des heiligen Landes, die in Silber und Gold gefaßt nodi heute in den Kirchenschätzen und in alten Sammlungen nicht selten sind, und in ihrer diarakteristischen Form häufig auf den älteren Darstel- lungen der Anbetung der Magier vorkommen (Fig. 4). Dabei ist jedodi eines nidit zu vergessen. Es ist nicht nur das Seltene und Abenteuerliche, was das Interesse an diesen Dingen wach gerufen hat, sondern ein sehr reales und praktisches, allerdings seltsam und abirrend sich äußerndes Moment — die allgemeine Furcht vor Vergiftung, die, gewiß nicht ohne Grund, am päpstlichen und kaiserlichen Hofe damals ebenso gut wie in den Haushaltungen weltlicher

Großen wie geistlicherWürdenträger herrschte. Der Glaube an die geheimen Kräfte dieser fremdländischen Stoffe war allgemein ver- breitet und durch die gleichzeitige Natur- geschichte gestützt. H. Pogatscher in Rom hat darüber jetzt eine Fülle von Daten gesammelt, und in einem Aufsätze: „Von Schlangenhörnern und Schlangenzungen" veröffentlicht. ^^) Besonders merkwürdig ist die Geschichte des Hornmessers , einer Familienreliquie des Hauses Foix-Bearn, aus dem es wiederholt an die Päpste, wie Clemens V. und Johann XXII. ge- liehen wurde; bildete doch die sogenannte „Probe" (Kredenz) einen Bestandteil des Tafelzeremoniells am päpstlichen Hofe.

Eine ganz besondere Rolle spielen die Edel- und Halbedelsteine , ebenfalls wegen ihrer angeblichen Schutzwirkungen gegen Gift, als Antidota gegen Krank- heiten und sonstige Übel verschieden- artig geschätzt; eine ganze Literatur, die sogenannten Lapidarien des Mittel- alters, in denen die kuriosesten Nachrichten über antike gesclinittene Steine zu finden sind, knüpft an sie an. Auch animalische Produkte, wie die Bezoare (Magensteine der Kamele usw.), die Rhinozeroshörner, werden hier- her gerechnet; sie spielen dann namentlich in den Raritätenkammern der Renaissance eine große Rolle. Ebensowenig dürfen die nodi dem XVIL Jahr- hundert schwer begreiflichen, als lusus naturae betrachteten Versteinerungen und Fossilien nicht vergessen werden; wie das Altertum, so sah auch die Märchenphantasie des Mittelalters, unter der Nachwirkung alter Volkssage, in den hier und da zutage geförderten Resten urweltlicher Tiere Riesen- gebeine; und so waren sie sehr häufig, an Ketten aufgehängt, in den Kirchen zu erblicken. Das Schulterblatt eines Seeungetüms in der Johannis- kirche zu Lüneburg wurde gar dem biblischen Goliath zugeteilt. ^•') Es dürfte der Erwähnung wert sein , daß das Riesentor der Wiener Kathedrale zu



Fig. 4. Fladerkopf aus Olivenholz, XV. Jahrh. (Wien, Hofmuseum.)


I. Einleitung. Vorgeschichte der Kunst- und Wundcrkamtnern.


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St. Stephan seinen Namen einem solchen Mammutknochen verdankt, der 1443 bei den Grundaushebungen zu dem unvollendeten zweiten Turm gefunden und innerhalb des Portals aufgehängt wurde. (Fig. 5.) Jetzt befindet es sich, noch mit der bekannten Devise Friedrichs III. bezeicluiet, in den naturhistorischen Sammlungen der Universität. Von dem berühmten Aerolithen, der mit einer merkwürdigen lateinischen Inschrift von 1492 versehen in der Kirche zu Ensis- heim im Elsaß hing, hat schon Goethe in seiner Straßburger Studentenzeit Notiz genommen. Audi in Italien findet sich dcrgleiclien. Walfisdiknochen, zusammen mit einem exotisdien Schild, angeblich von Columbus gestiftet, sieht man in der Kirdie Fontegiusta zu Siena; und die Kathedrale von Arezzo bewahrte bis ins XIX. Jahrhundert einen kolossalen Walfischkiefer, der 1560 bei Montione gefunden wurde, jetzt aber seinen moderneren, freilich auch viel nüditerneren Standort im Museum 'der Stadt hat.




Fig. 5. Die „Riesenknodien" des Stephansdomes. (Nach den Abbildungen in der „Geschichte der Stadt Wien I.


Noch ist etwas umständlicher des zahlreidien profanen Geräts aller Art zu gedenken, das in den Kirchensdiätzen eine sichere Stätte gefunden hat. Zu einem guten Teil hängt dies gewiß mit einem asketischen Grundzuge des Mittelalters zusammen, der zu Ende des XV. Jahrhunderts noch einmal episo- disch, jedodi mit unwiderstehlich dämonischer Gewalt, im Florenz Savonarolas, in das Leben der Renaissance eingegriffen hat. Denn die Widmung solchen weltlichen Tands war ein Symbol der Einkehr und Buße, der Absage an die falsche Frau Welt, jener Stimmung, die in einem der schönsten Gedichte Walthers von der Vogelweide voll melodischer Melancholie ausklingt:

Diu Werlt ist üzen schoene, wiz, grüen unde rot Und innen swarzer varwe, vinster sam der tot.

So sind es denn die Kirchenschätze, die uns die seltensten und kostbarsten Zeugnisse frühmittelalterlicher Profanindustrie im weitesten Umfang erhalten haben: byzantinische und altvenezianische, sarazenische und nordische Schmuck- kästchen vornehmer Damen, allerhand Toillettengeräte, ja, sehr bezeichnend, selbst Spielbretter als rechtes Werkzeug des Teufels. Ein merkwürdiges Bei-


16 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkarnmern der Spätrenaissance.

spiel dieser Art ist vor Jahren, als Reliquiar verwendet, im Ältartische einer Kirdie in Achaffenburg gefunden worden; ein ähnliches wurde als Einband- deckel für ein Plenarium in dem jetzt in Wien befindlichen Weifenschatz be- nutzt, während ein drittes, allem Anschein nach aus der gleichen norditalieni- schen Werkstätte stammend und von der Tradition als Spielbrett Herzog Ottos von Kärnten bezeichnet, schon früh in eine weltliche Sammlung, die des Erz- herzogs Ferdinand von Tirol auf Schloß Ambras gelangt ist.

Wieder anderen Gedankenfolgen entspringt es, wenn weltliche Gewänder, Waffen u. dgl. in den Kirchen niedergelegt worden sind. Der steirische Wall- fahrtsort Mariazell rühmt sich, solche Reliquien von Ludwig d. Gr. von Ungarn her zu besitzen, die angeblich nadi einem von dem König erfochtenen Siege hierher gestiftet worden sind. '-•') Die großen Kathedralen Spaniens weisen heute noch merkwürdige Beispiele dieser Art auf (Fig. 5 a und 5 b). So ist in der Capilla del lagarto, im Patio des Doms von Sevilla, neben einem Krokodil und einem großen Elefantenzahn auch der angeblich vom Babie(;a des Cid herrührende Pferdezaum an der Decke aufgehängt zu schauen; in der Capilla de los reyes nuevos des Toledaner Doms sind ebenso eine portugiesisdie Fahne aus der Schlacht bei Toro 1476 und die Rüstung des Fähnrichs Duertc bewahrt. Weit berühmt und bekannt ist endlich der coffrete des Cid, der noch heute in der Kathedrale seiner Heimat Burgos gezeigt wird. Die Riddarholmskyrkan in Stockholm, das Mausoleum der Schwedenkönige, ist mit ihren unzähligen Trophäen aus den russischen, türkischen und deutschen Schlachten ein wahres stimmungsreiches Museum und Denkmal der kriegerischen Vergangenheit des Landes. Desgleichen in Italien die Kirche des zur Bekämpfung der Ungläubigen gegründeten Stephansordens in Pisa, im Innern ein förmlidies Museum türki- scher Trophäen. Und wie dergleichen bis in die Gegenwart hereinreicht, zeigen vor allem die Kirchen Rußlands mit ihrem betäubenden barbarischen Prunk; in der Preobraschenski-Kathedrale in St. Petersburg sind die Uniformen der Kaiser in eigenen Schaukästen vor der goldstarrenden Ikonostas wie zur Anbetung ausgesetzt. Und so sind sdiließlich da und dort in den Kirchen durch die Stiftungen ganzer wächserner Votivstatuen , mit den einst getragenen Ge- wändern der Geschenkgeber bekleidet, förmliche geschichtliche Porträtgalerien entstanden. Das merkwürdigste dieser Art muß die mit lebensgroßen be- kleideten Wachsfiguren ganz angefüllte Annunziatenkirche in Florenz gewesen sein, die erst im XVIII. Jahrhundert geräumt worden ist; sie enthielt u. a. Porträts von Herrschern des XV. Jahrhunderts, wie Kaiser Friedrichs III. -^) Eine Vorstellung davon vermag uns die interessante Votivstatue des letzten Grafen von Görz zu geben, die vor einigen Jahren in das Ferdinandeum in Innsbruck gekommen ist. Im Übrigen hat die im Norden bis ins XIV. Jahrhundert zu- rüdtzuverfolgende Porträtplastik in Wachs bis in den Schluß des XVIII. Jahr- hunderts, ja bis in die Biedermeierzeit hinein geblüht, wie die merkwürdigen, zum Teil künstlerisch bedeutenden Porträtbüsten deutsclier Kaiser bis zu Kaiser Leopold II. herab in der Hofbibliothek und in der Fideikommiß- bibliothek zu Wien (wo auch eine treffliche neuerdings restaurierte Büste der Kaiserin Marie Luise sich befindet) beweisen. Einige andere Beispiele mögen noch rasch genannt sein : die Wachsbüste und die bekleidete Wachsfigur



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V. Schlosser, Kunst- und Wunderkammern.


18 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Peters d. Gr. in der Eremitage (die erste jetzt abgebildet in den Tresors de l'art de Russie 1903, Taf. 1 u. 2), die ähnliche, merkwürdige Friedrichs d.Gr. im Hohenzollernmuseum; die Büsten Friedrichs Ili. von Dänemark und seiner Gemahlin auf Rosenborgschloß in Kopenhagen; die Büste eines Dogen aus dem Hause Mocenigo in der Scuola di S. Rocco zu Venedig; die Porträts von venezianischen Patrizierkindern des Settecento, noch in den alten Schaukästen, im Museo Correr, vor allem aber die künstlerisch sehr hochzustellenden Büsten von Kapuzinerheiligen in der Sakristei des Redentore. Besonders die Emilia scheint ein Zentrum dieser Wachsplastik gewesen zu sein ; im Museum zu Faenza befindet sich die Büste des Domenico Paganelli, des Erbauers des Stadtbrunnens, aus S. Domenico ; namentlich besitzt aber Bologna noch sehr vieles, in Kirchen (so ein sehr schönes Relief in S. Vitale), wie in dem anatomischen Institut der Universität, wo sich auch eine merk- würdige Sammlung alter pathologischer Präparate in Wachs befindet. Hier hat die kirchliche Wachsplastik denn auch weit in das XIX. Jahrhundert hinein gelebt, wie die sehr geschickt gemachte Statue einer jungen Heiligen in S. Sigismondo (von Bettini) beweist. Ein niedliches Frauenbüstchen im Kostüme der zwanziger Jahre des XIX. Jahrhunderts im Museum zu Graz, zeigt, daß audi der Norden dieser Tradition noch lange treu geblieben ist, bis sie endlidi vor der Daguerrotypie und Photographie weichen mußte.

Ein verwandtes, wenig bekanntes Beispiel ist aber noch heute in Italien erhalten, in der Wallfahrtskirche Madonna delle Grazie vor den Toren Mantuas; handelt es sich da auch nur um cachierte Statuen später Zeit, so vermag dieses Interieur doch einen Begriff zu geben, wie es einst in vielen Gnaden- orten der Renaissance ausgesehen hat. (Fig 6.) Ein anderes bietet die Isleep- Chamber in der Westminsterabtei zu London; merkwürdig dadurcli, daß in dem konservativen Insellande die Sitte bis an die Schwelle des XIX. Jahr- hunderts bewahrt blieb; die letzte der dort befindlichen, mit den Staatskleidern der Verstorbenen angetanen Porträtfiguren — die wie einst im mittelalterlichen Frankreich bei den Leichenfeiern ausgestellt wurden — ist die des großen Nelson (— 1805).--)

Derart hatte sich in den Kirchen des Mittelalters ein unendlicher Schatz der Anschauung und der Belehrung zusammengefunden. Das war deshalb von größter Bedeutung, weil diese von der Kirche unter ihren mächtigen Schutz genommenen und gleichsam geheiligten Dinge unter bestimmten Be- dingungen und Beschränkungen öffentlich zugänglich waren. In eigenen Tribünen, hier und da auch in eigenen festen Gebäuden ausgestellt, wurden sie bei feierlidien Gelegenheiten dem Volke öffentlich vorgezeigt und erklärt. Der sogenannte Heiligtumstuhl von St. Stephan in Wien (Fig. 7), erst 1792 völlig abgetragen, ist noch durch einen alten Holzschnitt bekannt. In Aachen hat sich die „Heiligtumsfahrt" mit ihren alten Gebräuchen bis heute erhalten; erst vor kurzem wußten die Tagesblätter allerlei merkwürdiges davon zu be- richten. ^•) Die Kirchenschätze mögen auch sonst wohl frommen Pilgern und wie heute noch bei bestimmten Gelegenheiten zugänglicli gewesen sein. Eine eigene umfangreiche Literatur ist mit ihnen ganz besonders in Deutschland



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20 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


verknüpft, die sogenannten Heiligtumsbücher, kurze, mit Holzschnitten gezierte, echt volkstümlidie Führer und Bilderbogen, die zum Teil zu den frühesten Erzeugnissen des Buchdrucks gehören. Wohl ist die Reliquie für sie der Aus- gangs- und Mittelpunkt; doch ist nicht zu verkennen, daß sie in vieler Hin- sicht das nordländische, mittelalterliche, diristliche Gegenstück der primitiven


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Fig. 7. Der Wiener Heiltumstuhl. (Aus dem Wiener Heiltumbuch von 1502.)

periegetischen Literatur Griechenlands sind. -') Zu den ältesten gehören die von St. Ulrich und Afra in Augsburg (um 1480), Bamberg (1497), Nürnberg (1487) und Wien (1502). (Fig 8.)

In diesen Kirchenschätzen des ausgehenden deutschen Mittelalters ist der Charakter der späteren Kunst- und Wunderkammern schon kenntlich angelegt; in der Tat setzt sich die hier wirkende Sinnesart, nur weltlich gewendet, in den großen fürstlichen Privatsammlungen des Nordens seit dem XIV. Jahr-


I. Einleitung. Vorgescliichte der Kunst- und Wuiiderkammern.


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hundert fort. Wie auf so vielen anderen Gebieten folgt der Norden audi darin bodenständiger, mittelalterlicher, „gotischer" Tradition, während Italien Anregungen der Antike als seiner nationalen Vergangenheit weiterbildet, An- regungen, die direkt in moderne Gedanken ausmünden.



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Fig. 8. Eine Seite des Wiener Heiltumbuches von 1502.


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Fig. 9. Erzherzog Ferdinand als Witwer. (Miniatur im Wiener Hofmuseum.)



IL Die Kunst- und Wunderkammern.


Neben die geistlichen Schatzkammern der Kirdien, die soeben in einem flüchtigen Überblick geschildert wurden, stellen sich seit dem hohen Mittel- alter, in immer erkennbareren Zügen, die weltlichen Schatzkammern der Fürsten; sie sind im Grunde nicht wesentlich anders geartet als jene. Natürlicherweise tritt das Profane, ihrer Bestimmung nach, in ihnen selbständiger und klarer hervor; aber gleichwohl nimmt sakrales, liturgisches Gerät, zu der nie fehlenden Hauskapelle gehörig, nehmen Reliquien aller Art einen breiten Raum ein. So ist zwischen ihnen und jenen Kirchensdiätzen fast mehr ein quantitativer Unterschied - in der Richtung des Profanen — denn ein qualitativer vor- handen; ist dodi die Kirche zunächst noch immer die eigentliche geistige, riditung- und stimmunggebende Gewalt. Wohl aber unterscheiden sie sidi von jenen auf das Schärfste dadurcli, daß sie, wie sich von selbst versteht, rein privat, nur höchst wenigen Begünstigten zugänglich waren; es ist schon darauf hingedeutet worden, wie die großen fürstlichen Kunstkammern, zumal des Nordens, die aus ihnen hervorgegangen sind, diesen exklusiven und pri- vaten Charakter bis zum Schlüsse des XVIII. Jahrhunderts bewahrt haben. Es hat ein ganz neues Zeitalter mit völlig veränderten sozialen und politisdien Anschauungen kommen müssen, um in diese vornehm abgesdilossene aristo- kratische Welt Bresche zu legen, um den abstrakten Staat und das souveräne Volk an Stelle der persönlichen Herrschergewalt zu setzen, um das, was für den persönlichen Genuß des Einen bestimmt war, zum Gemeingut aller zu


II. Die Kunst- und VVunderkaiiimerti. 23

machen; eine Enteignung, die nicht überall auf dem Wege friedlidier Entwick- lung verlaufen ist.

Zunächst und im Norden noch auf sehr lange Zeit, bleiben die Samm- lungen der Fürsten die eigentlichen Führer und Träger der Entwicklung. Allen voran steht das Frankreicli der Valois, die trotz der zerrüttenden hundert- jährigen Fehde mit England, weldie fast das ganze XIV. Jahrhundert ausfüllt, und ungeachtet aller Wirren und Nöten verstanden haben, ihr Haus zu dem glän- zenden Repräsentanten dieser Vorherrschaft zu machen. Denn schon seit dem hohen Mittelalter ist Frankreich für das gesamte Abendland, ja selbst für einen Teil der Levante ton- und richtunggebend in der Wissenschaft, in den bildenden Künsten, in Poesie und Musik, und nicht zuletzt in der Mode. Es ist ein be- deutendes Zeiclien und ein in seinen Folgen ungemein nadiwirkendes Ereignis, daß jene höchste Gewalt, die mit dem Kaisertum siegreich in die Schranken getreten war, nun auf französischer Erde residierte, in der Maclitsphäre der erstgeborenen Söhne der Kirclie. Schon König Johann der Gute (1320 1364) war ein eifriger Büclierfreund und Büchersammler gewesen; diese Neigungen kehren verstärkt bei seinen vier Söhnen, dem Naclifolger Karl V., bei Ludwig von Anjou, später König von Neapel und Jerusalem, bei Johann von Berry und Herzog Philipp von Burgund wieder. In ihren glänzenden Residenzen Paris, Angers, Bourges und Dijon sind sie die ersten großen Kunstmäzene des Nordens, die ersten Bibliophilen in der Heimat der Bibliophilie gewesen, Vorgänger jener vornehmen Kunstfreunde größten Stils, bis auf den Herzog von Anmale herab, dessen herrliclies Schloß Chantilly mit allen seinen Scliätzen nunmehr audi durch ein großmütiges Legat zu öffentlichem Nationalgut ge- worden ist. -)

Am intensivsten tritt die Kunstliebhaberei jedoch bei dem dritten Sohne König Johanns, eben jenem Herzoge Jean von Berry -) hervor, der nach seiner politischen Stellung und Rolle den bescheidensten Platz unter seinen Brüdern einnahm; standen ihm auch nicht die unermeßlichen Reichtümer Burgunds zu Gebote, so konnte er doch — die Geschichte sagt ihm freilidi nach, nicht ohne einige Bedrückung der getreuen Untertanen — seiner Sammelleidenschaft ansehnliche Summen opfern. In der Tat ist er der erste moderne Sammler im großen Shle, der nicht bloß aus Prunkliebe oder der Kuriosität halber seinen Schatz mit Kunstwerken füllt. An seinen Brüdern tritt das lange nicht in dem Grade hervor, bei ihnen handelt es sich im Ganzen mehr um die Schatz- kammern, freilich die reichsten, die das reiche Frankreich vielleicht jemals be- sessen hat. Der moderne Begriff der Sammlung ist auf sie noch kaum an- zuwenden. Die in ihnen bewahrten Gegenstände dienen ausschließlidi dem persönlichen Gebrauch und Schmuck des Besitzers, seiner Hauskapelle, kurz allem dem, was unter den Begriff der „guardaroba" fällt. In dem Besitz des Herzogs von Berry aber zeigt sich ein neuer Zug, so wenig er auch in An- ordnung und Beständen die alte Schatzkammer verleugnet. Daran mag die genauere Überlieferung ihren Anteil haben; immerhin ist der Schatz Berrys das erste Beispiel, das die ausgesprochene Tendenz hat. in modernes Sammel- wesen überzugehen, in dem, wie noch gezeigt werden soll, die Nachwirkungen seines Ursprungs sehr lange fühlbar sind. Das rechtfertigt denn ein ausführ-


24 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


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lidiGS Eingehen. So stark bei Berry die echt mittelalterliche Freude am Stoff sidi geltend macht, es sind dodi kleine Züge da, die verraten, daß ihm die künstlerisdic Form als solche wert war.

Ein flüclitiger Blick auf den äußeren Lebenslauf dieses Prinzen dürfte wohl angebraclit sein; er hat in der Geschichte gerade keinen hervorragenden Platz inne, obwohl sein Leben nichts weniger als sturmlos verlaufen ist. Aber es war ihm dennoch reichlich Muße verliehen, seinen Neigungen nadizuhängen, wie er denn überhaupt fast mehr als ein reicher und behäbiger Privatmann

erscheint: eine Zeichnung des - -^- ■■ - -^ ----■' Jüngern Holbein in Basel, nadi

dem von Karl VII. erriditeten

^^^ Grabmal in Bourges, zeigt in

J^ ^^- ^^^^^H scharfer Charakteristik die den

Valois überhaupt eigene Bour- geoisphysiognomie, einen bau- ernmäßigen Rundschädel mit starken Backenknochen, über denen kleine listige Auglein, nicht ohne Bonhommie, hervor- ^^ -^..^aBs glänzen. (Fig. 10.)

Geboren 1340 in Vincennes, als dritter Sohn Johanns II. und Bonas von Luxemburg, verlebte er seine besten Jugendjahre an dem prunkvollen Hofe von Paris. 1360 heiratete er Jeanne, eine Tochter desGrafen vonÄrmagnac, die ihm eine fürstliche Mitgift in die Ehe brachte. Weil seine ehemalige Grafschaft Poitou ein Jahr zuvor an England verloren gegangen war, erhielt er nun- ' mehr zur Entschädigung die

Fig. 10. Hoibein, Zeidmung nach der Grabstatue Landschaften Berry und Au-

des Herzogs von Berry. vergne zugleich mit dem Herzog-

(Nach Geiffrey.) titel von seinem königlichen

Bruder, der sich ihm gegenüber überhaupt immer gewogen und freigebig erwies. Nadi dem Tode seiner ersten Frau heiratete er 1389 Jeanne von Boulogne, auch diese eine reiche Erbin; sein Mäzenatentum ruhte also auf guter finanzieller Basis.

Unähnlich seinem Bruder Philipp dem Kühnen von Burgund hat er sich niemals in kriegerische Unternehmungen eingelassen; doch sdieint ihm diplo- matisches Geschick nicht gänzlich versagt gewesen zu sein. Parteihader und mannigfadies Unglück verbitterten seine letzten Lebensjahre. Im Streit der burgundischen Partei gegen die Armagnacs unter den regierungsunfähigen Karl VI. war er das Haupt dieser letzteren. Er hat nodi die Ermordung seines Neffen,


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II. Die Kunst- und Wunderkamuierti. 25

des Herzogs von Orleans und den unglückseligen Tag von Äzincourt, auf dessen Walstatt Glück und Wohlstand Frankreichs dem siegreichen England erlag, erleben müssen, bevor er, ein Jahr darauf, 1416, im Älter von 76 Jahren, zu Grabe fuhr.

Was er als Kunstmäcen im Großen durcii Gebäude und öffentliche Stif- tungen geleistet hat, bleibt im Rahmen der fürstlichen Kunstpflegc jener Zeit und kann uns umsoweniger hier besdiäftigen, als ein ausführliches französi- sches Werk über dieses Kapitel seines Lebens vorhanden ist-').

Es liegt ein tragisches Moment darin, daß der ganze, mit so viel Liebe und Sorgfalt gesammelte und behütete Besitz, kaum daß der Herzog die Augen geschlossen hatte, zu einem großen Teil vernichtet worden ist. Die schlimmen Zeitläufte nach der Unglücksschlacht bei Äzincourt brachten es mit sich, daß fast alles von materiellem Wert, also insbesondere die köstlidien Werke der Goldschmiede in die königliche Münze wanderte. Ein kostbares reichgearbeitetes Goldkreuz, dessen Herstellung Berry noch in seinen letzten Lebenstagen mit Eifer überwacht hatte, trug allein 3441 Livres in Gold und 930 in Silber ein; es hat den Hingang seines Bestellers kaum um zwei Monate überlebt. Von dem ganzen Schatze blieb beinahe nur das übrig, was in den Besitz der beiden Erbtöchter Bonne von Ärmagnac und Marie von Bourbon gekommen war.

Daß wir trotzdem über den Besitz Berrys und seine Liebhabereien so genau unterrichtet sind, danken wir nur den mit echt französischem Ädmini- strationstalent geführten, ausführlichen und genauen Inventaren, die seine getreuen Intendanten, namentlich Robinet des Estampes (1413), angelegt haben; wir dürfen wohl auf einigen persönlichen Einfluß des eifrigen Sammlers schließen, wenn auch die französischen Inventare überhaupt (und dies gilt ebenso- gut für die burgundischen, als z. B. für das Inventar der Margarethe von Öster- reich in den folgenden Jahrhunderten) sich durch große Sachlichkeit und Präzision auszeichnen, und dadurch höchst vorteilhaft von den deutschen unterscheiden, die zumeist in gröbstem Domestikenjargon verfaßt sind. Der Kunstbesitz befand sich auf Berrys Lieblingsaufenthalt, dem Schloß Mehun-sur-Yevre, wo auch die berühmte Bibliothek dieses „prince des bibliophiles" untergebracht war.

Die merkwürdige Gestalt Johanns von Berry steht auf der Scheide zweier Welten; sie weist zurück in das Mittelalter und vorwärts in eine neue Zeit. Von diesem Standpunkte aus will auch seine Sammlung beurteilt sein, und das gibt ihr das merkwürdige, vielleicht einzige historische Gepräge. Wie sie noch nicht von seiner Schatzkammer zu trennen ist, so haben Berrys Interessen überhaupt ein Doppelgesicht. Die Freude am kostbaren Material, am lehr- haften oder seltsamen Inhalt ist bei ihm natürlicherweise, muß man sagen, vorhanden; daneben zeigt sich aber in stärkstem Maße ein bedeutendes Interesse am formalen, künstlerischen Wert und eine gewisse historische Anteilnahme, ganz so wie später bei Erzherzog Ferdinand von Tirol. Er ist vielleicht der früheste moderne Kunstfreund im Norden, der Kunstwerke um ihrer selbst willen sammelt, und in der Tat trägt er schon viele Züge des modernen Ama- teurs, im guten wie im schlimmen Sinne an sich. Das Sammeln ist bei ihm eine wirkliche Leidenschaft, die ihn gelegentlich zu gelinden Erpressungen ver- leitet, denen ein humoristischer Zug nicht ganz abgeht. Gerne entlieh er


26 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Bücher, um sie kopieren zu lassen, und — vergaß dann, sie zurückzugeben, ganz wie ein anderer fürstlicher Sammler, Rudolf II., auch. Aus der Abtei von St. Denis hatte er ein Exemplar der Chroniques de France geborgt, das bis zu seinem Tode in seiner Bibliothek verblieben, ja ergötzlicherweise sogar in's Inventar aufgenommen worden ist; es bedurfte der Intervention des Beicht- vaters, daß Herzog Johann wenigstens auf dem Totenbette die Rückgabe an- geordnet hat. Als er dann verschieden war, liefen zahlreiche Reklamationen ein; der Gardien der königlidien Bibliothek verlangte eine französische Bibel, die Verwalter der Hinterlassenschaft seines Großneffen, des Herzog von Guyenne, einen Terenz und ein Brevier, Salmon, der Sekretär Karl VI., ehedem Berry's Faktotum, eine Handschrift der Cite de Dieu, die er dem Verstorbenen nur geliehen, nidit geschenkt habe. Berry selbst scheute sich aber durchaus nicht, Bücher, die er an Verstorbene verschenkt hatte, nach deren Tode wieder zurück- zufordern. Die Sammelleidensdiaft hat eben den ganzen Mann im Besitz; so zeigt ihn ein in seiner Unmittelbarkeit höchst charakteristisches Augenblicks- bilddien in einem zeitgenössischen Roman, dem Chevalier errant des Tommaso von Saluzzo. Der Herzog befindet sich in großer Gesellschaft, eben will er sich zu seinem königlichen Neffen begeben, um die Regentschaft des Languedoc zu übernehmen. Noch spricht er lebhaft von dieser wichtigen politischen An- gelegenheit, da werden zwei venezianisdie Händler gemeldet, die ihm kostbare Edelsteine zum Kauf anbieten wollen. Da ist alles vergessen, Gesellschaft, Politik und Audienz, und er denkt nur mehr an seine geliebten Preziosen.-'^) Nicht ohne Grund ist die Kameensammlung des Herzogs noch lange nach ihrer Zerstreuung berühmt gewesen; noch in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts weiß in Italien Filarete in seinem Traktat davon zu erzählen. „So lobt man den Herzog von Berry wegen seiner ungemeinen Liebe zu diesen Dingen; wenn er gehört hatte, daß sich irgendwo eine seiner würdige Sache befände, so sah er nicht auf das Geld und mußte sie haben, wenn es nur irgend mög- ridi war."^-') Nach Filaretes Aussage wäre in Berry's Besitz sogar eine der berühmtesten Kameen des Altertums gewesen: die Gemma Augustaea des Wiener Antikenkabinets (aus dem Schatze von St. Sernin zu Toulouse)..^") Von hier aus war der Weg zur direkten Nachbildung gegeben; tatsächlich werden in Berrys Inventar von 1416 zwei Gemmen (pierres en camahieu) mit dem Bildnis des Herzogs erwähnt (bei Guiffrey No. 606 u. 611), beide Neujahrs- geschenke von nahen Verwandten, die dem Sammler damit eine große Freude zu machen gedachten. Ein solcher Cameo, in der laut der Inschrift das Bildnis Berrys geschnitten war, erscheint noch zu Beginn des XVI. Jahrhunderts in der Kunstsammlung der Margarethe von Österreidi. Gewiß ist hier nidit mehr an Adaptierungen antiker ikonischer Steine, wie im früheren Mittelalter zu denken, sondern an wirkliche Nachahmungen, wie sie in anderem Material in den merkwürdigen, völlig antikisierenden, römischen Kaisermünzen direkt an- genäherten Medaillen der beiden letzten Carrara von Padua, der Freunde Petrarcas, vorliegen. Das wird um so wahrscheinlidier, als der Herzog ein Exemplar der Medaille des Francesco Novello besaß, und zwar, was schon ganz an die Amateurgewohnheiten der italienischen Renaissance erinnert, in einem wohl direkt aus dem Atelier der Sesto (oder wer die Künstler gewesen


II. Die Kunst- und Wuudcrkatnmcrn.


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sein mögen) stammenden Bleiabstoß, der sich durch die Feinheit der Aus- prägung ganz besonders empfehlen mochte. Darin zeigt sich neben historischem jedenfalls ein gar nicht unbedeutendes Interesse an der künstlerischen Form als solcher, ebenfalls Zeichen einer neueren Zeit.

Und so finden sich denn auch wirkliche Antiken in seinem Besitz. Nicht nur eine kleine Kollektion wahrscheinlicli römisdier Gold- und Silbermünzen, die bei einem Zeitgenossen Petrarcas nichts auffallendes hat, sondern aucli ein paar Gefäße, zum Teil mit griechischen Inschriften und mit figürlichen Dar- stellungen wie Bellerophon und der Chimaera geschmückt, (worin der Verfasser des Inventars freilich den legendarisdien Caballus Constantini gesehen hat), Dinge, die mit der reichen spätrömischen Silberindustrie zusammengebracht werden können,"') Noch merkwürdiger sind andere Stücke der Sammlung, in denen sich wie bei dem oben erwähnten Porträtcameo der Einfluß der Antike auf die künstlerisclie Produktion in der unmittelbaren Umgebung des Samm- lers zeigt.

Im Inventar Robinets (No. 776 u. 777) sind nämlich zwei Goldgefäße, reich mit Edelsteinen besetzt, aufgeführt, die ausdrücklich als „d'ancienne fa(;on" bezeichnet werden und neben den Bildern fingierter antiker Persönliclikeiten (wie Sempronius Gallus, Caelius Servilius usw.) ganz kuriose, zum Teil unver- ständliche Inschriften tragen. Es wurde schon vor mehreren Jahren auszuführen gesucht, daß es sich hier um die ältesten Fälschungen nach der Antike, von denen wir Kunde haben, handeln dürfte."-) Sie sind vermutlicli direkt auf Berry gemünzt gewesen; noch mehr Aufklärung bringt eine Serie anderer, höchst merkwürdiger Kunstwerke, die in denselben Kreis gehören. Es sind dies vier oder fünf große Goldmedaillons, in kostbarer Fassung, die im In- ventar Robinets (Nr. 55, 197 und 200) genau beschrieben werden und eine Art von Histoire metallique des Christentums unter den römischen Kaisern von Augustus bis Heraclius darstellen wollen. Die lateinischen und die, wie Fröhner gezeigt hat, sehr fehlerhaften griechischen Inschriften, die Anlehnung an antike Form, die bei zweien wenigstens ganz deutlidi ist, beweisen, daß es um bewußte Nachbildungen und Erfindungen nach der Antike, ja höchst wahrscheinlidi, wie bei jenen Goldgefäßen um direkte Fälschungen aus der unmittelbaren Nähe Berrys handelt; der Herzog hat sie 1401 und 1402 in Paris und Bourges von italienischen Händlern, mit denen er gern und häufig verkehrte, erworben, ein Umstand, der noch durchaus nicht zu Schlüssen auf ihre Herkunft berechtigt. Zwei davon, die Constantin- und Heraclius-Medaille, sind nämlich auf uns gekommen; sie zeigen mit völliger Deutlichkeit nicht etwa giotteskes oder gar byzantinisches Gepräge, wie man in gänzlicher Verkennung des Sachverhalts ge- meint hat, sondern die echt nationale nieder- ländisch-französische Kunstweise an derWende des XIV. Jahrhunderts in der eigenen Heimat



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Fig. 11. Constantinmedaille. Flämiscli, Ende des XIV. Jahrh.


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V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


dGsHGrzogs.(Fig. 11.) Noch mehr, auf Ginem Blatte der berühmten Heures (Fol. 5 1 v mit der Reise der Magier aus dem Morgenlande), jetzt in Chantilly, die von des Herzogs Licblings- künstlern, den Brüdern von Limburg, ausgeführt wor- den sind, findet sidi die Figur des Constantin zu Pferde als Modell für einen der Magier benutzt; sie steht inTypus undFormen- gebung so durchaus gleich- artig unter den übrigen Figuren, daß man meinen könnte, der geschickte Künstler, von dem auch jene hochgeschätzten Rö- mermedaillen herrührten, habe sich verraten, und auch diese seien, von der Hand niemandes anderen, als eben des Pol von Lim- burg oder eines seiner Brüder. (Fig. 12.) Wie dem aucli sein mag, sie sind jedenfalls nicht nur zur Zeit Berrys, sondern noch bis in das XVII. Jahr- hundert hinein für voll- wertige Zeugen des Alter- tums genommen worden, und Gelehrte wie Scaligcr und Ducange haben das schwere Geschütz ihrer Gelehrsamkeit ins Gefecht gestellt, um ihre neuere Entstehung darzutun. Als Antiken sind sie auf dem Sockel der Certosa von Paria nachgebildet worden, und Pisanello glaubte zweifellos, einen antiken Kunstzweig zu be- leben, als er nach ihrem Vorbild mit seiner ersten bekannten Medaille auf den oströmischen Kaiser Johannes, ein ganz neues, modernes Gebilde schuf, ein Vorgang, der sich in der italienischen Renaissance, nicht nur auf dem Gebiet der bildenden Künste, sondern z. B. auch des Musikdramas wiederholt.

Es würde ein bedeutender Zug in dem Bilde dieses merkwürdigen nord- ländisdien Sammlers am Vorabende der Renaissance fehlen, wenn nicht wenig- stens mit ein paar Worten seiner berühmten Bücherei gedacht würde; ist er doch vielleicht zuerst und vor allem Bibliophile gewesen. Eine stattliche Reihe



Fig. 12. Aus dem Gebetbuch des Herzogs von Berry

in Chantilly.


II. Die Kunst- uiul Wuiiricrkammern.


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von Prachthandschriften, heute zu den Cimelien der Bibliotheken von Paris und Brüssel gehörig, ließ er von den besten Malern seiner Zeit prachtvoll ausstatten, mit seinem Wappen und seinen vielleiclit niemals erklärbaren Devisen schmücken, und er hat mit eigener Mnnd, des Besitzes froh, sein Ex libris darin eingetragen. Gelehrte Bürde drückte ihn nicht, vielleiclit zum Vorteil der Sache. Wir tun ihm gewiß nicht allzusehr Unrecht, wenn wir vermuten, daß ihm der Inhalt seiner Büdier, zumal der gelehrten, weniger am Herzen gelegen war, als ihre künstlerische Ausstattung, die hier schon fast selber zum Zweck wird. Auch da fällt eine mittelalterliche Sdiranke. Wie mächtig jedodi das von ihm gegebene Beispiel gewirkt hat, ersieht man daraus, daß ein Zeitgenosse, von dessen geistigen Interessen sonst herzlich wenig zu melden ist, der deutsche König Wenzel, der freilidi halbfranzösischen Stammes war, im fernen Osten, in seinem Böhmen die Mode mitmacht. Die noch vorhandenen Reste seiner Bibliothek verraten dies in der Art und Weise ihres künstlerischen Schmucks, beson- ders auch in der Art ihrer Aus- stattung mit geheimnisvoll spie- lenden persönlichen Devisen, ganz deutlich.

Etwas Modernes liegt end- lich in der Art, wie Berry mit den Künstlern, namentlich seinen Günstlingen von Limburg ver- kehrte, die sich manches heraus- nehmen durften. Seine Verbin- dungen mit Kaufleuten und Agenten aller Art spannen sicli sehr weit; einen vielgewandten Unterhändler, Salmon, hat er eigens nach Italien entsendet, vielleicht auch einen der Brüder von Limburg. Der große ge- schnitzte Altar des Musee Cluny, den der Herzog in die Abtei Poissy gestiftet hat, stammt aus der venezianischen Werkstatt des Baldassare degli Embriachi.

Eswurde schon gesagt, daß die SammlungBerrys, auf der Schwelle zweier Zeiten stehend, ein Janus- gesicht hat. Die Schatzkammer im



Fig. 13. Burgundisdie Standuhr, im Besitze des Herrn M. v. Leber in Wien. (Nach der Photographie bei v. Leber.)


