Die Bäder von Lucca  

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"Die Bäder von Lucca" ("The Baths of Lucca") is a text by Heinrich Heine.

The text embroiled Heine in controversy. The aristocratic poet August von Platen had been annoyed by some epigrams by Immermann which Heine had included in the second volume of Reisebilder. He counter-attacked by writing a play, Die romantische Ödipus, which included anti-Semitic jibes about Heine. Heine was stung and responded by mocking Platen's homosexuality in Die Bäder von Lucca.

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Full text[1]

Die Bäder von Lucca


Idi bin wie Weib dem Manne — —

Graf August v. Platen^Haflermündc.

Will der Herr Graf ein Tänzdien wagen. So mag ers sagen, Idi spiel ihm auf.

Figaro.


Karl Immermann,

dem Diditer,

widmet diese Blätter, als

ein Zeichen freudigster Verehrung,

der Verfasser


Kapitel I

Als idi zu Mathilden ins Zimmer trat, hatte sie den letzten Knopf des grünen Reitkleides zugeknöpft, und wollte eben einen Hut mit weißen Federn aufsetzen, Sie warf ihn rasdi von sidi, sobald sie midi erblid^te, mit ihren wallend goldenen Lodden stürzte sie mir ent- gegen — »Doktor des Himmels und der Erde!« rief sie, und nadi alter Gewohnheit ergriff sie meine bei- den Ohrlappen und küßte midi mit der drolligsten Herzlidikeit.

»Wie gehts. Wahnsinnigster der Sterblidien! Wie glüd^lidi bin idi Sie wiederzusehen! Denn idi werde nirgends auf dieser weiten Welt einen verrüd^teren Mensdien finden. Narren und Dummköpfe gibt es genug, und man erzeigt ihnen oft die Ehre, sie für verrüd^t zu halten,- aber die wahre Verrüd^theit ist so selten wie die wahre Weisheit, sie ist vielleidit gar nidits anderes als Weisheit, die sidi geärgert hat, daß sie alles weiß, alle Sdiändlidikeiten dieser Welt, und die deshalb den weisen Entsdiluß gefaßt hat, ver* rüd^t zu werden. Die Orientalen sind ein gesdieutes Volk, sie verehren einen Verrüd^ten wie einen Prophe- ten, wir aber halten jeden Propheten für verrüd^t,« 

»Aber, Mylady, warum haben Sie mir nidit ge- sdirieben?« 

»Gewiß, Doktor, idi sdirieb Ihnen einen langen Brief, und bemerkte auf der Adresse: abzugeben in Neu- Bedlam. Da Sie aber, gegen alle Vermutung, nidit dort waren, so sdiid^te man den Brief nadi St, Luze, und da Sie audi hier nidit waren, so ging er weiter nadi einer ähnlidien Anstalt, und so madite er die Ronde durdi alle Tollhäuser Englands, Sdiottlands und Irlands, bis man ihn mir zurüdcsdiid^te mit der Be-


320 Reisebilder III

merkung, daß der Gentleman, den die Adresse bezeidine, nodi nidit eingefangen sei. Und in der Tat, wie haben Sie es angefangen, daß Sie immer nodi auf freien Füßen sind?« 

»Habs pfiffig angefangen, Mylady. Überall, wohin idi kam, wüßt idi midi um die Tollhäuser herumzu- sdileidien, und idi denke, es wird mir audi in Italien gelingen.« 

»O, Freund, hier sind Sie ganz sidier,- denn erstens ist gar kein Tollhaus in der Nähe, und zweitens haben wir hier die Oberhand.« 

»Wir? Mylady! Sie zählen sidi also zu den Unseren? Erlauben Sie, daß idi Ihnen den Bruderkuß auf die Stirne drüd^e.« 

»Adi! idi meine wir Badegäste, worunter idi wahr- lidi nodi die Vernünftigste bin ^ Und nun madien Sie sidi leidit einen Begriff von der Verrüd^esten, nämlidi von Julie Maxfield, die beständig behauptet, grüne Augen bedeuten den Frühling der Seele,- dann haben wir nodi zwei junge Sdiönheiten --« 

»Gewiß englisdie Sdiönheiten, Mylady --« 

»Doktor, was bedeutet dieser spöttisdie Ton? Die gelbfettigen Makkaronigesiditer in Italien müssen Ihnen so gut sdimed^en, daß Sie keinen Sinn mehr haben für britisdie —«.

»Plumpuddings mit Rosinenaugen, Roastbeefbusen festoniert mit weißen Meerrettig- Streifen, stolze Pa^ steten — « 

»Es gab eine Zeit, Doktor, wo Sie jedesmal in Verzüd^ung gerieten, wenn Sie eine sdiöne Engländerin sahen — « 

»Ja, das war damals! Idi bin nodi immer nidit ab* geneigt Ihren Landsmänninnen zu huldigen,- sie sind sdiön wie Sonnen, aber Sonnen von Eis, sie sind weiß


Italien. Die Bäder von Lucca 321

wie Marmor, aber audi marmorkalt — auf ihren kalten Herzen erfrieren die armen —'« 

»Oho! ich kenne einen — der dort nidit erfroren ist, und frisdi und gesund übers Meer gesprungen, und es war ein großer, deutsdier, impertinenter —« 

»Er hat sidi wenigstens an den britisdi frostigen Herzen so stark erkältet, daß er nodi jetzt davon den Sdinupfen hat.« 

Mylady sdiien pikiert über diese Antwort, sie ergriff die Reitgerte, die zwisdien den Blättern eines Romans, als Lesezeichen, lag, sdiwang sie um die Ohren ihres weißen Jagdhundes, der leise knurrte, hob hastig ihren Hut von der Erde, setzte ihn keck aufs Lockenhaupt, sah ein paarmal wohlgefällig in den Spiegel, und sprach stolz: »Idi bin noch schön!« Aber plötzlich, wie von einem dunkeln Schmerzgefühl durciisdiauert, blieb sie sinnend stehen, streifte langsam ihren weißen Handschuh von der Hand, reichte sie mir, und meine Gedanken pfeiU schnell ertappend, sprach sie : »Nidit wahr, diese Hand ist nicht mehr so sdiön, wie in Ramsgate? Mathilde hat unterdessen viel gelitten!« 

Lieber Leser, man kann es den Glocken selten an^ sehen, wo sie einen Riß haben, und nur an ihrem Tone merkt man ihn. Hättest du nun den Klang der Stimme gehört, womit obige Worte gesprociien wurden, so wüßtest du gleich, Myladys Herz ist eine Glocke vom besten Metall, aber ein verborgener Riß dämpft wun^ derbar ihre heitersten Töne, und umsdileiert sie gleich^ sam mit heimlicher Trauer. Doch ich liebe solciie Glocken, sie finden immer ein gutes Echo in meiner eignen Brust,- und ich küßte Myladys Hand fast inniger als ehemals, obgleidi sie minder vollblühend war und einige Adern, etwas allzublau hervortretend, mir ebenfalls zu sagen schienen: Mathilde hat unterdessen viel gelitten.

IV, 21


322 Reisebilder III

Ihr Auge sah mich an wie ein wehmütig einsamer Stern am herbstlidien Himmel, und weich und innig spradi sie: »Sie sdieinen midi wenig mehr zu lieben, Doktor! Denn nur mitleidig fiel eben Ihre Träne auf meine Hand, fast wie ein Almosen.« 

»Wer heißt Sie die stumme Spradie meiner Tränen so dürftig ausdeuten? Idi wette, der weiße Jagdhund, der sidi jetzt an Sie sdimiegt, versteht midi besser,- er sdiaut midi an, und dann wieder Sie, und sdieint sidi zu wundern, daß die Mensdien, die stolzen Herren der Sdiöpfung, innerlidi so tief elend sind. Adi, Mylady, nur der verwandte Sdimerz entlockt uns die Träne, und jeder weint eigentlidi für sidi selbst.« 

»Genug, genug, Doktor. Es ist wenigstens gut, daß wir Zeitgenossen sind und in demselben Erdwinkel uns gefunden mit unseren närrisdien Tränen. Adi des Unglücks! wenn Sie vielleidit zweihundert Jahre früher gelebt hätten, wie es mir mit meinem Freunde Midiael de Cervantes Saavedra begegnet, oder gar wenn Sie hundert Jahre später auf die Welt gekommen wären als idi, wie ein anderer intimer Freund von mir, dessen Namen ich nidit einmal weiß, eben weil er ihn erst bei seiner Geburt, Anno 1900, erhalten wird! Aber, erzählen Sie dodi, wie haben Sie gelebt, seit wir uns nidit gesehen?« 

»Idi trieb mein gewöhnlidies Geschäft, Mylady,- ich rollte wieder den großen Stein. Wenn ich ihn bis zur Hälfte des Berges gebradit, dann rollte er plötzlich hinunter, und idi mußte wieder suchen ihn hinaufzu^ rollen — und dieses Bergauf- und Bergabrollen wird sich so lange wiederholen, bis idi selbst unter dem großen Steine liegen bleibe, und Meister Steinmetz mit großen Budistaben darauf schreibt: Hier ruht in Gott —« 


Italien, Die Bäder von Lucca 323

»Bei Leibe, Doktor, idi lasse Ihnen nodi keine Ruhe — Sein Sie nur nicht melancholisch! Lachen Sie, oder idi — « 

»Nein, kitzeln Sie nicht ,- ich will lieber von selbst lachen . « 

»So recht. Sie gefallen mir noch eben so gut wie in Ramsgate, wo wir uns zuerst nahe kamen -—« 

»Und endlidi noch näher als nah. Ja, icii will lustig sein. Es ist gut, daß wir uns wiedergefunden, und der große deutsche — wird sich wieder ein Vergnügen daraus machen, sein Leben bei Ihnen zu wagen,« 

Myladys Augen lachten wie Sonnensdiein nacii leisem Regenschauer, und ihre gute Laune bradi wieder leuch^ tend hervor, als John hereintrat, und mit dem steifsten Lakaienpathos Seine Exzellenz den Markese Christo- phoro di Gumpelino anmeldete.

»Er sei willkommen! Und Sie, Doktor, werden einen Pair unseres Narrenreicfis kennen lernen. Stoßen Sie sich nicht an sein Äußeres, besonders nicht an seine Nase, Der Mann besitzt vortrefflidie Eigensciiaften, z. B. viel Geld, gesunden Verstand, und die Sucht alle Narrheiten der Zeit in sich aufzunehmen,- dazu ist er in meine grünäugige Freundin Julie Maxfield verliebt und nennt sie seine Julia und sich ihren Romeo, und deklamiert und seufzt ^ und Lord Maxfield, der Schwager, dem die treue Julia voti ihrem Manne an^ vertraut worden, ist ein Argus — « 

Sdion wollte idi bemerken, daß Argus eine Kuh be^ wachte, als die Türe sich weit öffnete und, zu meinem höchsten Erstaunen, mein alter Freund, der Bankier Christian Gumpel, mit seinem wohlhabenden Lächeln und gottgefälligem Baudhe, hereinwatschelte. Nacbdem seine glänzenden breiten Lippen sich an Myladys Hand genugsam gesdheuert und üblicfie Gesundheitsfragen hervorgebrockt hatten, erkannte er auch midi — und in die Arme sanken sidi die Freunde.


324 Reisebilder III

Kapitel II

Mathildens Warnung, daß idi midi an die Nase des Mannes nidit stoßen solle, war hinlänglidi gegründet, und wenig fehlte, so hätte er mir wirklidi ein Auge damit ausgestodien, Idi will nidits Sdilimmes von dieser Nase sagen/ im Gegenteil, sie war von der edelsten Form, und sie eben bereditigte meinen Freund, sidi wenigstens einen Markese-Titel beizulegen. Man konnte es ihm nämlidi an der Nase ansehen, daß er von gutem Adel war, daß er von einer uralten Weltfamilie ab^ stammte, womit sidi sogar einst der liebe Gott, ohne Furdit vor Mesallianz, versdiwägert hat. Seitdem ist diese Familie freiÜdi etwas heruntergekommen, so daß sie seit Karl dem Großen, meistens durdi den Handel mit alten Hosen und hamburger Lotteriezet^ teln, ihre Subsistenz erwerben mußte, ohne jedodi im mindesten von ihrem Ahnenstolze abzulassen oder je- mals die Hoffnung aufzugeben, einst wieder ihre alten Güter, oder wenigstens hinreißende Emigranten-Ent- sdiädigung zu erhalten, wenn ihr alter legitimer Sou^ verän sein Restaurationsverspredien erfüllt, ein Ver- spredien, womit er sie sdion zwei Jahrtausende an der Nase herumgeführt. Sind vielleidit ihre Nasen eben durdi dieses lange an der Nase Herumgeführtwerden so lang geworden? Oder sind diese langen Nasen eine Art Uniform, woran der Gottkönig Jehovah seine alten Leibgardisten erkennt, selbst wenn sie desertiert sind? Der Markese Gumpelino war ein soldier Deserteur, aber er trug nodi immer seine Uniform, und sie war sehr brillant, besäet mit Kreuzdien und Sterndien von Rubinen, einem roten Adlerorden in Miniatur, und an* deren Dekorationen.

»Sehen Sie«, sagte Mylady, »das ist meine Lieb*


Italien. Die Bäder von Lucca 325

iingsnase, und idi kenne keine schönere Blume auf die^ ser Erde.« 

»Diese Blume«, sdimunzlädielte Gumpelino, »kann idi Ihnen nidit an den sdiönen Busen legen, ohne daß idi mein blühendes Antlitz hinzulege, und diese Beilage würde Sie vielleidit in der heutigen Hitze etwas genie^ ren. Aber idi bringe Ihnen eine nidit minder köstiidie Blume, die hier selten ist --« 

Bei diesen Worten öffnete der Markese die fließe papierne Tüte, die er mitgebradit, und mit langsamer Sorgfalt zog er daraus hervor eine wundersdiöne Tulpe,

Kaum erblid^te Mylady diese Blume, so sdirie sie aus vollem Halse: »Morden! morden! wollen Sie midi morden? Fort, fort mit dem sdired^lidien Anblid^!«  Dabei gebärdete sie sidi, als wolle man sie umbringen, hielt sidi die Hände vor die Augen, rannte unsinnig im Zimmer umher, verwünsdite Gumpelinos Nase und Tulpe, klingelte, stampfte den Boden, sdilug den Hund mit der Reitgerte, daß er laut aufbellte, und als John hereintrat, rief sie, wie Kean als König Ridiard : Ein Pferd! ein Pferd! Ein Königtum für ein Pferd! und stürmte, wie ein Wirbelwind, von dannen.

»Eine kuriose Frau!« spradi Gumpelino, vor Er^ staunen bewegungslos und nodi immer die Tulpe in der Hand haltend, so daß er einem jener Götzenbilder glidi, die, mit Lotosblumen in den Händen, auf altin^ disdien Denkmälern zu sdiauen sind, Idi aber kannte die Dame und ihre Idiosynkrasie weit besser, midi er^ götzte dieses Sdiauspiel über alle Maßen, idi öffnete das Fenster und rief: »Mylady, was soll idi von Ihnen denken? Ist das Vernunft, Sitte — besonders ist das Liebe?« 


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Da ladite herauf die wilde Antwort:

Wenn idi zu Pferde bin, so will idi sdiwören: Idi liebe Didi unendlidi.

Kapitel III

»Eine kuriose Frau!« wiederholte Gumpelino, als wir uns auf den Weg maditen, seine beiden Freun^ dinnen, Signora Lätizia und Signora Fransdieska, deren Bekanntsdiaft er mir versdiaffen wollte, zu besudien. Da die Wohnung dieser Damen auf einer etwas entfern^ ten Anhöhe lag, so erkannte idi um so dankbarer die Güte meines wohlbeleibten Freundes, der das Bergstei= gen etwas besdiwerlidi fand, und auf jedem Hügel atemsdiöpfend stehen blieb, und »O Jesu!« seufzte.

Die Wohnungen in den Bädern von Lucca nämlidi sind entweder unten in einem Dorfe, das von hohen Bergen umsdilossen ist, oder sie liegen auf einem dieser Berge selbst, unfern der Hauptquelle, wo eine pittoreske Häusergruppe in das reizende Tal hinabsdiaut. Einige liegen aber audi einzeln zerstreut an den Bergesab- hängen, und man muß mühsam hinauf klimmen durdi Weinreben, Myrtengesträudi, Geißblatt, Lorbeerbüsdie, Oleander, Geranikum und andre vornehme Blumen und Pflanzen, ein wildes Paradies, Idi habe nie ein reizenderes Tal gesehen, besonders wenn man von der Terrasse des oberen Bades, wo die ernstgrünen Zypressen stehen, ins Dorf hinabsdiaut. Man sieht dort die Brüdce, die über ein Flüßdien führt, weldies Lima heißt, und das Dorf in zwei Teile durdisdineidend, an beiden Enden in mäßigen Wasserfällen über Felsen^ stüde dahinstürzt, und ein Geräusdi hervorbringt, als wolle es die angenehmsten Dinge sagen und könne vor dem allseitig plaudernden Edio nidit zu Worten kommen.


Italien, Die Bäder von Lucca 327

Der Hauptzauber dieses Tals liegt aber gewiß in dem Umstand, daß es nidit zu groß ist und nidit zu klein, daß die Seele des Besdiauers nidit gewaltsam erweitert wird, vielmehr sidi ebenmäßig mit dem herr^ lidien Anblid^ füllt, daß die Häupter der Berge selbst, wie die Apenninen überall, nidit abenteuerlidi gotisdi erhaben mißgestaltet sind, gleidi den Bergkarikaturen, die wir eben sowohl wie die Mensdienkarikaturen in germanisdien Ländern finden: sondern, daß ihre edeU gerundeten, heiter grünen Formen fast eine Kunst^ Zivilisation ausspredien, und gar melodisdi mit dem blaßblauen Himmel zusammenklingen.

»O Jesu!« ädizte Gumpelino, als wir, mühsamen Steigens und von der Morgensonne sdion etwas stark gewärmt, oberwähnte Zypressenhöhe erreiditen, und, ins Dorf hinabsdiauend, unsere englisdie Freundin, hodi zu Roß, wie ein romantisdies Märdienbild, über die Brüd^e jagen, und eben so traumsdinell wieder ver- sdiwinden sahen, »O Jesu! weldi eine kuriose Frau«, wiederholte einigemal der Markese. »In meinem ge- meinen Leben ist mir nodi keine soldie Frau vorge^ kommen. Nur in Komödien findet man dergleidien, und idi glaube, z. B. die Holzbedier würde die Rolle gut spielen. Sie hat etwas von einer Nixe. Was denken Sie?« 

»Idi denke, Sie haben Redit, Gumpelino. Als idi mit ihr von London nadi Rotterdam fuhr, sagte der Sdiiffs- kapitän, sie glidie einer mit Pfeffer bestreuten Rose. Zum Dank, für diese pikante Vergleidiung, sdiüttete sie eine ganze Pfeif erbüdise auf seinen Kopf aus, als sie ihn einmal in der Kajüte eingesdilummert fand, und man konnte sidi dem Manne nidit mehr nähern, ohne zu niesen.« 

»Eine kuriose Frau!« spradi wieder Gumpelino.


328 Reisebilder III

»So zart wie weiße Seide und eben so stark, und sitzt zu Pferde eben so gut wie idi. Wenn sie nur nidit ihre Gesundheit zu Grunde reitet. Sahen Sie nidit eben den langen, magern Engländer, der auf seinem magern Gaul hinter ihr herjagte wie die galoppierende Sdiwind- sudit? Das Volk reitet zu leidensdiaftlidi, gibt alles Geld in der Welt für Pferde aus. Lady Maxfields Sdiimmel kostet dreihundert goldne, lebendige Louis* dore — adi! und die Louisdore stehen so hodi und steigen nodi täglidi.« 

»Ja, die Louisdor werden nodi so hodi steigen, daß ein armer Gelehrter, wie unser einer, sie gar nidit mehr wird erreidien können.« 

»Sie haben keinen Begriff davon, Herr Doktor, wie viel Geld idi ausgeben muß, und dabei behelfe idi midi mit einem einzigen Bedienten, und nur wenn idi in Rom bin, halte idi mir einen Kapellan für meine Hauskapeile. Sehen Sie, da kommt mein Hyazinth.« 

Die kleine Gestalt, die in diesem Augenblidi bei der Windung eines Hügels zum Vorsdiein kam, hätte viel- mehr den Namen einer Feuerlilje verdient. Es war ein sdilotternd weiter Sdiarladirod^, überladen mit Goldtressen, die im Sonnenglanze strahlten, und aus dieser roten Pradit sdiwitzte ein Köpfdien hervor, das mir sehr wohlbekannt zunid^te. Und wirklidi, als idi das bläßlidi besorglidie Gesiditdien und die gesdiäftig zwinkenden Äuglein näher betraditete, erkannte idi je* manden, den idi eher auf dem Berg Sinai als auf den Apenninen erwartet hätte, und das war kein anderer als Herr Hirsdi, Sdiutzbürger in Hamburg, ein Mann, der nidit bloß immer ein sehr ehrlidier Lotteriekollek* teur gewesen, sondern sidi audi auf Hühneraugen und Juwelen versteht, dergestalt, daß er erstere von letzte* ren nidit bloß zu untersdieiden weiß, sondern audi die


Italien, Die Bäder von Liicca 329

Hühneraugen ganz geschickt auszusdineiden und die Juwelen ganz genau zu taxieren weiß.

»Idi bin guter Hoffnung«, spradi er, als er mir näher kam, »daß Sie midi nodi kennen, obgleidi idi nidit mehr Hirsdi heiße, Idi heiße jetzt Hyazinth und bin der Kammerdiener des Herrn Gumpel.« 

»Hyazinth!« rief dieser in staunender Aufwallung über die Indiskretion des Dieners,

»Sein Sie nur ruhig, Herr Gumpel, oder Herr Gum^ pelino, oder Herr Markese, oder Eure Excellenza, wir brauchen uns gar nidit vor diesem Herrn zu ge- nieren, der kennt midi, hat mandies Los bei mir gespielt, und idi mödit sogar drauf sdiwören, er ist mir von der letzten Renovierung nodi sieben Mark neun SdiiU ling schuldig — Idi freue midi wirklich, Herr Doktor, Sie hier wieder zu sehen, Haben Sie hier ebenfalls Vergnügungs^Gesdiäfte? Was sollte man sonst hier tun in dieser Hitze, und wo man noch dazu bergauf und bergab steigen muß, Idi bin hier des Abends so müde, als wäre ich zwanzig mal vom Altonaer Tore nadi dem Steintor gelaufen, ohne was dabei verdient zu haben,« 

,»0 Jesu!« rief der Markese, »schweig, sdiweigl Idi sdiaffe mir einen andern Bedienten an,« 

»Warum sdiweigen?« versetzte Hirsdi Hyazinthos, »Ist es mir dodi lieb, wenn idi mal wieder gutes Deutsch spredien kann mit einem Gesichte, das idi sdion ein^ mal in Hamburg gesehen, und denke idi an Hamburg -- « 

Hier, bei der Erinnerung an sein kleines Stiefvater^ ländchen, wurden des Mannes Äuglein flimmernd feucht, und seufzend spradi er: »Was ist der Mensdi! Man geht vergnügt vor dem Altonaer Tore, auf dem Ham^ burger Berg, spazieren, und besieht dort die Merkwür^ digkeiten, die Löwen, die Gevögel, die Papagoyim, die


330 Rcisebilder III

AfFen, die ausgczeidineten Mensdien, und man läßt sidi Karussell fahren oder elektrisieren, und man denkt, was würde idi erst für Vergnügen haben an einem Orte, der nodi zweihundert Meilen von Hamburg weiter entfernt ist, in dem Lande wo die Zitronen und Orangen wadisen, in Italien! Was ist der Mensdi! Ist er vor dem Altonaer Tore, so möchte er gern in Ita^ lien sein, und ist er in Italien, so mödite er wieder vor dem Altonaer Tore sein ! Adi stände idi dort wieder und sähe wieder den Midiaelisturm, und oben daran die Uhr mit den großen goldnen Zahlen auf dem Zif* ferblatt, die großen goldnen Zahlen, die idi so oft des Nadimittags betraditete, wenn sie so freundlidi in der Sonne glänzten — idi hätte sie oft küssen mögen. Adi, idi bin jetzt in Italien, wo die Zitronen und Orangen wadisen/ wenn idi aber die Zitronen und Orangen wadisen sehe, so denk idi an den Steinweg zu Ham^ bürg, wo sie, ganzer Karren voll, gemädilidi aufge^ stapelt liegen, und wo man sie ruhig genießen kann, ohne daß man nötig hat, so viele Gefahr=Berge zu besteigen und so viel Hitzwärme auszustehen. So wahr mir Gott helfe, Herr Markese, wenn idi es nidit der Ehre wegen getan hätte und wegen der Bildung, so wäre idi Ihnen nidit hierher gefolgt. Aber das muß man Ihnen nadisagen, man hat Ehre bei Ihnen und bildet sidi.« 

»Hyazinth!« spradi jetzt Gumpelino, der durdi diese Sdimeidielei etwas besänftigt worden, »Hyazinth, geh jetzt zu — « 

»Idi weiß sdion —« 

»Du weißt nidit, sage idi dir, Hyazinth --« 

»Idi sag Ihnen, Herr Gumpel, idi weiß. Ew. Exzel* lenz sdiid^en midi jetzt zu der Lady Maxfield — Mir braudit man gar nidits zu sagen. Idi weiß Ihre Ge*


Italien. Die Bäder von Lucca 331

danken, die Sie nodi gar nidit gedadit, und vielleidit Ihr Lebtag gar nidit denken werden. Einen Bedienten wie midi, bekommen Sie nidit so leidit — und idi tu es der Ehre wegen, und der Bildung wegen, und wirk* lidi, man hat Ehre bei Ihnen und bildet sidi — « Bei diesem Worte putzte er sidi die Nase mit einem sehr weißen Tasdientudie.

