Das Weib in der Natur- und Völkerkunde  

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{{Template}} Das Weib in der Natur- und Völkerkunde [Woman in Natural History and Folklore] 2. Bd. Griebens, Leipzig 1884, is a book by Hermann Heinrich Ploss and Max Bartels.

Full text of volume 1

DAS WEIB IN DER NATUR- UND VÖLKERKUNDE. ANTHROPOLOGISCHE STUDIEN VON DR. H. PLOSS. Dritte umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. Nach dem Tode des Verfassers bearbeitet und herausgegeben von Dr. Max Bartels. Mit 10 lithographischen Tafeln, dem Portrait des Dr. H. Ploss in Lichtdruck und 203 Abbildungen im Text. Erster Band. GNZI F729w LIBRAR OF THE UNIEDRI 1891 Leipzig. Th. Grieben's Verlag (L. Fernau). 1891. Das Recht der Uebersetzung wird vorbehalten! Rudolf Virchow als Festgruss zu seinem 70. Geburtstage 13. October 1891 in dankbarer Ergebenheit gewidmet von dem Herausgeber. 63004

Hermann Heinrich Ploss wurde am 8. Februar 1819 als Sohn des Kaufmanns Carl Heinrich Ploss in Leipzig geboren. Seine Gymnasialbildung erhielt er auf der dortigen Nicolai- Schule, in welche er 1832 eintrat und von der er im Herbste 1839 mit dem Zeugniss der Reife entlassen wurde. Er bezog im October desselben Jahres die Universität seiner Vaterstadt und wurde von dieser im Jahre 1846 auf Grund seiner Inaugural- Dissertation De genesi psychosium in puerperio zum Doctor medicinae promovirt. Schon frühzeitig wurde er in die Bahnen wissenschaftlicher Forschung hineingelenkt, denn es war ihm vergönnt , bereits während seiner Universitätsjahre ( 1843-1846) dem Gynäkologen Friedrich Ludwig Meissner als Famulus zur Seite zu stehen. Sehr bald nach Beendigung seiner Studienzeit bot sich ihm ein neues Feld seiner Thätigkeit dar. Er trat 1846 als Armenarzt in den communalen Dienst seiner Vaterstadt, dem er, wenn auch später in anderen Stellungen , fast bis zu seinem Lebensende treu geblieben ist. Die Armenarztstelle gab er 1852 auf. Vom Juli 1866 bis Ostern 1867 war er als stellvertretender Bezirksarzt, bis 1875 als Arzt des Wöchnerinnen- Vereines thätig. In dem gleichen Jahre wählten ihn seine Mitbürger in das StadtverordnetenCollegium, dem er bis zum Jahre 1881 angehört hat. Als das Vaterland im Jahre 1866 der Hülfe auch nicht mehr militärpflichtiger Aerzte bedurfte, bot auch Ploss seine Dienste an und übernahm als Oberarzt eine Abtheilung in dem in der Leipziger Turnhalle eingerichteten Militärlazarethe. Als Zeichen der Anerkennung für diese seine Thätigkeit wurde ihm vom Könige das Ritterkreuz des Albrecht- Ordens verliehen. Er war nicht verheirathet und widmete sich mit ganz besonderem Eifer dem Vereinswesen. Mit noch acht Collegen begründete er im Jahre 1854 die geburtshülfliche Gesellschaft in Leipzig, in welcher er sechs Mal das Ehrenamt eines Directors, zwei Mal dasjenige eines Vice- Directors bekleidete. Hier hat er 21 grössere Vorträge gehalten und der Gesellschaft dreimal für Festschriften ausführliche wissenschaftliche Abhandlungen geliefert. Es war dieses für die Jubiläen von Credé und von den geburtshülflichen Gesellschaften von Berlin und Hamburg. Auch von dem ärztlichen Kreisverein · VI Hermann Heinrich Ploss. Leipzig wurde er mit der Abfassung mehrerer, meist hygieinischer Schriften betraut ; ebenso ist er bei der Durchführung der Desinfectionsordnung für die sächsischen Hebammen hervorragend betheiligt gewesen. In dem ärztlichen Bezirksvereine Leipzig- Stadt hat er bis zu seinem Tode durch einen Zeitraum von fast 10 Jahren das Ehrenamt des Vorsitzenden bekleidet. Sein warmes Interesse für alle die sociale Stellung des ärztlichen Standes betreffenden Fragen, sowie die hohe Anerkennung, welche ihm seine Collegen zollten, wird wohl am unzweideutigsten dadurch bewiesen, dass man durch stete Wiederwahl ihn an diesen Posten zu fesseln suchte. Wiederholentlich war er auch von diesem Vereine aus zu den Verhandlungen des deutschen Aerztevereinsbundes abgeordnet worden. Diesem Zweige seiner vielseitigen Thätigkeit gehören zahlreiche Artikel in dem sächsischen Correspondenzblatte und in dem ärztlichen Vereinsblatte an. Aber nicht allein bei seinen Collegen, sondern auch bei seinen Patienten war Ploss hochgeachtet und gern gesehen, und die letzteren hingen mit grosser Liebe und Verehrung an ihm. Er war ein grosser Kinderfreund, ein liebenswürdiger, heiterer, niemals abgespannter Gesellschafter, und man kann nur staunen, wie er bei allen diesen zeitraubenden Verpflichtungen noch im Stande gewesen ist, auf wissenschaftlich-literarischem Gebiete so unendlich fruchtbar zu sein. Es kamen ihm jedoch bei seiner grossen, die Zeit streng ausnutzenden Arbeitskraft sein geringes Schlafbedürfniss , sein vortreffliches Gedächtniss und seine sich immer mehr und mehr erweiternde Bekanntschaft unter den Fachgelehrten ausserordentlich zu statten. Auch hatte er sich von Anfang an daran gewöhnt, alle seine Studien irgendwie berührenden Angaben, welche ihm bei der Lectüre aufstiessen, sofort auf Zetteln zu notiren, so dass er sein literarisches Rohmaterial in jedem Augenblick bei der Hand haben konnte. Derartige Notizen haben sich in seinem Nachlasse in erstaunlicher Anzahl vorgefunden, und sie liefern den Beweis, dass seinen immer rastlosen Geist mehrere neue , ebenfalls auf breitester Basis angelegte wissenschaftliche Arbeiten schon wieder auf das Tiefste beschäftigten . Es wird später von denselben die Rede sein. Ploss war ein grosser, nervenstarker und sehr kräftiger Mann , welcher nur einer geringen Erholung bedurfte. Diese bestand meistentheils in dem Besuche wissenschaftlicher Wanderversammlungen, deren regelmässiger Gast er war und auf denen er seine umfassende Personalbekanntschaft pflegte und erweiterte. Er besass ein grosses Geschick, neue Bekanntschaften anzuknüpfen und das Wissen Anderer für sich selbst lehrreich und nutzbar zu machen. Im Frühsommer seines Sterbejahres unternahm er eine Reise nach Neapel und Sicilien, welche ihn in hohem Maasse befriedigte. Im Herbst nahm er Theil an dem Congress der deutschen Anthropologen, an der Wanderversammlung deutscher Naturforscher und Aerzte und an dem Congress für öffentliche Gesundheitspflege. So genoss er noch einmal Alles, was diese Welt ihm Interessantes bot. Am 11. December 1885 erlitt er Hermann Heinrich Ploss. VII einen Gehirnschlag und starb, ohne einen Moment das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, zwei Tage später, am 13. December 1885 , im Alter von 66 Jahren. Seine literarische Thätigkeit, deren Uebersicht wir am Schlusse dieser Biographie folgen lassen, hat Ploss schon frühzeitig begonnen. Er trat bereits im Anfange der fünfziger Jahre, also kurz nach Absolvirung seiner Studien, mit ein Paar populär-hygieinischen Schriften in die Oeffentlichkeit. Später hat er auch für die Leipziger Illustrirte Zeitung und für Meyer's Conversations-Lexicon mehrere Beiträge geliefert. In Gemeinschaft mit Küchenmeister redigirte er mehrere Jahre hindurch die von Varges begründete Zeitschrift für Medicin, Chirurgie und Geburtshülfe ; auch ist er mit Prosch zusammen der Herausgeber einer vierbändigen medicinischchirurgischen Encyclopädie für praktische Aerzte gewesen. Die grosse Zahl seiner sonstigen Veröffentlichungen betrifft theils die ärztlichen Standesinteressen, theils die Staatsarzneikunde und die öffentliche Gesundheitspflege, vor allen Dingen aber die Gynäkologie und Geburtshülfe. Ganz neu von ihm begründet ist ein Zweig der Wissenschaft, welchen man als die anthropologisch- ethnographische Gynäkologie und Pädiatrie bezeichnen kann. Hier ist so recht sein hervorragendes Talent zu Tage getreten, die vereinzelten Beobachtungen und Angaben der Forscher und Reisenden in zweckentsprechender Weise zu einem abgeschlossenen Ganzen zu sammeln und zur Beleuchtung wissenschaftlicher Fragen zu verwerthen. Aber er hat gerade auf diesem Gebiete auch selber befruchtend und zu erneuten Forschungen anregend gewirkt, und seine Fragebogen sind hinausgegangen in alle Welt, um unser Wissen zu bereichern und zu vervollständigen. Wie bereits gesagt wurde, haben sich unter seinen Papieren die zahlreichen Materialien zu mehreren von ihm geplanten neuen Veröffentlichungen vorgefunden. Fast vollendet ist ein Buch über den Tabak, worin er, ganz seiner Eigenart entsprechend, die ethnographischen Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt hat. Eine zweite Abhandlung sollte eine historischethnographische Betrachtung der Prostitution bearbeiten . Ein besonders reichliches Material fand sich zu einer dritten Arbeit vor. Was er hiermit beabsichtigte, das erfahren wir in der ersten Auflage des vorliegenden Werkes aus Ploss' eigenem Munde : „Das Gebiet der Ehe ist ein so umfassendes, dass es eine eingehende Betrachtung erfordert. Nachdem Peschel in ausgezeichneter Weise in seiner ,Völkerkunde schon die Gesichtspunkte dargestellt hat, welche uns eine vorsichtige Auffassung der ethnologischen Erscheinungen ermöglichen, halte ich es für angemessen, auf dessen (von Kirchhoff vervollständigte) Arbeit zu verweisen, und der Sache später eine ausführlichere Bearbeitung zu widmen, welche namentlich auch die Heirathsgebräuche berücksichtigen soll . Aus der Geschichte und Naturlehre der Ehe liegt ein so reiches Material vor, dass die dahin einschlagenden Fragen (Sterblichkeit, Selbstmord der Ver- VIII Hermann Heinrich Ploss. heiratheten und Unverehelichten etc., erbliche Krankheiten, BlutsverwandtenEhen , Geschlechts - Verhältnisse der Geborenen etc. ) neu gesichtet und beantwortet werden müssen. Vor Allem aber ist die culturhistorische Bedeutung der Ehe insofern hochwichtig, als sich aus und mit ihr die sociale Stellung des Weibes entwickelt, ein Thema, das wir an anderem Orte unter dem Titel , Das Weib im Familien- und socialen Leben besprechen. werden. " So mögen diese wenigen Worte, viel zu knapp und dürftig für die Freunde des Verstorbenen, dem Leser eine flüchtige Anschauung geben von seiner wissenschaftlichen Vielseitigkeit. Noch deutlicher wird dieselbe werden, wenn wir jetzt einen Blick werfen auf das Verzeichniss seiner Veröffentlichungen . * )

  • ) Die thatsächlichen Angaben sind einem vom Professor Dr. med. Sänger in Leipzig

verfassten Nekrologe entnommen. Verzeichniss der von Dr. H. Ploss im Druck erschienenen Werke und grösseren Zeitschriften- Abhandlungen. 1. De genesi psychosium in puerperio. Inaugural Dissertation . Leipzig 1846. 2. Ueber die das Geschlechtsverhältniss der Kinder bedingenden Ursachen. Berlin (Hirschwald) 1859. ( 40 S. 8°.) 3. Ein Blick auf die neuesten Beiträge zur Frage über das Sexualverhältniss der Neugeborenen. Monatsschr. f. Geburtsk. 18. S. 237. 1861. 4. Ueber Anwendung des Druckes und der Vis a tergo in der operativen Geburtshülfe . Zeitschr. f. Medicin. Chirurgie und Geburtshülfe von Dr. H. Ploss. Leipzig 1867. S. 156. 5. Die Art der Abnabelung bei verschiedenen Völkern (Abreissen, Abbeissen, Ab- schneiden u. s. w. ) . Deutsche Klinik. Berlin 1870. Nr. 48. 6. Die operative Behandlung der weiblichen Geschlechtstheile bei verschiedenen Völkern : a. Beschneidung der Mädchen, b. Vernähung (Infibulation ) . Zeitschr. f. Ethnologie. Bd. III . Berlin 1871. S. 381. 7. Ueber künstlich hervorgebrachte Deformitäten an den weiblichen Geschlechtstheilen und über Behandlung der Schamhaare bei Frauen. Deutsche Klinik. Berlin 1871. Nr. 27 S. 242. 8. Das Verfahren verschiedener Völker bei Ausstossung und Entfernung der Nachgeburtstheile . Deutsche Klinik. Berlin 1871. Nr. 28. 9. Das Männerkindbett (Couvade) , seine geographische Verbreitung und ethnographische Bedeutung. Jahrb. d. geographischen Gesellschaft in Leipzig 1871. ( 16 S. ) 10. Ueber die Lage und Stellung der Frau während der Geburt bei verschiedenen Völkern. Leipzig ( Veit & Co. ) 1872. ( 67 S. 8º m. V. ) 11. Das Heirathsalter. Jahresbericht des Leipziger Vereins f . Erdkunde vom Jahre 1872. 12. Die ethnographischen Merkmale der Frauenbrust ( nebst einem Anhang: Das Säugen von jungen Thieren an der Frauenbrust) . Archiv f. Anthropol. Bd. V. Braunschweig. 1872. S. 215. 13. Das Kind in Brauch und Sitte der Völker. Anthropologische Studien. 2 Bde. Stuttgart (Auerbach) 1876. (619 S. .) 14. Dr. Struve's künstliche Mineralwässer auf der I. balneologischen Ausstellung zu Frankfurt a M. Leipzig ( F. C. W. Vogel) 1881. (34 S. 8º. ) 15. Historisch- anthropologische Notizen zur Behandlung der Nachgeburtsperiode. In der Festschrift „ Beiträge zur Geburtshülfe, Gynäkologie und Pädiatrik " . Leipzig (Engelmann) 1881. 16. Das kleine Kind vom Tragbett bis zum ersten Schritt . Berlin 1881 . 17. Ueber das Gesundheitswesen und seine Regelung im Deutschen Reich. Leipzig (Gräbner) 1882. (91 S. 8°.) 18. Zur Geschichte, Verbreitung und Methode der Fruchtabtreibung. schichtlich- medicinische Skizze. Leipzig (Veit & Co. ) 1883. (47 S. 8°.) Culturge19. Zur Verständigung über ein gemeinsames Verfahren der Beckenmessung. Archiv f. Anthropologie. Bd. XV. 1884. 20. Das Kind in Brauch und Sitte der Völker. Anthropologische Studien. 2. Aufl. N. Ausg. 2 Bde. Leipzig (Th. Grieben's Vlg. , L. Fernau) 1884. (872 S. 8° .) X Verzeichniss der von Ploss im Druck erschienenen Werke etc. 21. Das kleine Kind vom Tragbett bis zum ersten Schritt. Ueber das Legen, Tragen und Wiegen, Gehen, Stehen und Sitzen der kleinen Kinder bei den verschiedenen Völkern der Erde. 2. Ausg. Leipzig ( Th. Grieben's Vlg. , L. Fernau) 1884. ( 120 S. 8 ° . ) Mit Abb. 22. Das Weib in der Natur- und Völkerkunde. Anthropolog. Studien. 2 Bde. Leipzig ( Th. Grieben's Vlg. , L. Fernau) 1885. ( 1078 S. 8°. ) 23. Geschichtliches und Ethnologisches über Knabenbeschneidung. Leipzig ( Hirschfeld) 1885. (32 S. 8° . ) 24. Anweisung zur Pflege und Wartung der Kinder in den ersten Lebensjahren. Leipzig (Barth) 1851. (45 S. 8°. ) 25. Hygiea. Die Kunst, ein hohes und frohes Alter zu erreichen . Ein Buch für Jedermann, insbesondere eine väterliche Liebesgabe für den in die Welt tretenden Jüngling. Leipzig 1851. 26. Ueber die das Geschlechtsverhältniss des Kindes bedingenden Ursachen. Mon. f. Geb. XII. 532. 1858. 27. Ueber den Einfluss der Jahreszeit auf die Häufigkeit der Geburten und auf das Geschlechtsverhältniss des neugeborenen Kindes. Monatsschr. f. Geburtsk. XIV. S. 454. 28. Zur Zwillingsstatistik. Referat in der Deutschen Klinik. 1861 . 29. Ueber die Operationsfrequenz in geburtshülflichen Kliniken und Polikliniken . Archiv f. Gynäkologie. VI. 30. Ueber die Operationsfrequenz in geburtshülflichen Kliniken und Polikliniken . Monatsschrift für Geburtskunde und Frauenkrankheiten. 1869. 31. Studien über Kindersterblichkeit. Journal für Kinderheilkunde. 1874. Bd. VII. 32. Ueber die Frequenz der geburtshülflichen Operationen. Monatsschrift für Geburts- hülfe und Frauenkrankheiten. Bd . XXIII. 1884. 33. Prosch und Ploss. Medicinisch-chirurgische Encyclopädie für praktische Aerzte, in Verbindung mit mehreren Aerzten herausgegeben. 4 Bde. 1854-1863. 34. H. Ploss und F. Küchenmeister. Zeitschrift für Medicin, Chirurgie und Geburtshülfe, begründet von A. W. Varges. Neue Folge Bd . 1-4 ( Bd . 16-19) . Leipzig 1862-1865. 35. Ploss. Vorwort zu Theodor Waitz : Die Indianer Nordamerikas. Leipzig 1865 . 