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V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


altherkömmlichen Sinne nimmt noch einen breiten Raum in ihr ein. Billig stehen die edlen Steine, zumal bei den bekannten Neigungen Berrys, voran. Der vom Mittelalter am meisten geschätzte Stein, der Rubin, ist dementsprechend vertreten. Die kostbaren Solitäre, ebenso die Perlen erscheinen schon damals mit besonderen Lieblingsnamen; so finden wir ein grain d'orge, la grosse Perle de Berry. Einen der größten und wertvollsten, den rubis de la nue, hat Berry 1409 von einem Florentiner Händler um 7300 Goldgulden erworben, ein anderer hat gar die enorme Summe von 18000 Goldgulden gekostet. Hieran reihen sich die Erzeugnisse der Goldschmiedekunst; doch wurde schon erwähnt, daß gerade diese, wie auch anderwärts, am frühesten der Not der Zeiten zum Opfer gefallen, in den Schmelzofen der Münze gewandert sind. Vielleicht ist das einzige gerettete Stück der schön emaillierte Goldpokal, der sich jetzt im britischen Museum befindet."'") Aber von der Pracht und der künstlerischen Vollendung solchen Gerätes geben uns die wenigen Reste alt- französischer Goldschmiedekunst, wie das auf Karl VI. zurückzuführende goldene Rössel in Altötting, der juwelenbesetzte Hofbecher Philipp des Guten und ein köstlich kleiner Anhenker mit einem Liebespaar in Wien, endlich das Weih- geschenk Karls des Kühnen in St. Jakob in Lüttich eine deutliche Vorstellung. Dagegen ist die Tapisserienkammer des Herzogs, zu- mal im Vergleich mit den unermeßlichen Schätzen, die die Könige von Frankreich und die Herzöge von Burgund besaßen, nicht eben bedeutend.

Vor allem ist aber in der Sammlung Berrys jener Kleinkram vertreten, der ihr vollständig den Charakter der späteren Wunderkammern verleiht. Schon zeigen sidi die künstlidien Uhren -'^j {Fig. 13.), die ein- gelegten Spielbretter für Trictrac, Schach und Dame, juwelenbesetzte Tintenfässer, auch diese mit den Symbolen und Devisen des Herzogs in Email, Wärmflaschen (chauffe- rettes, scaldamani) aus Gold, wie sie heute noch, freilich in geringem Metall, in italieni- schen Sakristeien zu finden sind, endlich sogar „un petit orinal de voirre garni et pendant ä IV chaines d'or" (Inventar A 265). Auffallenderweise fehlen in den Invcn- taren Berrys die Waffen fast gänzlich, nur ein oder das andere Stück findet vom Ge- sichtspunkt der Rarität aus Eingang, wie ein altes Schwert mit silbernem Griff und figürlichen Darstellungen in Email. Dagegen werden zahlreiche Parfüms, Moschus, Ambra, Räucherpulver erwähnt, die man in Gefäßen



Fig. 14. Bär aus „Pisam' (Wien Hofmuseum.)


II. Die Kunst- und WunderkarTimern. 51


aufzubewahren liebte, denen die Gestalt von Vögeln (als sogenannte Oissellez de Chypre auch in Käfigen), aber auch von Bären/'"') Schafen oder der Königslilie gegeben war. (Fig. 14.) Eine Kostbarkeit anderer Art sind zwei Säcke mit Äzurfarbe (Ultramarin, Outremcr), das ist gepulvertem Lapis lazuli, der teuersten und geschätztesten Farbe des Mittelalters, von der in Kontrakten oft die Rede ist. Mit wohlberechneter Sparsamkeit wurden die Maler und Enlumineurs daraus bedacht. Sehr cliarakteristisch ist weiter die Anführung von Gegengiften, an die man im Süden nodi jetzt glaubt und die allerdings damals, zu einer Zeit, wo Giftmorde häufig waren, sehr gesucht sein mocliten. Papst Johann XXII. hatte dem Herzog vier Narwals- hörner geschenkt, auch diese standen ja im Rufe, daß sie das Gift erkennen ließen. Wir begegnen ihnen daher fort und fort bis in die Kunstkammern des XVII. Jahrhunderts hinein.

Solche Dinge leiten schon zu den eigentliclien Kuriositäten über. Da ist zunächst ein kleines Naturalienkabinctt mit allerhand „Wundern" als da sind: Straußeneier, Schlangenkiefer, Stachelscliweinborsten, Eberzähne, Walfischzähne, Eisbärenfelle, natürlich auch ein „Riesenknochen" vielleidit von einem Mammut des urweltlichen Frankreiclis, seltene Meerungetüme und Fische von allerlei Art, Muscheln usw. Den bearbeiteten Kokosnüssen, den Bergkrystallen und Halbedelsteinen mit ihren geheimen Kräften sind wir schon in den kirclilidien Schatzkammern begegnet.

In die gleiche Reihe gehören die Gegenstände aus seltenem orientalisdien Material. Ein Paternoster aus Seemuscheln ist vielleidit hierher zu rechnen; Schalen und Töpfe aus „porcelaine", in Fassungen aus Edelmetall, scheinen in der Tat Erzeugnisse ostasiatischer Keramik zu sein, die damals schon ver- einzelt ihren Weg nach dem Abendlande fanden. In eine später vielbcliebte Rubrik der Kuriositäten gehören die mikroskopischen Künstlidikeiten, ein Evan- gelium Johannis, auf Pergament in der Größe eines Silberstücks gesdirieben, zwei Elfenbeinkugeln, künstlich gedreht, in denen ein Kruzifix und ein höfisches Paar beim Schachspiel zu sehen war.

Nicht ganz im Sinne jener Zeit, wohl aber unserer Anschauung nach, gehören an diese Stelle auch die versdiiedenen Reliquien, oft sonderbarster Art, wie das Hemd unserer lieben Frau von Chartres, der Kelch, aus dem Christus bei der Hochzeit von Cana trank, der Verlobungsring des h. Joseph, (bei dem aber Robinet nicht umhin kann, den vorsichtigen Zusatz zu machen: si comme disoit la Dame de St. Just, qui donna ledit annel aMgr. aux etrennes 1406), endlich Gebeine der unschuldigen Kindlein und sogar ein Milchzahn der h. Jungfrau. Man sieht, das kirchliche Element macht sidi noch in ungemin- derter Stärke mitten im Weltleben geltend.

Mit Karl V. teilt Johann von Berry den Ruhm des größten Kunstmäzens Frankreichs vor der Renaissance, und dieser Titel, den er vor allem angestrebt hat, läßt viele seiner Schwächen in milderem Lichte erscheinen, wie denn über- haupt eine historische Persönlichkeit dieser Art nicht mit der sentimentalen Elle gemessen werden soll. Mag er auch, gleich den meisten Großen seiner Zeit, zuweilen ein Bauernschinder und Bürgerplacker gewesen sein, mag er das Gold, das ihm zuströmte, mit so vollen Händen ausgestreut haben, daß er eine



V. Schlosser, Die Kunst- usw.

mit Schulden beladene Haus- haltung zurückließ, erhat dieses Gold doch keinem niedrigen und gemeinen Zwecke dienstbar ge- macht, und Hunderte von Künst- lern und Kunstverwandten ha- ben es ihm zu danken gehabt, wenn sie frei und behaglidi leben und schaffen konnten. Damit hat er, wenn seine reichen Sammlungen ihn audi nur zum geringen Teile über- dauert haben, die geistigen Güter seiner Nation weiter ge- fördert, als alle jene braven Könige von Yvetot, die ihrer Nachwelt keine einzige fort- zeugende Tat, weder im Guten noch im Schlimmen hinterlassen haben.

Was uns über die Samm- lungen der Herzoge von Bur- gund, aus ihren trefflichen und genauen Inventaren, be- kannt ist, verrät im Ganzen ein anderes, im Grunde rück- ständigeres Wesen.^*') Obwohl an ihren prunkvollen Hofhal- tungen in Dijon und in den seit dem Ende des XIV. Jahr- hunderts burgundisch gewor- denen Städten Flanderns und Brabants die altniederländisdie Kunst, vor allem Malerei und Tapisserie, ihre Heimstätte ge- funden hat, obwohl sie die bedeutendsten Meister in ihren Diensten haben, so scheint doch im Ganzen jenes un- mittelbar persönliche Sammler- interesse wie des Berry ihnen weniger eigen zu sein. Ihre Sammlungen haben vor allem den Charakter der alten fürst- lichen Schatzkammer, allerdings der präditigsten, die vielleidit


Fig. 15. Hofbecher Philipps des Guten. (Wien, Hofmuseum.)


II. Die Kunst- und Wunderkaininern. 33


jemals existiert hat, deren Reichtum der Welt ein Wunder und fast spricliwörtlich geworden ist. Was nicht schon bei Lebzeiten des letzten burgundischen Valois, Karls des Kühnen, zerstreut und vernichtet worden war, ist dann als noch immer unermeßlicher Brautschatz seiner Tocliter Maria an Maximilian I. ge- kommen, der freilich, von ewiger Geldnot bedrängt, die kostbarsten der „bur- gundischen Kleinodien" bald verpfändet hat; manches findet sich dann in der noch zu besprechenden Sammlung der Toditer Mariens und Maximilians, Margaretha, zu Mecheln wieder.

Die an Kunst- wie an Materialwert unschätzbaren Reste, die sidi aus der burgundisdien Schatzkammer erhalten haben, geben uns noch immer die Vorstellung unsäglichen Reiditums. Das meiste davon besitzt das österreichisdie Kaiserhaus, zu dessen unveräußerlichen Kleinodien, noch heute in der Wiener Sdiatzkammer bewahrt, die große Gralsdiüssel aus Achat, und als charakte- ristisches Stück das burgundische „Ainkhürn", ein riesenhafter Narwalzahn, gehören, ferner der berühmte Florentiner Diamant, der viertgrößte der Welt, ebenso wie das prunkvoll ornamentierte „Einhornsdiwert" einst im Besitze Karls des Kühnen, dann der herrliche „burgundische Meßornat", der pradit- volle Kristallpokal Philipps des Guten (Fig. 15), das aus einem einzigen Smaragd von über 2400 Karat geschnittene Salbgefäß (Fig. 16), und noch manches geringere Stück des Wiener Hofmuseums, ganz zu gesdiweigen von dem, was in Bern, Nancy und Lüttich noch übrig ist.

Wie dauerhaft die mittelalterliche Sinnesweisc im Norden gewesen ist, braudit hier kaum von neuem betont zu werden; wie aus dem wälschen und antikischen Maskenkleide der sogenannten deutschen Renaissance das ehrliche alte Giebelhaus der Gotik uns anblickt, so haben auch die Menschen, die darin ihr Heim hatten, redit lange an ihren alten nationalen Gewohnheiten und Vor- urteilen festgehalten. Einer der frühesten deutschen Humanisten, Hartmann Schedel aus Nürnberg, der Verfasser der berühmten Weltchronik, hat eine Menge schätzbarer Nachriditen über Kunstwerke in Oberitalien, wo er studiert hatte, überliefert. Überall interessiert ihn jedoch ausschließlich der merkwürdige Inhalt, nirgends die Form, nirgends Name oder Persönlichkeit der Künstler, zu einer Zeit und in einer Umgebung, die das lebhafteste Interesse daran an den Tag legte.

Eine ganz eigentümliche Stellung für sich nimmt die merkwürdige, ihrem Gesamtcharakter eigentlich nach dem XV. Jahrhundert zuzurechnende Sammlung der Margarethe von Österreich, Statthalterin der Niederlande (1480 1530), in ihrer Residenz zu Mecheln ein; Dürer erwähnt ihrer schon in seinem nieder- ländischen Tagebuche, Diese Fürstin, Tochter Kaiser Maximilians und der Burgunderin Maria, Muhme Karls V., in der sich habsburgisches und burgun- disches Blut vereinten, hat allerdings in dem zweiten, Italien ebenbürtigen Ur- sprungslande der neueren Kunst ihre Tage zugebracht, und daraus mag auch der außerordentlidie Charakter ihres Kunstbesitzes zum guten Teil seine Er- klärung finden. Die in zwei Exemplaren in Wien und Paris vorliegenden, aus den Jahren 1524- 1530 stammenden, französisdi abgefaßten Inventare tragen alle Vorzüge französischer Schriftstücke dieser Art an sich; die Beschreibungen sind genau, zuverlässig und durch die Angabe der Künstler-

V Schlosser, Kunst- und Wunderkammern. 3


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V. Sclilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


namen äußerst wertvoll/) Besondere Aufmerksamkeit erregt die große Zahl von Gemälden, für die Margarethe, selbst Kunstdilettantin, sichtliche Vorliebe besessen hat; neben merkwürdigen zeitgenössischen Porträts finden sich da Kostbarkeiten ersten Ranges, wie das Ärnolfinibild und die Brunnenmadonna des Jan van Eyck, Tafeln von Hieronymus Bosch, von Rogier van der Weyden, Memling, Dirk Bouts, Foucquet, ein merkwürdiges Bild des Jacopo de Barbari, plastische Werke von der Hand des Konrad Meit, der wie der vorhergenannte in Margarethens Diensten gestanden hat; ein Relief, Eurydike mit der Schlange, ansclieinend ein Jugendwerk des Baccio Bandinelli (das heute in verschiedenen Exemplaren, darunter einer deutschen Replik, in Paris, Neapel und Berlin vor- kommt); dann eine Nachbildung des Dornaus- ziehers in Marmor, eine ziemliche Anzahl von antiken und modernen Bronzen, Kostbarkeiten aller Art, wie eine Kassette, mit Tierfiguren verziert, in jener merkwürdigen burgundischen Emailtechnik, von der das Wiener Hofmuseum mehrere höchst seltene Zeugen besitzt; ein Emailporträt des Herzogs von Berry, wohl aus dessen Sammlung stammend, Medaillen und endlich eine stattlidie Zahl kostbarer Miniaturhandschriften, von denen sich mandie heute in Wien befinden. Es ist sehr der Be- achtung wert, wie in dieser reichen Samm- lung einer Gentildonna vom Beginn des nordi- schen Cinquecento das künstlerische Inter- esse in die erste Linie rückt, wie sie gänz- lich auf dem nationalen Boden der Niederlande steht und wie gering der Einschlag des Wäl- schen und Antikisclien ist. Zwar fehlt das Kuriose nicht ganz, aber es steht durchaus im Schatten und ist auf einige Seltenheiten des Orients und vor allem der neuen Welt beschränkt, welcli letztere damals das lebhafteste Interesse erregen mußte; so hat Montaigne noch, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, ein kleines indianisches Museum besessen. Jedenfalls steht die Sammlung der niederländi- schen Statthalterin noch auf geraume Zeit im Norden fast einzig da. Sie antizipiert die großen fürstlichen Kunstsammlungen der dritten und vierten Generation, eines Philipp IL, Leopold Wilhelm, Karl I. von England.

An der früher charakterisierten Auffassung, die man mit einigem Reclit als die nordländisch-mittelalterliche bezeiclinen könnte, hat die Renaissance- bewegung, als sie zu Ende des XV. Jahrhunderts über die Alpen drang, im ganzen zunächst nicht viel geändert. Läßt sich auch die eine oder andere Privatkollektion Deutschlands im XVI. Jahrhundert, wie etwa das durdi seinen Reichtum an Kunstblättern bekannte Praunsche Kabinett"'^) oder die Imhoffsdie Kunstkammer, ■^'■*) beide zu Nürnberg, recht wohl wälschen Sammlungen ver- gleichen, so ist doch gerade die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts mit einem



Fig. 16. Burgundisdies Salbgefäß. (Wien, Hofmuseum.)


II. Die Kunst- und Wunderkanuneni. 55

großen Teile des folgenden die Blijtezeit der großen fürstlichen Kunst- und Wunderkammern Deutschlands, die in soldier Weise kaum anderswo, vor allem nicht in Italien, ein redites Gegenstück haben, und deren hervor- ragendste Beispiele die Sammlung Erzherzog Ferdinands von Tirol auf Schloß Ambras, die Rudolfinische Kunstkammer in Prag, die der bairischen Herzoge Albrecht V. und Wilhelm V. in München, endlich der sächsischen Kurfürsten in Dresden sind.

Erzherzog Ferdinand von Tirol^'^) ist, wie aus seiner S. 37 ange- fügten Genealogie*) hervorgeht, fast mit sämtlidien der großen Sammler und Kunstliebhaber fürstlichen Geblüts aus jener Zeit verwandt oder versdiwägert gewesen; auf solchem Hintergrunde hebt sich seine historisdie Silhouette mit seltener Klarheit und Anschaulidikeit ab. Urenkel Kaiser Maximilian 1. und der burgundisdien Maria, Großneffe jener Margarethe von Österreich, aus deren merkwürdigen Sammlungen zu Medieln manches Stück an ihn gekommen ist, war er 1529 als Sohn jenes Kaiser Ferdinands I. geboren worden, der 1563 den Kunstbesitz der deutschen Habsburger in einer Wiener Kunstkammer ver- einigt hat. Mit seinen Brüdern Kaiser Max II. und Erzherzog Karl von Steier- mark, dem Begründer der Grazer Kunstkammer, teilte er Sammellust und Kunstliebhaberei; er, der Neffe Karls V., ist ein Vetter des großen spanisdien Mäzens Philipp IL, durdi seine Schwestern der Schwager Albredit V. von Baiern, des letzten Este von Ferrara Alfons IL, sowie Herzogs Wilhelm von Mantua und Francesco Medici von Toscana, und Oheim Kaiser Rudolf IL, Wilhelm V. von Baiern, Albert VIL, der als Statthalter der Niederlande der Gönner Rubens' war, Leopold V. von Tirol, der mit seiner kunstsinnigen Gemahlin Claudia Medici, der verwitweten Herzogin von Urbino, die Traditionen von Ambras im Geiste seines Gründers weitergeführt hat; und Großneffen von ihm, deren Geburt er allerdings nicht mehr erlebt hat, sind die beiden größten habs- burgischen Amateure des XVII. Jahrhunderts, Philipp IV. von Spanien und Erzherzog Leopold Wilhelm, Statthalter der Niederlande. Bande der Schwäger- schaft haben ihn überdies mit den meisten der alten Sammlergeschlechter in Wälschland und Frankreich verbunden, sodaß er recht eigentlich im Mittel- punkte eines gewaltigen Kunstlebens, vielfachster Anregung stand. Durch seine Jugendheirat mit der Patriziertochter von Augsburg, Philippine Welser, die ihn der Nachwelt im romantischen Lichte erscheinen ließ, war er der wichtigsten Kunststätte Deutschlands neben Nürnberg verbunden. (Titelbild und Fig. 9.)

Ferdinand zeigte frühzeitig, da er nodi Statthalter von Böhmen war, künstlerische Neigungen, wenn auch nicht zu verkennen ist, daß er in vielen Dingen der Modeströmung seiner Zeit folgte. Gleich so vielen Großen seiner Zeit dilettiert er im Architekturfach ;^') das sehr originelle Schloß zum Stern bei Prag ist unter seiner Leitung und nach seinen Plänen ausgeführt. So be- greifen wir das Lob, das ihm Montaigne gespendet hat, der ihn grand bätisseur et deviseur de telles commodites (Gartenanlagen und ähnliches) nennt. In der Tat sind in einem Skizzenbuche, betitelt „Brunnwerk", aus der ehemaligen Ambraser Bibliothek (jetzt im kunsthistorischen Hofmuseum in Wien) neben Entwürfen italienischer Künstler auch solche von des Erzherzogs eigner Hand erhalten, darunter für einen Lustbrunnen im Tiergarten zu Innsbruck,

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V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


dessen Modell von Alexander Colin hergestellt, von Hans Christoph Löffler gegossen, noch heute in den kaiserlichen Sammlungen vorhanden ist. Daß er seine eigne Drediselwerkstatt haben mußte, entspricht einer immer mehr sich ausbreitenden Mode und gehört, wie seine chemische Küche, in ein anderes Kapitel; viel individueller, wirklicher Kunstübung näher ist seine Gießerei auf Ambras. Nicht zu vergessen ist seine Glashütte in Hall,^'-) die er nach venezianischem Vorbild einrichtete, auch hierin mit seinen Zeitgenossen, z. B. Wilhelm V. von Baiern, wetteifernd, die sorgsam gehütete Kunst von Murano

in den Norden zu verpflanzen. Er bemüht sich wiederhoh um Glasarbeiter aus den La- gunen und muß allerhand Praktiken anwenden, bis er schließlich doch 1574 einen Muranesen mit Kind und Kegel in seine Dienste bekommt. Er hat auch hier seine Freude daran, werk- tätig mit einzugreifen, und formt wohl einmal selbst einen Pokal, den er dann kostbar fassen läßt, wie das noch erhaltene Pracht- stück der kaiserlichen Sammlung bezeugt. (Fig. 17.) Die Haller Gläser, die in größerer Anzahl heute nur mehr im kaiserlichen Hof- museum zu Wien zu finden sind, weisen eine eigentümliche, jedoch durchaus gewissen heute nicht mehr häufigen Erzeugnissen Muranos nachgeahmte Dekoration mit eingeritzten, ver- goldeten und gemalten Ornamenten auf und sind in der Form zuweilen originell und selbständig. (Fig. 18.) Es würde zu weit führen, alle die deutschen und wälschen Künstler namhaft zu machen, die Ferdinand bescliäftigt hat,^) aber das Bild des Mannes mit seinen zahlreichen Interessen bliebe un- vollständig, wenn man nicht erwähnen wollte, daß er auch im Musik- und Theaterwesen dilettierte, eine allegorische Komödie 1584 zu Innsbruck drucken ließ und daß sein Hof- musikus Giovanni Buontempo einen Parnassus musicus Ferdinandeus, der u. a. Kompositionen von Monteverde enthält, zu- sammengestellt hat.

Zur Aufbewahrung seiner Sammlungen ersah Ferdinand das nahe bei Innsbruck gelegene, anscheinend in Römerzeiten zurückreichende Castell Ambras, das er 1563 von seinem kaiserlichen Vater zum Geschenk erhalten hatte und schon im folgenden Jahre seiner geliebten Welserin zu eigen gab. Die ur- sprünglich recht unansehnliche Burg wurde mit einer Reihe von Zubauten ver- sehen, vergrößert und verschönert; so erblickt man sie auf dem Kupferstidi in Merlans Theatrum Germaniae. (Fig. 19, vergl. Fig. 96.) Allein bis zu dem im Jahre 1580 erfolgten Tode Philippinens blieb die Hauptmasse der Samm-



Fig. 17. Pokal Erzherzog Ferdinands

von Tirol.

(Wien, Hofmuseum.)


II. Die Kunst- und Wunderkainmcrn.


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V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissancc.


lungen in der Innsbrucker Burg; erst nachdem Ambras durch das Ableben seiner Herrin verwaist und verödet war, scheint Ferdinand die Ausgestaltung seines „Museums" und die Vereinigung seiner sämtlichen Kunstschätze dort ernstlich in Angriff genommen zu haben. Sie waren in den Gebäuden, die den vom Hoclischlosse überragten unteren Burghof umgeben, untergebracht. Zwei lange Mitteltrakte enthielten, wie dies aus dem Stich bei Merian erhellt, die Rüstkammer und das Kunstkabinett; an die erstere reihte sich ein niedrigeres Gebäude mit Wandnischen an, in denen noch heute eine Anzahl römischer Meilensteine aus der Umgebung von Ambras aufgestellt sind, an die zweite die Bibliothek, ein stattlicher Bau, aber nach unseren Begriffen kurios



Fig. 18. Produkte der Haller Glashütte. (Wien, Hofmuseum.)


genug untergebracht, da das Erdgeschoß den „Klepperstall" enthielt, das hohe Dach jedoch als Schüttboden diente. (Fig. 20 u. 21.)

Besonders seit dieser Installierung der Kunstschätze hat Ambras einen der größten Anziehungspunkte für alle die vornehmen und gelehrten Reisenden gebildet, die auf ihrem „tour de monde" durch Tirol kamen. *^) So hat es auch Montaigne auf seiner Durchreise nadi Italien nicht zu besuchen unter- lassen; allerdings weiß er über seinen Empfang nichts Gutes zu berichten, da der Erzherzog damals, es scheint wegen eines kostbaren Smaragds, der ihm auf der südfranzösisdien Post geraubt worden war, auf Frankreich sehr übel zu sprechen war. Andere waren glücklicher, sie bekamen die Gastfreundlich- keit des Hausherrn im vollsten Maße zu spüren, wobei des Bacchusheiligtums und seiner lustigen, dem Geiste der Zeit nach etwas gröblichen Zeremonien nicht vergessen sein möge; der eiserne, hübscli verzierte Fangstuhl, die



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V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


grotesken gläsernen Humpen und die Trinkbücher mit ihren kulturgeschichtlich interessanten Eintragungen werden noch heute in den kaiserlichen Sammlungen aufbewahrt.

Die fernere Geschidite des Museums nach Ferdinands Tode soll nur kurz berührt werden. Sein älterer Sohn und Haupterbe Markgraf Karl von Burgau war dem Vater nicht gleichgeartet; er hatte keine legitime Nach- kommen und wußte daher nichts dringenderes, als die ganze kostbare Sammlung schon 1605 an das Haupt des kaiserlichen Hauses, Kaiser Rudolf 11. um 170 000 Gulden zu verkaufen. Sie blieb jedoch, da die testa- mentarischen Verfügungen Ferdinands respektiert wurden, auf Ambras und erfuhr unter den Erzherzögen der tirolischen Linie, namentlich durch Leopold V. und seine Gemahlin Claudia von Medici manche wertvolle Bereicherung. Claudia ist es allem Anschein nach gewesen, die 1626 das schöne Madonnen- relief des Antonio Rossellino über die Alpen gebracht hat, das bis 1880 in einem prächtigen florentinischen Barockrahmen die Ambraser Schloß- kapelle geschmückt hat. Der Niedergang begann mit dem Aussterben dieser

Linie 1665. Kaiser Leo- pold I., an den Ambras nunmehr gefallen war, hatte nicht dasselbe Inter- esse an der Aufrechterhal- tung des alten Zustandes wie die früheren Landes- fürsten. Ihm, dem Gönner gelehrten Wesens und dem Gründer der deutschen Na- turforscher-Akademie lag vor allem seine Hofbiblio- thek am Herzen; in seinem Auftrage nahm der Biblio- thekar Lambecius schon 1 665 sämtliclie ihm erreich- baren Handschriften und eine große Anzahl von Druckwerken nach Wien mit: die erste Minderung der alten Sammlung. Aller- dings entging ihm eine Reihe von Manuskripten, die heute nocli als letzter Rest der glanzvollen Am- braser Bibliothek die kai- serlichen Museen zieren. Seitdem sank Ambras in Fig. 20. Moderne Ansicht von Ambras. Schlummer wie die Prin-

(Nacii einer Aufnahme von 0. Sctimidt in Wien.) zessin des deutschen Mär-



II. Die Kunst- uiul Wuncierkaniiiicrti


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Fig. 21. Hofansicht von Ambras. (Nadi Giner Aufnahme von O. Scliniidt in Wien.


chens; sein Park verwilderte, die Sammlungen verwahrlosten, die Säle, in denen kein fürstliches Paar mehr Hof hielt, verfielen. 1703, während der bairiscli-fran- zösischen Okkupation war die Sammlung in ernster Gefahr, und nur die Inntaler Bauern waren es, die durch Zerstörung der bairischen Sdiiffe die Entführung der schon in Kisten gepackten Kostbarkeiten verhinderten. Wie sehr hierdurch das Ganze in Unordnung geriet, wie vieles verschleppt und ver- dorben worden ist, läßt sich leicht denken. Die fortsclireitende Zentralisierung der Wiener Sammlungen, namentlich in der Zeit Karl VI. und Maria Theresias brachten neue Einbußen. Heraeus wählte die für das neubegründete Münz- kabinett braudibaren Stücke aus, während Eckhel die geschnittenen Steine der Antikensammlung einverleibte, und damit den Grund zu dieser noch heute schwerlich übertroffenen Sammlung legte. Endlich wanderte eine niclit unbe- trächtliche Zahl von Bildern in die kaiserliche Galerie, zuletzt (1801) kamen noch fast alle Antiken nach Wien.

Die Franzosenzeit wiederholte schließlidi die traurigen Peripetien, die Ambras ein Jahrhundert vorher schon erduldet hatte. Seit 1796 waren die Sammlungen fast fortwährend verpackt und auf der Wanderschaft; bei der Abtretung Tirols 1805 war es der bekannte Historiker von Hormayr, der die Ambraser Sammlung vor dem Sdiicksal, nach Paris entführt zu werden, gerettet hat. Gleidiwohl haben die Franzosen eine Anzahl von kostbaren


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französisdien Harnischen, darunter die von Napoleon besonders begeiirte Rüstung Franz I. als Nationaleigentum requiriert und nach Paris gebracht, wo sie nocli gegenwärtig zu sehen sind. Audi sonst ging manches verloren; eine sdiöne Judithstatuette, mit dem Namen des früher erwähnten Hofbildhauers Margarethens, Konrad Meit von Worms bezeichnet, und noch zu Ende des XVIII. Jahrhunderts in den Ambraser Inventaren aufgeführt, verschwand damals. Heute befindet sie sich im bairischen Nationalmuseum in München. Alles das hatte gezeigt, wie gefährdet die noch immer statthche Samm- lung auf dem einsamen und verwahrlosten Schlosse war ; sie wurde daher 1806 auf Befehl Franz I. nach Wien übertragen und im Kongreßjahre 1814 im untern Belvedere aufgestellt. Jetzt erst erwachte sie aus ihrem Sdilafe, von trefflidien Männern wie Alois Primisser, später Eduard Frei- herrn von Sacken umsichtig geordnet, katalogisiert und vermehrt, fing sie an, in Leben und Wissenschaft gedeihlich zu wirken. Es war wirklich ein Erwachen Dornröschens, Dinge, die längst für verschollen gegolten hatten, kamen ans Lidit und als einer der ersten konnte Goethe in seiner Übersetzung des Cellini bemerken, daß die berühmte von diesem beschriebene Saliera sich noch wohlbehalten in den kaiserlichen Sammlungen in Wien befinde. Die weiteren Sdiicksale der Sammlung, die noch Jahrzehnte lang ihren alten Namen bewahrte, sowie des Sdilosses Ambras selbst, das seit den fünfziger Jahren des XIX. Jahrhunderts restauriert, noch später wiederum als Museum einge- richtet wurde, können hier nicht weiter erörtert werden. Die ehrwürdige Ambraser Sammlung hat ihre romantische Periode durchlebt, namentlich durch das Verdienst v. Sackens eine Reihe von Denkmälern deutscher Vorzeit in sidi aufgenommen, sie wurde aber auch durch Abgabe von Gegenständen an Fach- sammlungen, so vor allem der naturhistorischen Raritäten, stark in ihrem ein- stigen Wesen geschmälert, bis sie endlidi bei der Übersiedelung in ihr neues fast allzu prachtvolles Heim am Burgring durch Fusionierung mit den Beständen der Schatzkammer nicht nur ihres Namens, sondern audi ihres alten Charakters fast ganz verlustig gegangen ist; es war der Tribut, den sie, ein Überbleibsel längst vergangener Perioden, moderneren, wissenschaftlichen Anschauungen zu entrichten hatte.

Es versteht sich, daß Erzherzog Ferdinand von Tirol seinen ausgedehnten Kunstbesitz, so persönlichen Anteil er daran nahm, nicht allein verwalten konnte und mochte. Unter seinen Kustoden ist der Holländer Gerhard van Roo zu nennen, ursprünglich Kammersänger, seit 1590 Bibliothekar und Kunstkämmerer auf Ambras, wo er die Annales Habsburgicae gentis (gedruckt Innsbruck 1592) zu schreiben begonnen hat und wo er 1589 gestorben ist. Merkwürdiger ist uns Jakob Schrenk von Notzing, schon 1565 Ferdinands Sekretär, seit 1588 erzherzoglidier Rat. Es ist vielleicht etwas ruhmredig, wenn er sich gelegentlich als „fast einzigen Kollektor" aller drei Abteilungen der Sammlung bezeichnet, aber jedenfalls ging fast die gesamte Korrespon- denz, auch mit den Künstlern, durch seine Hand, und er ist, freilidi unter steter Aufsicht und Leitung des Erzherzogs selbst, der Redaktor der großen illustrierten Beschreibung der Ambraser Rüstkammer gewesen, des ersten Kataloges solcher Art, der von einer großen Sammlung aus durdi den Druck



Fig. 22. Ein Blatt aus Schrenckl's Ärmamentarium. (Pfalzgraf Philipp von Baiern.)


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in die Welt ging. Noch zu seinen Lebzeiten hatte übrigens der Erzherzog ein kurzes inventarisches Verzeichnis seiner Rüstungen in Druck legen lassen (Innsbruck, bei Joh. Bauer 1593).

Die Rüstkammer war überhaupt das eigentliche Schoßkind Ferdinands, er ließ es sicli keiner Mühe verdrießen, Leibharnische, Turnierwaffen und sonstige kriegerische Andenken, namentlich berühmter Zeitgenossen an sich zu bringen, und er hat zu diesem Zwecke eine ausgebreitete Korrespondenz unterhalten, die einen interessanten Einblick in seine Denkweise gewährt. Natürlidi haben viele es sich zur Ehre angerechnet, daß ihr eisernes Konterfei in diesem Pantheon, in der ehrlichen Gesellschaft zu Ambras, wie sie Ferdi- nand mit einem hübschen Ausdruck zu nennen liebte, einen Platz fände. Daneben hat der Erzherzog nicht wenig ältere, historisch wertvolle Stücke durcli seine weit ausgreifenden Verbindungen erhalten; eben das, ihre großen- teils glaubwürdige und wohlverbürgte Provenienz gibt der heutigen Waffen- sammlung des österreichischen Kaiserhauses, deren Grundstock nodi immer die alte Ambraser Rüstkammer bildet, jenen unvergleichlichen historischen Wert und rückt sie an die erste Stelle überhaupt, selbst im Vergleiche mit der Schwester- sammlung, der Armeria von Madrid.

Es war allgemein bekannt, daß der Erzherzog ein großes illustriertes Prachtwerk über seine Lieblingskollektion vorbereite und es wurde mit Spannung erwartet. Allein Ferdinand sollte seinen Abschluß nicht mehr erleben ; erst 1601 verließ es, von Johannes Agricola in Innsbruck verlegt, die Drucker- pressen, ein würdiges Denkmal deutscher Buchausstattung der Renaissance, mit 125 Kupferstichen in Folio nach Zeichnungen des Gio. Fontana von Dominik Custos ausgeführt, zugleich das schönste literarische Denkmal für den großen fürstlichen Sammler selbst. Schon 1603 ist eine deutsche Übersetzung davon erschienen (Fig. 22).

Das Bild des habsburgischen Kunstfreundes wäre unvollständig, wenn nicht auch seiner Bibliothek, einer der bedeutendsten ihrer Zeit, einige Worte gewidmet würden. War sie doch auch eine Stätte gelehrten Wissens und ist von ihr und durch sie ein Werk wie die schon erwähnten Annalen des van Roo ausge- gangen. Sie enthielt beinahe viertausend Werke, die fast alle in stattlichen Lederbänden, nach der damals herrschenden Sitte fakultätenweise in eine theolo- gische, juristische, medizinische, historische und eine Klasse, die beiläufig dem Schulbegriff der artes entspricht, geschieden waren. Sie ist namentlich an kostbaren Handschriften aller Art ungemein reich gewesen; befanden sidi dodi darunter von der luxemburgischen Erbschaft des Erzhauses her die Reste jener merkwürdigen, im französischen Geschmack angelegten Bibliothek König Wenzel I., prunkende, mit reichem Bilderschmuck und seltsamen Devisen ausgestattete Prachtbände, die heute zu den Zimelien der Hofbibliothek gehören. Außerordentlich groß ist die Zahl der deutsdien Handsdiriften, die namentlich in der bedeutenden Schenkung des Grafen Wilhelm von Zimmern an Ferdinand reich vertreten waren. Unter ihnen ragt das im Auftrage Maximilians I. angelegte Sammelwerk des „Heldenbuchs" (heute im kunst- historischen Hofmuseum) hervor, das auch eine Reihe älterer deutscher Didi- tungen aufbehalten hat, vor allem, wie bekannt, die einzige auf uns gekommene


II. Die Kunst- und Wunderkarnmern.


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Handschrift des Gudrunliedes. Ferner befanden sich hier die allegorisch-histo- rischen Werke des Urgroßvaters Kaiser Max I. : Teuerdank, Weißkunig, das



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Turnierbuch Freidal und die reichhaltigen und interessanten Zeughausbücher. Nidit zu vergessen ist dann die ansehnliche Kupferstichsammlung, die, zum größten Teile noch in ihren alten, nach Materien geordneten Klebebänden


46 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

erhalten, ein sehr lehrreiches Bild einer solchen alten Kollektion gibt; ihr gehört auch das „Kunstbudi Albrechten Dürers" an, eine merkwijrdige Samm- lung von Sticlien und Holzsclinitten, und von einzigem Wert auch dadurch, daß sie eine Anzahl eigenhändiger Zeichnungen des großen Nürnbergers ent- hält. Für Ferdinands Interessen ist es übrigens bezeichnend, daß die Mehr- zahl der kostbaren, zumal der mit Bildern geschinückten Handschriften, ebenso wie seine Kupferstichbücher, nicht in der Bibliothek aufbewahrt, sondern in einem Sdirank der Kunstkammer zur Sdiau gestellt waren. In der Bibliothek war hingegen der größte Teil des erzherzoglichen Bilderbesitzes untergebracht: dieser ist jedodi, zumal im Vergleidi zu dem, was andere fürstliche Zeit- genossen besaßen, nie sehr hervorragend gewesen. Porträts und sonstige Erinnerungen bilden den Hauptbestandteil des Vorhandenen. Bei seinen vor- wiegend historischen und antiquarischen Interessen scheint für Ferdinand die Anlegung einer eigentlichen Gemäldegalerie nie recht im Vordergrunde ge- standen zu sein. Überhaupt gibt uns die Bibliothek schon einen Vorschmack der Kunstkammer, da sie, darin übrigens der Sitte der Zeit entsprechend, allerhand Raritäten und Kuriositäten enthielt, unter anderem auch eine nicht unbedeutende Mineraliensammlung. Die Wände waren, wieder ganz der Sinnesweise des Fürsten entsprediend, mit allerhand Waffenstücken dekoriert.

Wir wollen nun in die dritte inhaltlich bedeutendste und mannigfaltigste Abteilung des Ferdinandeischen Museums, die „große Kunstkammer" eintreten. So lautet ihr offizieller Titel in dem bei Ferdinands Hinscheiden 1596 abge- faßten Inventar, das die älteste und ausführlichste Quelle für unsere Kenntnis des gesamten Ambraser Kunstbesitzes bildet ; leider ist auch dieses, von der genaueren und sachkundigeren Beschreibung der Rüstkammer abgesehen, wortkarg, zweideutig und in jenem naiven Domestikenjargon verfaßt, von dem schon einmal die Rede war. Trotzdem die Idenhfizierung der meisten Stücke deshalb schwierig, ja in manchen Fällen unmöglich ist, so gibt es doch einen genauen Einblick in die Art, wie das ganze beim Tode des Erzherzog-Stifters aufgestellt und angeordnet war.