»Hyazinth«, spradi der Markese, »du gehst jetzt zu der Lady Julie Maxfield, zu meiner Julia, und bringst ihr diese Tulpe — nimm sie in Adit, denn sie kostet fünf Paoli -— und sagst ihr — « 

»Idi weiß sdion ^« 

»Du weißt nidits. Sag ihr: die Tulpe ist unter den Blumen — « 

»Idi weiß sdion, Sie wollen ihr etwas durdi die Blume sagen, Idi habe für so mandies Lotterielos in meiner Kollekte selbst eine Devise gemadit --« 

»Idi sage dir, Hyazinth, idi will keine Devise von dir. Bringe diese Blume an Lady Maxfield, und sage ihr : Die Tulpe ist unter den Blumen Was unter den Käsen der Stracdiino,- Dodi mehr als Blumen und Käse Verehrt Didi Gumpelino!« 

»So wahr mir Gott alles Guts gebe, das ist gut!«  rief Hyazinth. »Winken Sie mir nidit, Herr Markese, was Sie wissen, das weiß idi, und was idi weiß, das wissen Sie, Und Sie, Herr Doktor, leben Sie wohl! Um die Kleinigkeit mahne idi Sie nidit.« -^ Bei diesen Worten stieg er den Hügel wieder hinab, und mur* melte beständig : »Gumpelino Stracdiino — Stracdiino Gumpelino« —-

»Es ist ein treuer Mensdi« -- sagte der Markese — »sonst hätte idi ihn längst abgesdiafPt, wegen seines Mangels an Etikette. Vor Ihnen hat das nidits zu be-


332 Reisebilder III

deuten. Sie verstehen midi. Wie gefällt Ihnen seine Livree? Es sind nodi für vierzig Taler mehr Tressen dran als an der Livree von Rothsdiilds Bedienten. Idi habe innerlidi mein Vergnügen, wie sidi der Mensdi bei mir perfektioniert. Dann und wann gebe idi ihm selbst Unterridit in der Bildung, Idi sage ihm oft: Was ist Geld? Geld ist rund und rollt weg, aber Bil- dung bleibt. Ja, Herr Doktor, wenn idi, was Gott ver- hüte, mein Geld verliere, so bin idi dodi nodi immer ein großer Kunstkenner, ein Kenner von Malerei, Musik und Poesie, Sie sollen mir die Augen zubinden und midi in der Galerie zu Florenz herumführen, und bei jedem Gemälde, vor weldies Sie midi hinstellen, will idi Ihnen den Maler nennen, der es gemalt hat, oder wenigstens dieSdiule, wozu dieser Maler gehört. Musik? Verstopfen Sie mir die Ohren und idi höre dodi jede falsdie Note, Poesie? Idi kenne alle Sdiauspielerinnen Deutsdilands und die Diditer weiß idi auswen^g. Und gar Natur! Idi bin zweihundert Meilen gei^ieist, Tag und Nadit durdi, um in Sdiottland einen einzigen Berg zu sehen. Italien aber geht über alles. Wie ge^ fällt Ihnen hier diese Naturgegend? Weldie Sdiöpfung! Sehen Sie mal die Bäume, die Berge, den Himmel, da unten das Wasser ^ ist nidit alles wie gemalt? Haben Sie es je im Theater sdiöner gesehen? Man wird so zu sagen ein Diditer! Verse kommen einem in den Sinn und man weiß nidit woher: —

Sdiweigend, in der Abenddämmrung Sdileier . Ruht die Flur, das Lied der Haine stirbt,- Nur daß hier, im alternden Gemäuer Melandiolisdi nodi ein Heimdien zirpt.«  Diese erhabenen Worte deklamierte der Markese mit übersdiwellender Rührung, indem er, wie verklärt, in das ladiende, morgenhelle Tal hinabsdiaute.


Italien. Die Bäder von Lucca 333

Kapitel IV

Als idi einst an einem sdiönen Frühlingstage unter den Berliner Linden spazieren ging, wandelten vor mir zwei Frauenzimmer, die lange schwiegen, bis endlidi die eine sdimaditend aufseufzte; »Adi, die jrine Beeme!« Worauf die andre, ein junges Ding, mit naiver Verwundrung fragte: »Mutter, was gehn Ihnen die jrine Beeme an?« 

Idi kann nidit umhin zu bemerken, daß beide Per- sonen zwar nidit in Seide gekleidet gingen, jedodi keineswegs zum Pöbel gehörten, wie es denn überhaupt in Berlin keinen Pöbel gibt, außer etwa in den hödisten Ständen. Was aber jene naive Frage selbst betrifft, so kommt sie mir nie aus dem Gedäditnisse. Überall, wo idi unwahre Naturempfmdung und dergleidien grüne Lügen ertappe, ladit sie mir ergötzlidi durdi den Sinn. Audi bei der Deklamation des Markese wurde sie in mir laut, und den Spott auf meinen Lippen er^ ratend, rief er verdrießlidi : »Stören Sie midi nidit ^ Sie haben keinen Sinn für reine Natürlidikeit — Sie sind ein zerrissener Mensdi, ein zerrissenes Gemüt, so zu sagen, ein Byron.« 

Lieber Leser, gehörst Du vielleidit zu jenen frommen Vögeln, die da einstimmen in das Lied von byronisdier Zerrissenheit, das mir sdion seit zehn Jahren, in allen Weisen, vorgepfiffen und vorgezwitsdiert worden, und sogar im Sdiädel des Markese, wie Du oben gehört hast, sein Edio gefunden? Adi, teurer Leser, wenn Du über jene Zerrissenheit klagen willst, so beklage lieber, daß die Welt selbst mitten entzwei gerissen ist. Denn da das Herz des Diditers der Mittelpunkt der Welt ist, 30 mußte es wohl in jetziger Zeit jämmerlidi zerrissen werden. Wer von seinem Herzen rühmt, es


334 Reisebilder III

sei ganz geblieben, der gesteht nur, daß er ein prosai* sdies weitabgelegenes Winkelherz hat, Durdi das meini^ ge ging aber der große Weltriß, und eben deswegen weiß idi, daß die großen Götter midi vor vielen ande- ren hodi begnadigt und des Diditermärtyrtums würdig geaditet haben,

Einst war die Welt ganz, im Altertum und im Mit^ telalter, trotz der äußeren Kämpfe gabs dodi nodi immer eine Welteinheit, und es gab ganze Diditer, Wir wollen diese Diditer ehren und uns an ihnen er^ freuen,- aber jede Nadiahmung ihrer Ganzheit ist eine Lüge, eine Lüge, die jedes gesunde Auge durdisdiaut, und die dem Hohne dann nidit entgeht. Jüngst, mit vieler Mühe, versdiaffte idi mir in Berlin die Gedidite eines jener Ganzheitdiditer, der über meine byronisdie Zerrissenheit so sehr geklagt, und bei den erlogenen Grünlidikeiten, den zarten Naturgefühlen, die mir da, wie frisdies Heu, entgegendufteten, wäre mein armes Herz, das sdion hinlänglidi zerrissen ist, fast audi vor Ladien geborsten, und unwillkürlidi rief idi: »Mein lieber Herr Intendanturrat Wilhelm Neumann, was gehn Ihnen die jrine Beeme an?« 

»Sie sind ein zerrissener Mensdi, so zu sagen ein Byron« --- wiederholte der Markese, sah nodi immer verklärt hinab ins Tal, sdinalzte zuweilen mit der Zunge am Gaumen vor andäditiger Bewunderung — »Gott, Gott! Alles wie gemalt!« 

Armer Byron! soldies ruhige Genießen war Dir versagt! War Dein Herz so verdorben, daß Du die Natur nur sehen, ja sogar sdiildern, aber nidit von ihr beseligt werden konntest? Oder hat Bishy Shelley Redit, wenn er sagt: Du habest die Natur in ihrer keusdien Nacktheit belausdit und wurdest deshalb, wie Aktäon, von ihren Hunden zerrissen!


Italien. Die Bäder von Lucca 335

Genug davon/ wir kommen zu einem besseren Ge* genstande, nämlidi zu Signora Lätizias und Franscfies- kas Wohnung, einem kleinen weißen Gebäude, das gleidisam nodi im Negligee zu sein scheint, und vorn zwei große runde Fenster hat, vor weldien die hodi^ aufgezogenen Weinstöd^e ihre langen Ranken herab^ hängen lassen, daß es aussieht als fielen grüne Haare in lod^iger Fülle über die Augen des Hauses, An der Türe sdion klingt es uns bunt entgegen, wirbelnde Triller, Gitarrentöne und Geläditer.

Kapitel V

Signora Lätizia, eine fünfzigjährige junge Rose, lag im Bette und trillerte und sdiwatzte mit ihren beiden Galans, wovon der eine auf einem niedrigen Sdiemel vor ihr saß und der andre, in einem großen Sessel lehnend, die Gitarre spielte. Im Nebenzimmer flattere ten dann und wann ebenfalls die Fetzen eines süßen Liedes oder eines nodi wundersüßeren Ladiens. Mit einer gewissen wohlfeilen Ironie, die den Markese zu^ weilen anwandelte, präsentierte er midi der Signora und den beiden Herren, und bemerkte dabei: idi sei derselbe Johann Heinridi Heine, Doktor Juris, der jetzt in der deutsdien juristisdien Literatur berühmt sei. Zum Unglüd^ war der eine Herr ein Professor aus Bologna, und zwar ein Jurist, obgleidi sein wohlgewölbter, run^ der Baudi ihn eher zu einer Anstellung bei der sphä^ risdien Trigonometrie zu qualifizieren sdiien. Einiger^ maßen in Verlegenheit gesetzt, bemerkte idi, daß idi nidit unter meinem eigenen Namen sdiriebe, sondern unter dem Namen Jarke,- und das sagte idi aus Be^ sdieidenheit, indem mir zufällig einer der wehmütigsten Insektennamen unserer juristisdien Literatur ins Ge^


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dächtnis kam. Der Bologneser beklagte zwar, diesen berühmten Namen nodi nidit gehört zu haben — weU dies audi bei Dir, lieber Leser, der Fall sein wird ^, dodi zweifelte er nidit, daß er bald seinen Glanz über die ganze Erde verbreiten werde. Dabei lehnte er sidi zurüdi in seinem Sessel, griff einige Akkorde auf der Gitarre und sang aus »Axur«:

O mäditiger Brahma! Adi laß Dir das Lallen Der Unsdiuld gefallen. Das Lallen, das Lallen -— Wie ein lieblidi ned^endes NaditigalUEdio sdimet^ terte im Nebenzimmer eine ähnlidie Melodie, Signora Lätizia aber trillerte dazwisdien im feinsten Diskant: Dir allein glüht diese Wange, Dir nur klopfen diese Pulse,- Voll von süßem Liebesdrange Hebt mein Herz sidi dir allein! Und mit der fettigsten Prosastimme setzte sie hinzu : »Bartolo, gib mir den Spucknapf,« 

Von seinem niedern Bänkdien erhob sidi jetzt Bar= tolo mit seinen dürren hölzernen Beinen, und präsen^ tierte ehrerbietig einen etwas unreinlidien Napf von blauem Porzellan.

Dieser zweite Galan, wie mir Gumpelino auf deutsdi zuflüsterte, war ein sehr berühmter Diditer, dessen Lieder, obgleidi er sie sdion vor zwanzig Jahren ge^ diditet, nodi jetzt in ganz Italien klingen, und mit der süßen Liebesglut, die in ihnen flammt. Alt und Jung berausdien ,• ^ derweilen er selbst jetzt nur ein armer, veralteter Mensdi ist, mit blassen Augen im welken Gesidite, dünnen weißen Härdien auf dem sdiwanken- den Kopfe, und kalter Armut im kümmerlidien Herzen. So ein armer, alter Diditer mit seiner kahlen Hölzern^


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Italien. Die Bäder von Lucca 337

heit, gleicht den Weinstöcken, die wir im Winter auf den kalten Bergen stehen sehen, dürr und laublos, im Winde zitternd und von Sdinee beded^t, während der süße Most, der ihnen einst entquoll, in den fernsten Landen gar mandies Zedierherz erwärmt und zu ihrem Lohe berausdit. Wer weiß, wenn einst die Kelter der Gedanken, die Druckerpresse, auch mich ausgepreßt hat, und nur noch im Verlagskeiler von Hoffmann und Campe der ahe, abgezapfte Geist zu finden ist, sitze ich selbst vielleicht eben so dünn und kümmerlich, wie der arme Bartolo, auf dem Schemel neben dem Bette einer alten Innamorata, und reiche ihr auf Verlangen den Napf des Spuckes,

Signora Lätizia entschuldigte sich bei mir, daß sie zu Bette liege und zwar bäuchlings, indem ein Geschwür an der Legitimität, das sie sich durch vieles Feigenessen zugezogen, sie jetzt hindere, wie es einer ordentlichen Frau zieme, auf dem Rücken zu liegen. Sie lag wirk^ lieh ungefähr wie eine Sphinx,- ihr hochfrisiertes Haupt stemmte sie auf ihre beiden Arme, und zwischen diesen wogte ihr Busen wie ein rotes Meer.

»Sie sind ein Deutsdier?« frug sie mich.

»Ich bin zu ehrlich, es zu leugnen, Signora!« ent- gegnete meine Wenigkeit.

»Ach, ehrlich genug sind die Deutschen!« — seufzte sie — »aber was hilft es, daß die Leute ehrlich sind, die uns berauben! sie richten Italien zu Grunde. Meine besten Freunde sitzen eingekerkert in Milano,- nur Sklaverei — « 

»Nein, nein,« rief der Markese, »beklagen Sie sich nicht über die Deutschen, wir sind überwundene Über- winder, besiegte Sieger, sobald wir nach Italien kom^ men,- und Sie sehen, Signora, Sie sehen und Ihnen zu Füßen fallen, ist dasselbe ^ « Und indem er sein gelb^

IV, 22


338 Reisebilder III

seidenes TasdKentudi ausbreitete und darauf nieder^ kniete, setzte er hinzu: »Hier kniee idi und huldige Ihnen im Namen von ganz Deutsdiland.« 

»Christophoro di Gumpelino!« — seufzte Signora tiefgerührt und sdimaditend -' »stehen Sie auf und umarmen Sie midi!« 

Damit aber der holde Sdiäfer nidit die Frisur und die Sdiminke seiner Geliebten verdürbe, küßte sie ihn nidit auf die glühenden Lippen, sondern auf die holde Stirne, so daß sein Gesidit tiefer hinabreidite, und das Steuer desselben, die Nase, im roten Meere herum- ruderte.

»Signor Bartoio!« rief idi, »erlauben Sie mir, daß audi idi midi des Spud^napfes bediene.« 

Wehmütig lädielte Signor Bartoio, spradi aber kein einziges Wort, obgleidi er, nädist Mezzophante, für den besten Spradilehrer in Bologna gilt. Wir spredien nidit gern, wenn Spredien unsre Profession ist. Er diente der Signora als ein stummer Ritter, und nur dann und wann mußte er das Gedidit rezitieren, das er ihr vor fünfundzwanzig Jahren aufs Theater ge= worfen, als sie zuerst in Bologna, in der Rolle der Ariadne, auftrat. Er selbst mag zu jener Zeit wohl- belaubt und glühend gewesen sein, vielleidit ähnlidi dem heiligen Dionysos selbst, und seine Lätizia^ Ariadne stürzte ihm gewiß bacdiantisdi in die blühenden Arme ^ EvoeBacdie! Er diditete damals nodi viele Liebes- gedidite, die, wie sdion erwähnt, sidi in der italienisdien Literatur erhalten haben, nadidem der Diditer und die Geliebte selbst sdion längst zu Makulatur geworden.

Fünfundzwanzig Jahre hat sidi seine Treue bereits bewährt, und idi denke, er wird audi bis an sein seliges Ende auf dem Sdiemel sitzen, und auf Verlangen seine Verse rezitieren oder den Spud^napf reidien. Der Pro*


Italien, Die Bäder von Lucca 339

fessor der Jurisprudenz sdileppt sidi fast eben so lange sdion in den Liebesfesseln der Signora, er madit ihr nodi immer so eifrig die Cour wie im Anfang dieses Jahrhunderts, er muß nodi immer seine akademisdien Vorlesungen unbarmherzig vertagen, wenn sie seine Begleitung nadi irgend einem Orte verlangt, und er ist nodi immer belastet mit allen Servituten eines editen Patito.

Die treue Ausdauer dieser beiden Anbeter einer längst ruinierten Sdiönheit, mag vielleidit Gewohnheit sein, vielleidit Pietas gegen frühere Gefühle, vielleidit nur das Gefühl selbst, das sidi von der jetzigen Be^ sdiafPenheit seines ehemaligen Gegenstandes ganz un* abhängig gemadit hat, und diesen nur nodi mit den Augen der Erinnerung betraditet. So sehen wir oft alte Leute an einer Straßened^e, in katholisdien Städten, vor einem Madonnenbilde knieen, das so verblaßt und ver^ wittert ist, daß nur nodi wenige Spuren und Gesidits^ umrisse davon übrig geblieben sind, ja, daß man dort vielleidit nidits mehr sieht als die Nisdie, worin es ge^ malt stand, und die Lampe, die etwa nodi darüber hängt/ aber die alten Leute, die, mit dem Rosenkranz in den zitternden Händen, dort so andäditig knieen, haben sdion seit ihren Jugendjahren dort gekniet, Ge* wohnheit treibt sie immer, um dieselbe Stunde, zu demselben Fled^, sie merkten nidit das Erlösdien des geliebten Heiligenbildes, und am Ende madit das Alter ja dodi so sdiwadisiditig und blind, daß es ganz gleidi- gültig sein mag, ob der Gegenstand unserer Anbetung überhaupt nodi siditbar ist oder nidit. Die da glauben ohne zu sehen sind auf jeden Fall glüdlidier als die Sdiarfäugigen, die jede hervorblühende Runzel auf dem Anditz ihrer Madonnen gleidi bemerken. Nidits ist sdiredlidier als soldie Bemerkungen! Einst freilidi.


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glaubte idi, die Treulosigkeit der Frauen sei das Sdiredc* lidiste, und um dann das Sdired^Iidiste zu sagen, nannte idi sie Sdilangen. Aber, adi! jetzt weiß idi, das Sdired^^ lidiste ist, daß sie nidit ganz Sdilangen sind,« denn die Sdilangen können jedes Jahr die alte Haut von sidi abstreifen und neugehäutet sidi verjüngen.

Ob einer von den beiden antiken Seladons darüber eifersüditig war, daß der Markese, oder vielmehr dessen Nase, oberwähntermaßen in Wonne sdiwamm, das konnte idi nidit bemerken. Bartolo saß gemütsruhig auf seinem Bänkdien, die Beinstöd^dien über einander gesdilagen, und spielte mit Signoras Sdioßhünddien, einem jener hübsdien Tierdien, die in Bologna zu Hause sind, und die man audi bei uns unter dem Namen Bologneser kennt. Der Professor ließ sidi durdiaus nidit stören in seinem Gesänge, den zuweilen die kidiernd süßen Töne im Nebenzimmer parodistisdi überjubelten/ dann und wann unterbradi er audi selbst seinen Singsang, um midi mit juristisdien Fragen zu behelligen. Wenn wir in unserem Urteil nidit überein* stimmten, griff er hastige Akkorde und klimperte Be* weisstellen. Idi aber unterstützte meine Meinung immer durdi die Autorität meines Lehrers, des großen Hugo, der in Bologna unter dem Namen Ugone, audi Ugolino, sehr berühmt ist.

»Ein großer Mann!« rief der Professor und klimperte dabei und sang:

Seiner Stimme sanfter Ruf Tönt nodi tief in deiner Brust, Und die Qual, die sie dir sdiuf, Ist Entzüd^en, süße Lust. Audi Thibaut, den die Italiener Tibaldo nennen, wird in Bologna sehr geehrt,- dodi kennt man dort nidit sowohl die Sdiriften jener Männer als vielmehr ihre


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Hauptansiditen und deren Gegensatz. Gans und Sa^ vigny fand idi ebenfalls nur dem Namen nadi bekannt. Letzteren hielt der Professor für ein gelehrtes Frauen^ Zimmer,

»So, so« -^ spradi er, als idi ihn aus diesem leidit verzeihlidien Irrtum zog — »wirklidi kein Frauen^ Zimmer. Man hat mir also falsdi beriditet. Man sagte mir sogar, der Signor Gans habe dieses Frauenzimmer einst, auf einem Balle, zum Tanze aufgefordert, habe einen Refus bekommen, und daraus sei eine literärisdie Feindsdiaft entstanden.« 

»Man hat Ihnen in der Tat falsdi beriditet, der Signor Gans tanzt gar nidit, sdion aus dem mensdien^ freundlidien Grunde, damit nidnt ein Erdbeben entstehe. Jene Aufforderung zum Tanze ist wahrsdieinlidi eine mißverstandene Allegorie. Die historisdie Sdiule und die philosophisdie werden als Tänzer gedadit, und in soldiem Sinne denkt man sidi vielleidit eine Quadrille von Ugone, Tibaldo, Gans und Savigny. Und vielleidit in soldicm Sinne sagt man, daß Signor Ugone, obgleidi er der Diable boiteux der Jurisprudenz ist, dodi so zierlidie Pas tanze wie die Lemiere, und daß Signor Gans in der neuesten Zeit einige große Sprünge ver^ sudit, die ihn zum Hoguet der philosophisdien Sdiule gemadit haben.« 

»Der Signor Gans« — verbesserte sidi der Professor — »tanzt also bloß allegorisdi, so zu sagen metapho^ risdi« — Dodi plötzlidi, statt weiter zu spredien, griff er wieder in die Saiten der Gitarre, und bei dem tollsten Geklimper sang er wie toll:

Es ist wahr, sein teurer Name Ist die Wonne aller Herzen. Stürmen laut des Meeres Wogen, Droht der Himmel sdiwarz umzogen.


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Hört man stets Tarar nur rufen, Gleidi als beugten Erd und Himmel Vor des Helden Namen sidi. Von Herrn Gösdien wußte der Professor nidit ein^ mal, daß er existiere. Dies aber hatte seine natürlidien Gründe, indem der Ruhm des großen Gösdien nodi nidit bis Bologna gedrungen ist, sondern erst bis Poggio, weldies nodi vier deutsdie Meilen davon ent^ fernt ist, und wo er sidi zum Vergnügen nodi einige Zeit aufhalten wird, — Göttingen selbst ist in Bologna lange nidit so bekannt, wie man sdion, der Dankbar- keit wegen, erwarten dürfte, indem es sidi das deutsdie Bologna zu nennen pflegt. Ob diese Benennung tref^ fend ist, will idi nidit untersudien ,• auf jeden Fall aber untersdieiden sidi beide Universitäten durdi den ein^ fadien Umstand, daß in Bologna die kleinsten Hunde und die größten Gelehrten, in Göttingen hingegen die kleinsten Gelehrten und die größten Hunde zu finden sind.

Kapitel VI

Als der Markese Christophoro di Gumpelino seine Nase hervorzog aus dem roten Meere, wie weiland König Pharao, da glänzte sein Antlitz in sdiwitzender Selbstwonne. Tief gerührt gab er Signoren das Ver- spredien, sie, sobald sie wieder sitzen könne, in seinem eignen Wagen nadi Bologna zu bringen. Nun wurde verabredet, daß alsdann der Professor vorausreisen, Bartolo hingegen im Wagen des Markese mitfahren solle, wo er sehr gut auf dem Bod^ sitzen und das Hünddien im Sdioße halten könne, und daß man end^ lidi in vierzehn Tagen zu Florenz eintreffen wolle, wo Signora Fransdieska, die mit Mylady nadi Pisa reise, unterdessen ebenfalls zurüd^gekehrt sein würde. Wäh-


Italien. Die Bäder von Lucca 343

rend der Markese an den Fingern die Kosten beredi^ nete, summte er vor sidi hin »di tanti palpiti«. Signora sdilug dazwisdien die lautesten Triller, und der Pro- fessor stürmte in die Saiten der Gitarre und sang da^ bei so glühende Worte, daß ihm die Sdi weißtropfen von der Stirne und die Tränen aus den Augen liefen, und sidi auf seinem roten Gesidite zu einem einzigen Strome vereinigten. Während dieses Singens und Klingens ward plötzlidi die Türe des Nebenzimmers aufgerissen und herein sprang ein Wesen ^

Eudi, Ihr Musen der alten und der neuen Welt, Eudi sogar Ihr nodi unentdeckten Musen, die erst ein späteres Gesdiledit verehren wird, und die idi sdion längst geahnet habe, im Walde und auf dem Meere, Eudi besdiwör idi, gebt mir Farben, womit idi das Wesen male, das nädist der Tugend das Herrlidiste ist auf dieser Welt, Die Tugend, das versteht sidi von selbst, ist die erste von allen Herrlidikeiten, der Welt^ sdiöpfer sdimückte sie mit so vielen. Reizen, daß es sdiien, als ob er nidits eben so Herrlidies mehr hervor- bringen könne,- da aber nahm er nodi einmal alle seine Kräfte zusammen, und in einer guten Stunde sdiuf er Signora Fransdieska, die sdiöne Tänzerin, das größte Meisterstück, das er nadi Ersdiaffung der Tugend her^ vorgebradit, und wobei er sidi nidit im mindesten wiederholt hat, wie irdisdie Meister, bei deren späteren Werken die Reize der früheren wieder geborgterweise zum Vorsdiein kommen — Nein, Signora Fransdieska ist ganz Original, sie hat nidit die mindeste Ähnlidikeit mit der Tugend, und es gibt Kenner, die sie für eben so herrlidi halten, und der Tugend, die früher ersdiaf^ fen worden, nur den Vorrang der Anciennität zuer* kennen. Aber ist das ein großer Mangel, wenn eine Tänzerin einige sedistausend Jahre zu jung ist?