36. Kindersterblichkeit in Beziehung zur Elevation des Bodens, sowie zur Fruchtbarkeit und Beschäftigungsweise der Bevölkerung. Archiv für wissenschaftliche Heil- kunde. Bd . VI. 1861. Ploss verfasste zahlreiche Artikel im sächsischen Correspondenzblatt, im ärztlichen Vereinsblatt, im Archiv für Gynäkologie, in der Monatsschrift für Geburtskunde, in Meyer's Conversations- Lexicon, in der Leipziger Illustrirten Zeitung. Vorrede des Verfassers zur ersten Auflage. Wenn ich die Früchte meiner vieljährigen Studien über die „ Naturgeschichte des Weibes vorzugsweise vom völkerkundlichen Standpunkte aus der Oeffentlichkeit übergebe, so darf ich wohl bekennen , dass ich mir bei der Bearbeitung dieses ebenso schönen und anziehenden, als auch vielumfassenden Stoffes der grossen Schwierigkeit voll bewusst war, die ein solches Unternehmen dem gewissenhaften Autor darbietet. So ergiebig der Gegenstand auf der einen Seite für eine allseitige und eingehende Betrachtung ist, so hatte ich doch eine bestimmte Umrahmung im Auge zu behalten, auf die ich mich selbst und meinen Leserkreis beschränke. Ich hatte die der Natur- und Culturgeschichte entnommenen Thatsachen , die für das Leben und Wesen des Weibes charakteristisch sind, in ähnlicher Weise zu verwerthen, wie ich über das Kind und seine Behandlung in meinem früher erschienenen Buche ( „ Das Kind in Brauch und Sitte der Völker“ ) zahlreiche Erscheinungen aus allen Zeiten und Landen dargelegt und geschildert habe. - Dadurch, dass ich diese Arbeit als „ anthropologische Studien " bezeichne, glaube ich hinreichend angedeutet zu haben, dass ich mir keineswegs die von einem Einzelnen kaum jemals ausführbare - Aufgabe stellte , ein vollständiges Bild vom realen Leben des Weibes und von seiner idealen Stellung im Reiche der Natur zu entwerfen. Vielmehr ging meine Absicht überhaupt nur dahin, das mir zu Gebote stehende, in ziemlicher Reichhaltigkeit zugeflossene Material lediglich im Lichte der modernen Anthropologie und Ethnologie, also vom rein naturwissenschaftlichen Standpunkte aus, zu sichten und dem Verständnisse eines Leserkreises zugänglich H " XII Vorrede des Verfassers zu machen, dessen Sinn und Bildung für dergleichen Studien empfänglich und vorbereitet sind. 99 Denn ich betrachte das Weib in seinem geistigen und körperlichen Wesen mit dem Auge des Anthropologen und Arztes. Demgemäss musste ich mich einestheils mit den psychologischen, ethischen und ästhetischen Zügen des schönen " Geschlechts, insbesondere auch mit der Art und Weise beschäftigen, in der diese Züge von anderen Forschern neuerlich aufgefasst wurden. Anderntheils untersuchte ich die physiologischen Functionen des Weibes in so weit, als mir durch die Völkerkunde mannigfache Thatsachen bekannt waren, welche auf dem Wege eingehender Vergleichung der bei den verschiedenen Völkerschaften zu Tage tretenden Zustände über die verschiedene Organisation und Thätigkeit eines weiblichen Körpers werthvolle Aufschlüsse gewährten. Dabei wurde von mir nicht unbeachtet gelassen, welche Behandlungsweise des Weibes unter den Völkern sich namentlich in sexueller Hinsicht durch Sitte und Brauch heimisch gemacht hat, und wie man wohl die Entstehung solcher Sitten zu erklären im Stande ist. - So darf ich wohl sagen, dass ich die Lebensverhältnisse des Weibes zu einem grossen Theile nach den Anforderungen und Ergebnissen der Ethnologie geschildert habe. Nach der einen Richtung hin musste ich immer die Einflüsse der Culturbedingungen im Auge behaltend das geistige Vermögen des Weibes, sein Denken und Empfinden als einen Theil der Geisteswissenschaft in den Bereich meiner Betrachtung ziehen. Nach anderer Richtung hin eröffnete ich Einblicke in die unter dem Einflusse von Klima, Lebensweise u. s . w. stehenden sexuellen Beziehungen des weiblichen Geschlechts von der Reife und Empfängniss an bis zur Erzeugung und ersten Pflege des Kindes, ein wichtiges Capitel der Biologie und Entwickelungsgeschichte des Weibes bis zur Mutterschaft. Und schliesslich gelange ich zur Schilderung der socialen Lage, in welcher wir das Weib bei der culturellen Entwickelung des Menschengeschlechts zu allen Zeiten und bei allen Rassen finden hier lieferten mir die jüngsten Untersuchungen der Sociologen werthvolle Anhaltspunkte zur Besprechung der culturellen Einwirkungen, durch welche von den Urzuständen des Menschengeschlechts an bei den allmählichen Fortschritten in Sitte, Recht und Religion die Stellung des Weibes die jetzige Höhe bei civilisirten Völkern erreichte. ― Indem ich nun, wie ich ausdrücklich und wiederholt betone, nur Dasjenige klarstellen will, was ich durch meine Studien auf dem Gebiete der Natur- und Völkerkunde gewann, habe ich es mit recht positiven Verhältnissen und fast nur mit exacten Forschungen zu thun, für die ich mir den Stoff meist aus weit zerstreuten Quellen , vielfältig auch durch directe Nachfrage bei Reisenden und Männern von Fach aus allen Theilen der Erde herbeischaffen musste. *) ― Allein ich hatte bei meiner Darstellung

  • ) Zahlreiches Material habe ich durch Beantwortung von Fragebogen erhalten ,

welche ich theils nach vielen Ländern an dort ansässige Aerzte und Privatleute versandte, theils Reisenden und Missionären mitgab. zur ersten Auflage. XIII auch nicht wenige wissenschaftliche Probleme zu berühren. In der Anthropologie stossen wir ja überall auf Probleme der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit, für welche es an historischen Documenten fehlt. Man sucht sie, so gut man kann, durch eine Forschungsmethode zu lösen, die in vielen Zweigen der Naturwissenschaft, z. B. der Geologie, treffliche Erfolge aufzuweisen hat. Es ist dies das Verfahren, die Ueberreste aus früheren Zuständen, sowie die Anfänge historischer Ueberlieferung zur Erklärung jetzt bestehender und gefundener Erscheinungen zu benutzen . So viel ich konnte, habe ich auch nicht ermangelt, diesen Gang der Untersuchung zu betreten. Bei solcher Deutung räthselhafter Erscheinungen im Völkerleben ist freilich stets die grösste Vorsicht geboten ; die schnell bereite Phantasie darf hier nie allzu eifrig an's Werk gehen. Daher trat ich an die Beurtheilung einzelner, selbst von hervorragenden Forschern geistvoll ausgesprochener Ansichten über manche noch nicht voll erklärbare, im Cultur- und Völkerleben auftretende Thatsachen mit einer gewissen Zurückhaltung, die mich veranlasste, gegenüber den Anschauungen und ihrer Motivirung einfach meine Bedenken zu äussern, anstatt mit der vollen Kraft der Ueberzeugung einer Hypothese Raum zu geben, die, schwach gestützt, oft allzubald hinfällig wird. Vielleicht könnte mein Buch bei solchen Lesern nicht die volle Befriedigung erwecken , welche mit ungerechtfertigten Erwartungen an die Lectüre desselben herantreten, insbesondere dann, wenn sie Aufgabe und Tendenz desselben verkennen . Es wäre beispielsweise falsch, wollte man von einer solchen Arbeit etwa den Versuch einer „ Lösung" der „ Frauenfrage" verlangen, die ich am Schlusse nur deshalb berühre, weil sich die Anthropologie auch mit gewissen historischen Momenten derselben zu beschäftigen hat. Viele Zustände des weiblichen Geschlechts bei modernen Culturvölkern können in der Anthropologie freilich nur insoweit Berücksichtigung finden, als sich neben der Civilisation überall im Volke Sitten und Bräuche erhalten haben , die als charakteristische Ueberlieferungen und Reste aus frühesten Zeiten stammen. Ein vorurtheilsloser Kritiker wird mir jedoch im Hinblick auf die oben angedeuteten Tendenzen zugestehen , dass ich mich als Anthropolog und Arzt in den meinen Studien gezogenen strengen Grenzen gehalten habe, dass ich mich aber innerhalb derselben unter der Führung wissenschaftlichen Ernstes sowohl bei der Wahl, als auch bei der Betrachtungsweise des Stoffes vollkommen frei bewegte. Die günstige Aufnahme, welche beim wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Publikum mein Werk allseitig während seines seitherigen lieferungsweisen Erscheinens erfuhr. giebt mir die befriedigende Gewähr und Hoffnung , dass es nun , nachdem es vollständig vorliegt, weiterhin solche Leser finden wird, welche das rechte Verständniss, doch auch den ernsten Sinn für die Sache mitbringen ! Und der Kreis dieser XIV Vorrede des Verfassers zur ersten Auflage. Leser besteht nicht bloss aus Anthropologen und Aerzten, vielmehr wird in meinem Buche gewiss auch jeder mit höherer Bildung ausgerüstete Mann so manches Belehrende finden , das seinen Gesichtskreis bezüglich der Kenntnisse auf dem Gebiete der Physiologie und Psychologie des weiblichen Geschlechts, der Ethnographie und Culturgeschichte erweitert. Leipzig , Mitte October 1884. Dr. Heinrich Ploss. Vorrede des Herausgebers zur zweiten Auflage. Am 13. December 1885 ist Heinrich Ploss gestorben. Unermüdlich thätig, fast bis zu seinem letzten Athemzuge, hat er mit staunenswerthem Fleisse an der Zusammenbringung wissenschaftlichen Materiales gearbeitet. Eine sehr grosse Zahl ethnographischer und anthropologischer Aufzeichnungen hat sich in seinem Nachlasse gefunden, welche ein beredtes Zeugniss davon ablegen, wie er unablässig darauf bedacht gewesen ist, seine allbekannten Werke weiter auszubauen und für neue interessante Arbeiten den Stoff zusammenzubringen. Alle diese Hoffnungen hat der unerwartet und plötzlich eingetretene Tod vereitelt. Von dem weiten Interesse, das er für seine Schriften zu erwecken verstanden hat, liefert namentlich „ das Weib" einen recht schlagenden Beweis, dessen erste, 1500 Exemplare starke Auflage in wenig mehr als Jahresfrist vergriffen war. Ploss hat nicht mehr die Genugthuung gehabt, diesen erfreulichen und für ihn so ehrenvollen Erfolg zu erleben. Der Wunsch der Hinterbliebenen und der Verlagsbuchhandlung, dieses Werk von Neuem aufgelegt zu sehen, veranlasste den Herrn Verleger, auf den Vorschlag des Vorsitzenden der deutschen anthropologischen Gesellschaft, Herrn Geheimrath Virchow, den Unterzeichneten zu einer Neubearbeitung der zweiten Auflage aufzufordern. Sehr gerne habe ich mich dieser mühevollen Arbeit unterzogen, und ich bin stets bestrebt gewesen, die Physiognomie des Ploss'schen Werkes, soweit es irgend sich mit dem Interesse des Ganzen vereinbaren liess, zu erhalten . Es waren jedoch einige eingreifende Veränderungen nicht zu umgehen. Die Capitel der ersten Auflage waren nicht selten in der Form einzelner in sich abgeschlossener Essays neben einander gestellt, und da kam es dann nicht selten vor, dass sie Dinge enthielten, welche besser in einem anderen Capitel ihre Stelle gefunden hätten , oder dass sich die gleichen Angaben in mehreren Capiteln, bisweilen mit denselben Worten, wiederfanden. Hier musste mancherlei geordnet, umgestellt und gestrichen werden, und gleichzeitig glaube ich , XVI Vorrede des Herausgebers durch die Eintheilung des Ganzen in eine grosse Anzahl mit besonderer Ueberschrift versehener kürzerer Abschnitte die bequeme Lesbarkeit des Buches nicht unwesentlich erhöht zu haben. Gleichzeitig sind viele medicinische und anthropologische Begriffe, welche Ploss als bekannt vorausgesetzt hat, die dem Nichtmediciner jedoch unmöglich geläufig sein konnten, in kurzen, aber hoffentlich leicht verständlichen Worten erläutert worden. Ein besonderes Gewicht wurde darauf gelegt, die anatomischen Unterschiede zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlechte, wie sie die heutige Specialforschung festgestellt, aber in einer grossen Reihe schwer zugänglicher Einzelpublicationen niedergelegt hat, in be em übersichtlicher Weise zusammenzustellen, wodurch, wie ich hoffe, auch den anthropologischen Fachgenossen ein kleiner Dienst geleistet wurde. " Von den oben erwähnten Notizen, welche sich in dem Ploss'schen Nachlasse gefunden haben, wurde selbstverständlich möglichst viel der neuen Auflage einverleibt ; doch ist auch sehr Vieles zugegeben, was Ploss nicht zugänglich gewesen war. Aus den Ploss'schen Aufzeichnungen geht hervor, dass der Verfasser eine Ausdehnung seines Werkes über den ursprünglich von ihm gesteckten Rahmen hinaus nicht beabsichtigt hat; er war nur bestrebt gewesen, die früheren Capitel weiter auszubauen. Hier habe ich es für nothwendig gehalten, eine eingreifende Aenderung vorzunehmen : Das Ploss'sche Weib" war eigentlich ein Torso ; wir lernen es kennen bei dem Eintritt der Pubertät und verlassen es nach dem Abschluss des Wochenbettes. Alle die vielen Beziehungen des Weibes, welche sich ausserhalb der Geschlechtssphäre im engeren Sinne befinden , waren unberücksichtigt geblieben. Es ist daher mein Bestreben gewesen, das Bild entsprechend zu vervollständigen, was einen nicht geringen Aufwand von Mühe und Arbeit verursacht hat, da es auf diesem Gebiete vielfach an entsprechenden Vorarbeiten fehlte. So hat nun auch das geschlechtsreife Weib im Zustande der Ehelosigkeit, das Weib als Wittwe, das Weib in seinem Verhältnisse zu den nachfolgenden Generationen als Mutter , Stiefmutter , Grossmutter und Schwiegermutter, das Weib in den Jahren des Verblühens und das alternde Weib seine volle Berücksichtigung gefunden, und wir begleiten nun das Weib vom Mutterleibe an durch alle seine Lebensphasen bis in die Jahre des Greisenalters und selbst bis über den Tod hinaus. So glaube ich, in der vorliegenden Auflage dem Leser ein in sich zusammenhängendes und annähernd abgeschlossenes Bild von dem Weibe in anthropologischer Beziehung vorzuführen. Dass hier, wo es sich um anthropologische Untersuchungen und Erörterungen handelte, das Weib nicht immer in keuscher Verhüllung aufzutreten vermochte, das bedarf wohl eigentlich keiner besonderen Erwähnung. Durch die Ueberschriften sind die betreffenden Abschnitte ja bereits hinreichend gekennzeichnet, und wer die nackte Natur nicht glaubt ertragen zu können, der ist ja nicht gezwungen, diese Capitel zu lesen ; dem Arzte zur zweiten Auflage. XVII und dem Anthropologen werden sie aber, wie ich mit Zuversicht annehme, eine nicht unerwünschte Gabe sein. Noch ein paar Worte möchte ich hinzufügen über die äussere Erscheinung dieser zweiten Auflage. Die Wahl von zweierlei Typen, wobei die Specialangaben kleiner gedruckt worden sind, wird unzweifelhaft zur bequemeren Uebersichtlichkeit des Buches beitragen. Aus dem gleichen Grunde sind. alle Eigennamen cursiv, alle geographischen und ethnographischen Namen gesperrt gedruckt worden. Die Literaturangaben sind, um unendliche Wiederholungen zu vermeiden, nicht mehr unter den Text gesetzt, sondern in alphabetischer Anordnung zusammengestellt worden. Die kleine Zahl neben dem Autornamen giebt an, welche seiner Veröffentlichungen gerade citirt worden ist. Die Citate aus fremden Sprachen sind zur grösseren Bequemlichkeit des Lesers fast sämmtlich in deutscher Uebersetzung gegeben worden. Den Vorschlag des Herrn Verlegers, der neuen Auflage Abbildungen beizufügen, habe ich natürlicherweise mit lebhafter Freude begrüsst , und ich bin bemüht gewesen, möglichst Vielseitiges in dieser Beziehung darzubieten. Soweit es sich durchführen liess, sind den Abbildungen Photographien zu Grunde gelegt, von denen ich einzelne eigens für diesen Zweck aufgenommen habe. *) Die im Texte nur kurz angedeutete Herkunft der Figuren ist in der Erklärung der Abbildungen mit grösster Ausführlichkeit angegeben worden. So möge auch die neue Auflage hinausziehen in die Welt, ein ehrendes Denkmal des rastlosen Fleisses des für die Wissenschaft leider zu früh verstorbenen Verfassers. Ehre seinem Andenken! Berlin , Mitte October 1887. Dr. Max Bartels, praktischer Arzt.