Achtzehn große (zum Teil noch auf Ambras erhaltene) Schränke aus Zirbelholz, dos-ä-dos gestellt, enthielten neben zwei Querschränken die Sammlungen, die im wesentlichen nach den Gesichtspunkten des Materials, in zweiter Linie der Technik, geordnet waren. Es ist bezeidinend, daß diese im Grunde recht äußerlidie, vor allem modernen Forderungen wenig entsprechende Einteilung in der alten Ambraser Sammlung , nadi allen wediselnden Geschicken , nach der Übertragung in die Reichshauptstadt, nach ihrer Fusion mit anderen Beständen selbst heute , in der dermalen noch geltenden Aufstellung im neuen kunsthistorischen Hofmuseum nicht ganz verwischt ist. Vielleicht wäre die historisdie Kontinuität mit größerem Vorteil auf einem anderen Gebiet gewahrt geblieben, nämlidi in einer wenigstens teilweisen und exempelhaften Erhaltung der Naturseltenheiten und Kuriosa in irgend einer bescheidenen Ecke. Wir sind dadurch um ein kultur- geschichtliches Bild von nicht ganz geringem Interesse gekommen, denn die meisten dieser alten Kuriositäten versdiwinden natürlich unter den zumeist viel reicheren und besseren Exemplaren des naturhistorischen Museums, in das



Fig. 24. Die Hochzeitsgesdienlie Karls IX. von Franltreidi. (Wien, Hofmuseum.)


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V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


sie abgegeben wurden, gänzlich, da sie heute nur mehr historisch als Ganzes eine Wirkung ausüben können.

Wir wollen nunmehr den Inhalt der einzelnen Kästen in ihrer Auf- stellung von 1596 näher betrachten. Der erste blau gestrichene Kasten ent- hielt auf mehreren „Stellen" eine große Reihe künstlich geschnittener, in Gold gefaßter und emaillierter Kristallgefäße, darunter mehrere als phantastisdie Tiergestalten, Drachen u. dgl. gebildet, wie man das besonders liebte. Eine



Fig. 25. Burgundische Emailbedier. (Wien, Hofmuseum.)


Anzahl soldier Kristallgefässe aus Ambras, meist Arbeiten italienisdier Künst- ler und zum Teil noch mit ihren alten goldgestanzten Lederfutteralen erhalten, befindet sich heute in den Sammlungen des Kaiserhauses, darunter der im Inventar erwähnte kristallene ,Raiger' (Reiher, Fig. 23). Außerdem waren hier eine Anzahl kostbarer Gefäße in Halbedelstein, wie sie von jeher eine besondere Zierde fürstlicher Schatzkammern bildeten, zumeist Gesclienke befreundeter Fürsten, wie des Herzogs von Mantua, Kaiser Rudolfs u. a. Die wertvollste unter allen diesen Widmungen war ebenfalls hier bewahrt, das Angebinde, das König Karl IX. von Frankreich Erzherzog Ferdinand verehrte, als ihn


II. Die Kunst- und Wunderkaiiim


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dieser bei seiner Vermählung per procuram mit der Kaisertochter Elisabeth 1570 zu Speier vertrat: außer der berühmten Saliera Cellinis, eine herrliche, mit Edelsteinen und Goldemail gezierte Onyxkanne , deren Genosse , ein prächtiger Onyxpokal, sich noch heute in der Galerie d'Äpollon des Louvre befindet, dann ein goldener Becher mit der Figur des Erzengels Michael, dessen Rüstung in schwarzen Diamanten blitzt, endlich eine Kristallsdiale, alles in allem ein wahrhaft königliches Geschenk, dessen Wert schon der venezianische Gesandte Michiel in seiner aus Speier an den Dogen ge- sandten Relation gebührend bewundert hat, und das heute noch zu den



Fig. 26. Greifenklauen. (Wien, Hofmuseuni.)


größten Schätzen der kaiserlichen Sammlungen gehört (Fig. 24). Auch der Bär als Flintenschütze, „aus lauter Pisam, inwendig ganz golden, mit Dia- mant, Rubin und Perl verziert", ist noch vorhanden, er gehört zu jenen Nippes, die mit wohlriechender Masse überzogen, schon im Mittelalter an den Höfen beliebt waren (s. o. Fig. 14).

Der zweite (grüne) Kasten enthielt allerhand künstliche Gold- und Silberschmiedearbeiten, die zum größten Teil heute noch in den kaiserlichen Sammlungen erhalten sind. Vieles darunter reicht in ältere Zeit zurück, so die „Hofpecher" : der Werdenbergische und vor allem Kaiser Friedrich III. Pokal mit der Inschrift : Äquila Eius Juste Omnia Vincet, höchst seltene Er- zeugnisse einer im XV. Jahrhundert blühenden eigentümlichen Technik, die

V. Sdilosser, Kunst- und Wunderkammern. ^


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V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkanimern der Spätrenaissance.



das alte Inventar als „niederländisches Schmelzwerk" bezeichnet (Fig. 25). Vieles findet sich hier, was an die alten Sdiatz- kammern erinnert. Ein kleiner Aufsatz („Kredenz") mit 15 gefaßten „Natterzungen" (Haifischzähnen) und hübschem gotischen Fuß geht vielleicht ebenfalls auf Friedrich III. zu- rück (s.o. Fig. 14). Dann finden wir hier die Greifenklauen wieder, seltene Hörner exoti- scher Tiere in ebenso seltsamer Fassung, wie das noch erhaltene mit dem montforti- schen Wappen (Fig. 26), eine „indianische Nuß wie ain Narren-Kappen" in Silber ge- faßt (Fig. 27), ein Straußenei, desgleichen „indianische Schnecken", Rhinozeroshörner und ähnliches, ein silbernes Schreibzeug mit Naturabgüssen von Muscheln und kleinem Getier, wie man derlei in jener Zeit (man denke nur an Jamnitzer, aber auch an Palissy) liebte, eine ganze Garnitur aus vergoldetem Silber mit Pilgermuscheln besetzt, augsburgischer Arbeit aus der Zeit Ferdinands, namentlich der Leuchter mit einem Meerdämon hübsch und originell komponiert (Fig. 28).

Der dritte (rote) Kasten enthielt fast durchaus eine ganz eigentümliche und in ihrer Art einzig dastehende Sammlung, die sog. Handsteine. Wenn sie auch anderwärts vorkommen, so haben sie doch etwas spezifisch Tirolerisches und sind für den Geist des Zeitalters sehr charakteristisch. Man versteht darunter besonders sdiöne Proben meist von Silberglaserz, die vornehmlich aus den Gruben von Sdiwaz stammen und als Geschenke der Bergknappen-


Fig. 27. Narrenkappe. (Wien, Hofmuseum.)



Fig. 28. Musdielgcräte aus Ambras. (Wien, Hofmuseum.)



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V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Schaft dem Landesvatcr bei besonderen Anlässen verehrt wurden (Fig. 29). In alten Tiroler Bergwerksgebäuden sieht man solche Stücke nodi heute ein- gemauert. Die aus Ambras, fast alle noch erhalten, sind sehr geschickt zu allerhand biblischen Historien, Calvarien-, Olbergen u. s. w. verschnitten, gern



Fig. 30. Ambraser Musikinstrumente. (Wien. Hofmuseum.)


auch als kleine Bergwerke oder Burgen gestaltet ; sie haben dadurch, sowie wegen ihrer meist trefflich gearbeiteten silbervergoldeten Ständer einen ganz ansehnlichen Kunstwert. Leider ist das hervorragendste und kunsthistorisch interessanteste Stück verschwunden, vermutlich wie so manches der Art in den Schmelzofen gewandert: ein großer als Berg gebildeter Handstein, auf dem sich eine Anzahl von wildem und zahmem Getier, künstlicli in Silber ge- arbeitet, tummelte. Es ist das umsomehr zu bedauern, als es wahrsdieinlich mit


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II. Die Kunst- und Wunderkammern.


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dem großen silbernen Aufsatz identisch war, den Erzherzog Ferdinand 1556 bei Wenzel Jamnitzer bestellt hatte*"').

Diese „Handsteine" zeigen den Cha- rakter der Kunstkammern jener Zeit be- sonders scharf ausgeprägt in ihrer Vereini- gung des Interesses an Naturprodukten mit der Freude an deren künstlerischer Fassung und Ausgestaltung. Es ist das ein deutlicher Nachklang mittelalterlicher Sinnesweise. An sie sclilossen sich denn auch in jenem Ambraser Schranke sofort weitere ungefaßte Erzproben an, zum Teil aus Spanien und den Vorlanden stammend; wie sehr der Erzherzog auch diese Abteilung zu erweitern bemüht war, geht daraus hervor, daß er sich 1577 an den König von Spanien um dergleichen „Hand- steine" wendet. (Jahrbuch Reg. XIV, 10672.) Solche Stufen und Grubenstücke kommen übrigens auch in andern Sammlungen jener Zeit vor, so in der Dresdener Kunstkammer, in der schon 1587 eine kleine Sammlung geschnittener Handsteine vorhanden war. **^) Fig. 31. Alte Musikinstrumente aus Sie sind jedoch möglicherweise Geschenke Ambras. (Wien, Hofmuseum.) Erzherzog Ferdinands gewesen, umsomehr als

eines der noch heute im grünen Gewölbe vor- handenen Stücke dieser Art das Monogramm desselben Tiroler Golschmiedes C. V. trägt, von dem ein großer Teil der Ambraser Handsteine herrührt.

Der vierte (weiße) Kasten enthielt eine Sammlung, die eben- falls noch heute, wenn auch ge- mindert, in den kaiserlichen Museen beisammen ist, die Musikinstru- mente. (Fig. 30.) Das Hauptstück darunter ist eine präditige Zither, reich geschnitzt und bemalt mit einem entzückenden Figürchen der Lucretia Romana an der Schnecke, die Ferdinand bei dem damals be- rühmten Lautenmacher Girolamo (de Virchis) von Brescia für sich hat an- fertigen lassen. Einer der seltenen „echiquiers", eine Vereinigung von Bretspiel und einem kleinen Orgel-

und Klavierwerk, befand sich eben- ^. ^^ ^ , „ ,.

r ,, , . , , , , TT Fiq. 33. Trompeterwerk aus Ambras,

falls hier: wohl das von dem Augs- (^j^^-; Hofmuseum.)



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V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.



Fig. 32. MathematiscliG Instrumente. (Wien, Hofmuseum.)


burger Änton Mcidling 1587 gefertigte Stück der kaiserlichen Sammlungen. Audi das Quintett der fünf „Tartöld, wie Drackhen geformiert", eine Art selt- sam gestalteter Rackette, die bei Mummenschanzen oder dgl. Verwendung ge- funden haben mögen, ist nodi in seiner alten Kassette vorhanden. Audi da zeigt sidi übrigens das historische Interesse des Erzherzogs. Denn die „große seltsame Lauten" des alten Inventars ist keine andere als die merkwürdige sicher noch in das XV. Jahrhundert zurückreichende Baßlaute des Hofmuseums (Fig. 31); ein einigermaßen verwandtes Instrument ist auf dem aus dem XIV. Jahr- hundert stammenden Gemälde der Anbetung des Lammes in der Kreuzkapellc zu Karlstein bei Prag zu sehen. Unter den Blasinstrumenten findet sich als ein merkwürdiges ethnographisches Altertum ein großes „allgäuisches Wald- horn" (Alpenhorn), mit Bast umwickelt. Audi das ist noch vorhanden und bezeugt die Aufmerksamkeit des fürstlichen Sammlers auf derlei, von uns heut- zutage sehr wertgeschätzte Reliquien primitiven Volkslebens. Im übrigen ist


II. Die Kunst- und Wunderkammern.

das Sammeln von seltenen, alter- tümlichen oder kunstvoll verzierten Musikinstrumenten in der ganzen Renaissance beliebt gewesen, so- wohl in Italien als im Norden.^") Der fünfte („leibfarbene") Kasten enthielt eine andere in sich geschlossene Kollekhon, die keiner Kunstkammer fehlen durfte. (Fig.32.) Das sind die Kunstuhren, die astronomischen, optischen, mathe- matischen Instrumente, wie Astro- labien, Kompasse, Guckkasten, Fernrohre, endlicli die Automaten, wie die beiden noch erhaltenen, das Trompetenwerk mit den Figur-' chen von zehn Bläsern und einem Pauker, die eine kurios schnur- rende Sinfonia aufführen, (Fig. 53) und der Glockenturm mit verschie- denen komischen Figuren, wo denn zum Schlüsse ein sehr derber Spaß aus einem bei unsern Altvordern überaus beliebten Kapitel nicht fehlt, (Fig. 34) beides Gesctienke der bayrischen Herzoge Ferdinand und Wilhelm V. an ihren Onkel auf



Fig. 35. GaleremitTrompetenwerk,

vielleicht aus dem Besitz Rudolf II.

(Wien, Hofmuseum.)


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Fig. 54. Glockenturm, mechanisches Spielwerk aus Ambras. (Wien, Hofmuseum.)


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V. Sclilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Ambras, und beide wohl in Augsburg, der Hauptwerkstatt für dcrgleidien mechanische Spielwerke, angefertigt (s. o. Fig. 35). Auch die Kunst- uhren entsprechen ganz der Sinnesweise jener Zeit, da sie nicht nur die Stunden, sondern auchden ganzen Kalender, die Be- wegung der Planeten usw. mit manchem kuriosen Mätzchen anzeigen (Fig. 36). Die beiden großen Uhrplanetarien aus Am- bras, in reich verzierten Holzgehäusen, das eine 1 584 von Joh. Schönemann zu Konstanz, das andere laut dem alten Inventar in Böhmen für den Erz- herzog gearbeitet, sind noch vorhanden. Diese einstens in Ambras be- findliche Kollektion bildet, heute mit den alten Be- ständen des ehemaligen physikalischen Kabinetts vereinigt, noch heute eine eigene Abteilung der kunst- gewerblichen Sammlungen im neuen Hofmuseum. (Fig. 37.) Ihre Objekte sind, abgesehen von ihrem beträchtlichen Kunstwert, nicht unbedeutende kultur- historisclieZeugen mensch- lichen Scharfsinns und menschlicher Geschicklich- keit. Manches stammt der Tradition nach aus dem Besitze Tycho de Brahes; an dieser Stelle soll keinen- falls das merkwürdige, auch den Weimarer Kunst- freunden nicht unbekannt

^. ^^ „ gebliebene Horoskop von

Fig. 36. Äugsburger Uhr von Buschmann mit einem elfen- ,.r ,, , •

beinernen Tödlein von Ängermeyer, Änf. des XVII. Jahrh. Wallenstein vergessen

(Wien, Hofmuseum.) werden.^^) (Fig. 38.)



II. Die Kunst- und Wunderkaininerri.


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Fig. 37. Äugsburger Musikautomat. (Wien, Hofmuseum.)


Der nachfolgende sechste oder „ascherfarbene" Kasten gibt noch mehr ein rechtes Spiegelbild damaligen Sammelwesens. Er enthielt durchaus Sachen aus Stein, kleine Bildwerke aus Alabaster, Kehlheimer Stein u. dgl., darunter das noch vorhandene Tödlein in seinem Ebenholzschränkclien (Fig. 39), nadi des Vesalius Anatomie von 1543 geschnitten und in den Gedankenkreis der noch lange, von Spanien bis in den Norden beliebten Todesbilder gehörig, dann einen „geschnüczleten Herzog von Venedig" d. i. den Dogen Pasquale Cicogna (f 1595) mit seinem Wappentier, dem Storch (Fig. 40), einige Mosaiken, endlich eine bunte Menge von kuriosen Mineralien, roh und verarbeitet, als Schalen aus Serpentinstein „so aus Meichsen (Mexiko) khomen", „Krotten-, Adler-, Sternstaine", dann Gestein vom Berge Libanon, endlich Petrefakte von Tieren und Pflanzen.

Audi im nächsten siebenten Schranke schlug das Kuriose und Künstliche vor. Er enthielt allerhand Eisenwerk, seltsam ver- zierte und künstliche Schlösser (Fig. 41), „so man mit kainem schlissl aufthuen khan"; zwei eiserne „Maulbirnen" (noch vorhanden), allerlei Handwerkszeug „auf schwarzen Taflen aufgemacht" (drei davon, Gerät von Bild- hauern und Büdisenmachern enthaltend, noch erhalten). Der „ganz eisene seszel, von



Fig. 38. Horoskop Wallensteins. (Wien, Hofmuseum.)


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V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Kunststuckhen gemacht" ist möglidierweise der bekannte Fangstuhl aus dem Bacduisheiligtum von Ambras, von dem ältere Reiseberichte zu erzählen wissen. (Fig. 42.)

Im achten Kasten waren die kostbarsten Miniaturhandschriften zu sehen, von denen vorhin die Rede war, darunter die auf Wenzel I. und Maximilian I. zurückgehenden Cimelien , ferner die Klebebände der Kupferstichsammlung und als Zugabe manche einschlägige Rarität und Kuriosität, als ein Vexier- büdilein und dergleichen. Hier hatten auch die Rollen mit bildlichen Dar- stellungen von Hufzügen, Tur- nieren und Mummenschänzen am Hofe Ferdinands ihre Unterkunft gefunden.

Der neunte Kasten. Er enthielt durchaus Arbeiten einer eigentümlichen Technik, die in das Gebiet der überseeischen Kuriositäten gehört, nämlidi Feder- mosaiken aus Kolibrifedern und verwandte Sachen, wie sie bis in die diristlich-spanische Zeit von den indianischen Eingeborenen der neuen Welt aus dem bunten Gefieder tropischer Vögel ange- fertigt wurden. Darunter ragt als besonderes Schaustück der präch- tige und geschichtlich merkwür- dige Federschmuck hervor („möri- scher Huet" , „Fächer" und „Schild"), der jetzt in der ethno- graphischen Sammlung des natur- historischen Hofmuseums in Wien bewahrt wird, und ebenso, wie das berühmte Syenitbeil der kaiserlichen Waffensammlung von der Überlieferung dem Montezuma von Mexiko beigelegt wird. In der Tat ist es urkundlich sicher gestellt, daß diese Stücke, mit anderen angeblich einen Ornat von Opferpriestern bildend, im Jahre 1524 als Geschenk Karl V. an den nachmaligen Kaiser Ferdinand gekommen sind, der sie seinerseits auf den Sohn vererbt hat.^'-*) (Fig. 43 — 45.) Von den übrigen in diristlichen Missionen entstandenen Kolibrimosaiken ist einiges, so eine Intel, Heiligen- bilder usw. noch vorhandan. Die Bälge dreier „Paradiesvögel" waren, in der lehrhaften Art solcher Kollektionen, mit ausgestellt.

Der folgende Kasten war ein Quersdirank und enthielt allerhand Ar- beiten in Elfenbein und verwandtem Material. Hier trifft man einen „Oliphant" (noch vorhanden), ein wohlbekanntes altes Inventarstück der Sdiatzkammern, Cofanetti aus der langlebigen Werkstatt der Embriachi in Venedig, eines der



Fig. 39. Tödleinsdirank. (Wien, Hofmuseum.)


II. Die Kunst- und Wuiuleikaimuern.


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niedlidien ElfGiibeinkästdieii des französischen Mittelalters (mit der Novelle der cliätelaine de Vergi, noch vorhanden), und noch manch anderes „altfrennckhische stuckh", der im Norden stets beliebten und gerade damals wieder zu neuem Ansehen gelangenden Kleinplastik in Elfenbein angehörig (Fig. 46), selbstverständlich aucli ein und die andere Probe der so hoch- gesdiätzten künstlidien Dredisle- reien. Eine besondere Kuriosität, der man erst heute wieder, nach Erschließung des Beninlandes, In- teresse und Antwort über ihre Herkunft abgewonnen hat, sind die seltsamen westafrikanischen Blashörner, die zumeist von den Portugiesen nadi Europa gebracht wurden und in alten Sammlungen (neben Löffeln u. dgl.) nicht selten vorkommen."'") Für den Anteil, den sie damals erweckten, spricht nicht bloß die von dem alten


Fig. 40. Der Doge Cicogna. (Wien, Hofmuseum.)

Praetorius in seinem Theatrum instrumentorum von 1619 (Tab. XXX, 4) mitgeteilte Abbildung, sondern auch, daß Sandrart ihnen in seiner Teutschen Akademie (Ausgabe von 1679. II., 89) einen Exkurs widmete. (Fig. 47.)

Ein zweiter „Zwerchkasten" war aus- schließlich den Curiosis gewidmet. Da finden wir: ein Scheit Holz, das zu Stein geworden war, als es ein ungläubiger Bauersmann am Tage eines Heiligen unter gröblichen Reden spalten wollte, ein Stüd^ von dem Strid^, daran sich Judas erhängte, von Sebastian Schertlin beim Sacco di Roma aus St. Peter erbeutet, ein Zapfen von den Zedern des Libanon, die zum Bau des saIomonis±en Tempels dienten, ein Hirschgeweih, das an einem Judenhaus angebradit, an einem Char- freitag Blut geschwitzt hat, und andere solcher



Fig. 41. Kunstschloß. {Wien, Hofmuseum.)


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V. Sdilosser. Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.



Fig. 42. Fangstuhl aus Ambras. (Wien, Hofmuseum.)


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kurioser Profanreliquien mehr, die die Denk- weise selbst dieser humanistisch gebildeten, aber noch voll von Wunder- und Aber- glauben steckenden Zeit noch kennzeichnen. Daran reihen sich Altertumsfunde, die hier zur Illustrierung heidnischer Abgötterei dienen, gläserne und irdene Aschengefäße aus Brandgräbern, ein paar Idole und anderes, das vielleicht dem damals sdion ziemlich entwickelten Fälscherwesen aufs Kerbholz zu sdireiben ist, wie „ain Staines geheus, wie ain Thurn geformiert, so vor jaren zu abgötterei gebraucht worden, in dem undern Thail ain metallene änten und in dem obern sein die rauchopfer verriebt worden."

Der zehnte Kasten ist v^on geringerem Interesse, er enthielt lediglidi allerhand Gefäße und Geräte aus Alabaster. Audi der elfte (schwarze) Kasten mit den Glas- sachen, wohl vorzugsweise venezianischer Provenienz, enthielt nichts besonders Merk- würdiges, außer der interessanten, nodi heute erhaltenen und durch ihre ungemeine Seltenheit ausgezeidineten Kollektion von muranesisdier Quincaillerieware, kleine Sdimuckstücke in Gestalt von Blumen und allerlei Tieren, auch Rosenkränze, Ketten usw. an der Lampe geblasen, in einer



Fig. 44. Fächer aus Ambras. (Wien, Naturhistorisches Hofmuseum.)


Fig. 43. Federsdiild aus Ambras. (Wien, Naturhistorisdies Hofmuseum.)


II. Die Kunst- und Wunderkammern.


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Technik, die den Verfall von Murano überlebt hat und bis heute Exportartikel für Barbaren und Wilde liefert. Dazu gehören denn auch die hier abgebildeten, ungemein seltenen und köstlidien Figürchen von drei Eisenfressern der vene- zianischen Komödie (Fig. 48); nur auf der Rosenborg in Kopenhagen, einer in ihrem Charakter der Ambraser verwandten Sammlung hat sich ein Pendant in der aus dem Besitze Karel van Manders d. J. stammenden Gruppe der soge- nannten Morraspieler erhalten.



Fig. 45. Federmantel aus Ambras. (Wien, Naturhistorisdies Hofmuseum.)


Der zw^ölfte Kasten, mit den Arbeiten aus Korallen (Fig. 49), einem Material, das damals wie heute seiner Seltsamkeit und Seltenheit halber hoch- geschätzt und bezahlt wurde. Was dav^on noch erhalten, ist zumeist wieder nach Ambras zurückgekommen, als deutliches Zeichen für das geringe Interesse, das man heute diesen Dingen entgegenbringt. Ein sehr schönes Beispiel auch noch in anderer Hinsicht ein Beitrag zu unserm Thema der Kuriosität, das jedoch nicht aus Ambras stammt, ist der hier abgebildete Straußeneipokal, eine Äugsburger Arbeit des XVI. Jahrhunderts, vordem in der Schatzkammer. (Fig. 50.)


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V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Das Inventar führt ganze Kästchen und Aufsätze mit dem Calvarienberg, mythologischen Figuren u, dgl. an, daneben jene noch im folgenden Jahr- hundert beliebten „Cabinets", die den Geschmack der Zeit recht ausprägend, sicti als kleine kunstvoll arrangierte Thesauren von Muscheln und sonstigen



Fig. 46. Kunstarbeiten in Elfenbein. (Wien, Hofmuseum.)


Meergewächsen darstellen. Ein präditiges Beispiel ist das freilidi nicht von Ferdinand, sondern von Rudolf II. stammende Kabinett der kaiserliclien Samm- lungen, das nach wunderlichen Irrfahrten wieder aus Schweden zurückgelangt ist. (Fig. 51.) Auch ungefaßte Korallen von seltener Form und Farbe waren auf Ambras in großer Zahl vorhanden.


II. Die Kunst- und Wunderkamniorn.


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Der dreizehnte Kasten ent- hielt die nicht unbedeutende Samm- lung kleiner Bronzebildwerke, An- tikes und Modernes bunt durch- einander. Die Naivität der Be- schreibungen fällt hier besonders auf; ein Merkur wird folgender- maßen besclirieben: „ain gegossens mannsbild, siezt auf aim metallen stöckhl, hat fligl an füeßen und ain poret mit flugl auf". Manches treff- liche Stück der ausgezeidineten Bronzesammlung des Wiener Mu- seums stammt aus Ambras, so die entzückende, fast wie eine moderne Arbeit anmutende Venusstatuette ohne Arme (Fig. 52), als Nach- ahmung der Antike für Liebhaber gedacht; ein trunkener jugendlicher Satyr; ein Original des Giovanni da Bologna; ein ausgezeichneter deut- scher Türzieher mit der Lucretia Romana, sowie einer der seltenen deutschen Zinngüsse des XVI. Jahrh., wiederum eine Venus darstellend; enlich das nackte Frauenbild auf einer Matte, wohl eine paduanische Bronze aus dem Atelier des Riccio.



Fig. 47. Indischer Fächer aus Ambras und

westafrikanische Blashörner und Löffel.

(Wien, Hofmuseum.)



Fig. 49, Korallenarbeiten. (Wien, Hofmuseum.)


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V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Der vierzehnte Kasten war der Keramik gewidmet. Von besonderem Interesse ist hier eine ziemlich große Anzahl von „porzelanaschisselen", die nach der Beschreibung des Inventars offenbar als das damals längst bekannte, in Italien selbst nacligeahmte ostasiatische Porzellan anzusprechen sind. Im XVII. Jahrhundert beginnt ja schon, namentlich durch die holländischen Fak- toreien vermittelt, der regelmäßige Export nach Europa. In der Tat bewahren die kaiserlichen Sammlungen (außer einigen durdi ihr Älter merkwürdigen Lack-



Fig. 48. Glasfigürdien aus Ambras. (Wien, Hofmuseuni.)


arbeiten u. dgl.) eine kleine Anzahl sehr schöner Schüsseln und Schalen aus der alten Ambraser Sammlung. (Fig. 53.) Ein sehr merkwürdiges Zeugnis früher Nachahmung der ostasiatischen Dekorationsweise ist eine Tischplatte, die, laut dem alten Inventar, vom Kardinal Andreas, Ferdinands Sohn, geschenkt wurde, sich 1596 aber nicht mehr in der Kunstkammer, sondern in der an- stoßenden Bibliothek befand. (Fig. 54.) Ferner finden wir Gefäße aus Terra sigillata, europäische und, wie es scheint, wiederum ostasiatische („indianisdie") Fayencen. Auch da fehlen nicht Spaße, wie der noch erhaltene Vexierkrug des Konrad Leitgeb (von 1571). Die merkwürdigen Tiroler Majoliken, humo- ristische Trinkgefäße in Gestalt niedlicher Genrefiguren, die Christoph Gandtner zu Innsbruck in den achtziger Jahren für Ferdinand ausführte, und die heute


II. Die Kunst- und Wundcrkanimern.

eine einzig dastehende Kollektion bilden, waren damals mit Ausnahme eines lustigen Humpens, noch niclit in der Kunstkammer aufgestellt. (Fig. 55 u. 56.) Dagegen haben hier einige Gefäße und Graburnen mit ihrem In- halt Aufnahme gefunden, darunter wohl auch solche aus vorgescliicht- liclien Zeiten, wie denn ein Stück als in Schlesien gefunden namhaft ge- maclit wird. Italienische Majoliken müssen auffallenderweise fast gänz- lich gefehlt haben; die jetzige statt- liche Sammlung scheint erst im fol- genden Jahrhundert mit Claudia von Medici nach Ambras gekommen zu sein.

Fünfzehnter Kasten, sehrman- nigfachen Inhalts. Vor allem ent- hielt er den größten Teil der be- deutenden Münzsammlung Ferdi- nands, die sowohl griediisch-'-ömisclie „antiquitetpfenning" als neuere Prä- gungen umfaßte; ihren Wert können wir am besten daran ermessen, daß sie der französische Arzt und Anti- quar Patin in seinem Reisebericht von 1673 mit hohem Lobe bedenkt und dem Pariser Kabinett an die Seite stellt. Die Münzensammlung war ebenso wie die unmittelbar sich anschließende Gemmensammlung (un- gefähr 2000 Stück), die Ferdinand von den Montfortischen Erben ge- kauft hatte — ein Hauptstück daraus ist der angeblich in Tirol gefundene Bildsiegelring des Westgoten Alarich — in kunstvoll gearbeiteten Schränken („Schreibtisch", scrittojo) unterge- bracht, von denen einige noch in den Wiener Hofsammlungen vorhanden sind. Der schönste darunter, einst zur Aufnahme der römischen Gold- münzen bestimmt, ist ein Ebenholz- schrein, als Tempel gestaltet und mit zahlreichen allegorischen, vergoldeten

V. Schlosser, Kunst- und Wunderkammern.



Fig. 50, Augsburger StrauBeneipokal.

(Wien, Hofmuseum.) 5


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V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Bronzcfigürdien gesdimückt, ein vortreffliches Beispiel des damaligen, in den Augsburger Werkstätten vorherrschenden architektonischen Geschmacks. (Fig. 57.)

Seltsam berührt es uns, daß in einer Lade dieses Münzschränkleins ein edites und redites Kuriosum Unterkunft gefunden hatte, nämlich ein Älraunen- paar (Wurzel vom Allermannskraut), Männlein und Weiblein zierlich auf blauem Taffet gebettet; ein anderes dergleichen, das man auf Rudolf II. zurückführen will, bewahrt heute noch die Hofbibliothek in Wien -^^j (vgl. Fig. 77). Sonst waren hier noch eine Anzahl jener zierlichen Schränkchen und Kabinette der deutschen Spätrenaissance mit ihrer charakteristischen Ausstattung in Ebenholz und Silber- besdilägen (Fig. 58) vorhanden, die allerhand gute Dinge enthielten, künstliche Sachen aus wohlriedienden Stoffen, wie wir derlei schon kennen, Bijoux und Anhenker in der üppigen Weise der am Hofe Rudolf II. tätigen Goldschmiede, zumeist mit Verwendung abenteuerlich gestalteter Monstreperlen. von denen sich der neuere Geschmack ebenso sehr abgewendet hat, wie sie der damalige bevorzugte. Das niedliche „venedigisch gundele mit dem magnifico und seiner cortesana" ist auch noch vorhanden. (Fig. 59.) Endlich Kleingerät anderer Art, wie die oft hödist kostbaren Hutmedaillen, Emailsachen, darunter ein noch erhaltenes sehr frühes und merkwürdiges Medaillon südfranzösischer Herkunft, endlich allerhand künstliches Drehwerk, auch eine der so beliebten mikrotedi- nischcn Spielereien, ein geschnitzter Kirschkern.



Fig. 51. Cabinet Rudolf II. (Wien, Hofmuseum.)


II. Die Kunst- iiiul Wuiuicrk;mitiier!i.


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Der sechzehnte Kasten gibt wieder ein individuelles Zeugnis für Ferdinands Sinnesweise. Er enthielt nämlicli eine große Zahl merkwürdiger Waffen, altertümliche und seltene Stücke, be- sonders auch „indianisdier" Herkunft (worunter das früher genannte Sycnitbeil des Montezuma), Jagdgerät und anderes, darunter ein heidnisches Opfermesser. Daß Türkisclies und Westindisches eine besondere Rolle spielt, bedarf hier, bei einem Sprossen des Hauses Habsburg, keiner Erklärung. Nidit zu vergessen sind endlidi die von Päpsten geweihten Sdiwerter und Hüte, die noch heute in einer besonderen Vitrine der kaiserl. Waffen- sammlung zur Sdiau stehen.'^'-) (Fig. 60.)

Recht kunterbunt sah es wieder in dem folgenden siebzehnten („leibfarbcnen") Schrank aus, darum mit Fug „Variokasten" zubenannt. Es waren in erster Linie ethnographische Selten- heiten, die hier versammelt waren, west- und ost- indisdier, türkischer, moskowitisdier, gewiß audi ostasiatischer Herkunft. Einige chinesisdie Wand- behänge sind im alten Inventar von 1596 be- sdirieben; zwei von diesen durch ihr Alter be- merkenswerten Stücken befinden sich heute, ab- gesehen von einer ebenfalls aus Ambras stam- menden geflochtenen Matte, in der ethnographi- sdien Sammlung des naturhistorisdien Hofmuseums in Wien •■') (Fig. 61). Von den beiden noch heute in den kaiserlidien Sammlungen befind- lidien und durdi ihr Alter merkwürdigen indi- schen Fächern in durdibrochener Elfenbeinschnitzerei läßt sidi wenigstens der eine noch auf Ferdinan- deische Zeit zurückführen (s. o. Fig. 47). Des weiteren waren hier allerhand exotische und „alt- fränkische" Kleidungsstücke, historische Kuriosi- täten, wie ein Waidbesteck Kaiser Friedridi 111., Jacobstatuetten aus Bergpech, wie solche die Wallfahrer aus dem entlegenen St. Jago di Com- Fig. 52. VenezlanisdielBronze postella heimbraditen (Fig. 62), dann merkwürdige vom Ende des^XV. Jahrh. aus alte Spielkarten und sonstiges Spielzeug, Dinge, die ganz mit dem, was man heute mit einem alten Studiosenausdruck als „Jux" bezeichnet,

übereinstimmen, als Vexierspiegel, Kästchen mit hervorschnellenden Sdilangen (auf dem Deckel als „ain herrlich sehen kunststuckh" bezeichnet) usw. Manches ist davon noch erhalten, so eine kuriose Spielerei, wohl aus dem schon damals mit dergleichen Tand handelnden Nürnberg stammend: eine

5*



Ambras. (Wien. Hofmuseum.)


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V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Schachtel mit allerlei Gewürm und Geziefer, die, wenn sie in die Hand genommen wird, durch die Erschütterung Bewegung und phantastisches Leben in jenem etwas grauerlichen Inhalt vortäuscht. Zuguterletzt waren in diesem „Variokasten" noch die Wachsbossierungen untergebracht; der Erz- herzog besaß eine Anzahl vortrefflicher Stücke, zumeist aus dem in diesem Fach berühmten Venedig stammend. Erhalten ist davon u. a. ein sehr schönes Relief der Lcda und vor allem Ferdinands eigenes Bildnis in jüngeren Jahren, anscheinend von dem Paduaner Segala gefertigt. (Fig. 63.)

Der letzte, achtzehnte Kasten enthielt endlicli Bildwerke aus Holz. Daß diesen eine eigene Abteilung eingeräumt wurde, ist ja gerade in Tirol, dieser



Fig. 53. Ostasiatisdie Objekte aus Ambras. (Wien, Hofniuseum.)


alten Heimat der Bildsclinitzerei , sehr begreiflicli; besonderes Interesse nimmt eine ganze große Serie von Holzstatuetten in Änsprudi, die Heiligen des Hauses Habsburg darstellend, und ohne Zweifel nadi der bekannten Holzschnittfolge des Leonhard Beck gearbeitet. Hier scheint sich ferner auch das merkwürdige Modelbuch eines deutschen Malers aus dem XV. Jahrhundert (jetzt in den kaiserlichen Sammlungen) befunden zu haben.

In Schubladen und Truhen war außerdem ein sehr bedeutender Be- standteil der Kunstkammer untergebracht, vor allem, abgesehen von den Land- karten, Miniaturwerken, Schriftmusterbüchern (Fig 64) und ähnliclien Dingen, die von Ferdinand angelegte historische Porträtsammlung, die jetzt in den Schausälen der Münzensammlung des a. h. Kaiserhauses übersichtlicli aufgestellt


II. Die Kunst- und Wundcrkammern.


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ist. Es ist dies, gleich der Waffensammlung, ein Feld gewesen, auf dem die iiistorischen Interessen des Erzherzogs besonders zur Geltung kamen. Im


^^fer




Fig. 54. Tischplatte aus Ambras. (Wien, Hofmuseum.)


übrigen macht er hier eine Mode seines Zeitalters mit. Schon früher hatte man in Italien mit dergleichen Sammlungen begonnen; die berühmteste von allen war die des Bischofs Paolo Giovio in Como (1552), vor allem merkwürdig


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V. Sdilosser. Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


für die Kunstgesdiichte durdi die Anregung, die direkt von ihr auf Vasaris Künstlerbiographien ausgegangen ist. Sie war auch sonst vorbildlich; nicht nur die heute im Uffiziengange aufgestellte Porträtssammlung Cosimo I. (um 1550 angelegt) geht auf sie zurück, sondern indirekt durch diese letztere, außer der ganz verwandten Herzogs Philipp IL von Pommern'**) auch die Ferdinandeische. Deren charakteristische Einteilung beruht zum großen Teil daher audi auf ihr; an der Spitze steht das Erzhaus Österreich (größtenteils nadi dem Ambraser Stammbaum), dann folgen die römisch-deutschen Kaiser,



Fig. 56. Tiroler Majoliken von Christoph Gandtner. (Wien, Hofmuseum.)


die Könige und Fürsten der verschiedenen Länder, mit einer besonderen Gruppe der orientalischen Porträts, dann die berühmten Männer, nach einem alten, in den biographischen Werken Italiens seit langem herkömmlichen Schema in Klassen geordnet. Die Bildnisse berühmter Juristen sind Kopien nach der 1566 gestochenen Galerie des Marco Benavides in Padua. Audi eine andere charakteristische Kategorie, die seit gewissen Medaillenserien der Renaissance bis in die neueste Zeit steter Beliebtheit sidi erfreut hat, sdieint für die Ambraser Sammlung beabsichtigt gewesen zu sein: eine Galerie schöner Frauen; der Hofmaler Francesco Terzio wird nämlich einmal mit einem dahin zielenden Auftrag bedacht. Auch hier hat der Erzherzog sich die Erweiterung der Sammlung, die von vornherein nach einem ganz bestimmten Plane, in


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V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


einem bestimmten, sehr handlidien Format angelegt war (wie sie denn 1596 in acht Ledertruhen verwahrt er- scheint), emsigst angelegen sein lassen; von Gerard van Roo, später besonders von Schrenckh von Notzing unter- stützt, ward er nicht müde, in ihrem Interesse zu korrespondieren, und hat es denn auch erreicht, daß sie bei seinem Tode nahe an tausend Stück umfaßte und jedenfalls die bedeutendste der damaligen Zeit geworden war. Dadurch, daß sie ganze, sonst schwer in solcher Vollständigkeit anzutreffende Bildnisreihen enthält, ist sie heute eine historische Quelle von nicht ge- ringem Wert und durch Kopien ver- schollener Originale, sowie dank ein- zelnen Stücken, die von der Hand guter Meister herrühren, (wie die vom jüngeren Kranach gemalte Serie der sächsisclien Fürsten), auch kunstge- schiclitlich nicht ganz ohne Interesse.

