Dialectical Materialism and Psychoanalysis  

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Dialectical Materialism and Psychoanalysis (Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse, 1929) is a text by Wilhelm Reich. It was published, both in German and in Russian in the bilingual communist theory journal Unter dem Banner des Marxismus.

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Full text of "Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse [Politisch-Psychologische Schriften der Sex-Pol Nr. 2]" .-^



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POLITISCH-PSYCHOLOGISCHE SCHRIFTENREIHE

DER SEX-POL.


NR. 2


WILHELM REICH


DIALEKTISCHER MATERIALISMUS ^UND PSYCHOANALYSE


19 3 4


VERLAG FÜR SEXUALPOUTIK, KOPENHAGEN, POSTBOX 827


n


Copyright 1934

Vorlag tut SexualporiUk

Kopenhagen



INTERNATIONAL

PSYCHOANALYTIC

UNIVERSITY

DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN


Druck: Universal Trykkariel. Kopenhagen


-■rt^rs^:.


Vorwort

zum Neuabdruck 1934

Das grosse Interesse für die vorliegende erste Zusammenfassung der Beziehungen zwischen, dialektisch em Materialismus und Psycho- analyse veranlasste den Verlag für Sexual pol itik, die Abhandlung, die 1927/1928 abgefasst wurde und 1929 in der Zeitschrift »Unter dem Banner des Marxismus« in russischer und deutscher Sprache er- schien, in Broschürenform herauszubringen. Sie liegt auch französisch übersetzt vor in »La crise sexuelle«, Paris, Edition Social. Int., 1933.

Vor die Frage gestellt, die Abhandlung durch Neubearbeitung auf das Niveau meiner heutigen Anschauungen zu bringen oder sie der Öffentlichkeit in ihrer damaligen Fassung neuerdings vorzulegen, entschied ich mich für das zweite. An Grundsätzlichem liabe ich nichts zu andern; wohl sind die Einsichten im Laufe dieser sechs Jahre beträchtlich erweitert, stellenweise auch korrigiert und präzisiert worden. Im ganzen aber ist die konkrete Bearbeitung des Gebietes der Sexualökonomie, das hier erschlossen wurde, noch durchaus im Flusse der Entwicklung und mit schwerer neuer Problematik belastet. Ich zog es daher vor, zunächst die Abhandlung in ihrer allen Form herauszugeben und nur durch ergänzende Fussnotcn*) anzuzeigen, welche Stellen anderwärts ausgearbeitet wurden, welche der Korrektur bedurften und wo sich mittlerweile neue Probleme und Lösungen ergaben. Die Abhandlung bleibt also nur die orientierende Einführung in die Psychoanalyse vom marxistischen Standpunkt aus. Eine ausführliche Angabe der seither erfolgten Publikationen wird den Leser hoffentlich befähigen, in meinen Schriften die Ergänzungen bzw. grundlegenden Darstellungen aufzusuchen.

Ich kann korrekterweise nicht länger verhehlen, dass alle Be- teiligten sich von den hier dargelegten Zusammenhängen distanzierten. 4

Freud lehnte die Beziehungen von Marxismus und Psychoanalyse I

grundsätzlich ab und bezeichnete die beiden Disziplinen als einander konträr. Den. gleichen Standpunkt beziehen die offiziellen Vertreter


') diese sind mit (1934) «ekennzcithnet.


t


der Komintern. In beiden Lagern wurde ich vor die Alternative ' stellt, zwischen der Psychoanalyse und dem revolutionären Marxism..- zu wah en. Ich überlasse es der Öffentlichkeit, zu beurteilen, und de Zukunft, zu entscheiden, wer hier Recht hat. Vielleicht gelinst 3 mir, einmal die Gründe zusammenzustellen, die diese Stellunenahm^ veranlassen. ° """i^

Am Schluss muss ich noch der vielen anderen Versuche gedenke! die in der Luft schwebenden Zusammenhänge von Marxismus ual Psychologie zu fassen. Ohne zu ihnen jetzt sachlich Stellun/^ nehmen muss ich doch die Abgrenzung zunächst an der entscheidend sten Stelle vornehmen: Sie gehen alle an der Kernfrage, der sexueuf' Not m der Masse der Erdbevölkerung vorbei und finden nicht de Anschluss an die von mir vertretene sexualpolitische Grund anschauun und Praxis. Sie smd entweder akademisch-theoretisch reservierrol' weitherzig liberal in der Zuordnung von Soziologie und PsycholoSa Doch fordern gerade die Kompliziertheit der Tatsachen und ihre r3 dcut^ng für die Kulturpolitik der Revolution die allergena^esfe^ Abgrenzungen und die schärfste Vertretung der einmal errungen^ Gesichtspunkte im Nebel, den der ideologische und kulturelle Proz^ unseres Sems noch immer bildet. Ich muss also auch die Verant^^^ i^sSch "p' P-duktlonen aus dem Gebiete der dialektisch m^^^ \ listischen Psychologie und Sexuologie ablehnen, die nicht von mJ oder memen Schülern stammen, das Gleiche gilt für derartige Arbeit^ die zwar von mir bestimmte Grundanschauungen übernehmen 2 ^ aber durch Weglassung des Wesentlichsten schon jetzt verfla^hül und es ausserdem offenbar als eine Gefahr oder als eine Vermindernd! des eigenen Ruhms betrachten, die Herkunft der übernommenS Ansichten zu nennen. "cnen

Im Oktober 1934.

Wilhelm Reich


..


Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse

I. Vorbemerkung

nie Aufgabe dieser Abhandlung ist, zu untersuchen ob und in- ■ ^ ^n die Psvehoanalyse Freuds Beziehungen zum dmlekt.schen wiefern die 1 syenoana y Rnsels hat. Von der Antwort, die

^^^n— S.e'^ge^LTLeÄ es abhängen, ob die Bas.s wir auf diese »'^.^S^^ Beziehungen zur proletarisehen Revolution ^^V'^K^s:« geg^b::^^^ ^venl^en Beiträge zum Thema

und zum ^\^;"';7|^^^^^^ die sich bisher in der Literatur fin-

.Psychoanalyse und Soziahsmus ^^^^^^^ ^^^ entsprechenden

den. leiden X'XytZ^n\\y.e oder der im Marxismus entbehrt. Orientierung in der P^y-^^^^^^^^ ^^^ Anwendung psychoanaly-

Auf marxistischer ^^'^^ 7^!^^" ^ ^.^^...ftgiehre zum Teil berechtigt. j,,eher ErUenntn.se ^^l^^^^::^^^ diesem Thema entbehr- DiewemgcnBeitragevonr y ^ grundsätzlichen Fragen

ten einer entsprechende^ «^^^^^^ ^^^^^ ^..^.^

des dialek ischen Materia^ismu ^^^.^^^^^,^ den Klassenkampf.

f/^rwldefie für de^ monistischen Soziologen unbrauchbar. Dadurch werden ^'^^^^ psychologische Probleme für den

ebenso wie eine A^*\^"';3f^^ ^,enn sie die Tatsachen der

Psychoanalytiker bedeutungslos Z^'^^^l^^^^^^-. ^^ des unbe-

kindlichen Sexualentw.cklung der Se^^^^^^^^^^^^^ ^„^^^

wssten Seelenlebens und des ^.^^"^'™*; ^. ^^^^^ ^,^^ koI-

ohne je wirkhch Analy™ b ^^^ ^^^ Abfassung

""l' "1' le"e Arb U s rotrf von falschen, metaphysischen und S »-/n^rgutgen der von de. Psychoanalyse -t^ecMen Ta^ bestände; sie kommt für unsere Diskussion 1"" -^^"^ jf '^^^ ^ Irrtümlicherweise wurde er von Jurinetz, der Kolnais Arbeit


I


1) Internationaler Psychoanalytischer Verlag, 1923.




zum Ausgangspunkt einer Kritik der Psyclioanaiyse machte, als »einer der eifrigsten Schüler Freuds« hingestellt).

Wir können hier im Detail auf die Arbeit von Jurinetz nicht eingehen müssen aber zur prinzipiellen Klärung voranschicken, dass die ablehnende Kritik der Psychoanalyse durch marxistische Theo- retiker in zwei Punkten berechtigt ist.

1. Sobald man den eigentlichen Boden der Psychoanalyse verlässt und insbesondere ihre Anwendung auf Probleme der Gesellschaft ver- . sucht, wird sie sofort zur Weltanschauung ausgebaut; sie tritt dann- etwa als psychologische Weltanschauung, die die Herrschaft der Ver- nunft predigt, der marxistischen entgegen, mit dem Anspruch, durch vernünftige Regelung der menschlichen Beziehungen und durch Erziehung zur bewussten Beherrschung des Trieblebens ein besseres gesellschaftliches Dasein vorbereiten zu können. Dieser utopische Rationalismus, der überdies eine individualistische Auffassung des gesellschaftlichen Geschehens verrät, ist weder originell, noch revo- lutionär und geht fraglos über die Befugnisse der Psychoanalyse hinaus. Sie ist nämlich nach der Definition ihres Schöpfers nichts anderes, als eine psychologische Methode, die mit naturwissenschaft- lichen Mitteln das Seelenleben als ein besonderes Gebiet der Natur zu beschreiben und zu erklären versucht. Da die Psychoanalyse weder eine Weltanschauung ist, noch entwickeln kann, kann sie die ma- terialistische Geschichtsauffassung auch nicht ersetzen, noch ergänzen. Als Naturwissenschaft ist sie der Marx sehen Geschichtsauffassung disparat^)

2. Der eigentliche Gegenstand der Psychoanalyse ist das Seelen- leben des vergesellschafteten Menchen. Das der Masse kommt für sie nur insofern in Betracht, als individuelle Phänomene in der Masse in Erscheinung treten (etwa das Problem des Führers), ferner, soweit sie Erscheinungen der »Massenseele«, wie Angst, Panik, Gehorsam usw. aus ihren Erfahrungen am Enzelnen erklären kann. Aber es scheint,

■-i) »Psychoanalyse unil Marxismus«, »Unter dem Banner des Marxismus«, 1. Jahrg., 1. Heft, S. 93.

i) (1934) Das bedeutet keineswegs, dass sich aus den analytischen Erkenntnissen

keim; gesellschaftlichen Konsequenzen ergeben. Da jede Wissenschaft schon aus einer praktischea Stellungnahme zu Daseinsfragen hervorgeht, wie etwa die Psychoanalyse aus der Frage nach Verständnis und Heilung der seelischen Erkrankungen hervorging, liegen praktische Notwendigkeiten jeder wissen- schaftlichen Forschung zugrunde. Der Naturforscher kann fruchtbarste Arbeit leisten, ohne selbst zu weltanschaulichen Konsequenzen zu gelangen. Gewöhn- lich leiden aber seine Forschungen, wenn seine anders erworbene Weltan- schauung seiner Forschung widerspricht. Verhindert er dann andere, deren Tätigkeit weltanschauliche Praxis ist, die Konsequenzen aus seiner Lehre, die er selb-st ablehnte oder nicht sah, zu ziehen, dann ist er in Konflikt mit sich selbst geraten ein Schicksal, das die grössten unter unseren Forschem nicht verschonte. Es war also nicht F r e u d s Pflicht, als Naturforscher die gcsell- sc-haftlichen Konsequenzen seiner Lehre zu ziehen; dem praktischen Soziologen M^nt es vorbehalten, dies zu tun. Dass diese Trennung von Forschung und Kons nuenz nur eine Eigentümlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft ist und hn Sozialismus aufhören muss, versteht sich von selbst.


als ob ihr das Phänomen des Klassenbewusstseins kaum zugänglich wäre, und Probleme, wie das der Massenbewegung, der Politik, des Streiks, die der Gesell Schafts lehre angehören, können nicht Objekte ihrer Methode sein. Sie kann also auch die Gesellschaftslehre nicht ersetzen, noch aus sich heraus eine Gesellschafts lehre entwickeln. Wohl aber kann sie der Gesellschaftslehre etwa in Form der Sozial- psychologie Hilfswissenschaft werden. Sie kann etwa die irrationalen Motive aufdecken, die eine Führernatur bewogen, sich gerade der sozialistischen oder der nationalistischen Bewegung anzuschliessen^), sie kann ferner die Wirkung der gesellschaftlichen Ideologien auf die seelische Entwicklung des Einzelnen verfolgen'*). Die marxistischen Kritiker haben also Recht, wenn sie manchen Vertretern der Psycho- analyse vorwerfen, dass sie zu erklären versuchen, was mit dieser Methode nicht erklärt werden kann; sie tun aber Unrecht, die Me- thode mit denen, die sie anwenden, zu identifizieren, und Fehler, die diese begehen, jener in die Schuhe zu schieben.

Die behandelten zwei Punkte leiten über zu einer notwendigen, aber in der marxistischen Literatur nicht immer klar hervortretenden Unterscheidung zwischen dem Marxismus, soweit er Gesellschafts- lehre, also Wissenschaft, und dem Marxismus, soweit er eine Unter- suchungsmethode und soweit er weltanschauliche Praxis des Prole- tariats ist«). Die marxisüsche Gesellschafts lehre ist Resultat der An- wendung der marxistischen Methode auf das Gebiet des gesellschaft- Hchen Seins. Als Wissenschaft ist die Psychoanalyse der Marxschen GeseMschaftslehre gleichgeordnet: Jene behandelt die seeli- schen, diese die gesellschaftlichen Erscheinungen. Und nur insoweit gesellschaftliche Tatsachen im Seelenleben, oder umgekehrt seelische im gesellschaftlichen Sein zu untersuchen sind, verhalten sie sich jeweilig zueinander als Hilfswissenschaften. Die Gesellschaftslehre kann also auch keine neurotischen Erscheinungen, keine Störung der Arbeitsfähigkeit oder der sexuellen Leistung aufklären. Anders verhält es sich hinsichtlich des dialektischen Materialismus. Hier gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder widerspricht ihm die Psychoanalyse als Methode, d. h., sie wäre idealistisch und undialektisch, oder aber es lässt sich nachweisen, dass die Psychoanalyse, wenn auch unbewusst wie so viele Naturwissenschaften, auf ihrem Gebiete die materialisti- sche Dialektik tatsächlich angewendet und dementsprechende Theorien entwickelt hat. Hinsichtlieh der Methode kann die Psychoanalyse nur

tl T£l:,^\^°^'^' ^^^^^^ll-^' ^e"- Führer«. Int. Psychoanalytischer Verlag, 1926.

5) (1934) Diese Fonmilierungen wurden von psychoanalytischen Sozioloßen auf das schärfste angegriffen. Vgl. hierzu meinen Aufsatz »Zur Anwendung der Psychoanalyse in der Geschichtsforschung«, Ztsch. f. pol. Psych, u. Sexualök Heft 1, 1934. Zur Frage der Anwendung psychoanalytischer Erkenntnisse in Iragen des Klassenbewusstseins vgl. die aus meinem Kreis hervorgegangene Arbeit von Ernst PareU »Was ist Kiassenbewusstsein?«, Verl. f. Sex-

fl) Natürlich lassen sich Methode und Wissenschaft praktisch nicht trennen sie -i

sind ineinander verflochten. Vgl. sZur Anwendung der Psychoanalyse etc.«. '■.^f]

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entweder dem Marxismus widersprechen oder entsprechen. Im ersten Falle wenn nämlich ihre Ergebnisse nicht dialektisch-materialistische wären müsste der Marxist sie ablehnen, im letzten Falle aber wusste er, dass er eine mit dem Sozialismus nicht in Widerspruch stehende Wissenschaft vor sich hat') "). . ^. „ ^

Zwei Einwände wurden von marxistischer Seite gegen die Psycho- analyse als eine im Sozialismus berechtigte Disziplin vorgebracht: 1 Sie sei Verfallserscheinung des untergehenden Bürgertums. Dieser Einwand verrät einen Riss im dialektischen Denken hinsichtlich der Psychoanalyse. Ist nicht auch die marxisti- sche Gesellschaftslehre eine »Verfallserscheinung des Bürgertums« ge- wesen? Sie war »Verfallserscheinung« insofern, als sie ohne den Wider- spruch zwischen den Produktivkräften und den kapitalistischen Pro- duktionsverhältnissen nie hätte entstehen können, aber sie war die Erkenntnis und damit gleichaeitig der ideologische Keim der neuen Wirtschaftsordnung, die sich im Schosse der alten entwickelte. Die soziologische Stellung der Psychoanalyse werden wir später ausführli- cher behandeln, diesen Einwand aber widerlegen wir am besten mit den Worten des Marxisten WittfogeP).

2. Sie sei eine idealistische Wissenschaft. Etwas mehr Sachkenntnis hatte die Kritiker vor diesem Urteil bewahrt, und einige Objektivität der Disziplin gegenüber hätte nicht vergessen

') über den Begriff der »proletarischen« und »bürgerlichen« Wissenschaft vgl. W i 1 1 f o g e I, »Die Wissenschaft in der bürgerlichen Gesellschaft«, Malik- Verlag.

8) (1934) Dann wäre sie aber nicht nur anzuerkennen, sondern in das Gebäude der dialektisch-material istischen Weltanschauung einzubauen. Das bliebe Dicht ohne Einüuss auf bisherige Anschauungen und Theorien. Marx und Engels hatten immer betont, dass jede neue naturwissenschaftliche Entdeckung das Weltbild des dialektischen Materialismus verändern und vorwärtsbringen würde. Wenn sich so oft bornierte Marxisten gegen den Einbau neuer Wissen- schaften wehren, so tun sie dies zwar in bester Überzeugung, den Marxismus, »rein zu bewahren«, begeben aber den schweren Fehler, die dialektisch-materia- listische Weltanschauung und Methode mit der marxistischen Tatsachentheorie zu verwechseln; jene ist viel umfassender, allgemeiner, beständiger als diese, die wie jede Theoriebildung über Tatsachen der Wandlung unterworfen ist. Eine Theorie über den Mittelstand etwa, 1849 aufgestellt, kann unmöglich füi- den Mittelstand 1934 unbeschränkt Geltung haben. Doch die Methode, zu richtigen Ergebnissen über den Mittelstand damals und jetzt zu gelangen, ist dieselbe geblieben. Die Methode der Untersuchung ist immer wichtiger als- die jeweilige Theorie.

0) Ebenda, S. 18. , . ,. -,

»Einzelne marxistische Kritiker — die 'Bilderstürmer' — machen sich ihre Beurteilung der heute bestehenden Wissenschaft sehr leicht. Sie murmeln mit einer zusammenfassenden Geste: ,Bürgerliche Wissenschaft!' und damit ist für sie die ganze Wissenschaft abgetan, das Problem erledigt. Eme solche Methode (After-Methode!) arbeitet mit dem Rüstzeug der Barbaren.. Von Marx und seiner dialektischen Denkweise hat dergleichen nichts als — leider — den Namen übarnommen. Der Dialektiker weiss, dass eine Kultur nicht einheitlich ist wie ein Scheffel Erbsen, sondern dass jede Gesellschafts- ordnung ihre Widersprüche hat und dass in ihrem Schosse die Ausgangs- nunkte neuer Gesellschaftsepochen keimhaft vorbereitet sind. Für den Dia- lektiker ist also keineswegs schon alles, was Im bürgerlichen Zeitalter von bürgerlichen Händen geschaffen wurde, minderen Wertes und für die Zukunfts- gesellschaft unvorwendbar.« 

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lassen, dass jede Wissenschaft, sie mag noch so materialistisch fundiert sein, in der bürgerlichen Gesellschaft idealistische Abweichungen, erwirbt und erwerben muss. In der Theoriebildung, die sich von der Erfahrung auch nur um einen Schritt entfernt, ist eine idealistische Abweichung begreiflich und sagt nichts über die wahre Natur der Wis- senschaft aus. Juri netz hat viel Mühe darauf verwendet, gerade die idealistischen Abweichungen in der Psychoanalyse herauszustrei- chen; gewiss, es gibt solche Abweichungen, sogar in grosser Zahl, aber die Frage ist, wie die Elemente der Theorie, die grundsätzlichen Auffassungen der seelischen Vorgänge sind.

Sehr oft wird die Psychoanalyse im Zusammenhang mit der Dis- kussion der reformistischen Richtungen in der Politik erwähnt ^ (Thalheimer, Deborin). Der Tenor dieser Beziehungssetzung ist, dass sich die reformistischen Philosophen gern auf die Psycho- analyse berufen, ja, de Man hat tatsächlich die Psychoanalyse in reaktionärer Weise gegen den Marxismus ausgespielt. Aber ich be- haupte — und ich kann mich hier auf linke Marxisten berufen —, man kann, wenn man will, in reaktionärer Weise auch »Marxismus«  gegen Marxismus ausspielen. Einem wirklichen Kenner der Psycho- analyse wäre aber nie eingefallen, die »Psychoanalyse« de Mans mit der Psychoanalyse Freuds in Beziehung zu bringen, wie Deborin«"^) es tat. Was hat de Mans sentimentaler Gesinnungs- j

Sozialismus mit der Libidotheorie zu tun, auch wenn er sich auf die ■ ^

von ihm nie verstandene Psychoanalyse beruft? Ich werde im letzten U

Abschnitt zu zeigen versuchen, dass mit der Psychoanalyse in den -^

Händen des Reformismus") dasselbe vorgehl wie mit dem lebendigen , '

Marxismus, nämhch Verflachung und Verwässerung. 1

Wir wollen der Reihe nach folgende Fragen behandeln: A

1. Die materialistische Grundlage der psychoanalytischen Theorie. '1

2. Die Dialektik im Seelenleben.

3. Die gesellschaftliche Stellung der Psychoanalyse.


II. Die materialistischen Erkenntnisse der Psychoanalyse und einige

idealistische Auslegungen Ehe wir den grossen Fortschritt zeigen, den die Psychoanalyse in materialistischer Richtung gegenüber der vorwiegend idealistischen und formalistischen Psychologie vor ihr bedeutet, müssen wir uns von einer auch in marxistischen Kreisen weit verbreiteten und irreführen- den »materialistischen« Auffassung des Seelenlebens abgrenzen. Es ist der mechanistische Materialismus, wie er etwa von den französi-

10) Deborin, »Ein neuer Feldzug gegen den Marxismus«. »Unter dcra Banner des Marxismus«, Jahrg. 2, Heft 1/2.

11) (1934) und des Ökonomismus.