  • ) Zum Theil mit gütiger Erlaubniss des Herrn Geheimrath Bastian im hiesigen

königlichen Museum für Völkerkunde. Ploss, Das Weib. I. 3. Aufl. II Vorrede des Herausgebers zur dritten Auflage. In der Vorrede zu meiner ersten Ausgabe des Ploss'schen Werkes ,,das Weib in der Natur- und Völkerkunde" habe ich bereits die Grundsätze dargelegt, welche für mich bei der Bearbeitung desselben die leitenden gewesen sind. Es ist nun wieder nach wenigen Jahren eine neue Auflage nothwendig geworden, welche bei dem für unser Thema schnell anwachsenden Materiale natürlicher Weise nicht ein einfacher Abdruck der vorigen Auflage werden konnte. Der neue Stoff musste mit verarbeitet werden, und mit ihm boten sich im Vergleiche mit dem schon Vorhandenen auch mancherlei neue Gesichtspunkte dar, welche ebenfalls ihre Berücksichtigung und Durcharbeitung finden mussten . So ist z. B. namentlich zur Abrundung des ganzen Bildes von dem Leben des Weibes die Kindheit des Weibes und seine Entwickelung aus dem Kinde zur Jungfrau in anthropologischer und ethnographischer Beziehung in eingehender Weise behandelt worden. Die Zerlegung grösserer und durch ihre Länge ermüdender Capitel in eine Anzahl kleinerer Abschnitte wurde noch weiter durchgeführt, wodurch ich dem Leser die Uebersicht über das ausserordentlich vielseitige Material, wie ich hoffe, nicht unwesentlich erleichtert haben werde. Ueber die äussere Erscheinung der neuen Auflage mag noch bemerkt werden, dass es durch die Wahl eines grösseren Formates ermöglicht wurde, ihr den ungefähren Umfang der vorigen Auflage zu erhalten, obgleich der Text sich mindestens um den vierten Theil vergrössert hat. In bereitwilligster Weise ist der Herr Verleger meinen Wünschen in Bezug auf eine Vermehrung der Abbildungen entgegengekommen, so dass jetzt dem Leser auf 10 Tafeln 90 nach guten photographischen Aufnahmen auf das Sorgfältigste hergestellte Bildnisse aus allen Rassen unseres Erdballs und ausserdem 203 Illustrationen im Texte geboten werden. Das Zusammenbringen dieser grossen Zahl von Abbildungen ist mit nicht geringen Mühen und Schwierigkeiten verbunden gewesen, und es würde überhaupt unmög- • Vorrede des Herausgebers zur dritten Auflage. XIX lich gewesen sein, wenn mir nicht die Vorstände und Beamten verschiedener Museen und eine Anzahl von Reisenden und Sammlern bei meinen Bestrebungen in freundlichster Weise entgegengekommen wären. So ist es mir gestattet gewesen, aus den Schätzen des königlichen. Museums für Völkerkunde in Berlin , des königlichen Kunstgewerbe - Museums in Berlin, des königlichen Ethnographischen Museums in München und des Museums für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes in Berlin geeignete Stücke photographisch aufzunehmen, wofür ich den Herren Adolf Bastian, Julius Lessing, Max Buchner, Albert Grünwedel, Grube, von Falcke, sowie dem Comité des letztgenannten Museums zu grossem Danke verpflichtet bin. Aus ihrem reichen Besitze von theils selbst aufgenommenen, theils gesammelten Photographien haben die Herren Sanitätsrath Dr. Aschoff, Dr. A. Baessler, Missionar Beste, Dr. Paul Ehrenreich, Professor Dr. Wilhelm Joest, Dr. Freiherr von Oppenheim, Premierlieutenant Max Quedenfeldt, Fritz Schaenker, Sanitätsrath Dr. Fritz Werner geeignete Blätter freundlichst zur Verfügung gestellt, wofür ich auch ihnen meinen besten Dank ausspreche. Möge auch diese neue Bearbeitung eine freundliche Aufnahme finden und möge sie namentlich die Anregung geben zu fernerer Untersuchung und Aufklärung der vielen Fragen auf unserem weiten Gebiete, deren Beantwortung auch dieses Mal leider noch offen gelassen werden musste. Möge sie zeigen, dass nicht nur bei fremden Völkern und in fernen Welttheilen. die Hebel der Forschung eingesetzt werden müssen, sondern dass auch in Europa und selbst bei unseren eigenen Stammesgenossen eine grosse Reihe der scheinbar alltäglichsten Dinge noch immer der genauen Beobachtung und der wissenschaftlichen Bearbeitung harrt. Nur eine grosse Zahl von Mitarbeitern vermag hier zu helfen ! Möge sie recht bald der Anthropologie erstehen, und möge es namentlich den praktischen Aerzten recht zu dem Bewusstsein kommen, dass sie alle die berufenen Vertreter anthropologischer Forschung sind. Berlin im Juli 1891. Dr. Max Bartels. II* und grösseren Zeitschriften- Abhandlungen Inhalt des ersten Bandes. Biographie von Hermann Heinrich Ploss Verzeichniss der von H, Ploss im Druck erschienenen Werke Vorrede des Verfassers zur ersten Auflage . Seite V IX ΧΙ Vorrede des Herausgebers zur zweiten Auflage . Vorrede des Herausgebers zur dritten Auflage . XV XVIII Erste Abtheilung. Der Organismus des Weibes I. Die anthropologische Auffassung des Weibes . 1. Die Entstehung des Geschlechts 3. 2. Gestalt und Körperbau des Weibes 7. 3. Die secundären Geschlechtscharaktere bei den europäischen Weibern 9. 4. Die secundären Geschlechtscharaktere bei den aussereuropäischen Weibern 23. 5. Die Sterblichkeit des weiblichen Geschlechts und der Weiberüberschuss 26. II. Die psychologische Auffassung des Weibes --- - 6. Die psychologischen Aufgaben des Weibes 30. 7. Die moderne Psychologie in ihrer Auffassung des weiblichen Charakters 35. 8. Die abnormen Ehen und der Selbstmord 41. 9. Die Betheiligung des weiblichen Geschlechts am Verbrechen 42. - III. Die ästhetische Auffassung des Weibes - - 1 3 30 46 10. Die weibliche Schönheit 46. - 11. Fördernde und hemmende Bedingungen für die weibliche Schönheit 47. 12. Der Darwinismus über die Entwickelung weiblicher Schönheit 49. 13. Die Mischung der Rassen steigert meist die Entwickelung weiblicher Schönheit 51. 14. Die Verkümmerung des weiblichen Geschlechts 54. 15. Die Vertheilung der weiblichen Schönheit unter den Völkern 55. 16. Die Schönheit der Europäerinnen 57. 17. Die Schönheit der Asiatinnen 63. 18. Die Schönheit der Oceanierinnen 66. 19. Die Schönheit der Amerikanerinnen 68. 20. Die Schönheit der Afrikanerinnen 70. 21. Das Schönheitsideal bei verschiedenen Völkern 73. 22. Der Geschmack und seine Auffassung der weiblichen Schönheit 82. 23. Die Bemalungen, die Tättowirungen und die Erzeugung der Schmucknarben 84.24. Die Körperplastik 95. IV. Die Auffassung des Weibes im Volks- und religiösen Glauben 105 - 25. Der Aberglaube in der Behandlung des Weibes 105. Satzungen in Bezug auf das Geschlechtsleben der Frau 107. sprache 109. - - 26. Die religiösen 27. Die Frauen- Inhalt des ersten Bandes. XXI V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Beziehung . - - 31. Die 28. Die äusseren Sexualorgane des Weibes im Allgemeinen 112. 29. Das weibliche Becken in anthropologischer Beziehung 115. 30. Die Gesässgegend des Weibes in anthropologischer Beziehung und die Steatopygie 123. äusseren weiblichen Sexualorgane und ihre anthropologischen Merkmale 128. 32. Die Hottentottenschürze 133. 33. Die künstliche Vergrösserung der Schamlippen und der Clitoris 140. 34. Die absichtliche Zerstörung des Jungfernhäutchens 141. - 35. Die Beschneidung der Mädchen 142. 36. Die Infibulation der Mädchen 150. 37. Das Wiederaufschneiden der infibulirten Weiber 153. 38. Der Mons Veneris in anthropologischer Beziehung 157. 39. Der Mons Veneris in ethnographischer Beziehung 161. - - --- ―― VI. Die inneren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Beziehung . 40. Die Erkenntniss des anatomischen Baues der inneren weiblichen Geschlechtsorgane 165. — 41. Die Gebärmutter in anthropologischer Beziehung 168. 42. Die Gebärmutter im Volksglauben 170. 43. Die Eierstöcke und die Ovariotomie 173. VII. Die Weiberbrust 44. Die Weiberbrust in ihrer Rassengestaltung 174. 45. Die Pflege, die Be- handlung und die Ausschmückung der weiblichen Brust 189. 46. Die Verstümmelungen der weiblichen Brust 193. Zweite Abtheilung. Das Leben des Weibes 47. Die Hauptabschnitte in dem Leben des Weibes 199. VIII. Das Weib im Mutterleibe . -- 48. Die Erkenntniss des Geschlechts der Kinder im Mutterleibe 201. 49. Verlauf der Mädchen- und Knabengeburten 206. Seite · 112 165 174 197 201 IX. Das Weib während der Zeit der geschlechtlichen Unreife oder die Kindheit des Weibes 209 -- - - 50. Die Aufnahme des Mädchens nach der Geburt 209. 51. Die Mädchentödtung 212. 52. Das Leben des weiblichen Kindes 214. 53. Das kleine Mädchen in anthropologischer Beziehung 217. 54. Der Backfisch in anthropologischer Beziehung 219. X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung . -- - 55. Das erste Auftreten der Menstruation 228. 56. Der Einfluss des Klimas auf das erste Eintreten der Menstruation 229. 57. Der Einfluss der Rasse auf das erste Eintreten der Menstruation 232. 58. Der Einfluss des Standes und der Lebensweise auf das erste Eintreten der Menstruation 233. — 59. Der Einfluss des vorzeitigen Geschlechtsgenusses auf das erste Eintreten der Menstruation 235. - 60. Anderweitige Einflüsse auf das erste Eintreten der Men- struation 235. 61. Das Lebensalter des Menstruationseintritts bei den verschiedenen Völkern 237. 62. Die Frühreife 244. 63. Die Quantität des Menstruationsblutes 248. 64. Normale und anomale Menstruation 249. - - XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung ..... 65. Gebräuche beim Eintritt der Menstruation 256. 66. Die Menstruirende gilt für unrein 263. 67. Das Unheil, welches die Menstruirende anrichtet 275. — 68. Das Menstrualblut als Arznei- und Zaubermittel 277. 69. Die Menstruation im Volksglauben und im Volksmunde 278. -- 228 256 XXII Inhalt des XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben -- 70. Die Beziehungen des Weibes zum männlichen Geschlecht 286. - 71. Die Schamhaftigkeit des Weibes 287. 72. Die Keuschheit des Weibes 296. 73. Jungfrauenzauber und Jungfrauschaftsorakel 305. 74. Ethnographie der Anschauungen über den Werth der Jungfrauschaft 305. XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr 75. Der Beischlaf 313. rituelle Beischlaf 323. - 76. Die Stellung bei dem Coitus 318. 77. Der 78. Masturbation und Tribadie und die Unzucht mit Thieren 329. --- 79. Geschlechtlicher Verkehr mit Göttern, Geistern, Teufeln und Dämonen 332. - 80. Hetärismus und Prostitution 335. und erotische Feste 346. Seite 286 313 81. Heilige Orgien 350 1 - 83. Der Liebeszauber 352. 84. Heirathsorakel und Ehe85. Die Brautwerbung und der Brautstand 366. XIV. Liebe und Liebeswerben . 82. Die Liebe 350. standsprognose 364. XV. Die Ehe 86. Die Entwickelung der Ehe 372. - 87. Die Probe-Ehe 379. - 88. Hinderungsgründe der Ehe 380. 89. Die Ehen zwischen Blutsverwandten 382. Heirathsalter und die Erstgeburt 386. gische Bedeutung 398. 90. Das 91. Die Kinderehe und ihre physiolo- 92. Das Jus primae noctis 402. 93. Der Ehebruch 406. 94. Die Ehescheidung 410. - XVI. Das Weib im Zustande der Befruchtung - 372 414 95. Die Zeugung 414. 96. Die Empfängniss 417. 97. Der Einfluss der Jahreszeiten und der socialen Zustände auf die Empfängniss 419. XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes 98. Das Ansehen, in welchem die Unfruchtbarkeit steht 426. 99. Arzneiliche und mechanische Mittel gegen die Unfruchtbarkeit 430. 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit 434. 101. Die Verhütung der Unfruchtbarkeit 444. 102. Die Verhütung der Befruchtung 446. XVIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes . 103. Die Rassenunterschiede in der Fruchtbarkeit 450. 104. Die Fruchtbarkeit der asiatischen Völker 454. 105. Die Fruchtbarkeit der amerikanischen Völker 456. 106. Die Fruchtbarkeit der afrikanischen Völker 458. 107. Die Fruchtbarkeit der Australier und Oceanier 459. - 108. Mädchen- und Knabenerzeugung 460. 109. Ueberfruchtung und mehrfache Schwangerschaft 466. 110. Die Zwillingsgeburten im Volksglauben 471. 426 450 XIX. Das physische Verhalten während der Schwangerschaft . . 474 111. Die Erkenntniss der Schwangerschaft 474. 112. Aeltere Anschauungen über die Entwickelung der Frucht 479. 113. Die Schwangerschaftsdauer 482 . -- XX. Normale und abnorme Schwangerschaft . 114. Die Lage und das Stürzen des Kindes im Mutterleibe 484. - 115. Die Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter 490. 116. Falsche Schwangerschaften 491. - XXI. Das sociale Verhalten während der Schwangerschaft 117. Ceremonien und religiöse Gebräuche bei dem Eintreten der Schwangerschaft 494. 118. Die Abwehr böser Geister und Dämonen während der Schwangerschaft 497. 119. Die Bedeutung des Gürtels in der Schwangerschaft 501. 120. Die rechtliche Stellung der Schwangeren 505. -- XXII. Die Gesundheitspflege der Schwangerschaft 121. Aerztliche und rituelle Vorschriften in der Schwangerschaft 510. Ernährung der Schwangeren und die Speiseverbote 512. -- 484 • 494 510 122. Die 123. Die Gelüste ersten Bandes. XXIII Seite der Schwangeren 516. - 124. Die Sorge für die psychische Stimmung der Schwangeren 518. XXIII. Die Gefahren und der Schutz der Schwangeren 519 - 125. Das Versehen der Schwangeren 519. 126. Abergläubische Verhaltungs- maassregeln während der Schwangerschaft 521. 127. Die Pflichten des Ehemannes während der Schwangerschaft 523. - XXIV. Die Therapie der Schwangerschaft 128. Mechanische Vorkehrungen während der Schwangerschaft 526. 129. Das Baden und Einsalben während der Schwangerschaft 528. 130. Die Blutentziehungen während der Schwangerschaft 529. 131. Die medicamentöse Behandlung der Schwangeren 530. - XXV. Die Fehlgeburten und die unzeitigen Geburten im Allgemeinen 132. Die Arten der unzeitigen Geburten 533. 133. Wann ist die Frucht lebensfähig? 533. 134. Die künstliche Frühgeburt 535. 135. Die Todtgeburten 536. XXVI. Die zufällige Fehlgeburt oder der natürliche Abortus 136. Der natürliche Abortus in seinen Ursachen und seiner Verbreitung 539. 137. Die Maassregeln zur Verhütung von Fehlgeburten 542. 138. Die Anzeichen des beginnenden Abortus 543. - XXVII. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibung der Leibesfrucht . . 140. Die Verbreitung der 141. Die Fruchtabtreibung 139. Die Bedeutung der Fruchtabtreibung 545. Fruchtabtreibung unter den jetzigen Völkern 546. unter den Völkern weisser Rasse 553. 142. Die Beweggründe für die Fruchtabtreibung 556. 143. Die Abortivmittel im Alterthum und Mittelalter 557. 144. Die Abortivmittel der heutigen aussereuropäischen Völker 559. 145. Die in Europa gebräuchlichen Abortivmittel 566. 146. Die Methoden der Fruchtabtreibung 569. - 147. Versuche zur Beschränkung der Fruchtabtreibung 570. - 526 533 • 539 545

Erste Abtheilung. Der Organismus des Weibes. Ploss , Das Weib. 1. 3. Aufl. 1

O THE UN VE I. Die anthropologische Auffassung des Weibes. 1. Die Entstehung des Geschlechts. Das Weib unterscheidet sich von dem Manne in anatomischer, in körperlicher Beziehung keineswegs einzig und allein durch die Verschiedenheiten in dem Bau der Fortpflanzungsorgane. Allerdings geben die Differenzen dieser für die Erhaltung der Art bestimmten Gebilde die allerwesentlichsten Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern ab und sie werden dieser Eigenthümlichkeit wegen ja auch mit dem Namen Geschlechtsorgane bezeichnet. Es soll auf eine ausführliche Schilderung derselben an dieser Stelle aus leicht ersichtlichen Gründen verzichtet werden. Wer von den Lesern sich eingehender über diesen Gegenstand zu unterrichten den Wunsch hat, den müssen wir auf das Studium anatomischer und gynäkologischer Handbücher verweisen, unter denen wir die Werke von Robert Hartmanns, Henle und den Atlas der Geburtskunde von Kiwisch v. Rotterau als für diesen Zweck besonders geeignet in Vorschlag bringen. Dass der Unterschied in dem Geschlechte dem Menschen bereits angeboren ist, bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung. Weniger allgemein bekannt dürfte es aber sein, dass diese geschlechtlichen Unterscheidungsmerkmale sich während der Entwickelung im Mutterleibe erst allmählich herausbilden, sich differenziren, wie der fachmännische Ausdruck lautet. Es ist also keineswegs der eine Keim sogleich nach erfolgter Befruchtung als entschieden weiblich, ein anderer als entschieden männlich zu erkennen, sondern es existirt eine verhältnissmässig lange Periode in dem Leben, das wir unter dem Herzen der Mutter führen, in welcher eine Unterscheidung in männlich und weiblich noch eine absolute Unmöglichkeit ist, selbst noch in einer Zeit, wo die Entwickelung der späteren Geschlechtsorgane bereits ziemlich weite Fortschritte gemacht hat. *) Werfen wir einen Blick auf das untere Körperende eines menschlichen Embryo in der sechsten Woche seiner Entwickelung, wie es uns Luschka ' abbildet, so bemerken wir dort eine kleine, längsgestellte Spalte, welche seitlich von je einer Hautfalte (Genitalfalte, Geschlechtsfalte) begrenzt wird, während an ihrem vordersten Ende ein kleines Höckerchen (der Geschlechtshöcker oder Genitalhöcker) hervorsprosst. Wir möchten bei dem Anblick

  • ) Allerdings ist nach kürzlich veröffentlichten Untersuchungen von Nagel festgestellt,