Zum Schlüsse ist noch die ganz dem Zeitgeschmack entsprechende Äus- staffierung der Kunstkammer durch Naturwunder aller Art zu erwähnen; an den Wänden, von den Decken hingen in bunter Misdiung allerhand ausge- stopfte Schlangen, Krokodile, Vögel, seltsame Geweihe, Mißgeburten, Knochen vorweltlicher Tiere (im Inventar natürlich als Riesengebein bezeichnet), die Wehr eines Sägehais usw.; nicht zu vergessen des noch heute in Schloß Ambras vorhandenen, durdi einen Eichbaum gewachsenen Geweihs eines gewaltigen Zweiundzwanzigenders, seit alter Zeit ein Hauptstück für die Neu- gier der Reisenden, Solche Dinge bilden die charakteristische Staffage und Umgebung des Ferdinandeischen Museums.

Bei der Ambraser Sammlung wurde deshalb so lange verweilt, weil sie das reichste, kompendiöseste und zugleich noch aus ihren alten Beständen trefflich zu illustrierende Beispiel der Kunst- und Wunderkammern ist. Audi Ferdinands Bruder Erzherzog Karl von Steiermark hatte in seiner Resi- denz Graz eine Kunstkammer angelegt, die besonders durdi ihren Reiditum an Musikinstrumenten auffällt."') Indessen ist sie mehr von lokaler Bedeutung; ihre Bestände sind 1765 nach Wien übertragen worden, wo sich noch heute mandies merkwürdige Stück daraus befindet. Der Ambraser Kollektion in der Anlage durchaus verwandt sind jedoch die Sammlungen der ja durch Bande des Blutes und nachbarlicher Freundsdiaft nahe verbundenen bayrisdien Herzoge Albert V.



Fig. 57.

Münzschränkchen Erziierzog Ferdinands.

(Wien, Hofmuseum.)


II. Die Kunst- und Wunderkammern.


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und Wilhelm V. Schon in der Ambraser Sammlung war unverkennbar ein methodisches Bestreben hervorgetreten, sie ist viel besser und vernünftiger ge- ordnet als die meisten gleichzeitigen Sammlungen, vor allem auch als die be- rühmte Prager Kunstkammer Rudolf 11. Die München er Sammlungen (von denen ein Inventar von 1598'"') existiert) sind vornehmlich dadurch interessant, daß ein niederländischer Arzt, Dr. Samuel von Quicheberg gerade im Hinblick auf sie, die älteste bekannte Methodologie solcher Museen verfaßt hat, die in einem Quartheft 1565 in der Adam Bergschen Offizin zu München im Druck er- schienen ist. Das historische Interesse wiegt daraus vor; die durchgehende Rücksicht auf spezielle Landesgeschichte, Heimats- und Volkskunde fällt uns erfreulich auf. Freilich streng wissenschaftliche, vor allem kunstgeschichtliche Prinzipien darf man von dem Mann nicht fordern, war man doch im Norden, obwohl gerade von diesen bayerischen Herzögen ein ansehnlicher Grundstock zu der später so berühmten Galerie gelegt worden ist, kaum erst zu einer Künstlergeschichte, wie sie Italien schon fast seit zwei Jahrhunderten pflegte, gekommen.

Quicheberg teilt sein „Theatrum sapientiae" in fünf Klassen, denen ver- schiedene Unterabteilungen (Inscriptiones) entsprechen. Die erste ist rein histo- risch, und schließt sich enge an die Person des Gründers selbst an. Hier sind also vertreten: historische Tabellen, Stammbäume, Familienporträts und Bild- nisse nahe verbundener Personen, allgemeine und spezielle Landkarten, ins- besondere das Reich des Stifters betreffend — denn ganz charakteristisdier Weise denkt der Nordländer Quicheberg zuvörderst und zunächst an fürstliche Personen und erst in zweiter Linie an Privatleute. Ferner Abbildungen von



Fig. 58. Augsburger Sdiränkchen, XVI. Jahrh. (Wien, Hofmuseum.)


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V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.



Fig. 59. Bijoux aus der Zeit Ferdinands von Tirol und Rudolf II.

(Wien, HofmusGum.)


Städten, Gebäuden, von öffentlidien Schaustellungen, Turnleren, Aufzügen aller Art'*'), von Tieren, (wiederum besonders solchen der engeren Heimat), endlich von Maschinen.

Die zweite Klasse entspricht ungefähr dem Inhalte der Kunst- kammern; ihre Inskriptionen um- fassen Statuen, künstliche Ar- beiten jeder Art, Münzen und Medaillen, Goldschmiede- und sonshge Modelle, endlicti exoti- sche Gerätsdiaften, Gefäße aus Ausgrabungen und solche, die demLande desStifters eigen- tümlicli sind. Die dritte Klasse enthält das Naturalienkabinett, mit allen drei Reichen, auch mit In- begriff der Anatomie des Men- schen. Es ist lehrreich zu sehen, wie auch da noch wissenschaft- liche und künstlerische Interessen neben-und ineinanderlaufen ;ganz wie der alte Plinius einst die



Fig. 60. Geweihter Hut, Gesdienk Gregor VIII.

an Erzherzog Ferdinand von Tirol.

(Wien, Hofmuseuni.)



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Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.




Künstlergeschichte als Anhang zu der Lehre von den Metallen und Gesteinen vorgetragen hatte, so werden hier die Naclibildungen von Tieren und Pflanzen (bis zu Seidenstickereien herab), die Edelsteine in ihren Goldschmiede- fassungen unmittelbar den reinen Naturpro- dukten beigegeben. Die vierte Klasse ist tech- nologischer Art, im wesentlichen schlägt hier noch die alte scholastische Lehre von den „Artes mechanicae" durch. Sie enthält die musikalischen, die mathematischen und astro- nomischen Instrumente, Schreib- und Malgerät, mechanische Werkzeuge und Maschinen aller Art (selbst Flugmaschinen), Handwerkszeug für Bildhauer, Drechsler, Goldsctimiede, Gießer, Zimmerleute u. s. f. (wir haben derlei schon in Ambras gefunden), chirurgische Instrumente, Geräte für Jagd, Vogelstellerei, Fischfang, Spiele, endlicli ethnographisch merkwürdige Dinge, Kleider und Geräte fremder Völker.

Die fünfte und letzte Klasse entspricht ungefähr der modernen Kategorie der Bilder-


Fig. 62. Jacobstatuette aus St. Jago

di Compostella.

(Wien, Hofmuseum.)

galerie nebst einem zugehörigen Kupfer- stichkabinett. Denn sie umfaßt Gemälde jeder Technik, Erzeugnisse des Stichels, endlich Handzeichnungen. Das Vor- wiegen des inhaltlichen historisclien In- teresses macht sich aber in den einzelnen Inskriptionen allsogleich geltend, wie denn überhaupt diese Museologie des Quiche- berg ein merkwürdiges Denkmal für die eigentümliche, von gegensätzlichen Stim- mungen beherrschte Sinnesweise der Nordländer ist.

Ein viel, viel bunteres und aben- teuerlicheres Bild gewährt eine dritte berühmte Kunstkammer der Spätrenais- sance, diejenige Kaiser Rudolf II. auf dem Hradschin zu Prag. ■^) Es ist



Fig. 65. Wadisporträt Erzli. Ferdinands.

Venezianisdi.

(Wien, Hofmuseum.)








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Fig. 64. Aus dem Schriftmusterbuch des Georg Bocsl^ay. (Wien, Hofmuseum.)



Fig. 66. Kokosnußl^anne von Anton Schweinberger aus Nürnberg für Rudolf II. gearbeitet.

(Wien , Hofmuseum.)


78 V. Sdilosscr, Die Kunst- und Wunderkammcrn der Spätrenaissance.

iinmöglicii, die mannigfaltigen und weit sich verzweigenden Beziehungen audi nur anzudeuten, in denen dieser Herrscher, vielfach, trotz aller patho- logisclicn Züge, ein typisdier Vertreter seiner Zeit, zu der gleichzeitigen Kunst stand, umsomehr als auf die gute Scliilderung verwiesen werden kann, die Heinricli Zimmermann von Rudolf und seinem Hofstaate von Künstlern und Antiquaren gegeben hat: den Abondio, Jamnitzer, Miseroni, de Vries, Spranger, Heinz, Savery, Strada, und allen den geschickten Augsburger und Nürnberger Meistern, die köstliche, heute zum Teil noch in den kaiserlichen Haussammlungen vorhandene Prunkstücke für ihn zu fertigen hatten (Fig. 65, 66). Rudolf II. ging namentlich in seinen späteren, von außen und innen umdüsterten Lebensjahren, völlig in seinen Sammlungen auf; wie dereinst dem Herzog Johann von Berry, versanken die politischen Geschäfte dem Oberhaupte des römischen Reiches deutscher Nation in nichts, wenn es sich um ein neu zu erwerbendes seltenes Stück handelte; es sind da eine Menge lebendiger Züge überliefert. Überall hält er geschickte und meist zuverlässige Agenten, die ihn über die Bewegungen in den Kunstsamm- lungen informieren; durch Geld und gute Worte, zuweilen durch gelinden Druck weiß er sich, zumal an den kleinen italienischen Höfen vieles zu sicliern. Als Gemäldesammlcr großen Stils befindet er sich im Norden an erster Stelle: unter seinen Schätzen waren Corregios Jo, Danae, Leda und Ganymed, Dürers Rosenkranzfest und Marter der Zehntausend, Gemälde Raffaels, Tizians, Hol- beins, Bronzewerke des Giambologna und Leoni, Antiken, wie das merk- würdige, verschollene, durdi die ganze Renaissance berühmte und einst im Besitze Ghibertis gewesene „Bett des Polyklet" und der vielgewanderte Ilioneus. Wo er des Originals nidit habhaft werden konnte, da ließ er sich wohl auch an Kopien geschickter Künstler genügen. So ersdieint er in seinen Neigungen ganz modern; gleidiwohl ist sein Bild als Freund der Kunst durch eigentüm- liche Brechungen versdioben, die einem Teile nach aus seinen anormalen An- lagen, zu einem anderen jedoch aus seiner Zeit und Umgebung hervorgehen. Man wird dessen deutlicher bei der Musterung der berühmten Sammlung auf dem Hradschin inne werden; in dem Urteile des Kardinals von Este, der sie 1604 bewunderte, liegt ein gewisser Doppelsinn, der dem feinen Wälsdien wohl zugemutet werden darf, wenn er erklärt, „der ganze Schatz sei seines Besitzers würdig". Rudolfs II. Kunstverständnis ist wohl nicht entfernt mit dem eines Philipp II. oder eines Leopold Wilhelm auf gleiche Linie zu stellen, mag er auch häufig Züge des richtigen Amateurs herauskehren, wie bei der Er- werbung des Rosenkranzfestes oder auch von Werken zeitgenössischer Künstler, wie eines erst neuerdings in den kaiserlichen Sammlungen wiedererkannten Reliefs des Giovanni da Bologna, bei dessen endlicher, lange vergebens er- strebter Übersendung durch den Hof von Modena er es sich nicht nehmen läßt, das begehrte Kunstwerk eigenhändig in sein Zimmer zu tragen, mit einem für den eifrigen Sammler charakteristischen Ausruf. Aber im ganzen gehört er doch, auch abgesehen von gev/issen mit seiner eigentümlichen Geistesanlage zusammenhängenden Bizarrerien, zu jener stets zahlreichen Klasse von Samm- lern, die das Seltene, schwer Erreidibare, wenn möglich dazu vom Nimbus des Altertümlichen umflossene als soldies vor allem anderen zu sdiätzen ge-



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V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


neigt sind. Audi war er von Sammlcrunarten keineswegs frei, und ihm als Herrscher war da schon ein ziemlicher Tummelplatz offen, so wenn er kost- bare Handsdiriften auf Nimmerwiedersehen entlehnt, wie das einmal dem Kloster Fulda mit dem Bildergedicht des Hrabanus Maurus de cruce begegnet ist.

Die weiteren höchst traurigen Schicksale der Rudolfinischen Kunstkammer, wie sie von Baiern, Sachsen, zuletzt den Schweden gebrandschatzt, gemindert und geplündert ward, bis zu jener unglücklichen Auktion in Josephinischer Zeit, die ihren Resten den Garaus machte, sind zu oft geschildert worden, um hier noch einmal im einzelnen Erwähnung finden zu müssen ; wir

ziehen es vor, über dies traurige Kapitel hinwegzueilen.

Leider sind wir über Rudolfs Samm- lungen im einzelnen recht mangelhaft unterrichtet. Das von Dudik in Schweden aufgestöberte, noch vor der Plünderung des Jahres 1 648 eilfertig verfaßte Inventar belehrt zwar über die allgemeine Anord- nung im XVII. Jahrhundert, ist aber im übrigen so summarisch, und vor allem in einer so gröblichen Form, bäuerisch in Ausdruck wie Auffassung gehalten, daß es nur wenig zur Aufklärung beiträgt. Charakteristisch und solcherart etwa in Italien schwer denkbar ist die Aufzählung des Bestandes der reichen, an achthundert Gemälde umfassenden Galerie, in der ein Künstlername überhaupt nicht vorkommt, während die Beschreibung der Stücke rein nach dem Inhalt mit den ärgerlichsten Verdrehungen und Mißverständnissen ge- geben ist. Alter ist das jetzt vollständig von Zimmermann publizierte Inventar, das weit ausführlicher ist, die Namen der Künstler bei den Gemälden nennt, im übrigen aber audi auf keiner höheren Staffel steht. Doch orientiert es immer- hin über den Zustand der Sammlung, die zu Lebzeiten des Kaisers selbst nicht viel anders ausgesehen haben wird.

Übertreibend und doch nicht so ganz mit Unrecht hat ein neuerer Schrift- steller von einem Barnumschen Museum gesprochen; so bunt zusammenge- würfelt war die Sammlung, und so wenig ist in ihr irgend ein methodisches Bestreben, wie in den Kunstkammern von Ambras oder Münclien zu bemerken. Das Seltsame, Kuriose erscheint in weit größerer Menge, viel intensiver, viel mehr mit Kunstsachen im eigentlichen Sinne vermischt; der Gesamteindrudi muß überaus unruhig und abenteuerlich gewesen sein — doch das war es ja, was Rudolf, was seine Zeit zu einem großen Teile gewünscht hat. Woran man vorzüglich Gefallen fand, das zeigt nichts besser als das in Joh. Joach.



Fig. 67. Automatenwerk. (Wien, Hofmuseum.)


II. Die Kunst- und Wuiuierkauuucrn.


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Müllers Entdecktem Staatskabinet (Jena, 1771, achte Eröffnung, S. 220 f.) ge- druckte Reisediarium einer weimarisclien Gesandtschaft nach Dresden im Jahre 1654. Die Kurfürstlidie Kunstkammer wird darin ausführlich beschrieben, es ist aber lauter Kuriositätenkram, der den wohlweiscn Herren in die Augen sticht und von ihnen ästimiert wird, das üblidie, allerdings gerade auch dort besonders vertretene Durclieinander von Seltsamkeiten aus Natur und Kunst — d. h. was man in diesem Milieu Kunst genannt hat, denn es fehlt audi die kleinste Regung der Aufmerksamkeit auf eigentlidi künstlerische Dinge, kaum daß der Name Cranadis, als eines Landsmannes, und weil es sich um ein paar Bildnisse handelt, so im Vorüber- gehen laut wird.

Die Rudolfinische Kunstkammer war in vier gewölbten Räumen des Prager Schlosses sicher untergebradit ; eine Reihe von Kästen, siebenunddreißig an der Zahl (im alten Inventar „Almare" geheißen) ent- hielt die kleineren Gegenstände, während eine lange Tafel in der Mitte die größeren Stücke, als Kabinette, Uhren u. dgl. trug, abgesehen von Truhen und Tischen, deren Schubläden mit dem buntesten Kleinkram vollgestopft waren. Auf den Kästen standen Bildwerke alter und neuer Zeit, die Wände waren mit seltenen Geweihen dekoriert, die Gemälde aber hier, wie in den übrigen Sälen und Zimmern, bis in des Kaisers Schreibgemach selbst hinein, verleih, ohne eine eigentliche geordnete Galerie auszu- machen. Vieles lehnte, wie man das audi auf den Galeriebildern des Teniers sieht, an den Wänden, stand auf dem Fuß- boden umher. Eine Aufzählung im ein- zelnen geht bei dieser Anordnung kaum an ; es mag nur einiges allgemeinere hervorgehoben sein. Fast in allen Schränken sitäten, daneben altägyptische Fayencen, als weckten Vorliebe für solche Dinge, die sich des XV. Jahrhunderts bis in die Empirezeit same Naturalien, als „Donnersteine", zwei eisernen Nägeln, „sollen von der archa Noe


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Fig. 68. Titelblatt aus Beutels Cedretuui.


fanden sich indianische Kurio- Zeidien der damals schon ge- von der Hieroglyphenspielerei hinab spinnt, weiterhin selt- Schachteln mit Magneten und sein", Mißgeburten, ein Be-


häUnis mit Alraunwurzeln, „fünf indianische" (wohl westafrikanische) „helfen- beinene Jägerhörner" u. s. f. Stark vertreten sind Wachsbossierungen — waren dodi die in diesem Fache geschickten und berühmten Abondio, Vater und Sohn, in Diensten Rudolfs - sowie künstliche Drechslerarbeiten; eine Anzahl von solchen, die angeblich auf den Kaiser zurückgehen sollen, bewahrt heute die dänische Sammlung im Prindsenpalais zu Kopenhagen. Dann folgen aber

V. Schlosser, Kunst- und Wunderkammern.


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V. Sdilosser, Die Kunst- und VVunderkammern der Spätrenaissance.


wieder: „ein zart velo, welches in Vngern in Irer mayestät Läger vom Himmel gefallen", weiter Arbeiten in halbedlem Gestein, kostbar gefaßt — es ist be- kannt, wie sehr der Kaiser dergleichen schätzte und wie treffliche Künstler er an sich zu ziehen sudite, gleich jenem Paul van Vianen, dessen schöne Jaspachatkanne jetzt noch eine Zierde des Wiener Hofmuseums ist — Mosaik- landschaften, Automaten (Fig. 67) und Uhren, von denen auch noch manch treffliches Stück übrig ist. Es wäre ermüdend und zwecklos, das weiter zu

verfolgen ; in der allge- meinen Charakteristik der Kunstkammern wird noch von mancher Einzelheit die Rede sein.

Obwohl keine Kunst- kammer im strengen Sinn des Wortes, muß doch hier die kaiserliche Schatz- kammer zu Wien kurz erwähnt werden. Auf ihre früheren mannigfaltigen Geschicke, die vielfachen Trennungen und Zessio- nen soll nicht eingegangen werden; stabil erscheint sie ungefähr seit der Zeit KaiserPerdinandsIl. Denk- würdig ist die noch heute aufrecht erhaltene Tren- nung in eine geistliche und weltliche Schatzkammer, namentlich die letztere ist jedoch stets ein richtiges Kunst- und Wunderkabi- nett gewesen, wenn auch naturgemäß die Kleinodien des kaiserlichen Hauses und die Preziosen ihr eine bestimmte Physiognomie verliehen. Man braucht nicht nach dem hodikonservativen England zu blidten, um sich zu überzeugen, wie an solchen alten Höfen längst der Vergangenheit angehörende Formen sich bis in die Gegenwart vererbt haben; die Wiener Schatzkammer ist in der Tat bis zu der Organisierung der neuen Hofmuseen eines der besten Beispiele für ein fürstliches Privat- museum mittelalterlicher Art geblieben. Es war kein Wunder, daß ihr Ruf von alters her wohlbegründet war, gehörte sie doch dem Gesdilechte, das die vornehmste Krone unter den Fürstenhäusern Europas trug. So existiert denn eine Anzahl alter Beschreibung"»^ , zum Teil selbständig als Führer für



Fig. 69. Titelkupfer der Gottorffischen Kunstkammer (1674).


II. Die Kirnst- und Wiiiidcrk;iiiimciii.


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Wißbegierige Reisende gedruckt, von denen nur die 1771 bei Raspe zu Nürn- berg erschienene genannt werden soll.*)



Von den übrigen Kunstkammern Deutschlands mögen hier nur noch die wichtigeren asc^ erwähnt werden; Verzeichnisse und sonstige Angaben über "ffln'det man in den später zu erwähnenden iWuseographien von Valentmi und Neickel. auch in Sandrarts Teutsclier Academie." ) ^^


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V. Sclilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Eine der ältesten ist die in der Residenz Dresden, von der ein wieder- holt im Auszug mitgeteiltes Inventar von 1587 vorliegt/'^. Der Kunstkämmerer Tobias Beutel hat sie in einem lateinisch-deutschen Werkchen beschrieben, das den für die Zeit sehr charakteristischen und prcziösen Titel führt: Cedretum oder Churfürstliclier Sächsischer stets grünender hoher Cedernwald auf dem grünen Rautengrunde (Dresden 1671. Fig. 68). Der in ihr waltende Geist er- hellt nidit nur aus dem früher angeführten Berichte der Weimarischen Ge- sandten von 1654, sondern auch aus den Etiketten, die ihr braver Custos Beutel den einzelnen sieben Kam- mern gibt: I. Mechanische Werckzeuge, II. Kostbare Trinck-Geschirre, III. Schatz- kästlein und Kunstgemähide. (Alles was Beutel unter diesemTitel von dem Grund- stock der später so be- rühmten Galerie zu melden weiß, sind die folgenden dürren Worte : „Letzlich seynd auch in dieser Kam- mer II als wie in andern || unterschiedene alte und neue künstliche Gemähide mit untergesprengt Ij als von Albrecht Dürern || von Luca von Leyden || von Luca Cranachen || von Tindo- retto 1 Titiano || Rubenßen || undandern künstlichen Mah- lern gemahlt." DaswarAnno 1671 der Standpunkt des literarischen Deutschland !) IV. Miathematische Kunst- sachen, V, Kunst-Spiegel, VI. Sachen von Natur, rar und künstlich, VII. Bilder aus Stein, Metall und andern Materien, auch gedrechselte und bewegliche Kunst-Sachen und Uhrwerke.

Seit 1834 führt die Kunstkammer den Namen des Königl. Historischen Museums; für die einzelnen Abteilungen sind jedodi die Untertitel: Rüstkammer, Kunstkammer noch immer offiziell im Gebrauche. Daneben haben sidi in Dresden bis heute die zu Beginn des XVIII. Jahrhunderts abgesonderten Samm- lungen erhalten: der königl. mathematisch-physikalische Salon, das berühmte „Grüne Gewölbe", die Gewehr-Galerie, das Mineralien-Kabinett, wenn dieses letztere auch seinen Titel etwas modernisiert hat.



Flg. 70. Ärcimboldi, Der Herbst. (Wien, Kaiser). Gemäldegalerie.)


11. Die Kunst- und Winidcrkaiiiiiieru.


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Die Berliner Kunstkammer reicht bis in den Anfang des XVll. Jaiir- iiunderts zurück.'^-) Auch sie hat, mit mandien Veränderungen, bis in die neueste Zeit existiert, da sie erst 1875 vollständig aufgelöst worden ist. Noch wäre die Sammlung im Sclilosse Salzdahlum wenigstens zu nennen, weil sie die Grundlage des heutigen herzoglidien Museums in Braunsdiweig bildet"'), sowie die von Valentin! (Museum Museorum II, 14) beschriebene Kunst- und Naturalienkammer der hessischen Landgrafen zu Kassel. Einen besonderen Ruf genoß auch die Herzog- lich Gottorpisdie Kunst- kammer, die von Herzog Friedrich von Sdilcswig- Holstein gegründet und von dessen Antiquar, dem weit- gereisten Holländer Adam Olearius 1651 aufgestellt wurde, der auch eine ein- gehende Beschreibung (zu Schleswig 1674 in zweiter Auflage ersdiienen) unter dem Titel : Gottorffisdie Kunstkammer veröffentlicht hat. (Fig. 69.) Sie enthielt vornehmlidi die von dem Arzte Paludanus zu En- khuysen auf seinen Reisen im Orient gesammelten eth- nographisdien und natur- historischen Seltenheiten : Kostüme, Gerätschaften, Idole fremder Völker, von Ägypten bis China, und ähn- liches; an dieser Stelle nimmt es nicht Wunder, daß die Aufmerksamkeit auch schon auf nordische Altertümer und Kuriositäten gelenkt wurde und also in ihr

Runenkalender, grönländische Idole, aber auch byzantinisdie Heiligenbilder aus Rußland vorkommen. Im ganzen genommen war sie vielmehr ein Naturalienkabinett denn eine eigentliche Kunstkammer. Die herkömmliche und abenteuerliche Naturgeschichte macht sich aber noch stark geltend ; noch werden die Repräsentanten der vier Elemente im Tierreich vorgeführt, der Skink für die Erde, ein Seepferdchen für das Wasser, ein Chamäleon für die Luft, (weil es angeblich von der Luft leben sollte); beim Salamander wird aber schon das Feuermärchen geleugnet. Noch kommen „Eingehürne" vor, jedoch weiß Olearius schon, daß sie vom Narval stammen; dafür wird von




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Fig. 71. Arcimboldi, Das Feuer. (Wien, Kaiserl. Gemäldegalerie.)



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88 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

einem nordischen Tiere, dem Lemming, erzählt, daß er aus den Wolken falle. Trefflich passen in diese Abenteuerlichkeiten die kuriosen Gemälde hinein (Tafel V), „welche durch gemahlte Früchte die Zeiten des Jahres abbilden"; es waren das phantastische Bildungen, die aus allerhand Blumen, Früchten und Tieren zusammengesetzt, wahrscheinlich von der Hand jenes Mailanders Ärcim- boldi stammen, der dergleichen dem Geiste der Zeit entsprechende Spielereien für Rudolf II. angefertigt hat, aus dessen Prager Kunstkammer sie an ihren heutigen Platz in der Wiener Galerie gelangten. Ganz ähnliche „Schnaken- köpfe" sah Th. Hainhofer in Ambras und Dresden. Von Arcimboldi berichtet ausführlich der Dialog Comaninis: II Figino (Mantua 1591); er muß ein Mann reclit nach dem Sinne nördlicher Renaissance gewesen sein, und hat sich u. a. auch mit der Erfindung einer Art von Farbenklavier abgegeben (Fig. 70, 71).

Sonst wäre im äußersten Norden wohl noch die Kunstkammer des Königs von Dänemark in Kopenhagen zu nennen, weil sie eine echte und rechte Raritätensammlung ist und weil von ihr eine alte Beschreibung des XVII. Jahr- hunderts, von Professor Öliger Jacobaeus verfaßt, vorliegt.) Die ausgedehnten und merkwürdigen Sammlungen des Rosenborg-Schlosses geben noch heute in ihrem modernen kulturgeschichtlichen Rahmen ein vortreffliches Bild einer alten Kunstkammer, die am nächsten der einstigen Ambraser Sammlung ver- wandt ist, umsomehr als einzelne Teile, vor allem das Glaskabinett und das Porzellanzimmer, noch in ihrer alten Aufstellung vorhanden sind.

Es ist begreiflich, daß diese Freude an den Raritätenkammern nicht auf fürstliche Kreise bescliränkt geblieben ist. Es sind noch eine ganze Anzahl von gedruckten Beschreibungen vorhanden, die uns die Sammlungen wohlhabender Privatleute und Gelehrter aus dem XVII. Jahrhundert in Wort und Bild vor- führen. Klemm hat darüber in seinem öfter zitiertem Buche ausführliche Nadi- richten gesammelt (S. 213 229), viele sind in den alten Museologien von Valentini, Neickel usf. aufgezählt. Hier möge nur die älteste und reichste des Hallischen Arztes Dr. Lorenz Hof mann Erwähnung finden, deren Katalog sdion 1625 im Druck erschienen ist (Klemm S. 213 f.). Neben den übliclien wunderlichen Raritäten aus aller Welt, neben Geräten aus dem hohen Norden und russischen Heiligenbildern, die audi hier nicht fehlen, neben einem „gläsernen Glück", das an den berühmten orientalischen Glaspokal von Edenhall erinnert, fallen eine kleine Gemäldesammlung und eine sehr interessante keramische Kollektion besonders ins Auge. Schließlich möge noch das Museum des Kopenhagener Arztes Dr. Hans Worm erwähnt werden, das wohl hauptsäch- lich ein Naturalienkabinett war, aber neben vielen ethnographisdien Dingen auch orientalische, römische und nordische Altertümer enthielt. Sein Katalog ist 1652 in Amsterdam bei Elzevir in einem mit schönen Kupferstichen und Holzschnitten ausgestatteten Werke: Museum Wormianum herausgekommen. (Fig. 72.) Die Sammlnng des Augsburger Patrizier Philipp Hainhofer möge zum Schluß, schon um der Relationen des vielgeschäftigen Mannes"') und seiner ganzen Stellung im damaligen Kunstleben willen, nicht vergessen werden.

Es ist bekannt genug, daß mit der Gegenreformation, zumal im XVII. Jahr- hundert, wo Rom und Italien, man kann wohl sagen zum zweitenmal, wenig- stens auf dem Gebiet der Künste, die Weltherrschaft antreten, die großen Bilder-


11. Die Kunst- und Wuuderkanimern.


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galerien nacli welschem Muster sich von den alten Kunstkammern abzuheben und abzulösen beginnen; immerhin bleiben sie aber mit ihnen in ziemlicli enger Verbindung, ja treten vielfach noch, so in Ambras, auch in München, hinter




Fig. 75. Eine Seite aus dem „Prodromus". [2]


90 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkanimern der Spätrenaissance.

jenen in den Schatten zurück. Seltsam genug, selbst bei einem der bedeu- tendsten Sammler, dem eigentlichen /\mateur des Hauses Österreichs und dem wahren Gründer der Wiener Galerie, bei Erzherzog Leopold Wilhelm (f 1665), der als Statthalter der Niederlande 1646 — 1656 in dem intensivsten und reich- sten Kunstleben damaliger Zeit höchst bedeutende Anregungen empfangen hat, ist die Nachwirkung jener Dinge nicht zu verkennen. Das zeigt noch die spätere Aufstellung seiner Sammlung in der Stallburg zu Wien ganz deutlich, so wie sie in dem Storfferschen Bilderinventar von 1720 (jetzt in der k. k. Hof- bibliothek in Wien) der Nachwelt überliefert ist (Fig. 73, 74). In ihren Schränken wirken die artificialia und naturalia noch einträchtiglich zusammen und wenn diese glänzende, trefflich inventierte Sammlung **) auch ganz vorwiegend Kunst- werke im modernen Sinne umfaßt hat, so fehlt ihr doch die Note des Ab- sonderlidien keineswegs. Es sei hier nur auf ein in unserem Sinn kurioses Detail aufmerksam gemacht. Noch in dem von Stampart und Prenner 1735 in Wien herausgegebenen „Prodromus" (Fig. 75,76), einem Stichwerk, das im Auszuge die Sdiätze der Stallburg wiedergeben sollte, findet sich mitten unter den erlesen- sten Kunstwerken eine magische Spielerei kindlichster Art abgebildet (s. Fig. 77). Es ist etwas der Art, wie das aus deutsclien Sagen wohlbekannte Galgen- männchen, ein gläsernes, plump einen Rauchtopas nachahmendes Prisma, in das ein schwarzes Figürdien eingelassen ist. Heute ist es — sie tempora mutantur — in die Rumpelkammer der Hofmuseen relegiert, aber im XVIII. Jahr- hundert gehörte es noch zu den Sehenswürdigkeiten der Wiener Schatzkammer, in deren älteren Beschreibungen es stets gewissenhaft vermerkt wird als ein „Spiritus familiaris in einem Glass, so ehemals von einem besessenen aus- getrieben und in dieses glas verbannet worden, ist bewöglich anzusehen." So zu lesen in der (als Anhang zu Neiners Vienna curiosa et gratiosa gedruckten) Neuen vermehrten Beschreibung der kaiserl. weltlidien Schatzkammer. Wien 1720. Der Text des Büchleins zeigt übrigens, wie sich der Charakter der mittelalterlichen Schatzkammern, das Pretiose neben dem Kuriosen, fast unver- ändert bis in diese Zeit erhalten hatte.

Wir erinnern uns, wie bunt es in Rudolfs II. Kunstkammer auf dem Hradschin ausgesehen hat. Trotzdem ist Rudolf nicht nur als des heiligen römischen Reiches Oberhaupt und trotz mandier in seiner anormalen geistigen Beschaffenheit begründeten Absurditäten, in gewissem Sinne der repräsentative Mann für den Sammlergeschmack des deutschen Nordens. Denn die rudolfinische Kunstkammer gibt, wenn auch zuweilen wie in einem Vexierspiegel, ein treues Bild der Tendenzen seiner Tage. Das Seltsame, Wunderbare, Abenteuerlidie hält diese eben ganz in ihrem Bann, und mag das auch in Rudolfs alchymi- stischen, astrologischen, spiritistisdien Grillen bis zum Krankhaften verzerrt er- scheinen, so ist dergleichen dodi die Signatur jener Periode, in der ein Kepler notgedrungen und wider bessere Einsidit Horoskope und Nativitäten zu stellen gezwungen war. Ein vergoldetes Bronzeglöckchen der kaiserl. Sammlungen, mit wüsten kabbalistischen Figuren und Zeichen, wird mit Rudolfs Geister- beschwörungen in Zusammenhang gebracht (Fig. 77) und man meint wirklidi in Faustens und Wagners Laboratorium zu blicken, wenn man den bunten, uns Heutigen oft unverständlich gewordenen Inhalt der Prager Kunstkammer


II. Die Kunst- und Wundcikainmcrn.


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oder so mandier anderer näher betrachtet. Hier haben nun alle jene ver- meinten oder wirklidien Seltsamkeiten und Wunderliclikeiten der Natur, bis zu den lusus naturae und Mißgeburten herab, all das abenteuerliche Hand-






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Fig. 76. Eine Seite aus dem „Prodromus".


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V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


werkszcug, vom Perpetuum mobile bis zu den Alraunen, Wünschelruten, Galgen- männchen und Venedigerhütlein ihre rechten Stelle. Aber neben sie stellen sich, schon als Zeugen der immer mächtiger ausgreifenden modernen Naturwissen- schaft, die mathematisdien und physikalischen Instrumente und Apparate aller Art, Fernrohre, Globen, Quadranten, alles das durch den mit vollen Händen ausgeteilten Schmuck einer höchst ausgebildeten Dekorationskunst ge- adelt, Aristokraten gegenüber den nüchternen sachlichen Arbeitsgenossen des



Fig. 78. Franz Francken d. ]., Kuriositätenkabinet. (Wien, Kaiserl. Gemäldegalerie.)


modernen Forschers, deren Schönheit in ihrer Präzision und Zweckmäßigkeit liegt. Dieses Neben- und Ineinander von Wissenschaft und Kunst, echter wie falscher, ist überhaupt charakteristisch (Fig. 78). Denn jene Zeit, voll der sonder- barsten Schrullen und Grillen ist auch eine Periode höchst ernsthafter wissen- schaftlicher Arbeit gewesen, in der noch als Nachwirkung der scholastisdien Denkweise, die die Einheit im Plane des Universums zu begreifen traditete, der enzyklopädische Grundzug besonders zur Geltung kommt. Es ist die Zeit der großen Thesauren, der historischen Kompilationen aller Art, in deren ge- waltigen Folianten eine zuweilen barocke Fülle von Wissen, aber noch heute nutzbar und genutzt, zusammengetragen ist, der Arbeiten der Philologen, wie





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V. Sdilosscr, Die Kunst- und Wuiiderkammern der Spätrenaissance.


Gracvius und Gronovius, der historischen Sammelwerke der BoUandisten und Mauriner, vor allem Mabillons; es ist aber auch die Zeit der Kepler und Galilei, des Aufschwunges der Naturwissenschaften, des Forschergeistes über- haupt, der zu einem niclit unbeträchtlichen Teile von bildenden Künstlern aus- geht, wie Leonardo da Vinci, der seinen Landsleuten das erste Beispiel muster- giltiger wissensdiaftlidier Prosa gab, wie Dürer und Palissy, und der in dem Polyhistorengenie eines Leibniz seinen zusammengefaßten Ausdruck findet. Stüd< für Stück fallen die Sdiranken, welche erdentrückte Spekulahon des Mittelalters sidi selbst gezogen hatte, und nicht lange nachdem die Grenzen der Erde erweitert, die geträumten Fabelländer durch eine reale und nicht weniger wunderbare Welt ersetzt worden waren, zeigte Copernicus die Unhaltbarkeit des geozentrischen Standpunktes und wies den menschlichen Geist in die un- endlich scheinenden Fernen des Weltalls hinaus. Aber die alten phantastischen Gebilde gaben sich nicht so leichter Art besiegt, da sie allzutiefe Wurzeln ge- sdilagen hatten und durch mächtige Autoritäten geschützt waren. Schon gegen Ende des Mittelalters hatten gelegentlidie Beobaditungen an exotisdien Tieren der Zwinger die Fabeln der mittelalterlichen Naturgesdiidite, die in den weit- verbreiteten und vielgelesenen Bestiarien mit mystisch-religiösen Lehren ver- knüpft waren, erschüttert; jetzt erstand ihnen in dem wissenschaftlichen Experi- ment, in der strengen Erfahrung überhaupt, ein siegreicher Gegner. Francis Bacon ersdieint als Bannerträger der induktiven Methode in der Wissenschaft. Immerhin hat man sich noch im XVII. Jahrhundert mit Versuchen geplagt, die die Geltung oder Nichtgeltung gewisser alter Theorien, so etwa die Entstehung von Bienen aus Kadavern'") nachweisen sollten (Fig. 79); daß man aber über- haupt an die Probe durch die Erfahrung appellierte, zeigt die entscheidende Umkehr. So verlieren die alten „Wunder" ihre Bedeutung oder erhalten eine neue erfahrungsgemäße; als Kaiser Leopold mit Erzherzog Leopold Wilhelm einmal die Nürnberger Ratsbücherei besudit, unterläßt er nicht, als ihm ein

Eingehörn, als herkömm- liches Inventarstück solcher gelehrten Räume, vorge- wiesen wird, zu bemerken, daß dies die Waffe eines Fisdies sei, wie er denn selbst in seiner Sdiatz- kammer ein altes ausge- zeidmetes Exemplar be- sitze. Er ist freiüdi auch der Stifter der Academia naturae Curiosorum ge- wesen.