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t„ten wurde uad sich m den vulgär ma, ^^^^ _^^^^^^.^^^ ^^._^^

behauptet, dass seelische Ph^"°™™j^ Seelischen nichts als körper- und dass ein ^"^^'^^'^^^^X^fZc^en Materialisten erseheir.t liehe Vorgange zu erbucken ^ .^^^^^ ^_^^ dualistischer Irr um.

schon der Begriff '^^f" ^'° „^tio^ out den sich in die burgerhche was zweifellos eine extreme 'J'^^I'^^^^T, .„,,„„5 ist. Nicht die Seele Philosophie tortsetzenden platon,sel^^=nIdatanu^^^^^ ^.^ .^^^^ ^^^

?rrh-:;trr dart TaSr:n".?r und w.ghar „der tast.ar

menschliche V°"lAtice Seite im Gegeosatz zum Malcrial.sm^s, Daher i-Dschah es, dass die tatige beite »^ u b i^iealismus natur-

vot Idealismus -t^yickclt wu^J J- J- -bsUa^^^^^ ^^^^ ^^^^

lieh die ^'irkliche ^'"" -»jf^ J^^^'l^^^^^^^^ ^'.Ml^h unterschiedene Ob ekte; aber rÄ^rmt".Sltre^°^^^^^^^^^ nicht ... ,e.enstandl,cbe

scholastische Frage. Aber: M<Mischen Produkte der Umstände

,Die materialistische U.hre, ^a^^J- ^,isa Produkte anderer Umstände

und der Erziehung veränderte "^^f ^"^^^j^^. Umstände el>en von den Men-

und geänderter Erziehung ^;^f ' J'^^^J ^j';,te^:/ Reibst erlogen werden muss« i*).

i^TT^IT^terialismus des.vorigen .ahrh^n^^^^^^

weil von allen Naturwissenschaften «^™^^^ J^JJ existierte nur in ihrer kmd- gewissen Abschluss gekommen war. D^^^h^-J^^^ ex^ .^ ^^^ ^. ^

liehen, phlogistischen GestalL . ß^V^^^'^^^^'^^^/J groben untersucht und wurde pflanzliche und tierische Organismus war nur mgr ^^^^^^^^^ ^^, Tier, war

aus rein mechanischen Ursachen .^J^/f ^' ^/."„geh eine Maschine. Diese aus- dem Materialisten des 18. f l^^J""f"\\£/S auf Vorgänge, die che-

. schlicsslichc Anwendung des "^^^^/°" , ^^ d^^^^ die mechanischen Gesetze mischer und organischer Natur «;"^'";^,if;;,f Gesetzen in den Hintergrund zwar auch gelten, aber von .^"d«^^":,.X '^'bcr in ihrer Zeit unvermeidliche gedrängt werden, bildet ^'^ ^^^. ^SSe/Seriali^ (Engels. .Feuer-

Bosch rÜnktheit des klassischen ff«"^^,,^ ^'=! 3 " f )

bach«. Verlag für Literatur und Pol.t.k. S. ^^ *> j^ ^ie Losung einiger

(1934) Der Sexualokonomie gelang es miuu. p^yciiischen konkreter

grunditziicher Fragen über «^^^^S ,/brluc^^^^^^^^^ Ergebnissen

sätzlichkcit darzulegen ver-c^^^^^^^ »Marxistische Bibliothek, Bd. 3. S. 73. 13) Anhang zu b n g e 1 s. »«"i- li) Ebenda, S. '4-

10




psychologische Methode. DannXflfle^ ?'"" """ "^'"^ «i" nicht von K,assent,ewusstsein, ^'.üiS^ü™, «^^^'^ZS^'^rr logie usw. sprechen, sondern muss warten hi, ii„ r ^

sprechenden körperlichen Vorgänge in Fomel tl ""," ",'" ™'" flexologic die entsprechenden RelteCuXc, Ir , " f"! '*

da solche Psychologie notwendigerweht'küalenR '."""' stecken hleibt und nicht .un, pr'aktiscll"'Lh ,T d r VorU-U :;":„ und Gefnhle vordringt, nicht un> ein Jota hesser verstehen was n.s

psychologischer nnd nicl:t^tgl^:;her^Sd:tta"r'i^

des Marxismus beschlossen. triasst, im Kahmcn

Freilich, es genügt nicht, um eine Psychologie materialistisch

rernfh r%V"" ■"" '^^ -'--Hea Gegche„h teü d l e,en" lebens befasst. Sie wird vielmehr eindeutig Stellung zu der pl^

nehmen müssen, ob sie die seelische Tätitke t l , t ^°

d. h. jenseits des Organischen set:de'Ge eb 'nh t "^'Z'l

"' TS.i:'7^!:Zl^r,T^^^^^^ P..c.oanaI.ti.Keo Wi.scn ..r Zeit,

ziser fiefasst werde/: Sf PsXra vse e,ild/u°"°*^ f Tatbestand pr«: speziell kennzeichnende GeselL^wrifwa HP lk'""^ ""' SceknlebcQ

.. chische auf Organischem aufbaut hat Fr^dL^'""- ^'" *^ ^'^ *'«>- die psychische Gesetzlidikei au!' ,w T'L^''. T'"'^^ angenommen, ohne jedoch Ökonomie, die den Sexu^rozcss in «n^' ■" ^V^^^^^i'^kein. Die Sexual- ebenso wie physiologischen biolo=is<.h/\ ""° ^^-^tionen. psychischen sätzlich erfassen muss wenn ?el, eine. ?"'\?"' gesellschaftlichen Rrund-

Plin werden will, n.««; TarseTncHcTru^dgeTctTn In^ ^^^^'-

aufspüren; derart sieht sie sich vnr ,17^ t • • '^" ^""" Funktionen sexualpsychischen aus den scxüalhrolL l h ^'=^'^7^ ^"^^S'ibc gestellt, die bei kommt ihr die dialSsche M thode d^ abzuleiten. Hier-

Grundsätzlich ist zu sagen: Das Psychfs'Vf L^ w^^^^^^ anwendet, zu Hilfe,

hervorgegangen, muss daher die gScn Ges'll 5 l ^"' ^*^"^ ^^'■««"'«'^•^'^n tritt aber anch gleichzeitig dem Organischen ^1' r.?? "" '^'"*^^' entwickelt in dieser Funktion eine eigene m^r fhm nif "f^,-'^^'^'"""'^'" """^ keit. Nur die Erforschung dieser let^t^nT^.^J-, ^*^'^^"™"^'"-' <^<^se(zlic]i- sein; sie ist in der HaupiacheVeStet Zd^ " P=^y'="°=>«alyse

Sexualökonomie die Lösung der Sge nlch d^'n k " ^" "^^^t^«»- ^ass der tionsbcziehnngen grundsätzlich gelingen kann oh^I^'M-"!^""^'* ^"^- von noch unkontrollierbaren Verhältnissen ab v^l -n '• ^^ ^^^' ^'^"^^^

tativen Lebens«, .Ztschr. f. pol. Psych. rsSxöl^^^'H^a!::^^^"*' '" ^"^^- le) Engels, »Feuerbach«, S. 28.


11


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Lenin in »Materialismus und Emiiiriokritizismus«^) zum Thema seiner erkenntniskritischen Untersuchung gemacht, nämlich die Stellung zur Frage der Erkenntnistheorie, ob die Welt real, ausserhalb und unabhängig von unserem Denken besteht (Materialismus), oder ob sie nur in unserem Kopfe als Vorstellung, Empfindung und Wahrnehmung existiert (Idealismus). Ein dritter Unterschied, der mit den ersterwähnten zusammenhängt, ist, ob man der Ansicht ist, dass der Körper sich die Seele baut oder umgekehrt.

Statt diese Fragen für die Psychoanalyse allgemein zu beantworten, beginnen wir mit der Darstellung ihrer grundlegenden Theorien. Ob die Tatsachen, auf die sich die Psychoanalyse stützt, richtig oder falsch sind, das zu beurteilen, kann nie Sache methodologischer, sondern nur empirischer Kritik sein. Den Fehler, ohne genügende Sachkenntnis die psychoanalytische Theorie empirisch zu kriti- sieren und ihre Befunde zu bestreiten, hat unter den Marxisten Thalheim er^^) begangen, während Jurinetz nur methodolo- gische Kritik übte, freiUch ebenfalls ohne genügende Kenntnis der analytischen Empirie. Wir werden die psychoanalytischen Theorien nicht zu beweisen versuchen; ein solches Beginnen überschritte sicher den Rahmen dieser Arbeit und wäre überdies fruchtlos. Die Beweise sind einzig in der eigenen empirischen Erfahrung zu finden.

a) Die psychoanalytische Trieblehre.

Das Gerüst der psychoanalytischen Theorie ist ihre Trieblehre und das bestfundierte Stück davon im besonderen die Libidotheorie, die Lehre von der Dynamik des Sexualtriebes^^).

Der Trieb ist ein »Grenzbegriff zwischen Seelischem und Soma- tischem«. Unter Libido versteht Freud-") die Energie des Sexual- triebes. Die Quelle der Libido ist nach Freud ein noch nicht völlig bekannter chemischer Prozess im Organismus, besonders im Sexualapparat und in den sog. »erogencn Zonen«, Körperteilen, die besonders sexuell erregbar und Konzentrationsstätten der körper- lichen sexuellen Erregung sind"). Ueber diesen Quellen der Sexual-

") Lenin, Sämtliche Werke, Bd. XIII, Verlag für Literatur und Politik, 1927.

18) »Die Auflösung des Austromarxisraus«, »Unter dem Banner des Marxismus«, Jahrg. 1, Heft 3, S. 517 ff.

1») (1934) Die dialektisch-materialistische Überprüfung und klinisch- empirische Fortführung der Freudschen Trieblehre ergaben eine Auffassung der Trieb- dynamik, die die ursprünglichen Freudschen Auffassungen bereits zu einiger- massen befriedigendeo Ergebnissen entwickelte, (Vgl. »Gharakteranalyse«, letztes Kapitel, Verl. f. Sex-Pol 1933.)

20) »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie«, Gesammelte Schriften, Bd. V., Int. Psa.

Verlag.

21) (1934) Neuere klinische Beobachtungen ändern im Zusammenbange mit den Forschungen der modernen Organ Physiologie diese Auffassung zugunsten der anderen ab, dass es sich um elektrophysiologische Ladungs- und Entladungs- vorcänge im Organismus handelt. Vgl. hierzu »Der Orgasmus als elcktrophy- siologisehe Entladung«, Z. f. p. P. u. S., H. 1, 1934 und die auf die Forsehun- L'en von F r Kraus bezogenen Stellen in »Der Urgegensatz etc.« Der so- genannte sexuelle Chemismus sj;hei°V°."^..*'„'l„fj;!i"°° f!°fL!™ ^i^""!/^"


organischen Energetik zu sein. Hier liegt das meiste noch in tiefem Dunkel.


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erregung erhebt sich der mächtige Ueberbau der seelischen Libido- fuaktionen, der an seine Grundlage gebunden bleibt, sieh mit ihr ver- ändert — quantitativ sowohl wie qualitativ — wie etwa in der Puber- tät, und mit ihr zu erlöschen beginnt, wie nach dem Klimakterium. Im Bewusstsein spiegelt sich die Libido wieder als körperlicher und seelischer Drang nach Sexualhefriedigung, das heisst lustvoller Ent- spannung. Freud hat die bestimmte Hoffnung ausgesprochen, dass die Psychoanalyse einmal auf ihr organisches Fundament gestellt werden wird, und der Begriff des Sexualchemismus spielt in seiner Libidotheorie als Hilfsvorstellung eine wesentliche Rolle, doch kann die Psychoanalyse methodisch niclit an die konkreten Vorgänge im Organischen herantreten, das bleibt der Physiologie vorbehalten"-'-) . Die materielle Natur des Freudschen Libidobegriffes zeigt sich sehr gut darin, dass seine Lehre von der infantilen Sexualität später von Physiologen bestätigt wurde, indem sie schon beim Neugeborenen eine Entwicklung der organischen Sexualapparalur fanden.

Freud räumte mit der Auffassung, dass der Geschlechtstrieb erst »in der Pubertät erwache«, auf, er zeigte, dass die Libido von der Geburt an bestimmte Entwicklungsstufen durchläuft, ehe sie die Stufe der genitalen Geschlechtlichkcit erreicht. Er erweiterte den Begriff der Sexualität durch Einbeziehung aller jener Lustfunktionen, die nicht an das Genitale gebunden, aber unzweideutig sexueller Natur sind, wie die Munderotik, die Analerotik usw. Diese »prägenitalcn«. Infantilen Formen der Sexualbetätigung unterordnen sich später dem genitalen Primat, der Herrschaft des eigentlichen Geschlechtsapparates.

Jede Entwicklungsphase der Libido, über deren dialektischen Charakter wir später sprechen werden, ist gekennzeichnet durch die Daseinsbedingungen des Kindes, wie etwa die orale Stufe sich an die Nahrungsaufnahme, die anale an den Entleerungsfunktionen und der Erziehung zur Reinlichkeit herausbildet. Die jn der bürgerliclien Moral befangene Wissenschaft hatte bis Freud diese Tatsachen glatt übersehen und die populäre Auffassung von der »Reinheit« des Kindes bestätigt. Die gesellschaftliche Sexualunterdrückung war ein Hindernis der Forschung geworden.

Unter den Trieben unterschied Freud zwei psychologisch nicht weiter zerlegbare Hauplgruppen, den Selbsterhaltungstrieb und den Sexualtrieb, in Anlehnung an die populäre Unterscheidung von Hunger und Liebe. Alle anderen Triebe, den Willen zur Macht, den Ehrgeiz, die Profitgier usw. fasst Freud nur als sekundäre Bildungen, als Abkömmlinge dieser beiden Grundbedürfnisse auf. Für die Sozial- psychologie dürfte der Freud sehe Satz, dass der Sexualtrieb in Anlehnung an den Nahrungslrieb zuerst in Erscheinung tritt, grosse Bedeutung gewinnen, wenn es gelänge, eine Beziehung zur ähnlich lautenden These von Marx zu finden, dass im gesellschaftlichen


32) (1934) Vgl. die Korrektur dieser Auffassung in Fussnote 15.


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Sein das Nahrungsbedürfnis die Grundlage auch für die geschlecht- lichen Funktionen der Gesellschaft sei-^).

Später hat Freud dein Sexualtrieb den Destruktionstrieb gegen- übergestellt und dabei den Nahrungstrieb dem Eros als Funktion des In- teresses der Selbstliebe (Selbsterhaltung-Narzissmus) eingeordnet-^). Die Beziehung der neueren Triebeinteilung zur älteren ist noch nicht klar herausgearbeitet. Die neueren Begriffe der Trieblehre: Eros- Todestrieb (Sexualtrieb-Destruktionstrieb) sind in Anlehnung an die beiden Grundfunktionen der organischen Substanz, Assimilation (Auf- bau) und Dissimilation (Abbau), gebildet worden; der Eros umfassl alle jene Strebungen des seelischen Organismus, die aufbauen, zusammenfassen, vorwärtsdrängen, der Destruktionstrieb hingegen diejenigen, die abbauen, zerstören, zum ursprünglichen Zustand zu- rücktreiben. Die seelische Entwicklung würde sich somit aus einem Kampfe zwischen diesen zwei entgegengesetzten Tendenzen ergeben, was einer durchaus dialektischen Auffassung der Entwicklung entsprich t-f'). Die Schwierigkeit ist aber eine andere. Während die körperliche Grundlage des Sexual- und des Nahrungsbedürfnisses eindeutig ist, ermangelt der Begriff des Todestriebes einer so klaren materiellen Fundierung, denn die Berufung auf den organischen Prozess der Dissimilation betrifft vorläufig mehr eine formale Analogie als eine inhaltliche Verwandtschaft. Nur insofern eine reale Be- ziehung des »Todestriebes« zum selbstzerstörenden Prozess im Or- ganismus zutrifft, ist sie materialistisch. Aber man kann nicht leugnen, dass sein unklarer Gehalt und die Unmöglichkeit, ihn als solchen ebenso zu fassen wie etwa die Libido, ihn leicht zum Schlupfwinkel idealistischer und metaphysischer Spekulationen über das Seelenleben macht. Er hat in der Psychoanalyse bereits viele Missverständnisse aufkommen lassen, zu finalistischen Theoriebildungen und Ueber- trcibungen der moralischen Funktionen geführt, was wir als idealisti- sche Abweichung in der Psychoanalyse betrachten. Nach Freuds eigenem Ausspruch ist der »Todestrieb« eine jenseits der Klinik liegende Hypothese, es kann aber nicht Zufall sein, dass mit ihm so'


23) (1934) In der Frage nach der Beziehung des Nahrungsbedürfnisses zum Sexual- bcdUrfnis konnte die sexualökoDomische Überlegung einige Schritte weiter- führen: Das Nahrungsbedürfnis entspricht einem Absinken der Spannung bezw. der Energie im Organismus, das Sexualhedürfnis im Gegensalz dazu einem Plus an Spannung bezw. Energie; jenes ist daher nur durch Energie- zufuhr, dieses nur durch Energie a b f u h r oder -Verausgabung zu befriedigen. Daraus erklärt sich, dass der Hunger beim Aufbau der psy- chischen Apparatur nicht oder nur mittelbar beteiligt ist, wahrend die Sexual- energie die eigentliche autbauende, positive, produktive Kraft des Seelischen

. ist. Eine Detaillierung dieses Fragengebietes ist in Vorbereitung. Es leuchtet ein, dass dieser Tatbestand für die Frage nach der energetischen Natur der Struktur- und Ideologiebildung von entscheidender Bedeutung ist.

24) »Jenseits des Lustprinzips« und »Das Ich und das Esa. Gesammelte Schriften. Psychoanalytischer Verlag.

26) (1934) Diese Auffassung musste korrigiert werden. Vgl. die letzten zwei Ka- nitel in »Charaktcranalyse«, Verl. f. Sex-Pol, 1933.


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gern operiert wird und dass er unnützen Spekulationen in der Psycho- analyse Tür und Tor geöffnet hat. Als Reaktion auf die idealistische Richtung, die sich mit der neueren Triebhypothese in der Psycho- analyse entwickelt hat, liegt ein Versuch von mir vor-«), auch den Destruktionstrieh als von der Libido abhängig zu erfassen, ihn also der materialistischen Libidotheoric einzuordnen. Dieser Versuch grün- det sich auf die klinische Beobachtung, dass die Hassbercitschaft eines Menschen und seine Schuldgefühle zumindest in ihrer Intensität vom Zustand der Libidoökonomie abhängen, dass sexuelle Unbefriedigtheit die Aggression steigert, Befriedigung sie herabsetzt. Nach dieser Auf- fassung ist der Destruktionstrieh psychologisch eine Reaktion auf die Versagung einer Triebbefriedigung und seine körperliche Grundlage die Verschiebung libidinöser Erregung auf das Muskelsystem.

Man kann aber nicht zweifeln, dass der Aggressionstrieb auch ein Instrument des Nahrungstriebes ist und dass er sich besonders steigert, wenn das Nahrungshedürfnis nicht genügend befriedigt ist. Der Destruktionstrieb ist nach meiner Auffassung eine späte, sekundäre Bildung des Organismus, die bestimmt wird durch die Verhältnisse, unter denen Nahrungstrieb und Sexualität befriedigt werden.

Der Regulator des Trieblebeus ist das »Lust-Unlust-Prinzip«. Alles Triebhafte strebt nach Lust und will Unlust vermeiden. Die unlust- volle Bedürfnisspannung kann nur durch Befriedigung des Be- dürfnisses behoben werden. Das Zie! des Triebes ist also Aufhebung der Triebspannung durch Beseitigung des Reizes an der TrlebqucUe. Diese Befriedigung ist lustvoll. Eine körperliche Erregung etwa an der Genitalzone bedingt einen Reiz, der ein Bedürfnis (einen Trieb) erzeugt, diese Spannung zu beseitigen. Eine organische Spannung in den Ernährungs Organen erzeugt den Hunger und treibt zum Essen-'). Diese kausale Betrachtung schliesst die finale ein, denn das Ziel, dem der Trieb zustrebt, ist durch die Quelle der Reizung bestimmt. Hier steht die Psychoanalyse als materialistisch-kausale Lehre ganz im Gegensatz zur nur final orientierten Individualpsychologie Alfred Adlers.

Da alles, was Lust bringt, anzieht, was Unlust bringt, abstösst, bedingt das Lustprinzip Bewegung, Veränderung der Situation. Die Quelle dieser Funktion ist der organische Triebapparat, insbesondere der Sexualchcmismus. Wie eine Feder spannt sich der Triebapparat nach jeder Befriedigung des Bedürfnisses nach einer Ruhepause immer aufs neue. Als Grundlage dieser Spannung kommen Stoffwechsel- vorgänge in Betracht^**).

Die Arbeitsweise der beiden Grundbedürfnisse des Menschen erhält


26) Reich, »Die Funktion des Orgasmus«, Kap. über »Die Abhängigkeit des Dc- struktionstriebes von der Libidostauuag«. Psychoanalj-lischer Verlag, 1927; ferner die Widerlegung der Todestricfalehre in »Der masochistische Charakter«  (»Charaltter.inalysea).

27) (1934) Vgl. Fussnote 23.

28) (1934) Vgl. Fussnote 21.

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aber durch das gesellschaftliche Dasein des Individuums erst ihre eigentliche Form, indem diese die Triebbefriedigungen einschränkt. Alle Einschränkungen und gesellschaftlichen Nötigungen, die Be- dürfnisse herabzusetzen oder aber deren Befriedigungen aufzuschieben, fasste Freud in der Formulierung des »Realitätsprinzips« zusammen. Dieses tritt also zum Teil in Gegensatz zum Lustprinzip, sofern es gewisse Befriedigungen völlig untersagt, zum Teil bildet es eine Modifikation des letzten, sofern es das Individuum zu Ersatzbe- friedigungen oder zum Aufschub einer Befriedigung zwingt. Der Säugling darf etwa nur zu bestimmten Stunden seine Nahrung ein- nehmen, das Mädchen der Reifejahre darf in der heutigen Gesellschaft, seine natürlichen Sexualhedürfnisse nicht sofort befriedigen. Die ökonomischen (der Bürgerliche würde sagen: die kulturellen) In- teressen zwingen es, seine Keuschheit bis zur Ehe zu bewahren, wenn, es nicht die Ächtung riskieren oder die Findung eines Gatten er- schweren will. Die Unterhindung der direkten analer o tischen Be- friedigung, wie sie das Kind übt, ist ebenso eine Wirkung des Reali- tätsprinzips.

Die Definition, das Realitätsprinzip sei eine Forderung der Gesell- schaft, bleibt aber formalistisch, wenn sie nicht konkret mit einbezieht, dass das Realitätsprinzip, wie wir es heute vor uns haben, das Prinzip der kapitalistischen bzw. privatwirtschaftlichen Gesellschaft ist. Hin- sichtlich der Auffassung des Realitätsprinzips gibt es in der Psycho- analyse reichlich idealistische Abweichungen. So wird das Realitäts- prinzip oft als absolute Gegebenheit hingestellt. Unter Realitätsan- passung versteht man einfach Anpassung an die Gesellschaft, was, in der Pädagogik oder Neurosentherapie , angewendet, zweifellos eine konservative Formulierung ist. Konkret: Das Realitätsprinzip des kapitalistischen Zeitalters fordert vom Proletarier äusserste Ein- schränkung seiner Bedürfnisse, nicht ohne sich dabei auf religiöse Forderungen nach Demut und Bescheidenheit zu berufen. Es fordert auch die monogame Sexualform und anderes mehr. All das ist in den ökonomischen Verhältnissen begründet, die herrschende Klasse hat ein Realitätsprinzip, das der Aufrechterhaltung ihrer Macht dient. Erzieht man den Proletarier zu diesem Realitätsprinzip, stellt man es ihm als absolut gültig etwa im Namen der Kultur hin, so bedeutet das Bejahung seiner Ausbeutung, Bejahung der kapitalistischen Gesell- schaft. Es muss klar werden, dass der Begriff des ReaUtätsprinzips, so wie er heute in der Psychoanalyse tatsächlich von Vielen erfasst wird, einer (wenn auch unbewussten) konservativen Einstellung ent- spricht und daher im Gegensatz zum objektiv revolutionären Cha- rakter der Psychoanalyse steht. Das Realitätsprinzip hatte früher andere Inhalte und wird sich in dem Masse wandeln, wie sich die Gesellschaftsordnung ändern wird.

Auch die konkreten Inhalte des Lustprinzips sind natürlich nicht, absolut, sie wechseln ebenfalls mit dem gesellschaftlichen Sein..

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Etwa die anale Befriedigung muss in einem Zeilalter, in dem der Reinlichkeit so grosse Aufmerksamkeit gewidmet wird, eine andere, nämlich geringere, das Streben danach muss ein grösseres sein, als etwa in einer primitiven Gesellschaft, was sich auch qualitativ in der Erzeugung bestimmter Charakterzüge äussert. Man denke nur an den sich auf der Analerotik aufbauenden Ästhetizismus und an den Unterschied seiner Bedeutung im bürgerlichen Zeitalter und etwa in der primitiven Gesellschaft oder im Mittelalter. Welche Inhalte des Luststrebens stärker, welche schwächer betont sind, hängt natürlich auch von der Klasse ab. der das Kind angehört. So scheinen z. B. die analen Strebungen im Bürgertum weit stärker ausgeprägt zu sein als im Proletariat, während umgekehrt die geni- talen Antriebe im Proletariat intensiver sind. Das hängt aber auch mit der Erziehung und den Wohnverhältnissen zusammen.

In der biologischen Anlage dürfte ja der Unterschied nicht sehr gross oder nicht ausschlaggebend sein. Aber das soziale Milieu be- ginnt den Gehalt des Lustprinzips schon mit der Geburt zu formen. Und ob Unterschiede in den Ernährungsverhältnissen auf die Trieh- konstitution nicht schon in der Keinianlage einwirken und die In- tensität und Qualität der Strebungen beeinflussen, ist eine Frage künftiger Forschung^").


b) Die Lehre vom Unbewussten und von der Ver- drängung.

Freud unterschied im seelischen Apparat drei Systeme: 1. Das Bewusste, welches die Wahrnehmungsfunktion des Sinnesappa- rates und alle Vorstellungen und Gefühle umfasst, die gerade bewusst sind. 2. Das Vorbewusste. Es umfasst alle jene Vorstellungen und Einstellungen, die momentan nicht im Bcwusstsein sind, aber jederzeit bewusst werden können. Diese beiden Systeme waren der voranalytischen Psychologie gut bekannt. Was nichtpsychoanalytische Forscher als »unbewusst« {»nebenbewusst«, »unlerbcwusst« usw.) bezeichnen, gehört noch völlig zum Freud sehen System des Vor- bewussten. Die eigentliche Entdeckung Freuds betraf 3. d a s


2») (1934) Diese Andeutungen bedürfen einer sehr grüniljichen Ausführung. Die Art und Weise, in der sich ein geseUsthaftliches Syslem strukturell in den Menschen reproduziert, ist konkret, Ihcoretisih uiier die Schwelle des Be- wusstseins gelangt?« 

Eine erstaunlich naive Frage! Freud hat doch das Unbewusste gerade durch seine Methode der freien Einfälle, durch Ausschaltung der Zensur entdeckt. Die ganze analytische Therapie besteht ja darin, dass man das vorher Unbewusste doch bewusst macht. Es kann nur unter den gewöhnlichen Umständen nicht bewusst werden.