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Adi, idi sehe sie wieder, wie sie aus der aufgestoßen nen Türe bis zur Mitte des Zimmers hervorspringt, in demselben Momente sidi unzählige Mal auf einem Fuße herumdreht, sidi dann der Länge nadi auf das Sofa hinwirft, sidi die Augen mit beiden Händen ver- ded^t hält, und atemlos ausruft: »adi, idi bin so müde vom Sdilafen!« Nun naht sidi der Markese und hält eine lange Rede, in seiner ironisdi breit ehrerbietigen Manier, die mit seinem kurzabbredienden Wesen, bei praktisdien Gesdiäftserinnerungen, und mit seiner faden Zerflossenheit, bei sentimentaler Anregung, gar rätseU haft kontrastierte. Dennodi war diese Manier nidit unnatürlidi, sie hatte sidi vielleidit dadurdi natürlidi in ihm ausgebildet, daß es ihm an Kühnheit fehlte, jene Obmadit, wozu er sidi durdi Geld und Geist be- reditigt glaubte, unumwunden kund zu geben, weshalb er sie feigerweise in die Worte der übertriebensten Demut zu Verkappen sudite. Sein breites Lädieln bei soldien Gelegenheiten hatte etwas unangenehm Er^ götzlidies, und man wußte nidit, ob man ihm Prügel ober Beifall zollen sollte. In soldier Weise hielt er seine Morgenrede vor Signora Fransdieska, die, nodi halb sdiläfrig, ihn kaum anhörte, und als er zum Sdiluß um die Erlaubnis bat, ihr die Füße, wenigstens den linken Fuß, küssen zu dürfen, und zu diesem Gesdiäfte, mit großer Sorgfalt, sein gelbseidnes Tasdientudi über den Fußboden ausbreitete und darauf niederkniete: stred^te sie ihm gleidigültig den linken Fuß entgegen, der in einem allerliebsten roten Sdiuh stedte, im Ge- gensatz zu dem rediten Fuße, der einen blauen Sdiuh trug, eine drollige Koketterie, wodurdi die zarte nied- lidie Form der Füße nodi bemerklidier werden sollte. Als der Markese den kleinen Fuß ehrfurditsvoll geküßt, erhob er sidi mit einem ädizenden »O Jesu!« und bat um


Italien, Die Bäder von Lucca 345

die Erlaubnis, midi, seinen Freund, vorstellen zu dürfen, weldies ihm ebenfalls gähnend gewährt wurde, und wo- bei er es nidit an Lobsprüdien auf meine Vortrefflidikeit fehlen ließ, und auf KavaHer^ParoIe beteuerte, daß idi die unglüdÜdie Liebe ganz vortreffHdi besungen habe. Idi bat die Dame ebenfalls um die Vergünstigung, ihr den linken Fuß küssen zu dürfen, und in dem Mo= mente, wo idi dieser Ehre teilhaftig wurde, erwadite sie wie aus einem dämmernden Traume, beugte sidi lädielnd zu mir herab, betraditete midi mit großen, verwunderten Augen, sprang freudig empor bis in die Mitte des Zimmers, und drehte sidi wieder unzählige Mal auf einem Fuß herum. Idi fühlte wunderbar, wie mein Herz sidi beständig mitdrehte, bis es fast sdiwin^ delig wurde. Der Professor aber griff dabei lustig in die Saiten seiner Gitarre und sang:

Eine Opern^Signora erwählte Zum Gemahl midi, ward meine Vermählte, Und gesdilossen war bald unsre Eh, Wehe mir Armen! weh!

Bald befreiten von ihr midi Korsaren, Idi verkaufte sie an die Barbaren, Ehe sie sidi es konnte versehn. Bravo, Biskroma! sdiön! sdiön!

Nodi einmal betraditete midi Signora Fransdieska sdiarf und musternd, vom Kopf bis zum Fuße, und mit zufriedener Miene dankte sie dann dem Markese, als sei idi ein Gesdienk, das er ihr aus Artigkeit mit- gebradit. Sie fand wenig daran auszusetzen : nur waren ihr meine Haare zu hellbraun, sie hätte sie dunkler gewünsdit, wie die Haare des Abbate Cecco, audi meine Augen fand sie zu klein und mehr grün als blau. Zur Vergeltung, lieber Leser, sollte idi jetzt Signora


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Franscheska eben so mäkelnd sdiildern,- aber idi habe wahrhaftig an dieser lieblidien, fast leiditsinnig geform- ten Graziengestalt nidits auszusetzen. Audi das Ge^ sidit war ganz göttermäßig, wie man es bei griediisdien Statuen findet, Stirne und Nase gaben nur eine einzige senkredit gerade Linie, einen süßen rediten Winkel bildete damit die untere Nasenlinie, die wundersam kurz war, eben so sdimal war die Entfernung von der Nase zum Munde, dessen Lippen an beiden Enden kaum ausreiditen und von einem träumerisdien Lädieln ergänzt wurden/ darunter wölbte sidi ein liebes volles Kinn, und der Hals —' Adi! frommer Leser, idi komme zu weit, und außerdem habe idi bei dieser Inaugural- sdiilderung nodi kein Redit, von den zwei sdiweigen* den Blumen zu spredien, die wie weiße Poesie hervor^ leuditeten, wenn Signora die silbernen Halsknöpfe ihres sdiwarzseidnen Kleides enthäkelte — Lieber Leser ! laß uns wieder emporsteigen zu der Sdiilderung des Gesidites, wovon idi naditräglidi nodi zu beriditen habe, daß es klar und blaßgelb wie Bernstein war, daß es von den sdiwarzen Haaren, die in glänzend glatten Ovalen die Sdiläfe bedeckten, eine kindlidie Rundung empfing, und von zwei sdiwarzen plötzlidien Augen, wie von Zauberlidit, beleuditet wurde.

Du siehst, lieber Leser, daß idi Dir gern eine gründ* lidie Lokalbesdireibung meines Glüd^es liefern mödite, und, wie andere Reisende ihren Werken nodi beson^ dere Karten von historisdi widitigen oder sonst merk^ würdigen Bezirken beifügen, so mödite idi Fransdieska in Kupfer stedien lassen. Aber adi! was hilft die tote Kopie der äußern Umrisse bei Formen, deren gött* lidister Reiz in der lebendigen Bewegung besteht. Selbst der beste Maler kann uns diesen nidit zur Ansdiauung bringen,- denn die Malerei ist dodi nur eine platte Lüge,


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Eher vermödite es der Bildhauer/ durdi wechselnde Beleuditung können wir bei Statuen uns einigermaßen eine Bewegung der Formen denken, und die Fad^el, die ihnen nur äußeres Lidit zuwirft, sdieint sie audi von innen zu beleben. Ja, es gibt eine Statue, die Dir, lieber Leser, einen marmornen Begriff von Fransches- kas Herrlidikeit zu geben vermödite, und das ist die Venus des großen Canova, die Du in einem der letzten Säle des Palazzo Pitti zu Florenz finden kannst. Idi denke jetzt oft an diese Statue, zuweilen träumt mir, sie läge in meinen Armen, und belebe sidi allmählig und flüstere endlidi mit der Stimme Fransdieskas. Der Ton dieser Stimme war es aber, der jedem ihrer Worte die lieblidiste, unendlidiste Bedeutung erteilte, und wollte idi Dir ihre Worte mitteilen, so gäbe es bloß ein trod^nes Herbarium von Blumen, die nur durdi ihren Duft den größten Wert besaßen. Audi sprang sie oft in die Höhe, und tanzte während sie spradi, und vielleidit war eben der Tanz ihre eigentlidie Spradie. Mein Herz aber tanzte immer mit und exekutierte die sdiwierigsten Pas, und zeigte dabei so viel Tanztalent, wie idi ihm nie zugetraut hätte. In soldier Weise er- zählte Fransdieska audi die Gesdiidite von dem Abbate Cecco, einem jungen Bursdien, der in sie verliebt war, als sie nodi im Arno^Tal Strohhüte strid^te, und sie versidierte, daß idi das Glüd hätte ihm ähnlidi zu sehen. Dabei madite sie die zärtlidisten Pantomimen, drüdite ein übers andere Mal die Fingerspitzen ans Herz, sdiien dann mit gehöhlter Hand die zärtlidisten Gefühle hervorzusdiöpfen, warf sidi endlidi sdiwebend, mit voller Brust, aufs Sofa, barg das Gesidit in die Kissen, strebte hinter sidi ihre Füße in die Höhe und ließ sie wie hölzerne Puppen agieren. Der blaue Fuß sollte den Abbate Cecco und der rote die arme Fran-


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sdieska vorstellen, und indem sie ihre eigene Gesdiidite parodierte, ließ sie die beiden verliebten Füße von ein- ander Absdiied nehmen, und es war ein rührend när- risdies Sdiauspiel, wie sidi beide mit den Spitzen küßten, und die zärtlidisten Dinge sagten -- und dabei weinte das tolle Mäddien ergötzlidi kidiernde Tränen, die aber dann und wann etwas unbewußt tiefer aus der Seele kamen, als die Rolle verlangte, Sie ließ audi, im drolligen Sdimerzensübermut den Abbate Cecco eine lange Rede halten, worin er die Sdiönheit der armen Fransdieska mit pedantisdien Metaphern rühmte, und die Art, wie sie audi, als arme Fransdieska, Antwort gab und ihre eigene Stimme, in der Sentimentalität einer früheren Zeit, kopierte, hatte etwas Puppen* spielwehmütiges, das midi wundersam bewegte. Ade Cecco! Ade Fransdieska! war der beständige Re^ frain, die verliebten Füßdien wollten sidi nidit ver* lassen -^ und idi war endlidi froh, als ein unerbitt^ lidies Sdiicksal sie von einander trennte, indem süße Ahnung mir zuflüsterte, daß es für midi ein Mißge^ sdiid^ wäre, wenn die beiden Liebenden beständig ver* einigt blieben.

Der Professor applaudierte mit possenhaft sdi wirren* den Gitarrentönen, Signora trillerte, das Hünddien bellte, der Markese und idi klatsditen in die Hände wie rasend, und Signora Fransdieska stand auf und ver* neigte sidi dankbar. »Es ist wirklidi eine sdiöne Ko- mödie«, spradi sie zu mir, »aber es ist sdion lange her, seit sie zuerst aufgeführt worden, und idi selbst bin sdion so alt — raten Sie mal wie alt?« 

Sie erwartete jedodi keineswegs meine Antwort, spradi rasdi: »aditzehn Jahr« — und drehte sidi dabei wohl aditzehnmal auf einem Fuß herum. »Und wie alt sind Sie, Dottore?« 


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»Idi, Signora, bin in der Neujahrsnadit Achtzehn* hundert geboren.« 

»Idi habe Ihnen ja schon gesagt«, bemerkte der Mar- kese, »es ist einer der ersten Männer unseres Jahr* hunderts.« 

»Und wie alt halten Sie mich?« rief plötzlidi Signo* ra Lätizia, und ohne an ihr Eva^Kostüm, das bis jetzt die Bettded^e verborgen hatte, zu denken, erhob sie sidi bei dieser Frage so leidenschaftlich in die Höhe, daß nidit nur das rote Meer, sondern auch ganz Arabien, Syrien und Mesopotamien zum Vorschein kam.

Indem ich, ob dieses gräßlichen Anblicks, erschrocken zurückprallte, stammelte ich einige Redensarten über die Schwierigkeiten, eine soldie Frage zu lösen, indem ich ja Signora erst zur Hälfte gesehen hätte,- dodi da sie noch eifriger in midi drang, gestand ich ihr die Wahr* heit, nämlidi daß idi das Verhältnis der italienischen Jahre zu den deutschen nodi nicht zu berechnen wisse.

»Ist der Untersdiied groß?« frug Signora Lätizia.

»Das versteht sidi«, antwortete ich ihr, »da die Hitze alle Körper ausdehnt, so sind die Jahre in dem war* men Italien viel länger als in dem kalten Deutsdiland.« 

Der Markese zog mich besser aus der Verlegenheit, indem er galant behauptete, ihre Sdiönheit habe sidi jetzt erst in der üppigsten Reife entfaltet. »Und Si* gnora!« setzte er hinzu, »so wie die Pomeranze, je älter sie wird, audi desto gelber wird, so wird auch Ihre Schönheit mit jedem Jahre desto reifer.« 

Die Dame schien mit dieser Vergleichung zufrieden zu sein, und gestand ebenfalls, daß sie sich wirklich reifer fühle als sonst, besonders gegen damals, wo sie nodi ein dünnes Ding gewesen und zuerst in Bologna aufgetreten sei, und daß sie noch jetzt nicht begreife, wie sie in solcher Gestalt so viel Furore habe machen


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können. Und nun erzählte sie ihr Debüt als Ariadne, worauf sie, wie idi später entdeckte, sehr oft zurück* kam, bei weldier Gelegenheit audh Signor Bartolo das Gedidit deklamieren mußte, das er ihr damals aufs Theater geworfen. Es war ein gutes Gedidit, voll rührender Trauer über Theseus Treulosigkeit, voll blin* der Begeisterung für Bacdius und blühender Verherr- lidiung Ariadnes. »Bella cosa!« rief Signora Lätizia bei jeder Strophe, und audi idi lobte die Bilder, den Versbau und die ganze Behandlung jener Mythe.

»Ja, sie ist sehr sdiön«, sagte der Professor, »und es liegt ihr gewiß eine historisdie Wahrheit zum Grunde, wie denn audi einige Autoren uns ausdrüd^Iidi erzäh- len, daß Oneus, ein Priester des Bacdius, sidi mit der trauernden Ariadne vermählt habe, als er sie verlassen auf Naxos angetroffen,- und, wie oft gesdiieht, ist in der Sage, aus dem Priester des Gottes, der Gott selbst gemadit worden.« 

Idi konnte dieser Meinung nidit beistimmen, da idi midi in der Mythologie mehr zur philosophisdien Aus* deutung hinneige, und idi entgegnete: »In der ganzen Fabel, daß Ariadne, nadidem Theseus sie auf Naxos sitzen lassen, sidi dem Bacdius in die Arme geworfen, sehe idi nidits anderes als die Allegorie, daß sie sidi, in jenem verlassenen Zustande, dem Trunk ergeben hat, eine Hypothese, die nodi mandier Gelehrte meines Vaterlandes mit mir teilt. Sie, Herr Markese, werden wahrsdieinlidi wissen, daß der selige Bankier Bethmann, im Sinne dieser Hypothese, seine Ariadne so zu be* leuditen wußte, daß sie eine rote Nase zu haben sdiien.« 

»Ja, ja, Bethmann in Frankfurt war ein großer Mann!«  rief der Markese,- jedodi im selben Augenblid^ sdiien ihm etwas Widitiges durdi den Kopf zu laufen, seuf=


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zend spradi er vor sich hin: »Gott, Gott, ich habe vergessen, nach Frankfurt an Rothschild zu sdireiben!«  Und mit ernstem Gesdiäftsgesidit, woraus aller paro- distisdie Scherz versdiwunden schien, empfahl er sidi kurzweg, ohne lange Zeremonien, und versprach gegen Abend wiederzukommen.

Als er fort war und idi im Begriff stand, wie es in der Welt gebräudilidi ist, meine Glossen über eben den Mann zu madien, durdi dessen Güte idi die an- genehmste Bekanntsdbaft gewonnen, da fand idi zu meiner Verwunderung, daß alle ihn nidit genug zu rühmen wußten, und daß alle besonders seinen Enthu- siasmus für das Sdiöne, sein adelig feines Betragen, und seine Uneigennützigkeit in den übertriebensten Ausdrücken priesen. Audi Signora Fransdieska stimmte ein in diesen Lobgesang, doch gestand sie, seine Nase sei etwas beängstigend und erinnere sie immer an den Turm von Pisa,

Beim Absdiied bat idi sie wieder um die Vergün- stigung, ihren linken Fuß küssen zu dürfen,- worauf sie, mit lädielndem Ernst, den roten Sdiuh auszog, so wie audi den Strumpf/ und indem ich niederkniete, reidite sie mir den weißen, blühenden Liljenfuß, den idi vielleidit gläubiger an die Lippen preßte, als idi es mit dem Fuß des Papstes getan haben mödite. Wie sich von selbst versteht, machte ich audi die Kammer- jungfer, und half den Strumpf und den Sdiuh wieder anziehen.

»Ich bin mit Ihnen zufrieden«, —' sagte Signora Fran- sdieska, nach verriditetem Gesdiäfte, wobei idi midi nidit zu sehr übereilte, obgleidi idi alle zehn Finger in Tätigkeit setzte, — »idi bin mit Ihnen zufrieden, Sie sollen mir nodi öfter die Strümpfe anziehen. Heute haben Sie den linken Fuß geküßt, morgen soll Ihnen


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der redite zu Gebot stehen. Übermorgen dürfen Sie mir sdion die linke Hand küssen, und einen Tag nadi- her audi die redite. Führen Sie sidi gut auf, so reidie idi Ihnen späterhin den Mund, usw. Sie sehen, idi will Sie gern avancieren lassen, und da Sie jung sind, können Sie es in der Welt nodi weit bringen.« 

Und idi habe es weit gebradit in dieser Welt! Des seid mir Zeugen, toskanisdie Nädite, du hellblauer Himmel mit großen silbernen Sternen, Ihr wilden Lor- beerbüsdie und heimlidien Myrten, und Ihr, o Nym- phen des Apennins, die Ihr mit bräudidien Tänzen uns umsdiwebtet, und Eudi zurüd^träumtet in jene besseren Götterzeiten, wo es nodi keine gotisdie Lüge gab, die nur blinde, tappende Genüsse im Verborgenen erlaubt und jedem freien Gefühl ihr heudilerisdies Feigenblatt* dien vorklebt.

\^Es bedurfte keiner besonderen Feigenblätter,- denn ein ganzer Feigenbaum mit vollen ausgebreiteten Zwei- gen rausdite über den Häuptern der Glüd^lidien.

Kapitel VII

Was Prügel sind, das weiß man sdion,- was aber die Liebe ist, das hat nodi keiner herausgebradit. Einige Naturphilosophen haben behauptet, es sei eine Art Elektrizität. Das ist möglidi,- denn im Momente des Verliebens ist uns zu Mute, als habe ein elektrisdier Strahl aus dem Auge der Geliebten plötzlidi in unser Herz eingesdilagen. Adi! diese Blitze sind die verderb- lidisten, und wer gegen diese einen Abieiter erfindet, den will idi höher aditen als Franklin. Gäbe es dodi kleine Blitzableiter, die man auf dem Herzen tragen könnte, und woran eine Wetterstange wäre, die das sdiredilidie Feuer anderswo hin zu leiten vermödite.


Italien. Die Bäder von Lucca 353

Ich fürdite aber, dem kleinen Amor kann man seine Pfeile nicht so leidit rauhen, wie dem Jupiter seinen Blitz und den Tyrannen ihr Zepter, Außerdem wirkt nidit jede Liebe blitzartig/ manchmal lauert sie, wie eine Sdilange unter Rosen, und erspäht die erste Her- zenslücke, um hineinzuschlüpfen,- mandimal ist es nur ein Wort, ein Blick, die Erzählung einer unsdieinbaren Handlung, was wie ein lichtes Samenkorn in unser Herz fällt, eine ganze Winterzeit ruhig darin liegt, bis der Frühling kommt, und das kleine Samenkorn auf^ sdiießt zu einer flammenden Blume, deren Duft den Kopf betäubt. Dieselbe Sonne, die im Niltal Ägyptens Krokodilleneier ausbrütet, kann zugleich zu Potsdam an der Havel die Liebessaat in einem jungen Herzen zur Vollreife bringen -- dann gibt es Tränen in Ägypten und Potsdam, Aber Tränen sind nodi lange keine Erklärungen— Was ist die Liebe? Hat keiner ihr Wesen ergründet? hat keiner das Rätsel gelöst? Vielleidit bringt soldie Lösung größere Qual als das Rätsel selbst, und das Herz ersdirid^t und erstarrt darob, wie beim An- blick der Medusa. Sdilangen ringeln sidi um das sdireck^ lidie Wort, das dieses Rätsel auflöst — O, idi will dieses Auflösungswort niemals wissen, das brennende Elend in meinem Herzen ist mir immer noch lieber als kalte Erstarrung. O, spredit es nicht aus, Ihr gestor^ benen Gestalten, die Ihr sdimerzlos wie Stein, aber audi gefühllos wie Stein durdi die Rosengärten dieser Welt wandelt, und mit bleichen Lippen auf den törig* ten Gesellen herablädielt, der den Duft der Rosen preist und über Dornen klagt.

Wenn idi Dir aber, lieber Leser, nidit zu sagen ver- mag, was die Liebe eigentlidi ist, so könnte idi Dir dodi ganz ausführlich erzählen, wie man sidi gebärdet und wie einem zu Mut ist, wenn man sich auf den

IV, 23


354 Reisebilder III

Apenninen verliebt hat. Man gebärdet sich nämlich wie ein Narr, man tanzt über Hügel und Felsen und glaubt, die ganze Welt tanze mit. Zu Mute ist einem dabei, als sei die Welt erst heute ersdiafFen worden, und man sei der erste Mensdi, »Adi, wie sdiön ist das alles!«  jauchzte idi, als l(h Fransdieskas Wohnung verlassen hatte. »Wie schön und kostbar ist diese neue Welt!«  Es war mir, als müßte icii allen Pflanzen und Tieren einen Namen geben, und ich benannte alles nacfi seiner innern Natur und nadi meinem eignen Gefühl, das mit den Außendingen so wunderbar verschmolz. Meine Brust war eine Quelle von Ofl^enbarung, und idh verstand alle Formen und Gestaltungen, den Duft der Pflanzen, den Gesang der Vögel, das Pfeifen des Windes und das Rauschen der Wasserfälle, Mandimal hörte ich auch die göttlidie Stimme: »Adam, wo bist du?« »Hier bin ich, Franscheska«, rief ich dann, »ich bete dichi an, denn ich weiß ganz gewiß, du hast Sonne, Mond und Sterne erschaffen und die Erde mit allen ihren Krea-^ turen!« Dann kicherte es aus den Myrtenbüsdien, und heimlich seufzte idi in mich hinein: »O süße Torheit, verlaß mich nicht!« 

Späterhin, als die Dämmerungszeit herankam, begann erst recht die verrückte Seligkeit der Liebe, Die Bäume auf den Bergen tanzten nicht mehr einzeln, sondern die Berge selbst tanzten mit schweren Häuptern, die von der sdieidenden Sonne so rot bestrahlt wurden, als hätten sie sidi mit ihren eignen Weintrauben be^ rauscht. Unten der Bacii schoß hastiger von dannen, und rauschte angstvoll, als fürchte er, die entzückt taumelnden Berge würden zu Boden stürzen. Dabei wetterleuchtete es so lieblidi, wie lichte Küsse, »Ja«, rief ich, »der lachende Himmel küßt die geliebte Erde ^ O Fransdieska, sdiöner Himmel, laß midi deine


Italien. Die Bäder von Lucca 355

Erde sein! Ich bin so ganz irdisch und sehne mich nach dir, mein Himmel!« So rief ich und streckte die Arme flehend empor, und rannte mit dem Kopfe gegen manchen Baum, den ich dann umarmte statt zu schelten, und meine Seele jauchzte vor Liebestrunkenheit, -- als plötzlich ich eine glänzende Scharlachgestalt erblickte, die mich aus allen meinen Träumen gewaltsam heraus- riß, und der kühlsten Wirklichkeit zurückgab,

Kapitel VIII

Auf einem Rasenvorsprung, unter einem breiten Lorbeerbaume, saß Hyazinthos, der Diener des Mar^ kese, und neben ihm Apollo, dessen Hund. Letzterer stand vielmehr, indem er die Vorderpfoten auf die Scharlachkniee des kleinen Mannes gelegt hatte, und neugierig zusah, wie dieser, eine Schreibtafel in den Händen haltend, dann und wann etwas hineinschrieb, wehmütig vor sich hinlächelte, das Köpfchen schüttelte, tief seufzte und sich dann vergnügt die Nase putzte.