Unter soldien Umstän- den ist es kein Wunder, wenn diese enzyklopä- disdieGeistesriditung, enge Fig.. 79. Aus Valentinis Museum Museorum. mit einem seltsamen Erbe



II. Die Kunst- und Wnnderk;niniicrn.


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Fig. 80. Der Pommersche Kunstsdirank. (Berliner Kunstgewerbemuseum.)


des scholastischen Mittelalters, der gelehrten Allegorie, verbunden, auf die Kunst- sammlungen wie auf die Kunst des Nordens überhaupt einen erheblichen Einfluß geübt hat. Steckt dodi gerade viel Deutsches in diesem zuweilen abstrusen Wissen und seinen spekulativen Ausgeburten. Dergleichen wird bis in die Kreise des Kunst- handwerks hinein fühlbar. Kein besseres Beispiel dafür als die für uns Heutigen so wunderlichen „Kunstschränke", an denen die deutsche Spätrenaissance ein übermäßiges Gefallen fand. Den braven und sehr geschickten Schreiner-


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meistern von dazumal sind die antikischen Säulcnordnungen, wie sie von den wälschen Baumeistern in ein System gebracht worden waren, samt dem ganzen allegorisdien Kram zu Kopfe gestiegen ; sie haben sich nicht nur in ihrer Werkstatt als Architekten, als Kunst- und Weltphilosophen gefühlt und geberdet, sondern wohl aucli zur Feder gegriffen, um ihre Ideen der Mit- und Nachwelt nidit vorzuenthalten. Ein ungeheurer Scliwall von solchen Lehrgebäuden der Tisdilergelehrsamkeit, von Kunst-, Säulen-, und Schweiffbüchlein und wie sie sich sonst betiteln mögen, hat sich damals über Deutschland ergossen ') ; das wienerische Ardiitektur-, Kunst- und Säulenbuch des wackern kaiserlichen Kammertischlers Johann Indau ist noch 1722 neu aufgelegt worden. Vertrackt und gesdiraubt wie eine beträchtliche Zahl ihrer künstlerisdien Produkte ist zumeist auch der Stil dieser Autoren, aber dennoch können sie, bei aller Versdirobenheit eines den wirklichen Bedürfnissen fast entfremdeten Luxus- gewerbes die alte Tüchtigkeit, den guten Kunstverstand und die ehrenfeste Überlieferung süddeutschen Handwerks nur selten ganz verleugnen. Die be- rühmteste unter diesen Schreinerarchitekturen befindet sich heute im Berliner Kunstgewerbemuseum, es ist der sog. Pommersche Kunstschrank, der unter Aufsicht des Augsburger Patriziers Philipp Hainhofer, eines echten Dilettanten und Repräsentanten des damaligen Zeitgeschmacks, von einer erlesenen Schar von Künstlern und Handwerkern für Herzog Philipp II. von Pommern 1617 ausgeführt worden ist; er hat die hübsche Summe von zwanzigtausend Talern gekostet^). (Fig. 80.) Aufbau und Dekoration tendieren so etwas wie einen Mikrokosmus, eine Enzyklopädie der physischen und sittlichen Welt vorzu- stellen, in hergebrachten schulmäßigen und kompendiösen Formeln, ähnlich wie in einem zugrundegegangenen reichen Lustbrunnen Wenzel Jamnitzers auf der Prager Burg. In der Tat ist hier ein vollständiges Kompendium der landläufigen Personifikationen und Allegorien zu finden ; all die seit Jahr- hunderten reichlich abgenützten Schemen der Tages- und Jahreszeiten, der Planeten und Himmelsbilder, der sieben freien Künste und der neun Musen, der Tugenden und Laster führen eine ernsthaft zopfige Sarabande vor uns auf — und wirklich geht auch die Musik in diesem Zeitalter der großen Niederländer mit den verwälschten Namen und ihrer uns heute seltsam ge- nug berührenden kontrapunktischen Künste nidit leer aus. Denn zu jedem solchen Kunstschrank gehört fast unumgänglich ein mechanisches Klavier- oder Orgelwerk. Nicht weniger bunt ist, was der Pommersche Sdirank in seinem Innern barg und was heute eine ansehnliche Vitrine des Museums füllt. Da sind astronomische, optische und mathematische Instrumente, Toilette-, Schreib- und Tischgeräte, Handwerksutensilien, Jagd- und Fischereizeug, Spiele aller Art, endlich auch eine vollständige Hausapotheke und „Baibierstube" zu finden; alles beziehungsreich und künstlich verziert, in hundert Laden und Läddien verpackt und verborgen, so daß Herausnehmen und Einlegen allein eine Besdiäftigung für Stunden war, die nadi eigener beigefügter Anleitung ge- schehen sollte, ferner mit Geheimfächern wohl ausstaffiert, wie denn diese Zeit am Hineingeheimnissen, am abenteuerlich Mysteriösen, an Versteck- und Vexierspiel ihre besondere Lust gehabt hat. Dabei ist alles Gerät modell- artig klein, kaum zu wirklichem Gebrauch berechnet und verwendbar, aber


II. Die Kunst- und Wunderkamiiierii.


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durchwegs in kostbarem Material, von trefflidien Künstlern entworfen und ausgeführt. Häufig sind diese Kunstscliränke, wie namentlich der von Hain- hofer beschriebene und von ihm selbst nach Innsbruck gebrachte, nichts anderes als kleine Kunstkammern, ganz nach dem Muster der großen eingerichtet und dem Geschmack der Zeit nach kompendiert gewesen. Besonders gilt dies von dem vielleicht reichsten Beispiel seiner Art, dem Kunstschrank, der in den akademischen Sammlungen von Upsala bewahrt wird. Ein recht charakte- ristisches kleines Beispiel eines solchen Kabinetts ist das schon erwähnte mit wunderlichen Meergewächsen, aber auch mit Medaillen und Kunstarbeiten in verschiedenem Material seltsam herausgeputzte Schränkdien Rudolf II, das nadi mancher Irrfahrt wieder aus Schweden in die kaiser- lichen Sammlungen in Wien zurückgekehrt ist; seine Schubladen sind leer, nur ein geheimes Fach hat noch eine blonde Frauenlocke treulich bewahrt. All das mag einem Zeitalter des Positivismus höchst kindisch, ja abgeschmackt, erwach- sener, ernsthafter, von Kin- desbeinen an zielbewußter Leute unwürdig erscheinen ; die Kunst ist hier großen- teils Spiel, mit dem sie ja ein gutes Stück ihres Ur- sprungs und Fundaments gemein hat, sie ist ein Luxus vornehmer müßiger Leute, aber wir müssen uns hüten, über dergleichen von einem anderen gänzlich ver- schiedenen Standpunkt aus

voreilig und einseitig abzuurteilen. Ähnlichen Erscheinungen wird man in dieser Periode noch oft begegnen, in deren Literatur die concetti Italiens, der Stil der schlesischen Dichterschule, der Euphuismus Englands und der Gongo- rismus Spaniens oft so kuriose Früchte gezeitigt haben; vermochte dodi selbst ein Genius gleich Shakespeare solcher Dinge, die wir als Geschmacks- verirrungen seiner Zeit zu bezeichnen gewohnt sind, nicht gänzlich zu entraten. Ein besonderes Schoßkind jener Zeit, ganz besonders in Deutschland, ist die Drechselkunst gewesen; es ist bekannt genug, daß bis ins XIX. Jahrhundert hinein fürstliche Herren ihr Vergnügen daran fanden, an der Drechselbank zu bosseln. Schon von Kaiser Maximilian I. ist das durch zeit- genössische Nachrichten überliefert, seine wohlerhaltene Drehbank, ein Unikum in ihrer Art, die ihm von den Tiroler Landständen gewidmet wurde und in

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V. Schlosser, Kunst- und Wunderkammcrn. '



Fig. 81. Drehbank Maximilian I. Im Besitze des Grafen H. Wilczek auf Schloß Kreuzenstein.


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ihrer reichen Ornamentation ein wahres Com- pendium altdeutschen Schwankgeistes und deut- scher Märchenphantasie darstellt, befindet sich heute in den schönen Sammlungen des Grafen Hans Wilczek auf Burg Kreuzenstein (Fig. 81). Eine ganze Reihe von Arbeiten des Kurfürsten August von Sachsen wird schon in dem alten Inventar der Dresdner Kunstkammer von 1587 aufgeführt; andere, von der Hand desselben Fürsten bewahrte als Geschenk die Kunst- kammer Herzog Älbrechts in München. Von den Drechslereien in der „Dänischen Sammlung" in Kopenhagen, die angeblich auf Rudolf II. zurückgehen sollen, war schon vorhin die Rede. Noch im XVIII. Jahrhundert wurde fleißig an der Drehbank gebosselt, wie u. a. die Arbeiten Friedrichs V. von Dänemark in derselben Samm- lung und vor allem der kolossale Kronleuchter Peters d. Gr. in der Eremitage zu St. Petersburg beweisen. Namentlich in der Heimat des in alle Welt gehenden Nürnberger Tandes war diese heutzutage stark in der Schätzung zurück- gegangene Kunst zu Hause, und man ward nicht müde, dem handsamen Material immer neue, verkünstelte Gestalten abzugewinnen, je verzwickter, desto lieber; eine Unzahl von Kunstausdrücken zeugt von allen jenen Fi- nessen"^). Hier war der rechte Nährboden für die absonderlichsten Dinge, für die mikro- technischen und mit raffinierten Schwierigkeiten spielenden Formen, die in ihrer Vorliebe für die gewundene, krause Linie, ihrem absichtlichen Umgehen des Klaren und Geraden, das Barocco nicht verleugnen und schon auf das heran- nahende Rokoko hinweisen.

In der kaiserlichen Sammlung zu Wien befindet sich ein besonders charakteristisches und ansehnliches Beispiel dieser Kunstfertig- keit. (Fig. 82.) Es ist ein großer, mit allem Raffinement ausgeklügelter Tafelaufsatz aus Elfenbein, datiert von 1639, eine Galeere, die von einem Elephantcn getragen wird. Sein Ver- fertiger, Markus Heiden, herzoglicli sächsisclier Kammerdreclisler, Feuerwerker und Büchsen- macher in Weimar (also auch in seiner Art und nach Kräften universal), hat sicli keines-


Fig.82. Elfenbeinerner Tafelaufsatz von M. Heiden. (Wien, Hof museum.)


II. Die Kunst- und Wundcrkaininern.


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wegs damit begnügt, seine Kunst nach allen Seiten hin glänzen zu lassen, sondern er wollte mit jenem überkünstlichen Aufbau auch noch einen tief- sinnigen Gedanken eine Allegorie christlichen Lebens - verbinden; ja noch mehr, er hat in einem eigenen, sauber gedruckten Hefte die ausführ- liche Beschreibung und sinnreiche Deutung semes Werkes der Nachwelt zu Nutz und Frommen hinterlassen,'^) ein bescheidenes aber beredsames Denk- mai der Sinnesweise in jener Blütezeit der Kunst- und Wunderkammern.

So findet denn in diesen das Künstliche und Rare überall Schätzung und Eingang. Deshalb sind hier nicht nur jene eben erwähnten Drechselarbciten mit ihren verkünstelten Virtuosenformen zu finden, sondern noch viel anderes der Art, so die im Grunde peinlicli berührenden Kunstlcistungen von Krüppeln. Aus der Am- braser Sammlung stammt ein von einem gewissen Thomas Schweicker 1575 mit den Zehen geschriebenes, sauber kalligraphiertes Kunstblatt ; der Mann war eine Zele- brität, derart daß Medaillen auf ihn geschlagen, Porträts von ihm in fürstlichen Kunst- kammern gewiesen wurden — auch ein Charakteristikum. (Fig. 83.) Dann die mikro- technischen Spielereien, die übrigens auch in Italien, wenngleich seltener, vor- kommen, wie Vasaris Bericht über die Bolognesin Properzia de' Rossi zeigt: die ge- schnitzten Kirschkerne und Calvarienberge in Feder- spulen, aber auch alle jene gelehrten Kunstwerke „mit Rad und Bügel, Walz' und Schrauben" und, wieder ins Spielende einmündend, die von Uhrwerken getriebenen Automaten, vom Spielzeug an, wie wir nüchterne Enkel es heute fast nur mehr in Kinderhand oder als flüch- tigen Boulevardscherz zu p. g^

sehen gewohnt sind. Nun, Kalligraphiertes Blatt von Thomas Schweicker (1575). auch das ist der Lauf der (Wien, Hofmuseum.)



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V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.



Fig. 84. Automat aus der Zeit Rudolf II. (Wien, Hofmuseum.)


Welt; handhabt doch das Kind von heute gar manches Gerät und manche Waffe, die in der Menschheit jungen Tagen zur Abwehr bitterer Not höchst ernsthaft be- stimmt war.

Die Automaten vollends haben ihre Bedeutung im Leben, wie in der Literatur bis in die Romantik des XIX. Jahrhunderts behalten; man denke nur an die Rolle, die sie etwa bei E. T. A. Hoffmann spielen. Der wissenschaftliche Trieb, der in diesen Dingen sich regt, ist bei jenen altfränki- schen Instrumenten noch gar sehr mit dem Streben nach spielender Unterhal- tung verknüpft; schließlich sind es die nämlichen Gedankenbahnen, wie in der wissenschaftlichen Damenliteratur des XVIII. Jahrhunderts , der Botanik für das schöne Geschlecht oder der galanten Art, mit der etwa ein Algarotti die Lehren Newtons seinen Marquisen vorzutragen sucht oder gewisser populär- wissenschaftlicher Romane unserer Zeit, die sich aber doch schon in erster Linie an ein jugendliches Auditorium wenden. (Fig. 84.)

Es war zu verfolgen, wie in diesen alten Kunstkammern die „Naturalia" sich einträchtig neben die „Artificialia" nach damaligem Sprachgebrauch stellen. So fand, trotz aller fortschreitenden Aufklärung, das „Naturwunder" vergangener Zeiten, der geistlichen und weltlichen Schatzkammern des Mittelalters hier noch immer eine Stätte und Zuflucht; weiß man auch schon, daß alle jene Greifen- klauen, Eingehörne, Kometeneier und Natternzungen fabelhafte Nomenklatur sind, so ist doch, gleich Alchymie und Astrologie, der Aberwitz der Lapidarien noch lange eine Macht im großen Publikum, und die Bezoare (Fig. 85), die Rhinozeroshörner, die Steine aller Art spielen als Schutzmittel gegen Gift und allerhand Gebresten noch eine bedeutende Rolle, selbst in der ärztlichen Praxis; Abhandlungen über ihre geheimen Kräfte werden noch immer fleißig gedruckt und gelesen. Es genügt, aus der überreichen Literatur ein schmales Büchlein auf gut Glück herauszugreifen: den Tesoro delle gioje, gedruckt zu Venedig 1662, das sich zum Teil noch auf alte orientalisclie Quellen beruft. Sein Ver- fasser hat durch eigene Versuche, z. B. mit dem fabulosen „Krötenstein", sclion manches als Ammenmärchen erkannt, tischt aber trotzdem gläubig viel anderes überlieferungsweise überkommenes der Art auf. So ist es nicht zu verwundern, daß namentlich die Apotheken jener Zeit gern als kleine Naturmuseen heraus- staffiert werden; die Prinzipale suchen sie, damit ebensowohl eigener Nei- gung als dem Geschäftsinteresse dienend, abenteuerlich und kurios genug mit allerhand Tierbälgen, Skeletten, Muscheln und Versteinerungen auszustatten. Noch erinnert die Schlange über dem Ladentisdie alter Spezereigewölbe an jene vergangenen Zeiten. Die kurfürstliche Apotheke in Dresden wird des- halb als besondere Sehenswürdigkeit in den älteren Reisebeschreibungen nie- mals übergangen, und das Linckesche Museum in der Löwenapotheke zu


II. Die Kunst- und Wunderkanimern.


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Leipzig behielt bis ins XIX. Jahrhundert Ruf und Namen.'"-) Vor allem waren es die Bibliotheken, in denen ein natürlicher Kristallisationspunkt für dergleichen Bestrebungen gegeben war; ein Stich in Brownes Reisen veran- schaulicht uns recht charakteristiscli das Innere der Hofbibliothek in Wien zu Leopold I. Zeiten, um von anderen, die gelegentlich genannt werden, zu schweigen. (Fig. 86.) Im übrigen geben die Pariser Nationalbibliothek oder die vatikanische mit ihren Annexen noch heute eine Erinnerung an jene Jugend- zeit des Musealwesens. Ebenso waren auch dieTheatra anatomica, z.B. das von Leyden, nidit nur mit Schaustücken der Natur, sondern audi mit allerlei Rari- täten, als ägyptischen Mumien und sonstigen Altertümern vollgestopft. Sie mögen in ihrem Staube und Moder etwas Hexenküchenartiges gehabt haben, etwas was an die spukhafte Stimmung in Leopardis berühmten Dialog des Anatomen Ruysch und seiner Mumien anklingt. Jedodi sondern sidi die eigent- lichen „Naturalienkabinette" immer deutlidier und selbständiger aus dem alten Konglomerat ab. Es ist die mäditig sich entfaltende Naturwissenschaft, die dazu den Anstoß gibt; nicht zu vergessen der immer rascher vorschreitenden Ersdiließung der Ökumene durch die Entdeckungsfahrten nadi Ländern, von denen früher höchstens sagenhafte Kunde nadi Europa gedrungen war. Die Erschließung Afrikas, Amerikas, Ostasiens, der arktischen Länder und des „neuen Holland" durch die Portugiesen, Spanier und Holländer wiederholt jetzt in einem viel weiteren Rahmen die Entschleierung des mittelalterlichen Märchen- orients durdi Venezianer und Genuesen. Eine Fülle neuer und merkwürdiger Kenntnisse strömt nunmehr nach dem alten Europa, und die Rückwirkung auf Wissenschaft und Kunst ist nicht ausgeblieben. So war zu bemerken, wie schon in den alten Kunst- und Raritätenkammern des XVI. Jahrhunderts der Grundstock zu den ethnologischen Museen neuerer Zeit gelegt worden war. Amerikanische Federkleider, grönländisdie Kähne, afrikanische Tuthörner, ost-



Fig. 85. Bezoarsteine. (Wien, Hofmuseum.)


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V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkamniern der Spätrenaissance.


asiatisches Porzellan werden jetzt ständige Objekte der Sammlungen, und sehr häufig erinnern noch alte abendländische Fassungen an diesen Ursprung — gerade wie einst in den mittelalterlidien Schatzkammern. (Fig. 87.) Immer mehr und häufiger gelangen, wie einst ins kaiserliche Rom, exotische Tiere lebend nach Europa; Flugblätter suchen oft in seltsamer Verballhornung und unter Nadiwirkung mythischer Vorstellungen ihre Gestalt festzuhalten, sowie

menscliliche und tierische Mißgebur- ten eifrigst abgeschildert werden. Ein Dürer hat es nicht verschmäht, das erste Nashorn, das seit Römerzeiten wieder lebendig seinen Einzug in Europa hielt, auf dem berühmten großen Holzschnitte von 1515 dar- zustellen, der trotz seiner Ungenauig- keiten — da er aus zweiter Hand nach einer Zeichnung entstand — bis in die neuere Zeit allen Abbil- dungen des Rhinozeros zugrunde gelegt worden ist. Der seltsame Fremdling erregte noch im XVIII. Jahrhundert derartiges Aufsehen, daß ihn der venezianische Sitten- maler Pietro Longhi in einem Bild- dien festhielt, das sich wie eine Illustration zu der bekannten zeit- genössischen Fabel Gellerts aus- nimmt. Im selben Jahrhundert ist aber im Norden das auf Befehl August des Starken in seiner Meiß- ner Porzellanmanufaktur ausgeführte Nashorn keineswegs nachdem Leben, sondern dekorativ phantastisch nach Dürers Vorlage hergestellt worden. ") Wiederum war es Dürer, der in den Niederlanden nicht eine Reise an den Meeresstrand scheute, um den Kadaver eines Walfisches in freilich nodi immer die Kuriosität nicht nur die Apotheken, sondern



Fig. 87. Altanierikanische Vase aus Panama

in Wiener Fassung des XVIII. Jahrhunderts.

(Wien, Hofmuseum.)


Augenschein zu nehmen. Dabei spielt als wichtiges Moment mit. Aber wenn auch die Schatzkammern des Wissens damaliger Zeit, die großen Biblio- theken mit solchem pittoresk, uns Heutige freilich altvaterisch, zuweilen fast abgeschmackt anmutenden Durcheinander staffiert wurden, so hat das einen ernsten Hintergrund. Denn diese spielende, dilettierende Neugier hat die wissenschaftliche Neugier, den Forsdiungstrieb mäditig angeregt und gefördert, und jene alten kuriosen Sammlungen sind ein Lehrwert, ein schwerlidi gering zu achtender Faktor im geistigen Leben Europas gewesen.



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104 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Merkwürdig und bedeutungsvoll ist die Stellung Italiens zu diesen Dingen. Nicht als ob die Freude am Künstlichen und Kuriosen hier gänzlich gefehlt hätte, aber sie tritt auffallend zurück, und der Begriff der Kunst- und Wunderkammern ist in Italien in der Ausdehnung und Bestimmtheit wie im deutschen Norden zumal eigentlich nicht vorhanden. Mit emer großen und redit bezeidinenden Ausnahme. Die ist das berühmte, erst vor kurzer Zeit modernisierte Museo Kircheriano in Rom , das indessen eben von einem Nordländer des XVII. Jahrhunderts, dem deutschen Jesuiten P. Athanasius Kircher gegründet worden ist. Die echt nordische Polyhistorie des Mannes, dessen zuweilen abenteuerliche Schriften sich de omnibus rebus et de quibus- dam aliis, über Teleskopie, Farbenlehre und Optik, über Fossilien, über Physik und Physiologie ebensogut wie über Altertümer und Sprache des Nillandcs, über Musikgeschichte und Instrumentenkunde verbreiten, der ein Werk China illustrata herausgegeben hat und mit Recht oder Unrecht als Erfinder der Laterna magica gilt, sie spiegelt sich in seinen Sammlungen wieder, und nichts kann von diesem eben erst verschwundenen Ganzen eine deutlichere An- schauung geben als das Titelkupfer des alten Katalogfolianten, der 1678 zu Amsterdam im Druck erschienen ist. (Fig. 88.) Neben dem Kunstwerk in unserem wie in der damaligen Zeit Sinne - den Kunstuhren und Automaten — nehmen sich die kabbalistischen und hermetischen Spielereien, die Glas- macherkünste und das Perpetuum mobile zumal auf diesem Boden seltsam

genug aus.

Im übrigen spielen alle jene im Norden so beliebten Künstlidikeiten, zu- mal die den Italienern nie recht sympathischen Elfenbeinarbeiten, eine recht geringe Rolle, und wo sie, wie in den großherzoglichen Sammlungen zu Florenz oder anderwärts vorkommen, sind sie charakteristischerweise fast immer Arbeiten niederländischer oder deutscher Künstler und Geschenke trans- alpiner Fürsten. Das Pferd im Netz, das im Bargello zu Florenz als eine Arbeit des Sizihaners Planzone gilt, ist eine offenkundige Nachahmung nord- ländischer Spielereien dieser Art und in Italien eine Seltenheit."^) Einmal ist nämlich die hohe Schätzung der in unserem Sinne künstlerischen Form diesem ältesten unter den abendländischen Kulturvölkern zu tief eingewurzelt, als daß es an jenen verkünstelten, häufig monströsen Sachen mehr als im Vorüber- gehen hätte Geschmack gewinnen können. Dann ist dem klaren, bei allem Temperament nüchternen und praktischen Sinn des Volkes, bei dem die Mathe- matik als nationale Wissenschaft angesprochen werden darf, die romantische Hexen- und Teufelsküche, wie die ganze spukhafte Abenteuerlichkeit des Nordens immer in der Seele zuwider gewesen; und derart war es stets auf reinliche Scheidung des Wissenswerten bedacht. So sind natürlich in dem Geburts- lande der neueren Naturwissenschaft schon sehr früh bei privaten Sammlern Naturalienkabinette zu finden, aber ihnen fehlt fast immer, audi in den zahl- reichen Oberitaliens, die Marcanton Michiel, der sogenannte Anonymus des Morelli, in der ersten Hälfte des Cinquecento beschreibt, jene Verquickung mit Kunstwerken und Kuriosa, oder sie heben sich dodi zum mindesten scharf von diesen ab. Auch die Sammlung, die z. B. in Borghinis Riposo (Florenz 1584) besdirieben wird, läßt sich nordländischen niclit ohne weiteres an die



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Fig. 88. Titelkupfer der Besdireibung des Museum Kircherianum (1678).


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V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Seite stellen. Wo das Kunstwerk in naturgeschichtlichen Sammlungen dieses Umkreises erscheint, spielt es fast immer lediglich eine dekorative Rolle, weil man eben auf diesem uralten Kunstboden seiner Mitwirkung auch da nicht entbehren mochte. Davon gibt das Titelkupfer des Kataloges eines alten veronesischen Naturalienkabinetts, des Museum Calceolarianum (Verona 1622) einen guten Begriff. (Fig. 89.) So nordisch abenteuerlich alle diese von der Decke



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Fig. 89. Titelkupfer des Museum Calceolarianum (1622).


hängenden Tierbälge anmuten, das charakteristisch italienische Gepräge, das Streben nach künstlerischer und monumentaler Gesamthaltung ist selbst hier nicht zu verkennen, in dieser Stadt, in deren südliche Gassen die Alpen hinein- sehen und manchen nordisch kalten Hauch senden.

Immerhin müssen einige andere norditalienisdie Privatsammlungen des XVII. Jahrhunderts erwähnt werden, weil von ihnen alte Kataloge vorliegen und weil an ihnen der Unterschied solcher italienischer Raritäten- und Kuriositätenkammern von ihren Genossen in Deutsdiland klarer werden dürfte.'"')




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108 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

Die eine ist die Sammlung des bolognesischen Edelmannes Ferdinand Cospi, von ihm, bemerkenswert genug, seiner Vaterstadt zum Geschenk gemacht; sie ist neuerdings mit der schon frijher von dem berühmten Arzt und Antiquar Ulisse Aldroandi hinterlassenen, zwischen den Universitätssammlungen und dem städtischen Museum von Bologna aufgeteilt worden. (Fig. 90.)

Die Gestalten dieser beiden Donatoren kennzeichnen schon allein die Art ihres Sammeins. Cospi war, abgesehen von sonstigen Liebhabereien, die er mit seiner Zeit und Umgebung teilt, ein eifriger Dilettant auf dem Gebiete physikalisdi-mechanisdier Spielereien; Torre nennt ihn in seinem Ritratto di Milano (2 A. von 1714 p. 38) geradehin einen nobile meccanico, und das gibt eben seiner „Kunstkammer" ihr Gepräge. Aldroandi (f 1605) ist hingegen der gelehrte Arzt, der die Altertümer von Rom in einem musterhaften Führer beschrieben hat. Gerade bei ihm ist die stete Aufmerksamkeit auf Naturalien jeder Art, wie sie in den Studios römischer Prälaten sich gelegentlidi neben den Antiken fanden, durchaus begreiflich, da er selbst einer der größten Sammler jener Zeit auf diesem Felde war. Überhaupt ist die Verbindung naturgeschichtlicher und antiquarischer Forschung bedeutungsvoll; es sind nidit selten humanistisch gebildete Mediziner, die jene alten Sammlungskataloge verfaßt haben.

Das Museo Cospiano hält die herkömmliche Scheidung zwisdien Naturalien und Artifizialien sehr sauber aufrecht; indes sind auch seine „artificiosa" durchaus vom Standpunkt des Naturbetraditers aufgefaßt und verleihen dem Ganzen den Charakter eines ethnographisdien und volkskundlichen Museums. Das Kuriose fehlt freilich nidit, es schlägt sogar im Naturalienkabinett mit seinen zahlreichen pathologischen Präparaten, seinen „Naturspielen" usw. sehr stark durch; und so finden sich denn auch in der „Kunstkammer", wenn dieser hier eigentlich kaum mehr passende Name beibehalten werden soll, neben den wohlbekannten mathematisdien, optischen, nautisdien Instrumenten, Porzellan und Kristall, nicht minder jene Virtuosenspiele in Elfenbein, die aber ausdrücklich als Werke von „Callicrati tedesdii" gerühmt werden — eine Modesadie. Das Kunstwerk als solches steht hier, selbst unter dem Gesidits- punkt tedinischer Kuriosität betrachtet, gänzlich im zweiten Treffen; es dient als Specimen des natürlichen Materials oder als ethnographisdi-antiquarisdie Illustration. Etruskische Aschenkisten und römische Grablampen haben als Zeugen älterer Bestattungsgebräudie ihre Stelle; und antike Bronzen finden einträditig mit ägyptisdien und mexikanisdien Idolen ihren Platz unter den Illustrationen zur Mythologie. Die Münzensammlung, die audi eine ansehn- lidie Kollektion von Plaquetten enthielt, steht für sich da, und diarakteristisdi italienisch ist es, wenn am Sdilusse des Katalogs ein kurzes Verzeichnis der Privatgalerie im Palazzo Cospi gegeben wird, die räumlich wie essentiell getrennt, sidi völlig als eine Liebhabersammlung von Gemälden, antiken und modernen Skulpturen, sowie von Gegenständen des Kunstgewerbes darstellt."'"')

Rein antiquarisch gelehrt war das gleichfalls mit einem Naturalienkabinett verbundene Museum des Conte Ludovico Moscardo in Verona, das der Besitzer selbst in einem mit unglaublich sdilediten Abbildungen verunzierten Quartanten besdirieben hat; audi hier ist übrigens zum Schlüsse ein sum-


II. Die Kunst- usw.

marischer Katalog einer nicht unbedeutenden Galerie von Gemälden, Handzeichnungen und historischen Bildnissen beigefügt.

Am meisten nähert sich noch dem Begriffe deutsdier Sammlungen das Museum des Mai- länder Patriziers Man- fred Settala. (Fig. 91.) Man sah dort Arbeiten in Kristall, Korallen, Bernstein , Muscheln, selbst die uns schon bekannten Federmosai- ken, aber das alles dient vielmehr natur- kundlicher Belehrung, wie denn das Artefakt (so z. B. die Gemme) durchaus als Illustration neben dem rohen Natur- produkt steht, und das ganze sich überhaupt wesentlich in das Sche- ma naturforschenderBe- trachtung fügt. Auf die Nachbarschaft jenseits der Alpen weisen auch hier dieElfenbeinsachen deutsdier und nieder- ländischer Virtuosen, denen sich jedoch, recht charakteristisch für die Mode, eine Reihe von Drechslerarbeiten von der Hand desBesitzers selbst, zugesellt, dann die medianischen Spiel- werke aus Augsburger Werkstätten. Wieder macht eine kleine, selb- ständige Gemäldegale- rie mit klingenden Na-



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110 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


mcn, eine stattliche Bibliothek und eine höchst ansehnliche Münzen- und Mc- daillensammlung den Schluß.

In der Folge hat die Sehnsucht nach vergangener nationaler Größe, die, kann man wohl sagen, das sozialpolitische Leitmotiv Gesamtitaliens unab- änderlich gebildet hat, haben gewiß auch die Wirkungen der kirchlichen Reak- tion das Vaterland Dantes mehr und mehr umsponnen. Während die Nationen des Nordens auf neuen Wegen der Zukunft entgegenschritten, ward der klassische Panzer Äusoniens immer schwerer; noch 1870, als die Einigung Italiens vollendet war, hat der berühmte neapolitanisdie Kritiker Francesco de Sanctis seine geniale Darstellung des heimatlichen Schriftwesens mit den trüben Worten geschlossen: „An unsere Fersen heftet sich nodi immer die Akademie, die Arcadia, der Klassizismus und die Romantik. Wir leben sehr viel von unserer Vergangenheit und von dem, was andere geleistet haben." So ergibt sich, daß die Heimat Lionardos und Galileis, deren Maler, Bildner, Baumeister, Musiker, Dichter und Sänger mehr als jemals zuvor das Ausland überfluten und als höfische Günstlinge ihre Rolle spielen, seit dem XVII. Jahr- hundert, wenige glänzende Ausnahmen abgerechnet, auf wissenschaftlichem Gebiete die Führung verloren hat. Franzosen, Engländer, Deutsche, Holländer und Skan- dinavier bauen die moderne Naturwissenschaft aus. Wohl hat ein gebürtiger Genuese, aber in spanischen Diensten, die neue Welt entdeckt, wohl stammt deren Name von einem florentinischen Gelehrten, aber an der ErschUeßung der Erde haben die Nachfahren Marco Polos und der andern kühnen Reisenden des italienischen Mittelalters nur einen geringfügigen Anteil; sie müssen fast hinter den binnenländischen Deutschen zurückstehen, und es war eine Courtoisie der Fugger von Augsburg, wenn sie eine ihrer Faktoreien Kleinvenedig, Vene- zuela, nach der alten, ihnen so nahe verbundenen Beherrscherin des Levante- handels genannt haben.

Hier dürfte es nun zum Abschlüsse nicht ohne Interesse sein, das Ideal- bild einer Kunst- und Wunderkammer kennen zu lernen, wie es unseren Vätern vorgeschwebt hat. Es sei darum die Schilderung mitgeteilt, die Neickelius in seiner Museographie (p. 422 f.) zum besten gibt: (hierzu Fig. 92.)

„Nachdem ein ziemlicher Vorrat von allerhand Raritäten an einem Ort zusammengebracht worden, so erwähle man dazu ein Gemach, welches wegen der bequemen Luft gegen Süd-Ost gelegen, dessen Mauern trocken, der Boden gewölbt, das Tageslicht wohl ausgetheilet, und im übrigen vor allem Unfall wohl bewahret ist. Den Wänden der Mauern und Gewölbe gebe man keinen andern Zierrat, als eine weiße helle Farbe. Dieses von mir in Gedanken vor- gestellte Raritätengemach ist ungefähr zweymal so lang als dessen Breite ist, und lieget gegen dem hellen Tag an, damit auch das Kleinste darinn mag wahrgenommen werden. Der Eingang zu demselbigen ist accurat in der Mitte, und beym ersten Eintritt siehet man darinn an beyden Seiten von unten bis oben Repositoria, auf Art der gewöhnlichen Bücher-Riolen oder Schräncke, deren Scheidungs-Bretter also eingerichtet, daß unten der größte Raum, z. E. 1 oder 1 '/„ Ellen hoch, nach gerade aber verkürtzet sich solche Höhe bis end- lidi zu Oberst, da derselbige ohngefähr bis zu einer Spannen allgemach abge-


IL Die Kunst- und Wunderkaiiimeni.


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nommen: Solche Repositoria kan man nun hiernach mit einem zierlichen Altan oder Bogen von vornen umgeben, und mit einer artigen doch ehrbaren Farbe anmahlen lassen. Dergleiclien Repositorien siehet man 6 unterschiedliche, nemlich zu beyden Seiten der Thüre zwey, von vi'eldien 4 den Naturalibus oder natürlichen Raritäten gewidmet. In dem ersten und obersten siehet man lauter vierfüßige Thiere und Vögel, von welchen die grösten, welche etwa ausgestopffet seyn, unten in dem geraumsten Fache, die kleineren aber all- gemach höher gesetzt seyn, bis zur obersten Reihe, woselbst die in Spirit. vini conservirte zur mehrern Sidierheit können gesetzt werden, docli also, daß sicli alles beydes zugleicli wohl praesentiret, und auch das Gemüth oder die Sinnen sich darob belusti- gen. In dem 2ten Repo- sitorio siehet man aller Arten Fische, Schlangen, Eydexen etc. auf erstere Art angeordnet. Deßglei- chen findet man a'uch in dem 3ten allerley Arten theils Vegetabilia, theils Mineralia oder Fossilia, unter welchen auch die grösten den unterstenRaum einnehmen, die kleineren Sachen aber nacli Propor- tion bis oben vertheilt werden; das 4te und letzte an dieser Seite begreiffet in sich allerhand See-Ge- wächse, Muscheln oder Schnecken etc., welche beydes zur Gemüths- und Augen - Ergötzung ver-

nünfftig und zierlich dargelegt seyn. Nun haben wir noch auf beiden Seiten des Gemadis einen freyen Raum, woselbst die übrigen 2 Repositoria eines zu Oberst und das andre zu unterst des Gemachs stehn. In dem, welches oben an stehet, siehet man lauter Anatomische Sachen, vornehmlich von Menschen, als Mumien, kleine balsamirte item anatomirte Kinder, deren Gerippe, wie audi von vollkommen erwachsenen Personen, aufgesetzet seyn, nebst andern anatomirten und durch Balsam oder gewissen Vernis künstlich zubereiteten Theilen von Menschen und Viehe. In dem am andern Ende des Gemachs und diesem gegen über stehenden Repositorio findet man denn lauter Curiosa Artificialia, oder künstliche Sachen, unter welchen ein Haupt-Untersdieid unter



Fig. 92. Aus Neickels iWuseographia (1727).


112 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

denen antiquen und modernen sonderlich muß gemacht, überhaupt aber also eingerichtet werden, daß sowohl die Kunst als die Absidit der Dinge daran kan wahrgenommen werden. Dieses mir im Sinne vorgebildete Gemach hat 4fadie Fenster, nemlich neben jeden, von denen 4. ersten, an der Eingangs- Seite, erwähnten Repositoriis gegen über, folglich haben wir noch offenen Raum für die drey mauerne Pfeiler, zwischen besagten 4. Fenster-Fachen. Der mittelste unter diesen dreyen kommt nun gerade gegen den Eingang oder Thür über zu stehen; daselbst wolle ich entweder ein schön laquirtes oder sauber von Holtz ausgelegtes Münz- und Medaillen-Cabinet hinsetzen. Dieses solte aber so eingerichtet seyn, daß oben auf demselbigen noch ein anderes kleines Cabinetgen stehen könte, worinnen lauter kleine Schubläden seyn solten, darinnen die aller pretieusesten und kleinsten Sachen, welche sonst leichtlidi könten von abhanden kommen und verlohren werden, aufbehalten wurden; gleichwol müste darunter auch eine Ordnung gehalten werden, und zu denen Naturalibus, als z. E. Bezoar, Pedro del Porco, Steine aus dem Testiculo castoris, Hirschzähren, item kostbaren Minera, Gold, Diamanten etc. ingleichen zu den Kunst-Sachen, die von hohem Werth, z. E. einen Ring mit einem künstlichen Schloß und Thürmen von Edelsteinen und dergleichen, zu soldien sage ich, mödite ungefähr zu beyden Theilen die Helffte des kleinern Cabinets genommen, und nach gut befindlicher Ordnung eingetheilet werden. Zu beyden Seiten dieses mittleren Mauer-Pfeilers hätten wir noch einen leeren an jeder Seite, diese beyde solten mit dergleichen Bücher, auf zierlichen dazu gemachten Riolen oder Repositoriis besetzt seyn, welche von Museis oder Raritäten-Behältnissen handelten, wozu der am Ende des 11. Theils angehängte Catalogus das seinige beytragen könte. Endlich und zum letzten könte sowol unter denen vier Fenster-Pfosten, als auch in der Mitte des Zimmers ein langer schmaler Tisch gesetzt werden, darauf man die etwa zur Speculation herunter gelangte Raritäten legen und besehen, oder auch in einem und andern Buche, was etwa verlangt würde, nachschlagen und überlesen könte. Diese Büdier könten zu desto besserer Parade allesamt in frantzösischen und wolvergüldeten Bänden eingebunden seyn, und solches um desto leichter, da ihre Zahl nur klein: an beyden Enden des Tisches könten ein Par große Globi, oben am Gewölbe aber einige ungeheuere große Thiere, zum Exempel ein Junger Wal- fisch, ein großer Crocodill, See-Hund, Schlange etc. aufgehangen, beym Ein- gange der Thüre aber zwey fürchterliche Löwen, Bären oder Tieger aus- gestopfft gesetzt werden. Was etwa über denen Fenstern oder Repositoriis für Raum noch übrig wäre, möchte man mit raren Gemählden von berühmten Meistern besetzen oder behängen. Und dieses wäre mein zwar im Geist und Gedanken aufgerichtetes Museum, so ich mich aber auch allemal in der That zu praestiren erbiete."