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drängung ist; das heisst, statt zu verdrängen, wird der Trieb bloss auf eine sozial mögliche Betätigung abgelenkt").

Wir sehen also, dass die Psychoanalyse das Kind ohne die Gesell- schaft gar nicht denken kann, es existiert für sie nur als vergesell- schaftetes Wesen. Das gesellschaftliche Sein wirkt unaufhörlich einschränkend, umbildend und fördernd auf die primitiven Triebe ein. Dabei verhalten sich die beiden Grundtriebe verschieden. Der Hunger ist starrer, unerbittlicher, drängt heftiger nach sofortiger Befriedigung als der Sexualtrieb; auf keinen Fall kann er verdrängt werden wie dieser. Der Sexualtrieb ist modifizierbar, plastisch, subli- mierbar, seine Partialtendenzen sind in ihr Gegenteil verkehrbar, ohne jedoch auf Befriedigung völlig verzichten zu können. Die Energie, die zu den sozialen Leistungen verwendet wird, auch zu denen, die den Nahrungstrieb befriedigen, entstammen der Libido. Sie ist die Triebkraft der seelischen Entwicklung, sobald sie unter dem Einfluss der Gesellschaft gerät.

Der Motor der Verdrängung ist der Selbsterhaltungstrieb des Ichs. Dieser meistert den Sexualtrieb, aus dem Konflikt zwischen beiden ergibt sich die seelische Entwicklung. Die Verdrängung ist, wenn man von ihr als Mechanismus und von ihren Wirkungen absieht, ein gesellschaftliches Problem, weil die Inhalte und Formen der Ver- drängung vom gesellschaftlichen Sein des Individuums abhängen. Dieses gesellschaftlichen Sein ist ideologisch konzentriert in einer Summe von Vorschriften, Geboten und Verboten, im Über-Ich. Grosse Teile davon sind selbst unbewusst.

Die Psychoanalyse führt alle Moral im Menschen auf die Ein- flüsse der Erziehung zurück, weist also die Annahme eines metaphy- sischen Charakters der Moral etwa im Sinne des Kant sehen Moral- begriffes zurück. Sie löst den Moralbegriff materialistisch auf, in- dem sie ihn auf Erlebnisse und auf den Selbsterhaltungstrieb sowie auf Angst vor Strafe zurückführt. Alle Moral entsteht im Kinde ent- weder aus Angst vor Strafe oder aus Liebe zu den Erziehungsper- sonen. Wenn Freud zuletzt von »einer unbewussten Moral« und von einem »unbewussten Schuldgefühl« spricht, so meint er damit nur, dass mit den verbotenen Wünschen auch gewisse Elemente des Schuldgefühls verdrängt werden, wie etwa das Inzestverbot. Jurinetz hat den Begriff des unbewussten Schuldgefühls völlig missverstanden, wenn er meint, dass sich hier die Annahme eines


31) Niemals hat Freud, wie Juri netz behauptet, die Theorie der Verdrän- gung durch die der »Verurteilung« ersetzt. Er hat missverstanden, was Freud mit dem Satze meinte, dass ein Trieb, wenn er durch .Analyse bewusst geworden ist, vom Ich verurteilt werden kann. Die Verurteilung ist ein Gegensatz zur Ver- drängung. »Dass die FreudistcD ihre Theorie des Unbewussten immer mehr ver- nichteten«, wie Jurinetz schreibt (ebenda, S. 110), stimmt nicht. Diese An- sicht Jurinetz' stammt aus der Verwirrung, die die neuere Theorie vom Es, Ich und Über-Ich in ihm gestiftet hat. Sie ist nicht Negation der Lehre vom Unbe- wussten, sondern schliesst sie ein.

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ursprünglich moralischen Wesens des Ichs im Sinne einer metaphy- sischen Schuld eingenistet hat. Einzelne Analytiker mögen aus welchen Bedürfnissen immer trotz der Psychoanalyse, die sie aus- üben, an das ursprünglich Moralische und Göttlichen im Menschen glauben. Das ist nicht in der analytischen Theorie gegeben, gerade ^as Gegenteil ist wahr: Die Psychoanalyse vernichtet endgültig, naturwissenschaftlich, indem sie die Diskussion der Moral der Phi- losophie entzieht, einen solchen Glauben. Man überlasse es dem ein- zelnen Analytiker, mit dem Konflikt fertig zu werden, wie er den Glauben an eine metaphysische Moral und Gott mit seiner psycho- analytischen Überzeugung vereinigen kann. Man hat allen Gründe um die Psychoanalyse besorgt zu sein, wenn sie sich mit metaphy- sischer Anschauung zu vertragen beginnt^^). Die Theorie des unbe- wussten Schuldgefühls wirft also keineswegs die Theorie des Unbe- wussten über den Haufen, wie Jurinetz befürchtet, sondern sie führt im Gegenteil auch die Erwerbung der Moral auf Materielles

zurück.

Wir haben bisher gezeigt, dass sowohl das Es wie das über-Ich, weit davon entfernt, metaphysische Konstruktionen zu sein, sich inhaltlich restlos auf Bedürfnisse beziehungsweise reale Erwerbun- gen aus der Aussenwell zurückführen lassen. Wo Jurinetz den Vorwurf hernimmt, dass »wie bei Schopenhauer, so ... auch bei Freud die Welt die Produktion des eigenen ,Ich' mit dem Ziele der Regulierung unserer Triebe ist«^^), ist mir völlig unverständlich. Gerade das Gegenteil ist an zahllosen Stellen, die übrigens auch von Jurinetz zitiert werden, von Freud dargelegt, dass nämlich das Ich ein Resultat der Einwirkung der realen Aussenwelt auf den Trieborganismus ist, als Reizschutz entsteht. Selbst in der von Ju- rinetz heuptsächlich zur Grundlage seiner Kritik genommenen, be- wusst spekulativen Schrift Freuds »Jenseits des Lustprinzips«, ist von einer Schöpfung der realen Welt durch das Ich keine Rede. Jurinetz ist am Begriff der Projektion gescheitert, der dort nicht näher erörtert wird; in den klinischen Arbeiten Freuds hätte er sich darüber Klarheit holen können. Das Ich glaubt, dass Vor- stellungen, die es verdrängt in sich hat und deren Druck es spürt, in


32) (1934) Die Besorgnis, die hier zum Ausdruck kam, erwies sich mittlerweile als durchaus begründet. Heute ist die gesamte psychoanalytische Bewegung nicht zuletzt unter dem Einflüsse der seither angewachsenen politischen Reaktion in eiDC schwere Krise geraten; sie lässt sich kennzeichnen als Ausdruck des Widerspruches zwischen den revolutionären Anschauungen der psychoanaly- tischen Sexualtheorie und der bürgerlich -religiös-ethischen Weltanschauung vieler führender Analytiker. Die theoretischen Kampfgebiete zwischen der naturwissenschaftlich-marxistischen und der bürgerlich- weit an schaulichen Hichtung der Psychoanalyse sind im wesentlichen die Fragen nach der Herkunft der Sexualverd rangung, nach der Rolle des genitalen Geschlechtslebens für die seelische Gesundheit, nach der Existenz eines biologisch gegebenen selbst- zcrstörendcn Triebes sowie technisch-therapeutische Probleme.

33) Ebenda, S. 103.

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der Aussenwelt sind. Das und nichts anderes ist die Projektion. Ge- rade durch diese materialistische Theorie konnte Freud das Wesen der Halluzinationen der Geisteskranken aufklären. Die Stimmen, die sie hören, sind tatsächlich nur unbewusste Gewissensbisse oder Wünsche, aber sie sind doch nicht real in der Aussenwelt. ' Gewiss, »Jenseits des Lustprinzips« war geeignet, unrichtige Auf- fassungen in der Psychoanalyse aufkommen zu lassen. Freud hat aber selbst seine kritische Einstellung zu dieser Arbeit sowohl in der Broschüre als auch wiederholt mündlich geäussert, sie als ausser- halb der klinischen Psychoanalyse stehend bezeichnet. Dass sie aber trotzdem Ausgangspunkt für völlig haltlose Spekulationen mit der Todestriebhypothese werden konnte, liegt wahrscheinlich an der für die bürgerliche Ideologie heiklen Libido theorie, die man gern für eine weniger gefährliche Hypothese eintauscht.

Die materielle Natur des Ichs ist schon deshalb unbestreitbar, weil es an das Wahrnehmungssystem der Sinnesorgane angeschlos- sen ist. Femer leitet sich das Ich nach Freud, wie schon erwähnt, aus der Einwirkung materieller Reize auf den Triebapparat ab. Es ist nach Freud nur ein besonders differenzierter Teil des Es, ein Puffer oder Schutzorgan zwischen Es und realer Welt. In seinen Handlungen ist das Ich nicht frei, sondern von Es und t)ber-Ich, also von Biologischem und Gesellschaftlichem abhängig. Die Psy- choanalyse bestreitet also die Freiheit des Willens, und ihre Auf- fassung davon deckt sich vollständig mit der von Engels: »Frei- heit des Willens heisst nichts anderes, als die Fähigkeit, mit Sach- kenntnis entscheiden zu können.« Die Übereinstimmung ist so voll- ständig, dass sie sogar in der Grundauffassung der analytischen Therapie der Neurosen zum Ausdruck kommt; Der Kranke soll da- durch, dass er Kenntnis von seinem Verdrängten erhält, dass das Un- bewusste bewusst wird, die Fähigkeit, sich zu entscheiden, erhalten, »mit mehr Sachkenntnis«, als ihm unter der Bedingung der Unbe- wusstheit seiner wesentlichsten Strebungen möglich war. Natürlich ist das noch keine Freiheit des Willens im Sinne der Metaphysiker, sie ist jedenfalls begrenzt durch die Ansprüche der natürlichen Be- dürfnisse. Wenn etwa die Sexualwünsche bewusst geworden sind, kann er sich nicht entscheiden, sie wieder zu verdrängen, es ist ihm auch unmöglich, sich für dauernde Askese zu entscheiden. Wohl aber kann er sich vornehmen, eine Zeit lang asketisch zu leben. Das Ich bleibt nach der gelungenen Analyse nicht minder abhängig von Es und Gesellschaft, es weiss die Konflikte nur besser zu erledigen.

Aus den Bedingungen ihrer Entstehung ergibt sich, dass das Ich ^ur Hälfte, das über-Ich zur Gänze, was ihren konkreten Inhalt be- trifft, F'-agen des gesellschaftUchen Lebens einschliessen. Die reli^- ösen und ethischen Forderungen wechseln mit der Gesellschaftsord- nung. Das Über-Ich der Frau ist im platonischen Zeitalter grund- Terschieden von dem in der kapitalistischen Gesellschaft, und ia

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dem Masse, wie sich in der bestehenden Gesellschaft die neue ideolo- gisch vorbereitet, ändern sich natürlich die Inhalte des über-Ichs. Das betrifft etwa ebenso die Sexualmoral wie die Ideologie von der Unantastbarkeit des Eigenturas an den Produktionsmitteln, es wechselt natürlich auch mit der Stellung des Individuums im Pro- du ktionsprozess .

Aber auf welche Weise wirkt die gesellschaftliche Ideologie auf das Individuum ein? Die Marxsche Gesell Schafts lehre musstc diese Frage als ausserhalb ihres Bereiches liegend offenlassen, die Psycho- analyse hingegen kann sie beantworten: Für das Kind ist die Fa- milie, die vollgesogen ist mit den Ideologien der Gesellschaft, ja, die geradezu die ideolo^sche Keimzelle der Gesellschaft ist, der vor- läufige Repräsentant der Gesellschaft überhaupt, noch bevor es im eigentlichen Produktionsprozess steht. Im ödipusverhältnis sind nicht nur die triebhaften Einstellungen inbegriffen, sondern die Art und Weise, in der das Kind den Ödipuskomplex durchmacht und über- windet, ist mittelbar bedingt sowohl durch die allgemeine gesellschaft- liche Ideologie, als auch durch die Stellung der Eltern im Produk- tionsprozess; mithin sind die Schicksale des Ödipuskomplexes letzten Endes wie alles andere abhängig von der ökonomischen Struktur der Gesellschaft. Ja mehr, sogar dass ein Ödipuskomplex überhaupt zu- stande kommt, ist der besonderen, durch die Gesellschaft bedingten Struktur der FamiUe zuzuschreiben. Doch die Frage nach der histo- rischen Natur nicht bloss der Formen, sondern auch der Existenz des Ödipuskomplexes können wir erst im nächsten Kapitel behandeln.


III. Die Dialektik im Seelischen

Wir gehen nun zur Frage über, ob die materialistischen Er- kenntnisse der Analyse auch die Dialektik der seelischen Prozesse aufgedeckt haben. Doch zunächst wollen wir die hauptsächlichen Grundsätze der dialektischen Methode, wie sie von Marx und Engels aufgestellt und von ihren Schülern fortgeführt wurde, in Erinnerung rufen.

Die materialistische Dialektik von Marx trat als Gegensatz zur idealistischen Dialektik Hegels, des eigentlichen Begründers der dialektischen Methode, auf. Während Hegel die Dialektik der Be- griffe als das ursprünglich Bewegende der geschichtlichen Entwick- lung ansah, und die reale Welt bloss als Spiegelbild der sich dialek- tisch fortentwickelnden Ideen oder Begriffe autfasste, kehrte Marx die Betrachtung der Welt materialistisch um, das heisst er stellte das Gebäude Hegels nach seinem eigenen Ausdruck »auf die Beine«, indem er das materielle Geschehen als das Ursprüngliche und die Ideen als das von jenem Abhängige erkannte. Während er aber die dialektische Betrachtung des Geschehens von Hegel übernahm, räumte er gleichzeitig mit dem metaphysischen Idealismus Hegels

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und mit dem mechanistischen Materialismus der Materialisten des 18. Jahrhunderts auf. Die Hauptsätze des dialektischen Materialis- mus sind:

1. Die Dialektik ist nicht nur eine Form des Den- kens, sondern sie ist unabhängig vom Denken in der Materie gegeben, das heisst, die Bewegung der Materie erfolgtobjektivdialektisch. Der materialistische Dialektiker legt also nicht etwas in die Materie hinein, was nur in seinem Denken ist, sondern er erfasst mittels der Sinnesorgane und seines Denkens, das selbst den Gesetzen der Dialektik unterliegt, unmittelbar das ma- terielle Geschehen der objektiven Wirklichkeit. Es ist klar, dass diese Einstellung der idealistischen von Kant extrem entgegengesetzt ist ^).

2. Die Entwicklung nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der natürlichen Phänomene erfolgt nicht, wie jede Art von Meta- physik, sei es nun die idealistische oder die materialistische, behauptet, aus einem »Entwicklungsprinzip« oder »einer den Dingen innewohnen- den Entwicklungstendenz«, sondern sie erfolgt aus einem in- neren Widerspruch: aus Gegensätzen, die in der Ma- terie vorhanden sind, und aus einem Konflikt die- ser Gegensätze, der in der gegebenen Daseinsweise nicht gelöst werden kann, so dass die Gegensätze die bestehende Daseinsweise der Materie sprengen und eine neueschaffen, in der sich dann neue Gegensätze ergeben usf.

3. Alles, was dialektische Entwicklung hervor- bringf, Ssit o.liij'ek'tiV weder gut noch schlecht, son- dern notwendig. Was aber in einer Entwicklungs- periode zuerst fördernd war, kann später hemmend werden. So förderte die kapitalistische Produktionsweise zuerst ganz gewaltig die technischen Produktivkräfte, wurde aber später durch die ihr immanenten Widersprüche zu einer Hemmung dieser Entwicklung. Die Befreiung von dieser Hemmung bringt die sozia- listische Produktionsweise.

4. Durch die beschriebene dialektische Entwicklung aus Gegensät- zen ist nichts dauernd, alles, was wird, trägt auch schon den Keim seines Unterganges in sich. Eine Klasse, die ihre Herrschaft befestigen will, kann die dialektische Betrachtung nicht akzeptieren, weil sie sich sonst selbst das Todesurteil spricht. Nach Marx brachte die kapitalistische Bourgeoisie in ihrem Aufstieg eine Klasse zur Entwicklung, das Proletariat, das aus seinen Daseins- bedingungen heraus den Niedergang der Bourgeoisie bedeutet. Daher kann auch nur die proletarische Klasse die Dialektik voll und prak- tisch anerkennen, während das Bürgertum notwendigerweise im abso- luten Idealismus stecken bleiben muss.




3*) Vgl. hierzu Lenins »Materialismus und Empiriokritizismus«, Verlag für Li- teratur und Politik, 1927.

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5. Jede Entwicklung ist Ausdruck und Folge einer doppelten Negation: Negation der Negation. Um das zu illustrieren, bringen wir wieder ein Beispiel aus der gesellschaftli- chen Entwicklung. Die Warenproduktion war Negation des Urkom- munismus, in dem nur Produktion von Gebrauchswerten herrschte. Die sozialistische Wirtschaftsordnung ist die Negation der ersten Ne- gation, sie verneint die Warenproduktion und gelangt so spiralig auf höherer Stufe zur Bejahung des zuerst Verneinten, der Produktion von Gebrauchswerten, zum Kommunismus^).

6. Gegensätze sind nicht absolut, sondern sie durchdringen einander. Quantität schlägt an einem bestimm- ten Punkte in Qualität um. Jede Ursache einer Wirkung ist gleich- zeilig Wirkung dieser Wirkung als Ursache. Das ist nicht einfach Wechselwirkung streng voneinander getrennter Phänomene, sondern ein gegenseitiges Durchdringen und Aufeinanderwirken. Ferner kann ein Element unter gegebenen Bedingungen in sein Gegenteil um- schlagen ^^) .


M) <ld34) Das gleiche gilt, wie mittlerweile erschlossen werden konnte, auch für die Entwicklung der Sexualformen und der Sexualideologie. In der Urgesell- schaft, die nrltommunistisch wirtschaftet, ist das Geschlechtsleben bejaht und befürsorgt. Mit der Entwicklung zur Waren- und Privatwirtschaft schlägt zu- gleich die Sexualbejahung sowohl in der Gesellschaft wie in der menschlichen Struktur in Sexualverneinung um. Es ist nun nach dialektischem Entwick- lungsgesetz eine notwendige Annahme, dass die Sexualverneinung auf höherer Ebene wieder einmal in gesellschaftliche und strukturelle Sexualbejahung umschlagen wird. Wir befinden uns gegenwärtig nicht nur im Widerspruch zwischen der Tendenz zur Aufhebung der Warenwirtschaft und ihrer Erhal- tung, sondern auch in einem sich immer mehr zuspitzenden Konflikt zwischen der gesellschaftlichen Tendenz zur Verschärfung der Sexualunterdrückung und der ihr entgegengesetzten zur Wiederherstellung der natürlichen sexuellen Ökonomie an Stelle der moralischen Regulierung und Unterdrückung. In der- Sowjetunion traten beide vorwärtsdrängenden Tendenzen in den ersten Jahren klar hervor. Auf sexuellem Gebiete brachen sie wieder ah, es erfolgte ein Rückschritt, dessen Gründe und Wesen erst der Erforschung bedürfen. Vgl. »Der Einbruch der Sexualmoral«. Die Theorie der gesellschaftlichen Sexual- ökonomie darf als die subjektive Erkenntnis, als theoretische Eewusstwerdung über diesen gesellschaftlichen Widerspruch aufgcfasst werden. Er ist der heute führenden Richtung der proletarischen Bewegung nicht nur unbekannt ge- blieben, sondern seine Aufdeckung rief sogar dort in massgebenden Kreisen einen heftigen Widerstand hervor. Vgl. »Die Geschichte der Sex-Pol«, Z. f. p. P. u. S., ab Heft 3/4.

36) (1934) Gerade an der faschistischen Massenbewegung konnte dieser Vorgang fast handgreiflich gefasst werden. Die antikapitalistische Rebellion der Masse des deutschen Volkes, die in schärfstem Widerspruch zur objektiven Funktion des Faschismus steht, verflocht sich mit dieser und schlug derart selbst für eine Zeitlang in ihr Gegenteil, in Festigung und Verlängerung der Herrschaft des deutschen Kapitals qm.

An dieser Stelle sei nur ein Problem angedeutet, das anderwärts sehr- «ingehend behandelt werden soll. Das Wesen der marxistischen Politik be- steht im Voraussehen der möglichen Entwicklungstendenzen und in der För- derung aller jener Vorginge, die der sozialen Revolution entsprechen. Die Führung der Komintern, der das Schicksal der Weltrevolution anvertraut war, entartete in der Theorie ökonoraistisch und mechanistisch und hinkte dadurch dauernd nach. Sie konnte nichts voraussehen, übersah z. B. die revolutionären Tendenzen in der faschistischen Massenbewegung und konnte daher auch nichts.

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7. Die dialektische Entwicklung erfolgt zwar allmählich, wird aber an bestimmten Stellen sprung- haft. Wasser wird bei fortschreitender Abkühlung nicht allmählich zu Eis, sondern die Qualität Wasser wandelt sich an einem bestimmten Punkte plötzlich in die Qualität Eis um. Das heisst aber nicht, dass die sprunghafte Veränderung plötzlich aus nichts hervorgeht, sondern sie hat sich allmählich dialektisch bis zur sprunghaften Veränderung entwickelt. So löst die Dialektik auch den Gegensatz Evolution: Revolution auf, ohne ihn aufzuheben. Die soziale Veränderung der Gesellschaftsordnung wird etwa zunächst durch Evolution vorbereitet (Vergesellschaftung der Arbeit, Pauperisierung der Mehrheit usw.) und dann revolutionär herbeigeführt.

Versuchen wir es nun an einigen typischen Vorgängen im mensch- lichen Seelenleben, die die Analyse aufgezeigt hat, ihre Dialektik nachzuweisen, die unserer Behauptung nach ohne die psychoanalyti- sche Methode nicht hätte zutage treten können.

Zunächst als Beispiel für die dialektische Entwicklung die Symp- tombildung in der Neurose, wie sie von Freud zuerst erfasst und beschrieben wurde. Nach Freud entsteht ein neurotisches Symp- tom dadurch, dass das gesellschaftlich gebundene Ich eine Trieb- regung zunächst abwehrt und dann verdrängt. Die Verdrängung einer Triebregung allein macht aber noch kein Symptom; dazu ist notwendig, dass der verdrängte Trieb die Verdrängung wieder durch- breche und in verstellter Form als Symptom erscheine. Das Symp- tom enthält nach Freud sowohl die abgewehrte Triebregung als auch die Abwehr selbst: das Symptom trägt also den beiden ent- gegengesetzten Tendenzen Rechnung. Worin liegt nun die Dialektik der Symptombildung? Das Ich des betreffenden Menschen steht unter dem Drucke eines »psychischen Konfliktes«. Die widerspruchsvolle Situation, auf der einen Seite der Triebanspruch, auf der anderen die H

Realität, die die Befriedigung verweigert oder bestraft, verlangt nach I

einer Lösung. Das Ich ist zu schwach, um der Realität zu trotzen, I

aber auch zu schwach, um den Trieb zu beherrschen. Diese Schwäche des Ichs, welche selbst bereits eine Folge einer vorausgegangenen Entwicklung ist. für die die Symptom bildung nur eine Phase be- deutet, diese Schwäche ist also der Rahmen, innerhalb dessen sich der Konflikt abspielt; er wird nuQ auf die Weise erledigt, dass das Ich im Dienste der gesellschaftlichen Forderung, in Wirklichkeit,

ausrichten. Im Faschismus waren und sind vorübergehend die revolutionären und reaktioDärec Tendenzen vereinigt worden. In der Massenabschlachtung der SA-Führer am 30. Juni 1934 klafften die Gegensätze wieder auseinander; ob endgültig, wird sich zeigen. Das alles hätte als Möglichkeit vorausgesehen wen- den können. Es gibt nun einen bestimmten Weg dazu, daraus zu lernen. Gelingt es, in jeder wesentlichen gesellscliaftUchcn Erscheinung ihre inneren Widersprüche rechtzeitig zu sehen, dann sind Vorausbercchnungcn der Entwicklungsmöglichkeiten zugänglich. Vgl. hierzu »Massenpsychologie des Faschismus« (Verl. f. Sex-Pol, II. Auü., 1934), wo ein Versuch der Analyse der ideologischen Widersprüche des Faschismus vorliegt.