dass die mikroskopische Betrachtung der embryonalen Keimdrüsen schon in sehr früher Zeit ganz deutliche Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern erkennen lässt . 1* 4 I. Die anthropologische Auffassung des Weibes. Aus dieser Abbildung glauben, dass wir unbestreitbar weibliche Verhältnisse vor uns hätten; und doch ist hier eine Entscheidung über das zukünftige Geschlecht noch vollständig unmöglich ; noch hätte diese Frucht sich ebenso gut zu einem Mädchen wie zu einem Knaben ausbilden können. den beiden Geschlechtsfalten entwickeln sich vom Ende des dritten Monats ab entweder die grossen Schamlippen oder, indem sie in der Medianlinie mit einander verwachsen, die beiden Hälften des Hodensacks. Der Geschlechtshöcker bleibt entweder klein und bildet den Kitzler, oder er vergrössert sich rasch und wächst zum Penis aus. Es kommt also, wie wir sehen, bei dem Knaben eine Längsspalte am untersten Ende in der Medianlinie zu vollständigem VerDie Entwickelung der Geni- schluss, welche bei dem weiblichen Geschlechte talien ( nach Luschka). für die ganze Lebenszeit erhalten bleibt. Bei dem ersten Anblick hat es daher einen gewissen Schein von Berechtigung. wenn man das Weib als ein in der Entwickelung zurückgebliebenes, ein im Vergleich zum Manne körperlich tiefer stehendes Wesen betrachtet hat. Fig. 1 . Das Weib ist aber seiner Natur nach ebenso vollkommen, wie der Mann es nach der seinigen ist. Erst die moderne Anthropologie hat durch volle Anerkennung dieses Satzes dem Weibe in allen seinen körperlichen und geistigen Beziehungen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Die altgriechischen Naturforscher und Aerzte freilich, wie Hippokrates und Aristoteles, hielten und erklärten das Weib für ein unvollkommenes Wesen, für einen Halbmenschen. Das Weib, so meinte Hippokrates, sei niemals im Stande, beide Hände mit gleicher Geschicklichkeit zu gebrauchen (rechts und links zugleich, ambidextra) ; nach seiner Ansicht wären dessen innere Geschlechtstheile das nämliche, was diejenigen des Mannes äusserlich sind; und während sie beim männlichen Geschlechte die Wärme heraustreibe, würden sie bei dem weiblichen Geschlechte von der Kälte im Inneren zurückgehalten. Dies sind Anschauungen, welche natürlich in keiner Weise den wirklichen physiologischen Verhältnissen entsprechen . Das Weib trägt ebenso gut, wie der Mann, gegenüber dem Thiere alle Vorzüge der menschlichen Gattung an sich, auch hinsichtlich der specifisch weiblichen Eigenschaften. Man hat, um nur Einiges anzuführen, schon öfter auf die Gestaltung der Brüste, auf die Eigenthümlichkeiten der Menstruation, auf das Vorhandensein eines Jungfernhäutchens als charakteristische Unterscheidungsmerkmale des Menschen vom Thiere hingewiesen. Doch beruht das Wesentliche nicht in solchen Einzelheiten, die man früher hervorhob. Die Zweibrüstigkeit ist nicht das ausschliessliche Eigenthum des Weibes. denn ganz abgesehen von den Affen und den meisten Halbaffen tragen auch die Mehrzahl der Fledermäuse zwei Zitzen an der Brust und zwar genau an derselben Stelle, wie das menschliche Weib. In Betreff des Jungfernhäutchens hat schon Blumenbach den von Albrecht v. Haller angenommenen moralischen Zweck desselben zurückgewiesen, während Curier und andere auch bei Säugethieren eine Art von Jungfernhäutchen fanden, und wenn Plinius das Weib ein „, menstruirendes Thier" nennt (animal menstruale), so ist der Unterschied zwischen Menstruation und Brunst kaum von so wesentlicher Bedeutung, um hierdurch die höhere Natur des Menschen zu begründen. Auch ist, wie Robert Hartmann 1. Die Entstehung des Geschlechts. 5 sagt, eine Menstruation, und zwar eine regelmässig stattfindende, durch die Beobachtungen von Bolau, Ehlers und Hermes wenigstens für den Chimpanse durchaus festgestellt worden. Dieser Vorgang dürfte wohl auch bei den übrigen Formen nicht ausbleiben. Es findet hierbei eine Schwellung und Röthung der äusseren Theile statt. Alsdann treten die im nicht menstruirten. Zustande nur wenig deutlichen grossen Schamlippen stark hervor. Die kleinen Schamlippen und der Kitzler sind von vorherrschender Grösse und Bedeutung. Eine beim Chimpanse constatirte, oftmals excessive Schwellung und Röthung dieser Theile sowie auch der Gesässschwielen lässt sich übrigens ausserdem noch an Pavianen und Macacos in deren Brunstperioden leicht wahrnehmen. Von den vielen weiteren Versuchen, das Weib in seiner naturhistorischen Stellung zu erniedrigen, sprechen wir nicht ; es kamen auf diesem Gebiete im Verlaufe der Zeiten die ärgsten Ausschreitungen vor. Zum Theil beruhen sie auf dem durch die jeweilig herrschende Cultur erzeugten Standpunkte der Anschauung. Wenn Völker, die auf der niedrigsten Stufe der Civilisation stehen, das Weib derartig behandeln, dass es bis zur Stufe des Thieres herabgewürdigt wird, so können wir das wohl begreifen. Auch ist es uns verständlich, dass die Orientalen unter dem Einflusse ihres Bildungsgrades das Weib gering schätzen, da sogar der Koran das Weib für ein unvollkommenes Geschöpf erklärt und dasselbe selbst von dem Paradiese aus- schliesst. Hingegen kann es nur als Ausfluss einer im Zeitbewusstsein wurzelnden Neigung zu Absonderlichkeiten aufgefasst werden, dass einst eine anonyme (von Acidalius verfasste) Abhandlung darüber erschien : „ dass das Weib nicht zum menschlichen Geschlechte gehöre" (mulieres homines non esse) . eine Schrift, welche zu Verhandlungen auf dem Concilium zu Macon Veranlassung gab. Es ist ein Glück, dass die Zeit dieser Concile vorüber ist , sonst würde auch wohl Paul Albrecht sich auf einem solchen zu verantworten haben, der auf dem deutschen Anthropologencongress in Breslau im Jahre 1884 einen Vortrag hielt über die grössere Bestialität des weiblichen Menschen in anatomischer Hinsicht. Es heisst darin : ..Aus vielen Thatsachen lässt sich beweisen, dass das weibliche Menschengeschlecht überhaupt das beharrlichere, d. h. das unseren wilden Vorfahren näher stehende Geschlecht ist . Solche Beweise sind: 1. die geringere Körperhöhe des weiblichen Geschlechtes ; 2. die beim weiblichen Geschlechte häufiger vorkommenden höheren Grade von Dolichocephalie; 3. die häufigere und stärkere Prognathie ; 4. die gewaltigere Ausbildung der inneren Schneidezähne ; 5. der dem weiblichen Geschlechte vorwiegend zukommende Trochanter tertius ; 6. die beim weiblichen Geschlechte weniger häufig auftretende Synostose des ersten Coccygealwirbels mit dem ersten Kreuzbeinwirbel ; 7. die beim weiblichen Geschlechte häufiger vorkommende Anzahl von fünf Coccygealwirbeln; 8. die beim weiblichen Geschlechte häufiger auftretende Hypertrichosis ; 9. die bei demselben seltenere Glatze. Was den Trochanter tertius anbetrifft, so ist dies besonders auffallend , denn während derselbe bei dem menschlichenWeibe vorkommt, ist er seltener beim Manne und noch seltener bei den Affen . Es ist dies besonders interessant, da auf diese Weise sich das menschliche weibliche Geschlecht als noch beharrlicher als die grösste Anzahl der Affen hinstellt und auf ein Geschlecht zurückgreift, das jedenfalls wilder war, als die heutige Affenwelt. - Dass das weibliche Menschengeschlecht übrigens nicht nur anatomisch, sondern auch physiologisch das wildere Geschlecht ist, dürfte schon daraus hervorgehen, dass Männer wohl nur verhältnissmässig selten ihre Gegner beissen oder kratzen, während 6 I. Die anthropologische Auffassung des Weibes. doch Nägel und Zähne noch immer zu den von dem weiblichen Geschlechte bevorzugten Waffengattungen gehören. " Erwähnt mag nochwerden, dass nach Delaunay? das Weib mehr einen Plattfuss besitzt, wie er niederen Rassen zukommt. Er meint, dass die hohen Absätze diesem Mangel abhelfen sollen. Nach Ranke scheinen Missbildungen beim weiblichen Geschlechte häufiger aufzutreten, als beim männlichen ; nur in einzelnen besonderen Arten überwiegt das letztere. Am Weibe kann man bald mehr das Geistige, bald mehr das Leibliche betrachten. Daher giebt es eine ideale und eine reale Auffassung des Weibes, und unter den Philosophen kommen beide Auffassungen zur Geltung. Der realen Charakteristik des Weibes durch Schopenhauer steht Michelet's idealistischer Standpunkt gegenüber. Und während v. Baerenbach sich Schopenhauer nähert, sucht Lotze in seinem „ Mikrokosmus“ die rechte Mitte einzuhalten. Ganz anders der Naturforscher als Physiolog und Ethnograph. Für ihn handelt es sich lediglich um die reale Erscheinung und die Stellung der Frau gegenüber dem männlichen Geschlechte und um ihre specifischen , je nach Rasse, Volk und Klima wechselnden körperlichen Merkmale und Functionen. Hier steht das somatische Leben im Vordergrunde der Betrachtung, während die Anthropologie im weiteren Sinne allerdings auch das Psychische im Weibe zum Gegenstande der Forschung und Betrachtung macht. Weiterhin hat jedoch auch die körperliche Erscheinung des Weibes eine ästhetische und ideale Beziehung insofern, als es sich fragt, in wie weit sich im Weibe überhaupt und insbesondere bei einzelnen Völkern das ästhetisch Schöne kundgiebt. ,, Die menschliche Schönheit, " sagte schon vor längerer Zeit Moreau, ,,scheint aus der Vollkommenheit der Formen und dem Zusammenhang dieser Vollkommenheit mit einer höheren Natur und einem entwickelteren Leben zu entspringen ; und nach dieser Ansicht müssen alle äusseren Züge, welche die menschliche Organisation von der thierischen unterscheiden, vorzüglich zur Schönheit beitragen und den Hauptcharakter derselben bilden. “ Wenn nun die Griechen in den Statuen Apollo's und der Venus Ideale der männlichen und der weiblichen Schönheit darstellten, so finden wir allerdings, dass deren Gestalten, als Repräsentanten der schönen Rasse, von den Körperformen jener rohen Völker sich wesentlich unterscheiden, die, wie die Buschmänner und Australneger , in ihrer Erscheinung dem menschenähnlichen Affen weit näher stehen, als den Prachtfiguren der griechischen Künstler. Auch sucht der genannte Autor die menschliche Schönheit vor allem in der vollständigen Vereinigung der äusseren Merkmale des Menschen, der immer um so schöner erscheint, als er geeignet und geschickt ist, die grossen Bestimmungen seines Geschlechtes zu erfüllen. Von diesem Gesichtspunkte aus wäre man dann weiterhin im Stande, der Frage über die Bedeutung der Schönheit bei Mann und Weib näher zu treten, insofern, als bei ihnen beiden in der Gestaltung die körperlichen und geistigen Aufgaben des Geschlechtes zum Ausdruck gelangen. Doch zeigt der weibliche Typus besondere Abstufungen: „ Das Weib nähert sich mehr derjenigen Schönheit wie sie Burke betrachtet, um sie vom Erhabenen zu unterscheiden. Alle Züge, Merkmale und Eigenschaften desselben sind liebenswürdig ; sie flössen weder Furcht noch Ehrfurcht ein : sie schmeicheln gleich angenehm dem Auge, wie dem Geiste ; sie bestechen das Herz und erzeugen Liebe und 2. Gestalt und Körperbau des Weibes. 7 Verlangen. Ein ernstes Ansehen , irgend ein rauher Zug, selbst der Charakter der Majestät, würde dem Effecte der Schönheit schaden, wie wir sie vom Weibe verlangen: und Lucian stellt mit Recht den Liebesgott erschrocken über das männliche Ansehen der Minerva dar. " Ueber die männliche und weibliche Form bemerkt Wilhelm v. Humboldt: ,,Der eigentliche Geschlechtsausdruck ist in der männlichen Gestalt weniger hervorstechend, und kaum dürfte es möglich sein, das Ideal reiner Männlichkeit ebenso wie in der Venus das Ideal reiner Weiblichkeit darzustellen. " Viele von jenen Zügen, durch welche sich das Weib vom Manne körperlich unterscheidet, sind es gerade, durch deren ganz besondere „ echt weibliche Ausbildung uns das Weib als besonders schön und begehrenswerth erscheint. Darum müssen wir zunächst uns über das Typische und Charakteristische am Frauenkörper verständigen ; sein Bau wird dann weiter in ethnographischer Hinsicht unserer Betrachtung zu unterziehen sein. 1 2. Gestalt und Körperbau des Weibes. Wenn auch die vorliegende Abhandlung nicht ein Lehrbuch der Anatomie zu werden beabsichtigt, so erscheint es dem Bearbeiter doch unumgänglich nothwendig, den Lesern in hinreichend genauer und eingehender Weise einen Ueberblick zu verschaffen über die anatomischen Unterschiede, welche, abgesehen von den Geschlechtsorganen , das Weib von dem Manne darbietet. In anthropologischen Studien, welche das Weib zu ihrem Gegenstande haben, dürfen diese Angaben um so weniger fehlen, als bisher noch an keinem Platze die ausserordentliche Mannigfaltigkeit der in Frage kommenden Differenzen ihre bequem übersichtliche Zusammenstellung gefunden hat und das Aufsuchen der betreffenden Angaben in den weit verstreuten Originalaufsätzen doch nur mit grosser Mühe und unverhältnissmässigem Zeitaufwande möglich sein würde. Es wurde bereits im Anfange dieser Arbeit gesagt, dass es durchaus nicht einzig und allein die Genitalien sind, durch welche sich die Frau von dem Manne unterscheidet. Es finden sich auch abgesehen von diesen eine grosse Menge von Abweichungen in dem anatomischen Bau der beiden. Geschlechter , welche man nach dem Vorgange von Charles Darwin als secundäre Geschlechtscharaktere zu bezeichnen pflegt . Zu diesen gehören bei dem Weibe in allererster Linie die Entwickelung der Brüste, über welche wir in einem späteren Kapitel ausführlich zu handeln haben werden. Wir können sie daher an dieser Stelle mit Stillschweigen übergehen. Ausserdem kommen aber noch viele andere Unterschiede in Betracht, welche im Wesentlichen sich auf die Ausbildung des Fettpolsters, des sogenannten Unterhautfettgewebes, ferner der Muskeln und der inneren Organe und endlich auf Abweichungen im Bau des Knochengerüstes beziehen. Die hieraus für die äussere Erscheinung der beiden Geschlechter in die Augen fallenden Unterschiede hat der bekannte Berliner Frauenarzt Wilhelm Heinrich Busch mit folgenden Worten charakterisirt: 22 Die äussere Gestalt des Weibes stimmt mehr als die des Mannes mit den Gesetzen des Schönen überein und ist daher dem Auge (natürlich des Mannes) angenehmer und gefälliger. Die Formen sind anmuthiger und gerundeter, die des Mannes eckig und abstossend (nur nicht in den Augen der Frauen) . Der Kopf des Weibes ist runder, zeigt weniger Hervorragungen und ist mit starkem Haarwuchs, der dem Weibe zu vorzüglicher Schönheit wird, versehen. Auch das Gesicht ist kürzer und die einzelnen Theile gehen 8 I. Die anthropoloAuffassun des Weibes . leicht in einander über, so dass sie in sich weniger gesondert erscheinen ; daher ist auch der Ausdruck des Gesichts beim Weibe weniger bestimmt und drückt selten besonderen Charakter aus. Die Stirne ist nicht so hoch, als die des Mannes, die Nase kleiner, sowie auch der Mund; das Kinn ist weniger spitz und nicht mit Haaren bedeckt, so dass auch das Gesicht rundere und kleinere Form annimmt. . . . Der Hals ist beim Weibe länger, als beim Manne, und weniger in seinen Uebergängen zum Kopfe und zum Rumpfe abgeschnitten ; der Kehlkopf steht weniger hervor. . . . Schon äusserlich nimmt man in den Längenverhältnissen des Rumpfes ein Ueberwiegen des Unterleibes vor der Brust wahr. Diese ist schmaler und enger, die Lendenwirbel sind höher, als beim Manne ; der Wuchs wird dadurch schlanker ; der Umkreis des Brustkastens liegt in einer Ebene senkrecht über dem Becken, beim Manne ragt er über dieses hervor. Die Beckengegend zeichnet sich durch ihre Breite aus. Die Muskeln sind am Rumpfe ebenfalls weniger sichtbar, da sie mit einer grossen Menge Zellgewebe umgeben sind, welches alle Zwischenräume ausfüllt und alle Theile durch sanfte Uebergänge vereinigt. Auch die Rippen und Hüftknochen stehen weniger hervor. Der weibliche Busen, welcher durch die stärker entwickelten Brustdrüsen und das umgebende ( Fett enthaltende) Zellgewebe gebildet wird, stellt das Missverhältniss zwischen der Brust und dem Bauche wieder her und wirkt bei schöner, regelmässiger Form gleich angenehm auf das Auge und auf das Gefühl. " Die Besonderheiten des übrigen Körpers schildert Busch weiterhin: „ Der Unterleib ist runder und tritt bei dem Weibe stärker hervor ; der Nabel ist etwas mehr vertieft und weiter von der Schamgegend entfernt, als beim Manne. Indem die Brust von den Schultern und dem Busen nach unten zu allmählich enger wird, geht der Unterleib wiederum in die breitere Hüftgegend über, so dass kein einförmiges Uebergehen des oben breiten Rumpfes in die schmaleren unteren Extremitäten stattfindet. In der Mitte ist der Rumpf, und zwar in der Gegend des Rückens und der Lenden, am engsten und am schlankesten . Das Schlüsselbein ist kürzer und mehr an dem Rumpfe anliegend, die Arme kürzer, runder, fetter, die Finger sind feiner und spitzer . Eine gewisse Fülle und Rundung bezeichnet beim Weibe die Schönheit der Arme. An den unteren Extremitäten ist der Oberschenkel sowie die Beckengegend stärker, indem hier die Muskelmasse mehr entwickelt ist ; die grossen Trochanteren stehen weiter von einander ab, die Schenkel steigen schräg von innen herab, so dass die Kniee enger beisammen stehen und die inneren Gelenkköpfe mehr nach innen hervorragen. Das Knie ist rund und nur schwach angedeutet, die Wade zierlicher und nach unten schmäler; die Knöchel treten weniger hervor sowie auch die Schienbeinröhre, Theile, die mehr unter der Haut sich verbergen . Der Fuss ist kleiner und schmäler, so dass also die den Körper stützende Fläche geringer ist, als beim Manne. Im Verhältniss zum Stamme sind die unteren Extremitäten beim Weibe kleiner, so dass die Schamgegend nicht wie beim Manne den Körper in zwei gleiche Hälften theilt , vielmehr die Halbirungslinie über dem Schambein zu liegen kommt. Die Schritte des Weibes sind daher kleiner und der Gang ist wegen der Stellung der Pfannen mehr schwankend , aber durch die Leichtigkeit anmuthiger ; nur zum Laufen ist das Weib nicht geeignet. “ Wir möchten noch darauf hinweisen, dass die Physiologie vor allem in zweifacher Hinsicht das organische Leben der Frau verschieden von demjenigen des Mannes findet : Die Frau hat wesentlich mehr mit den Functionen der Fortpflanzung zu thun ; sie wird mit ihren Kräften durch das Sexuelle (Menstruation, Schwangerschaft, Wochenbett, Säugen und Pflege des Kindes) in Anspruch genommen. Zweitens zeigt ihr Nervensystem eine specifisch andere Thätigkeit, als das des Mannes; die Frau arbeitet mehr mit den Gefühlen, der Mann vorzugsweise mit den Gedanken. In allen Bewegungen und Geberden spricht sich deutlich dieses Verhältniss aus ; auch übt diejenige Frau, in welcher das Gefühlsleben am reinsten und feinsten zu Tage tritt, den höchsten Zauber in ästhetischer Hinsicht auf das männliche Geschlecht aus. Wir überlassen es dem Aesthetiker, nachzuweisen, wie nun alle einzelnen Theile zusammenwirken müssen, um dem Ideal der vollendetsten Schönheit näher zu kommen. Viele haben diesen Versuch angestellt, unter anderen 3. Die secundären Geschlechtscharaktere bei den europäischen Weibern. 