Die Freude am Kuriosen hat nodi sehr lange, das ganze achtzehnte Jahrhundert hindurch nicht nachgelassen; die Franzosen haben bekanntlich nodi jetzt das Wort curiosite für eine bestimmte Richtung der Sammlertätigkeit. Selbst in den ersten Dezennien des XIX. Jahrhunderts ist im Mittelpunkte der geistigen Kultur Deutschlands, in Weimar (seit 1811) eine von Goethes Sdiwager Vulpius herausgegebene Zeitschrift erschienen, mit dem langatmigen


II. Die Kunst- und Wunderkammeni.


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und charakteristischen Titel: Kuriositäten der physikalisch-literarisch-artistisch- historischen Vor- und Mitwelt zur angenehmen Unterhaltung für gebildete Leser.") Sie präsentiert sich in ihrem Programm ausdrücklidi als eine Kurio- sitätenkammer; und altväteriscli wie der Titel berührt uns in der Tat zum großen Teil der Inhalt in seiner Buntscheckigkeit, obwohl Goethe selbst als gelegentlicher Mitarbeiter („Der Tänzerin Grab") nicht zu erscheinen verschmäht hat. Zumeist werden Sachen aufgetischt, die wir heute nur mehr in einem bescheidenen Eckplätzlein gewisser Familienjournale zu finden gewohnt sind. Es ist der Mühe wert, zwei Artikel aus diesem etwas überfüllten Schatzkäst- lein herauszuheben. An einer Stelle wird ausführlich des kuriosen Pustericli in Sondershausen gedadit, eines angcblidi altwendischen Götzenbildes, das hier wahrlich am Platze ist und auch in der bekannten Invektive Goethes gegen seinen unglückseligen Nachtreter Pustkuchen auftaucht:

Pusteridi, ein Götzenbild Gräulich anzusdiauen Pustet über deutsch Gefild Wust, Gestank und Grauen.

Auch die kaiserliche Sammlung in Wien besitzt ein solches aberwitziges Männlein, das dem Meister wie ein Symbol wider- wärtiger Dinge erschienen ist; dieses aber zweifellos eine Fälschung des XVII. oder XVIII. Jahrhunderts (Fig. 93), die sich ursprünglidi, gleich ähnlichen Spielereien im Italien des Quattrocento, von naiven Experimenten mit der Dampfkraft herschreiben könnte, im XVIIl. Jahrhundert jedoch, dank der romantischen Beschäftigung mit dem nordslavischen Alter- tum, des versunkenen Vineta usw. (der auch C. F. von Rumohr eine Abhandlung gewidmet hat) aktuelles Interesse erlangte. Noch mehr als darin kündet sich in anderen, gleichfalls

für bare Münze hingenommenen Fälschungen die herannahende Romantik und die Wendung der Kuriosität zum Mittelalter an, nicht ohne einen dem XVIII. Jahr- hundert eigentümlichen Beigeschmack. Das sind die sogenannten Baphomete (Fig. 94), angeblich Idole der Tempelritter, über welch' letztere gerade damals eine weitschweifige Literatur aufkam. Auch von ihnen ist natürlich, möchte man fast sagen, in den Weimarer Kuriositäten die Rede; der bekannte Wiener Orientalist V. Hammer-Purgstali hatte ihnen in seinen von Goethe fleißig ausgeschöpften Fundgruben des Orients eine überlange Abhandlung gewidmet, die an unkritischer Verkennung des historischen Sachverhalts wie an abstruser Gelehrtenakrobatik schwerlich ihres gleichen finden dürfte. In Wirklichkeit sind diese scheußlichen Fratzen, von denen eine große Zahl, einst bewundert, heute ins Cachot eines Magazins verbannt, im kaiserlichen Antikenkabinett zu

V. Sdilosser, Kunst- und Wunderkammern. o



Fig. 93. Pusterich. (Wien, Hofmuseum.)


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V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


Wien vorhanden ist, Fälschungen plumpster Art, wahrscheinlich die allerdings gelungene Spekulation einer bestimmten Fälscherwerkstatt auf die Leicht- gläubigkeit und Kuriositätensudit des damaligen Publikums und als solche lehr- reich. Lehrreich vor allem dadurch, daß sie die Freude jener Zeit am Mysteriösen, am Cagliostrohaften recht deutlich zeigt, eine Erscheinung, die bekanntlich Goethes nachhaltiges Interesse erregt hat. Welche Rolle die frei- maurerische Geheimniskrämerei, die opernhafte Symbolik damals gespielt haben, braucht nicht des weiteren ausgeführt zu werden; selbst ein Goethe ist dem nicht ganz fremd geblieben, hat er sich doch mit der Fortsetzung der Zauber- flöte getragen '^) und weisen Wilhelm Meisters Wanderjahre deutliche Spuren davon. Der- gleichen tritt denn auch, freilich verfratzt und spukhaft, in jenen unleidlichen Mißgeburten einer abenteuerlichen Fälscherphantasie zutage, von denen sich des großen Dichters reines Auge gewiß mit Grauen und Abscheu gewen- det hat.

Erweist sich so noch im Deutschland der napoleoni- schen Zeit der Gedanke der alten Kuriositätenkammer literariscli le- bendig, so vermögen wir daraus zu ermessen, welche Bedeutung er für die vorausgehende Zeit gehabt haben mag. Die soziale Wirkung dieser alten Samm- lungen ist auch nicht gering an- zuschlagen. War doch ihr Besuch obligat für den Fremden von Distinktion ; freilich fast auch nur solchen möglich, schon materieller Rücksichten halber. Keyßler be- riclitet, daß (um 1730) das übliche Trinkgeld bei dem Besuch der Wiener Schatzkammer nicht weniger als fünfundzwanzig Gulden, in der Gemälde- galerie zwölf Gulden betrug, wenn es auch auf mehrere Personen verteilt werden konnte. Selbst ein Montaigne, der sonst eben kein großes Inter- esse für bildende Kunst bezeugte, hat es nicht unterlassen, Ambras zu be- suchen. Aber auch für den Gelehrten waren sie ein Schatz der Anschauung, Patins Relationen an den Herzog von Würtemberg mögen hier noch einmal Erwähnung finden ; beiläufig gesagt, ist die Verbindung des gelehrten Beraters und der wissenseifrigen Fürsten charakteristisch. So ist es endlich kein Wunder, wenn die Literatur jener Zeiten eine überaus stattliclie Anzahl von theoretischen Schriften und Anweisungen, Museologien und wie sie sich sonst



Fig. 94. „Baphomete." (Wien, Hofmuscum.)


II. Die Kunst- und Wunderkammern. 115

hoditrabend und weitsdiweifig genug betiteln mögen, aufweist. Eine davon mag hier die übrigen vertreten, das ist Dr. Michael Bernhard Valentini's, hodifürstl. hessischen Leib-Medici, der Experimental-Wissenschaft wie auch der Artzeneykunst Prof. Ord. in Gießen Musaeum Musaeorum oder vollständige Schaubühne aller Materialien und Specereyen .... der studierenden Jugend, Materialisten, Apotheker und deren Visitatoren, wie auch anderer Künstler als Jubelierer, Mahler, Färber usw. also verfasset und in etlich hundert sauberen Kupfferstücken unter Augen geleget, in zwei Folianten zu Frankfurt 1704 — 1714 erschienen (Fig. 95) ; sie enthält überdies zum Schlüsse eine eigne, schon früher zu Kiel 1674 erschienene Abhandlung: Unvorgreiffliche Bedenken von Kunst- und Naturalienkammern, die nicht nur eine vollständige Theorie des damaligen Sammelwesens, sondern auch eine Geschichte desselben von König Salomo an, sowie eine Liste der damals bekannten fürstlichen und privaten Museen enthält.

Noch ausführlicher ist indessen die schon wiederholt zitierte Schrift von Joh. Casp. Neickel: Museographia, vermehrt von Dr. Kanold, Leipzig und Breslau 1727, besonders weil sie in ihrem IL Teil eine ziemlich vollständige Bibliographie aller alten Schmöker enthält, die, heute nur selten mehr zu Rate gezogen, einst zum ständigen Inventar gelehrter Arbeitsstuben gehörten und neben vielem Wunderlichem gar nicht wenig schätzbare Nachrichten enthalten. So ist audi Valentinis Buch, namentlich in kulturhistorischer Hinsidit merk- würdig genug ; obwohl es sich im Grunde als eine Naturgeschichte der drei Reiche gibt, enthält doch namentlich der zweite Teil eine Fülle von Nach- richten über fast alle Dinge, die man damals als dem Gebiet der Kuriosität angehörig betrachtete, von sehr signifikanten Kupfern begleitet. Da werden bei Gelegenheit der verschiedenen Erden, nicht nur prähistorische Graburnen, altchristliche Lampen und Sarkophage, sondern auch Terra sigillata-Schalen und chinesisches Porzellan abgehandelt; nach den Versteinerungen, Dendriten u. s. f. folgen nicht nur die Naturspiele, wie Madonnenbilder in Stein gewachsen und dergleichen (wobei denn der Achatschale in der Wiener Schatzkammer sammt des gelehrten Lambecius seltsamer Deutung des angeblich darauf sichtbaren Namens Christi nicht vergessen wird), sondern auch die geschnittenen Steine der Alten. Dann ist wieder mitten unter den exotischen Pflanzen und Tieren von Hottentotten und Grönländern die Rede; die Mißgeburten sind auch nicht vergessen, und dem Basilisken wird noch die Ehre einer Abbildung zuteil. Das ist nun der Standpunkt jener italienischen Natu- ralienkabinette, aber doch mit einem deutlichen nordischen Einschlag. Auch die Arcimboldischen Fratzenköpfe spuken noch herein, und es ist höchst seltsam, aber ein echtes und rechtes Stück konservierten Mittelalters, daß am Schlüsse dieses Abschnitts die berühmtesten Reliquien Christi und Mariae, wie der ungenähte Rock zu Trier, die Dornenkrone, der Kamm der h. Jungfrau, und was noch seltsamer ist, einträchtiglich mit dem Schwert — des Hussiten Ziska erscheinen. Ein klein wenig Ranküne des protestantischen Verfassers gegen die „Römisch -Katholischen" ist dabei freilich im Spiel, aber die Materie wird dennoch ganz ernsthaft-langweilig

traktiert.

8*


116 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

Ebenso ist es nicht weniger ein Stück Mittelalter und ein Zeugnis für die lange Nachwirkung theologischen Geistes, wenn des weiteren in der Auf- zählung der berühmten Kunstkammern und Naturalienkabinette auch ganz harmlos (und nicht ohne gewisse historische Berechtigung) die Kirchenschätze von Loreto, Aachen, Venedig erscheinen, und ein langatmiges, religiöses Gedicht in Alexandrinern „von der himmlischen Kunstkammer" den erbaulichen Beschluß macht. Beginnt doch auch Neickelius die Geschichte der Naturalien- kammern allen Ernstes mit der Arche Noah. Ein Appendix „neu auffgerichtes Rüst- und Zeughauß der Natur" handelt dann von allen möglichen physika- lischen Apparaten und Maschinen ; der gelehrten Spielerei und Phantastik, die jener Zeit so sehr in den Gliedern liegt, hat man dabei, zumal in den Ab- bildungen, recht mit Lust die Zügel schießen lassen. Daß der Pusterich nicht fehlt, daß von Katzen- und Eselklavieren, einem arm- und beinlosen Wunder- mann des Langen und Breiten die Rede ist, wollen wir dem gelehrten Gießener Professor nicht so sehr verargen ; spaßhaft ist es, daß mit einer neuerfundenen Dreschmaschine Dinge wie Flohfallen und Keuschheitsgürtel zusammengebracht werden, aber weß Geistes Kind diese weitverbreitete und lang benutzte Bibel der curieusen Sammler eigentlich ist, lehrt die lange, den dicken Folianten schließende Abhandlung über die Wünschelrute, ihre Herstellung und Ver- wendung.

Neben dem schweren Geschütz solcher Folianten und Quartanten existierte noch eine Anzahl löschpapierener Büchelchen, Vademekums für den wiß- begierigen Reisenden, wie denn aus dem Naclilasse des gelehrten Numis- matikers Johann David Köhler noch eines dergleichen herausgegeben worden ist : Anweisung für reisende Gelehrte, Bibliotheken, Münzkabinette, Antiquitäten- zimmer, Bildersäle, Naturalien- une Kunstkammern u. d. m. mit Nutzen zu besehen. Frankfurt und Leipzig 1762. Die Bibliotheken, Münzkabinette, Antikensammlungen, Galerien, Naturalienkabinette, endlicli die Kunstkammern werden darin mit abstruser Systematik und in einem oft komisch wirkenden gelehrten Ciceronijargon abgehandelt, ohne jeglidie historische Einteilung und Einsicht, ohne jede Spur künstlerischer Bildung, wenn auch eine Anleitung, Kunstkenner zu werden, nicht vergessen wurde, die uns freilich eher an das spaßhafte Büchlein Detmolds erinnert. Es ist das leibhaftige bebrillte Stuben- hockertum; richtig ist auch die seit der Gegenreformation bis zum Überdruß behandelte Materie von den Fehlern der Maler nicht übergangen. Es ist nicht ohne Interesse, das Kapitel über die Kunstkammern etwas näher anzu- sehen. Da ist denn alles untergebracht, was sich nicht deklinieren läßt und in den übrigen Schubfächern keinen Platz gefunden hat. Da haben wir Instru- mente der verschiedenen Künstler (auch der Chirurgen nach dem alten Sdiul- begriff der Ars), Modelle von berühmten Gebäuden, vom Tempel Salomonis an (eine Sammlung der Art in Korkplastik befindet sich nodi heute in dem überhaupt charakteristischen Museum von Darmstadt), künstlidie Arbeiten in Elfenbein, Rhinozeroshorn , Kokosnuß, Straußeneiern, Drediseleien , die von Potentaten, wie Kaiser Leopold, dem Zar Peter, dem Landgrafen von Hessen- Kassel verfertigt wurden, Meisterstücke von Handwerkern, musikalisdie Instru- mente (für die als Paradigma wieder die Sammlung von Kassel und darin das



Fig. 95. Titelkupfer aus Valentini's Museum Museoruni (1704).


118 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


erbauliche „Katzenklavier" des Landgrafen besonders angeführt wird), künst- liche „Frauenzimmer Arbeit" (hier mag im Vorübergehen an das Äntependium aus St. Anna in Venedig, von den Töchtern Tintorettos gestickt und jetzt in Wien bewahrt, erinnert werden), kalligraphierte Schreibmeistersachen, Kunst- stücke von Krüppeln und Bresthaften, optische Instrumente, Sprachrohre, Uhren und dergleichen; merkwürdige Glassachen, wie das Lutherglas in Nürnberg, subtile Drahtarbeiten, zierliche Wadisbossierungen, wobei die scheußlichen Ela- borate des Gaetano Zumbo, die noch heute im Bargello zu Florenz zu sehen sind, nicht vergessen werden und auch des Deutschen Neuberger und seiner Tocliter Felicitas Erwähnung geschieht, von der das kaiserliche Hofmuseum in Wien noch Kunstwerke so recht im subtilen Geschmack jener Zeiten besitzt; ferner Goldmacherkünste, die aber doch schon für lautere Betrügerei erklärt werden (vielleicht hat der vielerfahrene Numismatiker Köhler dabei an die große Habsburger Medaille des Wiener Münzkabinetts von 1677 gedacht, die der Alchymist Wenzel von Reinburg aus Silber in Gold verwandelt zu haben behauptete); Kleider merkwürdiger Personen und fremder Völker, Waffen und Rüstwerk , wobei die Ambraser Sammlung gebührenderweise Erwäh- nung findet, jedoch auch die Hellebarde, mit der Wallenstein ermordet wurde; endlich das Porzellan, das schon in seinem abendländischen Ursprung aus dem Laboratorium eines Alchymisten die Signatur des Jahrhunderts an sich trägt.

Zopfig und wirr genug muß uns gerade diese Abteilung des Köhlerschen Vademekum erscheinen, wie überhaupt der Inhalt des Büchleins mit seiner wunderlich detaillierten Systematik und Nomenklatur; so wenn der brave Köhler des Langen und Breiten über die Einteilung der Statuen in nackte und bekleidete, stehende, sitzende, reitende u. s. f. peroriert. Derlei echt deutsche Schulmeisterei und Pedanterie kommt in einem anderen, viel ausführlicheren Kompendium auch zum Vorsdiein, dessen Titel allein zu seiner Kennzeichnung genügen würde. Das ist der „Geöffnete Ritterplatz, worinnen die vor- nehmsten ritterlichen Wissenschaften und Übungen, denen Liebhabern zum Vergnügen, vornehmlich der politischen Jugend zu Nutzen und denen Reisenden zur Bequemlichkeit an das Lidit gestellet werden. Hamburg 1702", drei dicke Bändchen mit mäßigen Kupfern. Es ist eine Enzyclopädie der „galanten Wissenschaft" für den perfekten Kavalier, die in reichlich bunter Folge die Theorie der Kriegswissenschaft, der bildenden Künste, der Numis- matik, der Reit- und Jagdkunst, der Maschinenkunde, der Altertumswissen- schaft, der Bibliothekslehre, der Rechts- und Religionsgesdiidite, der Rari- täten- und Naturalienkammern, der Hüttenkunde und zu guter Letzt des kaufmännischen und Industriewesens enthält, Summa summarum also ein statt- lich vollgepacktes Bündel alles Wissenswerten, ein Inbegriff und Abrege dessen, was jene alten Sammlungen dem Reisenden zur Anschauung brachten. Dieses zopfige Kompendium ist aber noch der Reisebegleiter eines Winckel- mann gewesen, und dergleichen läßt uns doch viele Wunderlichkeiten in einem andern Licht erscheinen. Man sieht, wie gerade in Deutschland das moderne Wissen sich durch Wust und Irrsal, aber auch durch die Fülle jener alten Magazine seinen Weg gebahnt hat; und wir wollen es niemals ver-


II. Die Kunst- und Wunderkammern.


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gessen, daß Goethe durch die Bestände einer solchen alten Kunst- und Natura- lienkammer, der Weimarisclien nämlich, eigenem Geständnis zufolge zu einer seiner bedeutungsvollsten, für die neuere Entwicklungslehre hödist fruchtbaren Entdeckungen, der Feststellung des Zwischenkieferknodiens beim Menschen, geführt worden ist.


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Fig. 96. Georg Hufnagel, Ansicht von Ambras. (Wien, Hofmuseum.)



Fig. 97. Die Galerie in Sabbioneta.


III. Schluß.

Fernere Entwickelung des Sammelwesens,

Zum Schlüsse soll der weiteren Entwicklung und den Anfängen modernen Sammelwesens ein Blick gewidmet sein. Zwei Länder sind da von be- sonderer Bedeutung, das eine, das man füglich das Geburtsland moderner Kunst und Wissenschaft nennen darf, Italien, das andere eine ultima Thule europäischer Kultur, aber zu Anfang wie zu Ende der zweiten großen Ge- schichtsperiode höchst bedeutend in das Getriebe eingreifend, England.

Ist doch jenes Italien das älteste Kulturgebiet im Westen, das schon ein- mal Auf- und Niedergang einer ganzen einheitlichen Weltanschauung gesehen hatte, während die übrigen Länder erst von vorne, aus naiver Kindheit und stürmischem Jünglingsalter beginnen mußten. Trotz aller Verdüsterungen mitt- lerer Zeiten ist die Antike hier doch immer die große Vergangenheit, ein nationales Erbe geblieben, und der neuere Individualismus streckt hier seine Wurzeln in altgepflügten Boden. Daß dies aucli für die Kunst seine Bedeutung hat, ist schon oft gesagt worden. Nicht nur, daß die Künstler von alters her in dem Künstlerlande eine ganz andere persönliche und soziale Stellung in Anspruch nehmen als anderwärts, die Kunstwerke selbst erscheinen schon recht frühzeitig als individuelle Dinge, die um ihrer selbst willen ge- schätzt, gepflegt und gesammelt werden. Auch da hat gewiß ein antikes Erbe mitgespielt; die Gepflogenheit, Bildwerke auf öffentlichem Markt, an frei zu- gänglichen Hallen zur Schau zu stellen, ist das ganze Mittelalter hindurdi niemals ganz erloschen. Bekannt genug ist der Pisaner Friedhof, mit seinen antiken Sarkophagen eine Künstlerakademie seit Niccolö Pisano; bekannt, daß die Loggia de Lanzi in Florenz schon im XVI. Jahrhundert berühmte Kunst-


III. SdiluR. Fernere Entwickelunq des vSaiiimelvveseiis. 121


werke aufgenommen hat. Dann ist der Gedanke der antiken Gloria nie gänz- lich in Vergessenheit geraten, zumal in den weiter bestehenden alten Muni- zipien. Berühmten Bürgern des Altertums, einheimisdien Diditern und Sdirift- stellern sind audi im Mittelalter öffentlidie Denkmäler gesetzt worden: Virgil hat deren zwei in Mantua, wo er überhaupt, auf Siegeln, Fahnen, als eine Art heidnisdien Sdiutzpatrons ersdieint, der jüngere Plinius das seinige sogar an heiliger Stätte in der Vaterstadt Como; eine Liviusstatue ist zu Anfang des XV. Jahrhunderts in Padua geplant worden, während Ovid die seinige in Sul- mona wirklidi erhalten hat. Wie lokale Erinnerungen im modernen Italien weiterwudiern, bemerkt der Fremde zuweilen mit einigem Erstaunen; reidit es auf diese oder jene Weise zum Denkmal nidit, so ruft wenigstens ein Kaffee- haussdiild die Glorie der Vergangenheit ins Gedäditnis, wie denn das kleine Settignano sein Cafe Desiderio oder Ancona ein Cafe Dorico hat. Endlidi ist nidit zu vergessen, was alles an Resten der Antike aufredit geblieben war, wie vor allem die zwei berühmtesten Reiterstatuen, der zum Caballus Con- stantini umgedeutete Marc Aurel in Rom und der erst in neuerer Zeit ver- niditete Regisol von Paria; während eines der letzten Denkmäler dieser Art, das Reiterbild des Theodoridi, von Karl d. Gr. aus Ravenna nach Aachen vor die Königspfalz versetzt, dort bald als anstößig empfunden und beseitigt wor- den ist. Audi im Mittelalter sind fortwährend Antiken der Erde entstiegen; das merkwürdigste Beispiel ist wohl jene schon einmal erwähnte, mit dem Namen des Lysipp bezeichnete Statue, die auf der Fönte Gaja, im Mittel- punkt der Stadt Siena, unter großer Begeisterung des Volkes aufgestellt, denn auch sofort von Künstlern wie Ambrogio Lorenzetti als Studienobjekt benutzt wurde; ihre nachträglidie Entfernung ändert nidits daran. Hier war eben schon von Anfang an nicht der Wille eines einzelnen über seine Zeit hinaus Blicken- den maßgebend, mochte es auch der Wiederhersteller der alten Kaiserwürde sein, wie in Aachen, sondern der einer in Weisheit und Torentum gleich- gestimmten Mehrheit. Alles das zeigt, daß die Rolle der Kunst hier ganz versdiieden, daß diese ein weit wirkungsvollerer Faktor im öffentlidien Leben war, nicht ausschließlich religiösen und privaten Interessen dienstbar, sondern von vornherein andern Anregungen und Aufgaben zugänglich. Goethe hat diese Ansidit, als er einer Sitzung der olympisdien Akademie in Vicenza beigewohnt hatte, drastisdi genug in die Worte gekleidet: „Wenn man nur auch vor seiner Nation so stehen und sie persönlich belustigen dürfte! Wir geben unser Bestes schwarz auf weiß; jeder kauzt sich damit in eine Ecke und knoppert daran, wie er kann."

Im fünfzehnten Jahrhundert erweitert und vertieft sich dies alles. Es beginnt die Wirksamkeit der großen Florentiner Künstler von Brunellesco bis Leonardo und Michelangelo, von Männern, deren geistige Bedeutung und Tatkraft fast durchweg, namentlidi bei den beiden letzten, weit über die Schranken ihrer Kunst hinausragt. Einer der frühesten, Ghiberti, spürt nicht nur als Pionier moderner Naturwissenschaft, den optischen Gesetzen nach, sondern wendet seinen Blick, als erster, gerade durdi ein antikes Vorbild, Plinius, an- geregt, in die Vergangenheit zurück und gibt sich in seiner merkwürdigen Selbstbiographie von seiner künstlerischen Ahnenreihe Rechenschaft; es liegt


122 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkanimern der Spätrenaissance.

etwas ganz modernes, wie eine Vorahnung Goethes und des Entwicklungs- gedankens darin.

Derart ist es kein Wunder, daß in den ältesten Sammlungen auf ita- lischen Boden sich sofort rein künstlerische neben rein wissenschaftlichen, historischen Interessen geltend machen; das Kuriose, die Raritätensucht findet in ihnen höclistens ein bescheidenes Ecklein, ja man möchte meinen, daß der- gleichen fast nur als atavistischer Rest vorhanden sei. Es ist typisch, daß die berühmte Antikensammlung im Mediceergarten'-') sofort den Künstlern für ihre Studien zugänglich ist; ein Künstler ist denn auch ihr Konservator, jener Bertoldo, dessen Sdiüler Michel Ängelo dort die stärksten Anregungen em- pfangen hat. Die Ateliers werden zu kleinen Museen, nicht nur der Floren- tiner Ghiberti hat eine Reihe ausgezeichneter Antiken besessen, darunter das lange Zeit berühmte, mysteriöse „letto di Policleto", das nach wunderUchen Irrfahrten zuletzt mit der Sammlung Rudolfs II. verschollen zu sein sdieint, sondern ebenso in Oberitalien Sguarcione, Mantegna, die Lombardi.

Solclies unmittelbare und lebhafte Interesse an dem Erbe einer hodi- geehrten Vergangenheit verbindet sich leicht mit der Wertschätzung lebendiger künstlerischer Gegenwart, in Äußerungen, die in dieser Intensität dem Norden im ganzen genommen fremd sind. Wie dereinst im Altertum werden Ton- modelle berühmter Meister, dann Handzeichnungen in den Werkstätten bewahrt, und hervorragende Werke, wie die Madonnenreliefs Donatellos und seiner Nachfolger finden in Stucknachbildungen weithin, auch in Privathäusern, Ver- breitung. Vor allem tritt hier die im Norden nur geringfügige Kleinplastik in Bronze, auch ein antikes Erbe, ein. Nicht nur Originalwerke selbst könnten leicht durch den Guß vervielfältigt werden — und die sogenannte Plaquette dient ausgiebig diesem Bedürfnis — sondern dieser Kunstzweig erweist sich schon sehr frühe den Zwecken künstlerischer Reproduktion gefügig. Die ver- kleinerten Nachbildungen berühmter Antiken (daneben, wiewohl seltener, auch moderner Kunstwerke), die später einen Hauptteil der sogenannten Cinque- centobronzen ausmachen, beginnen schon im XV. Jahrhundert, namentlich in Mantua durch Pier Jacopo Alari, der sich selbst Antico nennt, und sie tragen die Kenntnis antiker Form in weite Kreise. Das Wiener Hofmuseum besitzt eine treffliche, von 1470 datierte Reduktion der später vielkopierten Marc Aurelstatue; und noch etwas älter ist die von Filarete für Piero Medici ge- fertigte, jetzt in Dresden. Von hier aus führt dann ein auch sclion früh be- gangener Seitenpfad zur Nachahmung und weiter zur absiclitlichen Fälschung, wie sie namentlich in dem großen Gießerzentrum Padua besonders in Schwung gekommen ist.

Sehr lehrreich für die italienische Auffassung ist sodann die Rolle, die der transalpinen Technik des Kupferstichs in Italien zufällt. Sie verliert dort gar bald ihren ursprünglichen, schöpferischen, originalen und intimen Charakter; schon zu Anbeginn reproduziert sie Zeidinungen geschätzter Meister und dient im Kreise Raffaels und Marcantons sclion in völlig moderner Weise der Wiedergabe von Antiken wie von zeitgenössischen Werken. Nicht weniger frühe tritt in Italien das Gipsmuseum auf. Eines der ältesten, von dem zu uns Kunde gelangt ist, hatte im letzten Jahrzehnt des Quattrocento Lodovico


III. ScliluB. Fernere Entwickelunq des Samnielwesens. 123

Gonzaga, Bischof zu Mantua, in seinem Scliloß Gazzuolo angelegt.**) iin XVI. Jahrhundert folgt dann das Abgußmuseum Leone Leonis, das schon Stücke von bedeutender Größe, wie den Marc Aurel, enthalten hat.*^') Rechnet man nun noch die schon sehr frühzeitig, im Trecento, von Künstlern wie von Liebhabern (gleich Oliver Forzetta in Treviso), eifrig gesuchten und gesammelten Handzeichnungen hinzu, die nicht zum geringsten Teile die Voraussetzung für Vasaris Geschichtswerk bilden, so ergibt sich eine Fülle unmittelbarer An- regungen, über die der Norden in solchem Maße nur spät oder gar nicht ver- fügt hat. Gerade das Beispiel des Aretiners zeigt, wie der erste und nächste Zweck dieser Sammlungen, Künstlern und Kunstfreunden zur Lehre und An- schauung zu dienen, allmählig zu historisdier Würdigung des Verlaufes der Kunstgeschichte führt. Dieser künstlerisch- wissensdiaftliche Doppelcharakter haftet denn auch den meisten der zahlreichen italienischen Privatsammlungen an; sie sind echte Ämateurkollektionen, von Kunstfreunden in ganz modernem Sinn angelegt, um der Kunstwerke selbst willen, den Besitzern zum Genuß, begünstigten und befreundeten Künstlern zum Studium.

Man darf nicht vergessen, wie lange noch Kunstgescliichte, Ästhetik und Kunstkritik fast allein von ausübenden Künstlern betrieben wurden, und daß die langsam absterbenden Malerdirektoren der Galerien noch ein Über- bleibsel aus jener Zeit sind. Ganz anders als im Norden, besonders in Deutschland, wo mittelalterliche Anschauungen besonders zähe hafteten, stand in dem alten Kulturlande südlich von den Alpen das formale Interesse an Kunstdingen einerseits, die philologische Würdigung der Altertümer anderseits, voran. So sind ein sehr echtes itaUenisches Gegenstück zu den Heiltum- stühlen des Nordens die temporären Kunstausstellungen namentlich von Antiken, wie sie bereits aus dem Rom Leos X. überliefert sind."-) Wie aber diese in der Stadt der Päpste sich an eine kirchlidi-weltliche Zeremonie, den Sacro processo des heiligen Vaters, anhängen, so sind diarakteristischerweise im konservativen Venedig, noch im letzten Jahrhundert der Serenissima, die unter freiem Himmel stattfindenden Ausstellungen neuer Gemälde mit kirchlich- staatlichen Festen verknüpft, zu einer Zeit, in der schon der Pariser Salon existierte. Die Kirmessen der Niederländer mit ihrem Bilderhandel spielen doch auf einem anderen Hintergrunde.

So sind denn in Italien sehr frühzeitig methodisch angelegte, voll- ständige Sammlungen von Münzen, Gemmen, Inschriften, Porträts zu finden, die unmittelbar zu gelehrter, antiquarischer Betrachtung hinüberleiten; es ist kein Zufall, daß Italien eine historische Lokalliteratur besitzt, die von keinem zweiten Lande auch nur annähernd erreicht wird, und daß Vasaris Biographien direkt an die große Porträtsammlung seines Gönners Giovio anknüpfen. Nicht viel anders ist es mit den Sammlungen von Naturobjekten bestellt, die ebenfalls sehr frühe selbständig und systematisch geordnet, nicht so sehr unter dem Ge- sichtspunkt des Kuriosen mit Artefakten aller Art vermengt erscheinen. Dieser ganz moderne Geist zeigt sich nun auch in dem sozialen Milieu dieser Samm- lungen. Nicht nur im demokratischen Toscana, auch in den uralten Munizipien des im übrigen ausgiebig von französischer Chevalerie beeinflußten Oberitalien steht der private, bürgerliche Sammler unmittelbar neben dem Fürsten; fließen


124 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

docli die Stände überhaupt ineinander. Das ist eine Erscheinung, die noch heute in Italien auffallender ist denn anderswo, und die in den übrigen feudal und zünftig vielschattierten Ländern kaum ein Gegenstück hat, nicht einmal in dem frühe zu bürgerlichem Wohlstand gelangten, vielfach mit Italien verbun- denen und verwandten Flandern, kaum auch in den großen süddeutschen Handelsstädten. Gleich zu Anfang des XIV. Jahrhunderts enthüllen die merk- würdigen Tagebudinotizen eines Bürgers von Treviso, des Olivier Forzetta die ganz modern anmutenden Sammlerinteressen des Mannes, der nach Antiken und nacli Handzeichnungen angesehener Maler fahndet. In der vollen Renais- sance steht neben dem mit erlesenen Kunstwerken als völlig modernem In- terieur ausgestatteten Studiolo der Isabella d'Este im grauen Schloß von Man- tua*'"') das Atelier des Künstlers oder die Klause des weltflüchtigen Philosophen, wie des Sabba da Castiglione ^^) in seiner ritterlichen Magione zu Faenza, die in malerischer Verwahrlosung bis heute erhalten geblieben ist.

Ähnlich wie einst in der Kaiserzeit ist der Fürst der italienischen Renais- sance kaum mehr als ein primus inter pares, vom Privatsammler nur durch größere Fülle seiner Mittel unterschieden. Fast ist der Name Mediceer ebenso zu einem Gattungsnamen geworden, wie der ihres alten etrurischen Lands- mannes Maecen; aber sie sind nur eine vom Schicksal besonders begünstigte Familie unter jener reichen und vielgewandten Kaufmannswelt von Florenz, der die Strozzi, die Doni und Martelli und wie sie sonst heißen, angehören; neben ihnen steht ganz vollwertig ein Mann banausischer Herkunft, gleich Ghiberti. Ein Verzeichnis von Privatsammlungen, wie es der sogenannte Anonymus des Morelli, Marcanton Michiel zu Anfang des XVI. Jahrhunderts für Oberitalien hinterlassen hat, ist z. B. in Deutsdiland für die gleiclie Zeit gar nicht zu erwarten; auch wenn man von den Kunstschätzen in den Palästen der Nobili Venedigs ^) und Genuas ganz absieht.

Italien, die Wiege der modernen Kunst, ist derart aucli die Wiege des modernen Sammlergesclimacks gewesen. Namentlich im Laufe des XVI. Jahrhunderts treten die großen Bildergalerien, nicht mehr wie im Norden als Anhängsel der Kunstkammern oder mit ihnen verquickt, sondern selbständig und in dominierender Stellung, immer deutlidier hervor; ihr Name ist zwar aus Frankreich überkommen und bezeichnet ursprünglich einen langen Korridor, wie er noch jetzt den charakteristischen Bestandteil der Offizien, auch des Louvre und selbst des modernen Pradomuseums in Madrid bildet; die Sache selbst ist aber durch und durdi italienisch und für das übrige Europa vorbild- lich gewesen.

Die angebliche Stoa poikile in der Villa Hadrians zu Tivoli ist allerdings neueren Untersuchungen zufolge auszusdialten; dafür besitzt aber Italien, neben den alten Museumssälen des Kastells zu Mantua, die äußerlich noch wohl- erhaltene Antikenhalle des Vespasiano Gonzaga in seiner kleinen Residenz Sabbioneta, mit einer offenen Säulenhalle unter einer durdilaufenden langen Galerie im oberen Stockwerk; ihr einstiger Inhalt befindet sidi jetzt zumeist in Mantua (Fig. 97). ^)

Natürlich stehen die fürstlichen Sammlungen dieser Art voran, vor allem die mediccischen in Florenz,*') deren berühmte Tribuna mit den erlesensten


III. Schluß. Fernere Entwickeliing des Sammelvvesens. 125

Werken (darunter dem Porträt Leo X. von Raffael) schon im XVI. Jatirhundert bestand, dann die von Mantua, Modena und Neapel; aber an sie reihen sidi unmittelbar die großen römischen, ^^) venezianisclien und genuesisdien Galerien in den Privatpalästen; in den beiden letzteren patrizisclien Republiken verliert die Scheidung des Privaten von dem Besitz des Staatsoberhauptes jegliche Bedeutung. Es genügt, Namen wie Borghese, Grimani oder Doria zu nennen.