»Was Henker«, rief ich ihm entgegen, »Hirsch Hya^ zinthos! machst du Gedichte? Nun, die Zeichen sind günstig, Apollo steht dir zur Seite und der Lorbeer hängt schon über deinem Haupte!« 

Aber ich tat dem armen Schelme Unrecht. Liebreich antwortete er: »Gedichte? Nein, ich bin ein Freund von Gedichten, aber ich schreibe doch keine. Was sollte ich schreiben? Ich hatte eben nichts zu tun, und zu meinem Vergnügen machte ich mir eine Liste von den Namen derjenigen Freunde, die einst in meiner Kollekte gespielt haben. Einige davon sind mir sogar noch etwas schuldig — Glauben Sie nur nicht, Herr Doktor, ich wollte Sie mahnen — das hat Zeit, Sie sind mir gut. Hätten Sie nur zuktzt 1365 statt 1364 gespielt, so


356 Reisebilder III

wären Sie jetzt ein Mann von hunderttausend Mark Banko, und brauditen nidit hier herumzulaufen, und könnten ruhig in Hamburg sitzen, ruhig und vergnügt, und könnten sidi auf dem Sofa erzählen lassen, wie es in Italien aussieht. So wahr mir Gott helfe! ich wäre nidit hergereist, hätte idi es nidit Herrn Gumpel zu Liebe getan. Adi, wie viel Hitz und Gefahr und Müdigkeit muß idi ausstehen, und wo nur eine Überspannung ist oder eine Sdiwärmerei, ist audi Herr Gumpel da^ bei, und idi muß alles mitmadien. Idi wäre sdion längst von ihm gegangen, wenn er midi missen könnte. Denn wer soll nadiher zu Hause erzählen, wie viel Ehre und Bildung er in der Fremde genossen? Und soll idi die Wahrheit sagen, idi selbst fang an, viel auf BiU düng zu geben. In Hamburg hab idi sie Gottlob nidit nötig/ aber man kann nidit wissen, man kommt einmal nadi einem anderen Ort. Es ist eine ganz andere Welt jetzt. Und man hat Redit/ so ein bißdien Bildung ziert den ganzen Mensdien, Und weldie Ehre hat man da- von! Lady Maxfield zum Beispiel, wie hat sie midi diesen Morgen aufgenommen und honoriert! Ganz parallel wie ihres Gleidien. Und sie gab mir einen Fran^ ceskoni Trinkgeld, obsdion die Blume nur fünf Paoli gekostet hatte. Außer dem ist es audi ein Vergnügen, wenn man den kleinen, weißen Fuß von sdiönenDamen^ personen in Händen hat.« 

Idi war nidit wenig betreten über diese letzte Be^ merkung, und dadite gleidi: ist das Stidielei? Wie konnte aber der Lump sdion Kenntnis haben von dem Glüd^e, das mir erst denselben Tag begegnet, zu der* selben Zeit, als er auf der entgegengesetzten Seite des Bergs war? Gabs dort etwa eine ähnlidie Szene und offenbarte sidi darin die Ironie des großen Weltbühnen* diditers da droben, daß er vielleidit nodi tausend sol*


Italien, Die Bäder von Lucca 357

eher Szenen, die gleidizeitig eine die andere parodieren, zum Vergnügen der himmlisdien Heersdiaren aufführen ließ? Indessen beide Vermutungen waren ungegründet, denn nadi langen wiederholten Fragen, und nadidem idi das Verspredien geleistet, dem Markese nidits zu verraten, gestand mir der arme Mensdi : Lady Maxfield habe nodi zu Bette gelegen, als er ihr die Tulpe über* reidit, in dem Augenblid^, wo er seine sdiöne Anrede halten wollen, sei einer ihrer Füße nackt zum Vorsdiein gekommen, und da er Hühneraugen daran bemerkt, habe er gleidi um die Erlaubnis gebeten, sie aussdinei- den zu dürfen, weldies audi gestattet und nadiher, zu* gleidi für die Überreizung der Tulpe, mit einem Fran* ceskoni belohnt worden sei.

»Es ist mir aber immer nur um die Ehre zu tun«  — setzte Hyazinth hinzu — »und das habe idi audi dem Baron Rothsdiild gesagt, als idi die Ehre hatte, ihm die Hühneraugen zu sdineiden. Es gesdiah in seinem Kabinett/ er saß dabei auf seinem grünen Sessel, wie auf einem Thron, spradi wie ein König, um ihn herum standen seine Courtiers, und er gab seine Ordres, und sdiid^te Stafetten an alle Könige,- und wie idi ihm während dessen die Hühneraugen sdinitt, dadit idi im Herzen : du hast jetzt in Händen den Fuß des Mannes, der selbst jetzt die ganze Welt in Händen hat, du bist jetzt ebenfalls ein widitiger Mensdi, sdineidest du ihn unten ein bißdien zu sdiarf, so wird er verdrießlidi, und sdineidet oben die größten Könige nodi ärger ^ Es war der glüd^lidiste Moment meines Lebens!« 

»Idi kann mir dieses sdiöne Gefühl vorstellen, Herr Hyazinth. Weldien aber von der Rothsdiildsdien Dy* nastie haben Sie soldiermaßen amputiert? War es etwa der hodiherzige Brite, der Mann in Lombardstreet, der ein Leihhaus für Kaiser und Könige erriditet hat?« 


358 Reisebilder III

»Versteht sidi, Herr Doktor, idi meine den großen Rothsdiild, den großen Nathan Rothsdiild, Nathan den Weisen, bei dem der Kaiser von Brasilien seine dia- mantene Krone versetzt hat. Aber idi habe audi die Ehre gehabt, den Baron Salomon Rothsdiild in Franko fürt kennen zu lernen, und wenn idi midi audi nidit seines intimen Fußes zu erfreuen hatte, so wußte er midi dodi zu sdiätzen. Als der Herr Markese zu ihm sagte, idi sei einmal LotteriekoIIekteur gewesen, sagte der Baron sehr witzig: ,Idi bin ja selbst so etwas, idi bin ja der OberkoIIekteur der rothsdiildsdien Lose, und mein Kollege darf bei Leibe nidit mit den Bedienten essen, er soll neben mir bei Tisdie sitzen* — Und so wahr wie mir Gott alles Guts geben soll, Herr Doktor, idi saß neben Salomon Rothsdiild, und er behandelte midi ganz wie seines Gleidien, ganz famiilionär. Idi war audi bei ihm auf dem berühmten Kinderball, der in der Zeitung gestanden. So viel Pradit bekomme idi mein Lebtag nidit mehr zu sehen, Idi bin dodi audi in Hamburg auf einem Ball gewesen, der 1500 Mark und 8 Sdiilling kostete, aber das war dodi nur wie ein Hühnerdred^dien gegen einen Misthaufen, Wie viel Gold und Silber und Diamanten habe idi dort gesehen! Wie viel Sterne und Orden! Den Falkenorden, das goldne Vlies, den Löwenorden, den Adlerorden — sogar ein ganz klein Kind, idi sage Ihnen, ein ganz klein Kind trug einen Elefantenorden, Die Kinder waren gar sdiön maskiert und spielten Anleihe, und waren angezogen wie die Könige, mit Kronen auf den Köpfen, ein großer Junge aber war angezogen präzise wie der alte Nathan Rothsdiild. Er madite seine Sadie sehr gut, hatte beide Hände in der Hosentasdie, klim- perte mit Geld, sdiüttelte sidi verdrießlidi, wenn einer von den kleinen Königen was geborgt haben wollte.


Italien. Die Bäder von Lucca 359

und nur dem kleinen mit dem weißen Rod^ und den roten Hosen streidielte er freundlidi die Bad^en, und lobte ihn: ,Du bist mein Plaisir, mein Liebling, mein* Pradit, aber dein Vetter Midiel soll mir vom Leib bleiben, idi werde diesem Narrn nidits borgen, der täglidi mehr Mensdien ausgibt, als er jähriidi zu ver^ zehren hat,- es kommt durdi ihn nodi ein Unglüd^ in die Welt, und mein Gesdiäft wird darunter leiden,* So wahr mir Gott alles Guts gebe, der Junge madite seine Sadie sehr gut, besonders wenn er das did^e Kind, das in weißen Atlas mit editen silbernen Liljen ge= wid^elt war, im Gehen unterstützte und bisweilen zu ihm sagte : ,Na, na, du, du, führ didi nur gut auf, er^ nähr didi redlidi, sorg, daß du nidit wieder weggejagt wirst, damit idi nidit mein Geld verliere.* Idi versidiere Sie, Herr Doktor, es war ein Vergnügen, den Jungen zu hören,- und audi die anderen Kinder, lauter liebe Kinder, maditen ihre Sadie sehr gut — bis ihnen Kudien gebradit wurde, und sie sidi um das beste Stück stritten, und sid^_ die Kronen vom Kopf rissen, und sdirieen und weinten, und einige sidi sogar — — « 

Kapitel IX

Es gibt nidits Langweiligeres auf dieser Erde, als die Lektüre einer italienisdien Reisebesdireibung — außer etwa das Sdireiben derselben — und nur da- durdi kann der Verfasser sie einigermaßen erträglidi madien, daß er von Italien selbst so wenig als möglidi darin redet. Trotz dem, daß idi diesen KunstknifP vollauf anwende, kann idi Dir, lieber Leser, in den nädisten Kapiteln nidit viel Unterhaltung verspredien. Wenn Du Didi bei dem ennuyanten Zeug, das darin vorkommen wird, langweilst, so tröste Didi mit mir.


360 Reisebilder III

der all dieses Zeug sogar sdireiben mußte. Idi rate Dir, übersdilage dann und wann einige Seiten, dann kömmst Du mit dem Budie sdineller zu Ende — adi, idi wollt, idi könnt es eben so madien! Glaub nur nidit, idi sdierze,- wenn idk Dir ganz ernsthaft meine Herzensmeinung über dieses Budi gestehen soll, so rate idi Dir, es jetzt zuzusdilagen, und gar nidit weiter darin zu lesen. Idi will Dir nädistens etwas Besseres sdireiben, und wenn wir in einem folgenden Budie, in der Stadt Lucca, wieder mit Mathilden und Fran- sdieska zusammentreffen, so sollen Didi die lieben BiU der viel anmutiger ergötzen, als gegenwärtiges Kapitel und gar die folgenden.

Gottlob, vor meinem Fenster erklingt ein Leierkasten mit lustigen Melodien! Mein trüber Kopf bedarf soldier Aufheiterung, besonders da idi jetzt meinen Besudi bei Seiner Exzellenz dem Markese Christophoro di Gumpelino zu besdireiben habe. Idi will diese rührende Gesdiidite, ganz genau, wörtlidi treu, in ihrer sdimut-^ zigsten Reinheit, mitteilen.

Es war sdion spät, als idi die Wohnung des Mar* kese erreidite. Als idi ins Zimmer trat, stand Hyazinth allein und putzte die goldenen Sporen seines Herrn, weldier, wie idi durdi die halbgeöffnete Türe seines Sdilafkabinetts sehen konnte, vor einer Madonna und einem großen Kruzifixe, auf den Knieen lag.

Du mußt nämlidi wissen, lieber Leser, daß der Mar- kese, dieser vornehme Mann, jetzt ein guter Katholik ist, daß er die Zeremonien der alleinseligmadienden Kirdie streng ausübt, und sidi, wenn er in Rom ist, sogar einen eignen Kapellan hält, aus demselben Grun- de, weshalb er in England die besten Wettrenner und in Paris die sdiönste Tänzerin unterhielt.

»Herr Gumpel verriditet jetzt sein Gebet« — flu-


Italien, Die Bäder von Lucca 361

Sterte Hyazinth mit einem wichtigen Lächeln, und indem er nach dem Kabinette seines Herrn deutete, fügte er noch leiser hinzu: »so liegt er alle Abend zwei Stunden auf den Knieen vor der Prima Donna mit dem Jesus- kind. Es ist ein präditiges Kunstbild, und es kostet ihm sedishundert Franceskonis.« 

»Und Sie, Herr Hyazinth, warum knieen Sie nicht hinter ihm? Oder sind Sie etwa kein Freund von der katholischen Religion?« 

»Idi bin ein Freund davon, und bin auch wieder kein Freund davon«, antwortete jener mit bedenklidiem Kopfwiegen, »Es ist eine gute Religion für einen vor- nehmen Baron, der den ganzen Tag müßig gehen kann, und für einen Kunstkenner,- aber es ist keine Religion für einen Hamburger, für einen Mann, der sein Ge- schäft hat, und durchaus keine Religion für einen Lot- teriekollekteur. Idi muß jede Nummer, die gezogen wird, ganz exakt aufschreiben, und denke idi dann zu^ fällig an Bum! Bum! Bum! an eine katholisdie Glock, oder sdiwebelt es mir vor den Augen wie katholischer Weihraudi, und idi verschreib mich, und ich schreibe eine unrechte Zahl, so kann das größte Unglück daraus entstehen. Ich habe oft zu Herren Gumpel gesagt: ,Ew. Ex, sind ein reicher Mann und können katholisch sein so viel Sie wollen, und können sich den Verstand ganz katholiscb einräuchern lassen, und können so dumm werden wie eine katholische Glod^, und Sie haben doch zu essen," ich aber bin ein Geschäftsmann, und muß meine sieben Sinne zusammen halten, um was zu ver* dienen.* Herr Gumpel meint freilieb, es sei nötig für die Bildung, und wenn ich nicht katholisch würde, ver- stände ich nicht die Bilder, die zur Bildung gehören, nicht den Johann v. Viehesel, den Corretschio, den Carratschio, den Carravatschio — aber ich habe immer


362 Reisebilder III

gedacht, der Corretsdiio und Carratsdiio und Carravat* sdiio können mir alle nichts helfen, wenn niemand mehr bei mir spielt, und idi komme dann in die Patschio. Dabei muß ich Ihnen auch gestehen, Herr Doktor, daß mir die katholische Religion nicht einmal Vergnügen macht, und als ein vernünftiger Mann müssen Sie mir Recht geben. Ich sehe das Plaisir nicht ein, es ist eine Religion als wenn der liebe Gott, gottbewahre, eben gestorben wäre, und es riecht dabei nach Weihrauch, wie bei einem Leichenbegängnis, und dabei brummt eine so traurige Begräbnismusik, daß man die Melancholik be^ kömmt ^ ich sage Ihnen, es ist keine Religion für einen Hamburger.« 

»Aber, Herr Hyazinth, wie gefällt Ihnen denn die protestantische Religion?« 

»Die ist mir wieder zu vernünftig, Herr Doktor, und gäbe es in der protestantischen Kirche keine Orgel, so wäre sie gar keine Religion. Unter uns gesagt, diese Religion schadet nichts und ist so rein wie ein Glas Wasser, aber, sie hilft auch nichts. Ich habe sie probiert und diese Probe kostet mich vier Mark vierzehn Schill ling ^« 

»Wie so, mein lieber Herr Hyazinth?« 

»Sehen, Herr Doktor, ich habe gedacht: das ist frei* lieh eine sehr aufgeklärte Religion, und es fehlt ihr an Schwärmerei undWunder,- indessen, ein bißchen Schwär^ merei muß sie doch haben, ein ganz klein Wunderchen muß sie doch tun können, wenn sie sich für eine ho^ nette Religion ausgeben will. Aber wer soll da Wun^ der tun, dacht ich, als ich mal in Hamburg eine pro- testantische Kirche besah, die zu der ganz kahlen Sorte gehörte, wo nichts als braune Bänke und weiße Wände sind, und an der Wand nichts als ein schwarz TäfeU chen hängt, worauf ein halb Dutzend weiße Zahlen


Italien. Die Bäder von Lucca 363

Stehen. Du tust dieser Religion vielleidit Unrecht, dadit idi wieder, vielleidit können diese Zahlen eben so gut ein Wunder tun wie ein Bild von der Mutter Gottes oder wie ein Knodien von ihrem Mann, dem heiligen Joseph, und um der Sadie auf den Grund zu kommen, ging idi gleidi nadi Altona, und besetzte eben diese Zahlen in der Aitonaer Lotterie, die Ambe besetzte idi mit adit Sdiilling, die Terne mit sedis, die Quaterne mit vier, und die Quinterne mit zwei Sdiilling — Aber, idi versidiere Sie auf meine Ehre, keine einzige von den protestantisdien Nummern ist herausgekommen. Jetzt wußte idi was idi zu denken hatte, jetzt dadit idi, bleibt mir weg mit einer Religion die gar nidits kann, bei der nidit einmal eine Ambe herauskömmt — werde idi so ein Narr sein, auf diese Religion, worauf idi sdion vier Mark und vierzehn Sdiilling gesetzt und verloren habe, nodi meine ganze Glüd^seligkeit zu setzen?« 

»Die altjüdisdie Religion sdieint Ihnen gewiß viel zwed^mäßiger, mein Lieber?« 

»Herr Doktor, bleiben Sie mir weg mit der altjüdi^ sdien Religion, die wünsdie idi nidit meinem ärgsten Feind. Man hat nidits als Sdiimpf und Sdiande davon. Idi sage Ihnen, es ist gar keine Religion, sondern ein Unglüd^. Idi vermeide alles, was midi daran erinnern könnte, und weil Hirsdi ein jüdisdies Wort ist und auf Deutsdi Hyazinth heißt, so habe idi sogar den alten Hirsdi laufen lassen, und untersdireibe midi jetzt: ,Hyazinth, Kollekteur, Operateur und Taxator*. Dazu habe idi nodi den Vorteil, daß sdion ein H. auf meinem Petsdiaft steht und idi mir kein neues stedien zu lassen braudie. Idi versidiere Ihnen, es kommt auf dieser Welt viel darauf an wie man heißt,- der Name tut viel. Wenn idi midi untersdireibe: »Hyazinth, Kollek*


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teur, Operateur und Taxator*, so klingt das ganz an* ders als sdiriebe idi Hirsdi sdileditweg, und man kann midi dann nidit wie einen gewöhnlidien Lump behandeln.« 

»Mein lieber Herr Hyazinth! Wer könnte Sie so behandeln ! Sie sdieinen sdion so viel für Ihre Bildung getan zu haben, daß man in Ihnen den gebildeten Mann sdion erkennt, ehe Sie den Mund auftun, um zu spredien.« 

»Sie haben Redit, Herr Doktor, idi habe in der Bil^ düng Fortsdiritte gemadit wie eine Riesin. Idi weiß wirklidi nidit, wenn idi nadi Hamburg zurüd^kehre, mit wem idi dort umgehn soll,- und was die Religion anbelangt, so weiß idi was idi tue. Vor der Hand aber kann idi midi mit dem neuen israelitisdien Tempel nodi behelfen,' idi meine den reinen Mosaik^Gottes- dienst, mit orthographisdien deutsdien Gesängen und gerührten Predigten, und einigen Sdiwärmereidien, die eine Religion durdiaus nötig hat. So wahr mir Gott alles Guts gebe, für midi verlange idi jetzt keine bessere Religion, und sie verdient, daß man sie unterstützt. Idi will das Meinige tun, und bin idi wieder in Hamburg, so will idi alle Sonnabend, wenn kein Ziehungstag ist, in den neuen Religion^Tempel gehen. Es gibt leider Mensdien, die diesem neuen israelitisdien Gottesdienst einen sdilediten Namen madien, und behaupten, er gäbe, mit Respekt zu sagen, Gelegenheit zu einem Sdiisma — aber idi kann Ihnen versidiern, es ist eine gute reinlidie Religion, nodi etwas zu gut für den ge^ meinen Mann, für den die altjüdisdie Religion vielleidit nodi immer sehr nützlidi ist. Der gemeine Mann muß eine Dummheit haben, worin er sidi glüd^lidi fühlt, und er fühlt sidi glüd^lidi in seiner Dummheit. So ein alter Jude mit einem langen Bart und zerrissenem Rod^,


Italien, Die Bäder von Lucca 365

und der kein orthographisdi Wort spredien kann und sogar ein bißdien grindig ist, fühlt sidi vielleidit inner* lidi glüd^Iidier als idi midi mit all meiner Bildung, Da wohnt in Hamburg, im Bäd^erbreitengang, auf einem Sahl, ein Mann, der heißt Moses Lump, man nennt ihn audi Moses Lümpdien, oder kurzweg Lümpdien,- der läuft die ganze Wodie herum, in Wind und Wetter, mit seinem Pad^en auf dem Rüd^en, um seine paar Mark zu verdienen,- wenn der nun Freitag Abends nadi Hause kömmt, findet er die Lampe mit sieben Liditern angezündet, den Tisdi weiß geded^t, und er legt seinen Pad^en und seine Sorgen von sidi, und setzt sidi zu Tisdi mit seiner sdiiefen Frau und nodi sdiiefe* ren Toditer, ißt mit ihnen Fisdie, die gekodit sind in angenehm weißer Knoblaudisauce, singt dabei die präditigsten Lieder vom König David, freut sidi von ganzem Herzen über den Auszug der Kinder Israel aus Ägypten, freut sidi audi, daß alle Bösewiditer, die ihnen Böses getan, am Ende gestorben sind, daß König Pharao, Nebukadnezar, Haman, Antiodius, Titus und all soldie Leute tot sind, daß Lümpdien aber nodi lebt und mit Frau und Kind Fisdi ißt -' Und idi sage Ihnen, Herr Doktor, die Fisdie sind delikat und der Mann ist glüddidi, er braudit sidi mit keiner Bildung abzuquälen, er sitzt vergnügt in seiner Religion und seinem grünen Sdilafrodc, wie Diogenes in seiner Tonne, er betraditet vergnügt seine Liditer, die er nidit einmal selbst putzt— Und idi sage Ihnen, wenn die Liditer etwas matt brennen, und die Sdiabbesfrau, die sie zu putzen hat, nidit bei der Hand ist, und Rothsdiild der Große käme jetzt herein, mit all seinen Maklern, Diskonteur ren, Spediteuren und Chefs de Comptoir, womit er die Welt erobert, und er sprädie : ,Moses Lump, bitte dir eine Gnade aus, was du haben willst, soll gesdie*


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hen* — Herr Doktor, idi bin überzeugt, Moses Lump würde ruhig antworten: ,Putz mir die Liditer!' und Rothsdiild der Große würde mit Verwunderung sagen : ,Wär idi nidit Rothsdiild, so mödite idi so ein Lümp^ dien sein!*« 

Während Hyazinth soldiermaßen, episdi breit, nadi seiner Gewohnheit, seine Ansiditen entwidelte, erhob sidi der Markese von seinem Betkissen, und trat zu uns, nodi immer einige Paternoster durdi die Nase sdinurrend. Hyazinth zog jetzt den grünen Flor über das Madonnenbild, das oberhalb des Betpultes hing, lösdite die beiden Wadiskerzen aus, die davor brann^ ten, nahm das kupferne Kruzifix herab, kam damit zu uns zurück, und putzte es mit demselben Lappen und mit derselben spuckenden Gewissenhaftigkeit, womit er eben auch die Sporen seines Herrn geputzt hatte. Dieser aber war wie aufgelöst in Hitze und weicher Stimmung/ statt eines Oberkleides trug er einen weiten, blauseidenen Domino mit silbernen Frangen, und seine Nase schimmerte wehmütig, wie ein verliebter Louis^ dor. »O Jesus!« ^ seufzte er, als er sich in die Kissen des Sofas sinken ließ — »finden Sie nicht, Herr Doktor, daß ich heute Abend sehr schwärmerisch aussehe? Ich bin sehr bewegt, mein Gemüt ist aufgelöst, ich ahne eine höhere Welt,

Das Auge sieht den Himmel offen. Es sciiwelgt das Herz in Seligkeit!« 

»Herr Gumpel, Sie müssen einnehmen« — untere brach Hyazinth die pathetische Deklamation ^ »das Blut in Ihren Eingeweiden ist wieder schwindelig, ich weiß, was Ihnen fehlt ^« 

»Du weißt nicht« — seufzte der Herr.

»Ich sage Ihnen, ich weiß« — erwiderte der Diener, und nickte mit seinem gutmütig betätigenden Gesidit^


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chen — »ich kenne Sie ganz durdi und durdi, idi weiß, Sie sind ganz das Gegenteil von mir, wenn Sie Durst haben, habe idi Hunger, wenn Sie Hunger haben, habe idi Durst/ Sie sind zu korpulent und idi bin zu mager, Sie haben viel Einbildung und idi habe desto mehr Gesdiäftssinn, idi bin ein Praktikus und Sie sind ein Diarrhetikus, kurz und gut, Sie sind ganz mein An* tipodex.« 

»Adi Julia!« -- seufzte Gumpelino — »war idi der gelblederne Handsdiuh dodi auf deiner Hand und küßte deine Wange! Haben Sie, Herr Doktor, jemals die Crelinger in Romeo und Julia gesehen?« 

»Freilidi, und meine ganze Seele ist nodi davon entzüd^t — « 

»Nun dann« — rief der Markese begeistert, und Feuer sdioß aus seinen Augen und beleuditete die Nase ^ »dann verstehen Sie midi, dann wissen Sie was es heißt, wenn idi Ihnen sage: idi liebe! Idi will midi Ihnen ganz dekouvrieren, Hyazinth, geh mal hinaus — « 

»Idi braudie gar nidit hinaus zu gehen« — spradi dieser verdrießlidi — »Sie braudien sidi vor mir nidit zu genieren, idi kenne audi die Liebe, und idi weiß sdion ^« 

»Du weißt nidit!« rief Gumpelino,

»Zum Beweise, Herr Markese, daß idi weiß, braudie idi nur den Namen Julia Maxfield zu nennen. Be^ ruhigen Sie sidi, Sie werden wieder geliebt — aber es kann Ihnen alles nidits helfen. Der Sdiwager Ihrer Geliebten läßt sie nidit aus den Augen, und bewadit sie Tag und Nadit wie einen Diamant.« 

»O idi Unglüdlidier« — jammerte Gumpelino — »idi liebe und bin wieder geliebt, wir drüd^en uns heim^ lidi die Hände, wir treten uns unterm Tisdi auf die


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Füße, wir winken uns mit den Augen, und wir haben keine Gelegenheit! Wie oft stehe idi im Mondsdiein auf dem Balkon, und bilde mir ein idi wäre selbst die Julia, und mein Romeo oder mein Gumpelino habe mir ein Rendezvous gegeben, und idi deklamiere, ganz wie die Crelinger:

Komm Nadit! Komm Gumpeh'no, Tag in Nadit!