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um nicht unterzugehen oder bestraft zu werden, also aus Selbster- haltungstrieb, den Trieb verdrängt^"). Die Verdrängung ist also die Folge eines Widerspruches, der unter der Bedingung der Be- wusstheit nicht zu lösen ist. Das Unbewusstwerden des Triebes ist eine vorläufige, wenn auch pathologische Lösung des Konfliktes. Zweite Phase: Nach der Verdrängung des Wunsches, der vom Ich ebenso verneint, wie bejaht wurde, ist das Ich selbst verändert, sein Bewusstsein ist um einen Bestandteil (Trieb) ärmer und um einen andern (vorübergehende Ruhe) reicher. Der Trieb kann aber in der Verdrängung ebensowenig auf die Befriedigung verzichten, wie im Zustande des Bewusstseins, eher weniger, weil er jetzt nicht einmal der Kontrolle des Bewusstseins ausgesetzt ist. Die Ver- drängung setz-t ihren eigenen Untergang, da in- folge der Verdrängung die Triebenergie mäch- tig gestaut wird, um schliesslich die Verdrän- gung zu durchbrechen. Der neue Prozess des Durch- bruchs der Verdrängung ist Resultat des Widerspruches: Verdrängung— Triebstauung, wie die Verdrängung selbst Folge des Widerspruches: Triebwunsch — Versagung der Aussenwelt (unter der Bedingung: Schwäche des Ichs) war. Es besteht also nicht etwa eine »Tendenz« zur Symptom bildung. sondern die Entwicklung erfolgt, wie wir sehen konnten, aus den Widersprüchen des seelischen Kon- fliktes. Mit der Verdrängung war auch die Bedingung ihres Durch- bruches, die Aufstauung der Energie des unbefriedigten Triebes ge- geben. Ist mit dem Durchbruch der Verdrängung in der zweiten Phase der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt? Ja und nein. Ja insofern, als der Trieb wieder das Ich beherrscht, nein insofern, als er eben verändert, in verstellter Form im Bewusstsein ist, als Symptom. Dieses enthält das Alte, den Trieb, aber gleich- zeitig auch seinen Gegensatz, die Abwehr des Ichs. In der dritten Phase (Symptom) sind also die ursprünglichen Gegensätze vereint in einer und derselben Erscheinung. Diese selbst ist Negation (Durch- bruch — ) der Negation (der Verdrängung). Machen wir vorläufig Halt, um das an einem konkreten Beispiel der psychoanalytischen Erfahrung zu demonstrieren.

Nehmen wir den Fall einer verheirateten Frau, die Angst vor Einbrechern hat, die sie mit Messern überfallen könnten. Sie kann etwa nicht allein im Zimmer bleiben und vermutet in jedem Versteck einen grausamen Einbrecher. Die Analyse dieser Frau eines Arbeiters ergab folgendes:


37) (1934) Die englische psychoanalytische Schule übersah die Tatsache, dass diese Ich-Schwäche künstlicher Ausdruck infolge der Triebhemmung ist. Bestünde kein Konflikt zwischen Ich und Sexualanspruch, könnte das Ich dem jeweili- gen Entwicklungsstadium entsprechende Befriedigung haben, es würde sich vor dem Trieb nicht fürchten. Die erzeugte Schwäche wird aber von diesen und vielen anderen Analytikern als biologisch begründet angeschen. Dem- zufolge soll die Sexualvcrdrängung eine biologische Notwendigkeit sein.

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1. Phase: Psychischer Konflikt und Verdrän- gung: Die Frau hat einen Mann vor ihrer Heirat kennen gelernt, der sie mit Anträgen verfolgte, denen sie gern gefolgt wäre, wenn sie nicht moralisch gehemmt gevpesen wäre. Die Erledigung dieses Konfliktes konnte sie mit der Tröstung auf spätere Heirat verschie- hen. Der Mann wandte sich ab, sie heiratete einen anderen, ohne den ersten vergessen zu können. Der Gedanke an ihn störte sie un- ausgesetzt. Als sie ihm einmal wieder begegnete, geriet sie neuerdings in schweren Konflikt zwischen ihrem Verlangen nach ihm und ihrer Forderung nach ehelicher Treue. Unter diesen Bedingungen wurde der Konflikt unerträglich und unlösbar, das Verlangen nach ihm war ebenso stark wie ihre Moral. Sie begann ihn nun zu meiden (Abwehr) und schliesslich vergass sie ihn scheinbar. Das war aber kein wirk- liches Vergessen, sondern nur ein Verdrängen. Sie glaubte sich geheilt und dachte bewusst nicht mehr an ihn.

2. Phase: Durchbruch de|r Verdrängung. Einige Zeit später hatte sie einen heftigen Streit mit ihrem Mann, weil er mit einer anderen Frau flirtete. Im Verlaufe des Streites hatte sie sich, wie sich viel später herausstellte, gedacht: »Wenn du darfst, so bin ich dumm, wenn ich es mir nicht auch erlaube« ; dabei halle sie momentan das Bild des ersten Geliebten vor sich. Der Gedanke war aber zu gefährlich, konnte er doch den ganzen alten Konflikt wieder heraufbeschwören, und so beschäftigte sie der Gedanke bewusst nicht weiter: Sie hatte ihn aufs neue verdrängt. Aber in der Nacht trat ein Angstzustand auf; sie hatte plötzlich die Idee, dass ein fremder Mann sich an ihr Bett heranschleiche, um sie zu vergewaltigen. Der Trieb war in verstellter Form, ja mehr: als sein direktes Gegenteil wieder ins Bewusstsein gedrungen; an Stelle des Wunsches nach dem fremden Mann hatte sie Angst vor ihm. Diese Verstellung war (3. Phase) Grundlage ihrer Symptombildung. Analysieren wir jetzt das Symptom selbst, so sehen wir in der Phantasievorstellung, dass ein fremder Mann sich in der Nacht an ihr Bett schleicht, die Erfüllung des verdrängten Wunsches, den Ehebruch zu begehen. (Die genaue Analyse ergab in den Details, dass sie, ohne es zu wissen, ihren erstcJi Geliebten phantasierte: Gestalt, Haarfarbe usw. waren die gleichen). In dem gleichen Symptom ist aber auch die Abwehr enthalten, die Angst vor dem Trieb, die als Angst vor dem Mann erscheint. Später schwand das Element »vergewaltigt werden« aus der Angst und wurde durch »ermordet werden« ersetzt, entsprach also einer weiteren Ver- stellung des bisher zu deutlichen Inhaltes des Symptoms.

Wir sehen an diesem Beispiel nicht nur ursprünglich getrennte Gegensätze in einem Phänomen vereint, sondern auch die Verwand- lung eines Phänomens in sein Gegenteil, des Wunsches in Angst. Bei dieser Umwandlung der sexuellen Energie in Angst, einer der ersten und grundlegendsten Funde Freuds, liegt der Tatbestand vor, dass die gleiche Energie unter der einen Bedingung das gerade

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Gegenteil von dem unter einer anderen Bedingung Erscheinenden erzeugt.

Noch ein anderer dialektischer Erfahrungssatz kommt in unserem Beispiel zum Ausdruck. Im Neuen, im Symptom, ist das Alte, der Sexualwunsch, vorhanden, und dennoch ist das Alte nicht mehr es selbst, sondern gleichzeitig etwas völlig Neues, nämlich Angst. Der dialektische Gegensatz von Libido und Angst lässt sich aber noch anders auflösen, nämlich aus dem Gegensatz von Ich und Aussen- welt ■■'*'). Ehe wir aber dazu übergehen, wollen wir an einigen kleine- ren Beispielen weitere Dialektik im Seelischen zeigen. Zum Umschla- gen der Quantität in Qualität: Die Verdrängung einer Triebregung aus dem Bewusstsein oder auch die blosse Unterdrückung ist bis zu einem gewissen Grade für das Ich lustvoll, weil es einen Konflikt beseitigt; über einen bestimmten Grad hinaus aber schlägt die Lust in Unlust um. Geringes Reizen einer zur Endbefriedigung nicht fähigen erogenen Zone ist lustvoll; dauert die Reizung zu lange, so schlägt die Lust in Unlust um.

Dialektische Vorgänge sind ferner die Spannung und Entspannung. Das lässt sich am Sexualtrieb am besten zeigen. Die Spannung einer sexuellen Erregung erhöht die Begierde, baut aber gleichzeitig die Spannung durch Befriedigung in der Reizung ab, ist also gleichzeitig Entspannung. Die Spannung bereitet aber auch die kommende Ent- spannung vor, wie etwa die mechanische Spannung der Uhrfeder ihre Entspannung vorbereitet. Umgekehrt ist die Entspannung mit höchster Spannung verbunden — etwa im Sexualakt, oder die entspannende Spannung bei einem aufregenden Drama — , sie ist aber auch die Grundlage für erneute Spannung.


38) (1934) Der Widerspruch dieser, heule scxualökonomisch zu nennenden Auffas- sung des Triebdualismus zu der von Freud lässt sich nach dem Stande des Wissens wie folgt formulieren: Freud stellte einerseits den Gegensatz von Ich und Aussenwelt fest, dann, unabhängig von diesem, den inneren Dualis- mus zweier Urtriebe; am dualistischen Charakter des psychischen Prozesses, den Freud entdeckte, hielt er immer fest. Die Se:tualökonomie fasst den inneren Tricbdualismus anders, nämlich nicht absolut, sondern dialektisch auf und leitet überdies die inneren Triebkonflikte aus dem Urgegensatz: Ich- Ausscnwelt ab. Es würde zu weit führen, diese sehr komplizierten Fragen hier ausführlich darzustellen, im besonderen zu zeigen, wie die sexualökonomische Tricblehre aus der Freudschen herauswuchs, was sie dabei übernahm und was sie durch andere Auffassungen ersetzte oder fortentwickelte. Manche Freunde der Sexualökonomie neigen dazu, hier Freud Auffassungen zuzu- schreiben, die er selbst ablehnt. Da die Sexualökonomie u. a. die konsequenteste Fortsetzung der psychoanalytischen Naturwissenschaft ist, versteht sich von selbst, dass sich viele ihrer Grundauffa.isungen im Wesen der psychoanalytischen Forschung vorgebildet, angedeutet oder latent vorbereitet finden. Dies bildet die Schwierigkeit, die beiden Disziplinen zu trennen. Doch genügt ein Blick in die Literatur, um festzustellen, wie unvereinbar die heutige sexualökonomi- sche Sexual- und Trieblehre mit der heutigen psychoanalytischen ist. Und ich möchte es im Gegensatze zu manchen sehr wohlgesinnten Freunden bei- der Disziplinen vermeiden. Unvereinbares vereinigen zu wollen, über die Ansätze zur sexualökonomischen Trieblehre unterrichtet das letzte Kapital der »CharakteranalysCK und der »Urgegensatz des vegetativen Lebens«, Z. f. p. P. u. S., 1934.

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Der Satz von der Identität der Gegensätze lässt sich an den Vor- gängen der narzisstischen Libido und der ObjektUbido zeigen. Nach Freud sind die Selbstliebe und die Liebe zum Objekt nicht nur Gegensätze; die Objektliebe entsteht aus der narzisstischen Libido und kann jederzeit in sie zurückverwandelt werden; sofern aber beide Liebestendenzen darstellen, sind sie identisch; nicht zuletzt gehen sie auch auf eine gemeinsame Quelle, den somatischen Sexual- apparat und den »Urnarzissmus« zurück. — Ferner die Begriffe »Bewusstes« und »Unbewusstes«: Sie sind Gegensätze, aber an der Zwangsneurose lässt sich zeigen, dass sie zugleich gegensätzlich und identisch sein können. Diese Kranken verdrängen Vorstellungen in der Weise aus ihrem Bewusstsein, dass sie der Vorsteliung nur die Aufmerksamkeit, d.h. die Affektbesetzung entziehen; die »verdrängte«  Vorstellung ist jederzeit bewusst und doch unbewusst, d. h. der Kranke kann sie produzieren, aber er kennt ihre Bedeutung nicht. — Die Be- griffe Es und Ich drücken ebenfalls identische Gegensätze aus: Das Ich ist einerseits nur ein besonders differenzierter Teil, wird aber gleichzeitig unter dem Einfluss der Aussenwelt ein Gegner, funktio- neller Widerpart des Es.

Der Begriff der Identifizierung entspricht nicht nur einem dia- lektischen Vorgang, sondern auch einer Identität von Gegensätzen. Die Identifizierung kommt nach Freud so zustande, dass man etwa eine Erziehungsperson, die gleichzeitig geliebt und gehasst wird, »in sich, aufnimmt« (sich mit ihr »identifiziert«), d. h. ihre Eigen- schaften oder Gebote zu den eigenen macht. Dabei geht gewöhn- lich die Objektbeziehung zugrunde. Die Identifizierung löst den Zu- stand der Objektbeziehuung ab, ist also ihr Gegensatz, ihre Ver- neinung, aber gleichzeitig eine Äufrechterhaltung der Objektbe- ziehung in anderer Form, also auch eine Bejahung. Dem liegt fol- gender Widerspruch oder Konflikt zugrunde: »Ich liebe X; als mein Erzieher verbietet er mir sehr viel, weswegen ich ihn hasse; ich möchte ihn zerstören, beseitigen, aber ich liebe ihn auch, will ihn ■ also auch erhalten.« Aus dieser widerspruchsvollen Situation, die als solche bei einer gewissen Intensität der gegensätzlichen Regungen nicht bestehen bleiben kann, gibt es folgenden Ausweg: »Ich absor- biere ihn, ich 'identifiziere' mich mit ihm, ich vernichte ihn (d. h. meine Beziehung zu ihm) in der Aussenwelt, behalte ihn aber in mir in einer veränderten Form weiter; ich habe ihn vernichtet und doch behalten.« 

In denjenigen Tatbeständen, die in der Psychoanalyse mit dem Be- griffe der Ambivalenz, des gleichzeitigen Ja und Nein erfasst werden, gibt es noch eine Fülle dialektischer Phänomene, von denen wir nur das hervorstechendste, die Verwandlung von Liehe in Hass und umgekehrt hervorheben. Hass kann in Wirklichkeit Liebe bedeuten und umgekehrt. Sie sind identisch, sofern beide intensive Bindungen an den Nebenmenschen ermöglichen. Die Verkehrung ins Gegenteil ist

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eine Eigenschaft, die Freud den Trieben im allgemeinen zuschreibt.. Bm der Verkehrung geht aber das Alte nicht unter, sondern bleibt in seinem Gegenteil voll erhalten.

Auch die Gegensätze Perversion und Neurose sind dialektisch aufzulösen, indem jede Neurose eine negierte Perversion ist und um- gekehrt.

Ein schönes Beispiel dialektischer Entwicklung lässt sich an der säkularen Sexualverdrängung zeigen. Bei den Primitiven besteht ein scharfer Gegensatz zwischen dem Inzesttabu hinsichtlich der Schwe- ster (und Mutter) und der sexuellen Freiheit hinsichtlich der übri- gen Frauen. Die Sexualeinschränkung breitet sich aber immer mehr aus, betrifft zunächst nur noch die Cousinen, später alle Frauen der gleichen Gens, schlägt schliesslich bei weiterer Ausbreitung in eine qualitativ andere Einstellung zur Sexualität überhaupt um, wie etwa im Patriarchat und besonders im Zeitalter des Christentums. Die stärkere Verdrängung der Sexuahtät überhaupt erzeugt aber ihren Gegensatz in der Form, dass heute das Tabu die Beziehungen zwischen Bruder und Schwester für die Kindheit de facto durch- brochen ist. Die Erwachsenen wissen infolge der überstarken Sexual Verdrängung überhaupt nichts mehr von der kindlichen Sexu- alität, so dass heute sexuelle Spiele zwischen Bruder und Schwester nicht als sexuell angesehen werden und zu den Selbstverständlich- keiten auch der »vornehmsten« Kinderstube gehören. Der Primitive darf seine Schwester nicht einmal anschauen, ist aber im übrigen sexuell ungebunden; der Zivilisierte lebt seine kindliche Sexualität an seiner Schwester aus, ist aber sonst durch schärfste moralische Gebote gebunden ^^).

Gehen wir nun zur Frage über, inwieweit die Psychoanalyse die Dialektik des Seelischen auch hinsichtlich der allgemeinen Entwick- lung des Individuums in der Gesellschaft aufgezeigt hat. Wir wer- den dabei zwei wesentliche Fragen zu behandeln haben:

Erstens, ob die Dialektik des Seelischen sich nicht auf den {wie- der auflösbaren) Urgegensatz von Ich (Trieb) und Aussenwelt zurück- JFühren lässt.

Zweitens, wie sich die rationale und die irrationale Betrach- tung individueller Gegebenheiten widersprechen und doch ineinander übergehen.

Wir führten bereits im ersten Abschnitt die Auffassung der Psychoanalyse Freuds aus, dass das Individuum in seelischer Hin-

38) (1934) Dieser Absatz bedarf einer Korrektur: Als ich ihn zuerst abfasste, stand ich unter dem Einfluss der bürgerlichen Theorie, dass die geschlechtliche Einheit der Urgesellschaft die patriarchalische Familie sei; sie deckte sich mit der von F r e u d in »Totem und Tabu«. Die Kenntnis von den entscheidenden Entwicklungsprozessen, die das Mutterrecht in das Vaterrecht verwandeln, zwang dazu, anzuerkennen, dass nicht nur die leibliche Schwester, sondern auch alle Mädchen desselben Clans von vornherein dem Tabu unterworfen sind, über den Widerspruch von Familie und Clan vergl. meine Ausführungen in »Der Einbruch der Sexualmoral«.

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sieht als ein Bündel von Bedürfnissen und ihnen entsprechenden Trieben zur Welt kommt. Mit diesen Bedürfnissen ist es als verge- fiellschaftetes Wesen sofort in die Gesellschaft hineingestellt, nicht nur in die engere Gesellschaft der Familie, sondern mittelbar, durch die Ökonomischen Bedingungen des Familiendaseins, auch in die ■weitere Gesellschaft. Auf die einfachste Formel gebracht tritt die. Ökonomische Struktur der Gesellschaft ■ — - durch viele Zwischen- glieder hindurch: Klassenzugehörigkeit der Eltern, ökonomische Ver- hältnisse der Familie, Ideologien, Verhältnis der Eltern zueinander usw. ^ — ■ in eine Wechselwirkung mit dem Trieb-Ich des Neugebore- nen. So wie dieses seine Umgebung verändert, wirkt die veränderte Umgebung auf es zurück. Die Bedürfnisse werden zum Teil befrie- digt, insofern herrscht Einklang. Zum grösseren Teile aber entsteht ein Gegensatz zwischen den Triebbedürfnissen und der gesellscbaft- lichen Ordnung, als deren Repräsentant wie gesagt die Familie (später die Schule) fungiert. Dieser Gegensatz ergibt einen Kon- flikt, der zu einer Veränderung führt, und da das Individuum der schwächere Gegner ist, zu einer Veränderung in seiner psychischen Struktur. Solche Konflikte infolge von Gegensätzen, die bei gleich- bleibender Struktur des Kindes unlösbar sind, entstehen täglich und stündlich und bilden das eigentlich vorwärtstreibende Element. Man spricht in der Psychoanalyse zwar von einer Anlage, von Entwick- lungstendenzen und anderem, aber die Tatsachen, die bisher über die frühkindliehe Entwicklung in Erfahrung gebracht wurden, sprechen nur für die oben geschilderte dialektische Entwicklung, für die Fort- bewegung in Gegensätzen von Stufe zu Stufe. Man unterscheidet Entwicklungsstufen der Libido, sagt, die Libido »durchlaufe« diese Entwicklungsstufen; aber die Beobachtung zeigt, dass keine Stufe ohne Versagung der Triebbefriedigung auf der vorhergehenden wirk- lich aktiviert wird. So wird die Versagung der Triebbefriedigung durch den Konflikt, den sie im Kinde erzeugt, der Motor seiner Ent- wicklung. Wir vernachlässigen den durch die Vererbung festgeleg- ten Teil an dieser Entwicklung, den man, wie etwa die Anlage der erogenen Zonen und des Wahrnehmungsapparats schwer als solchen rein darstellen kann. Er bildet noch ein recht dunkles Gebiet biolo- gischer Forschung. Die Frage nach der Natur seiner Dialektik gehört nicht hierher. Wir haben mit ihm zu rechnen, begnügen uns aber im übrigen mit der Formel Freuds, dass an der Entwicklung die Triebanlage in der gleichen Weise wie das Erlebnis beteiligt ist""*).


40) <1934) Auch diese Formulierung bedarC ausführlicher Korrektur. Die Auffa.s- sung von der absoluten Natur der Triebanlagc ersetzt die Sexualökonomic durch die andere, dass erstens die Anlage nur gegeben sein liönnc in Differenzen der biologisch-physiologischen Energieproduktion, dass zweitens die Differen- zen erst dann als »hereditäre Anlage« hervortreten, wenn die Entwicklung die Bedingungen hierfür schafft. Das heisst, dass das Gleiche, was in dem einen Falle als »Anlage« zur Neurose imponiert, in einem anderen Falle durchaus nicht als solche hervortritt. Die Lückenhaftigkeit unseres konkreten Wissens

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Unter den Erlebnissen nehmen neben den Triebbefriedigungen die Trieb versagungen eine hervorragende Rolle als Motoren der Entwick- lung ein. Der Gegensatz zvrischen dem Trieb-Ich und der Aussenwelt wird schliesslich zu einem inneren Widerspruch, indem sich eben unter dem Einfluss der Aussenwelt ein hemmendes Organ im seeli- schen Apparat auszubilden beginnt, das Über-Ich. Was ursprünglich Angst vor Strafe war, wird zur moralischen Hemmung. Der Konflikt zwischen Trieb und Aussenwelt wird zu einem Konflikt zwischen Trieb-Ich und Über-Ich. Wir vergessen aber nicht, dass beide materi- eller Natur sind, dass jenes direkt organisch gespeist ist, dieses letzten Endes im Interesse der Selbsterhaltung im Ich aufgerichtet wurde. Der Selbsterhaltungstrieb (Narzissmus) schränkt den Sexualtrieb und die Aggressivität ein. So treten zwei grundlegende Bedürfnisse, die ursprünglich im Säuglingsstadium und auch noch später in vielen Situationen eine Einheit bilden, in Gegensatz zu einander und treiben, von Konflikt zu Konflikt, die Entwicklung vorwärts, aber nicht nur anlässlich, sondern geradezu durch die gesellschaftlicheGebundenheit"). Bestimmt der innere und der äussere Konflikt die Entwicklung ganz allgemein, so erfüllt das gesellschaftliche Sein sowohl die Triebziele als auch die moralischen Hemmungen mit ihren zeitgemässen Vor- stellungen und Inhalten. Die Psychoanalyse kann also den Satz von Marx, dass das Sein das »Bewusstsein«, das heisst die Vorstellungen, Ziele der Triebe, die moralischen Ideologien usw. bestimmt, und nicht umgekehrt, voll bestätigen. Sie erfüllt nur noch diesen Satz hinsichtlich der kindlichen Entwicklung mit konkretem Inhalt. Das schliesst aber nicht aus, dass sowohl die Intensität der Bedürfnisse, die somatisch bedingt ist, als auch qualitative Differenzen der Entwicklung durch den Triebapparat verursacht werden. Das ist keine »idealistische Ent- gleisung«, wie mir manche Marxisten in Diskussionen über diesen Gegenstand vorhielten, sondern entspricht völlig dem Marxschen


von diesen Vorgängen bedingt auch die Unbestimmthüit der theoretischen For- mulierungen. Ein erster Versuch der Darstellung findet sich im »Nachtrag« zum »Einbruch der Scxualmoral«. Es ist wahrscheinlich, dass die künftige dialektisch- materialistische Naturwissenschaft von der heutigen Erbvrissenschaft, die ein Kraftzentrum erster Ordnung für die gesamte bürgerliche Kulturauffassung ist, nicht viel übernchmea wird. Sie fusst in der Hauptsache auf moralischen Werturteilen und hat nur spärliche naturwissenschaftliche Elemente aufzu- weisen. Sie gipfelte bisher in Hitlers grössenwahnsinniger Rassen-»Theorie«.