Dieses wälsche Sammelwesen hat nun bald nach außen gewirkt, am frühesten nadi Frankreich, das von jeher Neuerungen zugänglich, sie stets am energisdiesten propagierte und das audi mit seiner eigenen nationalen „gotischen" Vergangenheit am frühesten und gründlichsten gebrochen hat, während Deutsdiland an der halb mittelalterlidien Form der Kuriositätenkammer die längste Zeit festgehahen hat. Schon Franz I. hat durdi Primaticcio eine Reihe von Bronzeabgüssen nadi berühmten Antiken herstellen lassen; im XVII. Jahrhundert nimmt die königliche Galerie des Louvre durdi die Erwer- bung zweier großer Privatsammlungen, des Kardinals Mazarin und des Bankiers Jabadi, recht eigentlich ihren Anfang.^*') Es hieße die hier gesteckten Ziele allzuweit übersdireiten, wenn die großen Sammlungen jener Zeit audi nur flüchtig geschildert werden sollten; das ist völlig ein Thema für sich. Nur das wäre nadidrücklidi hervorzuheben, daß die Sammlertätigkeit der Großen (von Deutsdiland abgesehen) sich ganz im Sinne italienisdien Amateurwesens äußert. Das gilt besonders von Philipp II. von Spanien, einem Kunstfreunde von wirklidiem, feinem Verständnis, der in Justi einen unübertrefflidien Schilderer gefunden hat. ^^)

Wie Margarete von Österreidi in ihrer Residenz zu Medieln eine der frühesten nordländischen Amateursammlungen ganz ausgeprägten Charakters besessen hat, so hat ihr Nachfahre Erzherzog Leopold Wilhelm, von seinem schon besprochenen Raritäten-Kabinett abgesehen, durdi kluge Ausnutzung trefflidier Gelegenheiten, wie z. B. der Versteigerung des fürstlichen Bilder- besitzes nadi der englischen Revolution, gleidifalls in den Niederlanden jene berühmte Gemäldesammlung zusammenbringen können, die noch heute, trotz manchen Einbußen und bösen Eingriffen den kostbaren Grundstock der Kaiser- lidien Galerie in Wien bildet. Ihr Aspekt ist bekanntlich durch eine Reihe von Bildern des jüngeren David Teniers überliefert, ■") die uns in die intime Stim- mung dieser echten und signorilen Liebhaber-Sammlung einführen (Fig 98.), während ihre spätere Aufstellung in der Stallburg zu Wien ein charakteristi- sches und betrübliches Beispiel für die gewaltsame Art liefert, in der man die Bilder durch Beschneiden und Anstücken in ein ohne Widerrede höchst wirkungsvolles dekoratives Ganzes zwang. Im deutschen Reiche steht Kaiser Rudolf II. (neben Maximilian IL, dessen Dilettantismus wohl einmal eine Schil- derung verdiente) als Antiken- und Gemäldesammler voran, mit den für seine Person und Umgebung charakteristischen Erscheinungen, von denen wiederholt die Rede war. Selbst der äußerste Norden, der jetzt überhaupt in die Ge- schicke Europas bestimmend und verhängnisvoll einzugreifen beginnt, stellt sidi nunmehr ein, in der Königin Christine von Schweden, mit ihrem bezeich- nenden Zuge nadi dem Süden, wie denn diese Frau, unstät in ihrem Leben und Traditen, im Schatten des Stuhles Petri ihre letzte Ruhestätte gefunden


126 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

hat. ^■-) Ganz zum Schlüsse meldet sich noch der äußerste Nordosten , das Moskowiterreich, das seit Peter d. Gr., oft in parodistisdier Weise, bemüht ist, sich dem Westen zu assimilieren. Peter hat selbst, seinen bekannten Neigungen entsprechend, freilich ohne sonderlichen Geschmack, holländische Bilder ge- sammelt; die Gründerin der prunkvollen Sammlungen der Eremitage ist aber eine Westeuropäerin, jene deutsche Prinzessin aus Anhalt, die in der Ge- schichte den berühmten Namen der zweiten Katharina führt. Von England wird sogleich zu sprechen sein. Solcher übermächtiger Einfluß kann in der Zeit der Hegemonie Italiens auf fast allen Gebieten bildender und tönender Kunst schwerlich Wunder nehmen; traten doch damals nicht nur das römische Barocco, sondern auch die neapolitanische Oper ihren Siegeszug durch die Welt an, und beherrscht der Palladiostil die Gotteshäuser und öffentlichen Gebäude gerade der protestantischen Lande, fast könnte man sagen bis heute. Ihnen folgt der gewaltige Schwärm wälscher Kapellmeister, Musiker, Sänger, Tänzer, Hofdichter, Architekten und bildender Künstler überhaupt, die an den Höfen Europas vom Manzanares bis zur Newa und von der Themse bis zur Donau in höchst angesehener Stellung, als Cavalieri und Conti ■ die fürstlidie Gnadensonne genießen, oft zum Groll und Schaden der beiseite stehenden einheimischen Künstler. Daß die Malerei der beiden so höchst selbständigen und nationalen Gebiete jener Zeit, der südlichen Niederlande und Spaniens ohne die Voraussetzungen italienischer Kunst gar nicht denkbar wäre, ist eine viel zu bekannte Tatsache, als daß hier des weiteren dabei verweilt werden müßte. Ein einziges kleines Gebiet auf mühsam dem Meere bestrittenem Marsdi- boden gelegen, das eben erst seine politische Selbständigkeit errungen hatte und nun rasch zur kolonialen Weltmacht heranwuchs, macht eine Ausnahme: die nördlichen Niederlande, die sich in Glaubenskämpfen von den südlichen geschieden hatten. Wohl spielen sie mit ihrem bürgerlichen Milieu in der Ge- schichte der großen Sammlungen gerade keine sehr hervorragende Rolle, aber sie sind merkwürdig dadurcli, daß in ihnen zuerst ein reiner Privatgeschmad^, — die Bezeichnung rührt von Jacob Burckhardt her groß geworden ist.

Zu Ende des XIV. Jahrhunderts war schon den alten Niederländern der Blick für Landschaft und Interieur aufgegangen und mit ihren Bildclien, voll intimen Reizes, ganz und gar in den Rahmen der nordischen Privatwohnung passend, hatten sie sidi in der Folge selbst das überall monumental gesinnte Italien erobert und in einem vielleicht noch nicht ganz erkannten Umfange anregend und bahnbrechend gewirkt; es wird nicht immer genügend betont, daß ihre Kunst (wie fast gleichzeitig ihre Musik) in jenem Zeitraum die Hegemonie be- sitzt. Freilich ist das häusliche Andachtsbild im kleinen Format schon zur Zeit der Giotteske vorhanden gewesen, als Fortsetzung der byzantinischen Heiligen- bilder, die heute im Osten Europas und selbst über dessen östliche Kultur- grenze herein herrschend sind; aber dies ist vor allem religiös bestimmt, sein sakraler Charakter steht unbedingt voran, das Kunstwerk als solches erst an zweite Stelle drängend. Im Quattrocento ist das noch fühlbar genug, wenn auch die für das Haus oder die Reise bestimmten Altärchen, die Madonnen- reliefs in Marmor, Stuck und Ton, die Porträtbüsten über Kaminen und Tür- stürzen der Renaissancewohnung ihr cliarakteristisches Aussehen verleihen.



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Auch da überwiegt noch stark das Religiöse, Es ist charakteristisch, daß die ganze langdauernde Werkstatt der Robbia kaum einen rein profanen Ge- genstand aufweist, und daß das Kinderporträt an den bekannten freilich zu- meist in Kirchen gestifteten Jesus- und Giovanninobüsten der Florentiner in kirchlidier Einkleidung auftritt.

Auch das italienische Studio, wie es auf den zahlreichen Hieronymus- bildern der Venezianer namentlich so reizvoll erscheint, entbehrt eigentlicher Intimität und hat etwas von monumentaler Kühle; wie noch heute die italieni- sche Wohnung in ihrem Nebeneinander von Monumentalität und Kargheit dem Nordländer leicht den Eindruck des Unwohnlichen und Unbewohnten macht. Im XVI. Jahrhundert dringt dann wohl nach dem romantischen Vorspiel des Quattrocento, das sich am liebenswürdigsten in den Truhenbildern entfaltet, ein breiter Strom profanen Wesens in die italienische Malerei; aber es gehört, bezeichnend für dieses Land voll antiker Erinnerungen, zum allergrößten Teil einer künstlich belebten, gelehrten und mythologischen Welt an, die mit lebendiger Gegenwart nur literarisch zusammenhängt. In dieser Heimat des großzügigen Fresco, der monumentalen Paläste hat auch das Leben einen Zug ins Große und Öffentliche, bei allem eigensüchtigen Vordrängen des Indivi- duellen gar viel von der sozial bedingten Publizität der Antike. Zumal im germanischen Nordwesten war das alles ganz anders. Es war sicher nicht allein die kirchliche Bewegung, die die alten Gebilde religiöser Kunst aus den Kirchen warf, in „Götzenkammern" verbannte und damit der bildenden Kunst das größte Stoffgebiet der Ahnen zum besten Teile verschloß; da meldete sich vielmehr ein rassenhafter Zug, der schon frühe bemerkbar wird. Das alles kommt nun in Holland **•') zur Aussprache, das eigentlich Private, Intime und Stimmungsreiche, ohne alle monumentale Prätension, die große Welt im Kleinen geschaut, befreit vom Zwange des Kirchlichen und des An- tiken, fern von allem Geräusch der Öffentlichkeit, eine ganz häusliche Kunst im Winkel, zugleich bei diesem praktischen Krämervolk ganz merkwürdig mit materiellem Gewinnst, einer unglaublicli regen Bilderspekulation verknüpft, eine Kunst vom einfachen Existenz- und Sittenbild bis zur Landschaft der eigenen Fluren, selten akademisch heroisiert und staffiert, bis zum Tier- und Blumen- stück und zum Stilleben herab, als äußerster Gegensatz zu dem raumfrohen mythologischen Wandfresko in den Palästen Welsdilands, wo der alte stolze Name Palatium so wohlfeil geworden ist.

Aus der Entwickelung modernen Geisteslebens ist die holländisclie Kunst weniger hinwegzudenken als etwa die des stammverwandten katholisch-flämi- sclien Südens. Es wird allzuoft übersehen, daß wir mit ihr, auch da wo sie uns fremd geworden ist, durch viel stärkere Fäden verknüpft sind als mit der großen Malerei Italiens, die im XVIII. Jahrhundert unter den rauschenden Fanfaren Tiepolos im Tor der Vergangenheit verschwand. Die Meister des Cinquecento und Seicento einerseits, die Holländer anderseits sind die beiden gegensätzlichen Elemente, die sich in der Zusammensetzung der großen Galerien des XVIII. Jahrhunderts wirksam erweisen, bei merklicher und natürlich sich ergebender Hinneigung der nördlichem protestantischen Lande zu dem stamm- und bekenntnisverwandten Holländertum.


III. Schluß, Fernere Entwickelung des Sammelwesens. 129

Die fast zweihundertjährige Episode der liolländisclien Malerei zeigt das Aufkommen eines ganz neuen Geschmacks, der den Umschwung der An- sichten kennzeichnet. Das Moderne darin ist aber von einem anderen noch nördlicheren Lande aufgenommen und fortgesetzt worden, das überhaupt, auch politisch, das Erbe Hollands übernommen hat, von England.

Man kann sagen, daß die Vorposten der das ganze Abendland er- schütternden französischen Revolution auf britischem Boden gestanden haben, wie nicht minder diejenigen der Epoche deutschen Geisteslebens, die immer mit dem Namen Imanuel Kants bezeichnet sein wird, der selbst bekanntlich schottischer Abstammung war; und man brauclit bloß die beiden Namen Isaak Newton und Charles Darwin auszuspreclien, um das ungeheure Stück moderner Kulturarbeit, das sie begrenzen, anzudeuten. In diesem merkwürdigen Insel- land, in dem Urältestes noch unbehindert neben Modernstem lebt, beginnt die neue Zeit reichlich ein halbes Jahrhundert früher als auf dem Kontinent; zwisdien die zweite Hälfte des XVIII. und die erste des XIX. Jahrhunderts fällt keineswegs jene scharfe Cäsur wie dort.

England hat freilich immer, und besonders seit dem Ende des XV. Jahr- hunderts, Gin hödist intensives Kunstleben besessen, trotzdem ihm eine nationale Kunst im eigentlidien Sinne gefehlt hat, Künstler von allen selbständigen Gebieten des Festlandes, Italiener wie Deutsche, Vlämen und Holländer haben hier Ehre und Erwerb gefunden, und vielleicht hat gerade diese Internationalität den Boden für die weitere Entwickelung bereitet. Der Historiker ist ja einem sinnreichen Worte zufolge ein rückwärts gewandter Prophet und soll sich vor Ausblicken in die Zukunft hüten; es darf aber doch daran erinnert werden, daß fast die nämlichen Erscheinungen auf dem Gebiete der Musik sich zeigen, und daß es mindestens sehr voreilig ist, diesem Lande, das schon einmal in der Geschichte des mittelalterlichen Kontrapunktes eine sehr bedeutende Stelle eingenom.men hat, das einem Händel, einem Haydn die größten Ehren ihres Lebens zuteil werden ließ, Begabung und Zukunftsrolle auf diesem Felde ohne weiteres abzusprechen, wie es nidit selten geschieht.

Auf einem Boden dieser Art, prädestiniert für die künftige koloniale und kommerzielle Weltmacht, konnte sich in dem Verkehre mit allen Nationen, trotz insularer Abgeschlossenheit und Selbstgenügsamkeit, trotz allem starren Fest- halten an überkommenen Bräuchen, Vorurteilen und Survivals jene Weite des Blickes und jene merkwürdige Auslese des Besten erzeugen, die britisches Leben seit dem XVII. Jahrhundert auszeichnet, und die ebensowohl die hohe Bewunderung verständlich macht, die ihm die Besten unserer Nation gleich Lichtenberg, Goethe, Schopenhauer seit jeher gezollt haben, als auch jenes, daß aus dem Lande des puritanischen Sabbaths und schlimmster, eben von Schopen- hauer mit seinem groteskesten Grimm verfolgter Bigotterie, ein Mann gleich Darwin hat hervorgehen können.

Es könnte fast symbolisch erscheinen, daß der Oranier Wilhelm III., der ehemalige Generalstatthalter der freien Niederlande zu Ende des XVII. Jahr- hunderts den englischen Königsthron bestiegen hat. Wie nach dem Utrediter Frieden von 1713 die Hegemonie der Meere und des Welthandels tatsädilich von Holland auf England übergeht, so finden die modernen Lebensformen der

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130 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

Niederlande in diesem Lande alter konstitutioneller, weiterhin auch für den Kontinent vorbildlicher Einrichtungen ihre gedeihliche Fortsetzung. Und nun ergibt sich auch die höchst denkwürdige Erscheinung, daß dieses seit dem frühen Mittelalter — in dem es eine bedeutende Rolle inne gehabt hatte — an eigener Kunst arme und auf das Ausland gewiesene Land kraftvoll die künstlerische Tradition seiner stammverwandten Nachbarn von jenseits des Kanals ergreift und in ganz originaler Weise weiterführt. England ist dann das einzige Land des Okzidents gewesen, das sich der napoleonischen Tyrannis durchaus erwehrt hat; während die alten Kunstüberlieferungen des Kontinents verebben oder unter den Sturzwellen der Revolution und des Empire zeit- weilig verschwinden, werden in England stätig die Probleme der modernen Malerei angefaßt, tragen Künstler gleich John Constable, William Turner und in bescheidener Weise, aber höchst einfluß- und wirkungsreich, die noch heute kaum im Ausland bekannte, völlig nationale Aquarellistenschule das Panier moderner Kunstanschauung siegreich aus dem XVIII. in das XIX. Jahrhundert hinüber. Es ist kein Wunder, daß dieses England, was erst eine spätere, niclit mehr durch Übermaß von Haß und Gunst in ihrem Urteil getrübte Zeit deutliclier erkennen wird, zu Ende des abgelaufenen Jahrhunderts einen neuen eigentümliclien Stil in die Welt gesandt hat, einen Stil, dem man alles ab- sprechen mag, nur nicht, daß er von modernem Fühlen und Denken, bis in seine wundersamen historischen Anempfindungen hinein, innerlichst erfüllt ist. Die Geschichte des englischen Kunstbesitzes hat, mit Heinrich VIII.®*) beginnend, ihren Glanzpunkt in Karl I., dem Gönner van Dycks und Rubens. Machen sich dodi unter ihm schon charakteristische Seiten englischen Sammel- wesens geltend. Nach der Einnahme Mantuas wußte der König den reichen Bilderbesitz des Herzogs an sich zu bringen; darunter befand sich auch der berühmte Triumphzug Caesars von Mantegna, der bekanntermaßen noch heute in Hamptoncourt bewahrt wird. Es wird sich noch zeigen, wie sehr dieses Hereinspielen des Quattrocento von Bedeutung ist. Die Sammlung Karls I. ist heute in ihrer äußeren und inneren Beschaffenheit noch wohl vorstellbar, dank dem vortrefflichen, sachkundigen Inventar, das des Königs Custos, der Holländer Vanderdoort verfaßt hat, und das im XVIII. Jahrhundert von Bathoe in London""') in einer splendiden Publikation 1757 in Druck gelegt worden ist. Es ist eine überaus gewählte echte Amateursammlung, die den zahlreichen der Art, die der englische Hodiadel in seinen Landhäusern und Stadtpalästen voll exklusiver Vornehmheit verschlossen hält, präludiert. Ihre Aufstellung in Whitehall ist auch dafür ungemein bezeichnend. Die Kunstwerke schlössen sidi enge ihrem Besitzer an, sie waren nicht zu einer steifen und monumentalen Galerie oder einer abenteuerlichen Kunstkammer vereinigt, sondern dienten als intimer Schmuck eines höchst vornehmen Interieurs; es ist das in größte Weit- räumigkeit übersetzte Studiolo des italienischen Renaissanceamateurs. Aller- dings kam nach dem tragischen Tode des königlichen Sammlers auf dem Schafott sein Besitz unter den Hammer und wanderte zum großen Teil ins Ausland. Erzherzog Leopold Wilhelm hat damals manches kostbare Bild erstanden, das noch heute zu den Zierden der Wiener Galerie gehört, und es ist ihm geglückt, auch aus dem Besitz eines andern großen Sammlers, des


III. SdiluR. Fernere Entwickelung des Sammelwesens. 151

Herzogs von Buckingham") mandics an sich zu bringen. Schon das Beispiel dieses Günstlings Karls I. zeigt die Rivalität der englischen Aristokratie mit dem Throne. Aber der eigentliche typische Sammler dieser Periode, dessen Name heute noch einer Gesellschaft von Kunsltreunden zum Schilde dient, ist Graf Ärundel, dessen Blick schon nach jenem griechisclien Osten gezogen ward, aus dem Lord Elgin zwei Jahrhunderte später die berühmtesten Beute- stücke des britisdien Museums heimbringen sollte. Ärundel hat selbst das südliclie Europa wiederholt bereist, er ist im Norden der vornehmste und früheste Sammler altgriechischer Kunstwerke und Altertümer im großen Stil, und voll von Unternehmungslust; hödist merkwürdig ist es, daß er schon eine Expedition von Malern und Gelehrten nach den griechischen Inseln aus- gerüstet hat, die denn auch mit ansehnlicher Beute zurückgekehrt ist. In seinem Kreise ist das berühmte Buch des Deutschen Franciscus Junius „de pictura veterum" entstanden, die erste weitumfassende Theorie und Geschidite der alten Kunst, ein Werk, das die Bestrebungen der englisdien Gesellschaft unter Karl I. ebenso kennzeichnet, wie daß damals bereits in einer jener Unterweisungen für den vollendeten Kavalier der merkwürdige Ausdruck „to transplant old Greece into England" auftaucht, als Programm, das zu jener Zeit auch schon in Wirklichkeit umgesetzt worden ist. Ebenso ist es charakteristisch, daß Hand in Hand damit die Erforschung der eigenen Vor- zeit, die Würdigung der alten heimischen Denkmäler geht; Cambdens archäo- logisches Sammelwerk Britannia war schon zu Anfang des XVII. Jahrhunderts in Druck gelegt worden.

In alle dem liegen sehr bedeutende und fruchtbare Momente. Ganz modern und im Sinne italienischen Sammlerwesens vorzüglich auf das Kunst- werk selbst gerichtet, erscheint die Tätigkeit dieser Kunstfreunde; in der Tat sind Sammlungen, wie die Karls I., aber auch wie die heute noch in alter Anordnung erhaltene von Landsdowne-House, wie die freilich viel modernere, nunmehr der Öffentlichkeit übergebene des Sir Wallace in Herford-House, dem Amateurgeschmack der Renaissance durchaus wesensähnlich. Dazu gesellt sidi jedoch als ein sehr eigenartiges Motiv der Sinn für das Historische, nament- lich in der ganz bestimmten Richtung auf die Anfänge und Inkunabeln der Kunst, nicht nur im eigenen Lande, sondern auch im Süden, in Italien und Griechenland, und, was noch mehr sagen will, deren unmittelbar folgende praktische Betätigung. Schon im XVII. Jahrhundert beginnen die Reisen der Engländer und ihre gedruckten, vieles umfassenden und deshalb stets eifrig übersetzten und gelesenen Reisebeschreibungen. Hier mögen die von dem gelehrten Arzte Eduard Browne herausgegebenen genannt werden; seine Fahrten haben ihn bis nach Thessalien geführt.'*") Dergleichen ist mehr als das allgemeine Inventarstück damaliger vornehmer Erziehung, die große Tour durch Europa; bei den Engländern hat sie doch eine andere Färbung, eine bedeutende Erweiterung und Vertiefung erhalten. Der Reisebegleiter des berühmten französischen Archäologen Jacob Spon auf dessen 1675—1676 nach Griechenland und dem Orient unternommenen Forschungsreise war ein vornehmer Engländer, George Wheeler. Noch heute unterscheidet sich die

Art des Reisens der Engländer, die man nicht nach Karikaturen beurteilen

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darf, sehr zu ihrem Vorteil von der anderer Nationen; alles missgünstige Gerede kann darüber nicht täuschen, daß es sich bei ihnen um eine ganz andere, innerlich gefestigte Kultur handelt. Fast möchte es uns bedünken, als ob in diesen Abkömmlingen der Angelsachsen, Dänen und Normannen der uralte Wandertrieb jener nordgermanischen Abenteurer und Entdecker im modernen Kleide erscheine. Von Arundels Reisen und Expeditionen nadi Gegenden, die für den Kavalier damaliger Zeit recht w^eit hinten in der Türkei lagen, war schon die Rede; nicht einmal Italien, dessen Guiden und Reise- beschreibungen, wie die von Barri ") (schon 1679 ins Englische über- setzt), Scaramuccia-') u. a. doch immer lokal und vor allem auf das eigene Land beschränkt bleiben, hat dem bereits 1728 französisch erschienenen Kunst- handbuch der beiden Richardson^^") etwas von gleicher Wirkung an die Seite zu setzen. Es ist denkwürdig genug, wie früh und stark diese Nation, durch deren ganze moderne Kunst, nicht nur die des Praeraffaelitentums, ein fein archaisierender Zug geht, von den herben Jünglingsperioden bildender Kunst angezogen wurde. Die Briten sind derart nicht nur die ersten Sammler großen Stils der griechischen Antike, sondern auch des italienischen Quattrocento geworden, zu einer Zeit, deren Ideale das Cinquecento und die bolognesischen Großmaler waren. Namentlidi die im Venedig des XVIII. Jahrhunderts weilenden Engländer, wie Strange, Slade, Hamilton, Hoare haben in aller Stille ihre Schätze gesammelt; und es ist die Kollektion eines englischen Kaufmannes, Solly, der die Berliner Galerie nicht nur eine Reihe ihrer seltensten altitalienischen Meister, sondern auch den Löwenanteil des Genter Altarwerks verdankt. Nicht ohne Grund hat noch Goethe in seiner italienischen Reise die „wunderliche Grille" bekannt, daß er sich sehnlichst wünschte, von einem wohlunterrichteten Manne, von einem kunst- und geschichtskundigen Engländer nacli Italien geführt zu werden; und als er in Padua 1786 die vom Konsul Smith in Venedig, dem bekannten Gönner Canalettos, veranstaltete Ausgabe des Palladio sidi zugeeignet hat, entfährt ihm der Ausruf: „Das muß man den Engländern lassen, daß sie von lange her das Gute zu schätzen wußten, und daß sie eine grandiose Art haben, es zu verbreiten".

Neben solcher Richtung ins Historische ist fast noch bedeutender ein anderer für die Geschichte der Sammlungen überhaupt wichtiger Zug, der schon bei Arundel bemerkbar wird; das ist die private Initiative, die heute noch in einer auf dem Kontinent unerhörten Weise die öffentlichen Institutionen Großbritanniens beeinflußt. Das merkwürdigste Beispiel dieses Ineinander- greifens öffentlicher und privater Interessen bildet die Gründung des Briti- schen Museums, für immer denkwürdig vor allem dadurch, daß es das erste öffentliche Museum, das diesen Namen zu Recht beansprudien darf, von seiner Geburtsstunde an gewesen ist. Kein Herrsdier hat an seiner Wiege Pate gestanden, es ist eine Schöpfung der englisdien Nation selber, durchaus der Anregung und Förderung von Privatmännern entsprossen, vor allem dem reichen Legate des schottischen Arztes Sloane, das eigentlich seinen Grundstock bildet. In Sloanes Haus in Bloomsbury ist denn auch das British Museum 1753 als erstes modernes Staatsmuseum durch eine feierliche Parlamentsakte


III. Scliluß. Fernere Entwickelung des Sarnmelwesens. 133

eröffnet worden, mit der ausdrücklichen Bestimmung zu Nutz und Frommen der Öffentlichkeit. Es verschlägt nichts, daß diese ÖffentUchkeit zu Anfang noch von beengenden Schranken umgeben war, da es sich um das neue Prinzip handelt. Hier wirkte eben noch die starke Tradition der alten fürst- lichen und sonstigen Privatsammlungen nach. Bis zum heutigen Tage steht aber das britische Museum mit seinen riesenhaft angewachsenen Beständen, was lehrreiche und musterhafte Anordnung betrifft, sowie nicht minder als Arbeitsstätte fast einzig da.

Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß beinahe zur selben Zeit in einem Staate, der das gerade Widerspiel des englischen war, eine alte Sammlung höchst aristokratischen Charakters, die vatikanisclie, von Papst Clemens XIV. Ganganelli zum Staatseigentum erklärt und öffentlich zugäng- lich gemacht wurde. Nur wenige Jahre vorher (1739) waren durch das Testa- ment der letzten Mediceerin, Anna Maria, die Haussammlungen des berühmten Sammlergeschlechts Eigentum des toskanischen Staates geworden. So begegnet sich an der Schwelle, die zum modernen Kunstmuseum führt, das älteste Land, von dem die ganze Bewegung einst ausgegangen war, mit dem jüngsten und modernsten. An Stelle des persönlichen, privaten Kunstbesitzes der Herrsdier tritt langsam der abstrakte Staat im modernen Sinn als Eigentümer; ein Vor- gang, dem nur wenige der aUen Sammlungen haben widerstehen können, und der in den Ländern, die wie Frankreich und Italien große politische Um- wälzungen durchgemacht haben, am weitesten vorgeschritten ist.

Die zweite Hälfte des XVIII. Jahrhunderts zeigt sich dann von einer großen Bewegung innerhalb der kontinentalen Sammlungen ergriffen, in der alte und neue Anschauungen sich vielfach durchkreuzen. Es ist die Zeit, in der vorzüglich der Bilderbesitz der deutschen Höfe zusammengefaßt und erweitert wird, in der namentlich die großen Galerien von Dresden und Wien ihr noch heute charakteristisches Gepräge erhalten. Den Geschmack, aus dem die alte vornehme Amateursammlung hervorging, wollen sie nicht verleugnen; namentlidi die sehr lehrreiche hier nicht einmal im Umriß zu kapitulierende Geschiclite der sächsischen Galerie zeigt überall das folgenreiche Ineinanderwirken von Diplomaten, Künstlern, Kunstscliriftstellern und Lieb- habern. Die Italiener des XVI. und XVII. Jahrhunderts, die Vlaemen und Holländer herrschen in ihnen vor, die vorbereitenden Perioden treten stark zurück. Die kaiserliche Galerie in Wien besitzt heute, nachdem auch das Altarbild des Tommaso da Modena neuestcns nach Karlstein zurückgewandert ist, nicht das kleinste Bildchen giottesken Stils mehr. Hand in Hand mit solcher Konzentrierung ging dann die Reorganisation des Kunstbesitzes, Sonderung und Teilung des alten buntsdieckigen Ensemble der Kunstkammern, deren Zeit vorüber war. Dieser Prozeß reicht zum Teil bis in unsere Tage hinein und ist stellenweise noch nicht ganz abgeschlossen. Inzwischen war ja mit dem Auf- treten Winckelmanns die geschichtliche Würdigung der Kunst aus den Denk- mälern heraus eingetreten, und den wissenschaftlichen Bestrebungen auf dem Gebiete der alten Kunst folgte bald die philologisch-kritische Erforschung der neueren auf der Ferse nach. In Mannheim wurde das seiner Zeit berühmte, für Goethes Anschauung so fruchtbare Gypsmuseum eröffnet, in Göttingen


134 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


hielt gegen Ende des Jahrhunderts der wackere Deutsch-ItaHener Fiorillo die ersten Universitätsvorlesungen über neuere Kunstgeschichte. In Berlin entstand endlich die erste, von vornherein nach modern wissenschaftlichen Grundsätzen angelegte Galerie, der, wie schon erwähnt, die Kollektion eines Engländers ihren reichen Fond von Inkunabeln zubrachte, und die durch den sach- gemäßen Beirat des hervorragendsten und geistreichsten deutschen Kunst- gelehrten damaliger Zeit, C. F. von Rumohr, verständnisvoll und glücklidi vermehrt wurde. Namentlich im Vergleich zu den höfischen Galerien älterer Zeit meint man ein wenig von der etwas pedantischen Tüchtigkeit, dem geraden sachlidien Ernst des preußischen Pädagogen in dieser seither zu einer Forsdiungsstätte ersten Ranges gewordenen Sammlung zu verspüren. Fast gleichzeitig bezeichnet die Erwerbung der Boissereeschen Sammlung alt- deutscher Tafeln und der berühmten Kollektion antiker Vasen durch Ludwig I. die neue Richtung in München.

Zum Teil schon vor diesen Bestrebungen liegt ein in der Geschichte des Sammelwesens epochemachendes Ereignis, die Gründung des Musee Napoleon (Fig. 99) in Paris, das sein großer gewalttätiger Organisator als ein euro- päisches Zentralmuseum gedacht hat.^^^) Hat diese merkwürdige und so viele alte Reditstitel verletzende Schöpfung auch nur wenige Jahre gedauert, so ist sie doch von nicht zu unterschätzender Bedeutung gewesen. Gleich dem Korsen selbst ist sie ein Kind der Revolution, in der das souveräne Volk den historischen Besitz seiner Könige als Nationaleigentum proklamiert hatte. Nidit nur die historische Forsdiung hat von hier aus bedeutende Anregungen erhalten, — die großen kunstgeschiditlichen Bilderwerke der Clarac, Agincourt, Cicognara stehen in weiterem oder engerem Zusammenhange mit dem napo- leonischen Museum — es war vor allem der vor einem halben Jahrhundert in England aufgetauchte Gedanke des großen öffentlidien Staatsmuseums, dessen Besuch, ohne beengende Sdiranken, jedem frei stehen sollte, hier in höchst autokratisdier Form propagiert worden. Zwar hatten die alten fürst- lidien Sammlungen schon vorher dem neuen Geist mandies Zugeständnis gemacht, und wir wollen der Liberalität des Hauses Lothringen, auch in seinen toskanisdien Landen, nicht vergessen; aber die Kabinette und „Galerien" behielten doch im Ganzen, und man wird sagen müssen, nidit überall zu ihrem Nachteil, den ihnen ja tatsädilidi zukommenden Charakter großer Privat- sammlungen, und ihre Benutzung unterlag naturgemäß, wie in den alten Kunstkammern, den Einsdiränkungen von solchen. Auch ist nicht zu ver- gessen, daß die breiten Massen des Publikums erst für den Besudi von Museen herangezogen und herangebildet werden mußten. Soldie Bedingungen sind erst allmählich eingetreten; es berührt heute recht eigentümlidi, zu hören, daß die alte Berliner Kunstkammer noch zu Anfang des XIX. Jahrhunderts jährlidi von nicht viel mehr als zweihundert Personen besudit worden ist. Hier mußte eben eines ins andere greifen, die neue Zeit mit ihren gesteigerten Verkehrsmitteln und Bedürfnissen kommen. Nadiklänge aus dem alten aristo- kratischen Milieu der fürstlichen Landessammlungen sind gleidiwohl nodi lange zu verspüren; noch in der zweiten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts war hie und da das Douceur für den Herrn Inspektor nidit verschwunden, das


III. SdiiuB. Fernere Entwickelung des Samtnelwesens. 135

seitdem durch die demokratischere Form des Eintrittsgeldes ersetzt worden ist, oder es durfte z. B. die kaiserhche Eremitage in St. Petersburg nur in Frack und weißer Halsbinde betreten werden. Noch jetzt ist es de rigueur, die russischen Sammlungen unbedeckten Hauptes zu betreten, eine Vorschrift, die namentlich dem Südländer seltsam genug ers-iieint. Auch in den viel und nicht mit Unrecht getadelten Prunkräumen der neuen Hofmuseen in Wien klingt manches nach, das indessen nicht einseitig beurteilt werden sollte; ist es doch hier noch der Monarch selbst, der seine Gäste empfängt und ihnen die Sdiau seines köstlichen Hausschatzes gewährt. Am allerspätesten haben sich natürlich die höfischen Schatzkammern dem Publikum geöffnet, und ihr Besuch unterliegt begreiflicherweise noch heute besonderen Einschränkungen. Noch in den siebziger Jahren war das grüne Gewölbe in Dresden dem großen Publikum nur in ziemlich kostspieligen und auf wenige Personen beschränkten Führungen zugänglich. Es ist nicht ohne Interesse, darüber die Stimme eines Mannes wie Graesse, der auch in seiner literarischen Tätigkeit ein Naclifahre älterer Zeiten war, zu vernehmen.^*^'-)

Diese Bemerkungen werden vielen als allzuflüchtig erscheinen, und sie sind es auch. Aber der Verfasser lebt der Meinung, daß die moderne Ent- wicklung viel zu reich, zu intensiv und für unser Leben viel zu wichtig ist, um als bloßer Appendix einer historischen Darstellung des hinter uns liegenden Abgeschlossenen und Ruhenden angehängt zu werden. Das möchte durchaus als Thema einer eigenen Schilderung erscheinen, die nur derjenige mit Nutzen wird unternehmen können, der mitten in diesem Getriebe steht und sich dennoch freien Kopf und klares Auge bewahrt hat.

Allerdings, es wäre hier noch sehr vieles zu erwähnen, das in ganz oder halb vergangene Tage zurückreicht: das Aufkommen des romantischen Ge- schmacks am Mittelalter, wie er in spielender Weise in der Franzensburg von Laxenburg, ernsthafter und methodischer im germanischen Museum zu Nürnberg sich äußert, dann die verschiedenen nicht immer und überall glück- lichen Versuche, die Museen zu kulturgeschichtlichen Bilderbüchern zu gestalten, des weitern die Spezialisierung der modernen Sammlungen im Zusammenhang mit den vorherrschenden Forschungsprinzipien des jüngst verflossenen Jahr- hunderts, endlich und hauptsäclilich die große kunstpolitische Rolle der Kunst- gewerbemuseen, auch eines modernen Gedankens, der mit dem Namen G. Sempers immer verbunden bleiben wird, und an dessen Ausführung London (und auf dem Kontinente Wien) an erster Stelle beteiligt war — lauter Dinge, die indessen mit unserm Leben noch auf das innigste verknüpft sind. Vollends an die komplizierte und vielumstrittene Frage nach der Zu- kunft des modernen Museums und seiner befriedigenden Organisierung nach außen und innen darf hier kaum gerührt werden. Es ist nur eine subjektive Überzeugung des Verfassers, wenn hier zum Schlüsse gesagt wird, daß diese wahrhaftig nicht leicht und vor allem nicht abstrakt und exempelhaft zu lösende Aufgabe ihre gedeihliche Lösung nur in einer Verständnis- und maßvollen Synthese des alten Amateurgeschmackes mit den Bestrebungen moderner evolutionistischer Forschung finden dürfte. Weder ist es wünschenswert, daß unsere öffentlichen Sammlungen bloße Rüstkammern für den Gelehrten und


136 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

Künstler seien, noch, daß in ihnen einseitige, auf willkürlicher und vergäng- licher Schätzung ruhende Prinzipien vorherrschen. Den Leitfaden durch dieses mehr als minoische Labyrinth dürfen wir vielleicht von einer zugleich freieren und strengeren Auffassung der Kunstwerte erwarten.

Berücksiditigung der individuellen Eigenart jeder Sammlung, auch der Art wie sie sich entwickelt hat, möglichste Freiheit von dem unheilvollen Be- streben, alles unter eine Schablone bringen zu wollen, wird da von Nöten sein; man muß vor allem von der früher so beliebten Art sich losmachen, die Kunstwerke in irgend einen schönen Fa(;adenbau, der gar nicht auf ihre Forderungen und Ansprüche Rücksicht nimmt, wie gleichgiltige Möbel in ein gleicligiltiges Zinshaus hineinzuzwängen. Eine Auswahl des Besten ist ge- wiß wünsclienswert; für den alten Gedanken des Cimeliensaals und der ihm anhängenden Repräsentationsräume spricht mindestens ebensoviel als gegen ihn. Wo es sich nicht, wie bei den meisten gewerblichen Museen, um be- stimmte didaktische Zwecke, um die Darlegung technischer Entwicklungsreihen usf. handelt, wird wohl eine mit Verstand und Geschmack geübte Sonderung von zeitlich und örtlicli zusammengehörigen, individuellen, größeren und kleineren Gruppen, ohne trödelhaft oder theatermäßig aufgeputztes Stilleben das beste sein, wo sich denn eines durch das andere hebt und erläutert, ohne daß der Beschauer durdi die endlosen Reihen gleichförmiger Dinge ermüdet und stumpf gemadit wird. Freilich liegt da wieder die Gefahr der Zer- splitterung und desultorisdier Zerstreuung nahe. Endlich noch eines. Der Ex- klusivität und Unnahbarkeit der alten Sammlungen ist die Reaktion einer fast schrankenlosen Öffentlichkeit gefolgt; schon werden Stimmen ernster Warner vernehmbar, die mit Recht auf die Gefahren der Überspannung dieses an sich guten und vernünftigen Prinzips aufmerksam machen. ^'*")

Gar nicht selten wird man angesichts des ohne Zweifel höchst anregungs- vollen modernen Ausstellungswesens, insbesondere der Loane Exhibitions, an das nachdenkliche Sprüchlein erinnert, das schon Goethe, selbst ein Sammler von bedeutender Eigenart, Museen gewidmet hat:

An Bildern schleppt Ihr hin und her Verlornes und Erworbnes, Und bei dem Senden kreuz und quer Was bleibt uns denn? — Verdorbnes!

Aber so wenig die Kunst ausschließlich für den Künstler oder den Ge- lehrten da ist, so sehr sind die Museen, gegen die als Institution neuerdings recht oberflächliche Angriffe gerichtet worden sind, dazu bestimmt, nicht bloß der jetzt allzustark betonten Belehrung oder gar unklarer Bildungsphilisterei, sondern mindestens ebensosehr audi dem edelsten Genüsse zu genügen, den eine wirklidi, nicht bloß äußerlich gebildete Gesellsdiaft von einer der größten und tiefsten Mächte dieses Lebens zu empfangen bereditigt ist. Gewiß ist an dem Gedanken der Museen als solchen mandies auszusetzen, er ist und kann kein Ideal sein, und er unterliegt wie alle menschlidien Einriditungen dem Wechsel der Anschauungen und Bedürfnisse; das Museum als Selbstzweck zu betrachten, wäre töricht, wo er nur das Mittel sein kann, uns und unsern


HI. Schluß. Fernere Entwickelung des Samrtielwesens.


157


Nachkommen das Erbe unserer Vorfahren nacli MögUclikeit treu, ungesdiädigt und ungeschmälert zu erhalten, zu dem Nutzen, den sie daraus ziehen wollen und können. In dieser, freilicli gerade durdi das moderne Leben vielfacli ge- hemmten und gestörten konservierenden Tätigkeit liegt ihre Berechtigung, und wenn es einmal so sein soll, ihre Entscliuldigung. Denn der erniedrigt sich selbst, der seine Herkunft vergißt und sie von sich wirft; mag sie hocli oder niedrig sein, gleichviel, wenn er ihr nur innerlich frei und selbstbewußt gegenübersteht. Ist doch dem Mensclien, der zuerst und vor allem das Resume seiner Ahnen ist, allein das zweideutige Gesclienk verliehen, über die nie zu fassende Gegenwart nadi vorne und rückwärts hinauszublicken.



Fig. 99. Ein Saal des Musee Napoleon. (Nach Saunier.)


Anmerkungen.