Denn du wirst ruhn auf Fittigen der Nadit,

Wie frisdier Sdinee auf eines Raben Rüd^en.

Komm milde, liebevolle Nadit! Komm, gib

Mir meinen Romeo, oder Gumpelino ^ Aber adi! Lord Maxfield bewadit uns beständig, und wir sterben beide vor Sehnsuditsgefühl ! Idi werde den Tag nidit erleben, daß eine soldie Nadit kommt, wo jedes reiner Jugend Blüte zum Pfände setzt, gewinnend zu verlieren! Adi! so eine Nadit wäre mir lieber, als wenn idi das große Los in der Hamburger Lotterie gewönne — -« 

»Weldie Sdiwärmerei!« — rief Hyazinth ^ »das große Los, 100,000 Mark!« 

»Ja, lieber als das große Los« -- fuhr Gumpelino fort — »war mir so eine Nadit, und adi! sie hat mir sdion oft eine soldie Nadit versprodien, bei der ersten Gelegenheit, und idi hab mir sdion gedadit, daß sie dann des Morgens deklamieren wird, ganz wie die Crelinger :

Willst du sdion gehn? Der Tag ist ja nodi fern.

Es war die Naditigall und nidit die Lerdie,

Die eben jetzt dein banges Ohr durdidrang.

Sie singt des Nadits auf dem Granatbaum dort.

Glaub, Lieber, mir, es war die Naditigall.« 

»Das große Los für eine einzige Nadit!« -- wieder^ holte unterdessen mehrmals Hyazinth, und konnte sidi nidit zufrieden geben -^ »Idi habe eine große Meinung, Herr Markese, von Ihrer Bildung, aber daß Sie es in


Italien, Die Bäder von Lucca 369

der Sdiwärmerei so weit gebradit, hätte idi nicht ge- glaubt. Die Liebe sollte einem lieber sein als das große Los! WirkÜch, Herr Markese, seit idi mit Ihnen Um^ gang habe, als Bedienter, habe idi mir sdion viel BiU düng angewöhnt/ aber so viel weiß idi, nidit einmal ein Aditeldien vom großen Los gäbe idi für die Liebe! Gott soll midi davor bewahren ! Wenn idi audi redine fünfhundert Mark Abzugsdekort, so bleiben dodi nodi immer zwölftausend Mark! Die Liebe! Wenn idi alles zusammenredine was midi die Liebe gekostet hat, kommen nur zwölf Mark und dreizehn Sdiilling heraus. Die Liebe! Idi habe audi viel Umsonstglüd^ in der Liebe gehabt, was midi gar nidits gekostet hat,- nur dann und wann habe idi mal meiner Geliebten par Com= plaisanz die Hühneraugen gesdinitten. Ein wahres, gefühlvoll leidensdiaftlidies Attadiement hatte idi nur ein einziges Mal, und das war die did^e Gudel vom Dred^wall. Die Frau spielte bei mir, und wenn idi kam, ihr das Los zu renovieren, drüdite sie mir immer ein Stüdi Kudien in die Hand, ein Stüd^ sehr guten Kudien," -- audi hat sie mir mandimal etwas Einge- madites gegeben, und ein Likördien dabei, und als idi ihr einmal klagte, daß idi mit Gemütsbesdiwerden be^ haftet sei, gab sie mir das Rezept zu den Pulvern, die ihr eigner Mann braudit. Idi braudie die Pulver nodi bis zur heutigen Stunde, sie tun immer ihre Wirkung — weitere Folgen hat unsere Liebe nidit gehabt, Idi dädite, Herr Markese, Sie brauditen mal eins von diesen Pulvern. Es war mein Erstes, als idi nadi Italien kam, daß idi in Mailand nadi der Apotheke ging, und mir die Pulver madien ließ, und idi trage sie bestän^ dig bei mir. Warten Sie nur, idi will sie sudien, und wenn idi sudie so finde idi sie, und wenn idi sie finde so müssen sie Ew. Exzellenz einnehmen.« 

IV, 24


370 Reisebilder III

Es wäre zu weitläuftig, wenn idi den Kommentar wiederholen wollte, womit der gesdiäftige Sudier jedes Stüd^ begleitete, das er aus seiner Tasdie kramte. Da kam zum Vorsdiein: 1° ein halbes Wadislidit, 2° ein silbernes Etui, worin die Instrumente zum Sdineiden der Hühneraugen, 3° eine Zitrone, 4° eine Pistole, die obgleidi nidit geladen, dennodi mit Papier umwidvelt war, vielleidit damit ihr Anblick keine gefährlidie Träume verursadie, 5° eine gedrud^te Liste von der letzten Ziehung der großen Hamburger Lotterie, 6° ein sdi warzledernes Büdilein, worin die Psalmen Davids und die ausstehenden Sdiulden, 7" ein dürres Weiden^ sträußdien, wie zu einem Knoten versdilungen, 8° ein Päckdien, das mit verblidienemRosataffet überzogen war und die Quittung eines Lotterieloses enthielt, das einst funfzigtausend Mark gewonnen, 9** ein plattes Stüd^ Brot, wie weißgebad^ner Sdiiffszwiebad^, mit einem kleinen Lodi in der Mitte, und endiidi 10° die oben erwähnten Pulver, die der kleine Mann mit einer ge^ wissen Rührung und mit seinem verwundert wehmütig gen Kopfsdiütteln betraditete.

»Wenn idi bedenke« — seufzte er — »daß mir vor zehn Jahren die did^e Gudel dies Rezept gegeben, und daß idi jetzt in Italien bin und dasselbe Rezept in Händen habe, und wieder die Worte lese : sal mirabile Glauberi, das heißt auf deutsdi extra feines Glauben- salz von der besten Sorte — adi, da ist mir zu Mut, als hätte idi das Glaubensalz selbst sdion eingenommen und als fühlte idi die Wirkung. Was ist der Mensdi! Idi bin in Italien und denke an die didce Gudel vom Dred^wall! Wer hätte das gedadit! Idi kann mir vor^ stellen, sie ist jetzt auf dem Lande, in ihrem Garten, wo der Mond sdieint, und gewiß audi eine Naditigall singt oder eine Lerdie — « 


Italien, Die Bäder von Lucca 371

»Es ist die Naditigall und nidit die Lerdie!« seufzte

Gumpelino dazwisdien, und deklamierte vor sidi hin:

Sie singt des Nadits auf dem Granatbaum dort/

Glaub, Lieber, mir, es war die Naditigall.« 

»Das ist ganz einerlei« — fuhr Hyazinth fort — -

»meinethalben ein Kanarienvogel, die Vögel die man

im Garten hält, kosten am wenigsten. Die Hauptsadie

ist das Treibhaus, und die Tapeten im Pavillon und

die Staatsfiguren, die davor stehen, und da stehen, zum

Beispiel, ein nackter General von den Göttern und die

Venus Urinia, die beide dreihundert Mark kosten.

Mitten im Garten hat sidi die Gudel audi eine Fon-

tenelle anlegen lassen — Und da steht sie vielleidit

jetzt und puhlt sidi die Nase, und madit sidi ein Sdiwär-

mereivergnügen, und denkt an midi — Adi!« 

Nadi diesem Seufzer erfolgte eine sehnsüditige Stille, die der Markese endlidi unterbradi, mit der sdimadi- tenden Frage: »Sage mir auf deine Ehre, Hyazinth, glaubst du wirklidi, daß dein Pulver wirken wird?« 

»Es wird auf meine Ehre wirken«, erwiderte jener. »Warum soll es nidit wirken? Wirkt es dodi bei mir! Und bin idi denn nidit ein lebendiger Mensdi so gut wie Sie? Glaubensalz madit alle Mensdien gleidi,- und wenn Rothsdiild Glaubensalz einnimmt, fühlt er die- selbe Wirkung wie das kleinste Maklerdien. Idi will Ihnen alles voraussagen: Idi sdiütte das Pulver in ein Glas, gieße Wasser dazu, rühre es, und so wie Sie das hinuntergesdiludi^t haben, ziehen Sie ein saures Ge- sidit und sagen Prr! Prr! Hernadi hören Sie selbst, wie es in Ihnen herumkullert, und es ist Ihnen etwas kurios zu Mut und Sie legen sidi zu Bett, und idi gebe Ihnen mein Ehrenwort, Sie stehen wieder auf, und Sie legen sidi wieder, und stehen wieder auf, und so fort, und den andern Morgen fühlen Sie sidi leidit wie ein


372 Reisebilder III

Engel mit weißen Flügeln, und Sie tanzen vor Ge^ sundeswohlheit, nur ein bißdien blaß sehen Sie dann aus,- aber idi weiß, Sie sehen gern sdimaditend blaß aus, und wenn Sie sdimaditend blaß aussehen, sieht man Sie gern.« 

Obgleidi Hyazinth soldiermaßen zuredete, und sdion das Pulver bereitete, hätte das dodi wenig gefruditet, wenn nidit dem Markese plötzlidi die Stelle, wo JuHa den verhängnisvollen Trank einnimmt, in den Sinn gekommen wäre, »Was halten Sie, Doktor« ^ rief er '— »von der Müller in Wien? Idi habe sie als Julia gesehen, und Gott! Gott! wie spielt sie! Idi bin dodi der größte Enthusiast für die Crelinger, aber die Müller, als sie den Bedier austrank, hat midi hingerissen. Sehen Sie« ^ spradi er, indem er mit tragisdier Gebärde das Glas, worin Hyazinth das Pulver gesdiüttet, zur Hand nahm — »sehen Sie, so hielt sie den Bedier und sdiauderte, daß man alles mitfühlte wenn sie sagte:

Kalt rieselt matter Sdiaur durdi meine Adern, Der fast die Lebens wärm erstarren madit! Und so stand sie, wie idi jetzt stehe, und hielt den Bedier an die Lippen, und bei den Worten:

Weile, Tybalt! Idi komme, Romeo! Dies trink idi Dir. Da leerte sie den Bedier ^« 

»Wohl bekomme es Ihnen, Herr Gumpel!« spradi Hyazinth mit feierlidiem Tone,- denn der Markese hatte in nadiahmender Begeisterung das Glas ausge^ trunken, und sidi, ersdiöpft von der Deklamation, auf das Sofa hingeworfen.

Er verharrte jedodi nidit lange in dieser Lage,- denn es klopfte plötzlidi jemand an die Türe, und herein trat Lady Maxfields kleiner Jod^ey, der dem Markese,


Italien. Die Bäder von Lucca 373

mit lächelnder Verbeugung, ein Billett überreichte und sidi gleidi wieder empfahl. Hastig erbradi jener das Billett/ während er las, leuchteten Nase und Augen vor Entzücken, jedoch plötzlich überflog eine Geister^ blässe sein ganzes Gesicht, Bestürzung zuckte in jeder Muskel, mit Verzweiflungsgebärden sprang er auf, lachte grimmig, rannte im Zimmer umher und schrie: »Weh mir, ich Narr des Glücks!«  »Was ist? Was ist?« frug Hyazinth mit zitternder Stimme, und indem er krampfhaft das Kruzifix, woran er wieder putzte, in zitternden Händen hielt — »Werden wir diese Nacht überfallen?« 

»Was ist Ihnen, Herr Markese?« frug ich, ebenfalls nicht wenig erstaunt.

»Lest! lest!« -- rief Gumpelino, indem er uns das empfangene Billett hinwarf, und immer noch verzweif- lungsvoll im Zimmer umherrannte, wobei sein blauer Domino ihn wie eine Sturm wölke umflatterte — »Weh mir, ich Narr des Glücks!« 

In dem Billette aber lasen wir folgende Worte:

»Süßer Gumpelino! Sobald es tagt, muß ich nach England abreisen. Mein Schwager ist indessen schon vorangeeilt und erwartet mich in Florenz. Ich bin jetzt unbeobachtet, aber leider nur diese einzige Nacht — Laß uns diese benutzen, laß uns den Nek^ tarkelch, den uns die Liebe kredenzt, bis auf den letzten Tropfen leeren. Ich harre, ich zittere —

Julia Maxfield.«  »Weh mir, ich Narr des Glücks!« jammerte Gum- pelino — »die Liebe will mir ihren Nektarkelch kre* denzen, und ich, ach ! ich Hansnarr des Glücks, ich habe schon den Becher des Glaubensalzes geleert! Werbringt mir den sdirecklichen Trank wieder aus dem Magen? Hülfe! Hülfe!« 


374 Rcisebilder III

»Hier kann kein irdisdier Lebensmenscfi mehr helfen,«  seufzte Hyazinth.

»Idh bedauere Sie von ganzem Herzen«, kondolierte ich ebenfalls. »Statt eines Keldis mit Nektar ein Glas mit Glaubersalz zu genießen, das ist bitter! Statt des Thrones der Liebe harrt Ihrer jetzt der Stuhl der Nadit!« 

»O Jesus! O Jesus!« — sdirie der Markese nodi immer — »Idi fühle, wie es durdi alle meine Adern rinnt — O wad^erer Apotheker! dein Trank wirkt sdinell — aber idi lasse midi dodi nidit dadurdi ab^ halten, idi will zu ihr eilen, zu ihren Füßen will idi niedersinken, und da verbluten!« 

»Von Blut ist gar nidit die Rede« ^ begütigte Hya^ zinth — »Sie haben ja keine Homeriden, Sein Sie nur nidit leidensdiaftlidi --« 

»Nein, nein! idi will zu ihr hin, in ihren Armen — o Nadit! o Nadit — « 

»Idi sage Ihnen« — fuhr Hyazinth fort mit philo^ sophisdier Gelassenheit — »Sie werden in ihren Armen keine Ruhe haben, Sie werden zwanzigmal aufstehen müssen. Sein Sie nur nidit leidensdiaftlidi. Je mehr Sie im Zimmer auf- und abspringen und je mehr Sie sidi alterieren, desto sdineller wirkt das Glaubensalz. Ihr Gemüt spielt der Natur in die Hände, Sie müssen wie ein Mann tragen, was das Sdiid^sal über Sie be^ sdilossen hat. Daß es so gekommen ist, ist vielleidit gut, und es ist vielleidit gut, daß es so gekommen ist. Der Mensdi ist ein irdisdies Wesen und begreift nidit die Fügung der Göttlidikeit, Der Mensdi meint oft, er ginge seinem Glüd^ entgegen, und auf seinem Wege steht vielleidit das Unglüd mit einem Stod, und wenn ein bürgerlidier Stod^ auf einen adeligen Rüd^en kommt, so fühlts der Mensdi, Herr Markese.« 


Italien. Die Bäder von Lucca 375

»Weh mir, idi Narr des Glücks!« tobte nodi immer Gumpelino, sein Diener aber spradi ruhig weiter:

»Der Mensch erwartet oft einen Kelch mit Nektar, und er kriegt eine Prügelsuppe, und ist auch Nektar süß, so sind doch Prügel desto bitterer,- und es ist noch ein wahres Glück, daß der Mensch, der den andern prügelt, am Ende müde wird, sonst könnte es der andere wahrhaftig niciit aushalten. Gefährlicher ist aber nodi, wenn das Unglück mit Doldi und Gift, auf dem Wege der Liebe, dem Mensdien auflauert, so daß er seines Lebens nicht sidier ist. Vielleidit, Herr Markese, ist es wirklich gut, daß es so gekommen ist, denn viel^ leicht wären Sie in der Hitze der Liebe zu der Ge- liebten hingelaufen, und auf dem Wege wäre ein kleiner Italiener mit einem Dolch, der sechs brabanter Ellen lang ist, auf Sie losgerannt, und hätte Sie -- ich will meinen Mund nicht zum Bösen auftun -- bloß in die Wade gestochen. Denn hier kann man nicht, wie in Hamburg, gleich die Wache rufen, und in den Apen- ninen gibt es keine Nachtwächter. Oder vielleicht gar«  — fuhr der unerbittliche Tröster fort, ohne durch die Verzweiflung des Markese sich im mindesten stören zu lassen -- »vielleicht gar, wenn Sie bei Lady Max- field ganz wohl und warm säßen, käme plötzlich der Schwager von der Reise zurück und setzte Ihnen die geladene Pistole auf die Brust, und ließe Sie einen Wechsel unterschreiben von hunderttausend Mark. Ich will meinen Mund nicht zum Bösen auftun, aber ich setze den Fall: Sie wären ein schöner Mensch, und Lady Maxfield wäre in Verzweiflung, daß sie den schönen Menschen verlieren soll, und eifersüchtig, wie die Weiber sind, wollte sie nicht, daß eine andre sich nachher an Ihnen beglücke '— Was tut sie? Sie nimmt eine Zitrone oder eine Orange, und schüttet ein klein


376 Reisebilder III

weiß Pülverdien hinein, und sagt: ,KühIe didi, Gelieb- ter, du hast didi heiß gelaufen* ^ und den andern Morgen sind Sie wirklidi ein kühler Mensdi. Da war ein Mann , der hieß Pieper und der hatte eine Leiden^ sdiaftsliebe mit einer Mäddienperson, die das Posaunen- engelhanndien hieß, und die wohnte auf der Kaffe^ madierei und der Mann wohnte in derFuhlentwiete—« 

»Idi wollte, Hirsdi« — sdirie wütend der Markese, dessen Unruhe den hödisten Grad erreidit hatte — »idi wollt, dein Pieper von der Fuhlentwiete und sein Posaunenengel von der Kaffemadierei, und du und die Gudel, Ihr hättet mein Glaubensalz im Leibe!« 

»Was wollen Sie von mir, Herr Gumpel?« — ver- setzte Hyazinth, nidit ohne Anflug von Hitze ^ »Was kann idi dafür, daß Lady Maxfield just heut Nadit abreisen will und Sie just heute invitiert? Könnt idi das voraus wissen? Bin idi Aristoteles? Bin idi bei der Vorsehung angestellt? Idi habe bloß versprodien, daß das Pulver wirken soll, und es wirkt so sidier, wie idi einst selig werde, und wenn Sie so disparat und leiden- sdiaftlidi mit soldier Raserei hin und her laufen, so wird es nodi sdineller wirken — « 

y^^o will idi midi ruhig hinsetzen!« ädizte Gumpe^ lino, stampfte den Boden, warf sidi ingrimmig aufs Sofa, unterdrüd^te gewaltsam seine Wut und Herr und Diener sahen sidi lange sdiweigend an, bis jener endlidi nadi einem tiefen Seufzer und fast kleinlaut ihn anredete :

»Aber Hirsdi, was soll die Frau von mir denken, wenn idi nidit komme? Sie wartet j.etzt auf midi, sie harrt sogar, sie zittert, sie glüht vor Liebe ^« 

»Sie hat einen sdiönen Fuß« — spradi Hyazinth in sidi hinein und sdiüttelte wehmütig sein Köpflein. In seiner Brust aber sdiien es sidi gewaltig zu bewegen.


Italien. Die Bäder von Lucca 377

unter seinem roten Rocke arbeitete sichtbar ein kühner Gedanke —

»Herr Gumpel« —' sprach es endlich aus ihm hervor — »Schicken Sie mich!« 

Bei diesen Worten zog eine hohe Röte über das bläßliche Geschäftsgesicht.

Kapitel X

Als Candide nach Eldorado kam, sah er auf der Straße mehrere Buben, die mit großen Goldklumpen statt mit Steinen spielten. Dieser Luxus machte ihn glauben, es seien das Kinder des Königs, und er war nicht wenig verwundert, als er vernahm, daß in Eldo^ rado die Goldklumpen eben so wertlos sind, wie bei uns die Kieselsteine, und daß die Schulknaben damit spielen. Einem meiner Freunde, einem Ausländer, ist etwas Ähnliches begegnet, als er nach Deutschland kam und zuerst deutsche Bücher las, und über den Ge- dankenreichtum, welchen er darin fand, sehr erstaunte,- bald aber merkte er, daß Gedanken in Deutschland so häufig sind, wie Goldklumpen in Eldorado, und daß jene Schriftsteller, die er für Geistesprinzen gehalten, nur gewöhnliche Schulknaben waren.

Diese Geschichte kommt mir immer in den Sinn, wenn ich im Begriff stehe, die schönsten Reflexionen über Kunst und Leben niederzuschreiben, und dann lache ich und behalte lieber meine Gedanken in der Feder, oder kritzele statt dieser irgend ein Bild oder Figürchen auf das Papier, und überrede mich, solche Tapeten seien in Deutschland, dem geistigen Eldorado, weit brauchbarer als die goldigsten Gedanken.

Auf der Tapete, die ich Dir jetzt zeige, lieber Leser, siehst Du wieder die wohlbekannten Gesichter Gum-


378 Reisebilder III

pelinos und seines Hirsch>=^Hyazinthos, und wenn audi jener mit minder bestimmten Zügen dargestellt ist, so hoffe idi dodi. Du wirst sdiarfsinnig genug sein, einen Negationsdiarakter ohne allzu positive Bezeidinungen zu begreifen. Letztere könnten mir einen Injurienpro- zeß zu Wege bringen, oder gar nodi bedenklidiere Dinge. Denn der Markese ist mächtig durdi Geld und Verbindungen. Dabei ist er der natürlidie Alliierte meiner Feinde, er unterstützt sie mit Subsidien, er ist Aristokrat, Ultra^Papist, nur etwas fehlte ihm nodi ^ je nun, audi das wird er sidi sdion anlehren lassen — er hat das Lehrbudi dazu in den Händen, wie Du auf der Tapete sehen wirst.

Es ist wieder Abend, auf dem Tisdie stehen zwei Armleuditer mit brennenden Wadiskerzen, ihr Sdiim= mer spielt über die goldenen Rahmen der Heiligenbil- der, die, an der Wand hängend, durdi das flad^ernde Lidit und die beweglidien Sdiatten zu leben sdieinen. Draußen, vor dem Fenster, stehen im silbernen Mond^ sdiein, unheimlidi bewegungslos, die düstern Zypressen, und in der Ferne ertönt ein trübes Marienlieddien in abgebrodienen Lauten und wie von einer kranken Kinderstimme. Es herrsdit eine eigene Sdiwüle im Zimmer, der Markese Christophoro di Gumpelino sitzt, oder vielmehr liegt wieder, nadilässig vornehm, auf den Kissen des Sofas, der edle sdiwitzende Leib ist wieder mit dem dünnen, blauseidenen Domino bekleidet, in den Händen hält er ein Budi, das in rotes Saffianpapier mit Goldsdinitt gebunden ist, und deklamiert daraus laut und sdimaditend. Sein Auge hat dabei einen ge- wissen klebrigten Lustre, wie er verliebten Katern eigen zu sein pflegt, und seine Wangen, sogar die beiden Seitenflügel der Nase, sind etwas leidend blaß. Jedodi, lieber Leser, diese Blässe ließe sidi wohl philosophisdi


Italien, Die Bäder von Lucca 379

anthropologisdi erklären, wenn man bedenkt, daß der Markese den Abend vorher ein ganzes Glas Glauber^ salz versdiluda hat,

IJ Hirsdi^Hyazinthos aber kauert am Boden des Zim^ mers, und mit einem großen Stüdc weißer Kreide zeidinet er auf das braune Estridi, in großem Maß^ Stabe ungefähr folgende Charaktere:


Dieses Gesdiäft sdieint dem kleinen Manne ziemlidi sauer zu werden,- keudiend bei dem jedesmaligen Bücken, murmeh er verdrießlidi : Spondeus, Trodiäus, Jambus, Antispaß, Anapäst und die Pest! Dazu hat er, um der bequemeren Bewegung willen, den roten Oberrod^ abgelegt, und zum Vorsdiein kommen zwei kurze, de- mütige Beindien in engen Sdiarladihosen, und zwei etwas längere abgemagerte Arme in weißen, sdilottern^ den Hemdärmeln.

»Was sind das für sonderbare Figuren?« frugidi ihn, als idi diesem Treiben eine Weile zugesehen.