  • i) (1934) Hier setzt die Frage an, wie sich die inneren Widersprüche, die den

inneren seelischen Konflikt erzeugen, aus dem Urkonflikt zwischen Ich und Aussenwelt ableiten und wie sie sich dann verselbständigen. Diese zen- trale Frage über die Natur des »dialektischen Entwicklungsgesetzesa tauchte erst vor kurzem auf, als das Problem der Charakterbildung das Interesse auf sich zog; wie weit es schon bei Hegel oder bei Marx konkret erfasst ist, • kann ich gegenwärtig nicht beurteilen; ich ziehe es vor, unvoreingenommen an das neue Gebiet, das die Dialektik im Seelischen darstellt, heranzutreten, um es daraus zu entwickeln; bei Marx schien mir die Frage, wie es zur Bildung des inneren Widerspruches kommt, nicht beantwortet. Doch mag sein, dass ich zur Zeit des Studiums der Marxschen Philosophie nicht auf die Erfassung dieses Problems eingestellt war und es daher überlas.

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Satz, dass die Menschen selbst ihre Geschichte machen, nur unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen gesellschaftlicher ^a.- tur'J^). Engels verwahrt sich in einem Briefe ausdrücklich gegen die Auffassung, dass die Produktion und Reproduktion des wirk- lichen Lebens das einzig bestimmende Moment der Entwicklung der Ideologien sein sollte. Es sei nur das in letzter Instanz bestim- mende Moment ^^).

Ins Soziologische übersetzt, bedeutet die zentrale These Freuds von der Bedeutung des Ödipuskomplexes für die Entwicklung des Individuums nichts anderes, als dass das gesellschaftliche Sein diese Entwicklung bestimmt. Die menschlichen Anlagen und Triebe, leere Formen für aufzunehmende gesellschaftliche Inhalte, gehen durch die (gesellschaftlichen) Schicksale der Beziehungen zu Vater, Mutter und Erziehungspersonen durch und gewinnen erst jetzt ihre endgültige Form und ihre Inhalte.

Die Dialektik der seelischen Entwcklung zeigt sich nicht nur darin, dass sich aus jeder Konfliktsituation, je nach dem Kräfte- verhältnis der Gegensätze gegensätzliche Ergebnisse bilden können, sondern die klinische Erfahrung weist auch nach, dass Charaktereigen- schaften in entsprechenden Konfliktsituationen in ihr gerades Gegen- teil umschlagen können, das keimhaft bereits bei der ersten Konflikt- \ lösung vorhanden war. Ein grausames Kind kann der mitleidvollste Mensch werden, nicht ohne dass eine eingehende Analyse im Mitleid die alte Grausamkeit nachweisen könnte. Das sclimutzliebende Kind kann später ein Reinlichkeitspedant, das neugierige ein peinlich dis- kreter Mensch sein. Sinnlichkeit schlägt leicht in Askese um. Ja, je intensiver eine Eigenschaft zur Entfaltung kommt, desto leichter


42) (1934) Da der heutige ökonomistische Marxismus im Namen von Karl MarxßcgcD die ScxualöliODomie polemisiert, bringe ich ein Zitat, das zeigt, wie sehr Marx die Bedürfnisse als Basis der Produktion und der Gesellschaft einschätzte; mir ist dabei klar, dass heute über wissenschaftliche Streitfragen nicht sach- liche Erhebungen, sondern Prestigepolitik zu entscheiden pflegt und daas Zitieren gar nichts nützt.

»Die Individuen sind immer und unter allen Umständen von sich aus- gegangen«:, aber da sie nicht einzig in dem Sinne waren, dass sie keine Beziehung zu einander nötig gehabt hätten, da ihre Bcdürfni.ssc, also ihre Natur, und die Weise sie zu befriedigen, sie auf ein- ander bezog (Geschlechtsverhältnisse, Austausch, Teilung der Arbeit), so m u s s t e n sie in Verhältnisse treten. Da sie ferner nicht als reine Ichs, sondern als Individuen auf einer bestimmten Entwicklungstufe ihrer Produk- tivkräfte und Bedürfnisse in Verkehr traten, in einen Verkehr, der seinerseits wieder die Produktion und die Bedürfnisse bestimmte, so war es eben das persönliche, individuelle Verhalten der Individuen, ihr Verhalten als Individuen zu einander, das die bestehenden Verhältnisse schuf und täglich neu schafft. Sie traten als das miteinander in Verkehr, was sie waren, sie gingen »von sich aus«, wie sie waren, gleichgültig welche »Lebensan schau unga sie hatten. Diese »Lebens ansch au ung«, selbst die windschiefe der Philosophen, konnte natürlich immer nur durch ihr wirkliches Leben bestimmt sein.« 

Marx-Engels, »Deutsche Ideologie«, Wien-Berlin 1932, Seite 416. -43) »Wenn nun jemand das dahin verdreht, das ökonomische Moment sei das einzig bestimmende, so verwandelt er jenen Satz in eine nichtssagende abstrakte, absurde Phrase.« »Engels-Brevier«, Wien 1920, S. 124.

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schlägt sie bei entsprechenden Anlässen ins Gegenteil um. (Reak- tionsbildung.)

Im Fortschreiten der Entwicklung geht aber andererseits das Alte nicht ganz durch Umwandlung verloren. Während ein Teil der Ei- genschaft sich ins Gegenteil umbildet, bleibt ein anderer unverändert bestehen, nicht ohne im Laufe der Zeit formale Wandlungen infolge der Veränderung der Gesamtpersönlichkeit zu erleiden. Der Freud- sche Begriff der W iederh alu ng spielt in der Psychologie der seelischen Entwicklung eine grosse Rolle und erweist sich bei genauer Betrachtung als durchaus dialektisch^^). Das Wiederholte ist näm- lich immer sowohl das Alte als auch durchaus Neues, Altes in neuem .1 Gewände oder neuer Funktion. Das sahen wir schon beim Symptom. ^ So ist es aber auch bei der Sublimierung. Wenn ein Kind, das gern mit Kot s]iielte, später ebenso gern Burgen aus nassem Sand baut und als Erwachsener schliesslich dazu gelangt, ein grosses Interesse für Bauten zu entwickeln, so ist in allen drei Phasen das Alte ent- halten und doch in anderer Form und anderer Funktion. Ein anderes Beispiel ist die Geschichte des Chirurgen oder des Frauenarztes; der erste sublimiert etwa seinen Sadismus im Operieren, dieser seine infantile Schau- und Tastlust. Die Beurteilung der Richtigkeit dieser Befunde kann nicht Sache der methodologischen, sondern einzig der empirischen Kritik sein. Wer keinen Chirurgen analysiert hat, kann diese Behauptung nicht bestreiten. Aber methodologisch kann er einen wichtigen Einwand erbeben, nämlich die Abhängigkeit der Tätigkeit des Menschen von den ökonomischen Daseinshedingungen. Die Psy- choanalyse behauptet aber nicht mehr, als dass diese oder jene Kräfte in der Tätigkeit wirken "s). Neben diesem subjektiven. Drang ist die Sublimierungsform natürlich durchaus ökonomisch bedingt, denn dar- über.ob ein Mensch seinen Sadismus als Schlächter, als Chirurg oder als Detektiv sublimiert, entscheidet vor allem seine gesellschaftliche

<l+) (1934) pje Lehre vom Wiedcrholungszwang jenseits des Lustprinzips erwies sich mittlerweile als eine wie eigens zum Zwecke der Entsexualisierun.? aes psythisehen Prozesses geborene Hypothese. Ihre ausführliche klinische WKlerlcguni; findet sich im Kapitel »Der masochistische Charakter« in sCha- rakteranalyse« 1933. Dialektisch im Sinne der obigen Textform ulierunf ist die Wiederholung nur innerhalb des Lust -Unlustprinzips, das schon aus heu- ristischen Interessen nicht eingeschränkt werden darf, wenn man nicht der ausgetriebenen Metaphysik das Tor wieder breit öffnen will.

") (1934) Ich halte seinerzeit die Stellung der Psychoanalyse zu ihren eigenen ,\;5".°P°'*' """"«<=" ^" Rünstig beurteilt. Dass die Inhalte der psychischen latigkeit rationale Gchilde der Aussenwelt sind und dass nur die Energie- hesetzungen der Innenwelt entstammen, wird kein nichtmarxistischer Analytiker KUgcben. Das zeigt sich daran, dass man z. B. ernsthaft den Kapitalismus aus dem Triebleben erklärt. Wir übersehen aber hier nicht das wichtige, noch iingeltlärtc Problem, wie es der psychische Energieapparat anstellt, Reize der Aussenwelt. die ihn treffen, zu Vorstellungen von dieser Aussenwelt zu ge- stalten, die sich dann unabhängig von äusseren Reizen reproduzieren können. Dieses Problem liegt auf der gleichen Linie wie das der Entstehung des inneren Widerspruchs. Es ist fraglos gleichzeitig das Problem der Entstehung des Bewusstseins überhaupt. Hier gibt es nicht einmal brauchbare Ansätze zu einer befriedigenden Lösung.

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Stellung. Es kann auch eine Sublimierung aus gesellschaftlichen Gründen unmöglich werden, das führt dann zu einer Unzufriedenheit mit dem gesellschaftlich aufgezwungenen Beruf. Man muss ferner fragen, wie sich der unleugbar rationale Charakter der Tätigkeit mit ihrem ebenso unleugbar irrationalen Sinn verträgt. Der Maler malt, der Techmker baut, der Chirurg schneidet, der Frauenarzt untersucht doch, um das Leben zu bestreiten, also aus ökonomischen, aus ratio- nalen Gründen, überdies ist die Arbeit ein gesellschaftlicher, also ein durchaus rationaler Faktor. Wie verträgt sich das mit der Erklärung der Psychoanalyse, dass der Arbeitende in seiner Tätigkeit einen Trieb sublimiert und so befriedigt? Manche Analytiker schätzen den rationalen Charakter der menschlichen Tätigkeit nicht gebührend ein. Man kann bei ihnen eine Weltauffassung feststellen, die in den Produkten der menschlichen Tätigkeit nichts als Projektionen und Befriedigungen von Trieben sehen will"). Demgegenüber hat ein Ana- lytiker einmal scherzweise bemerkt, das Flugzeug sei ja zwar ein Penissymbol, aber man könne damit doch von Berlin nach Wien fliegen.

Die Problematik der Beziehungen zwischen Rationalem und Ir- rationalem") ergibt sich auch aus folgendem Tatbestand. Das Be- arbeiten der Erde mit Werkzeugen und das Einpflanzen des Samens haben gesellschaftlich wie beim Einzelnen den Zweck der Produktion von Lebensmitteln. Aber es bekommt auch den symbolischen Sinn eines Inzestes mit der Mutter (»Mutter Erde«). Das Rationale zieht das Symbolische heran, es erfüllt sich mit symbolischem Sinn. Die Beziehung der rationalen Tätigkeit zum irrationalen symbolischen Sinn dieser Tätigkeit ist gegeben in der Rhythmik beider Funktio- nen, im Hineinbohren eines Werkzeuges in einen Stoff, im Ein- pflanzen des Samens und in der Produktion einer Frucht durch den so bearbeiteten Stoff. Die Symbolik ist also gerechtfertigt. Wir sehen auch, dass das anscheinend Sinnlose einen sinnvollen Kern, die Sym- bolik einen realen Hintergrund hat in der Tatsache, dass die Mutter ebenso wie die Erde nach Bearbeitung mit einem Werkzeug (Penis- symbol) Früchte trägt. Das Aufstellen von künstlichen Phallussen auf bebauten Feldern im Sinne eines Fruchtbarkeitszaubers, eine objektiv unzweckmässige Handlung magischer Natur, die von vielen primitiven Völkern geübt wird, beleuchtet eine bestimmte Seite der Beziehung zwischen dem Rationalen und dem Irrationalen : Hier handelt es sich um einen magischen Versuch, ein bestimmtes Ziel


46) <1934) Bei Freud selbst nur ia wenig betonten Ansätzen, wie etwa in der Auffassung über die Erfindung des Feuers; diese Ansätze zu idtalistiscber Weltauffassung, die bei Freud im Vergleich zu seinen materialihtischcn Ent- deckungen und Theorien verschwinden, wurden von metaphysisch und ethisch denkenden Analytikern besonders hervorgehoben und zu grotesken Auffassun- gen fortentwickelt.

  • 7) »Rational« ist hier durchaus im Sinne von sinn-, zweckgcmäss, »irrational« 

in dem von sinnlos, unzweckmässig gebraucht.

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mit irrationalen Mitteln leictiter und besser zu erreichen. Deswegen wird aber das rationale Handeln, in diesem Falle das tatsächliche Umgraben und Bebauen der Erde, nicht unterlassen. Und das, was im Ackerbau als symbolisches Element irrational erscheint, nämlich der Geschlechtsverkehr, ist an sich sinnvoll und zweckmässig; er dient der Befriedigung des Sexualbedürfnisses, wie das Säen' der Selbsterhaltung dient. Wir sehen also wieder, dass es keine absoluten Gegensätze gibt, dass sich auch der Gegensatz von rational und irra- tional dialektisch auflösen lässt.

Die dialektische Tatsache, dass im Rationalen Irrationales ent- halten ist, und umgekehrt, bedarf näherer Überlegung. Die Antwort darauf kann die psychoanalytische Erfahrung über klinische Einzel- tatsachen geben. Sie zeigt, dass die gesellschaftlich zweckvollen Tä- tigkeiten des Menschen symbohschen Sinn bekommen können, aber nicht müssen. Auch wenn etwa in einem Traum ein Messer oder ein Baum erscheint, so kann das auch ein Penissymbol sein, muss aber nicht; es kann ein reales iMesser oder ein realer Baum gemeint sein. Und wenn es als Symbol im Traume erscheint, so ist damit der rationale Sinn keineswegs ausgeschlossen, denn wenn man analytisch der Frage nachgeht, warum der Penis gerade durch einen Baum oder ein Messer dargestellt ist und nicht etwa durch einen Stab, so findet man in vielen Fällen eine rationale Begründung dafür. So maslur- bierte eine nymphomane Kranke mit einem Messer, das unzweifelhaft einen Penis symbolisierte. Die Wahl des Messers war aber dadurch begründet, dass ihre Mutter ihr einmal ein Messer nachgeworfen und sie dabei verletzt halte. In der Onanie herrschte die Idee vor, dass sie sich mit dem Messer ruinieren müsse. Dieses Handeln, das später irrational war, war ursprünglich durchaus rational, es diente nämlich der Sexualbefriedigung. Wir sehen aus diesen Beispielen und könnten an beliebig anderen zeigen, dass alles, was im Augenblicke der Be- trachtung irrational erscheint, einmal rationale Funktion hatte. Hat doch jedes Symptom, an sich irrational, einen Sinn und Zweck, wenn man es analytisch auf seine Entstehung zurückführt. Das Ergebnis dieser Betrachtung ist, dass alles kindlich-triebhafte Han- deln, das im Dienste des rationalen Strebens nach Lust steht, zu irrationalem Handeln wird, wenn es das Schicksal der Verdrängung oder ein ähnliches erlitten hat. Das Rationale ist also das Primäre.

Nehmen wir etwa das Konstruieren von Maschinen vor, so finden wir in ihm irrationale Elemente, etwa die symbolische Befriedigung eines unbewussten Wunsches. In der Sublimlerung wurde eine Trieb- kraft, die in der Kindheit einmal rational auf Befriedigung gerichtet war, durch die Erziehung von ihrem ursprünglichen Ziel abgelenkt und auf ein anderes hingelenkt. In dem Augenblicke aber, wo das ursprüngliche Ziel real aufgegeben, in der Phantasie aber festgehalten wurde, wurde das Streben danach irrational. Findet der Trieb in der 36


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Subliinierung ein neues Ziel, so vermengt sich das alte, irrational gewordene Streben mit dem neuen rationalen Handeln und erscheint hier als irrationale Begründung dieses Handelns. Das sei schematisch etwa am sexuellen Wissenstrieb, der sich später in der Tätigkeit zum Beispiel des Frauenarztes auswirkt, gezeigt.

1. Phase; Der sexuelle Wissenstrieb ist rational auf die Beobachtung, des nackten Körpers und der Geschlechtsorgane gerichtet. Rationales Ziel: Befriedigung der Wissbegierde.

2. Phase: Versagung der direkten Betätigung; der Trieb verliert seine Befriedigung, das Streben wird mit Bezug auf das ak- tuelle gesellschaftliclie Sein irrational.

3. Phase: Der Trieb findet eine neue Betätigung, die mit der ersten inhaltliche Beziehungen hat. Der Betreffende wird Arzt und betrach- tet jetzt nackte Körper und Geschlechtsorgane wieder wie seinerzeit als Kind. Er tut also dasselbe und doch etwas anderes; sofern er dasselbe tut wie als Kind, sofern seine Tätigkeit sich auf die kind- liche Situation bezieht, ist sie aktuell sinn- und zwecklos; sofern sie sich hingegen auf seine gegenwärtige gesellschaftliche Funktion be- zieht, ist sie sinnvoll.

Das bedeutet aber, dass darüber, ob eine Tätigkeit ratio- nal oder irrational Ist, ihre gesellschaftliche Funk- tion entscheidet. Die Wandlung des Charakters einer Betäti- gung vom Rationalen zum Irrationalen und umgekehrt hängt auch von der momentanen gesellschaftlichen Position des Individuums ab. Die gleiche Betätigung des Arztes, die in seinem Ordinationsraum sinnlos ist, wird in seinem Privatleben etwa beim Liebesakt sinnvoll, und was dort sinnvoll war, verliert in derselben privaten Situation seinen rationalen Charakter.

Diese Erwägungen gestatten aber die Annahme, dass die Psycho- analyse kraft ihrer Methode, die triebhaften Wurzeln der gesell- schaftlichen Tätigkeit des Individuums aufzudecken und kraft ihrer dialektischen Trieblehre berufen ist, die psychische Auswirkung der Produktivkräfte im Individuum, das heisst die Bildung der Ideologien »im Menschenkopfe«, im Detail zu klären. Zwischen die beiden End- punkte: ökonomische Struktur der Geselschaft und ideologischer überbau, deren Kausalbeziehungen die mate- rialistische Geschichtsauffassung im allgemeinen erfasst hat, schaltet die psychoanalytische Erfassung der Psychologie des vergesellschaf- teten Menschen eine Reihe von Zwischengliedern ein. Sie kann zeigen, dass die ökonomische Struktur der Gesellschaft sich »im Kopfe des Menschen« nicht unmittelbar in Ideologien umsetzt, sondern dass das Nahrungsbedürfnis, von den jeweiligen ökonomischen Verhältnissen in seinen Äusserungs formen abhängig, die Funktionen der weit pla- stischeren Sexualenergie abändernd beeinflussl, und dass diese ge- sellschaftliche Einwirkung auf die Sexualbedürfnisse dufch Ein- schränkung ihrer Ziele immer neue Produktivkräfte in Form subli-

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mierter Libido in. den gesellschaftlichen Arbeitsprozess überführt. Teils direkt in Form von Arbeitskraft, teils indirekt in Form von höher entwickelten Ergebnissen der Sexualsublimierung, wie etwa der Re- ligion, der Moral im allgemeinen, der Geschlechtsmoral im besonderen, der Wissenschaft usw. Das bedeutet eine sinnvolle Einordnung der Psychoanalyse in die materialistische Geschichtsauffassung an einem .ganz bestimmten, ihr adaequalen Punkte: nämlich dort, wo die psychologischen Probleme heginnen, die der Marx sehe Satz aufdeckt, dass die materielle Daseinsweise sich im Kopfe des Men- schen in Ideen umsetzt. Der Libidoprozess in der gesellschaftlichen Entwicklung ist also sekundär, von ihr abhängig, wenn er auch selbst entscheidend in sie eingreift, indem die sublimierte Libido als Arbeits- kraft zur Produktivkraft wird'*^).

Wenn aber der Libidoprozess^^) das Sekundäre ist, so müssen wir uns nach der historischen Bedeutung des Ödipuskom- plexes fragen. Wir haben gesehen, dass die Psychoanalyse alle seelischen Prozesse, wenn auch unbewusst, dialektisch auffasst, nur der Ödipuskomplex scheint in ihrer Theorie ein Ruhepunkt mitten in den bewegten Erscheinungen zu sein. Das kann zweierlei Gründe haben. Entweder wird der Ödipuskomplex unhistorisch als unverän- derte und unveränderbare, in der Natur des Menschen gegebene Tat- sache aufgefasst. Der zweite Grund könnte aber sein, dass sich die Familienform, die den heutigen Ödipuskomplex begründet, seit Jahr- tausenden relativ unverändert erhält. Der ersten Ansicht scheint Jones'^'*) zu sein, der in einer Diskussion mit M a li n ow s ki ") über den Ödipuskomplex in der mutter rechtlichen Gesellschaft den Ausspruch tat, dass der Ödipuskomplex »fons et origo« von allem sei. Diese Auffassung ist zweifellos falsch, denn die heute entdeckten Beziehungen des Kindes zu Vater und Mutter als ewige, in jeder Ge- sellschaft gleich bleibende hinzustellen, ist nur mit der Auffassung von der Unabänderlichkeit des gesellschaftlichen Seins vereinbar. Den -Ödipuskomplex verewigen heisst, die ihn begründende Familienform

  • 8) (1934) Der obige Absatz ist im wesentlichen aufrechtzuerhalten, aber nach

dem heutigen Stande des Wissens sehr primitiv und unpräzise. Dass die Pro- duütivkraft »Arbeilskrafta in ihrem energetischen Kcro ein Problem der icxualukonomic des Menschen, das heisst der Schicksale bildet, die seine Libido in der Entwicklung erfuhr, ist nicht mehr zu bezweifeln. Dass die okonomistischcn Marxisten darin eine Beleidigung der Arbeit zu erblicken Kcheinen, wenn sie diese Möglichkeit schärfstens ablehnen, dass sie hierbei aufhören, Marxisten zu sein, ist ebensowenig zu bezweifeln. Doch muss gesagt werden, dass wir über den strukturellen und dynamischen Aufbau der Arbeits- kraft noch sehr wenig wissen, obgleich dieses Problem das Kernproblem der sozialistischen Kulturrevolution und der sogenannten »Planierung des Men- schen« darstellt, die der Planierung der Wirtschaft folgen muss, wenn diese sich strukturell verankern will.

40) (1934) Der Akzent liegt hier auf »-prozess«. Dass die sexuelle Lebensenergie als lebendige Triebkraft vor aller Produktion vorhanden ist, versteht sich von selbst.

CO) Imago, 1928.

Gl) Sex and Repression in Savagc Society. Kegan, London.

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absolut und ewig fassen, was der Meinung gleichkäme, dass die Mensch- heit von Natur aus so veranlagt sei, wie sie uns lieute erscheint. Die Annahme des ödipusltomplexes stimmt für alle Formen der patriar- chalischen Gesellschaft, die Beziehung der Kinder zu den Eltern ist aber nach den Forschungen von Malinowski in der mutter- rechtlichen Gesellschaft so verschieden, dass sie die Bezeichnung kaum mehr verdient. Nach Malinowski ist der Ödipuskomplex eine ge- sellschaftlich bedingte Tatsache, die ihre Form mit der Struktur der Ge- sellschaft verändert. Der Ödipuskomplex muss in einer sozialistischen Gesellschaft untergehen, weil seine gesellschaftliche Grundlage, die pa- triarchalische Familie untergeht, ihre Daseinsberechtigung verliert. Und die beabsichtigte Gemeinschaftserziehung der Kinder ist für die Bildxmg von seelischen Einstellungen, wie sie heute in der Familie Zustandekommen, so ungünstig, die Beziehung der Kinder unterein- ander und zu den Erziehern derart vielseitiger, bewegter, dass die Be- zeichnung »Ödipuskomplex«, die den bestimmten Inhalt hat, dass man die Mutter begehrt und den Vater als Rivalen töten will, ihren Sinn verliert. Es ist nur eine Frage der Definition, ob man den realen Inzest, wie er in der Urzeit bestand, als Ödipus-s- Komplex« bezeichnen will, oder ob man diese Benennung für den versagten Inzestwunsch und die Rivalität mit dem wirklichen Vater reserviert. Das bedeutet nur eine Einschränkung der Gültigkeit einer analytischen Grundthese auf bestimmte Gesellschaftsformen. Es bedeutet aber gleichzeitig die Charakterisierung des Ödipuskomplexes als einer zumindest in seinen Formen gesellschaftlich, letzten Endes ökonomisch bedingten Tat- sache. Bei der Uneinigkeit, die unter den Ethnologen herrscht, ist die Frage nach der Herkunft der Sexual Verdrängung derzeit noch nicht zu lösen "ä^}. Freud, der sich in »Totem und Tabu« auf die Dar.- winsche Theorie der Urhorde stützt, fasst den Ödipuskomplex als Ursache der Sexualverdrängung auf. Dabei kommt aber die Be- trachtung der mutterrechtlichen Gesellschaft offenbar zu kurz. Vom Standpunkt der Bachofen-Morgan-Engels sehen Forschung zeigen sich Möglichkeiten, umgekehrt den Ödipuskomplex beziehungs- weise die ihm zugrundeliegende Familienform als Folge der einmal einsetzenden Sexual Verdrängung aufzufassen. — Wie immer dem sei: Die Psychoanalyse würde sich gewiss weitere Forschungsmöglichkeiten auf dem gesellschaftlichen und pädagogischen Gebiete rauben, wenn sie die Dialektik, die sie selbst im Seelenleben aufgedeckt hat, für den Ödipuskomplex negieren wollte^).