9 auch schon Moreau in seiner .. Naturgeschichte des Weibes" . Dagegen wird. uns die Frage beschäftigen, was uns die Physiologie und Anthropologie von den physischen und psychischen Verhältnissen des Weibes zu sagen haben. 3. Die secundären Geschlechtscharaktere bei den europäischen Weibern. Gehen wir nun genauer auf die secundären Geschlechtscharaktere ein, so fällt in erster Linie der Unterschied in der Körpergrösse zwischen den beiden Geschlechtern in die Augen. Johannes Ranke sagt : Deutlich ausgesprochene Unterschiede in den Längenproportionen des Körpers zeigen die beiden Geschlechter. Immerhin sind die Unterschiede, procentisch auf gleiche Körpergrösse berechnet, klein und halten sich in den Grenzen weniger Procente oder erreichen überhaupt den Werth von 1 Procent der Körpergrösse nicht. Da es hier nicht auf exacte Zahlenwerthe ankommen kann, so begnügen wir uns mit der Angabe der Hauptresultate unserer Vergleichung zwischen dem schönen und dem starken Geschlechte. Der Mann unterscheidet sich vom Weibe durch einen im Verhältniss zur Körpergrösse etwas kürzeren Rumpf und im Verhältniss zur Körpergrösse und Rumpflänge etwas längere Arme und Beine, längere Hände und Füsse ; im Verhältniss zur ganzen oberen Extremität sind seine „freien Beine etwas länger, und im Verhältniss zum Oberarme respective Oberschenkel besitzt er etwas längere Unterarme und Unterschenkel ; sein horizontaler Kopfumfang ist im Verhältniss zur Körpergrösse etwas geringer. Mit einem Worte, die männlichen Körperproportionen nähern sich im Allgemeinen der vollen typisch-menschlichen Körperentwickelung mehr als die weiblichen Proportionen ; das Weib steht dagegen im Allgemeinen der kindlichen Körpergliederung näher, es steht in dieser Beziehung auf einem individuell weniger entwickelten , in entwickelungsgeschichtlichem Sinne niedrigeren Entwickelungsstandpunkte als der Mann. Wir verkennen dabei nicht, dass sich das Weib körperlich auch noch nach anderen Richtungen als nach der der ewigen Jugend von dem Manne unterscheidet ; immerhin aber lehren unsere Ergebnisse, dass der im Allgemeinen mechanisch weitaus thätigere Mann der weissen Culturrasse , seiner gesteigerten mechanischen Leistung entsprechend, auch einen mechanisch mehr durchgearbeiteten, mechanisch vollendeteren Körper besitzt als das Weib. Dass das auch für Mann und Weib der mit Landwirthschaft beschäftigten Landbevölkerung der weissen Rasse Geltung besitzt , lehren die Untersuchungsreihen, welche von zwei Schülern Stieda's an lettischen und litthauischen Männern und Weibern angestellt wurden. Immerhin erscheinen hier aber, wie wir erwarten konnten, die Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern etwas geringer. Zweifellos kann sich auch bei dem Weibe durch eine in Folge dauernder Lebensgewohnheiten gesteigerte mechanische Arbeitsleistung der Glieder ein mehr männlicher Habitus des Gliederbaues ausbilden. Der Körper des Weibes steht bei allen Nationen der Welt, auch bei den am wenigsten cultivirten, in einem ähnlichen Verhältniss zu dem männlichen, wie bei der weissen Culturrasse, er steht überall in seinen Proportionen dem Kindesalter näher als der Körper des Mannes. " Als Geschlechtsunterschiede in der Länge der Gliedmaassen bezeichnet Weissbach³ bei den Deutschen die folgenden : „ Der ganze Arm der Weiber ist, sowie auch in den einzelnen Abschnitten, kürzer, nur die Hand und deren Unterabtheilungen, der Handrücken und Mittelfinger, im Vergleiche zu den nächst vorhergehenden Theilen länger, sonst kürzer und schmäler; die untere Gliedmaasse, sowie der Unterschenkel und Fuss allein, gleichfalls kürzer, der Oberschenkel aber länger, der Fuss am Rist schwächer, vorne aber breiter. “ Die geringere Grösse des weiblichen Fusses vermochte Goenner bereits bei neugeborenen Kindern nachzuweisen. Die Haut des Weibes ist in den meisten Fällen zarter und feiner und gewöhnlich auch um einen Farbenton heller als diejenige der Männer. Das Letztere bestätigt Baelz auch für die Japanerinnen. Bei dem Manne sind bekanntlich viele Stellen des Körpers bei unserer Rasse mehr oder weniger dicht behaart, während die kleinen, feinen Wollhärchen eine ganz untergeordnete Rolle spielen. Gerade umgekehrt ist das bei dem weiblichen Geschlecht, wo nicht selten die Wollhärchen namentlich an bestimmten Körperstellen 10 I. Die anthropologische Auffassung des Weibes. (Wangen, Rücken, Vorderarm und Waden) einen dichten Flaum bilden und zwar gewöhnlich in stärkerer Ausbildung bei Blondinen als bei Brünetten. Geschlechtsverschiedenheiten in der Behaarung treten nach Waldeyer „bereits im Kindesalter auf; immer erreicht hier in der Regel schon das Kopfhaar der Mädchen eine grössere Länge als das der Knaben, auch wenn das Haar der letzteren unverschnitten bliebe. Dieser Unterschied bleibt das ganze Leben hindurch bestehen. Die durchschnittliche typische Länge des Frauenkopfhaares beläuft sich auf 58 bis 74 cm (Pincus). Meinen Messungen zufolge sind auch die einzelnen Haupthaare der Frauen durchschnittlich etwas dicker als die der Männer, wenigstens in Deutschland. Die Behaarung des weiblichen Körpers ist nie so umfangreich als die des männlichen. Das Frauenschamhaar bleibt immer kürzer, steht meist dichter, und , wie meine Messungen ergeben haben, erreichen die einzelnen Haare durchschnittlich eine grössere Dicke. Hier stehe ich in Uebereinstimmung mit Pfaff, doch finde ich den durchschnittlichen Unterschied nicht so beträchtlich wie Pfaff, der das Männerschamhaar zu 0,11 mm, das Weiberschamhaar zu 0,15 mm angiebt. " Als eine Stelle, welche beim Manne bisweilen, beim Weibe niemals Behaarung trägt , muss die noch zur Schultergegend gehörige oberste , seitliche Abtheilung der Oberarme bezeichnet werden. Es kann wohl ferner als bekannt vorausgesetzt werden , dass die gesammte Muskulatur des Weibes eine minder kräftige Entwickelung zeigt , als dies beim Manne der Fall ist dies hat zur Folge, dass die Bewegungen unkräftiger sind ; dagegen erscheinen sie zierlicher und feiner. Der Gang des Weibes ist mehr schwankend und schwebend. Aus diesem Verhalten der Muskulatur resultiren aber sehr merkliche Unterschiede an den Skeletttheilen. Bekanntermaassen bemerken wir an den Knochen absonderliche knotige Verdickungen, Fortsätze, Leisten und Vorsprünge. Diese sind es , die die Anfügung der Muskeln und ihrer Sehnen an die Knochen vermitteln, und sie sind um so beträchtlicher und um so massiger, je stärker entwickelt die Muskulatur ist. Das ist der Grund, warum sie bei dem weiblichen Geschlechte erheblich kleiner und unbedeutender sind, als bei dem männlichen. Auch in den Functionen der inneren Organe walten grosse Differenzen. Was die Verdauung betrifft, so hat die Frau geringere Neigung, Nahrung aufzunehmen ; sie kann Hunger und Durst leichter ertragen. Das Herz und die Blutgefässe sind im männlichen Körper grösser, weiter und dickwandiger als im weiblichen. Die Blutbildung scheint im Weibe rascher stattzufinden ; daher erträgt es grosse Blutverluste besser, als der Mann, und ersetzt auch das verlorene Blut rascher. Weissbach ermittelte die Häufigkeit des Pulses bei einer grösseren Zahl von Völkern und fand, dass die Pulsfrequenz beim Manne bis zu 84 , beim Weibe bis zu 94 Schlägen in der Minute betragen kann. Der schnellere Puls bei dem Weibe entspricht seiner reizbareren Natur, der Pulsunterschied beträgt 10 bis 14 Schläge in der Minute. Bei gleicher Körpergrösse hat die weibliche Lunge Liter weniger Capacität als die männliche. Nach Scharting verbraucht ein Mädchen von 10 Jahren in 24 Stunden per kg 0,22 gr, ein 9jähriger Knabe 0,25 gr Kohlenstoff. Gewisse Differenzen in Gewicht und Grösse einzelner Organe bei beiden Geschlechtern fand Benecke: Bei Männern übertrifft das Volum der Lungen jenes der Leber ; bei Frauen aber ist das Umgekehrte der Fall ; ferner zeigte sich bei Männern das Volum beider Nieren kleiner, als jenes des Herzens, Frauen aber erwiesen das Gegentheil. Auch in dem Bau des Brustkastens (Thorax) zeigt sich eine Verschiedenheit des Geschlechtes. Die geringere Geräumigkeit und andere Verhältnisse bewirken, dass die Aus- und Einathmung beim Weibe minder ergiebig ist . Schon vor fast hundert Jahren hat Ackermann die Eigenthümlichkeit des weiblichen Thorax in wesentlichen Zügen beschrieben. Beim Weibe fand er unter anderem den knorpligen Theil der unteren Rippen grösser als beim Manne ; bei jenem steht das untere Ende des Brustbeins mit dem knöchernen Theile der vierten Rippe entweder ganz in horizontaler Linie oder es geht noch etwas tiefer herunter; das Brustbein des Weibes ist im Ganzen kleiner, als das männliche. Vor allem aber hat das berühmte Schriftchen des ausgezeichneten Sömmerring³, welcher dem unverbesserlichen weiblichen Geschlechte die üble Wirkung der Schnürbrust vor Augen führte, den besonderen Bau des Thorax gekennzeichnet. Er gab das Bild einer mediceischen 3. Die secundären Geschlechtscharaktere bei den europäischen Weibern. 11 Venus und zeichnete auf dasselbe eine Schnürbrust, um recht augenfällig zu beweisen, wie schädlich ein solcher Modeartikel ist . Allein hat seine Warnung die Schnürbrust be- seitigt ? Mit nichten ! Noch heute pflegen viele eitle Mütter die „ Taille " ihrer Töchter schon in frühem Alter zu verunstalten . Noch immer herrscht die Unsitte , die Gesundheit durch die Marterinstrumente der Pariser Mode, die Corsets, zu gefährden. Weiter ergab sich aus den zahlreichen Messungen von Liharczik, dass der weibliche Körper sich von dem männlichen hauptsächlich dadurch unterscheide, dass ihm eine Rippenbreite (= 1 cm ) in der Brustlänge fehlt, wonach sich dann alle anderen Proportionsunterschiede durch Berechnung ermitteln. (Daher die kürzere Luftröhre und höhere Stimme des Weibes, das breitere Becken u. s. w. ) Wie der biblische Schöpfungsbericht entstand, dass das Weib aus einer Rippe des Mannes geschaffen wurde, lässt sich hiermit nicht erklären. Vergleichende Messungen, die auf den oberen, mittleren und unteren Brustumfang sich bezogen, stellte bei beiden Geschlechtern und in verschiedenen Lebensaltern Wintrich an. Er fand je nach Alter und Geschlecht folgende Abweichungen : Bis in das höhere Mannes- und Frauenalter sei der obere Brustumfang grösser, als der untere ; in den sechziger Jahren des Lebens aber kehre dieses Verhältniss sich um. Bei Frauen werde der untere Brustumfang von dem oberen nicht in dem Maasse übertroffen , wie bei Männern. Um das vierzehnte Lebensjahr werde der Brustkorb des Mannes beträchtlich umfänglicher, als der des Weibes. Nach Lenhossek ist das weibliche Schlüsselbein weniger gekrümmt , als das männliche. Allein es sind in der That noch viele andere Verhältnisse für den weiblichen Torso charakteristisch . Eine eingehende Bearbeitung dieses Gegenstandes verdanken wir dem Anatomen Lucae, auf dessen Darstellungen wir einfach verweisen. Es ist eine Aufgabe der Zukunft, die gewiss recht mannigfachen Abweichungen im Bau des weiblichen Torso bei den verschiedenen Völkern zu erörtern. Unlängst wurde jene schon von vielen Autoren berührte Verschiedenheit in den Proportionen des männlichen und weiblichen Thorax, namentlich des Brustbeins , auch von Strauch besprochen, welcher im Institute Stieda's zu Dorpat hierüber genaue Mes- sungen vornahm. Auch er fand verhältnissmässig bei Weibern das sogen. Manubrium, d. h. den oberen Theil des Brustbeins, grösser, den eigentlichen Körper des Knochens kleiner als bei Männern. Wie sehr diese Verschiedenheit theils auf die Lage der inneren Brustorgane ( Lungen und Herz ) , theils auf die Function derselben einen Einfluss ausübt, besprach ferner Henke, welcher sagt : dass sich die Eigenthümlichkeit des weiblichen Thorax in der Gegend des unteren Endes vom Brustbeine, wie sie vermuthlich durch den Einfluss der Kleidung entsteht, auf eine blosse Verschiebung der Grenzen vom Knochen des Brustbeins und den Knorpeln der Rippen innerhalb der Thoraxwand beschränkt, während die Proportionen des Raumes hinter derselben und ihre Erfüllung durch die inneren Organe sich ziemlich gleich bleiben. Die weibliche Harnblase ist breiter als diejenige der Männer, namentlich in ihrem oberen Theile ; dafür ist sie aber von vorn nach hinten mehr verengt. Ihre Capacität ist absolut geringer, als die der männlichen. E. Hoffmann fand dieselbe im Mittel bei 52 lebenden Weibern zu 650 ccm, bei 74 lebenden Männern zu 710 ccm ; bei 86 weiblichen Leichen betrug sie 680 ccm und bei hundert männlichen Leichen 735 ccm. Die Anthropologie legt ein besonderes Gewicht auf Form und Grösse des Schädels ; deshalb erwähnen wir, dass grosse Unterschiede in dieser Beziehung zwischen dem männlichen und weiblichen Schädel bestehen . Den Horizontalumfang des Mannesschädels fand Welcker im Mittel 521 mm gross ; er verhält sich zum weiblichen wie 100 : 97. Der Schädelinnenraum des männlichen Schädels, 1450 ccm , verhält sich zum weiblichen wie 100 : 90. Da nun die niederen Rassen (Neger, Malayen , Amerikaner) im Horizontalumfang mit den kleinsten weiblichen deutschen Schädeln , die Monogolen mit den kleinsten und mittelgrossen übereinstimmen, so könnte man vielleicht meinen, dass das Weib demgemäss den Uebergang zu niedrigeren Menschenrassen bilde. Allein zu solcher Herabwürdigung des schönen Geschlechtes dürfte wohl kaum die Anthropologie sich herbeilassen. 12 I. Die anthropologische Auffassung des Weibes. Nach Angaben von Delaunay, welche er wohl P. Broca entlehnt hat, und nach Untersuchungen von Welcker bleibt die Schädel capacität des Weibes hinter derjenigen des Mannes zurück bei Australiern um 37 ccm Chinesen 59 Eskimo Deutsche (Gegend um 149 ccm Negern (Dahomey) 73 .. von Halle) 22 160 Negern 99 Javanen 164 .. Sokotranern 114 Hindu von Bellari "2 122 Siamesen Engländern 193 204 Fig. 2. Die Geschlechts-Unterschiede am Schädel (nach Ecker¹). Australier. Australierin. Ein weiterer Unterschied gegenüber der physischen Erscheinung des Mannes besteht darin , dass die Form des weiblichen Kopfes weicher , gerundeter , der Gesichtstheil des Schädels , namentlich der Kiefer und die Schädelbasis , kleiner und letztere in ihrem hinteren Abschnitte stark verschmälert ist. Dabei ist die Basis gestreckter, der Sattelwirbel grösser und eine auffallende Neigung zur Schiefzähnigkeit sowie zur Langköpfigkeit beim Weibe entwickelt. Deshalb haben mehrere Anthropologen den Satz ausgesprochen , dass im Allgemeinen der Typus des weiblichen Schädels sich in vieler Beziehung demjenigen des Kindesschädels nähert. Demgemäss würde man vielleicht den Schluss ziehen können, das Weib sei wenigstens in seiner Schädelbildung auf einer früheren Entwickelungsstufe stehen geblieben. Doch auch dieser Befund giebt uns nicht das Recht , zu sagen , dass das Weib sich gemäss seiner Kopfform im geistigen Wesen dem Kinde nähere. Fig. 3. Die Geschlechts-Unterschiede am Schädel (nach Ecker). Mann aus einem fränkischen Grabe. Frau aus einem fränkischen Grabe. 3. Die secundären Geschlechtscharaktere bei den europäischen Weibern. 13 Johannes Ranke¹ fand , dass bei den Schädeln der weiblichen altbayerischen Landbevölkerung eine Neigung zu kleineren -- physiologisch-mikrocephalen, bei den männlichen Schädeln dagegen eine Neigung zu grösseren physiologisch - makrocephalen, Werthen für die Schädelcapacität vorherrscht . Er giebt über letztere folgende Tabelle : Schädelinhalt in Kubikcentimetern. (Welcker) 30 männl. Schädel sächsischen" Stammes Mittel. Minimum. Maximum. 1448 1220 1790 30 weibl. 1330 1090 1550 27 (Ranke) 100 männl. d. altbayerisch. Landbevölk. 1503 1260 1780 100 weibl. 1335 1100 1683 (Weissbach) 50 männl. meist österreich. Stammes 39 1521,6 23 weibl. 