') Eine zusammenfassende Behandlung der Sache dürfte nodi nicht vorhanden sein. Was aus den archäologischen Handbüdiern von O. Müller, Stark, Sittl u. a. ent- nommen werden kann, bezieht sich fast nur auf antike Kunst. Gleidifalls von Ärdiäo- logen rühren die beiden folgenden Hufsätze her: Curtius, Kunstmuseen, ihre Gesdiidite und Bestimmung (in Altertum u. Gegenwart I, 99) Berlin 1870 und Hirschfeld, zur Ent- wicklungsgeschidite von Kunstsammlungen Nord u. Süd 1890, Bd. 52, 557. Über die Sammler der ital. Renaissance hat J. Burckhardt geistreidi und belehrend wie immer in einer jetzt aus seinem Nachlaß bekannt gewordenen Studie (Beiträge zur Kunstgeschichte Italiens) sich verbreitet. Ein sehr nützliches Budi ist die Bibliographie generale des in- ventaires imprimes von de Mely und Bishop Paris 1892, 3 Bde. Für Italien kommt das Sammelwerk des Marchese Campori in Betracht: Raccolta di cataloghi ed inventari inediti dal sec. XI. al sec. XIX, Modena 1870, sowie die Documenti per servire alla storia dei musei d' Italia. Flor. u. Rom. 1878 ff. Vieles Brauchbare enthält, trotz der im Titel angedeuteten Beschränkung das ältere Werk von G. Klemm, Zur Gesdiidite der Sammlungen für Wissenschaft und Kunst in Deutschland, in 2. Auflage zu Zerbst 1838 erschienen. Die alte Literatur über die Kunstkammern wird später angeführt werden.

2) K. Groos, Die Spiele der Menschen, Jena 1899.

») Heinrich Schurtz, Urgeschiciite der Kultur. 1900, S. 386.

^) Eine große Menge von hierhergehörigen Notizen hat Friedländer in seinen Darstellungen aus der Sittengeschidite Roms. 2. Ä. Leipzig 1889, Bd. II, S. 170 ff. zu- sammengetragen.

■■) Vgl. Friedländer a. a. O. S. 178f.

  • ') Nirgends ist dies sciiöner und eindringlicher dargelegt als in Jacob Burckhardts

hinterlassenen Vorlesungen über griechische Kulturgesciiiciite; jenem so ganz persönlichen und darum aucii zeitlebens von dem Verfasser zurückgehaltenem Buche.

) Fränkel, Gemäldesammlungen und Gemäldeforsciiung in Pergamon. Jahrbudi des kaiserl. deutsciien arciiäolog. Instituts. VI. (1891.) 49 f.

^) Friedländer a. a. 0. S. 174.

") Vgl. (Wiener) Numismatische Zeitschrift Bd. XXIII (1891) p. 19 und dazu Habich, Hermes Diskobolos im Jahrbucii des kaiserl. deutscfien archäolog. Instituts, Bd. XIII (1898), S. 57 f. Die sdion von Friedländer (Darst. a. d. Sittengesdi. Roms III) angezogene Stelle aus Josephus Flavius Äntiqu. Jud. (XX, 9. 4) lautet: T)]f näaav 6i. nö'/uv ca'ÖQiüi'Tiov äva-

■b-iataiv xcd Tuig zwv uQyuiini' an oxvnoig lixöaii' (xöaui/.

'^) Ähnlich die nicht weit entfernte Kirdie in St. Donat u. a. m.

") Vgl. Otte's kirchliciie Kunstarchäologie I, 365. Piper, Mythologie der christl. Kunst I, 48. Im Museo Lapidario zu Mantua befindet sicii ein arabischer Cippus von 1296, der in der Krypta von S. Francesco in Assisi vergraben war.

'-) Florencourt, Der gesteinigte Venuskorso zu St. Matthias, in den Jahrbüchern des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande Bd. Xlll, 128. Vgl. jetzt den Aufsatz von Radermacher, Venus in Ketten, in der Westdeutsciien Zeitsdirift XXIV, 219.


Atiiiierkungen. 139


") Barbet de Jouy et Jacquemart, Gcmmes et joyaux de la couronne pl. 5. (Sar- donyxkelch), pl. 6 (Porphyrgefäß aus Ägypten), pl. 7. (Kristall der Elconor von Aquitanien), pl. 9. (arabisdier Kristall).

") Eine alte Beschreibung ist in dem Werk von Mesdiinello, La chiesa ducale di s. Marco, Ven. 1753 zu finden.

^) Le monde enchanté, cosmographie et histoire naturelle fantastiques du Moyen Âge. Paris 1843.

^^) Auch an S. Francesco in Bologna sieht man dergleidien bacini. Vieles der Art ist in Ottes kirchl. Kunstarchäologie I, 209 usw. aufgeführt, ferner bei Sauer, Symbolik des Kirdiengebäudes, Freiburg i. B. 1902, p. 211 f., worauf hier der Kürze halber ver- wiesen sei.

1') Otte a. a. 0, p. 213 und besonders Sauer, p. 211 f. Von dem enormen Wert, den man diesen Dingen beilegte, mag die Sdiätzung eines solchen Einhorns auf 6000 fiorini im Inventar des mediceischen Hauses von 1492 Zeugnis ablegen ; unter Clemens VII. wurde ein anderes gar mit 27000 Dukaten verkauft. (Müntz, CoUections des Medicis p. 16 und 66.) Ein mannshohes Exemplar wird heute nodi in der Kopen- hagener Rosenborg als besondere Sehenswürdigkeit vorgewiesen; eines von gleicher Höhe im Inventar der Gonzaga von Mantua 1631 (D'Arco Arti di iWantova II, 174) er- wähnt. Von anderen Exemplaren nenne ich noch einige, wie sie mir gerade in Er- innerung sind: den überreich geschnitzten Zahn, ein diarakteristisches Inventarstück der alten Farmacia Albrizzi, jetzt im Museo archeologico zu Venedig; im Sdiatz von S. Marco ebenda ein sehr großes Exemplar, eines auf einem sdiön gesdinitzten Renais- sancepostament auch im Museo civico von Bologna. In Fischarts glückhaftem Schiff von Zürich wird den Schweizer Gästen das acht Schuh lange Einhorn im Chor des Doms zu Straßburg mit gebührendem Stolze gewiesen.

'*) Römische Quartalschrift Bd. XII (1898), S. 162 ff.

lö) Otte a. a. 0., S. 213, Anm. 6.

-0) Mitt. der k. k. Zentralkommission XIV, 88.

'-') Vgl. u.a. Lastri, L' osservatore fiorentino, Ausg. von 1821, Bd. II, 153 f. Einiges bei Warburg, Bildniskunst und florentinisches Bürgertum. S. 29 f.

--) Vielleicht dürfte das erste öffentlich für Geld gezeigte Museum von Wachs- figuren jenes gewesen sein, für das Antoine Benoist „sculpteur en cire du roi" 1668 ein königliches Patent erhielt. Neben den Porträts fürstlicher Personen des damaligen französischen Hofs, ferner des Dogen von Genua, wurden die Figuren orientalischer Gesandten, von Slam, Marocco, Moskau, Algier gezeigt. Vgl. das Bulletin de la Societe de 1" histoire de Paris et de 1' Isle de France. 1896, p. 201 f. (Nadi einer Mitteilung die ich noch dem verstorbenen E. Müntz danke.)

-») Vgl. die Abhandlung Beissels über die Aachenfahrt in den Stimmen aus Maria Laach. Ergänzungsheft 82 (1902).

'-') Verzeichnis der bekannten Heiligtumsbücher bei Otte I, 187. Über ein hand- sdiriftlich in Hall erhaltenes: Hohenbühel , Mitt. der Zentralkomm. 1883.

-■^) Das Inventar der Schätze Karls V. von Frankreidi wurde von Labarte (Docu- ments inedits sur I'histoire de la France, Paris 1879), dasjenige Ludwigs von Anjou gleichfalls von Labarte im II. Band seiner vortrefflichen Notice des emaux du Louvre (Paris 1853) veröffentlicht. Vgl. die neue Publikation von Moranville, Inventaire de l'orfevrerie et des joyaux de Louis I. duc d'Anjou. Paris 1903.

-«) Inventaires de Jean duc de Berry (1401-^1416) publies et annotes par Jules Guiffrey. 2 Bände, Paris 1894-1896.

-') Champeaux et Gaudiery, Les travaux d'art executes pour Jean de France, duc de Berry Paris 1894.

-«) Notices et extraits des manuscrits V, 564.

-*') Filaretes Traktat über die Baukunst herausg. von W. v. Oettingen. Wien 1896. S. 659.


140 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

3'^) In den Inventaren kommt sie nicht vor. Filaretes Notiz beruht also wohl auf einem Irrtum.

"') Vgl. über diese missoria Piot in der Gazette archeologique 1886, 185, der auch eine mittelalterlidie Bleinadibildung eines solchen Bellerophon beibringt.

•■-) Schlosser, Die ältesten Medaillen und die Antike. Jahrbuch der kunsthistor. Sammlungen des ah. Kaiserhauses 1897.

=> ) Farbige Abbildung im „Studio". Vol. XXII, 242.

"') Ein sehr merkwürdiges altes Stück dieser Art ist die burgundisdie Standuhr aus dem XV. Jahrhundert, die sich im Besitze des Herrn M. v. Leber in Wien befindet und wiederholt auf Pariser Ausstellungen zu sehen war. (Fig. 13) Sie stammt aus einer alten Wiener Privatsammlung, der Fürsten Eduard von Collalto. Leber, Notice sur l'horloge Gothique construite vers l'an 1430 pour Philippe le Bon (mit Photographie). Wien 1877.

■ ■•) Soldie Tierfiguren, mit wohlriechenden Pasten belegt, finden sidi noch, von der alten Ämbraser Sammlung her, im Wiener Hofniuseum: Bär mit Flinte aus dem XVI. Jahr- hundert (s. die Figur im Texte).

^") Das Hauptwerk ist bekanntlich die (unvollendete) Publikation des Comte de Laborde, Les ducs de Bourgogne. 3 Bde. Paris 1849 ff. Dazu des Canonicus Dehaisnes Documents et extraits divers concernant l'histoire de I'art dans la Flandre, I'Ärtois et le Hainaut avant le XV. siecle. 2 Bde. Lille 1886, die reichhaltigen Ärchives des Arts von Pinchart, 3 Bde. Gent 1860 f. und das neue, eben erscheinende Werk von Prost, Inventaires, mobiliers et extraits des comptes des Ducs de Bourgogne. Paris 1902.

^') Das Exemplar der Pariser Bibliothek wurde vollständig von Michelant in den Comptes rendus de la Commission Royale d'histoire, Bruxelles III. Serie t. XII. (1871) p. 10 ff., unvollständig (jedoch mit Konkordanzen aus Le Glay, Correspondence de Maximilian I. et de Marguerite, Paris 1839 II., 466 f.) von Laborde in der Revue archeo- logique VII. (1880) 46 f. veröffentlicht; das des Wiener Staatsarchivs von H. Zimmer- mann im Jahrbuche der kunsthistor. Sammlungen des ah. Kaiserhauses III. (Urkunden- teil) p. XCIII. unter Nr. 2979. Weitere wichtige Verzeidinisse von Kostbarkeiten aus Margarethens Besitz sind am gleichen Ort III, 6286, XII, 8347 und XIII, 9118 zu finden. Vgl. ferner Glück, Kinderbildnisse aus der Sammlung Margarethas von Osterreich, Jahrbuch der kunsthistor. Sammlungen XXV, 227.

3*) Murr, Descr. du cabinet du M. Paul de Praun a Nuremberg. Nürnberg 1797. (Paul von Praun lebte 1548—1616.)

3») Auszüge aus deren Inventar von 1573 hat Springer in den Mitt. der k. k. Zentralkommission V. (1860), S. 352 f. gegeben. Ihren Hauptsdiatz bildete bekanntlidi die große Dürersammlung.

^») Hirn, Erzherzog Ferdinand von Tirol, 2 Bde. Innsbruck 1885. Zimmermann, Die Renaissance, in den kunstgeschichtl. Charakterbildern aus Österreich-Ungarn. Wien 1893. II g, Erzherzog Ferdinand von Tirol im Lichte der humanistischen Zeitbildung. (Monatsblätter des wissenschaftl. Klubs in Wien 1880.) Der offizielle Führer durch Ambras ist von Hg und Boeheim verfaßt worden. Das k. k. Schloß Ambras in Tirol. Wien 1882. Photographische Ansichten von Schloß Ambras mit Text von J. Stock- bauer sind bei Soldan in Nürnberg herausgekommen. Das wiciitigste der alten Am- braser Inventare (von 1596, auf der k. k. Hofbibliothek) ist von W. Boeheim im VII. Bande des Jahrbuches der kunsthist. Sammlungen des ah. Kaiserhauses unter Nr. 5556 herausgegeben worden. Weitere handschriftlicii im Hofmuseum vorhandene In- ventare, die über den Zuwachs der Sammlung Aufschluß geben, rühren aus den Jahren 1613, 1621, 1730 (von dem verdienten Anton Rosdimann verfaßt) und 1788 (von Johann Primisser) her.

  • ') Schönherr, Erzherzog Ferdinand von Tirol als Ardiitekt (im Repertorium für

Kunstwissensdiaft I.).

  • '-) Ihre Gesdiichte kann in Schönherrs gesammelten Schriften I, 406 bequem nach-

gelesen werden.


Anmerkungen. 141


'■) Einen jungen Leibeigenen von seinen böinnisdien Gütern, dessen Talente er erkannte, hat er auf seine Kosten zum Maler ausbilden lassen. Es ist jener Matthias Hutsky, der dem Erzherzog dann einen Zoll seiner Dankbarkeit entriditet hat, indem er ihm einen Pergamentband mit den Kopien der (heute nicht mehr vorhandenen) alt- böhmisdien Wandgemälde in der Wenzelskapelle des Prager Doms dedizierte. Am Hofe Ferdinands in Innsbrud< hat audi der bekannte niederländisdie Bildhauer Francavilla geweilt, dessen merkwürdige, mit dem Erzherzoge unternommene Alpenbesteigung Bal- dinucci im Leben des Künstlers umständlidi nadi mündlidier Tradition sdiildert. Ferdi- nands Komödie: Speculum hnmanae vitae, wurde von Minor in den Neudrudten der deutsdien Literatur des XVI. und XVll. Jahrhunderts, Halle 1889, neu herausgegeben.

  • ') Unter den älteren Sdiilderungen von Ambras sind hervorzuheben: die des

niederländisdien Ardiäologen Stefan Pighius, der als Hofmeister des Prinzen von Cleve 1574 Ambras besudite und es in der Besdireibung jener Kavalierreise: Hercules Prodicius, Antwerpen 1587 sdiildert; dann des französischen Arztes und Numismatikers Charles Patin, dessen Relations historiques et curieuses de voyages, mit reichen Nach- richten über die Sammlungen seiner Zeit, 1695 zu Amsterdam gedruckt wurden; endlich des Augsburger Patriziers Philipp Hainhofer Beridit von 1628, der jetzt in der Aus- gabe von Doering (Eitelberg-Ilgs Quellensdiriften N. F. Bd. X) vorliegt. Wertvoll ist die ausführlidie Schilderung in Keysslers Neuesten Reisen, Hannover 1751, I. T., S. 25 bis 38, die, wie diese ganze ältere Reiseliteratur überhaupt, wertvolle Nachrichten über die alten Sammlungen enthält. Der älteste gedruckte Katalog der Ambraser Sammlung nadi ihrer Übertragung nadi Wien rührt bekanntlich von dem verdienten Alois Primisser (Wien 1819) her; es ist sein Verdienst, daß die fast vergessene Sammlung wieder in weiteren Kreisen bekannt wurde. Eine kurze Beschreibung der Sammlung, noch an ihrem Tiroler Standorte, war schon von dem älteren Primisser, Innsbruck 1777, veröffentlicht worden. Der letzte ausführliche Katalog der alten Sammlung vor ihrer gänzlidien Auflösung ist von Eduard Freih. v. Sacken verfaßt worden. (Wien 1855, 2 Bde.) Auf die Albums ausgewählter Gegenstände der kunstindustriellen Sammlungen von Hg (Wien 1895) und dem Verfasser (Wien 1901) darf hier wohl im Vorbeigehen verwiesen werden; sie enthalten manche der im Texte besprochenen Ambraser Stücke in guten Abbildungen.

  • ■') Vgl. die darüber geführte lange Korrespondenz im Jahrbudi der kunsthistori-

sdien Sammlungen des ah. Kaiserhauses, Urkunden Bd. XI, Nr. 7236 ff.

    • ) Th. Distel in Graesses Zeitschrift für Museologie 1882 Nr. 1.
  • •) Reichhaltige Nachrichten darüber findet man in dem Aufsatz von E. de Bricque-

ville, Les collections d'instruments de musique au XVI e, XVII e et XVIII e siecle (L'Art 1894). Eine hervorragende alte Sammlung aus Estensischem Familienbesitz ist heute im Museum Sr. k. u. k. Hoheit des Erzherzogs Franz Ferdinand in Wien.

'*) Über die merkwürdige zwischen Kepler und Wallenstein geführte Korrespon- denz, das Horoskop des letzteren betreffend, s. W. Förster, Himmelskunde und Weis- sagung, Berlin 1901.

'») Jahrbuch der kunsthist. Sammlungen. Urk. VII, 4745 4749. F. v. Hochstetter, Über mexikan. Reliquien aus der Zeit des Montezuma in der k. k. Ambraser Sammlung. Denkschriften der phil.-hist. Klasse der Wiener Akad. der Wissenschaften XXXV (1884). Zelia Nuttall, Das Prachtstück altmexikanischer Federarbeit aus der Zeit Montezumas im Wiener Museum. Abh. u. Ber. des ethnograph. Mus. zu Dresden, 1887; Uhle, Zur Deutung des in Wien verwahrten altmexikan. Federschmucks. Verh. der Berliner anthrop. Gesellsch. 1891, zuletzt Heger, Altmexikan. Reliquien aus dem Schlosse Ambras in Tirol. Annalen des k. k. naturhist. Hofmuseums. Bd. VII. (1892) mit 5 Tafeln.

^) Audi in der Sammlung Leopold Wilhelms befand sich ein Exemplar (Inventar Nr. 202); andere sind heute im Museum zu Braunsdiweig, im Museo Arqueologico zu Madrid und anderwärts zu sehen.

•^') Bekleidet und nackt schon bei Lambecius: De Bibl. Vindob. VI, 452 abgebildet. Vgl. Perger, Über den Alraun, Mitt. des Wiener Altertumvereins V, 259 ff.


142 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.


'"-) Vgl. die Abhandlung von H. Modern im Jahrbudie der kunsthistor. Sammlungen Bd. XII.

■•■"') Fol. 459 V.: Ain indianisdi tuedi, darauf ist gemalt ain großer vogl gleidiwie ain sdiwann, sambt anderen vögelen, sonst von allerlai laubwerdt gemalt. — Äin in- dianisdi tuech, darauf indianische heuser gemalt, in dem haus siezen die Indianer bei Ginander und einer schreibt in ain roten rock. — Mer ain indianisch tuech, darauf etliche indianische heuser gemah, darinnen weiber, so auf saitenspiel schlagen.

•^^) Ein altes Verzeichnis derselben ist in den „Baltischen Studien" Stettin 1864, Bd. XX, 108 f. abgedruckt. Über Giovios Porträtsammlung hat E. Müntz in den Me- moires de l'Äcad. des inscriptions et b. 1. XXXVI, 2 (1901) gehandelt; über die Ambraser Miniaturensammlung vgl. die umfangreidie Materialsammlung von F. Kenner im Jahr- buch der kunsthistorischen Sammlungen, Bd. XIV— XIX.

^■') Das Nadilaß-Inventar von 1590 wurde von Zimmermann im Jahrbudi der kunst- historisdien Sammlungen, VII (Urkundenteil) p. XVII f. auszugsweise publiziert. Das aus dem XVII. und XVIII. Jahrhundert stammende Inventar wurde von Wastler (Mitteilungen der Zentralkommission 1879—1881) und von Pichler im Ärdiiv für österreichische Ge- sdiidite 1880 (LXl) herausgegeben. Vgl. Wastler, Kunstleben am Hofe zu Graz unter den Herzögen von Steiermark usw. Graz 1897. Ein Inventar der Sammlung, das ge- legentlich ihrer Übertragung nach Wien (1765) aufgestellt wurde, ist soeben von H. Zimmer- mann im Urkundenbande des Jahrbuchs der Kh. Sammlungen (Bd. XXIV, n. 19325 ff.) veröffentlidit worden.

"'") Abgedruckt bei Stockbauer, Die Kunstbestrebungen am bairischen Hofe unter den Herzögen Albrecht V. und Wilhelm V. (Eitelbergers Quellensdiriften Bd. VIII).

■^') Eine ansehnliche Kollektion von Blättern und Rollen der Art befand und be- findet sidi, wie hier nadigetragen sein mag, in der Ambraser Sammlung.

•'*«) Über die Hradschiner Kunstkammer vgl. man die Einleitung zum I. Bande des Engerth'schen Galeriekatalogs (Wien 1882, S. XIV f.), dann die Abhandlung von H. Zimmermann in den kunstgeschichtlichen Charakterbildern aus Österreich -Ungarn (Wien 1893). Ferner Svätek, Die rudolfinische Kunstkammer in Prag, in dessen Kultur- historischen Bildern aus Böhmen, Wien 1879, übrigens eine wenig zuverlässige Arbeit. Venturi, Zur Geschichte der Kunstsammlungen Rudolf II. im Repertorium für Kunst- wissenschaft Bd. VIII; Urlidis, Beiträge zur Gesdiichte der Kunstbestrebungen Rudolfs II. (Zeitschrift für bildende Kunst V); Neuwirth, Rudolf II. als Dürersammler in den Xenia Austriaca (Festschrift zum 42. Philologentag, Abt. IV) Wien 1893. Einige Regesten (an- geblich aus dem Jahre 1608) in Hormayrs Taschenbudi für die vaterländisdie Ge- schidite. XXVII (1838). p. 282 f. Über die redit verwickelte Frage der alten In- ventare orientiert jetzt in trefflidier Weise H. Zimmermanns Vorberidit zu seiner Publikation des Inventars der Prager Schatz- und Kunstkammer von 1621. (Jahr- buch der kunsthistor. Sammlungen des ah. Kaiserhauses. Bd. XXV, S. XIII ff.) Ein Originalinventar aus der Zeit Rudolfs II. selbst ist trotz aller Bemühungen bisher nidit aufzufinden gewesen. Wir sind auf das spätere im Jahre 1621 angelegte angewiesen, das Zimmermann jetzt zum erstenmale vollständig und mit sorgfältigen Konkor- danzen nach der Handschrift des Reichsfinanzarchives in Wien herausgegeben hat. Die älteren unvollständigen Publikationen von Chmel (Handsdiriften der Hofbibliothek II, 1—12) und von Max Perger, Studien zur Geschichte der Gemäldegalerie im Belvedere (Mitt. des Altertumsvereins in Wien VII, 104 f., bloß die Gemälde enthaltend) sind da- durdi überholt. Eine wertvolle Ergänzung bildet eine nach Wolfenbüttel versdilagene Aufzeichnung, weldie die vor 1621 nach Wien gelangten Objekte der Prager Kunst- kammer umfaßt und von W. Köhler, Aktenstücke zur Geschidite der Wiener Kunst- kammer (Jahrbuch der kunsthistor. Sammlungen XXVI, I ff.) ediert wurde. Endlich kommen noch die beiden, von B. Dudik im Skokloster am Mälarsee gefundenen In- ventare in Betradit (Mitt. der k. k. Zentralkommission XII (1867) S. XXXIIl ff.), von denen das erste noch vor der schwedisdien Plünderung 1648 abgefaßt ist. Endlich ist das gleidifalls von Dudik in Stockholm aufgefundene und von Geffroy (Notices et extraits des manuscrits .... dans les bibliotheques ou archives de Suede. Paris 1855, p. 120 f.)


Aiii)ierkuii()eii. 145


mitgeteilte Inventar der Königin Christine von Schweden aus dem Jahre 1652 zu er- wähnen, weil es die aus Prag stammenden Stücke genau verzeidmet.

■'•*) Das ausführliche Inventar der weltlidien Schatzkammer ist ziemlidi jung, von 1750, und im Jahrbuche der kunsthistorisdien Sammlungen X. n. 6253 zu finden. Eine Reihe von Stücken beschreibt Lambecius diarakteristischer Weise in seinem großen Katalogwerke der Wiener Hofbibliothek. Verzeidinis der geistlichen Schatzkammer von Sitte, Mitteilungen der Zentralkommission 1901.

<'*') Sandrart, Teutsche Akademie im II. Hauptteil von 1679. II. Abteilung S. 71 91, zum größten Teil nach Patins Relationen, vgl. L. Sponsel, Sandrarts Teutsche Aka- demie, Dresden 1890, S. 34. In J. Spons Redierches des antiguites et curiosites de la ville de Lyon, Lyon 1675, p. 212 f. ist ein merkwürdiges Verzeidinis der damaligen Kunstliebhaber zu finden.

"1) Außer in Klemms Werke: Zur Geschichte der Sammlungen in Deutsdiland p. 167 ff. Graesses Zeitsdirift für Museologie 1879 no. 2—4. Beide sind jetzt über- holt durch den reichhaltigen Aufsatz von Kautzsdi, Beiträge zur altern Gesdiichte der kurfürstlichen Kunstkammer in Dresden (Neues Archiv für sächs. Geschidite und Alter- tumskunde, Bd. XXIII, 1902, p. 220—296), wo die noch vorhandenen Stücke sorgfältig nachgewiesen sind. Eine ausführliche Beschreibung der Dresdner Kunstkammer hat Philipp Hainhofer in einer Relation von 1629 hinterlassen, die jetzt Döring herausgegeben hat (Eitelberger-Ilgs Quellenschriften n. F. X, 156 ff.).

"'-) V. Ledebur, Gesdiichte der kgl. Kunstkammer in Berlin. Berlin 1831.

  • "'•') Querfurt, Kurze Beschreibung des Fürstl. Lustschlosses Saltzdahlum. Braun-

schweig, o. J.

"^) Öliger Jacobaeus, Museum Regium rerum tam naturalium quam artificialium quae in basilica bibliothecae Augustiss. Daniae Norvegiaeque monarchae Christian! Quinti Hafniae asservantur, ein stattlicher, mit Kupfern gezierter Foliant, Kopenhagen, 1696. Holk, Det kongelige Kunstkammer paa Christianborgs Slot sammt Rosenborgs slots Inventarium. Kopenhagen o. J. (jedodi nadi 1772) ist ein alter Führer für Reisende. Der neue vortreffliche Führer durch Schloß Rosenborg ist vom Inspektor B. Liisberg verfaßt.

  • '•'*) Döring in den Quellenschriften n. F. X, S. 251 f.

•"') Das Inventar der Sammlungen Leopold Wilhelms in der Stallburg zu Wien (1659), mit genauen Angaben der Meisternamen, der Maße usw. ist von Berger im I. Bande des Jahrbuches der kunsthistorischen Sammlungen des ah. Kaiserhauses (als Nr. 495) veröffentlicht worden. Der im Texte erwähnte Prodomus ist von Zimmermann im VII. Bande des Jahrbuchs neu herausgegeben worden (als Nr. 4584). Nicht zu ver- gessen ist (außer Teniers' bekanntem Galeriewerk von 1660) desselben Stechers J. A. Prenner Theatrum artis pictoriae von 1728.

'•') Vgl. Valentini, Musaeum Musaeorum I, 509, der, obwohl er über diesen Köhler- glauben spottet, sidi nidit versagen kann, ihn mit einem Kupfer zu illustrieren.

"*) Man findet eine bequeme Übersicht derselben in dem Büchlein von Boersma, Kunstindustrieele Literatuur I, 's Gravenhage 1888.

ö^) Die genaue Beschreibung kann man in dem von Döring herausgegebenen Nach- laß Hainhofers in Eitelberger-Ilgs Quellenschriften (n.F. VI) nachlesen; zu vergleichen ist ferner Lessings Aufsatz im Jahrbuch der kgl. preuß. Kunstsammlungen 1883 und 1884 (Eine neue Publikation steht bevor). Andere Schränke beschreibt Hainhofer ebenfalls ausführ- lich (Quellenschriften n. F. X, 115 ff., 290 f.) Die eingehende Schilderung eines solchen von Jonas Ostertag in Augsburg gefertigten, den Hans Fugger 1587 Erzherzog Ferdinand von Tirol um 4000 Taler anträgt, s. im Jahrbuch der kunsthistorisdien Sammlungen XIV (Urkunden Nr. 11205).

^•^) Wer sich dafür interessiert, kann guten Aufschluß darüber in dem „Katalog der im Germanischen Museum befindlidien Kunstdrechslerarbeiten des XVI.— XVIII. Jahr- hunderts", Nürnberg 1891. finden.


144 V. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

•') Gedruckt zu Koburg 1640 in Quart. Einen Auszug daraus findet man in Vul- pius' Zeitsdirift Kuriositäten VIII, 365 f., Weimar 1819.

") Über die Naturaliensamnilungen verbreitet sidi Klemm a. a. 0. S. 242 ff. sehr ausführlidi. Das Museum der alten Leipziger Stadtbibliothek hat G. Wustmann, Geschidite der Leipziger Stadtbibliothek I (in den Neujahrsblättern der Bibliothek und des Archivs der Stadt Leipzig II. 1906, p. 271) eingehend behandelt; es war reich an Curiosis aller Art.

'^) Abgebildet und besprochen in L. Sponsels Kabinettstücken der Meißner Porzel- lanmanufaktur. Leipzig 1900, S. 69 f. Die gleidie Bildung ersdieint auf den Bronze- türen aus Gio. Bologna's Werkstatt am Pisaner Dom.

•') Abgebildet bei Sdierer, Elfenbeinplastik seit der Renaissance, Monographien des Kunstgewerbes, her. von J. L. Sponsel, Bd. VIII, Fig. 11.

) Legati, Museo Cospiano annesso a quello del famoso Ulisse HIdrovandi. Bologna 1677. Vgl. Comelli, F. Cospi e le origini del Museo Civico di Bologna. Atti e Memorie della R. Deputazione di storia patria per le province della Romagna. 1889 (vol. VII.). Note ovvero memorie del museo del Co. Lodovico Moscardo, dal mede- simo descritte. Verona 1672; Terzaghi, Musacum Septalianum Manfredi Septalae. Tortona 1664. Die Schrift von Fogolari, II museo Settala, Mailand 1901, ist dem Ver- fasser nur dem Titel nadi bekannt.

'®) Freilich enthielt das Cospisdie Museum u. a. ein edites Kuriosum, das audi in nordländisdien Sammlungen jener Zeit nicht gerade selten ist und hier rasdi erwähnt sein soll, einen Keusdiheitsgürtel. Ein Exemplar dieses seltsamen Tugendwäditers, dessen VerläBlidikeit sdion in damaliger Zeit stark angezweifelt und bewitzelt worden ist, befindet sich, aus Ambras stammend, im Depot des Wiener Hofmuseum; im Musee Cluny zu Paris ist ein anderes zur Schau gestellt.

■') Weimar, im Verlag des Landes-Industrie-Comptoirs 1811 ff., 8 Bde. Einem Antiquarkatalog, der mir zufällig vorliegt, ist zu entnehmen, daß noch in den Jahren 1836 1837 zu Stuttgart eine Zeitschrift gleidien Namens erschienen ist, die sidi als „Gallerie auffallender Erscheinungen aus dem Gebiete der Natur und Kunst" den Lesern vorstellt der alte Dualismus ist hier noch ganz deutlich.

'^) Die ägyptische Mode, die die Chinoiserie ablöst, hat überhaupt, nidit nur im ägyptischen Saal des Wilhelm Meister und im Lokal der Zauberflöte einen mystisch- romantischen Zug. Wie dergleidien Dinge ins Leben traten, lehren nicht nur die Villa Altichiero des Senators Querini bei Padua, die von der Comtesse Rosemberg in einem eignen Prachtwerk beschrieben wurde, und mancher Rest aus Sdiloß Catajo bei Este (heute in der Sammlung Sr. k. u. k. Hoheit des Erzherzogs Franz Ferdinand), sondern audi beispielsweise die ägyptisierenden Experimente des spiritistisdi grübelnden Bildners F. X. Messerschmidt in Wien; man kann das nähere darüber in Ilgs Biographie dieses sonderbaren, begabten Kauzes, (der ein Freund des Dr. Mesmer war), S. 39 f. nadilesen. Audi des kuriosen Apisaltars Dinglingers, eines altberühmten Sdiaustückes des Grünen Gewölbes in Dresden, mag hier gedacht sein.

'■'■*) E. Müntz, Les collections des Medici au XV. siecle. Paris 1888.

  • ") Umb. Rossi, Medaglisti del rinascimento alla corte di Mantova. Rivista Ital.

di numismatica I, 35.

"*') Über Leonis Sammlungen ist vor allem das Werk Plöns über diesen Künstler (p. 188 f.) zu vergleichen. Wichtige alte Nachrichten über sie stehen in Lomazzos Traktat von 1585 p. 117 und 212, sowie in Borsieris Supplement zu Morigias Nobiltä di Milano (1619) Kap. 18, p. 67 und 68.

8-) E. Müntz in der Gazette des beaux-arts 1880 (XXII.) p. 310.

«3) Yriarte, Isabella d'Este. Gazette des beaux-arts 1895.

^*) Die liebenswürdige Selbstschilderung ist in Sabbas Ricordi Venedig 1559, Kap. CIX, zu finden. S. den Aufsatz von Bonnaffe in der Gazette des beaux-arts 1884. Im übrigen sei nodimals an die feine Sdiilderung der italienisdien Sammler in Jacob Burck-


Anmerkuncjen. 145


hardts nadigelassenen „Beiträgen zur Kuiistgesdiidite" eiitiriert. Ferner Duniesnil, Histoire des plus celebres amateurs. Paris 1853 ff. 4 Bde. Ein Budi, das viel Material enthält.

  • ^) Den Reiditum venezianisdier Privatgalerien im XVI.— XVII. Jahrhundert über-

blidit man am besten in der dritten, von Martinioni besorgten Auflage der Venezia illustrata des Sansovino (1663). Neuerdings ist das Budi von C. A. Levi, Le collezioni Veneziane d'arte e d'antidiitä 2 Bde. Venedig 1900 ersdiienen. Gute Nachriditen über ältere Privatsammlungen Italiens enthalten audi die alten Guiden Cremonas von Aglio (1794) und Genuas von Ratti (1780); eine ausführlidie Beschreibung der großherzoglidien Kunstkammer in Florenz steht in Bocdiis Bellezze della cittä di Fiorenza (1591). Nodi wäre das eigentümlidie Büdilein des Poeten und Sammlers G. B. Marino: La galleria (Ven. 1667) zu erwähnen.

'^«) Yriarte, Sabbloneta, la petite Athenes. Gazette des bcaux-arts 1898, 1 ff.

  • ") Sie haben sdion im XVIIl. Jahrhundert einen Gesdn'ditsdireiber gefunden, in

Pelli, Saggio storico della R. Galleria di Firenze. Florenz 1779.

  • ') Eine Reihe interessanter Inventare der Chigi, Pamphili, Odescaldii, Colonna,

Barberini, Farnese, sämtlidi aus dem Laufe des XVIII. Jahrhunderts, findet man in den Documenti per servire alla storia de! musei d'Italia Bd. II IV abgedruckt. Zu erwähnen ist die „Nota delle Librerie e musei di Roma", die iti einigen Exemplaren eines alten römischen Zeremoniellführers (Girol. Lunadoro, Relatione della Corte di Roma, Roma, Falio 1664) als Anhang vorkommt.

  • ") De Cosnac, Les Richesses du Palais Mazarin. Paris 1884. Bonnaffe, Recherches

sur les CoUections des Richelieu. Par. 1883. Über den Besitz eines der bedeutendsten französischen Privatsammler des XVI. Jahrhunderts, des Kardinal Granvella in Besannen vgl. Castan, Monographie du Palais Granvella. Paris 1867.

30) Justi, Philipp II. als Kunstfreund. Zeitschrift für bildende Kunst 1881. Das Nadilaßinventar Philipp II. ist gedruckt: El arte en Espana vol. VII. (Madrid 1867). Ferner: D. Pedro de Madrazo, Viaje artistico de tres siglos por las Collecciones de cuadros de los Reyes de Espana, desde Isabel la Catölica hasta la formaciön del R. Museo del Prado de Madrid. Barcelona 1884.

"') Frimmel, Gemalte Galerien. Berlin 1896.

    • -) Das Inventar ihrer Kunstschätze bei Guiffrey, Notices et extraits des Manu-

scrits concernant l'histoire ou la litterature de la France, qui sont conservees dans les archives de Suede etc. Paris 1855. p. 120—193. Gronberg, La Galerie des tableaux de la reine Christine de Suede ayant appartenus auparavant ä l'empereur Rodolphe. Stockholm s. a.

^ä) Über die Sammler des XV.— XVIII. Jahrhunderts in den Niederlanden siehe das eben erschienene Budi von Floerke, Studien zur niederländischen Kunst- und Kultur- geschichte. München 1905.

»') Aus dessen Nadilaßinventar von 1547 hat Wornum, Some account of the life and work of Hans Holbein, London 1867 interessante Proben mitgeteilt.

^•) A catalogue and description of King Charles the firsts capital collection of Pictures, Limnings, Statues, Bronces, Medals aud other curiosities London. Bathoe 1757. Vieles über die englischen und französisdien Sammlungen jener Zeit, ihre Versteigerungen usw. ist in Le Blancs Tresor de la curiosite Paris 1857 zu finden, aus dessen Einleitung Graesse in seiner Zeltschrift für Museologie (Dresden 1879, Nr. 6—19) weitläufige Aus- züge mitgeteilt hat.

'"'•) Audi von dieser zu Antwerpen versteigerten Sammlung ist ein altes Verzeidi- nis bei Bathoe in Drudk ersdiienen: A catalogue of the curious collection of pictures of George Villiers duke of Buckingham, in which is included the valuable collection of Sir P. P. Rubens. London 1758. Im gleichen Jahre und beim gleichen Verleger sind audi die Verzeichnisse der Sammlungen König Jacob II. und der Königin Karoline ersdiienen. V. Schlosser, Kunst- und Wunderkammern. ^^


146 V. Sdilosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

"■) A briet account of some travels in Hungaria etc. London 1672; in deutscher Übertragung Nürnberg 1711 erschienen.

'"*) Viaggio pittoresco. Venedig 1671.

"") Le Finezze dei penelli italiani. Pavia 1674.

•00) An account of the statues, basreliefs, drawings and pictures in Italy, France etc. London 1722. Sehr charakteristisch für englisdie Verhältnisse ist das 1750 bei Rüssel in London verlegte Budi; Letters from a yonug painter abroad to his friends in Eng- land; Rom steht im Vordergrund. Die späteren italienischen Reiseführer, wie das breit' angelegte, aber unvollendete Werk von Bartoli: Notizie delle Pitture, Sculture ed Ärdiitetture die ornano le principali cittä d'Italia. Venedig 1776, 2 Bde., und das magere „Itinerario" des Wälsditirolers Chiusole (Vicenza 1782) kommen dagegen nicht in Betracht.

1»') Saunier, Les conquetes artistiques de la Revolution et de l'Empire. Paris 1902.

'0-) Vgl. bes. Graesses Zeitschrift für Museologie 1884, Nr. 22.

'"=) Es gilt das in erster Linie von den Ausführungen, die W. Bode in der „Woche" .(Berlin 1903, Heft 39) diesem Thema gewidmet hat.


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