52) (1934) MiUlerweile konnte eine brauchbare Auffassung über die gcscllschaft- iiche Herkunft der Sexualverdränßung gebildet werden. Vgl. »Einbruch« etc. 1934.

53) (1934) Diese Befürehtunfi hat sich seither als sehr berechtigt erwiesen. Die psychoanalytische Pädagogik ist in ihrer Entwicklung durch zwei weltan- schauliche Schranken der bürgerlichen Analytiker gehemmt: erstens durch die Nichtbeachtung des Widerspruchs von Aufhebung der SexualvcrdränguDg und bürgerlicher Sexualhemmung beim Kinde und Jugendlichen; zweitens durch die biologische Auffassung des Kind-Ellern-Konfliktcs.

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IV. Die gesellschaftliche Stellung der Psychoanalyse

Nehmen wir nun die PsychoanaLyse als Objekt der soziologischen Betrachtung, so stossen wir auf folgende Fragen:

1. Welchen gesellschaftlichen Tatsachen verdankt die Psychoana- lyse ihre Entstehung? Welchen soziologischen Sinn hat sie?

2. Wie ist ihre Stellung in der heutigen Gesellschaft?

3. Welche Aufgabe hat sie im Sozialismus?

Zu 1. Wie jedes andere gesellschaftliche Phänomen ist auch die Psychoanalyse an eine bestimmte Stufe der gesellschaftlichen Ent- wicklung gebunden, hat auch sie in einem bestimmten Stande der Produktionsverhältnisse ihre Daseinsbedingung. Sie ist wie der Marxismus ein Produkt des kapitalistischen Zeitalters, nur hat sie keine so unmittelbare Beziehung zur ökonomischen Basis der Gesell- schaft wie jener; doch ihre mittelbaren Beziehungen lassen sich klar nachweisen: Sie ist eine Reaktion auf die kulturellen und moralischen Verhältnisse, in denen der vergesellschaftete Mensch lebt. Hier kom- men vor allem die Sexualverhältnisse in Betracht, die sich aus den kirchlichen Sexualideologien heraus entwickelten. Die bürgerliche Re- volution des 19. Jahrhunderts fegte die feudalistische Produktionsweise zum grossen Teile weg und trat mit freiheitlichen Gedanken gegen die Religion und ihre Moralgesetze auf. Der Bruch mit der religiösen Moral bereitete sich aber, wie etwa in Frankreich, schon zur Zeit der französischen Revolution vor, das Bürgertum schien die Keime einer neuen, der kirchlichen entgegengesetzten Moral im allgemeinen und Sexualmoral im besonderen in sich zu tragen. Aber so wie das Bür- -gertum später, nachdem seine Macht und die kapitalistische Wirtschaft befestigt waren, reaktionär wurde, die Kirche wieder aufnahm, weil es sie zur Niederhaltung des inzwischen entstandenen Proletariats lirauchte, so übernahm es auch in etwas anderer Form, aber wesentlich unverändert die kirchliche Sexualmoral. Die Verdammung der Sinn- lichkeit, die monogame Ehe, die Keuschheit des Mädchens und damit auch die Zersplitterung der männlichen Sexualität bekamen nun •emen neuen ökonomischen, diesmal kapitalistischen Sinn. Das Bür- gertum, das den Feudalismus stürzte, übernahm zu einem grossen Teile die feudalen Lebensgewohnheiten und kulturellen Bedürfnisse, musste sich auch durch eigene Moralgesetze gegen das »Volk« absper- ren und schränkte so die Sexualbedürfnisse immer mehr ein. In der bürgerlichen Klasse ist die Sexualfreiheit aus ökonomischen Gründen, bis auf die Eheschliessung, völlig eingeschränkt; die männliche -Jugend sucht die sinnliche Befriedigung der Sexualität bei den Frauen und Mädchen des Proletariats, Daraus und aus dem ideologischen Klassengegensatz verschärft sich die Keuschheitsforderung für das bürgerliche Mädchen; die doppelte Geschlechtsmoral ist auf kapita- listischer Basis neu erstanden. Wie in einem Zirkel wirkt die doppelte Geschlechtsmoral zersetzend auf die Sexualität des Mannes und ver-

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nichtend auf die Sexualität der Frau, die aus ihrer Entwicklung heraus auch in der Ehe innerlich »keusch«, d. h. kalt, unanziehend, ja ab- stossend wird; das befestigt wieder die doppelte Moral, der Mann sucht seine Befriedigung weiter beim proletarischen Weib, das er aus deinem Klassenbcwusstscin verachtet, und ist gezwungen, nach aussen ehrenhafte »Sittlichkeit« zur Schau zu tragen; er lehnt sich innerlich gegen seine Gattin auf, zeigt das Gegenteil nach aussen, überpflanzt seine Ideologie auf Sohn und Tochter. Die andauernde Sexualver- drängung und -erniedrigung wird aber dialektisch zum zerstörenden Element der Eheinstitution und der sexualraoralischen Ideologie. Zu- nächst kommt die erste Etappe des Zusammenbruchs der bürgerlichen Moral; Die seelischen Erkrankungen nehmen überhand. Die offizielle Wissenschaft, selbst in der Sexualverdrängung befangen, verachtet die Sexualität als Forschungsobjekt und blickt auf den Dichter und Schriftsteller, den diese brennende Frage von Tag zu Tag intensiver beschäftigt, verächtlich herab. Die seelischen Erkrankungen, die Hysterie und die allgemeine Nervosität, die ständig zunehmen, erklärt •er für »Einbildungen«, für Folgen der »Überarbeitung«. Am Ende des 19. Jahrhunderts tritt als Reaktion gegen die moralisch befangene ■Wissenschaft und als Zeichen der zweiten, wissenschaftlichen Phase des Niederganges der bürgerlichen Moral innerhalb der bürger- lichen Klasse selbst ein Forscher auf, der behauptet, dass die moderne Nervosität Folge der kultureilen Sexualmoral isf*^), dass die Neurosen im allgemeinen ihrem spezifischen Wesen nach auf übermässiger Sexu- aleinschränkung beruhen. Dieser Forscher, Freud, wird wissenscbaft- -llch geächtet, verfemt, als Scharlatan hingestellt. Er behauptet seine Position ganz allein und bleibt mehrere Jahrzehnte lang ungehört. In ■dieser Zeit wird die Psychoanalyse geboren, ein Abscheu und Greuel für die ganze bürgerliche Welt, nicht nur für die Wissenschaft, denn -sie rührt an die Wurzeln der Sexualverdrängung, einen der Grund- pfeiler vieler konservativer Ideologien (Religion, Moral usw.)'^'*). Sie ■erscheint im gesellschaftlichen Sein zur selben Zeit, in der auch sonst


5*) Freud, »Die »kulturelle« Sexualmoral und Hie moderne Nervosität«, ferner sciDe Arbeiten zur Neurosenlehre.

SB) (1934) Diese Ansicht wird von Freud selbst nur hinsichtlich der RcÜKion, nicht aber hinsichtlich der Moral ak;;cpticrt. Freud führte die Widerstände, auf die er stiess, auf die infantilen Komiilexe und Verdrängungen derer zu- rück, die sie ihm entgegensetzten. Das ist richtiß, aber das nni wenigsten Bedeutsame daran. Diejenigen, die die Freudschcn Theorien über das Un- bewusste, die kindliche Sexualcntwicklung etc. aufs schwerste bekämpften und bekämpfen, handeln gänzlich unbcwusst als Vollzugsorgane gesellschaftlich- reaktionärer Interessen, auch dann, wenn es Marxisten tun. Die Sexualunter- drückung steht im Dienste der Klassenherrschaft. Diese hat sich ideologisch und strukturell in den Beherrschten reproduziert, bilden in dieser Gestalt die stärkste, noch unerkannte Macht jeder Art von Unterdrückung. Die bür- gerliche Gesellschaft wehrte sich gegen Freud, weil er den Bestand ihres ideologischen Apparats aufs äusserste zu bcdrolien schien. Freud selbst hat diesen Grund nie erkannt, ja seine Aufdeckung ungern gesehen. Die Sexual- ökonomie setzt die Funktion der Psychoanalyse in gesellschaftlicher Hinsicht dort fort, wo sie von den Vertretern der Psychoanalyse abgelehnt wurde.

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im bürgerlichen Lager selbst Anzeichen einer revolutionären Bewegung gegen ihre Ideologien sich zeigen. Die bürgerliche Jugend protestiert gegen das bürgerliche Elternhaus und schafft eine eigene »Jugend- bewegung«. Ihr geheimer Sinn ist das Streben nach sexueller Frei- heit. Da sie aber den Anschluss an die proletarische Bewegung ver- säumt, geht sie, nach teilweiser Erreichung ihres Zieles bedeutungs- los geworden, unter. Liberale bürgerliche Zeitungsstimmen setzen wieder heftiger gegen die kirchliche Bevormundung ein. Die bürger- liche Literatur beginnt einen immer freiheitlicheren Standpunkt in moralischen Fragen einzunehmen. Aber alle diese Erscheinungen, die das Auftreten der Psychoanalyse zum Teil begleiteten, zum Teil ihm vorangingen, versickern, sobald es ernst werden soll; keiner wagt, die Frage zu Ende zu denken, die Konsequenzen zu ziehen, das ökonomische Interesse geht voran und bringt sogar ein Bündnis zwischen bürgerlichem Liberalismus und Kirche zustande.

So wie der Marxismus soziologisch der Ausdruck des Bewusst- ■werdens der Gesetze der ökonomischen Wirtschaft, der Ausbeutung einer Mehrheit durch eine Minderheit war, so ist die Psychoanalyse der Ausdruck des Bewusstwerdens der gesellschaftlichen Sexualunter- drückung. Dies ist der hauptsächliche gesellschaftliche Sinn der Freud sehen Psychoanalyse. Doch es besteht ein wesentlicher Unter- schied. Während die eine Klasse ausbeutet, die andere ausgebeutet wird, ist die Sexualverdrängung eine beide Klassen umfassende Er- scheinung. Historisch, vom Standpunkt der Menschheitsgeschichte, ist sie sogar älter als die Ausbeutung einer Klasse durch die andere. Sie ist aber nicht in beiden Klassen quantitativ gleich. Zur Zeit der ersten Differenzierung des Proletariats, in den Anfängen des Kapi- talismus, hat es, nach den Berichten von Marx im »Kapital« und von Engels in »Die Lage der arbeitenden Klasse in England« zu urteilen, so gut wie keinerlei Einschränkung oder Verdrängung der Sexualität im Proletariat gegeben^*'). Die Sexualform des Proletariats war nur gekennzeichnet und beeinfiusst durch seine desolate soziale Lage wie etwa noch heute die des »Lumpenproletariats«. Aber im Laufe der kapitalistischen Entwicklung, als die herrschende Klasse, soweit es ihr eigenes Dasein und ihr Profitinteresse erforderte, sozial- politische Massnahmen ergriff und »Fürsorge« zu treiben begann, setzte eine heute immer mehr im Ansteigen begriffene ideologische Verbürgerlichung des Proletariats ein. Dadurch verschob sich die Wirkung der Sexualverdrängung auch ins Proletariat, ohne hier jedoch je solche Dimensionen erreicht zu haben wie etwa im Kleinbürger- tum, das päpstlicher als der Papst wurde und das moralische Ideal


60) (1934) Diese Formulierung bedarf einer Korrektur. Die Sexualverdrängung fehlte nicht beim Proletariat, sondern war Dur wegen der verschiedenen ge- sellschaftlichen Lage anders gegeben. Auch darüber wissen wir noch zu wenig. Das proletarische Kind erfährt grosse sexuelle Freiheit bei gleichzeitiger streng- ster Sexual Unterdrückung. Das schafft eine besondere Struktur, die sich etwa von der kleinbürgeriichen grundsätzlich unterscheidet.

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seines Vorbildes, des Grossbürgertums, strenger befolgt als dieses selbst, das seit langem bereits seine Moral im Innern liquidiert.

Mit der Frage der Stellung des Bürgertums zur Sexualverdriingung bzw. zu deren Aufhebung, hängt auch das Schicksal der Psychoanalyse in der bürgerlichen Gesellschaft zusammen.

Zu 2. Die Frage ist: Kann das Bürgertum die Psycho- analyse auf die Dauer ertragen, ohne Schaden zu nehmen? Vorausgesetzt natürlich, dass ihre Erkenntnisse und For- mulierungen nicht verwässert werden und dass allmählich, ohne dass es ihren Vertretern zu Bewusstsein kommt, ihr Sinn verflacht.

Der Schöpfer der Psychoanalyse selbst hat ihr für die Zukunft nichts Gutes prophezeit. Er meinte, dass die Welt seine Entdeckungen in irgendeiner Form austilgen werde, weii sie sie nicht ertragen könne. Er dachte dabei offenbar nur an die eine Hälfte, die bürgerliche Klasse, das Proletariat weiss noch nichts von der Psychoanalyse, hat sie noch nicht zur Kenntnis genommen. Während wir noch nicht wissen können, wie sich das Proletariat zur Psychoanalyse stellen wird, haben wir genügend Zeichen, um die Einstellung der bürgerlichen Welt

zu studieren^O-

Dass die Psychoanalyse abgelehnt wird, hängt mit der gcscll- schafthchen Bedeutung der Sexualverdrängung unmittelbar zusammen. Aber was macht die bürgerliche Welt aus der Psychoanalyse, sofern sie sie nicht verdammt? Da ist auf der einen Seite die Wissenschaft, vor allem die Psychologie und die Psychiatrie, auf der andern das Laienpublikum. Von beiden gilt, was Freud einmal in scherz- hafter Weise als Zweifel ausgedrückt hat; Es sei fraglich, meinte er, ob man die Psychoanalyse akzeptiere, um sie zu erhalten oder um sie zu zerstören.

Wenn man der Psychoanalyse in den Händen, besser den Köpfen von nicht wirklich analytisch Ausgebildeten begegnet, erkennt man in ihr das Werk Freuds nicht wieder; die Sache luit der Sexualität stimme ja, aber die Übertreibungen . . . und wo bleibt das Ethische im Menschen? Analyse sei ja sehr richtig, aber . . . Synthese sei nicht weniger notwendig. Und gar als Freud auf seiner Sexual- theorie die Icbpsychologie aufzubauen begann, da ging ein hörbares Aufatmen durch die wissenschaftliche Welt: Endlicli beginne Freud seine Absurditäten einzuschränken, endlich komme auch das »Höhere«  im Menschen zu Wort, und überhaupt die Moral . . . Und es dauerte nicht lange, bis man nur mehr von Ichidealen reden hörte und die


S7) (1934) Die Entwicklung seither liess keinen Zweifel darüber, dass der unver- bildete Arbeiter den Entdeckungen der Psychoanalyse von vorneherein ein natürliches Verständnis entgc genbringt, im Gegensätze zum aufgestiegenen Funktionär; man darf die psjehoanalytischen Erkenntnisse nur nicht in psa. Terminologie vermitteln, sondern muss aus dem Geschlechtsleben der Masse die Tatbestände klar herausheben. Die deutsche Sex-Pol-Bewegung, die rasch um sich griff, bezeugte die politische Kraft der naturwisscnschaftlichca Sexual- theorie. Vgl, hierzu die Geschichte der Sexpol-Bewegung in der Z. f. p. P. u. S. 1934.

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Sexualität, wie die stereotype Ausrede lautet, »selbstverständlich vorausgesetzt« wurde. Man sprach von einer neuen Ära der Psycho- analyse, von einer Renaissance . . . die Psychoanalyse wurde mit einem Worte gesellschaftsfähig^^).

Nicht weniger trostlos, nur noch widerlicher, sieht es im breiten Publikum aus. Unter dem Drucke der bürgerlichen Sexualmoral hat man sich der Psychoanalyse als einer die Lüsternheit befriedigenden Modeangelegenheit bemächtigt, man analysiert einander die Kom- plexe, spricht in den Salons beim Fünf-Uhr-Tee von den Traum- symbolen, streitet ohne die geringste Sachkenntnis und nur, weil es sich um Sexualität handelt, für und wider die Analyse, der eine ist. begeistert von der grossartigen »Hypothese«, der andere, kein ge- ringerer Ignorant, is.t überzeugt, dass Freud ein Scharlatan ist und seine Theorie eine Seifenblase, und überhaupt diese »einseitige Über- schätzung der Sexualität, als ob es nichts anderes, .Höheres' gäbe«, und dabei spricht der »Kritiker« über nichts anderes als über Sexuali- tät. In Amerika bilden sich ganze Vereine und Diskussionsklubs für Psychoanalyse, die Konjunktur ist gut, sie muss ausgenützt werden, man lebt seine unbefriedigte Sexualität aus und verdient ausserdem mit einer Mache, die sich Psychoanalyse zu nennen wagt, viel Geld. »Psychoanalyse« ist ein gutes Geschäft geworden. So sieht es ausser- halb der Psychoanalyse aus.

Und innerhalb? Eine Abfallbewegung nach der anderen, die For- scher halten dem Druck der Sexualverdrängung nicht stand. Jung- stellt die ganze analytische Theorie auf den Kopf und macht daraus eine Religion, in der van Sexualität keine Rede mehr ist^^). Ebenso führt die Sexualverdrängung bei Adler zur These, die Sexualität sei nur eine Erscheinungsform des Willens zur Macht, damit zur Abkehr von der Psychoanalyse und zur Gründung einer ethischen Gemeinde. Rank, früher einer der begabtesten Schüler Freuds, gelangt dadurch, dass er den Libidobegriff ichpsychologisch verwäs- sert, zu seiner Mutterleibs- und Geburtstrauraatheorie und leugnet schliesslich die wesentlichsten analytischen Erkenntnisse ab. Immer wieder wirkt sich die Sexual Verdrängung gegen die Psychoanalyse


•fß) (1934) Dies hestätigtc sich seither in tragischer Weise durch fortschreitende Prelsflabc der Scxual-Theorie (Adler, Jung); dieser Tatbestand verdient gründ- liehe Darstellung, Preisgabe der Sexualtheorie auch innerhalb der Psycho- analyse.

B5) (1934) Jung trat erst kürzlich als Sachwalter des Fascismus innerhalb der- Psychoanalyse auf. Die Int. Psa. Vereinigung hat keine Ahnung von der gesellschaftlich-Itulturellen Bedeutung und Herkunft dieser Vorgänge. Sie wehrt sich vielmehr gegen deren Aufdeckung. Es lässt sich zeigen, dass sämtliche Abfallsbewcgungen innerhalb der Psychoanalyse das gemeinsame Merkmal haben, dass sie an dem Widerspruch zwischen analytischer Sexualtheorie und bürgerlicher Dascinsweise der Analytiker ansetzen. Sei es, dass es um Fragen der analytischen Therapie geht (Rank, Stekcl), oder um Auffassungen in der Theorie (Adler, Jung) ; dieser Tatbestand verdient gründliche Darstellung, weil er wie nichts anderes die gesellschaftliche Bedeutung der Psychoanalyse- enthüllt.

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aus. Auch sonst kann man im psychoanalytischen Kreise selbst die gesellschaftliche und ökonomische Gebundenheit in ihrer mildernden, abschwächenden, Kompromisse bildenden Arbeit sehen. Nach dem Erscheinen von »Das Ich und das Es« ist jahrelang von der Lihida kaum die Rede, man versucht, die ganze Neurosenlehre auf die Ich- Termini umzumünzen, man verkündet, dass erst die Entdeckung des unbewussten Schuldgefühls die Grosstat Freuds sei, man sei erst jetzt zum Eigentlichen und Wesentlichen vorgedrungen.

In der Neurosentherapie, wo es sich um die praktische Anwendung einer durchaus revolutionären Theorie auf den Menschen in der kapi- talistischen Gesellschaft handelt, tritt die Neigung zum Kompromiss und zur Kapitulation vor der bürgerlichen Sexualmoral am deut- lichsten in Erscheinung. Das gesellschaftliche Dasein des Analytikers verbietet, ja macht es ihm unmöglich, die Unvereinbarkeit der heutigen Sexualmoral, der Ehe, der bürgerlichen Familie, der bürgerlichen Erziehung mit der radikalen psychoanalytischen Therapie der Neu- rosen in der öffentlichkeit auszusprechen. Obwohl auf der einen Seite zugegeben wird, dass die familiären Verhältnisse trostlos sind, dass die Umgebung des Kranken gewöhnlich das grösste Hindernis seiner Gesundung ist, scheut man sieh ; — begreiflich er wäse — , die Konse- quenz aus dieser Feststellung zu ziehen. So kommt es auch, dass man unter Realitätsprinzip und unter Realitätsanpassung nicht Realitäts- tüchtigkeit, sondern vielfach völlige Unterwerfung unter die gleichen gesellschaftlichen Forderungen versteht, die die Neurose erzeugt haben. Dass das der praktischen Anwendung der Psychoanalyse auf die Neurosenheilung abträglich ist, liegt auf der Hand.

So würgt die momentane kapitalistische Daseinsweise der Psycho- analyse sie von aussen und von innen ab. Freud behält Recht: Seine Wissenschaft geht unter — wir fügen aber hinzu: in der bür- gerlichen Gesellschaft; wenn sie sich ihr nicht anpasst, sicher, wenn sie sich ihr aber anpasst, dann erleidet sie den gleichen Tod, den der Marxismus bei den reformistischen Sozialisten erleidet, näm- lich den Tod durch Verflachung, vor allem durch Vernachlässigung der Libidotheorie. Die offizielle Wissenschaft wird nach wie vor nichts von ihr wissen wollen, weil sie sie in ihrer klassenmässigen Gebunden- heit nicht akzeptieren darf. Die hinsichtlich der Ausbreitung der Analyse optimistischen Analytiker irren gewaltig. Diese Ausbreitung gerade ist Zeichen ihres beginnenden Unterganges.

Da die Psychoanalyse, unverwässert angewendet, die bürgerlichen Ideologien untergräbt, da ferner die sozialistische Ökonomie die Grund- lage der freien Entfaltung des Intellekts und der Sexualität bildet, hat die Psychoanalyse eine Zukunft nur im Sozialismus"").


60) (1934) In der Sowjetunion konnte sich die Psychoanalyse nicht entfalten. Sie hegegnete dort den gleichen Schwierigkeiten wie in den Itürgcrlichen Ländern, mit dem einen, sehr wichtigen Unterschied, dass Analytiker als Einzelper- sonen wichtige Funktionen bekleiden. Doch gesellschaftlich blieb sie uacnt-

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Zu 3. Wir haben gesehen: Die Psychoanalyse kann aus sich heraus keine Weltanschauung entwickeln, kann also auch keine Weltan- ■schauung ersetzen; aber sie bringt eine Umwertung der Werte mit sich, sie zerstört in ihrer praktischen Anwendung beim einzelnen die Religion, die bürgerlichen Sexuafideologien und befreit die Sexuali- tät. Das sind aber gerade die ideologischen Funktionen des Marxismus. Dieser stür2t die alten Werte durch die ökonomische Revolution und die materialistische Weltanschauung; die Psychoanalyse tut das Gleiche, oder könnte das Gleiche tun, psychologisch. Aber da sie in der bürgerlichen Gesellschaft gesellschaftlich wirkungslos bleiben muss, kann sie diese Wirkung erst nach vollzogener so- zialer Revolution erzielen. Manche Analytiker glauben, dass sie auf dem Wege der Evolution die Welt umgestalten und die soziale Revolution ersetzen kann. Das ist eine Utopie, die auf völliger Un- kenntnis des wirtschaftlichen und politischen Seins basiert*"-).