»Das sind Füße in Lebensgröße«, ädizte er zur Ant- wort, »und idi geplagter Mann muß diese Füße im Kopf behalten, und meine Hände tun mir sdion weh von all den Füßen , die idi jetzt aufsdireiben muß. Es sind die wahren editen Füße von der Poesie. Wenn idi es nidit meiner Bildung wegen täte, so ließe idi die Poesie laufen mit allen ihren Füßen, Idi habe jetzt bei dem Herrn Markese Privatunterridit in der Poesiekunst. Der Herr Markese liest mir die Gedidite vor, und expliziert mir, aus wie viel Füßen sie bestehen, und idi muß sie no- tieren und dann nadiredinen, ob das Gediditriditigist.« 


380 Reisebilder III

»Sie treffen uns« ^ spradi der Markese didaktisch pathetisdien Tones — »wirklidi in einer poetisdien Be^ sdiäftigung. Idi weiß wohl, Doktor, Sie gehören zu den Diditern, die einen eigensinnigen Kopf haben, und nidit einsehen, daß die Füße in der Diditkunst die Hauptsadie sind. Ein gebildetes Gemüt wird aber nur durdi die gebildete Form angesprodien, diese können wir nur von den Griedien lernen und von neueren Diditern, die griediisdi streben, griediisdi denken, grie^ diisdi fühlen, und in soldier Weise ihre Gefühle an den Mann bringen.« 

»Versteht sidi an den Mann, nidit an die Frau, wie ein unkiassisdier romantisdier Diditer zu tun pflegt«  ^ bemerkte meine Wenigkeit.

»Herr Gumpel spridit zuweilen wie ein Budi«, flü^ Sterte mir Hyazinth von der Seite zu, preßte die sdima* len Lippen zusammen, bÜnzehe mit stolz vergnügten Äuglein und sdiüttelte das wunderstaunende Häuptlein. »Idi sage Ihnen« -- setzte er etwas lauter hinzu — »wie ein Budi spridit er zuweilen, er ist dann so zu sagen kein Mensdi mehr, sondern ein höheres Wesen, und idi werde dann wie dumm, je mehr idi ihn an^ höre.« 

»Und was haben Sie denn jetzt in den Händen?«  frug idi den Markese.

»Brillanten!« antwortete er und überreidite mir das Budi.

Bei dem Wort »Brillanten« sprang Hyazinth in die Höhe/ dodi als er nur ein Buch sah, lächeke er mit^ leidigen Bhcks. Dieses brillante Buch aber hatte auf dem Vorderblatte folgenden Titel:

»Gedidite von August Grafen von Platen,- Stuttgart und Tübingen. Verlag der }. G. Cottaschen Buch^ handlung. 1828.« 


Italien, Die Bäder von Lucca 381

Auf dem Hinterblatte stand zierlidi gesdirieben: »Ge^ sdienk warmer brüderlidier Freundsdiaft. « Dabei rodi das Budi nadi jenem seltsamen Parfüm, der mit Bau de Cologne nidit die mindeste Verwandtsdiaft hat, und vielieidit audi dem Umstände beizumessen war, daß der Markese die ganze Nadit darin gelesen hatte.

»Idi habe die ganze Nadit kein Auge zutun kön^ nen« — klagte er mir — »idi war so sehr bewegt, idi mußte eilfmal aus dem Bette steigen, und zum Glüdc hatte idi dabei diese vortrefflidie Lektüre, woraus idi nidit bloß Belehrung für die Poesie, sondern audi Trost für das Leben gesdiöpft habe, Sie sehen, wie sehr idi das Budi geehrt, es fehlt kein einziges Blatt, und dodi, wenn idi so saß, wie idi saß, kam idi mandimal in Versudiung ^« 

»Das wird mehreren passiert sein, Herr Mar^ kese.« 

»Idi sdiwöre Ihnen bei unserer lieben Frau von Loretto und so wahr idi ein ehrlidier Mann bin« — fuhr jener fort — »diese Gedidite haben nidit ihres Gleidien, Idi war, wie Sie wissen, gestern Abend in Verzweiflung, so zu sagen, au desespoir, als das Fatum mir nidit vergönnte, meine Julia zu besitzen ^ da las idi diese Gedidite, jedesmal ein Gedidit wenn idi auf* stehen mußte, und eine soldie Gleidigültigkeit gegen die Weiber war die Folge, daß mir mein eigener Liebes^ sdimerz zuwider wurde. Das ist eben das Sdiöne an diesem Diditer, daß er nur für Männer glüht, in warmer Freundsdiaft,- er gibt uns den Vorzug vor dem weiblidien Gesdiledite, und sdion für diese Ehre sollten wir ihm dankbar sein. Er ist darin größer als alle andern Diditer, er sdimeidielt nidit dem gewöhn^ lidien Gesdimad^ des großen Haufens, er heilt uns von unserer Passion für die Weiber, die uns so viel Un-


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glück zuzieht ^ O Weiber! Weiber! wer uns von Euren Fesseln befreit, der ist ein Wohltäter der Mensch* heit. Es ist ewig Sdiade, daß Shakespear sein emi-^ nentes theatralisdies Talent nidit dazu benutzt hat, denn er soll, wie idi hier zuerst lese, nidit minder groß- herzig gefühlt haben als der große Graf Platen, der in seinen Sonetten von Shakespear sagt:

Nidit Mäddienlaunen störten deinen Sdilummer, Dodi stets um Freundsdiaft sehn wir warm didi

ringen : Dein Freund errettet didi aus Weibersdilingen, Und seine Sdiönheit ist dein Ruhm und Kummer.«  Während der Markese diese Worte mit warmem Gefühl deklamierte, und der glatte Mist ihm gleidisam auf der Zunge sdimolz, sdinitt Hyazinth die wider* sprediendsten Gesiditer, zugleidi verdrießlidi und bei- fällig, und endlidi spradi er:

»Herr Markese, Sie spredien wie ein Budi, audi die Verse gehen Ihnen wieder so leidit ab wie diese Nadit, aber ihr Inhalt will mir nidit gefallen. Als Mann fühle idi midi gesdimeidielt, daß der Graf Platen uns den Vorzug gibt vor den Weibern, und als Freund von den Weibern bin idi wieder ein Gegner von soldi einem Manne. So ist der Mensdi! Der eine ißt gern Zwiebeln, der andere hat mehr Gefühl für warme Freundsdiaft, und idi, als ehrlidier Mann, muß auf* riditig gestehen, idi esse gern Zwiebeln, und eine sdiiefe Ködiin ist mir lieber als der sdiönste Sdiönheitsfreund. Ja, idi muß gestehen, idi sehe nidit so viel Sdiönes am männlidien Gesdiledit, daß man sidi darin verlieben sollte.« 

Diese letzteren Worte spradi Hyazinth, während er sidi musternd im Spiegel betraditete, der Markese aber ließ sidi nidit stören und deklamierte weiter:


Italien, Die Bäder von Lucca 383

»Der Hoffnung Sdiaumgebäude bridit zusammen. Wir mühn uns, adh! und kommen nidit zusammen: Mein Name klingt aus deinem Mund melodisdi, Dodi reihst du selten dies Gedidit zusammen,- Wie Sonn und Mond uns stets getrennt zu halten, Versdiworen Sitte sidi und Pflidit zusammen. Laß Haupt an Haupt uns lehnen, denn es taugen Dein dunkles Haar, mein hell Gesidit zusammen! Dodi adi! idi träume, denn du ziehst von hinnen. Eh nodi das Glüd^ uns bradite didit zusammen: Die Seelen bluten, da getrennt die Leiber, O wärens Blumen, die man flidit zusammen!«  »Eine komisdie Poesie!« -^ rief Hyazinth, der die Reime nadimurmelte — »Sitte sidi und Pflidit zusam* men, Gesidit zusammen, didit zusammen, flidit zusam^ men! komisdie Poesie! Mein Sdi wager, wenn er Ge* didite liest, madit oft den Spaß, daß er am Ende jeder Zeile die Worte ,von vorn* und ,von hinten* abwedi- selnd hinzusetzt/ und idi habe nie gewußt, daß die Poesiegedidite, die dadurdi entstehen, Ghaselen heißen. Idi muß einmal die Probe madien, ob das Gedidit, das der Herr Markese deklamiert hat, nidit nodi sdiöner wird, wenn man nadi dem Wort »zusammen* jedesmal, mit Abwedislung ,von vorn* und ,von hinten* setzt,- die Poesie davon wird gewiß zwanzig Prozent stärker.« 

Ohne auf dieses Gesdiwätz zu aditen, fuhr der Markese fort im Deklamieren von Ghaselen und So= netten, worin der Liebende seinen Sdiönheitsfreund besingt, ihn preist, sidi über ihn beklagt, ihn des Kalt^ Sinns besdiuldigt, Pläne sdimiedet, um zu ihm zu ge* langen, mit ihm äugelt, eifersüditelt, sdimäditelt, eine ganze Skala von Zärdidikeiten durdiliebelt, und zwar so warmselig, betastungssüditig und anledtend, daß man glauben sollte, der Verfasser sei ein manntolles Mägd^


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lein — Nur müßte es dann einigermaßen befremden, daß dieses Mägdlein beständig jammert, ihre Liebe sei gegen die »Sitte«, daß sie gegen »diese trennende Sitte«  so bitter gestimmt ist, wie ein Tasdiendieb gegen die Polizei, daß sie liebend »die Lende« des Freundes um^ sdilingen mödite, daß sie sidi über »Neider« beklagt, »die sidi scblau vereinen, um uns zu hindern und ge^ trennt zu halten«, daß sie über verletzende Kränkun^ gen klagt von Seiten des Freundes, daß sie ihm ver^ sidiert, sie wolle ihn nur flüditig erblid^en, ihm beteuert, »Nidit eine Silbe soll dein Ohr erstrecken !« und end= lidi gesteht:

»Mein Wunsdi bei andern zeugte Widerstreben, Du hast ihn nidit erhört, dodi abgesdilagen Hast du ihn audi nidit, o mein süßes Leben!«  Idi muß dem Markese das Zeugnis erteilen, daß er diese Gedidite gut vortrug, hinlänglidi dabei seufzte, ädizte und auf dem Sofa hin- und herrutsdiend gleidi^ sam mit dem Gesäße kokettierte. Hyazinth versäumte keineswegs, immer die Reime nadizuplappern, wenn er audi ungehörige Bemerkungen dazwisdien sdiwätzte. Den Oden sdienkte er die meiste Aufmerksamkeit. »Man kann bei dieser Sorte«, sagte er, »weit mehr lernen als bei Saunetten und Ghaselen,- da bei den Oden die Füße oben ganz besonders abgedrud^t sind, kann man jedes Gedidit mit Bequemlidikeit nadiredinen. Jeder Diditer sollte, wie der Graf Platen, bei seinen sdiwierigsten Poesiegediditen, die Füße oben drud^en und zu den Leuten sagen: ,Seht, idi bin ein ehrlidier Mann, idi will Eudi nidit betrügen, diese krummen und geraden Stridie, die idi vor jedes Gedidit setze, sind so zu sagen ein Conto finto von jedem Gedidit, und Ihr könnt nadiredinen, wie viel Mühe es midi gekostet, sie sind, so zu sagen, das Ellenmaß von jedem Ge-


Italien, Die Bäder von Lucca 385

dichte, und Ihr könnt nadimessen, und fehlt daran eine einzige Silbe, so sollt Ihr midi einen Spitzbuben nennen, so wahr idi ein ehrlidier Mann bin.* Aber eben durdi diese ehrlidie Miene kann das PubHkum betrogen wer^ den. Eben wenn die Füße vor dem Gedidite ange«  geben sind, denkt man: idi will kein mißtrauisdier Mensdi sein, wozu soll idi dem Manne nadizählen, er ist gewiß ein ehrlidier Mann und man zählt nidit nadi und wird betrogen. Und kann man immer nadi- redinen? Wir sind jetzt in Italien und da habe idi Zeit, die Füße mit Kreide auf die Erde zu sdireiben und jede Ode zu kollationieren. Aber in Hamburg, wo idi mein Gesdiäft habe, fehlt mir die Zeit dazu, und idi müßte dem Grafen Platen ungezählt trauen, wie man traut bei den Geldbeuteln von der Courantkasse, wor- auf gesdirieben steht, wie viel Hundert Taler darin enthahen -- sie gehen versiegek von Hand zu Hand, jeder traut dem andern, daß so viel darin enthahen ist, wie darauf steht, und es gibt dodi Beispiele, daß ein Müßiggänger, der nidit viel zu tun hatte, so einen Beutel geöffnet und nadigezähh und ein paar Taler zu wenig darin gefunden hat. So kann audi in der Poesie viel Spitzbüberei vorfallen. Besonders wenn idi an Geldbeutel denke, werde idi mißtrauisdi. Denn mein Sdi wager hat mir erzählt: im Zudithaus zu Odensee sitzt — ein gewisser jemand, der bei der Post angestelk war, und die Geldbeutel, die durdi seine Hände gin* gen, unehrhdi geöffnet und unehrHdi Geld herausge- nommen, und sie wieder künstlidi zugenäht und weiter gesdiid^t hat. Hört man von soldier Gesdiid^hdikeit, so verliert man das mensdiHdie Zutrauen und wird , ein mißtrauisdier Mensdi. Es gibt jetzt viel Spitzbüberei in der Weh, und es ist gewiß in der Poesie wie in je* dem anderen Gesdiäft.

IV, 25


386 Reisebilder III

»Die Ehrlidikeit« -^ fuhr Hyazinth fort, während der Markese weiter deklamierte, ohne unserer zu aditen, ganz versunken in Gefühl — »die Ehrlidikeit, Herr Doktor, ist die Hauptsadie, und wer kein ehrlidier Mann ist, den betradite idi wie einen Spitzbuben, und wen idi wie einen Spitzbuben betradite, von dem kaufe idi nidits, von dem lese idi nidits, kurz idi madie kein Gesdiäft mit ihm. Idi bin ein Mann, Herr Doktor, der sidi auf nidits etwas einbildet, wenn idi mir aber etwas einbilden wollte auf etwas, so würde idi mir etwas dar^ auf einbilden, daß idi ein ehrlidier Mann bin, Idi will Ihnen einen edlen Zug von mir erzählen, und Sie wer- den staunen — idi sag Ihnen, Sie werden staunen, so wahr idi ein ehrlidier Mann bin. Da wohnt ein Mann in Hamburg auf dem Speersort, und der ist ein Krauts krämer und heißt Klötzdien, das heißt, idi heiße den Mann Klötzdien, weil wir gute Freunde sind, sonst heißt der Mann Herr Klotz. Audi seine Frau muß man Madam Klotz nennen, und sie hat nie leiden können, daß ihr Mann bei mir spielte, und wenn ihr Mann bei mir spielen wollte, so durfte idi mit dem Lotterielos nidit zu ihm ins Haus kommen, und er sagte mir immer auf der Straße: die und die Nummer will idi bei dir spielen und hier hast du das Geld, Hirsdi ! Und idi sagte dann: gut, Klötzdien! Und kam idi nadi Hause, so legte idi die Nummer kouvertiert für ihn aparte, und sdirieb auf das Kouvert mit deutsdien Budistaben : für Redinung des Herrn Christian Hinridi Klotz. Und nun hören Sie und staunen Sie: Es war ein sdiöner Frühlingstag, und die Bäume an der Börse waren grün, und die Zephyrlüfte waren angenehm, und die Sonne glänzte am Himmel, und idi stand an der Hamburger Bank. Da kommt Klötzdien, mein Klötzdien, und hat am Arm seine did^e Madam Klotz,


Italien, Die Bäder von Lucca 387

und grüßt mich zuerst, und spridit von der Frühlings^ pradit Gottes, madit audi einige patriotisdie Bemer- kungen über das Bürgermilitär, und er fragt midi, wie die Gesdiäfte gehen, und idi erzähle ihm, daß vor einigen Stunden wieder einer am Pranger gestanden, und so im Gesprädi sagt er mir: gestern Nadit habe idi geträumt, Nummero 1538 wird als das große Los herauskommen — und in demselben Moment, während Madam Klotz die Kaiserstatisten vor dem Rathaus betraditet, drüdit er mir dreizehn vollwiditige Stüd^ Louisdor in die Hand — idi meine idi fühle sie nodi jetzt ^ und ehe Madam Klotz sidi wieder herumdreht, sag idi: gut Klötzdien! und gehe weg. Und idi gehe directement, ohne midi umzusehen, nadi der Haupte kollekte und hole mir Nummero 1538, und kouvertiere sie sobald idi nadi Hause komme, und sdireibe auf das Kouvert : für Redinung des Herrn Christian Hinridi Klotz. Und was tut Gott? Vierzehn Tage nadiher, um meine Ehrlidikeit auf die Probe zu stellen, läßt er Nummero 1538 herauskommen mit einem Gewinn von 50,000 Mark. Was tut aber Hirsdi, derselbe Hirsdi, der jetzt vor Ihnen steht? Dieser Hirsdi zieht 'ein reines weißes Oberhemddien und ein reines weißes Halstudi an und nimmt sidi eine Drosdike und holt sidi bei der Hauptkollekte seine 50,000 Mark und fährt damit nadi dem Speersort — Und wie midi Klötzdien sieht, fragt er: Hirsdi, warum bist du heut so geputzt? Idi aber antworte kein Wort, und setze einen großen Über- rasdiungsbeutel mit Gold auf den Tisdi, und rede ganz feierlidi: Herr Christian Hinridi Klotz! die Nummero 1538, die Sie so gütig waren bei mir zu bestellen, hat das Glüd^ gehabt, 50,000 Mark zu gewinnen, in diesem Beutel habe idi die Ehre Ihnen das Geld zu präsen^ tieren, und idi bin so frei mir eine Quittung auszu^


388 Rcisebilder III

bitten! Wie Klötzchen das hört, fängt er an zu weinen, wie Madam Klotz die Gesdiidite hört, fängt sie an zu weinen, die rote Magd weint, der krumme Laden^ diener weint, die Kinder weinen, und idi? ein Rührungs-^ mensdi, wie idi bin, konnte idi dodi nidit weinen, und fiel erst in Ohnmadit, und erst nadiher kamen mir die Tränen aus den Augen wie ein Wasserbadi, und idi weinte drei Stunden.« 

Die Stimme des kleinen Mensdien bebte als er dieses erzählte, und feierlidi zog er ein sdion erwähntes Päd^= dien aus der Tasdie, wid^elte davon den sdion ver^ blidienen Rosataffet, und zeigte mir den Sdiein, worin Christian Hinridi Klotz den riditigen Empfang der 50,000 Mark quittierte, »Wenn idi sterbe« — spradi Hyazinth, eine Träne im Auge — »soll man mir diese Quittung mit ins Grab legen, und wenn idi einst dort oben, am Tage des Geridits, Rediensdiaft geben muß von meinen Taten, dann werde idi mit dieser Quit^ tung in der Hand vor den Stuhl der Allmadit treten, und wenn mein böser Engel die bösen Handlungen, die idi auf dieser Welt begangen habe, vorgelesen, und mein guter Engel audi die Liste von meinen guten Handlungen ablesen will, dann sag idi ruhig: Sdiweig! ^ idi will nur wissen, ist diese Quittung riditig? ist das die Handsdirift von Christian Hinridi Klotz? Dann kommt ein ganz kleiner Engel herangeflogen, und sagt, er kenne ganz genau Klötzdiens Handsdirift, und er erzählt zugleidi die merkwürdige Gesdiidite von der Ehrlidikeit, die idi mal begangen habe. Der Sdiöpfer der Ewigkeit aber, der Allwissende der alles weiß, erinnert sidi an diese Gesdiidite, und er lobt midi in Gegenwart von Sonne, Mond und Sternen, und be^ redinet gleidi im Kopf, daß wenn meine bösen Hand* lungen von 50,000 Mark Ehrlidikeit abgezogen werden.


Italien. Die Bäder von Lucca 389

mir noch ein Saldo zu Gut kommt, und er sagt dann : Hirsdi ! idi ernenne didi zum Engel erster Klasse, und du darfst Flügel tragen mit rot und weißen Federn.« 

Kapitel XI

Wer ist denn der Graf Platen, den wir im vorigen Kapitel als Diditer und warmen Freund kennen lernten? Adi, lieber Leser, diese Frage las idi sdion lange auf Deinem Gesidite, und nur zaudernd gehe ich an die Beantwortung. Das ist ja eben das Mißgesdiick deut- sdier Sdiriftsteller, daß sie jeden guten oder bösen Narrn, den sie aufs Tapet bringen, erst durdi trockne Charakterschilderung und Personalbeschreibung bekannt machen müssen, damitman erstens wisse, daß er existiert, und zweitens den Ort kenne, wo die Geißel ihn trifft, ob unten oder oben, vorn oder hinten. Anders war es bei den Alten, anders ist es noch jetzt bei neueren Völkern, z, B, den Engländern und Franzosen, die ein Volksleben, und daher public characters haben. Wir Deutschen aber, wir haben zwar ein ganzes när- risches Volk, aber wenig ausgezeichnete Narren, die bekannt genug wären, um sie als allgemein verstand* liehe Charaktere in Prosa oder Versen gebrauchen zu können. Die wenigen Männer dieser Art, die wir be- sitzen, haben wirklich Recht, wenn sie sich wichtig machen. Sie sind von unschätzbarem Werte und zu den höchsten Ansprüchen berechtigt. So z, B. der Herr Geheimrat Schmalz, Professor der Berliner Universität, ist ein Mann, der nicht mit Geld zu bezahlen ist,- ein humoristischer Schriftsteller kann ihn nicht entbehren, und er selbst fühlt diese persönliche Wichtigkeit und Unent- behrlichkeit in so hohem Grade, daß er jede Gelegenheit ergreift, um humoristischen Schriftstellern Stoff zur Satire


390 Rcisebllder III

zu geben, daß er Tag und Nadit grübelt, wie er sidi als Staatsmann, Serviiist, Dekan, Antihegelianer und Patriot lädierlidi madien kann, und somit die Literatur, für die er sidi gleidisam aufopfert, tatkräftig zu befördern. Den deutsdien Universitäten muß man überhaupt nadi- rühmen, daß sie den deutsdien Sdiriftsteller, mehr als jede andere Zunft, mit allerlei Narren versorgen, und besonders Göttingen habe idi immer in |dieser Hinsidit zu sdiätzen gewußt. Dies ist audi der geheime Grund, weshalb idi midi für die Erhaltung der Universitäten erkläre, obgleidi idi stets Gewerbefreiheit und Ver- niditung des Zunftwesens gepredigt habe. Bei soldiem fühlbaren Mangel an ausgezeidineten Narren, kann man mir nidit genug danken, wenn idi neue aufs Tapet bringe und allgemein braudibar madie. Zum Besten der Literatur will idi daher jetzt vom Grafen August von Platen-Hallermünde etwas ausführlidier reden. Idi will dazu beitragen, daß er zwed^mäßig bekannt, und gewissermaßen berühmt werde, idi will ihn lite^ rarisdi gleidisam herausfüttern, wie die Irokesen tun mit den Gefangenen, die sie bei späteren Festmahlen ver^ speisen wollen, Idi werde ganz treu ehrlidi verfahren und überaus höflidi, wie es einem Bürgerlidien ziemt, idi werde das Materielle, das sogenannt Persönlidie, nur in so weit berühren, als sidi geistige Ersdieinungen dadurdi erklären lassen, und idi werde immer ganz genau den Standpunkt, von wo aus idi ihn sah, und sogar mandimal die Brille, wodurdi idi ihn sah, angeben.

Der Standpunkt, von wo idi den Grafen Platen zuerst gewahrte, war Mündien, der Sdiauplatz seiner Bestrebungen, wo er, bei allen, die ihn kennen, sehr berühmt ist, und wo er gewiß, so lange er lebt, un* sterblidi sein wird. Die Brille, wodurdi idi ihn sah, gehörte einigen Insassen Mündiens, die über seine


Italien. Die Bäder von Lucca 391

äußere Erscheinung dann und wann, in heiteren Stun^

den, ein heiteres Wort hinwarfen, Idi habe ihn selbst

nie gesehen, und wenn idi mir seine Person denken

will, erinnere idi midi immer an die drollige Wut,

womit einmal mein Freund, der Doktor Lautenbadier,

über Poetennarrheit im Allgemeinen loszog, und insbe^

sondere eines Grafen Platen erwähnte, der, mit einem

Lorbeerkranze auf dem Kopfe, sidi auf der öffentlidien

Promenade zu Erlangen den Spaziergängern in den

Weg stellte und, mit der bebrillten Nase gen Himmel

starrend, in poetisdier Begeisterung zu sein vorgab.

Andere haben besser von dem armen Grafen ge^

sprodien, und beklagten nur seine besdiränkten Mittel,

die ihn, bei seinem Ehrgeiz, sidi wenigstens als ein

Diditer auszuzeidinen, über die Gebühr zum Fleiße

nötigten, und sie lobten besonders seine Zuvorkom^

menheit gegen Jüngere, bei denen er die Besdieidenheit

selbst gewesen sei, indem er mit der liebreidisten De*

mut ihre Erlaubnis erbeten, dann und wann zu ihnen

aufs Zimmer kommen zu dürfen, und sogar die Gut*

mütigkeit so weit getrieben habe, immer wieder zu

kommen, selbst wenn man ihn die Lästigkeit seiner

Visiten aufs deudidiste merken lassen. Dergleidien

Erzählungen haben midi gewissermaßen gerührt, ob*

gleidi idi diesen Mangel an Personalbeifall sehr natür*

lidi fand. Vergebens klagte oft der Graf:

— »Deine blonde Jugend, süßer Knabe,

Versdimäht den melandiolisdien Genossen.

So will in Sdierz idi midi ergehn, in Possen,

Anstatt idi jetzt midi bloß an Tränen labe.