11 1336,6 Alexander Ecker' stellt folgende charakteristische Eigenthümlichkeiten des weiblichen Schädels auf: „ Die Unterschiede des weiblichen vom männlichen Schädel sind begründet theils in der verschiedenen Beschaffenheit der Knochenoberfläche, theils in der Verschiedenheit der absoluten und namentlich der relativen Grösse des Schädels und seiner einzelnen Theile. Geringere Ausbildung der Muskelansätze , besonders Warzenfortsätze , Schläfen- und Nackenlinie , Leisten am Unterkiefer , arcus superciliares ( letzteres als Ausdruck des schwächer entwickelten Athemapparats) . Endlich zeigen sich , entsprechend der grösseren Hinneigung des weiblichen Schädels zum kindlichen, die Verknöcherungspunkte, die Tubera frontalia und parietalia, in der Regel beim erwachsenen Weibe viel deutlicher als beim Manne entwickelt. “ „ Die charakteristische Physiognomie des weiblichen Schädels liegt ausser in den oben erwähnten Eigenthümlichkeiten der Oberfläche und der geringeren Grösse namentlich in folgenden Merkmalen : 1. in der Kleinheit des Gesichtstheiles im Verhältniss zum Hirnschädel. Der weibliche Charakter ist in dieser wie in mehreren anderen Beziehungen zugleich der mehr kindliche, das Weib steht zwischen Mann und Kind; 2. im Leberwiegen der Schädeldecke über die Schädelbasis : 3. in geringerer Höhe des Hirnschädels : 4. in einer grosseren Flachheit des Schädeldaches, insbesondere der Scheitelgegend . Fig. 4. Die Geschlechts- Unterschiede am Schädel ( nach Ecker¹). Schwarzwälder. Schwarzwälderin. 5. Aus dem Leberwiegen der Schädeldecke über die Schädelbasis resultirt unter anderem eine Bildung der Stirn , die man in gleicher und noch stärker ausgeprägter 14 I. Die anthropologische Auffassung des Weibes. Weise auch beim Kinde findet, nämlich eine senkrechte Stellung derselben, die bei diesem selbst , über die senkrechte Linie hinausgehend, oben stärker hervorragt als unten. Dieses gerade Stirnprofil verleiht dem weiblichen Kopf etwas entschieden Edles. 6. Der flache Schädel pflegt ziemlich plötzlich in die senkrechte Stirnlinie überzugehen , so dass der Uebergang von Stirn in Scheitel nicht in einer Wölbung , sondern in einem leichten Winkel stattfindet . In ähnlicher Weise, wenn auch minder ausgesprochen, geht in einer Art winkliger Biegung der flache Scheitel in das Hinterhaupt über ( deutlicher bei brachycephalen als bei dolichocephalen Schädeln) . " Der weibliche Typus entsteht dadurch, dass der kindliche über die Grenzen der Kindheit hinaus persistirt. Für den deutschen Weiberschädel macht Weissbach¹ folgende Angaben : „Aus diesen zahlreichen Untersuchungen ergeben sich schliesslich folgende Ge- schlechtseigenthümlichkeiten des deutschen Weiberschädels : 1. Der ganze Schädel ist absolut kleiner und leichter, mehr in die Breite , aber weniger in die Höhe entwickelt, hat eine relativ schmälere Basis, in der sagittalen Richtung im Ganzen eine flachere, dagegen in der queren eine stärkere Wölbung als der Männerschädel. 2. Sein Vorderhaupt ist kleiner , wohl ebenso lang wie beim Manne, dafür aber niedriger und schmäler, in sagittaler Richtung viel stärker , in querer oder horizontaler aber etwas flacher gekrümmt ; seine Stirnhöcker liegen rücksichtlich der Länge des Schädels etwas weiter auseinander, hinsichtlich seiner grösseren Breite aber näher beisammen, im Verhältniss zu welcher überhaupt alle Breitenmaasse des Vorderhauptes viel kleiner als beim Manne sind. 3. Das durch seine überwiegende Breitenentwickelung die grössere Breite des ganzen Schädels bestimmende Mittelhaupt dürfte eben deshalb , trotzdem es kürzer und niedriger als das männliche ist, dieses an Grösse übertreffen ; ausserdem hat es eine flachere Sagittalwölbung, breitere und in querer Richtung stärker gewölbte Scheitelbeine , deren Tubera weiter auseinander, aber tiefer unten liegen und einen Scheitel (den Raum zwischen Stirn- und Scheitelhöcker) , welcher kürzer und breiter, nach vorn hin mehr verschmälert und in jeder Richtung flacher, nur zwischen den Scheitelhöckern etwas stärker gewölbt ist. Die Keilschläfenfläche gleicht jener des Mannes , nur ist sie an der Schläfenschuppe niedriger, die seitliche Wand aber ist länger und in horizontaler Richtung stärker gewölbt. 4. Das Hinterhaupt des weiblichen Schädels steht ganz im Gegensatze zum Vorderund Mittelhaupte, indem es sich durch grössere Höhen- und Längenentwickelung bei gleicher Breite von dem männlichen unterscheidet, dieses daher an relativer Grösse übertrifft ; nur relativ zur Schädelbreite ist es ähnlich dem Vorderhaupte schmäler. Sein Zwischenscheiteltheil (Receptaculum) ist viel länger als beim Manne. Seine Wölbungen, welche sich in ihrem Verhalten mehr dem Mittel- als Vorderhaupte anschliessen , differiren von jenen des Mannes dadurch, dass die sagittale flacher, die schräge und quere aber stärker sind. 5. Die Schädelbasis des Weibes ist schmäler und kürzer, hat ein längeres Grundstück (pars basilaris) , ein kleineres , etwas schmäleres Hinterhauptsloch, näher an einander gerückte For. styiomastoidea, aber weiter von einander entfernte For. ovalia. 6. Das weibliche Gesicht ist im Verhältniss zum Gehirnschädel in allen Dimensionen kleiner als das männliche, mehr orthognath, niedriger und, entgegen dem breiteren Gehirnschädel, schmäler, nur oben breiter, unten aber enger, hat eine breitere Nasenwurzel, weit auseinander liegende Augen und grössere höhere Orbitae ; breitere Oberkiefer mit kleineren, niedrigeren Choanen und kürzerem, aber breiterem Gaumen ; sein Unterkiefer ist ebenfalls kleiner, flacher gekrümmt, hat ein breiteres Kinn und kleinere, niedrigere und schmälere Aeste, welche aber unter einem grösseren Winkel am Körper eingepflanzt sind . Noch ist zu bemerken , dass die einzelnen Maasse des Weiberschädels meistens viel weniger individuellen Veränderungen als beim Manne unterliegen. " Ein sehr wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen dem männlichen und dem weiblichen Schädel hat neuerdings Thiem angegeben. Der Raum unterhalb des knöchernen Gehörganges, die Fossa tympanico stylo mastoidea , ist beim Weibe erheblich geräumiger als beim Manne. Das hat seinen Grund darin, dass das Os tympanicum, welches den knöchernen Gehörgang nach vorn und unten abschliesst , beim Manne tiefer herab- - 3. Die secundären Geschlechtscharaktere bei den europäischen Weibern. 15 steigt, als beim Weibe. Bei dem Letzteren schlägt es sich schon auf halber Höhe des Zitzenfortsatzes nach hinten um. Morselli konnte in Bezug auf das Gewicht des Schädels constatiren, dass der männliche Schädel mehr als der weibliche wiegt. Der männliche Unterkiefer übertrifft in noch höherem Grade als der Schädel den weiblichen an Gewicht. Dasselbe findet bei den anthropomorphen Affen statt. Auch die individuellen Verschiedenheiten im Schädelgewicht und in noch höherem Grade im Gewichte des Unterkiefers sind beim Weibe grösser als beim Manne. Von allen craniometrischen Geschlechtscharakteren ist das Gewicht des Unterkiefers der wichtigste. Der Unterkiefer wiegt im Mittel: bei Weibern 99 Männern Differenz 63 gr 80 17 99 19 Schaafhausen in Bonn hat nachgewiesen, dass die oberen medianen Schneidezähne bei Mädchen und Frauen nicht nur relativ, sondern absolut breiter sind , als diejenigen von Knaben und Männern in denselben Lebensaltern. Bei 50 Mädchen und 50 Knaben im Alter von 12 bis 15 Jahren war die mittlere Breite der genannten Zähne wie 1,33 (Mädchen) zu 1 ( Knaben) . Bei 12 Männern aus Zandvoort in Holland fand er eine Breite 8,3 im Mittel, während 12 Frauen 8,8 hatten. (Man sehe Fig. 5 und Taf. VIII Fig. 7.) Fig. 5. Die für das weibliche Geschlecht charakteristischen grossen medianen Schneidezähne des Oberkiefers bei einer jungen Oesterreicherin. ( Nach Photographie. ) Besonders charakteristisch ist auch, dass das knöcherne Becken des Weibes nicht bloss breiter ist, sondern dass auch in Folge dieser grösseren Breite die Gelenkpfannen weiter auseinander stehen ; hiermit ist ferner eine grössere Convergenz der Oberschenkelknochen gegen das Knie hin verbunden; eine entsprechende Divergenz der Unterschenkel gegen die Füsse hin compensirt wiederum diese Stellung und Richtung der Oberschenkel und verleiht dem Körper die erforderliche Stetigkeit. Der ganze Bau des Beckens eignet das Weib zum Gebären. 16 I. Die anthropologische Auffassung des Weibes. Fig. 6. Die Geschlechts- Unterschiede am knöchernen Beck( nach Hoffmann). weiblich. männlich. Luschka sagt : „ Die Beckenregion bietet, auch wenn wir von den an ihre Aussenseite geknüpften Sexualorganen vorerst absehen, nicht geringe ihren Gesammthabitus betreffende Geschlechtsunterschiede dar, welche innig mit der Art der Antheilnahme am Gattungsleben zusammenhängen. Beim Manne wird der Raum des Beckens nur in höchst beschränktem Maasse durch das Volumen und die Thätigkeit der Geschlechtswerkzeuge in Anspruch genommen, indem sie grösstentheils nach aussen von ihm verlegt und nur ganz vorübergehend beim Geschäfte der Fortpflanzung interessirt sind. Damit steht es im Einklange, dass sein Gebiet auch äusserlich einen beschränkteren Umfang besitzt, der sich zunächst in einer geringeren Hüftenbreite und in einer nach allen Seiten hin viel schwächerenWölbung und Abrundung bemerklich macht. Dieses Verhältniss kommt um so stärker zur Ausprägung, als beim kräftig entwickelten männlichen Typus eine bedeutende. auf einen grossen Brustumfang hinweisende Schulterbreite damit concurrirt, wodurch gleichsam das Ueberwiegen des individuellen über das Gattungsleben ausgedrückt wird. Nach einem wesentlich anderen Maassstabe ist beim Weibe das Becken aufgebaut, indem dieses nicht allein zahlreichere und theilweise einer beträchtlichen Vergrösserung unterliegende Eingeweide zu beherbergen hat , sondern auch darauf angelegt sein muss, der voluminösen , reifen Leibesfrucht den Durchgang durch seine Höhle zu gestatten. Das ihm entsprechende Gebiet ist demgemäss durch einen viel grösseren Umfangcharakterisirt, welchernamentlich in der Quere, aber auch in der Richtung von vorn nach hinten sehr vorwiegt, dagegen in den Höhendimensionen im Vergleiche zum männlichen Becken nicht Die gegen die Protuberantiae trochantericae in viel höherem Grade zunehmende Hüftenbreite verjüngt sich am schön gebauten Frauenkörper nach oben fast plötzlich in eine schlanke Taille, während sie am seitlichen Umfang nach abwärts unmerklich in die ausserordentlich dicken, abgerundeten und stark convergirenden Ober- schenkel übergeht. Die weibliche Beckenregion ist nach allen Seiten hin auffallend stark gewölbt, was nicht allein in gewissen Skelettverhältnissen, sondern auch darin begründet ist, dass die Muskulatur auf einen verhältnissmässig kürzeren Raum zusammengedrängt und von einem überall mächtigeren Fettpolster umgeben wird. " wenig zurücksteht. Hennig äussert sich über das kindliche Becken folgendermaassen : „Die Darmbeinschaufeln, deren Wölbung später das Charakteristische des Frauenbeckens ausmachen hilft, sind bei neugeborenen Mädchen noch knabenartig steil. 3. Die secundären Geschlechtscharaktere bei den europäischen Weibern. 17 Das Geräumigere des weiblichen kleinen Beckens ist zunächst in der Vorderwand angelegt (breitere Schoossfuge, mehr abgerundetes, ausgeschweiftes Sitzbein) ; die Hinterwand ist zunächst beim Knaben breiter wegen der von vornherein kräftiger angelegten Wirbelsäule. Im siebenten Lebensjahre erst verbreitert sich das weibliche Kreuzbein und ist der Hauptträger der wichtigen, die Europäerin so vortheilhaft auszeichnenden Querspannung des Beckengürtels. Je roher ein Volk, um so verwischter stellen sich die geschlechtlichen Unterschiede (am knöchernen Becken) dar: die Darmbeinschaufeln rücken mehr nach hinten oben (thierähnlich) ; dies ist bedingt durch die den Frauen und Mädchen aufgebürdete schwere Männerarbeit, wodurch das Becken zugleich eckiger, den Muskelursprüngen und Aufsätzen entgegenkommender wird. " Die Geschlechtsdifferenz amknöchernen Becken schildert Hartmanns mit folgenden Worten: „Die Geschlechtsverschiedenheiten des Beckens bilden sich erst mit der Pubermännlich (von oben gesehen ). Geschlechts Die -Unterschiede amknöchernen Becken (nach Hoffmann ). weiblich (von oben gesehen ). Fig .7 tätsentwickelung aus. Manchmal verzögert sich die Ausbildung der typischen Charaktere des weiblichen Beckens bis zur ersten Schwangerschaft. Letzteres Becken ist nun niedriger und weiter als das männliche. Seine Darmbeinschaufeln sind flacher, weniger tief ausgehöhlt, wogegen diejenigen des Mannes steiler sind, oben und innen mehr wie ausgegraben erscheinen. Der weibliche Beckeneingang ist grösser, der gerade Durchmesser desselben ist länger. Diese Oeffnung ist beim Weibe quer-elliptisch, beim Manne dagegen kartenherzförmig. Das weibliche Kreuzbein ist breiter, vorn weniger concav. Das Promontorium springt weniger stark vor, die Spitze des Sacrum springt mehr zurück. Das Steissbein des Weibes ist beweglicher als das männliche. Am weiblichen Becken weichen die absteigenden Sitzbeinäste mehr nach aussen, wogegen dieselben beim Manne steiler niederwärts ziehen. Die weibliche Beckenhöhle ist weiter. Die Tubera ischii des Weibes stehen dann auch weiter von einander entfernt . Sitzbeine und Schambeine bilden am weiblichen Becken stumpfere, am männlichen dagegen spitzere Winkel, so dass der Schambogen am ersteren sich erweitert . Der Fugenknorpel (Symphyse) an den weiblichen Schambeinen ist niedriger und dicker, an den männlichen höher und dünner. Der weibliche Beckenausgang ist grösser als der männliche. Die Abstände der Pfannen des weiteren weiblichen Beckens sind grösser als an dem engeren männlichen gleichartigen Knochengebilde. Das weibliche Foramen obturatorium ist breiter und elliptisch, das Ploss, Das Weib. I. 3. Aufl. 2 18 I. Die anthropologische Auffassung des Weibes. männliche aber ist enger und dreieckig. Alle Knorpel und Bänder des Weiberbeckens sind dehnbarer als die des männlichen. Besonders genaue Angaben über diesen Gegenstand verdanken wir dem französischen Anatomen Sappey ; sie mögen ausführlich hier ihre Stelle finden . Du bassin comparé dans les deux sexes. a. Différences relatives à l'épaisseur des parois , aux bords et aux sailliers de la cavité pelvienne. Sous ce triple point de vue le bassin de l'homme l'emporte sur celui de la femme. L'observation nous montre que chez lui la charpente osseuse est plus fortement constituée. Le sacrum et les os de la hanche n'échappent pas à la loi générale : leur partie centrale , leurs bords, leurs angles, toutes les apophyses qui les surmontent, diffèrent très - sensiblement dans les deux sexes. A leur centre, les fosses iliaques deviennent si minces dans le sexe féminin, qu'elles sont transparentes. dépressibles, et parfois perforées : le corps des pubis, les branches ischio -pubiennes, sont aussi beaucoup plus aplatis ; la circonférence supérieure et la circonférence inférieure du bassin sont plus minces, les saillies osseuses sont plus petites. Dans le sexe masculin les os qui forment cette cavité , les os iliaques surtout, sont plus volumineux, plus solides et plus lourds . Voyez chez lui l'épaisseur des crêtes iliaques ; comparez chez l'un et l'autre les épines de ce nom, les tubérosités iliaques, les tubérosités de l'ischion , le bord interne des branches ischio - pubiennes, les angles des pubis et leur branche horizontale : d'un côté se présentent des bords et des saillies qui dénotent un système musculaire faible ; de l'autre, des bords épais et des saillies volumineuses qui annoncent des muscles plus puissants . Le bassin, se trouvant en rapport dans chacun d'eux avec les mêmes muscles, et donnant attache aux mêmes tendons, devait présenter, et présente en effet toutes les différences qui découlent de l'inégal développement de l'appareil locomoteur dans les deux sexes. b. Différences relatives à l'inclinaison du bassin. Nous avons vu: 1º que cette inclinaison est mesurée par l'angle que forme le plan de chaque détroit avec un plan horizontal prolongé de la partie inférieure de ceux- ci vers le sacrum; 2º que cet angle chez la femme est de 10 à 11 degrés pour le détroit inférieur, et de 60 pour le détroit supérieur. Naegele, auquel la science est redevable de ces deux évaluations fondées sur des données précises et très- nombreuses, n'a pas étendu ses recherches au sexe masculin. Les frères Weber considèrent l'inclinaison du détroit superieur comme à peu près égale dans les deux sexes. L'observation me semble au contraire établir qu'elle est un peu moindre chez l'homme. Pour obtenir des resultats comparatifs, j'ai suspendu contre un mur vertical des troncs appartenants à l'un et à l'autre sexe ; puis abaissant jusqu'au mur une ligne horizontale qui rasait la symphyse des pubis et qui traversait le sacrum, j'ai mesuré l'angle que formait cette tige avec le diamètre sacro- pubien : il a varié, pour la femme, de 54 à 63 degrés ; et pour l'homme, de 49 à 60. Il serait donc, en moyenne, de 58 degrés pour l'une, et de 54 pour l'autre. Mes recherches, il est vrai , n'ont porté que sur six hommes et autant de femmes. Un plus grand nombre d'observations serait peut-être nécessaire pour résoudre cette question d'une manière rigoureuse et définitive. c. Différences relatives aux dimensions du bassin. Chez la femme, le diamètre étendu de l'une à l'autre crête iliaque est plus long que chez l'homme ; mais celui qui se porte de la crête iliaque à la tuberosité de l'ischion est plus court . Les dimensions transversales comparées dans les deux sexes diffèrent en moyenne de 5 millimètres seulement ; et les verticales de 10 à 15. Ce que le sexe masculin perd du côté de la largeur, il le retrouve dont, et au delà, du côté de la hauteur. Quant au dimensions antéro- postérieures, elles sont aussi un peu plus considérables chez la femme, si l'on considère seulement l'excavation pelvienne ; mais les parois du bassin offrent plus d'épaisseur dans le sexe masculin ; et cette différence d'épaisseur compense la différence de capacité. De la prédominance des dimensions transversales chez la femme découle toute une série de différences secondaires . Le détroit supérieur, s'allongeant dans le même sens , tent à prendre chez elle une figure elliptique. La branche horizontale des pubis étant plus longue, les cavités cotyloïdes sont plus écartées, les têtes fémorales plus éloignées , les grands trochanters plus saillants, les fémurs plus obliques, les genoux plus rapprochés . De l'écartement des grands trochanters résulte , pour ce sexe, un mode de déambulation 3. Die secundären Geschlechtscharaktere bei den europäischen Weibern. 