Die künftige gesellschaftliche Bedeutung der Psychoanalyse scheint auf drei Gebieten, zu liegen:

1. Auf dem der Erforschung der Urgeschichte der Menschheit als Hilfswissenschaft im Rahmen des historischen Materialismus. Die Urgeschichte, in den Mythen, folkloristischen Gebräuchen und den Sitten der heute lebenden Primitiven kondensiert, ist der Marxschen Gesellschaftslehre methodologisch nicht zugänglich. Erfolgreich kann diese Arbeit aber nur werden, wenn die soziologische und ökonomische Durchbildung der Analytiker eine sehr gründliche sein und die individualistische und idealistische Auffassung der ge- sellschaftlichen Entwicklung aufgegeben werden wird.

2. Auf dem Gebiete der seelischen Hygiene, die sich, nur auf der Basis einer sozialistischen Wirtschaft entwickeln lässt. Auf der Grundlage einer geordneten Wirtschaft kann auch'der Anspruch


wickelt. Das liegt sehr wahrscheinlich daran, dass die Führer der SU den Widerspruch nicht oder noch nicht erkannten, in dem sich die Sexual- und Kulturrevolution dort hefindet. Dieses Problemgebiet ist so umfassend und reich an Problematik, duss hier nicht mehr gesagt werden kann, so hrenncnd das Problem auch ist. Wenn Stalin, wie ich hörte, zugah, dass die Planie- rung des Menschen im Gegensatze zur Wirtschaft nicht als gelungen bezeichnet

  • werden kann, so ist das nach allem, was aus unserer Erkenntnis folgt, auf die

ausgebliebene sexuelle Umstrukturierung der Menschen zurückzuführen. Ich weiss, welche Entrüstung diese Behauptung erwecken wird, kann aber jetzt nicht mehr tun, als auf eine gründliche Untersuchung dieses Problems vertrö- sten, die hoffentlich in nicht allzuferner Zeit reif genug sein wird, der Öffent- lichkeit vorgelegt zu werden.

<|J) (1934) Die Auffassung, dass die Psychoanalyse ihre Wirkung als gesellschaft- liche Kraft erst nach vollzogener Revolution entfalten könne, war eine kurz- sichtige Konzession an den ultralinken ökonomistischcn Marxismus. Die Er- fahrungen in Deutschland, im besonderen die prompte Reaktion der Jugend aller Kreise auf die ersten sexualpolitischen Versuche, das Privatleben zu politisieren, lehrten, dass die raassenpsychologische Auflockerung der Wider- sprüche zwischen sexuellen Bedürfnissen und moralischen Hemmungeo zu einem wichtigen, kulturpolitisch zentralen Hebel der revolutionären Arbeit wird. Vgl. die Darstellung der sexualpolitischen Problematik in »Massenpsy- ehologie des Faschismus«.

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auf eine geordnete Libid oö kon omie im seelischen Haushalt zur Geltung kommen, was in den bürgerlichen Lebensformen für die Masse ganz ausgeschlossen ist und sonst nur für einzelne Individuen in Betracht kommt. Die individuelle Therapie der Neurosen fände erst hier den ihr entsprechenden Wirkungsbereich^-).

3. Auf dem Gebiete der Erziehung als psychologische Grund- lage der sozialistischen Erziehung überhaupt. Wegen ihrer Er- kenntnisse über die seelische Entwicklung des Kindes muss sie hier als unentbehrlich bezeichnet werden. Als Hilfswissenschaft der Päda- gogik ist sie in der bürgerlichen Gesellschaft zur Unfruchtbarkeit, wenn nicht zu Schlimmerem verurteilt. Da man in dieser Gesellschaft nur für sie erziehen kann, weil eine Erziehung für eine andere in ihr praktisch illusorisch bleibt, kann die psychoanalytische Pädagogik vor der sozialen Revolution nur im Sinne der bürgerlichen Gesell- schaft angewendet werden. Die ijsychoanalytischcn Pädagogen, die in dieser Gesellschaft es unternehmen, sie zu verändern, dürften aber mit der Zeit ein Schicksal erreichen, ähnfich dem des Pfarrers, der einen sterbenden gottlosen Versicherungsagenten besuchte, um ihn zu bekehren, aber nur selbst versichert wegging. Die Gesellschaft ist stärker als die Bestrebung einzelner ihrer Mitglieder.


82) (1934) Die Erforschung menschlicher Stiukturhildung hat in den letzten Jahren immer grossere Bedeutung gewonnen. Ohne sie ist eine ernsthafte naturwissenschaftliche Erfassung der Neuroseuprophylaxe, der Hntwurzclung des religiösen Empfindens, einer planmässigen. Gestaltung der Produktivkraft Arbeitskraft und eine bewusste Bewältigung der sti-ukturellen Verankerung des sozialistischen Wirtschaftssystems nieht möglich.


Was ist Klassenbewussfsein?

Ein Beiirag zur Neuformierung der Arbeiterbewegung

Die »Baseler Arbeiterzeitung«, schreibt: »Die vorliegende Schrift ist ein Mahnruf und ein Aufruf. Ausgehend von der Tatsache, dass von den 40 Millionen Deutschen nur eine verschwindende Zahl durch die ohne Untersuchung am 30. Juni Hingerich- teten wirklich erschüttert worden ist, ruft (sie) zur Aufweckung des Klassenbewusstseins der Arbeiter- schaft aller Länder auf, und zwar ohne Verzug.« 

(Nr. 228, V, 29. 9. 34).


Umfang 72 Seilen


Preis: Dan. Kr. 1.30



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ZurAnwendungderPsychoanalyseinderGeschichfsforschung*)

Die Erforschung der psychischen Strukturhildung ist die Aufgabe ■der naturwissenschaftlichen Psychologie. Als solclie kann nur eine Psychologie in Frage kommen, die über die notwendigen Methoden verfügt, die Dynamik und Oekonomik des psychischen Prozesses zu erfassen und darzustellen. In meiner Arbeit über die Beziehungen der Psychoanalyse zum dialektischen Materialismus^) versuchte ich nach- zuweisen, dass die Psychoanalyse der Keim ist, aus dem eine dialek- tisch-materialistische Psychologie zu entwickeln ist. Da die bürger- liche Weltanschauung der Naturwissenschaftler in ihre eigenen Disziplinen Verzerrungen und falsche Grundanschauungen hinein- zutragen pflegt, steht am Eingang jedes Versuchs einer dialektisch- materialistischen Psychologie, die methodologische Kritik. Ich lehnte dort die Möglichkeit ab, aus der Psychoanalyse eine Soziologie abzu- leiten, weil die Methode der Psychologie, auf die Tatbestände des Ge- sellschaftsprozesses angewandt, unweigerlich zu metaphysischen und idealistischen Ergebnissen führen muss und in der Tat auch geführt hat. Das hatte mir schwere Angriffe von Seiten der *wilde Soziologie«  betreihenden Psychoanalytiker eingetragen. So klar mir damals war, dass keine psychologische Methode bei soziologischen Problemen an- gewendet werden kann, so sicher stand auf der anderen Seite fest, dass die Soziologie auf die Psychologie nicht verzichten kann, sobald es sich um Fragen der sogenannten »subjektiven Tätigkeit« des Men- schen und der Ideologiebildung handelt. Als ich schliesslich eine vor- läufige Formel fand, die versuchte, der Psychoanalyse ihren Platz in der Soziologie anzuweisen, wurde ich von Sapir") mit dem Vorwurt angegriffen, ich hätte mir selbst widersprochen; da ich nämlich selbst die Anwendung der Psychoanalyse in der Soziologie leugnete, ihr aber doch andererseits einen bestimmten Platz anwies, war es nicht schwer, einen solchen Vorwurf zu erheben. Meine Kritiker hat- ten es freilich leichter als ich. Die einen brauten unbekümmert weiter ihre »psychoanalytische Soziologie«, die schliesslich vor kurzem in der These Triumphe feierte, dass die Existenz der Polizei aus dem


■) Dieser Artikel erschien bereits im Heft I der »Zeitschrift für politische Psycho- logie und Sexuale konomie, Verlag f. Sexualpolitik 1934, Kopenhagen.

1) Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse. (Unter dem Banner des Marx- ismus, 1929.)

2) Sapir: Freudismus, Soziologie, Psychologie. (U. d. Banner d. Marx. 1929, 1930).

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straf bedürfnis der Massen zu erklären sei*). Die anderen erledigten das ganze schwierige Problem mit der einfachen von keiner grossen Mühe und Bereitschaft, Probleme zu klären, zeugenden These, die Psychoanalyse sei eine »idealistische« DiszipHn und man tue am besten daran, sich einfach nicht darum zu bekümmern. Manche Kri- tiker, wie etwa Sapir, gerieten z^var mit sich selbst in Widerspruch, wenn sie gleichzeitig mit dieser Behauptung zugeben musslen, dass die Psychoanalyse eine Reihe von grundlegenden Entdeckungen ge- macht, dass sie die beste Sexualtheorie gebildet, das Unbewusste und die Sexual Verdrängung und derart den psychischen Prozess entdeckt habe etc. Auf meine Frage, wie es möglich sei, dass eine idealistische Disziplin wichtige Entdeckungen machen könne, blieb man allerdings die Antwort schuldig.

Die bisherige Diskussion um die soziologische Bedeutung der Psychoanalyse ist gekennzeichnet durch das Gegenübergestelltsein zweier Meinungen; der einen, dass die Psychoanalyse als Individual- psychologie Gesellschaftliches nicht erklären könne, und der anderen, dass sie nicht nur Individualpsychologie sondern auch Sozialpsycho- logie und daher sehr wohl für gesellschaftliche Tatbestände koriipc- tent sei. Es muss vermerkt werden, dass die Diskussion sich um Worte drehte, ohne dass der Versuch gemacht wurde, die Behauptun- gen an realen Tatbeständen zu überprüfen. Als ich 1929 die An- wendung der psa. Methode auf Gesellschaftliches ablehnte, stützte ich mich auf die bis dahin von psychoanalytischer Seite erfolgten An- wendungen der psa. Methode in der Soziologie, die den marxschen strikte widersprachen und sich als falsch erwiesen. Dass die Psy- choanalyse in der Soziologie ein gewichtiges Wort mitzureden hat, war ja klar, die Frage war nur, wie man die Absurditäten, die sich bisher ergeben hatten, vermeiden konnte, welchen Weg man einschla- gen musste, um die Schätze zu heben, die zwar sichtbar, aber vorläu- fig unzugänglich waren. Ich hatte zwar im »Banner« die Anwendung der psychoanalytischen Methode in der Soziologie abgelehnt, aber gleichzeitig eine vorläufige Formulierung getroffen, die veranlasste, dass mir Sapir Inkonsequenz vorwarf. Ich schrieb:

»Diese Erwägungen gestatten aber die Annahme, dass die Psychoanalyse kraft ihrer Methode, die triebhaften Wurzeln der gesell seh aftlichen Tätigkeil des Indi- viduums aufzudecken und kraft ihrer djalektisehen Trieblehre berufen ist, die psychische Auswirkung der Produktionsverhältnisse im Individuum, das heisst die Bildung der Ideologien »im Menschenkopfe«, im Detail zu klären. Zwischen die beiden Endpunkte; ökonomische Struktur der Gesellschaft und ideologischer Ueberbau, deren Kausalbczichung die materialistische Geschichtsauffassung im allgemeinen erfasst hat, schaltet die psychoanalytische Erfassung der Psychologie des vergesellschafteten Menschen eine Reihe von ZwischcngHcdern ein. Sic kann zeigen, dass die ökonomische Struktur der Gesellschaft sich »im Kopfe des Men- schen« nicht unmittelbar in Ideologien umsetzt, sondern dass das Nahrungsbedürf- n^s von den jeweiligen ökonomischen Verhältnissen in seinen Aeusserungsformcn

1) S. Laforgue: Psychoanalyse der Politik. (»Psychoanalytische Bewegung«, 1931.) Diese Arbeit wurde bereits von Fenichel einer methodologischen und inhalt- lichen Kritik unterworfen. {» Psycho an alyt. Bewegung« 1932.)

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abhängig, die Fuiiktiuueii der weit plastischeren Sexualcncigic abändernd beein- flusst, und dass diese gesellschaftliche Einwirkung auf die Sexualhedürfnisse ^ durch Kinschrätikung ihrer Ziele immer neue Produktivkräfte iu Form subli- miertür Libido in den gesellschaftlichen Arbeitsprozess überführt. Teils direkt jj in Form von Arbeitskraft, teils indirekt in Form von höher entwickelten Ergeb- nissen der Sexualsublimierung. wie etwa dei- Religion, der Moral im allgemeinen, der Geschlechtsmoral im besonderen, der Wissenschaft usw.; das bedeutet eine sinnvolle Kinoi'dnung der Psychoanalyse in die materialistische Geschichtsauffas- ] sung an einem ganz bestimmten, ihr adaequaten Punkte: oäralich dort, wo dj& | psychologischen Probleme beginnen, die der Marxsche Satz aufdeckt, dass die materielle Daseinsweise sich im Kopfe des Menschen in Ideen umsetzt. Der Libido- proücs.s in der gesellschaftliclicn Entwicklung ist also sekundär, von ihr abhängig, wenn er auch selbst entscheirlend in sie eingreift, indem die sublimierle Libido als Arbeitskraft zur Produktivkraft wird.«')

Ich hätte heute manches klarer formuIiereQ können, halte auch.'! die Religion und Moral nicht als Tnehsubliinieningen hingestellt. Da- mals schwebte mir der einfache Tatbestand vor, den ich seither in weit höherem Masse einzuschätzen verstand, dass etwa die psychi- j sehe Struktur einer christlichen Arbeiterin, die dem Zentrum oder dem Faschismus anhängt und durch keinerlei Bemühung üblicher Art von ihrer politischen Richtung abzubringen ist, von bestimmter Art sein muss, die sich von der psychischen Struktur einer kommu- nistischen Arbeiterin unterscheidet. Dass also etwa ihre materielle und autoritäre Abhängigkeit von den Eltern in der Kindheit und dem Gatten in der Erwachsenheit sie zwang, ihre sexuellen Ansprüche zu \ verdrängen, wodurch sie der leicht nachweisbaren charakterlichen Aengstlichkeit und Sexuaischeu verfiel, die sie unfähig machte, die kommunistische Parole von der Selbstbestimmung der Frau über- haupt zu begreifen; dass ferner eine ein gewisses Mass überschrei- tende oder in bestimmten Formen hergestellte Sexual Verdrängung an \ die Kirche und die bürgerliche Ordnung fest bindet und kritikun- fähig macht. Die Bedeutung dieser Frage ergibt sich nicht allein aus der Tatsache, dass es Millionen solcher Frauen gibt, sondern weit mehr noch aus der unausweichlichen Feststellung, dass solches Den- . | ken nicht etwa auf »Verdummung« oder »Vernebelung« beruht, son- dern auf gründlicher Abänderung der menschlichen Struktur im Sinne der herrschenden Ordnung. Angesichts der praktischen Tragweite die- ser und ähnlicher Fragen der Massenpsychologie konnte ich dem Drängen marxistischer Freunde, auf die Kritik Sapirs sogleich theo- retisch zu antworten, nicht nachgeben^). Theoretische Diskussionen pflegen unfruchtbar zu werden, wenn man sie nicht auf den Boden konkreter praktischer Fragen stellt. Man musste an Hand einzelner Fragen der politischen Bewegung die Entscheidung über die Bedeu- ] tung der Psychoanalyse für den Klassenkampf erzwingen. In der Tat erwies sich dieser Weg als der fruchtbarere, sowohl hinsichtlich der Kritik der metaphysischen Theorien in der Psychoanalyse als auch


1) I. c. S. 763.

2) Sapir ist mittlerweile, wie ich horte, in der S. U. nicht mehr kompetent, w^it er Deborinschülcr, also Idealist war.

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hinsichtlich der theoretischen Einordnung der Psychoanalyse in die marxisüsche Geschichtsforschung^) .

Diese Einordnung musste von der klaren Erkenntnis ausgehen, dass soziologische Fragen nicht mit psychologischer Methode anzu- greifen sind. Sie konnte aber gleichzeitig in vollem Umfange die Mög- lichkeit eröffnen, die marxistische Forschung in der Geschichte und Politik durch Einbeziehung der Erkenntnisse der Psychoanalyse (nicht ihrer Methode) auf gewissen Gebieten, wie dem der Ideologie- hildung, der Rückwirkung der Ideologie etc., fruchtbarer zu gestalten. Das versperrt dem soziologisch ungebildeten Psychologen den Weg zur Soziologie und zwingt ihn, sich die Methode der Gescliichtsfor- schung anzueignen. Gleichzeitig zwingt es den Ocknnomisten, seinen Widerspruch zu erkennen, wenn er von K\a.&s.enbewus.stsein spricht.

Wenn mir also heute Analytiker sagen, ich hätte meinen strengen Standpunkt in der Ausschliessung der Psychoanalyse aus der soziolo- gischen Forschung gemildert, weil ich selbst an Masseniihänomene mit psychoanalytischen »Gesichtspunkten« herantrete, so muss ich sie bitten, sich durch nochmalige Lektüre meiner Arbeit aus dem Jahre 1929 davon zu überzeugen, dass dies nicht der Fall ist. Ich schrieb dort:

»Der eigentliche Gegenstand der Psychoanalyse ist das Seelenleben des ver- gesellschaftelen Menschen. Das der Masse kommt für sie nur insofern in Be- tracht als individuelle Phänomene in der Masse in Erscheinunf- treten (cUva das p'rohlem des Führers), ferner soweit sie Erscheinungen der »Massenseele«, wie Angst Panik, Gehorsam usw. aus ihren Erfahrungen am Einzelnen klaren kann. Aber es scheint, als ob ihr das Phänomen des Klassenbcwiisstseins kaum zugänglich wäre, und Probleme, wie das der Massenbewegung, der Politik des Streiks die der Gesellschaftsichre angehören, können nicht Objekte ihrer Methode sein. Sie kann also auch die Gesellschaftslehie nicht ersetzen, noch aus sich heraus eine Gesellschaflslehre entwickeln.« 

Es wird nach den bisherigen Erörterungen klar geworden sein, dass diese Sätze voll zu Recht bestehen und nur noch einige Präzision erfahren. Nach wie vor können wir gesellschaftliche Phänomene nicht psychoanalytisch deuten, das heisst, sie können nicht Objekt der psychoanalytischen Methode sein. Die Frage des Klassenbewusstseins

war damals unklar, es hiess deshalb, »es scheint, als oh «. Heute

können bereits bestimmtere Formulierungen getroffen werden.

Es zeigte sich im Verlaufe der weiteren Erfahrungen, was in der Bannerarbeit nur angedeutet war, dass die erste Voraussetzung einer psychologischen Erfassung des Klassenbewusstseins-Problems die scharfe Unterscheidung zwischen seiner objektiven und seiner sub- jektiven Seite ist. Es zeigte sich ferner, dass die positiven Elemente und Triebkräfte des Klassenbewusstseins nicht psychoanalytisch deut- bar, dagegen die Hemmungen seiner Entwicklung nur psychoanaly- tisch zu verstehen sind, weil sie irrationalen Quellen entstammen.

1) Vgl. hierzu »Massenpsychologie des Faschismus«. (Verlaß f- Scxualpolitik, 1933.)

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Meine Kritiker waren und sind oft vorschnell in ihren Urteilen; wenn die Wissenschaft ein neues Feld betritt, wird sie zuerst viele alte Auffassungen zunächst beseiteschieben müssen, um vorausset- zungslos die Dinge erst mal neu anzusehen. Sie wird bei ihren ersten Formulierungen gewiss auch den einen und anderen Punkt falsch darstellen oder formulieren. Um also eine korrekte marxistische Psy- chologie zu entwickeln, musste man zuerst mit der Anwendung der psa. Deu/ung'stechnik auf soziologischem Gebiet Schluss machen; erst nachher konnte man entscheiden, was an Rationalem und wieviel an Irrationalem in der Problematik des Klassenbewusstseins enthalten ist, das heisst wieviel Raum man der Deutung irrationaler Phänomene geben konnte. Wenn ich, um ein Beispiel zu nennen, den revolutionä- ren Willen als Rebellion gegen den Va'ter deute, in jedem Falle, auch in der soziologischen Sphäre, gerate ich in die Ideologie der politischen Reaktion; wenn ich aber konkret untersuche, inwieweit der revolu- tionäre Wille einer rationalen Situation entspricht, inwiefern der Mangel solchen Willens irrational ist, wo revolutionärer Wille wirk- lich einer unbewussten Rebellion gegen den Vater entspricht etc., dann habe ich die bürgerliche »voraussetzungslose« Wissenschaft ad absurdum geführt, selbst echte wissenschaftliche Arbeit geleistet und dadurch der Arbeiterbewegung einen Dienst geleistet und nicht der politischen Reaktion; denn marxistische Wissenschaft ist nichts anderes als die unbestechliche Aufdeckung von realen Zusammen- hängen.

Klarheit über die Methodologie bei der Einordnung der Psychoana- lyse in die Geschichtsforschung ist von entscheidender Bedeutung für das Ergebnis jeder Untersuchung. Es ist daher wichtig, sich mit der Kritik Fromms näher zu befassen, die er in seiner Arbeit »Ueber Methode und Aufgaben einer analytischen Sozialpsychologie*) an mei- ner früher zitierten Formulierung in der Arbeit »Dialektischer Ma- terialismus und Psychoanalyse« übte. Fromm schreibt:

»Es muss der Versuch unternommen werden, mit den Mitteln der Psychoanalyse den geheimen Sinn und Grund der im gesellschaft- lichen Leben so auffälligen irrationalen Verhattungsw eisen, wie sie sich in der Religion und in Volksbräuchen, aber auch in der Politik

und Erziehung äussern, zu finden Wenn sie (die Psychoanalyse)

im Triebleben, im Unbewussten, den Schlüssel zum Verständnis menschlichen Verhaltens gefunden hat, so muss sie auch berechtigt und imstande sein, wesentliches über die Hintergründe gesellschaft- lichen Verhaltens auszusagen. Denn auch die , Gesellschaft' besteht aus einzelnen lebendigen Individuen, die keinen anderen psycholo- gischen Gesetzen unterliegen können als denen, die die Psychoanalyse im Individuum entdeckt hat. Es scheint uns deshalb auch unrichtig zu sein, wenn man, wie W. Reich das tut, der Psychoanalyse das


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1) Ztsch. f. Sozialforschung, 1932, H. 1—2.