Und um der Fröhlidikeit mir fremde Gabe

Hab idi den Himmel anzuflehn besdilossen.« 

Vergebens versidierte der arme Graf, daß er einst der

berühmteste Diditer werde, daß sdion der Sdiatten


392 Reisebilder III

eines Lorbeerblattes auf seiner Stirne sichtbar sei, daß er seine süßen Knaben ebenfalls unsterblidi madien könne, durdi unvergänglidie Gedidite, Adi! eben diese Zelebrität war keinem lieb, und in der Tat, sie war keine beneidenswerte. Idi erinnere midi nodi, mit wel- diem unterdrückten Lädieln ein Kandidat soldier Ze- lebrität von einigen lustigen Freunden, unter den Ar- kaden zu München, betraditet wurde. Ein scharfsiditiger Bösewidit meinte sogar, er sähe zwisdien den Rod^^ Schößen desselben den Sdiatten eines Lorbeerblattes. Was midi betrifft, lieber Leser, so bin ich nidit so bos^ haft, wie Du denkst, idi bemitleide den armen Grafen, wenn ihn andere verhöhnen, ich zweifle, daß er sich an der verhaßten »Sitte« tätlich gerädit habe, obgleidi er in seinen Liedern schmaditet, sidi solcher Rache hin^ zugeben,- ich glaube vielmehr an die verletzenden Kränkungen, beleidigenden Zurüdisetzungen und Ab- weisungen, wovon er selbst so rührend singt. Idi bin überzeugt, er betrug sidi gegen die Sitten überhaupt weit löblicher, als ihm selber lieb war, und er kann vielleicht, wie General Tilly, von sidi rühmen : Ich war nie berauscht, idi habe nie ein Weib berührt und habe nie eine Sdilacht verloren. Deshalb gewiß sagt von ihm der Diditer:

»Du bist ein nüditerner, modester Junge.«  Der arme Junge, oder vielmehr der arme alte Junge — ' denn er hatte sdion einige Lustren hinter sich — hockte damals, wenn idi nicht irre, auf der Universität in Erlangen, wo man ihm einige Beschäftigung ange^ . wiesen hatte,- dodi da diese seinem hochstrebenden Geiste nidit genügte, da mit den Lustren auch die Lüsternheit nach illustrer Lust ihn mehr und mehr stachelte, und der Graf von seiner künftigen Herrlich* keit täglich mehr und mehr begeistert wurde, gab er


Italien, Die Bäder von Lucca 393

jedes Gescfiäft auf, und besdiloß, von der Sdiriftstellerei, von gelegentlidien Gaben von oben und einigen son- stigen Verdiensten zu leben. Die Grafsdiaft des Grafen liegt nämlidi im Monde, von wo er, wegen der sdilediten Kommunikation mit Bayern, nadi Gruithuisens Beredi^ nung, erst in 20,000 Jahren, wenn der Mond dieser Erde näher kommt, seine Ungeheuern Revenuen beziehen kann. Sdion früher hatte Don Platen de CoIIibrados HaU lermünde, bei Brod^haus in Leipzig, eine Gedidite- sammlung mit einer Vorrede, betitelt: »Lyrisdie Blätter Nummer 1« herausgegeben, die freiHdi nidit bekannt wurde, obgleidi, wie er uns versidiert, die sieben Weisen dem Verfasser ihr Lob gespendet. Später gab er, nadi Tiecksdiem Muster, einige dramatisierte Märdien und Erzählungen heraus, die ebenfalls das Glüd^ hatten, daß sie der unweisen großen Menge unbekannt blieben, und nur von den sieben Weisen gelesen wurden. In- dessen um, außer den sieben Weisen, nodi einige Leser zu gewinnen, legte sidi der Graf auf Polemik und sdirieb eine Satire gegen berühmte Sdiriftsteller, vor* nehmlidi gegen Müllner, der damals sdion allgemein gehaßt und moralisdi verniditet war, so daß der Graf eben zur rediten Zeit kam, um dem toten Hofrat Örin^ dur nodi einen Hauptstidi, nidit ins Haupt, sondern, nadi Fallstaffsdier Weise, in die Wade zu versetzen. Der Widerwille- gegen Müllner hatte jedes edle Herz erfüllt/ der Mensdi ist überhaupt sdiwadi,- die Polemik des Grafen mißfiel daher nidit, und »die Verhängnis* volle Gabel« fand hie und da eine bereitwillige Auf* nähme, nidit beim großen Publikum, sondern bei Lite* ratoren und bei den eigentlidien Sdiulleuten, bei letz* tern hauptsädilidi weil jene Satire nidit mehr dem romantisÄen Tiedi, sondern dem klassisdien Aristo* phanes nadigeahmt war.


394 Refscbildcr III

Ich glaube, es war um diese Zeit, daß der Herr Graf nadi Italien reiste/ er zweifelte nidit mehr, von seiner Poesie leben zu können, Cotta hatte die gewöhnlidie prosaisdie Ehre, für Redinung der Poesie das Geld herzugeben/ denn die Poesie, die Himmelstoditer, die Hodigeborene, hat selbst nie Geld und wendet sidi, bei soldiem Bedürfnis, immer an Cotta. Der Graf versi- fizierte jetzt Tag und Nadit, er blieb nidit bei dem Vorbilde Tied^s und des Aristophanes, sondern er ahmte audi den Goethe nadi im Liede, dann den Horaz in der Ode, dann den Petrardia in Sonetten, dann den Diditer Hafis in persisdien Ghaselen — kurz er gab uns soldiermaßen eine Blumenlese der besten Diditer und zugleidi seine eigenen lyrisdien Blätter unter dem Titel: »Gedidite des Grafen Platen etc.« 

Niemand in Deutsdiland ist gegen poetisdie Erzeug- nisse billiger als idi, und idi gönne einem armen Men- sdien, wie Platen, sein Stüddien Ruhm, das er im Sdiweiße seines Angesidits so sauer erwirbt, gewiß herzlidi gern. Keiner ist mehr geneigt, als idi, seine Bestrebungen zu rühmen, seinen Fleiß und seine Be-^ lesenheit in der Poesie zu loben, und seine silben^ mäßigen Verdienste anzuerkennen. Meine eignen Ver^ sudie befähigen midi, mehr als jeden andern, die me= trisdien Verdienste des Grafen zu würdigen. Die bittere Mühe, die unsäglidie Beharrlidikeit, das winternädit^ lidie Zähneklappern, die ingrimmigen Anstrengungen, womit er seine Verse ausgearbeitet, entded^t unser einer weit eher als der gewöhnlidie Leser, der die Glätte, Zierlidikeit und Politur jener Verse des Grafen für etwas Leidites hält, und sidi an der glatten Wort* Spielerei gedankenlos ergötzt, wie man sidi bei Kunst* Springern, die auf dem Seile balancieren, über Eier tanzen und sidi auf den Kopf stellen, ebenfalls einige


Italien. Die Bäder von Lucca 395

Stunden amüsiert, ohne zu bedenken, daß jene armen Wesen, nur durdi jahrelangen Zwang und grausames Hungerleiden, soldie Gelenkigkeitskünste, soldie Metrik des Leibes erlernt haben. Idi, der idi midi in der Didit- kunst nidit so sehr geplagt, und sie immer in Verbin- dung 'mit gutem Essen ausgeübt habe, idi will den Grafen Platen, dem es saurer und nüditerner dabei er- gangen, um so mehr preisen, idi will von ihm rühmen, daß kein Seiltänzer in Europa so gut wie er auf sdilaf- fen Ghaselen balanciert, daß keiner den Eiertanz über

so gut exekutiert wie er, daß keiner sidi so gut wie er auf den Kopf stellt. Wenn ihm audi die Musen nidit hold sind, so hat er dodi den Genius der Spradie in seiner Gewalt, oder vielmehr er weiß ihm Gewalt an- zutun,- — denn die freie Liebe dieses Genius fehlt ihm, er muß audi diesem Jungen beharrlidi nadilaufen, und er weiß nur die äußeren Formen zu erfassen, die trotz ihrer sdiönen Rundung sidi nie edel ausspredien. Nie sind tiefe Naturlaute, wie wir sie im Volksliede, bei Kindern und anderen Diditern finden, aus der Seele eines Platen hervorgebrodien oder ofFenbarungsmäßig hervorgeblüht/ den beängstigenden Zwang, den er sidi antun muß, um etwas zu sagen, nennt er eine »große Tat in Worten« — so gänzlidi unbekannt mit dem Wesen der Poesie, weiß er nidit einmal, daß das Wort nur bei dem Rhetor eine Tat ist, bei dem wahren Diditer aber ein Ereignis, Ungleidi dem wahren Diditer, ist die Spradie nie Meister geworden in ihm, er ist da* gegen Meister geworden in der Spradie oder vielmehr auf der Spradie, wie ein Virtuose auf einem Instru* mente. Je weiter er es soldierart im Tedinisdien bradite, desto größere Meinung bekam er von seiner Virtuo*


396 Rciscbilde'r III

sität/ er wußte ja in allen Weisen zu spielen, er ver* sifizierte ja die sdiwierigsten Passagen, er diditete, so zu sagen, mandimal nur auf der G^Saite, und ärgerte sidi, wenn das Publikum nidit klatsdite. Wie alle Vir^ tuosen, die soldi einsaitiges Talent ausgebildet, strebte er nur nadi Applaudissement, sah er mit Ingrimm auf den Ruhm anderer, beneidete er seine Kollegen um ihren Gewinst, wie z. B. den Clauren, sdirieb er gleidi fünfaktige Pasquille, wenn er nur eine einzige Xenie des Tadels auf sidi beziehen konnte, kontrollierte er alle Rezensionen, worin andere gelobt wurden, und sdirie er beständig : idi werde nidit genug gelobt, nidit genug belohnt, denn Idi bin der Poet, der Poet der Poeten usw. So hungerig und ledizend nadi Lob und Spenden zeigte sidi nie ein wahrer Diditer, niemals Klop^ stod^, niemals Goethe, zu deren Drittem der Graf Platen sidi selbst ernennt, obgleidi jeder einsieht, daß er nur mit Ramler und etwa A. W. v. Sdilegel ein Triumvirat bildet. Der große Ramler, wie man ihn zu seiner Zeit hieß, als er, zwar ohne Lorbeerkranz auf dem Haupte, aber mit desto größerem Zopf und Haar^ beutel, das Auge gen Himmel gehoben und den steif- leinenen Regensdiirm unterm Arm, im Berliner Tier- garten skandierend wandelte, hielt sidi damals für den Repräsentanten der Poesie auf Erden. Seine Verse waren die vollendetesten in deutsdier Spradie, und seine Verehrer, worunter sogar ein Lessing sidi ver^ irrte, meinten, weiter könne man es in der Poesie nidit bringen. Fast dasselbe war späterhin der Fall bei A. W. V. Sdilegel, dessen poetisdie Unzulänglidikeit aber sidit- bar wird, seitdem die Spradie weiter ausgebildet wor-^ den, so daß sogar diejenigen, die einst den Sänger des »Arion« für einen gleidi fallsigen Arion gehalten, jetzt nur nodi den verdienstlidien Sdiullehrer in ihm sehen.


Italien. Die Bäder von Lucca 397

Ob aber der Graf Platen schon befugt ist, über den sonst rühmenswerten Schlegel zu lachen, wie dieser einst über Ramler lachte, das weiß ich nicht. Aber das weiß ich, in der Poesie sind alle drei sich gleich, und wenn der Graf Platen noch so hübsch in den Ghaselen seine schaukelnden Balancierkünste treibt, wenn er in seinen Oden noch so vortrefflich den Eiertanz exeku^ tiert, ja, wenn er, in seinen Lustspielen, sidi auf den Kopf stellt — so ist er doch kein Dichter. Er ist kein Dichter, sagt sogar die undankbare männliche Jugend, die er so zärtlich besingt. Er ist kein Dichter, sagen die Frauen, die vielleicht -- ich muß es zu seinem Besten andeuten — hier nicht ganz unparteiisch sind, undvieU leicht wegen der Hingebung, die sie bei ihm entdecken, etwas Eifersucht empfinden, oder gar durch die Ten^ denz seiner Gedichte ihre bisherige vorteilhafte Stellung in der Gesellschaft: gefährdet glauben. Strenge Kritiker, die mit scharfen Brillen versehen sind, stimmen ein in dieses Urteil, oder äußern sich noch lakonisdi bedenk- licher. »Was finden Sie in den Gedichten des Grafen von Platen^Hallermünde?« frug ich jüngst einen solchen Mann. »Sitzfleisdi!« war die Antwort. »Sie meinen in Hinsicht der mühsamen, ausgearbeiteten Form?« ent^ gegnete ich. »Nein«, erwiderte jener, »Sitzfleisch audi in Betreff des Inhalts.« 

Was nun den Inhalt der Platenschen Gedichte be- trifft, so möchte ich den armen Grafen dafür zwar nicht loben, aber ihn auch nicht unbedingt der Censorischen Wut Preis geben, womit unsere Catonen davon spre^ chen oder gar schweigen. Chacun ä son goüt, dem einen gefällt der Ochs, dem andren Wasischtas Kuh, Ich tadele sogar den furchtbaren rhadamantischen Ernst womit über jenen Inhalt der Platenschen Gedichte in den Berliner »Jahrbüchern für wissensdiaftlidie Kritik« 


398 Reisebildcr III

gerichtet worden. Aber so sind die Mensdien, es wird ihnen sehr leidit, in Eifer zu geraten, wenn sie über Sünden spredien, die ihnen kein Vergnügen madien würden. Im Morgenblatte las idi kürzlidi einen Auf- satz, übersdirieben : »Aus dem Journal eines Lesers«, worin der Graf Platen gegen soldie strenge Tadler seiner Freundsdiaftsliebe mit jener Besdieidenheit sidi ausspridit, die er nie zu verleugnen weiß, und woran man ihn audi hier erkennt. Wenn er sagt, daß »das Hegelsdie Wodienblatt« ihn eines geheimen Lasters mit »lädierlichem Pathos« besdiuldige, so will er, wie leidit zu erraten ist, nur der Rüge anderer Leute zu^ vorkommen, deren Gesinnung er durdi dritte Hand erforsdien lassen. Indessen, man hat ihm sdiledit be^ riditet, idi werde mir nie in dieser Hinsidit einen Pathos zu Sdiulden kommen lassen, der edle Graf ist mir viel- mehr eine ergötzlidie Ersdieinung, und in seiner er- laubten Liebhaberei sehe idi nur etwas Unzeitgemäßes, nur die zaghaft versdiämte Parodie eines antiken Über* muts. Das ist es ja eben, jene Liebhaberei war im Altern tum nidit in Widersprudi mit den Sitten, und gab sidi kund mit heroisdier Öffentlidikeit. Als z, B. der Kaiser Nero, auf Sdiiffen, die mit Gold und Elfenbein aus* gelegt waren, ein Gastmahl hielt, das einige Millionen kostete, ließ er sidi mit einem aus dem Jünglingsserail, Namens Pythagoras, feierlidi einsegnen, <cuncta denique spectata quae etiam in femina nox operit) und sted^te nadiher mit der Hodizeitsfad^el die Stadt Rom in Brand, um bei den prasselnden Flammen desto besser den Untergang Trojas besingen zu können. Das war nodi ein Ghaselendiditer, über den idi mit Pathos spredien könnte,- dodi nur lädieln kann idi über den neuen Py thagoräer, der im heutigen Rom, die Pfade der Freund* sdiaft dürftig und nüditern und ängstlidi dahinsdiieidit.


Italien. Die Bäder von Lucca 399

mit seinem hellen Gesidite von liebloser Jugend ab* gewiesen wird, und nadiher bei kümmerlichem Öllämp* dien sein Gliaseldien ausseufzt. Interessant in soldier Hinsidit ist die Vergleidiung der Platensdien Gedidit* dien mit dem Petron. Bei diesem ist sdiroffe, antike, plastisdi heidnisdie Offenheit/ Graf Platen hingegen, trotz seinem Podien auf Klassizität, behandelt seinen Gegenstand vielmehr romantisdi, versdileiernd, sehn* süditig, pfäffisdi, — idi muß hinzusetzen: heudilerisdi. Denn der Graf vermummt sidi mandimal in fromme Gefühle, er vermeidet die genaueren Gesdileditsbezeidi* nungen,- nur die Eingeweihten sollen klar sehen,- gegen den großen Haufen glaubt er sidi genugsam versted^t zu haben, wenn er das Wort Freund mandimal aus* läßt, und es geht ihm dann wie dem Vogel Strauß, der sidi hinlänglidi verborgen glaubt, wenn er den Kopf in den Sand gested^t, so daß nur der Steiß siditbar bleibt. Unser erlauditer Vogel hätte besser getan, wenn er den Steiß in den Sand versted^t und uns den Kopf gezeigt hätte. In der Tat, er ist mehr ein Mann von Steiß als ein Mann von Kopf, der Name Mann überhaupt paßt nidit für ihn, seine Liebe hat einen passiv pythagoräisdien Charakter, er ist in seinen Ge* diditen ein Pathikos, er ist ein Weib, und zwar ein Weib, das sidi an gleidi Weibisdiem ergötzt, er ist gleidi- sam eine männlidie Tribade, Diese ängstlidi sdimieg- same Natur dud^t durdi alle seine Liebesgedidite, er findet immer einen neuen Sdiönheitsfreund, überall in diesen Gediditen sehen wir Polyandrie, und wenn er audi sentimentalisiert:

»Du liebst und sdiweigst — O hätt idi audi ge*

sdiwiegen.

Und meine Blid^e nur an didi versdiwendet!

O hätt idi nie ein Wort dir zugewendet.


400 Rciscbilder III

So müßt idi keinen Kränkungen erliegen! Dodi diese Liebe mödit idi nie besiegen. Und weh dem Tag, an dem sie frostig endet! Sie ward aus jenen Räumen uns gesendet. Wo selig Engel sidi an Engel sdimiegen ^«  so denken wir dodi gleidi an die Engel, die zu Loth, dem Sohne Harans, kamen und nur mit Not und Mühe den zärtlidisten Ansdimiegungen entgingen, wie wir lesen im Pentateudi , wo leider die Ghaselen und So^ nette nidit mitgeteilt sind, die damals vor Loths Türe ge^ diditet wurden. Überall in den Platensdien Gediditen sehen wir den Vogel Strauß, der nur den Kopf ver- birgt, den eiteln ohnmäditigen Vogel, der das sdiönste Gefieder hat und dodi nidit fliegen kann, und zänkisdi humpelt über die polemisdie Sandwüste der Litera^ tur. Mit seinen sdiönen Federn ohne Sdiwungkraft, mit seinen sdiönen Versen ohne poetisdien Flug, h'iU det er den Gegensatz zu jenem Adler des Gesanges, der minder glänzende Flügel hat, aber sidi damit zur Sonne erhebt — idi muß wieder auf den Refrain zu- rüd^kommen : der Graf Platen ist kein Diditer.

Von einem Diditer verlangt man zwei Dinge,- in seinen lyrisdien Gediditen müssen Naturlaute, in sei^ nen episdien oder dramatisdien Gediditen müssen Ge= stalten sein. Kann er sidi in dieser Hinsidit nidit le^ gitimieren, so wird ihm der Diditertitel abgesprodien, selbst wenn seine übrigen Familienpapiere und Adels- diplome in der größten Ordnung sind. Daß letzteres bei dem Grafen Platen der Fall sein mag, daran zweifle idi nidit, und idi bin überzeugt, er würde mitleidig heiter lädieln, wenn man seinen Grafentitel verdäditig madien wollte,- aber wagt es nur, über seinen Diditer* titel mit einer einzigen Xenie den geringsten Zweifel zu verraten — gleidi wird er sidi ingrimmig niedersetzen


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und fünfaktige Satiren gegen Eudi drucken. Denn die Mensdien halten um so eifriger auf einen Titel, je zwei* deutiger und ungewisser der Titulus ist, der sie dazu bereditigt. Vielleidit aber würde der Graf Platen ein Diditer sein, wenn er in einer anderen Zeit lebte, und wenn er außerdem audi ein anderer wäre, als er jetzt ist. Der Mangel an Naturlauten in den Gediditen des Grafen rührt vielleidit daher, daß er in einer Zeit lebt, wo er seine wahren Gefühle nidit nennen darf, wo dieselbe Sitte, die seiner Liebe immer feindlidi ent* gegensteht, ihm sogar verbietet, seine Klage darüber un verhüllt auszuspredien, wo er jede Empfindung angst* lidi Verkappen muß, um so wenig das Ohr des Publi- kums, als das eines »spröden Sdiönen« durdi eine einzige Silbe zu ersdirecken. Diese Angst läßt bei ihm keine eignen Naturlaute aufkommen, sie verdammt ihn, die Gefühle anderer Diditer, gleidisam als untadelhaften, vorgefundenen Stoff, metrisdi zu bearbeiten, und nöti* genfalls zur Vermummung seiner eigenen Gefühle zu gebraudien, Unredit gesdiieht ihm vielleidit, wenn man, soldie unglüddidie Lage verkennend, behauptet hat, daß Graf Platen audi in der Poesie sidi als Graf zeigen und auf Adel halten wolle, und uns daher nur Gefühle von bekannter Familie, Gefühle, diesdion ihre 64 Ahnen haben, vorführe. Lebte er in der Zeit des römisdien Pythagoras, so würde er vielleidit seine eigenen Ge- fühle freier hervortreten lassen und er würde vielleidit für einen Diditer gelten. Es würden dann wenigstens die Naturlaute in seinen lyrisdien Gediditen nidit ver* mißt werden — dodi der Mangel an Gestalten in seinen Dramen würde nodi immer bleiben, so lange sidi nidit audi seine sinnlidie Natur veränderte, und er gleidi* sam ein anderer würde. Die Gestalten, die idi meine, sind nämlidi jene selbständigen Gesdiöpfe, die aus dem

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schaffenden Diditergeiste, wie Pallas Athene aus dem Haupte Kronions, vollendet und gerüstet hervortreten, lebendige Traumwesen, deren mystisdie Geburt, mehr als man glaubt, in wundersam bedingender Beziehung steht mit der sinnlidien Natur des Diditers, so daß soldies geistige Gebären demjenigen versagt ist, der selbst nur, als ein unfruditbares Gesdiöpf, sidi ghaselig hingibt in windiger Weidiheit.

Indessen, das sind Privatmeinungen eines Diditers, und ihr Gewidit hängt davon ab, wie weit man an die Kompetenz desselben glauben will. Idi kann nidit um^ hin zu erwähnen, daß der Graf Platen gar oft dem Pu^ blikum versidiert, daß er erst späterhin das Bedeutendste diditen werde, wovon man jetzt nodi keine Ahnung habe, ja, daß er Iliaden und Odysseen, Klassizitäts- tragödien und sonstige Unsterblidikeitskolossalgedidite erst dann sdireiben werde, wenn er sidi nadi so und so viel Lustren gehörig vorbereitet habe. Du hast, lieber Leser, diese Ergießungen des Selbstbewußtseins, in mühsam gefeilten Versen vielleidit selbst gelesen, und das Verspredien soldier sdiönen Zukunft war Dir vielleidit um so erfreulidier, als der Graf zu gleidier Zeit alle Diditer Deutsdilands , außer dem ganz alten Goethe, wie einen Sdiwarm sdilediter Sudler gesdiildert, die ihm nur im Wege stehen auf der Bahn des Ruhmes, und die so unversdiämt seien, jene Lorbeeren und Be* lohnungen zu pflüd^en, die nur ihm gebührten.

Was idi in Mündien darüber spredien hörte, will idi übergehen,- aber, der Chronologie wegen, muß idi an^ führen, daß zu jener Zeit der König von Bayern die Ab^ sidit ausspradi, irgend einem deutsdien Diditer ein Jahr^ gehalt zu erteilen, ohne damit ein Amt zu verbinden, weldies ungewöhnlidie Beispiel für die ganze deutsdie Li* teratur von sdiöner Folge sein konnte. Man sagte mir —


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Dodi idi will mein Thema nicht verlassen, ich spradi von den Prahlereien des Grafen Platen, der beständig rief: »Idi bin der Poet, der Poet der Poeten! idi werde Iliaden und Odysseen diditen usw.« Idi weiß nidit, was das Publikum von soldien Prahlereien hält, aber ganz ge* nau weiß idi, was ein Diditer davon denkt, nämlidi ein wahrer Diditer, der die versdiämte Süßigkeit und die ge^ heimenSdiauer der Poesie sdion empfunden hat, und von der Seligkeit dieser Empfindungen, wie ein glüd^Iidier Page, der die verborgene Gunst einer Prinzessin genießt, gewiß nidit auf öffentlidiem Markte prahlen wird.