19 particulier dont quelques auteurs ont donné une idée vraie , mais exagerée, en le comparant à celui des palmipèdes. d. Différences relatives à la configuration. Parmi ces différences, les unes se rattachent au grand bassin, les autres au petit bassin. Le grand bassin est très- évasé dans le sexe féminin ; les fosses iliaques sont étalées ; les crêtes iliaques déjetées en dehors et peu sinueuses. Dans le sexe masculin, les fosses iliaques sont plus concaves ; les crêtes de ce nom plus contournées et plus relevées. Le petit bassin est plus large chez la femme, plus allongé surtout dans le sens transversal. Les angles latéraux du détroit supérieur s'arrondissent en même temps qu'ils s'écartent, d'où la figure elliptique de ce détroit ; d'autant plus accusée, qu'il est plus ample. La paroi postérieure de l'excavation présente une concavité plus prononcée et plus régulière. La base du sacrum est plus large, mais seulement chez les femmes, assez nombreuse, dont le détroit supérieur dépasse son ampleur ordinaire. La paroi antérieure ou pubienne du petit bassin est plus étendue dans le sens transversal, mais moins élevée. Les trous sous- pubiens sont plus grands et triangulaires ; les tubérosités de l'ischion plus écartées ; les branches ischio- pubiennes plus étroites ; leur bord interne se déjette en haut et en dehors . L'arcade pubienne, très-large, représente une sorte de poulie, sur laquelle la tête du foetus se réfléchit au moment où elle franchit l'orifice vulvaire. Cette arcade offre une largeur de 25 à 30 millimètres à sa partie supérieure , et de 9 centimètres inférieurement. La cuisse est plus longue chez l'homme que chez la femme de trois centimètres. Cette différence est due en partie à la direction du pli de l'aîne qui est rectiligne et ascendant chez l'un, curviligne et non- ascendant chez l'autre dans la moitié interne de son trajet, d'où il suit que dans le sexe masculin le milieu du pli est presque toujours plus élevé que la symphyse pubienne, tandis que dans le sexe féminin ce milieu et la symphyse sont situés sur le même plan. " Die Hüftenbreite der Weiber wird noch vermehrt durch ein eigenthümliches Verhalten am obersten Ende ihrer Oberschenkel. Der Hals der Schenkelbeine ist nämlich länger und mehr wagerecht als beim Manne, wodurch die grossen Trochanteren weiter nach aussen zu liegen kommen. Durch alle diese geschilderten Eigenthümlichkeiten erklärt es sich , dass bei dem Weibe der Querdurchmesser der Hüften denjenigen der Schultern zu übertreffen pflegt, während bei den Männern gerade umgekehrt die Schulterbreite beträchtlicher als die Hüftbreite ist. Nach Fehling soll sich die Weiblichkeit an dem Becken bereits zu der Zeit anfangen geltend zu machen , in welcher das Becken zu verknöchern beginnt. Eine ganz bedeutende Rolle in dem Ernährungsprocess des Körpers spielt die Fettbildung. Während nun das männliche Geschlecht hinsichtlich der Ernährung mehr zu einer kräftigen Entwickelung des Knochen- und Muskelsystems neigt , zeigt das weibliche Geschlecht häufiger eine reichliche Anlagerung von Fett, dessen Vertheilung am Körper diesem rundere Formen giebt. Diese Rundung trägt ohne Zweifel dann, wenn sie in den normalen Grenzen sich zeigt, stets dazu bei, dass uns die Formen der weiblichen Gestalt als schön, d. h. dem Ideale weiblicher Schönheit möglichst entsprechend, erscheinen. Dagegen haben für uns alle jene weiblichen Figuren etwas besonders Abstossendes, welche durch allzugrosse Magerkeit die Rundung der Formen vermissen lassen ; dies kommt besonders bei den Weibern verschiedener Völker schon in einem Alter vor, wo bei uns das Weib im Allgemeinen noch einer gewissen Blüthe sich erfreut. Hierher gehören zumal die Hottentottinnen , auch die Australierinnen und andere. Dagegen giebt es Völker, bei welchen eine übermässige Erzeugung von Fett am gesammten weiblichen Körper etwas ganz Gewöhnliches ist , und die auch diese Ueberproduction zu fördern suchen (Neger und einige orientalische Völker) , und bei noch anderen Nationen (namentlich in Afrika) zeichnet sich der weibliche Körper durch Ansammlung von Fett- massen an gewissen Theilen aus. Wir gehen auf diese Thatsachen später noch näher ein. Hinsichtlich gewisser Lebensverhältnisse unterscheidet sich das Weib vom Manne hauptsächlich durch die Entwickelung des Wuchses und durch anders geartete Sterblichkeit. Die Wachsthums- Proportionen ermittelte vor allem Quetelets, indem er in Schulen , Waisenhäusern u. s . w. eine Reihe von Beobachtungen anstellte . Bei der Geburt allerdings übertreffen an Grösse die Knaben die Mädchen durchschnittlich um 2* 20 I. Die anthropologische Auffassung des Weibes. etwa 1 cm ( 0,499 : 0,489) . Dagegen wächst das Mädchen weiterhin so rasch , dass es in dem Alter von 16-17 Jahren verhältnissmässig schon ebenso weit vorgerückt ist , als der Jüngling von 18-19 Jahren. Die jährliche Zunahme zwischen 5-15 Jahren beträgt nach Quetelet bei Knaben ungefähr 56 mm, während sie sich bei Mädchen nur auf etwa 52 mm beläuft . Fernerhin fand derselbe Statistiker die Grenzen des Wachsthums bei beiden Geschlechtern ungleich, 1. weil die Individuen weiblichen Geschlechts schon bei der Geburt kleiner sind , als die des männlichen ; 2. weil das Wachsthum der ersteren früher sein Ende erreicht, und 3. weil die jährliche Zunahme der körperlichen Grösse bei ihnen geringer ist, als bei dem männlichen Geschlechte. Ausserdem erreicht das Weib später als der Mann sein Gewichts - Maximum und wiegt am meisten um das fünfzigste Jahr. Nach Sappey ist bei der Frau der Rumpf fast ebenso lang als die Unterextremitäten, während letztere bei Männern im Mittel um 2,5 cm die Rumpflänge übertreffen. Der Mann erreicht das Maximum seiner Grösse mit 30 Jahren, seines Gewichtes mit 40 Jahren , das Weib letzteres erst mit 50 Jahren. Gewicht des Mannes Gewicht des Weibes Minimum 51,453 kilo | 36,777 Maximum 83,246 73,983 Mittel 62,049 54,877 Schliesslich bemerken wir im Wachsthum beider Geschlechter auch auffallende Unterschiede durch die raschere Entwickelungszunahme einzelner Theile des Körpers. Von wesentlicher Bedeutung scheinen mir vor allem die Befunde über Zu- und Abnahme des Hirngewichts in verschiedenen Altersperioden zu sein . Schon im Jahre 1861 hatte Boyd das Gewicht von 2000 Gehirnen im Hospital von St. Marylebone je nach dem Geschlechte verglichen, wobei er durchschnittlich fand , dass das Gehirn im Alter von 7-14 Jahren bei Knaben 1622 , bei Mädchen 1473 gr wog; allein von da an erreichte das weibliche Gehirn schon im 20. - 30. Jahre sein Maximalgewicht ( 1565 gr) , das männliche erst im 30. - 40 . Jahre ( 1721 gr) . Bei beiden Geschlechtern nimmt nun von diesem Maximum an das Gehirn- Gewicht mit jedem Jahrzehnt bis zum 60. Jahre ab, und zeigt nur im Alter von 60-70 Jahren ein zweites Ansteigen, und zwar bei Frauen in stärkerem Maasse als bei Männern. Eine Hypothese über den Grund und die Folgen dieser Differenzen aufzusuchen, scheint mir nicht an der Zeit zu sein. Topinard sagt : „ Ici, chez la femme, il est confirmé par les chiffres de Broca et Bischoff réunis, que la femme souffre plus que l'homme d'un accroissement excessif et rapide du cerveau avant vingt ans. Ce maximum précoce est même si élevé dans la courbe générale, qu'on n'en retrouve pas de second à lui opposer plus tard. Doit- on en tirer cette concéquence que le cerveau féminin doit être traité avec des précautions toutes particulières et qu'il ne résisterait pas par conséquent à une éducation dépassant ses forces cérébrales ?" Er stellt dann folgende interessante Tabelle zusammen, aus welcher der Unterschied zwischen den männlichen und weiblichen Gehirnen ersichtlich wird : Autor ZahlGehirne der .Gewicht der Frauen- gehirne . Differenz ШОЛManne . Autor Gehirngewicht von 20-60 Jahren. Broca (durchgesehene Liste Wagners) .. Boyd (Engländer) Von 60-90 Jahren. Broca (durchgesehene Liste Wagners) . 77 1244-126 gr Boyd (Engländer) 370 1221-133 Thurnam (Verschiedene) 536 1233-138 Bischoff . Peacock (Schotten) Welcker Broca- Bischoff- Boyd .. Broca (Register) . 272 1227-141 22 Welcker . 32 1203-123 gr 374 1176 -124 99 1175 125 Thurnam (Verschiedene) 422 1178-131 Bischoff . 891275 258 1247 -142 -143 22 Broca (Register) . 29 77 51 1195 -164 99 693 1211-150 50 1157 -150 85 1111-158 27 ZahlGehirne der .Gewicht der Frauen- Gehirne . Differenz vomManne . 3. Die secundären Geschlechtscharaktere bei den europäischen Weibern. 21 Das Weib im Alter von 20-60 Jahren hat also 126-164 gr, im Alter von 60-90 Jahren 123-158 gr weniger Gehirn als der Mann. Ueber die ausserordentlich wichtigen Unterschiede, welche sich schon während des embryonalen Lebens an den Gehirnen der beiden Geschlechter erkennen und nachweisen lassen, hat uns Rüdinger¹ aufgeklärt . Er sagt: ,,Kann man glauben, dass die tiefgreifenden Geschlechtsunterschiede, welche sich an vielen Körpertheilen in so auffallender Weise geltend machen, an dem Organ des Denkens, dem wichtigsten des Körpers, gar nicht, oder nur in so feinen Nuancen auftreten, dass sie sich der Beobachtung entziehen? Ist es denkbar, dass die Parallele, welche zwischen dem Gehirn und der Geistesthätigkeit in den verschiedenen Altersperioden, also von der frühesten Jugend bis in das höchste Alter, in so ausgeprägter Art vorhanden ist, nicht auch für die beiden Geschlechter , deren verschiedene Stellung bei unseren civilisirten Völkern gewiss nicht das Resultat zufälliger Factoren , sondern nur das bestimmter organischer Einrichtungen sein kann, Geltung haben soll ?" Rüdinger kommt durch seine Untersuchungen zu folgenden Ergebnissen : ,,In Bezug auf das absolute Gewicht des Gehirns bestätigten sich die Angaben von Robert Boyd, der bei todtgeborenen Kindern im Mittel eine Differenz von 46 gr minus für das weibliche Geschlecht gefunden hat. Fig. 8. Die Geschlechts- Unterschiede an den Gehirnen neugeborener Kinder ( nach Rüdinger' ) . Oben der Stirntheil, unten der Hinterhauptstheil. Knabe. Mädchen. Alle drei Hauptdurchmesser des Gehirns sind bei neugeborenen Knaben grösser als bei Mädchen und zwar im Mittel der sagittale um 0,9 cm, der senkrechte und der quere um 0,5 cm. In der Mehrzahl der männlichen Foetusgehirne erscheinen die Stirnlappen etwas massiger, breiter und höher, als die weiblichen. Huschke hatte schon den Satz aufgestellt, dass beim Manne mehr Hirn vor der Centralfurche , beim Weibe mehr hinter derselben liege. Während des siebenten und achten Monats bleiben am weiblichen Gehirn alle Windungen bedeutend einfacher als am männlichen, so dass der ganze Stirnlappen beim Mädchen den Eindruck der Glätte oder Nacktheit macht. Alle secundären Transversalfurchen sind am männlichen Hirn schon angelegt, während dieselben am weiblichen Hirn noch einfach erscheinen und ein langsameres Wachsthum zeigen. Der männliche Scheitellappen ist ganz besonders charakteristisch verschieden von dem weiblichen, denn während der Stirn- und der Hinterhauptslappen noch verhältnissmässig glatt sind, erscheint er bald so stark gefurcht , dass er sich von seiner Umgebung sehr auffallend unterscheidet. Mit Recht hat daher Huschke den Scheitellappen beim Manne für eine bevorzugte Hirn- partie erklärt . Die Centralfurche verläuft bei dem männlichen Foetus öfters schief; jedoch ist dieser Unterschied vom weiblichen Geschlechte kein constanter und ist vielleicht weniger durch das Geschlecht , als vielmehr durch die Verschiedenheit der Form des Kopfes hervorgerufen. 22 I. Die anthropologische Auffassung des Weibes. Am Gehirn der neugeborenen Mädchen ist die Insel in grösserer Ausdehnung sichtbar und leichter zugänglich, als beim Knaben ; die Fossa Sylvii wird daher am weiblichen Gehirn später durch die umgebenden Windungen geschlossen, als am männlichen. Im siebenten und achten Monat ist die perpendikuläre Spalte an der Innenfläche der Hemisphäre beim Mädchen weniger tief eingesenkt, die Bischoff" sche Bogenwindung oben um dieselbe glatter und einfacher, und der Hinterhauptslappen erscheint weniger vom Scheitellappen abgesetzt, als beim Knaben. Auch sind alle Windungen an der Innenfläche der Hemisphäre glatter und einfacher, während beim Knaben die Furchen tiefer und die Windungen geschlängelter verlaufen . Trotz vieler individueller Ausnahmen, welchen man sorgfältige Berücksichtigung zu Theil werden lassen muss , kann man die Thatsache, dass ganz verschiedene typische Bildungsgesetze für die Grosshirnwindungen der beiden Geschlechter bestehen und schon im foetalen Leben sich geltend machen, nicht bestreiten. “ Josef Mies fand bei 148 neugeborenen Kindern ( 79 Knaben und 69 Mädchen) das mittlere absolute Hirngewicht der Knaben um 2,73 % schwerer als dasjenige der Mädchen. Letztere hatten ein mittleres Hirngewicht von 329,99 gr, die Knaben dagegen von 339,25 gr. Passet konnte durch seine unter Rüdinger's Leitung auf der Münchener Anatomie gemachten Untersuchungen nachweisen, dass das Gehirn der Männer dasjenige der Weiber ziemlich bedeutend" an Länge, Breite und Höhe übertrifft . Die Messung der Gehirnperipherie in der Medianebene ergiebt, dass das männliche Gehirn in angegebener Ebene einen durchschnittlich um 2 cm grösseren Umfang hat als das weibliche. " Die Centralfurche des Mannes ist durchschnittlich länger und stärker gekrümmt als die des Weibes, und es liegt beim Manne mehr Gehirnmasse vor der Centralfurche als beim Weibe , besonders nach der Medianebene zu. Hingegen kann Passet die Angabe, dass nun beim Weibe mehr Gehirnmasse hinter der Centralfurche liege als beim Manne , nach seinen Messungen nicht bestätigen. Endlich wollen wir noch Johannes Ranke¹ hören : Unter den allgemeinen Resultaten, welche wir gewonnen haben, steht an Wichtigkeit voran die Erkenntniss einer entgegengesetzten biologischen Gesetzmässigkeit der Entwickelung des Gehirnvolums bei dem männlichen und weiblichen Geschlechte. Während wir bei den Männerschädeln im Allgemeinen in hohem Maasse die Neigung vorwalten sehen, ein physiologisch-makrocephales Hirnvolum zu erreichen, überwiegt im Gegensatz dazu bei den Frauenschädeln eine Neigung zu physiologischer Mikrocephalie. Wir werden nicht fehlgehen , wenn wir für diese Gesetzmässigkeit , welche wir freilich zunächst nur für das altbayerische Landvolk beweisen können, eine allgemeine Gültigkeit bei allen Culturrassen in Anspruch nehmen. Nehmen wir, wie es , wenn wir nur die Schädel innerhalb desselben Geschlechts vergleichen, physiologisch gestattet erscheint, die normale allgemeine Massenentwickelung des Gehirns als ein ungefähres Maass der intellectuellen Leistungsfähigkeit des Gehirns an, so scheint uns die hier erkannte biologische Gesetzmässigkeit der Entwickelung des Gehirnvolums bei Männern und Frauen einen Einblick in das Verhältniss der verschiedenen intellectuellen Begabung der beiden Geschlechter zu gestatten. Bei den Frauen überwiegt die Zahl derjenigen, deren psychisches Instrument eine spärliche Entwickelung zeigt, immerhin überragt aber eine nicht unbeträchtliche Zahl den bei Frauen häufigsten Werth des Gehirnvolums und es finden sich einzelne Werthe für diese Grösse, welche dem Maximum für Männergehirnvolum nahe stehen. Das letztere ist um so auffallender, da die Massenentwickelung des Gehirns auch eine Function der Gesammtkörperentwickelung ist , in welcher der altbayerische Mann das Weib im Allgemeinen Fig. 9. Die Geschlechts-Unterschiede im horizontalen Gehirnumfang (nach Passet). Mann. Weib. 4. Die secundären Geschlechtscharaktere bei den aussereuropäischen Weibern. 