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Gebiet der Personalpsychologie reserviert und ihre Verwendbarkeit für gesellschaftliche Erscheinungen wie Politik, Klassenbewusstsein etc. grundsätzlich bestreitet. Die Tatsache, dass eine Erscheinung in, der Gesellschafts lehre behandelt wird, heisst keineswegs, dass sie nicht Objekt der Psychoanalyse sein kann (so wenig wie es richtig ist, dass ein Gegenstand, den man unter physikalischen Gesichtspunkten un- tersucht, nicht auch unter chemischen untersucht werden dürfe). Es bedeutet nur, dass sie nur, insoweit bei der Erscheinung psychische Tatsachen eine Rolle spielen, Objekt der Psychologie ist und speziell der Sozialpsychologie, die die gesellschaftlichen Hintergründe und Funktionen der psychischen Erscheinung festzustellen hat.« 

Leider hat Fromm nur meine Ausschliessungen zitiert, nicht aber auch meine eindeutigen Formulierungen über den Platz, den die Psychoanalyse in der soziologischen Forschung einzunehmen hat und einzig einnehmen kann; nämlich zu zeigen, wie sich das Materielle im Menschenkopfe in Ideelles umsetzt. Dass die Psychoanalyse und nur sie aHein die irrationalen Verhal tu ngs weisen wie etwa das religiöse und mystische jeder Art erklären kann, ist klar, weil nur sie die triebhaften Reaktionen des Unbewussten zu erforschen vermag. Das kann sie aber in richtiger Weise nur dann, wenn sie nicht bloss »die ökonomischen Faktoren« »mitberücksichtigt«, sondern sich ganz genau darüber Rechenschaft gibt, dass die unbewussten Strukturen, die derart irrational reagieren, seihst durch historische gesellscnaft- lich-ökonomische Prozesse zustandekamen, dass also auf keinen Fall die Begründung durch unbewusste Mechanismen den ökonomischen gegenübergestellt werden, sondern nur als Kräfte, die zwischen ge- sellschaftlichem Sein und menschlicher Reaktionsweise vermitteln, betrachtet werden können. Wenn aber Fromm darüber hinaus be- hauptet, dass die Psychoanalyse wesentliches über die »Hintergründe gesellschaftlichen« Verhaltens auszusagen vermag, weil die Gesell- schaft aus einzelnen Individuen besteht, so liegt eine Ungenauigkeit des Ausdrucks vor, die den Missbräuchen der Psychologie, die Fromm ausschalten will, neuerdings Tür und Tor öffnet. Sofern unter »ge- sellschaftlichem Verhalten« das Verhalten der Menschen im gesell- schaftlichen Leben verstanden ist, so ist eine Gegenüberstellung von personalem und gesellschaftlichem Verhalten ohne Sinn, denn ein anderes als gesellschaftliches Verhalten gibt es nicht. Auch das Ver- halten im Tagtraum ist gesellschaftliches Verhalten, sowohl durch gesellschaftliche Tatbestände bedingt als auch durch phantasierte Beziehungen zu Objekten gekennzeichnet. Wir müssen, um hier — hoffentlich endgültig — Klarheit zu schaffen, die Frommsche Kritik an der offiziellen psychoanalytischen Soziologie erweitern. Es geht nicht um minutiöse Feinheiten, sondern um ganz grobe Angelegen- heiten. Es gibt reichlich gesellschaftliches Verhalten der Menschen, bei dem das beschriebene und hei anderen Phänomenen so entschei- dende Zwischengeschaltetsein unbewusster Triebmechanismen bei der

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menschlichen Aktion kaum eine Rolle spielt. Es kommt darauf an, dass das Verhalten etwa der Kleinsparer bei einem, Bankkrach oder die Rebellion der Bauern bei Getreidepreisstürzen nicht aus unbewuss- len libidinösen Motiven oder aus der Rebellion gegen den Vater er- klärt werden können. Es ist wichtig zu wissen, dass in solchen Fällen die Psychologie einzig über die Wirkungen auf das Verhalten, nichts über die Ursachen und Hintergründe desselben aussagen kann. Es kommt darauf an, dass der Kapitalismus nicht aus der anal-sadisti- schen Struktur der Menschen, sondern diese aus der Sexualordnung des Patriarchats zu erklären ist. Und die Gesellschaft besteht nicht nur aus einzelnen Menschen fdas wäre ein Haufe), sondern aus einer Vielheit von Individuen, die gerade durch die zwischen ihnen und auf sie wirkenden, von ihrem Willen und auch ihren Trieben völlig unabhängigen Produktionsverhältnisse in ihrem Leben und Denken bestimmt werden ; allerdings derart, dass die Produktionsverhält- nisse an den entscheidenden Punkten, wie etwa bei der ideologischen und strukturellen Reproduktion des ökonomischen Systems, die wir später behandeln werden, gerade die Triebstruktur verändern. Wenn wir also sagen, dass wir Hintergründe klären können, so kommt es darauf an, genau festzustellen, welche. Und das ist das Wesentliche, eigentlich das, was uns von den bekämpften Richtungen der geläufigen »Sozialpsychologien« unterscheidet, dass wir uns Rechenschaft über die Grenzen und Abhängigkeiten der Psychologie geben, dass wir wissen, nur die vermittelnden Zwischenglieder zwischen Basis und Ueberbau, nur den sich zwischen Natur und Mensch vollziehenden »Stoffwechselprozess« in seiner psychischen Repräsentanz klären können. Dass wir auf diese Weise dazu kommen, auch die Rückwir- kung der Ideologie auf die Basis vermittels der Struktur gewordenen Produktionsverhältnisse zu klären, ist ein entscheidend wichtiger Ne- bengewinn. Warum ist diese genaue Abgrenzung so ausserordentlich wichtig? Weil hier die Grenze läuft zwischen idealistischer und dia- lektisch-materialistischer Anwendung der Psychologie auf gesellschaft- lichem Gebiet. Die Früchte, die diese Anwendung verspricht, lohnen mühevollste und sorgfältigste Klarstellungen, die dahin zusammen- zufassen sind, dass wir über die Hintergründe menschlichen Verhal- lens, die im Aus serpsychischen liegen, über die ökonomischen Gesetze, die den gesellschaftlichen Prozess bestimmen, und die physiologi- schen, die die Triebapparatur beherrschen, eben nichts aussagen kön- nen, ohne sofort mit der Metaphysik Freundschaft zu schliessen.

In einem weiteren Punkte, der sich unmittelbar an diese Unter- scheidungen anschliesst, muss ich sowohl Fromm wie anderen Freun- den meiner sonstigen Auffassungen widersprechen. Fromm vertritt den Standpunkt, dass meine Leugnung der Anwendung der psycho- analytischen Methode auf geseilscbaftliche Phänomene wie Streik etc. falsch sei. Von anderer befreundeter marxistischer Seite wurde mir entgegengehalten, dass man die psychoanalytische Methode doch

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auf gesellschaftliche Phänomene anwenden könne, weil sie in ihren Grundzügen eine dialektisch-materialistische sei. Fromm selbst meint, ich hätte in meinen soziologisch-empirischen Arbeiten meinen Standpunkt »erfreulicherweise« geändert. Dies ist nicht der Fall. Nach wie vor vermeide ich die Anwendung der psychoanalytischen Methode auf gesellschaftliche Tatbestände, und zwar aus folgendem Grunde, den ich hier zum ersten Male genau zu formulieren vermag. Es ist richtig: Mit der Methode des dia- lektischen Materiaiismus untersuchen wir gesellschaftliche Phäno- mene; es ist richtig; die Psychoanalyse ist eine dialektisch-mate- rialistische Methode der Untersuchung; also miisste, würde der ab- strakte Logiker meinen, die psychoanalytische Methode »logischer- weise« auf gesellschaftliche Phänomene angewendet werden können, ohne Schaden anzurichten. Meine Freunde verfallen hier unbewusst abstraktem, idealistisch-logischem Denken. Sie haben recht nach den Gesetzen der abstrakten Logik; sie irren bedenklich nach den Gesetzen der Dialektik. Tüftelei? Nein, sondern ein höchst einfacher Tatbestand; Die Methode des dialektischen Materialismus ist zwar eine einheitliche Methode, wo immer wir sie anwenden, überall gilt der Satz der Einheit der Gegensätze, des Umschlagens der Qualität in die Qualität etc. Und doch ist die materialistische Dialektik eine andere in der Chemie, eine andere in der Soziologie und wieder eine andere in der Psychologie. Denn die Methode der Untersuchung hängt nicht in der Luft, sondern ist in ihrem besonderen Wesen von dem- jenigen Gegenstand bestimmt, auf den sie angewendet wird. Gerade hier enthüllt sich die Richtigkeit des Satzes von der Einheit von Den- ken und Sein. Man kann daher den Sonderfall der materialistischen Dialektik der soziologischen Methode nicht austauschen gegen den anderen Sonderfall der Dialektik der psychologischen Methode. Wer den Standpunkt vertritt, man könne soziologische Fragen mit der psychoanalytischen Methode richtig lösen, bezieht gleichzeitig, ob er will oder nicht, auch den anderen Standpunkt, dass man etwa den Kapitalismus mittels der Methoden der chemischen Analyse erklären könne. Die Argumentation wäre die gleiche wie bei der Anerkennung der Gültigkeit der psychoanalytischen Methode für gesellschaftliche Tatbestände; denn der gesellschaftliche Prozess hat zweifellos ebenso mit Materie wie mit Menschen zu tun. Wenn man also psychologisch ohne weiteres untersuchen kann, warum dann nicht auch chemisch? Man sieht an diesem Beispiel, wohin der Standpunkt Fromms führen würde, wenn man ihn konsequent verfolgte. Fromm hat unrecht', wenn er behauptet, dass die Analytiker zu falschen Ergebnissen auf soziologischem Gebiete kamen, weil sie in der Soziologie von der analy- tischen Methode abwichen. Nein. Sie waren restlos konsequent in der Anwendung der Methode der Deutung sinnvoller psychischer Inhalte, der Rückführung der psychischen Phänomene auf unbcwusste Trieb- mechanismen bei gesellschaftlichen Phänomenen wie etwa kapitali-

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stischer oder monogamer Organisation. Und gerade deshnlh „■ sie fehl, denn die Gesellschaft hat keine Psycfe kein tJnh. ^f " keinen Trieb, kein Ueberich, wie Freaä in ^UnLehagen? anX^^^^^^ so wurden die wirklichen Tatbestände, an denen iede InJ^lnl^f ' dung der materialistischen Dialektik Aängt^W^t": tXT artige Prozesse, wo sie sich objektiv nicht ^,nrfi„,}Jt, '°/"°'='^*- kommt Unsinn heraus. Es stimm auch n ich Je p' "^ ""' .'°'"* dass e,-„ und derselbe Gegenstand gleich.ei;^ ^h". i^r^X hsch untersucht werden könne. Die Physik kann nicht die ehS-he Zusammensetzung, und die Chemie nicht die FallReschw „ritw / stimmen, es werden eben mit verschiedenen Merodri beide" d,alel.t,sch-ma tenalist,sch sind, verschiedene Funktionen ^der eL n Schäften A..e/6« Gegenstandes unlersueht. Genau das gleTche ri"t für d,e Soziologie. Ben gleichen geseljschaftlichen Tatbestand psycho logisch und soziologisch-ökonomisch erklären, das bringen n der Tat nur Jongleure der Wissenschaft eines bestimmten wohlbekamln Typus zus ande. Das ist Eklektik schlimmster Sorte. Die ver chie denen Funktionen desselben Phänomens mit den entsprechenden Me- h»„t-^, "."'7™'"=° """ dabei die gegenseitige Zuordnung und Ab- hängigkeit dieser Funktionen erkennen, ist Anwendung des dialtk

"ial pvcbo, """r"" '^™ ^™""" <""^- fo™u'iert.'dass die So- der psCtchent" 8f^.^"-='n*» Hintergründe und Funktionen BeisS n Erscheinung« untersuche, so ist das unrichtig. Ein

Hg on def m'", r"'"'"^ Hintergrund und die Funktion der Re" fflZ;„b t '"■ ""^ soziologisch-ökonomisch Funktion einer

ffla6.e„bez,ehung, des Produktionsverhältnisses Arbeiter-KanitaTst- dÜrThn ff '"'"'"' ""* " P"™teigentum an Produktionsm tt n ArreUskraft"ar '^""t° Gebrauchswert und Tauschwert der Ware AiDeitskraft, also soziologischer Kategorien. Dieses Produktionsver

d^ hrrih^rn^Kf ^"'°'^^'™ wirtschaftlichen Mac'httss'Xrn

sehaftmUgttr ^Z^T ^'t^^^Z^'^Z ^^^d"^^^"' ihre Struktur mit Hilfe besonderer ittUutronen" e^^r d'er'tmiu: dann der Schule, Kirche etc. verändert und zu einer chroni.e^ ' ' typischer Weise reagierenden Formation gestaUet W'r hlben dann eine so.ialpsychologische Erscheinung vor uns, etwa da Vater Sohn ' Verhältnis m seiner Zweiheit: Hönakeit dIik, 4„f;„^„ vater Sohn- Autorität, das sich primär auf die Ökonom! scheCrehun,f X d l' LTenTn " f "7"°"^"= Getühlseinstellung stü'zt Nact d^r 11 fiziellen psychoanalytischen Ansicht schafft diese Gefühlsbeziehnn!, < das Vatersohnverhältnis, also die Erscheinung der au oHtären Be^°f ^ hung etwa zwischen Kapitalist und Arbeiter, während in WirklichkeH ' .diese autoriare Beziehung auf Grund der Klassenbeziehung „„7 der gefuhlsmassigen vorhanden ist. Die Untersuchung mit der sozioto ] gisch-okonomischen Methode führt zur Aufdeckung der Klassenhe^ hung. Die Untersuchung mit den Mitteln der Psychoanalyse fXt zur" v


' iiv r Klärung der gesell schaftU- Aufdeckung ihres ß"'™'^' ^° "'aeren psychischen Verankerungen. =hen Funktionen, sondern ""; ™ °7'^„,P ^'diese Beziehung verschre- Geht man umgekehrt vor, b*andeU ,y,eher Instanzen

dener Individuen zwerer Klassen ^re ^^^^ ^^^^. ^„^ G^^mt

in ein und 'i«'"'*'="=™,*':"!!Ked zu"ein. zu der Ansicht kommen, dre her ein besonders s*='*'" f "„ ^ , gegenüber äusserte, die Bour- einmal ein tührender Ana ytikeT ^ ^ | ^ ^^^ Es des sozialen Or-

geo^sie sei eben das U*'="*,-/;;J™„„ die Funktion des Uebenchs, la ismus, und die Bourgeo.s.e erjulle n ^^^^ ^^ ^,„

1, Es im Zaume zu halten Ich bin ^^^^ notwend.ger-

h ^zensguter Mensch ist. t™tzdem -us^'yj-.^^ ^.^^ ^„^ ,,„ Straf- v,eise zum Schluss kommen, d.ePo^rz ^^^ ^^^,^^^ tostituUon und öedürfnis der Massen, v,e, er to P ^^^ ^.^ Beherrschten psycho- nicht ihre Psychologie und ihre W irKU s

logisch untersucht. „„„irisch-soziologischen Arbeiten die

Ich habe in verschiedenen empinschs.^ .„gewendet, ohne,

psychoanalytischen Ergebnisse m der S^^ J ^ ^^^^,^^„ ,,^

Biologie untersucht ^le Proze^e ä'e z ^^^^.^^^ ^^^ Kapitalist

sie etwa das Pro'J^W^f^.'.^f'H'ch™ Wirtschaft, wonach die Ware eruiert, das Gesetz der kapitast^schen^^^.^^^^ ^^^^^^^ ^^

Arbeitskraft vom 8'=«"' /" «Ire sie findet andere ökonomische braucht wird wie iede -*=- „Y^,":; u",„nehmer zu Lohnredukt.o- Gesetze, wonach die Konkurrenz der ^^^^^ ^^„ ht

„en zwingt, um die P'°J! [^'^™ '* ^Bewusstsein der betreffenden sich aber durch den Wrüen und das Be ,^ j^^^^^^^ter Weise

Arbeiter, das ^eisst die soz, ogisdie Tatsa^^ ^^^^^^.^ ^^^^^ psychisch- repräsentiert ^'""^ ^ängt ab, was sie aussagt. Es

sagen haben, aber wie? Denn davo f^ . ^^^ Unbewusslen

^'rd nun sofort einleuchten da- de W^^^^ ^^^ ^^^^^ ,„

eines oder mehrerer f"^'^"\^,, seine »Hintergründe, aus- gesellschaftliche Erscheinung oder übe ^ _^,^ ^^^ ^ Lgenwird, Ja nicht einmal sehr ^«a übe ^^^^ ^.^ d,s dresen

bewogen, sich am Streik zu '"'*'=7f "^„ .„,„s„ehologie betreiben, sa- Irteiter; Gemeinsame erfassen, a o Sozialp y J ^^,_ ,^^

  • wir nichts darüber aus. ^arum es SU« ^^^^^ ^^^^ ^,^

fdsst auch die Sozialpsychologie erklart n^cht^,^^^ ^.^ .^^^^ ^,.^^^„ Autdeckung der l-^tantilen Konflikte der ^^ ^^^^ ^^„^„„ „„r

„der Müttern hat nichts «"» "* lesthalten müssen - mit _ und das ist dasjemge, ^'f ..™ «^"\ en Boden (kapitalistische dem gemeinsamen h';t°"-^;°XTrr Gese.lsch^ aus dem sich ^--X'""^ek" Eltern-Kinder-Konflikte ergebe^n^


Versucht man dennoch das, was Jnan bei der Analyse des Arbeiters lindcl, zur Erklärung? der Erscheinung ^Streik« heranzuziehen, so koinml man zum Seliluss. der Streik sei eine Revolte gegen den Vater. Dass man dabei »Streik« und »psychisches Verhalten im Streik*; gleichsetzte, entgeht der Aufmerksamkeit. Diese Differenz ist aber entscheidend. Man Übersicht es entweder aus methüdologischer Un- klarheit oder aus bewussten oder unbewussten reaktionären Motiven, denn die soziologische Deutung führt zu anderen Konsequenzen als die psychologische, jene zur Erkenntnis der Gesetze der Klassengesell- schaft, diese zu ihrer Verschleierung.

Der Streik kann in die psychische Arbeit des Unbewussten mitver- woben sein, etwa in Form eines Traunies, wobei der Streik als Ta- gesrest wirkt; merkwürdigerweise ist das weit seltener der Fall als bei anderen, der Sexualspharc entstammenden Tatbeständen. Aber aus diesem Tatbestand den Streik erklären, führt zu dem Gleichen, was der offizielle Kulturforscher der Psychoanalyse, Roheim, tut. Aus- sagen über primitive Kulturen aus den Träumen der IMmitiven zu machen, stall den Konfliktinhalt der Träume aus den primitiven Kul- turen zu erklären.

Mit der Psychologie erfassen wir also das Verhalten des Arbeiters im Streik, nicht den Streik selbst. Insofern aber das Verhalten der Arbeiter den Ausgang des Streiks mitbestimmt, »spielen psychische Faktoren mit«. Etwas anderes ist jedoch, wenn wir davor stehen, dass die soziologisch-ökonomische Situation eigenlich einen Streik zeitigen müsste, dieser aber ausbleibt. In desem Falle versagt die soziologisch- ökonomische Untersuchung, wenn sie eine unmittelbare historisch- ökonomische Beziehung finden will, denn hier wurde der Ablauf eines soziologischen Prozesses durch ein drittes gestört. Dieses dritte ist ein psychologischer (sozialpsychologischer oder massenpsychologi- sclicr Tatbestand), etwa mangelndes Vertrauen der Belegschaft zu den Anregern des Streiks, also zur Führung, Bindung an reformisti- sche, den Streik sabotierende Gewerkschaftsführer oder ängstliche Scheu vor dem Unternehmer. In anderen Fällen mag Angst vor den materiellen Schwierigkeiten in der Streiklage ausschlaggebend sein. Aber auch dieses Verhalten, das natürlich ausschlaggebenden Einfluss auf das Ablaufen des Klassenkampfes hat, ist selbst wieder nicht nur unmittelbar psychologisch, sondern entscheidend mittelbar wieder so- ziologisch zu erklären. Denn die Bindung an den reformistischen Ge- werkschaftsführer ist selbst das Ergebnis einer bestimmten, letzten Endes soziologischen Beziehung; in dem einen Falle kann es der oberflächliche Grund der Angst vor Entlassung, im anderen der tie- fere einer Angst vor Auflehnung gegen die Autorität sein, die der in- fantilen Vaterbindung entstammt. Aber woher stammt die Vaterbin- dung und die auloritäre Angst? Dock wieder nur aus der familiären Situation, die selbst soziolügisch-ökonomisch begründet ist. Es han- delt sich also bei der An\j-endung der Psychologie immer nur um die

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s^ri ■■'" "'^^ "^'" ^^'"iger zahlreichen Zwischenglieder zwU

sehen dem ökonomischen Prozess und der Aktion des Menschen in

r^P^I'""^*'"" ^^^ Verhalten, desto enger ist das Aufgabengebiet

rjf, f . ?^^ *^^' Unbewussten; je irrationaler, desto weiter, desto

mehr bedarf die Soziologie der Hilfe der Psychologie. Das gilt vor

allem für das Gebiet des Verhaltens der unterdrückten Klassen im

Klassenkampf. Dass ein Industriearbeiter oder die Industriearbeiter-

sehaft die Angleichung der Aneignungsform an die Produktionsform

anstrebt, bedarf keiner andern als der zusätzlichen Bemerkung, dass

Sie dabei den einfachen Gesetzen des Lust- Unlust-Prinzips

Dass aber die unterdrückte Klasse in breiten Schichtenj^ Aus jeutung in dieser oder jener Form bejaht oder Saru;^(^ff^^ ist ' nittelbar nur psychologisch und erst_miiteife^,i;^;,kt.son;b u verstehen Dass die bisherigj^nalytische Soziologie umgekehrt ^erfuhr, die Auflehnung psjg-tfl^iogisch zu erklären versuchte, di^ .eistung der GefolgschafJ^rfingegen als eine Gegebenheit hinnahm, die keiner Erklärung bedm;^, ^egt an ihrer Fassung des Realitätsprinzips wonach heimErw^ffTfr^enen. das Lustprinzip durch die Anpassung an e^ai'ifiSfingen der Realität abgelöst werde. Zur Realität gehört aber nicht nur das kapitalistische Gesetz der Ausbeutung, sondern auch das eigene Bewusstsein davon, das ein Leidensbewusstsein ist und daher McAfanpassung zur Folge hat. Die offizielle Ansicht erklärt die Nichtanpassung für infantiles, irrationales Verhalten. Hier steht Well an schauung gegen Weltanschauung. Gewiss, wir leugnen ja nicht wie unsere Gegner unseren politischen Standpunkt. Aber wir |- halten fest: Der Unterschied dieser politischen Stellungnahmen be- ruht darin, dass die eine als Anlage des menschlichen Wesens psy- chologisch deutet, was soziologisch-ökonomisch zu erklären ist, und das, was sie zu erklären hätte, übersieht, nämlich die Hemmung des Ablaufs soziologischer Prozesse, somit — und zwar in beiden Fällen — ■von der Wirklichkeit ablenkt; die andere Stellungnahme dagegen j schaltet nichts, gar nichts aus der Reichweite des menschlichen Er- kenntnisvermögens aus, sie hat das gerade umgekehrte Interesse, alles

in den Bereich der Wissenschaft zu rücken, durch die grundsätzliche

(Anwendung der Methode des dialektischen Materialismus auf allen tGebieten zu einer wissenschaftlichen Weltanschauung zu gelangen iund derart die Philosophie, sofern sie bisher die Wissenschaft vom ^Unerkannten ist, überflüssig zu machen.

i Zusammenfassend ergibt sich, dass die bewusste oder unbcwusste

^Anwendung des dialektischen Materialismus auf dem Gebiete der

Psychologie die Ergebnisse der klinischen Psychoanalyse liefert die

Inwendung dieser Ergebnisse in der Soziologie und Politik zu einer

narxistischen Sozial Psychologie führt, während die Anwendung der

psychoanalytischen Methode auf Probleme der Soziologie und Politik

n einer metaphysischen, psychologisierenden und überdies reaktio-

tären Soziologie enden muss.


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5^


Vilhelm Reich », , ^1^ ^""^^^•

Massenpsychologie des l-aschismus

Zur Sexualpolmk der politischen Reaktion und zur proletarischen Sexualpolifik

r^ ^^n^^^ÄTltbX^ ^hrrib^^i ° Marcdse u. a.

1 . Das Motiv zu dieser Untersuchung ist weder eine

ÄeS£ rJ^JT^^ir ^==

dass de^,Marxismus ^^^^^^^^ kann. Was war denn bisher

solche P™P-«^^.l.^; Attacke auf die gegnerischen Ideologien? das A und O seiTiei ^^ ■^^.iöse Dogmen, moralische Begriffe Politische Institutionen, r^^^«'°'ti;^?^tiichen Interesses der wurden als Einhüllung des ^^'^\'^^^l'%^^n das Resultat herrschenden Klasse »^'^"arvt. Jetzt d ^^^htbar ge-

dieser jahrzehntelangen ^nt arvungspadago|... ^^^^ ^^^^

j"';," „vTr^iTch den konkretesten Hinweis auf das Gluck g.b„a«.

rdüngmek.daf jeder Einzelne am eignen Leibe nnd e.gnen „„.,,,,,..

Leben erfährt« 



r^



Wilhelm Reich:


(Zweite



Auflage)



EINBRUCH DER SEXUALMORAL

Zur Geschichte der sexuellen Ökonomie

Mit einem Fremdwörterverzeichnis und zahlreiclien graphischen Darstellungen.

O ktav. 160 Seiten Preis : k/rt Dan Kr 6-, gebunden DänJ<n8.-

^^^^^^^^^^^^■IMC Aus dem Inhalt:

Herkunft der Sexualverdrängung. „ r, f.

Sexuelle Ökonomie in der mutterrechtlichen Gesellschaft.

Der Einbruch der sexualfeindlichen Moral.

Mutterrecht — Urkommunismus; Vaterrecht

Bachofen, MacLennan, Morgan— Engels.

Claneinteilung und Inzestverbot. ^, .

n«« Problem der Sexualökonomie. ^^ a t?^«„

f:4!lunterdrückung und ^^a-^f f^f ^ Jj^^^^^ ^^' ^^^"

Bedürfnisbefriedigung und gesellschaftliche Realität. Produktion und Reproduktion der Sexualmoral. ^Nachtrag) R oheims »Psychoanalyse primitiver Kulturen«.

VERLAG FÜR SEXUALPOLITIK /KOPENHAGEN: P05TBÜA ö2f


Privateigentum.





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