Man hat sdion öfter den Grafen Platen, wegen sol* dier Prahlhansereien, weidlidi gehänselt und er wußte immer, wie Fallstaff, sidi zu entsdiuldigen. Bei soldien Entsdiuldigungen kommt ihm ein Talent zu Statten, das außerordendidi in seiner Art ist, und das eine be- sondere Anerkennung verdient. Der Graf Platen weiß nämlidi von jedem Fled^en, der in seiner eignen Brust ist, audi bei irgend einem großen Manne eine Spur, und sei sie nodi so klein, zu entdedcen, und sidi wegen soldier Wahlfled^enverwandtsdiaft mit ihm zu verglei- dien, Z. B, von Shakespears Sonetten weiß er, daß sie an einen jungen Mann und nidit an ein Weib ge^ riditet sind, und ob soldier verständigen Wahl preist er Shakespear, vergleidit sidi mit ihm — und das ist das einzige, was er von ihm zu sagen hat. Man könnte negativ eine Apologie des Grafen Platen sdireiben, und behaupten, daß er sidi die und die Verirrung nodi nidit zu Sdiulden kommen lassen, weil er sidi mit dem oder dem großen Manne, dem sie nadigeredet worden, nodi nidit verglidien habe. Am genialsten aber und bewunderungswürdigsten zeigte er sidi in der Wahl des Mannes, in dessen Leben er unbesdieidene Reden entded^t, und durdi dessen Beispiel er seine eigene


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Prahlerei beschönigen will. Wahrlidi, zu einem solchen Zwed^e sind die Worte dieses Mannes nodi nie zitiert worden ^ denn es ist kein Geringerer als Jesus Christus selbst, der uns bisher immer für ein Muster der Demut und Besciieidenheit gegolten, Christus hätte jemals ge- prahlt? der bescheidenste der Mensdien, um so beschei- dener, als er der göttlidiste war? Ja, was bisher allen Theologen entgangen ist, das entdeckte der Graf Platen, denn er insinuiert uns : Christus, als er vor Pilatus ge^ standen, sei ebenfalls nicbt bescheiden gewesen, und habe nicbt besciieiden geantwortet, sondern als jener ihn frug, bist du der König der Juden? habe er ge- sprodien : du sagst es. Und so sage auch er, der Graf Platen: »Idi bin es, idi bin der Poet!« — Was nie dem Hasse eines Veräcbters Christi gelungen ist, das gelang der Exegese selbstverliebter Eitelkeit.

Wie wir wissen, was wir davon zu halten, wenn einer soldiermaßen beständig sdireit: »Idi bin der Poet!«  so wissen wir auch, was es für eine Bewandtnis hat mit den ganz außerordentlidien Gedichten, die der Graf, wenn er die gehörige Reife erlangt, noch dichten will, und die seine bisherigen Meisterstücke an Bedeutung so unerhört übertreffen sollen. Wir wissen ganz genau, daß die späteren Werke des wahren Dicbters keines^ wegs bedeutender sind als die früheren, eben so wenig wie ein Weib, je öfter sie gebärt, desto vollkommenere Kinder zur Welt bringt,- nein, das erste Kind ist schon eben so gut wie das zweite — nur das Gebären wird leiditer. Die Löwin wirft nicht erst ein Kanindien, dann ein Häsdien, dann ein Hündchen und endlicii einen Löwen, Madame Goethe warf gleicfi ihren jungen Leu, und dieser gab uns, im ersten Wurf, seinen Löwen von Berlichingen. Eben so warf audi Schiller gleidi seine Räuber, an deren Tatze man sdion die Löwenart er-


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kannte. Später kam erst die Politur, die Glätte, die Feile, die »Natürlidie Toditer« und die »Braut von Messina«. Nidit so begab es sidi mit dem Grafen Platen, der mit der ängstlidisten Künstelei anfing, und von dem der Diditer singt:

Du, der du sprangst so fertig aus dem Nidits, Geled^ten und lad^ierten Angesidits, Gleidist einer Spielerei, gesdinitzt aus Korke. Indessen, wenn idi meine geheimsten Gedanken ausspredien soll, so gestehe idi, daß idi den Grafen Platen für keinen so großen Narrn halte, wie man wegen jener Prahlsudit und beständigen Selbstbe^ räudierung glauben sollte. Ein bißdien Narrheit, das versteht sidi, gehört immer zur Poesie,- aber es wäre entsetzlidi, wenn die Natur eine so beträditlidie Por- tion Narrheit, die für hundert große Diditer hinreidien würde, einem einzigen Mensdien aufgebürdet, und von der Poesie selbst ihm nur eine so unbedeutend geringe Dosis gegeben hätte. Idi habe Gründe zu vermuten, daß der Herr Graf an seine eigne Prahlerei nidit glaubt, und daß er, dürftig im Leben wie in der Lite^ ratur, vielmehr für das Bedürfnis des Augenblid^s sein eigner anpreisender Ruffiano sein mußte, in der Lite^ tur wie im Leben. Daher in beiden die Ersdieinungen, von denen man sagen konnte, daß sie mehr ein psydiologi^ sdies als ästhetisdies Interesse gewährten, daher zu gleidier Zeit die weinerlidiste Seelenersdilaffung und der erlogene Übermut, daher das kläglidie Dünnetun mit baldigem Sterben, und das drohende Did^tun mit künf^ tiger Unsterblidikeit, daher der auflodernde Bettelstolz und die sdimaditende Untertänigkeit, daher das be^ ständige Klagen, »daß ihn Cotta verhungern lasse«, und wiederum Klagen, »daß ihn Cotta verhungern lasse«, daher die Anfälle von Katholizismus usw.


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Obs dem Grafen mit dem Katholizismus Ernst ist, daran zweifle idi. Ob er überhaupt katholisch gewor^ den ist, wie einige seiner hodigeborenen Freunde, das weiß idi nidit. Daß er es werden wolle, erfuhr idi zuerst aus öffentlidien Blättern, die sogar hinzufügten, der Graf Platen werde Möndi und ginge ins Kloster. Böse Zungen meinten, daß ihm das Gelübde der Ar- mut und die Enthaltung von Weibern nidit sdiwer fallen würde. Wie sidi von selbst versteht, in Mündien klangen, bei soldien Nadiriditen, die frommen Glöd^^ lein in den Herzen seiner Freunde. Mit Kyrie eleison und Hallelujah wurden seine Gedidite gepriesen in den Pfaffenblättern/ und in der Tat, die heiligen Männer des Zölibats mußten erfreut sein über jene Gedidite, wodurdi die Enthaltung vom weiblidien Gesdiledite befördert wird. Leider haben meine Gedidite eine an- dere Tendenz, und daß Pfaffen und Knabensänger nidit davon angesprodien werden, konnte midi zwar betrüben, aber nidit befremden. Eben so wenig be- fremdete es midi, als idi den Tag vor meiner Abreise nadi Italien von meinem Freunde dem Doktor Kolb vernahm, daß der Graf Platen sehr feindselig gegen midi gestimmt sei, und mir mein Verderben sdion be^ reitet habe in einem Lustspiele Namens »König Ödipus«, das bereits zu Augsburg bei einigen Fürsten und Grafen, deren Namen idi vergessen habe oder vergessen will, angelangt sei. Audi andere erzählten mir, daß midi der Graf Platen hasse und sidi mir als Feind entgegenstelle,- — und das war mir auf jeden Fall angenehmer, als hätte man mir nadigesagt : daß midi der Graf Platen als Freund hinter meinem Rüd^en liebe. Was die heiligen Männer betrifft, deren fromme Wut sidi zu gleidier Zeit gegen midi kund gab, und nidit bloß meiner antizölibatisdien Gedidite wegen, sondern audi


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wegen der »Politischen Annalen«, die idi damals heraus- gab, so konnte idi ebenfalls nur gewinnen, wenn man deudidi sah, daß idi keiner der Ihrigen sei. Wenn idi hiermit andeute, daß man nidits Gutes von ihnen sagt, so sage idi darum nodi nidits Böses von ihnen. Idi bin sogar der Meinung, daß sie, nur aus Liebe zum Guten, durdi frommen Betrug und gottgefällige Ver- leumdung das Wort der Bösen entkräftigen möditen, und daß sie diesen, nur für einen soldien edlen Zwed^, der jedes Mittel heiligt, nidit bloß die geistigen Lebens- quellen, sondern audi die materiellen zu versdiütten sudien. Man hat jene guten Leute, die sidi in Mündien sogar öfFendidi als Kongregation präsentierten, törig^ terweise mit dem Namen Jesuiten beehrt. Sie sind wahrlidi keine Jesuiten, sonst hätten sie eingesehen, daß z. B. idi, einer von den Bösen, sdilimmsten Falls die literarisdi aldiimistisdie Kunst verstehe, aus meinen Feinden selbst Dukaten zu sdilagen, dergestalt, daß idi dabei die Dukaten bekomme und meine Feinde die Sdiläge,- —' sie hätten eingesehen, daß soldie Sdiläge nidits von ihrem Gehalte verlieren, wenn man audi den Namen des Sdilagenden aviliert, wie der arme Sünder den Staupbesen nidit minder stark fühlt, ob- gleidi der Sdiarfriditer, der ihn erteilt, für unehrlidi erklärt wird,- — und, was die Hauptsadie ist, sie hätten eingesehen, daß etwas Vorliebe für den antiaristokra^ tisdien Voß und einige arglose Muttergotteswitze, wes^ halb sie midi zuerst mit Kot und Dummheit angriffen, nidit aus antikatholisdiem Eifer hervorgegangen. Wahr^ lidi, sie sind keine Jesuiten, sondern nur Misdilinge von Kot und Dummheit, die idi, eben so wenig wie eine Mistkarre und den Odisen der sie zieht, zu hassen ver- mag, und die mit allen ihren Anstrengungen nur das Gegenteil ihrer Absidit erreidien, und midi nur dahin


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bringen könnten : daß idi ihnen zeige wie sehr ich Pro^ testant bin, daß idi mein gutes protestantisdies Red>t, in seiner weitesten Ermäditigung ausübe, und die gute protestantisdie Streitaxt mit Herzenslust handhabe. Sie könnten dann immerhin, um den Plebs zu gewinnen, die alten Weiberlegenden von meiner Ungläubigkeit durdi ihren Leibpoeten in Verse bringen lassen — an den wohlbekannten Sdilägen sollten sie sdion den Glaubensgenossen eines Luthers, Lessings und Voß erkennen, Freilidi, idi würde nidit mit dem Ernste dieser Heroen die alte Axt sdiwingen —' denn der An- blid^ der Gegner bringt midi ieidit zum Ladien, und idi bin ein bißdien Eulenspiegeliger Natur und liebe eine Beimisdiung von Spaß — aber idi würde jenen Mistodisen nidit minder stark vor den Kopf sdilagen, wenn idi audi vorher mit ladienden Blumen meine Axt umkränzte.

Dodi idi will mein Thema nidit zu weit verlassen, Idi glaube, es war um jene Zeit, daß der König von Bayern, in sdion erwähnter Absidit, dem Grafen Platen ein Jahrgehalt von sedishundert Gulden gab, und zwar nidit aus der Staatskasse, sondern aus der königlidien Privatkasse, wie es sidi der Graf als besondere Gnade gewünsdit hatte. Letzteren Umstand, der die Kaste diarakterisiert, so geringfügig er audi ersdieint, erwähne idi nur als Notiz für den Naturforsdier, der vielleidit Beobaditungen über den Adel madit. In der Wissen^ sdiaft ist alles widitig. Wer mir vorwerfen mödite, daß idi den Grafen Platen zu widitig nehme, der gehe nadi Paris und sehe, wie sorgfältig der feine, zierlidie Cuvier, in seinen Vorlesungen, das unreinste Insekt mit dem genauesten Detail sdiildert. Es ist mir deshalb audi sogar Leid, daß idi das Datum jener 600 Gulden nidit genauer konstatieren kann,- so viel weiß idi aber.


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daß der Graf Platen den »König Ödipus« früher ver* fertigt hatte, und daß dieser nidit so bissig geworden wäre, wenn der Verfasser mehr zu beißen gehabt hätte.

In Norddeutschland, wohin midi plötzlidi der Tod meines Vaters zurüd^rief, erhielt idi endlidi das unge- heure Gesdiöpf, das dem großen Ei, worüber unser sdiöngefiederter Vogel Strauß so lange gebrütet, end- lidi entkrodien war, und das die Naditeulen der Kon- gregation mit frommem Gekrädize und die adeligen Pfauen mit freudigem Radsdilagen sdion lange im vor- aus begrüßt hatten. Es sollte nidits Minderes als ein verderblidier Basilisk sein. Kennst Du, lieber Leser, die Sage von dem Basilisk? Das Volk erzählt: wenn ein männlidier Vogel, wie ein Weib, ein Ei gelegt, so ent- stände daraus ein giftiges Gesdiöpf, dessen Haudi die Luft verpeste, und das man nur dadurdi töten könne, daß man ihm einen Spiegel vorhalte, indem es als^ dann über den Anblid^ seiner eigenen Sdieußlidikeit vor Sdired^en sterbe.

Heilige Sdimerzen, die idi nidit entweihen wollte, erlaubten es mir erst zwei Monat später, als idi auf der Insel Helgoland badete, den »König Ödipus« zu lesen, und dort, großgestimmt von dem beständigen Anblidc des großen, kühnen Meers, mußte mir die kleinlidie Gesinnung und die Altflid^erei des hodige^ borenen Verfassers redit ansdiaulidi werden. Jenes Meisterwerk zeigte mir ihn endlidi ganz wie er ist, mit all seiner blühenden Welkheit, seinem Überfluß an Geistesmangel, seiner Einbildung ohne Einbildungs- kraft, ganz wie er ist, forciert ohne Force, pikiert ohne pikant zu sein, eine trod^ne Wasserseele, ein trister Freudenjunge. Dieser Troubadour des Jammers, ge- sdiwädit an Leib und Seele, versudite es, den gewal-


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tigsten, phantasiereidisten und witzigsten Dichter der jugendlidien Griedienwelt nadizuahmen ! NiAts ist wahrlidi widerwärtiger als diese krampfhafte Ohnmadit, die sidi wie Kühnheit aufblasen mödite, diese mühsam zusammengetragenen Invektiven, denen der Sdiimmei des verjährten Grolls anklebt, und dieser silbenstedie^ risdi ängstlidi nadigeahmte Geistestaumel. Wie sidi von selbst versteht, zeigt sidi in des Grafen Werk keine Spur von einer tiefen Weltverniditungsidee, die jedem aristophanisdien Lustspiele zum Grunde Hegt, und die darin, wie ein phantastisdi ironisdier Zauberbaum, emporsdiießt mit blühendem Gedankensdimud^, singen^ den Naditigallnestern und kletternden Affen, Eine soldie Idee, mit dem Todesjubel und dem Zerstörungs- feuerwerk, das dazu gehört, durften wir freilidi von den armen Grafen nidit erwarten. Der Mittelpunkt, die erste und letzte Idee, Grund und Zwed^ seines sogenannten Lustspiels, besteht, wie bei der »verhänge nisvollen Gabel«, wieder in geringfügig literarisdien Händeln, der arme Graf konnte nur einige Äußerlidi- keiten des Aristophanes nadiahmen, nämlidi die feinen Verse und die groben Worte. Idi sage: grobe Worte, weil idi keinen gröbern Ausdrud^ braudien will. Wie ein keifendes Weib, gießt er ganze Blumentöpfe von Sdiimpfreden auf die Häupter der deutsdien Diditer. Idi will dem Grafen herzlidi gern seinen Groll ver^ zeihen, aber er hätte dodi einige Rüd^siditen beobaditen müssen. Er hätte wenigstens das Gesdiledit in uns ehren sollen, da wir keine Weiber sind, sondern Männer, und folglidi zu einem Gesdiledite gehören, das nadi seiner Meinung das sdiöne Gesdiledit ist, und das er so sehr liebt. Es bleibt dieses immer ein Mangel an Delikatesse, mandier Jüngling wird deshalb an seinen Huldigungen zweifeln, da jeder fühlt, daß der Wahr*


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haftliebende audh das ganze Gesdiledit verehrt. Der Sänger Frauenlob war gewiß nie grob gegen irgend ein Weib, und ein Platen sollte daher mehr Aditung zeigen gegen Männer. Aber der UndeÜkate! ohne Sdieu erzählt er dem Publikum : Wir Diditer in Nord- deutsdiland hätten alle die »Krätze, wofür wir leider eine Salbe brauditen, die als mephitisdi er vor vielen sdiätze«. Der Reim ist gut. Am unzartesten ist er gegen Immermann. Sdion im Anfang seines Gedidits läßt er diesen hinter einer spanisdien Wand Dinge tun, die idi nidit nennen darf, und die dennodi nicht zu widerlegen sind. Idi halte es sogar für wahrsdieinlidi, daß Immer- mann sdion soldie Dinge getan hat. Es ist aber diarakteristisdi, daß die Phantasie des Grafen Platen sogar seine Feinde a posteriori zu belausdien weiß. Er schonte nidht einmal Houwald, diese gute Seele, sanft wie ein Mädchen — ach, vielleicht eben dieser holden Weiblichkeit wegen haßt ihn ein Platen. Müll^ ner, den er, wie er sagt, schon längst »durch wirklichen Witz urkräftig erlegt«, dieser Tote wird wieder aus dem Grabe gescharrt. Kind und Kindeskind bleiben nicht unangetastet. Raupach ist ein Jude,

»Das Jüdchen Raupel —

Das jetzt als Raupach trägt so hodi die Nase«  »schmiert Tragödien im Katzenjammer«. Noch weit schlimmer ergeht es dem »getauften Heine«. Ja, ja. Du irrst dich niciit, lieber Leser, das bin Ich, den er meint, und im »König Ödipus« kannst Du lesen, wie icfi ein wahrer Jude bin, wie idi, wenn ich einige Stunden Liebeslieder geschrieben, gleich darauf mich niedersetze und Dukaten beschneide, wie ich am Sabbat mit langbärtigen Mau= schein zusammenhocke und den Talmud singe, wie ich in der Osternadit einen unmündigen Christen schlachte und aus Malice immer einen unglüddichen Schriftsteller


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dazu wähle — Nein, lieber Leser, idi will Didi nidit belügen, solcbe gute, ausgemalte Bilder stehen nidit im »König Ödipus«, und daß sie nidit darin stehen, das nur ist der Fehler, den idi tadele. Der Graf Platen hat zuweilen die besten Motive und weiß sie nidit zu be- nutzen. Hätte er nur ein bißdien mehr Phantasie, so würde er midi wenigstens als geheimen Pfänderver- leiher gesdiildert haben,- weldie komisdie Szenen hätten sidi dargeboten! Es tut mir in der Seele weh, wenn idi sehe, wie sidi der arme Graf jede Gelegenheit zu guten Witzen vorbeigehen lassen! Wie kostbar hätte er Raupadi benutzen können als Tragödien^Rothsdiild, bei dem die königlidien Bühnen ihre Anleihen madien. Den Ödipus selbst, die Hauptperson seines Lustspiels, hätte er, durdi einige Modifikationen in der Fabel des Stüdces, ebenfalls besser benutzen können. Statt daß er ihn den Vater Lajus töten, und die Mutter Jokaste heiraten ließ, hätte er es im Gegenteil so einriditen sollen, daß Ödipus seine Mutter tötet und seinen Vater heiratet. Das dramatisdie pDrastisdie in einem soldien Gedidite hätte einem Platen meisterhaft gelingen müssen, seine eigene Gefühlsriditung wäre ihm dabei zu Statten gekommen, er hätte mandimal, wie eine Naditigall, nur die Regungen der eignen Brust zu besingen ge* braudit, er hätte ein Stüd^ geliefert, das, wenn der ghaselige Iffland nodi lebte, gewiß in Berlin gleidi ein^ studiert worden wäre, und das man audi jetzt auf Privatbühnen geben würde. Idi kann mir nidits Vo\U endeteres denken als den Sdiauspieler Wurm in der Rolle eines soldien Ödipus. Er würde sidi selbst über- treffen. Dann finde idi es audi nidit politisdi vom Grafen, daß er in seinem Lustspiele versidiert, er habe »wirklidien Witz«, Oder arbeitet er vielleidit auf den Überrasdiungs^Effekt, auf den Theatercoup, daß da*


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durdi das Publikum beständig Witz erwarten, und dieser am Ende dodi nidit ersdieinen soll? Oder will er vieU mehr das Publikum aufmuntern, den Wirkl. Geh. Witz im Studie zu sudien, und das Ganze wäre nur ein Blinde- kuhspiel, wo der Platensdie Witz so sdilau ist, sidi nie ertappen zu lassen? Deshalb vielleidit ist audi das Public kum, das sonst bei Lustspielen zu ladien pflegt, bei der Lektüre des Platensdien Stücks so verdrießlidi, es kann den versteckten Witz nidit finden, vergebens piept der verstedte Witz, und piept immer lauter : hier bin idi ! hier bin idi wirklidi! — vergebens, das Publikum ist dumm und madit ein ernsthaftes Gesidit. Idi aber, der idi weiß wo der Witz sted^t, habe herzlidi geladit, als idi von dem »gräflidien, herrsdisüditigen Diditer« las, der sidi in einen aristokratisdien Nimbus hüllt, der von sidi rühmt, »daß jeder Haudi, der zwisdien seine Zähn€ komme, eine Zermalmung sei«, und der zu allen deut- sdien Diditern sagt:

»Ja, gleidiwie Nero, wünsdit idi eudi nur Ein

Gehirn,

Durdi einen einzigen Witzeshieb zu spalten es — «  Der Vers ist sdiledit. Der versted^te Witz aber besteht darin: daß der Graf eigen tlidi wünsdit, wir wären alle lauter Neronen und er, im Gegenteil, unser einziger lieber Freund Pythagoras.

Vielleidit würde idi zum Besten des Grafen nodi mandien anderen versted^ten Witz hervorloben, dodi da er mir in seinem »König Ödipus« das Liebste an- gegriffen — denn was könnte mir lieber sein als mein Christentum? -- so ist es mir nidit zu verdenken, wenn idi, mensdilidi gesinnt, den Ödipus, diese »große Tat in Worten«, minder ernstlidi als die früheren Tätigkeiten würdige.

Indessen, das wahre Verdienst hat immer seinen


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Lohn gefunden, und dem Verfasser des ödipus wird der seinige nidit entgehen, obgleidi er sidi audi hier, wie immer, nur dem Einfluß seiner adeligen und geist^ lidien Hintersassen hingab. Ja, es geht eine uralte Sage unter den Völkern des Orients und Okzidents, daß jede gute oder böse Tat ihre nädisten Folgen habe für den Täter. Und kommen wird der Tag, wo sie kommen -- madi Didi darauf gefaßt, Heber Leser, daß idi jetzt etwas in Pathos gerate und sdiauerlidi werde — kommen wird der Tag, wo sie dem Tartaros ent^ steigen, die furditbaren Töditer der Nadit, »die Eu^ meniden«. Beim Styx! — bei diesem Flusse sdiwören wir Götter niemals falsdi — kommen wird der Tag, wo sie ersdieinen, die dunkeln, urgerediten Sdiwestern, sie werden erscheinen mit sdilangengelod^ten , roter* zürnten Gesiditern, mit denselben Sdilangengeißeln, womit sie einst den Orestes gegeißelt, den unnatür- lidien Sünder, der die Mutter gemordet, die tyndari* disdie Klytämnestra. Vielleidit hört der Graf sdion jetzt die Sdilangen zisdien ^ Idi bitte Didi, lieber Leser, denk Dir jetzt die Wolfssdiludit und Samielmusik — Vielleidit erfaßt den Grafen sdion jetzt das geheime Sündergrauen, der Himmel verdüstert sidi, Naditge* vögel kreisdit, ferne Donner rollen, es blitzt, es riedit nach Kolophonium, Wehe! Wehe! die erlauchten Ahnen steigen aus den Gräbern, sie rufen noch drei bis vier* mal Wehe! Wehe! über den kläglichen Enkel, sie be* schwören ihn, ihre alten Eisenhosen anzuziehen, um sich zu schützen ,vor den entsetzlichen Ruten — denn die Eumeniden werden ihn damit zerfetzen, die Geißel* schlangen werden sich ironisch an ihm vergnügen, und wie der buhlerische König Rodrigo, als man ihn in den Schlangenturm gesperrt, wird auch der arme Graf am Ende wimmern und winseln:


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Ach! sie fressen, ach! sie fressen, Womit meistens ich gesündigt.

Entsetze Dich nicht, lieber Leser, es ist ja alles nur Scherz, Diese furciitbaren Eumeniden sind nidits als ein heiteres Lustspiel, das icii, nach einigen Lustren, unter diesem Titel schreiben werde, und die tragischen Verse, die Didi eben ersciiredkt, stehen in dem allere lustigsten Buche von der Welt, im »Don Quixote von la Manciia«, wo eine alte, anständige Hofdame sie in Gegenwart des ganzen Hofes rezitiert, Idi sehe. Du lächelst wieder. Laß uns heiter und lachend von einander Abschied nehmen. Wenn dieses letzte Kapitel etwas langweilig war, so lags nur an dem Gegenstände,- audi schrieb ich es mehr zum Nutzen als zur Lust, und wenn es mir gelungen ist, einen neuen Narrn auch für die Literatur brauchbar gemacht zu haben, wird mir das Vaterland Dank sdiuldig sein. Ich habe das Feld urbar gemacfit, worauf geistreidiere Schrift- steller säen und ernten werden. Das bescheidene Be^ wußtsein dieses Verdienstes ist mein schönster Lohn.

Für etwaige Könige, die mir dafür noch extra eine Tabatiere schicken wollen, bemerke ich, daß die Buch= handlung »Hoffmann und Campe in Hamburg« Ordre hat, dergleichen für mich in Empfang zu nehmen.

Geschrieben im Spätherbst des Jahres 1829.





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