23 in ziemlich hohem Maasse überragt. Es stimmt das mit der bekannten Bemerkung zusammen, dass das Gehirnvolum der Frauen in Beziehung auf die sonstige Gesammtkörperentwickelung relativ etwas grösser erscheint, als das der Männer. Bei den Männern ist die Zahl der Schädel, welche das häufigste männliche Hirnvolum übersteigen, grösser als die Zahl jener , welche unter diesem Normalwerthe bleiben ; das psychische Organ der Männer zeigt also vorwiegend eine das Mittelmaass übersteigende Entwickelung, und die Zahl besonders mächtig entwickelter Gehirne ist relativ viel grösser als bei den Frauen. Wenn wir nur im Allgemeinen von der Abbildung des Instrumentes auf seine Leistungsfähigkeit zurückschliessen dürfen, so würden wir also in Uebereinstimmung mit älteren Beobachtungen innerhalb der Sphäre seiner originellen Begabung die Leistungsfähigkeit des weiblichen Gehirns für das Durchschnitts - Weib etwas höher ansetzen müssen, als die Leistungsfähigkeit des männlichen Gehirns für den Durchschnitts- Mann. Dagegen bemerken wir , dass bei den Männern die Zahl derjenigen Individuen, welche eine über das Normalmaass höher gesteigerte Gehirnentwickelung und damit also wohl eine gesteigerte cerebrale Leistungsfähigkeit besitzen, weit grösser ist , als bei den Frauen, und dass im Gegensatz dazu unter den Frauen sehr viel zahlreicher als bei den Männern solche vorkommen, welche in Beziehung auf die Entwickelung des psychischen Organs unter der bei ihnen normalmässigen Grösse zurückbleiben. Es stimmen diese Beobachtungen, wie mir scheint , überein mit den allgemein gültigen Erfahrungen über die Unterschiede des psychischen Leistungsvermögens der beiden Geschlechter. " Trotz aller dieser handgreiflichen Unterschiede hat der Wiener Anatom Brühl versucht, eine principielle Ungleichheit in dem Bau des Gehirns der beiden Geschlechter abzuleugnen , weil unsere Kenntniss der feineren Anatomie bis jetzt noch nicht ausreichte, an der Art und Zahl der Furchen und Windungen des Grosshirns sofort ein weibliches Gehirn von einem männlichen zu unterscheiden. Nach den vorher gemachten Angaben bedarf es keines weiteren Eingehens auf diesen Einwurf. Es ist auch noch gar nicht lange her, dass man nicht im Stande war, einen weiblichen Schädel von einem männlichen zu unterscheiden, und dennoch ist uns das heute möglich. Und auch bei den Gehirnen wird eine derartige Diagnose vielleicht mit der Zeit gelingen. Jedenfalls erscheinen uns die bisher aufgefundenen Differenzen wichtig und charakteristisch genug, um auch den eifrigsten Verfechter der Frauenemancipation aus dem Felde schlagen zu können. 4. Die secundären Geschlechtscharaktere bei den aussereuropäischen Weibern. Alle die in dem vorigen Abschnitt aufgeführten secundären Geschlechtscharaktere des Weibes sind an Vertretern der europäischen Volksstämme festgestellt worden und haben deshalb naturgemäss in erster Linie auch nur für diese ihre beweiskräftige Gültigkeit. Man hat immer nur stillschweigend angenommen, dass sie auch für die fremden Rassen in gleicher Weise zutreffend wären. Das ist nun allerdings sehr wohl möglich und sogar in gewissem Grade wahrscheinlich, bewiesen ist es aber bisher noch nicht, was hier besonders betont werden muss. Alles, was wir in dieser Beziehung von fremden Völkern wissen, d. h. was durch wirkliche Untersuchungen festgestellt worden ist, das ist leider bis jetzt noch nicht sehr viel und bedarf noch nach allen Richtungen hin der Vervollständigung. Es wird jedoch gewiss dem Leser nicht unerwünscht sein , wenn hier wenigstens dieses geringe Material in übersichtlicher Weise zusammengestellt wird. Bei diesen Erörterungen soll von den Unterschieden in der Form des Beckens und den grossen Verschiedenheiten in dem Bau der Brüste Abstand genommen werden, weil diesen Eigenthümlichkeiten später besondere Abschnitte gewidmet werden sollen. 24 I. Die anthropologische Auffassung des Weibes. Als durchgehend gültig für alle bisher bekannt gewordenen Volksstämme des gesammten Erdkreises mit kaum einer Ausnahme können wir zweierlei Dinge feststellen : Erstens sind die Vertreter des weiblichen Geschlechts durchschnittlich geringerer Grösse als ihre männlichen Stammesgenossen, und zweitens ist ihre Hautfarbe, sie mag noch so intensiv und dunkel pigmentirt sein, doch immer heller, als die Haut bei den Männern des gleichen Stammes. Für gewöhnlich sind diese Unterschiede in der Färbung allerdings nur ziemlich geringe , bisweilen aber findet man sie auch recht reichlich ausgebildet. Eine genauere Prüfung der uns interessirenden Verhältnisse hat namentlich an den Schädeln stattgefunden . Wir verdanken in dieser Beziehung Kopernicki in seinen Untersuchungen über den Zigeunerschädel die folgende Zusammenstellung : „Es ergiebt sich aus den von Davis aufgestellten Messungen, dass unter den europäischen weiblichen Rassenschädeln nur die Isländerinnen es sind , bei welchen der Höhenindex (0,73) des Schädels den männlichen (0,71 ) um 0,02 übertrifft . In Asien findet man dieses Uebergewicht an den Weiberschädeln von Hindus , Muselmännern ( 0,01 ) , Khas (0,03 ) und Chinesen (+0,04) . Dasselbe findet noch statt an den Javanesen- ( + 0,01) , Dayak- ( +0,04) und Tasmanier- (+ 0,03) Wei- berschädeln. " Zigeuner (m. - 0,75 ) (w. 0,77) = (0,02) . 99 Wir sehen also , dass es nur wenige Rassen giebt, wo der Höhenindex der Weiberschädel jenen der männlichen übertrifft . " , Wenn wir dabei noch diesen Umstand in Betracht ziehen, dass sogar die in beiden Geschlechtern gleichen oder bei Männerschädeln nur um 0,01 überwiegenden Höhenindices (die Engländerinnenschädel ausgenommen) nur in den niedrigsten Rassen vorkommen (m = w) : Bados , Thais- ( Guanchen ) Neger, Dahomanen , Australier , Marquesaner, Kanakas und: m = w 0,01 : Lepchas , Aequatorialneger , Eskimos von Grönland und Bisayaner , so werden wir uns für berechtigt halten, zu schliessen, dass der überwiegende Höhenindex der Zigeunerinnen schädel eines von den ihnen eigenthümlichen Rassen- zeichen bildet etc." Die in Bezug auf die wissenschaftliche Ausbeute so reiche Expedition der österreichischen Fregatte Novara hat auch für unseren Gegenstand einige wichtige, durch Weissbach festgestellte Ergebnisse geliefert. „Nach diesen Untersuchungen lassen sich bei den Chinesen folgende Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern aufstellen : Das Weib ist bedeutend kleiner und schwächer, es äussert nur sehr wenig mehr als die halbe Druckkraft der Männer; sein Puls ist mehr beschleunigt. Der Kopf ist (verhältnissmässig ) grösser, höher und breiter, das Gesicht weniger prognath, im oberen Theile sammt der Stirn höher, zwischen den Jochbeinen schmäler, oberhalb derselben weniger, unterhalb mehr verschmälert ; die Nase höher und schmäler und der Mund kleiner. Der Hals ist dünner und kürzer, am Rumpfe sind die den Brustkasten betreffenden Maasse kleiner, jene des Beckens grösser ; der Brustkasten ist in allen Richtungen kleiner, die Taille dicker, der Nabel höher oberhalb der Symphyse ; die ganze Rumpfwirbelsäule länger. Die obere Gliedmaasse ist kürzer und dünner, der Vorderarm weniger kegelförmig, der Mittelfinger länger, die ganze Hand länger und schmäler. Die untere Gliedmaasse ist länger, Oberschenkel und Knie sind dicker, der Unterschenkel ist nur oberhalb der Knöchel dicker und weniger kegelförmig ; der Fuss kürzer und schmäler. " „ Die javanischen Weiber haben ( gegen die Männer) etwas lichteres (dunkelbraunes) Haar, einen beschleunigteren Puls und vermögen nur etwa die Hälfte der Druckkraft der Männer zu äussern ; sie sind auffallend kleiner, haben einen relativ grösseren, höheren, aber ebenso brachycephalen Kopf wie die Männer ; ein im Allgemeinen breiteres , bezüglich seiner grösseren Höhe aber schmäleres, vor den Jochbeinen nach aufwärts breiteres , an 4. Die secundären Geschlechtscharaktere bei den aussereuropäischen Weibern. 25 den Unterkieferwinkeln aber relativ schmäleres , dabei wahrscheinlich mehr prognathes Gesicht mit breiterer Nase und grösserem Munde ; ihr Kopf ruht auf einem längeren und zugleich dickeren Halse. Ihr Brustkasten ist kürzer, schmäler, jedoch weiter, der Rumpf um die Taille dicker, seine Wirbelsäule länger und der Nabel höher eingepflanzt . Die obere Gliedmaasse ist im Ganzen länger, der Oberarm länger, der Vorderarm kürzer, beide zugleich dicker und letzterer weniger kegelförmig verschmälert ; die Hand länger und schmäler. Ihre untere Gliedmaasse ist in ähnlicher Weise im Ganzen länger, am Oberschenkel, Knie und an der Wade dicker, der erstere ebenso lang wie bei den Männern, der Unterschenkel aber länger und weniger verschmächtigt , der Fuss länger, breiter und am Rist dicker. " „Bei den Sundanesen unterscheidet sich also das Weib vom Manne durch folgende Summe körperlicher Eigenthümlichkeiten : Es ist kleiner und schwächer, sein Puls beschleunigter, sein Kopf (relativ) grösser, breiter, brachycephal , das Gesicht höher, nach auf- und abwärts von den Jochbeinen breiter und weniger prognath, die Stirne höher, die Nase niedriger und breiter, der Mund grösser; der Hals ist länger und dünner, der Brustkasten enger, zwischen den Schultern schmäler, der Halsnabelabstand geringer ; die Rumpfwirbelsäule länger, die Taille dicker und der Nabel mehr gegen die Schamfuge herabgerückt. Seine obere Gliedmaasse ist kürzer und dicker, der Oberarm länger, der Vorderarm kürzer, mehr gleichmässig dick, die Hand kürzer und schmäler, obgleich ihr Mittelfinger länger ; die untere Gliedmaasse dagegen länger und dicker , der Oberschenkel kürzer, der weniger kegelförmig verschmächtigte und mit einer dünneren Wade ausgestattete Unterschenkel länger, der Fuss kürzer, dicker und schmäler. " Die Unterschiede zwischen beiden Geschlechtern können wir bei den Australiern bezüglich des Kopfes die bedeutendere Grösse, Höhe und Breite, also geringere Dolichocephalie , die geringere Höhe und Breite des mehr prognathen Gesichtes zwischen den Wangenbeinen, welches aber nach auf- und abwärts von denselben weniger als bei dem Manne verschmälert ist, dessen niedrigere Stirne, schmälere und höhere Nase und grösseren Mund bei den Weibern aufstellen . " „ Dem Manne gegenüber hat das ( australische) Weib eine längere Rumpfwirbelsäule mit längerem Nacken, einen längeren , schmäleren , weniger umfangreichen und an der Vorderseite flacheren Brustkasten, eine dickere Taille, den Rumpf nach unten weniger verschmälert , einen höher stehenden Nabel, weiter auseinanderliegende Darmbeinstachel und eine grössere Hüftbreite . Die meisten dieser Geschlechtsunterschiede sind dieselben , welche auch für die Chinesen und Malayen gelten, nur der Nacken, der Halsnabelabstand (die angenommene Länge des Brustkastens), der Brustumfang und der Stand des Nabels halten sich nicht an die bei diesen gefundenen Gesetze ; am meisten stimmen sie mit den Chinesen überein. " „ Als Geschlechtsunterschied zwischen den zwei Individuen bezeichnen wir die folgenden : Der Arm des Weibes ist im Ganzen (sowie Oberarm, Handrücken und Mittelfinger für sich allein) länger, der Oberarm dicker, der Vorderarm viel kürzer und gleichmässiger dick, die Hand länger und schmäler. Dieselben sind im vollkommenen Einklange mit den bei den Javanen beobachteten, stimmen aber, besonders in der Länge des ganzen Gliedes und des Oberarms, weder mit den bei den Chinesen , noch jenen bei den Sund anesen gefundenen überein , bei welch' letzteren auch noch die Hand ein anderes Verhalten zeigt. " Auch die Behaarung des Kopfes scheint über die ganze Erde hin bei den Weibern reichlicher und länger zu sein als bei den Männern. Auf den japanischen Bildern sind die Damen, falls sie offene Haare haben , stets mit ausserordentlich langen, bis zur Erde reichenden und noch nachschleppenden Haaren dargestellt. Eine besondere Eigenthümlichkeit der Toda - Frauen in Indien erwähnt Marshall; er führt an, dass sie zuweilen feine Haare zwischen den Schulterblättern aufzuweisen hätten. 26 I. Die anthropologische Auffassung des Weibes . 5. Die Sterblichkeit des weiblichen Geschlechts und der Weiberüberschuss. Auch die Geburts- und Sterblichkeitsziffern weisen bemerkenswerthe Unterschiede bei den beiden Geschlechtern auf (Wappäus) . In der frühesten Lebensperiode zeigt das weibliche Individuum eine auffallend geringere Mortalität. Es muss eine Ursache bestehen, welche die Kinder männlichen Geschlechts vor und bald nach der Geburt energischer hinwegrafft, als die Mädchen. Die grössere Sterblichkeit der männlichen Kinder reicht noch weit über das Säuglingsalter hinaus. In den höheren Lebensjahren gestaltet sich dann allerdings die Mortalität etwas anders . So hat Engel in Preussen ermittelt, dass die Sterblichkeit der Frauen nur in dem 10. bis 14., dann in dem 25. bis 40. und endlich nach dem 60. Jahre die grössere ist ; in allen anderen Jahren ist sie geringer. Man hat über die Ursachen dieser Differenzen mannigfache Vermuthungen aufgestellt , doch sind alle Erklärungen unzureichend . Eine eigenthümliche , gewiss allzu teleologische Ansicht über die grössere Sterblichkeit männlicher Kinder sprach Haushofer aus, indem er sagt : „ Es mag wohl die Natur, in der Absicht , aus dem Manne ein vollkommeneres Geschöpf zu bilden, als aus dem Weibe , dabei auch mehr Hindernisse finden. Ein feinerer Organismus ist allen schädlichen Einflüssen zugänglicher. " Es ist wunderlich, wenn man den weiblichen Organismus, weil er im jugendlichen Alter grössere Resistenz zeigt , als einen unvollkommener veranlagten auffassen will. In späteren Lebensjahren tragen zu der grösseren Männersterblichkeit Umstände bei, die in der Beschäftigung und Lebensweise liegen und welche durch die Gefahren des Wochenbetts für die Frauen nur wenig ausgeglichen werden. Die höheren Altersklassen sind in mehreren Ländern bei den Weibern relativ stärker besetzt, als bei den Männern. Der von der Direzione Generale Statistica des italienischen Ministeriums für Landwirthschaft, Industrie und Handel 1884 veröffentlichte Bericht: Popolazione, Movimento dello Stato civile , giebt eine Uebersicht über die Jahre 1865 bis 1883, aus welcher das Verhältniss der Mädchengeburten zu den Knabengeburten in fast allen Culturstaaten ersichtlich ist. In diesem Zeitraume wurden im Mittel jährlich auf 100 Mädchen lebend geboren in: Russisch Polen . Schweden . Dänemark Europäisches Russland . Vermont 105 Knaben 105 27 101 Knaben England und Irland 104 Frankreich . 105 105 Schottland 105 105 77 Preussen Bayern . Sachsen 105 Rhode Island 105 32 105 Italien . 106 97 105 Irland 106 29 Thüringen 105 Oesterreich ( Cisleithan . ) . 106 Württemberg 105 Kroatien und Slawonien 106 Baden . 105 Norwegen 106 29 Deutsches Reich . 105 Serbien . 106 22 Elsass - Lothringen 105 Massachusetts 106 77 Ungarn . 105 Spanien 107 22 Schweiz 105 Connecticut . 110 Belgien 105 Rumänien 111 Holland 105 Griechenland 112 Wir sehen hier, wie durchgehends die Zahl der Knaben diejenige der Mädchen übertrifft und wie unter 32 Ländern, welche berücksichtigt wurden, 5. Die Sterblichkeit des weiblichen Geschlechts und der Weiberüberschuss. 27 in den berechneten 19 Jahren in nicht weniger als 19 Ländern das Verhältniss der Knabengeburten zu den Mädchengeburten ein constantes war, nämlich wie 105 zu 100. Auch in Japan werden nach Rathgen mehr Knaben als Mädchen geboren, und zwar in dem Verhältniss von 104,75 zu 100, also fast genau ebenso, wie in den erwähnten 19 Ländern. Auffallend ungleich stellt sich bei den centralaustralischen Schwarzen am Finke - Creek nach Angabe des Missionär Kempe die Zahl der Knabenund Mädchengeburten : in den Jahren 1879-1882 kamen etwa 4 Mädchen auf je einen Knaben. Ein erheblicher Ueberschuss an Weibern findet sich auf der Insel Saleijer im malayischen Archipel südlich von Celebes , wie wir durch Engelhard erfahren . Die fünf Regentschaften der Insel besitzen in ihren 17 Ortschaften eine Bevölkerung von 2035 Männern und nicht weniger als 3337 Weibern. Hingegen ist auf den zu der Gruppe der Salomons- Inseln gehörigen Inseln Ugi und San Christobal die Zahl der Männer grösser als diejenige der Weiber (Elton), und in Japan wurden im Jahre 1885 nur 18711110 Weiber auf 19157977 Männer gezählt (Rathgen). Wenn wir in der Gesammtbevölkerung aller europäischen Staaten das Verhältniss zwischen männlichen und weiblichen Personen berechnen, so stellt sich ein Ueberschuss der letzteren heraus in der Proportion von 102,1 Frauen auf 100 Männer, obgleich unter den Neugeborenen ein Geschlechtsverhältniss von 105 Knaben auf 100 Mädchen besteht. Allein diesen Weiberüberschuss besitzt nur Europa, denn in anderen Continenten findet sich eine durchschnittlich grössere Zahl männlicher, als weiblicher Personen. Länder mit andauernd starker Auswanderung, wie Grossbritannien und Deutschland , haben ganz natürlich Männermangel, da vorzugsweise Männer sich in die fremden Länder begeben ; demgemäss entsteht in Ländern mit starker Einwanderung dagegen Frauenmangel. Diese Thatsache freilich ist nicht allein genügend zur Erklärung des Weiberüberschusses. Zunächst sind in den frühesten Altersklassen hinsichtlich der Sterblichkeit die Knaben weit mehr gefährdet, als die Mädchen. Dann aber begleitet die grössere Lebensbedrohung, welche die Natur dem Knaben al böses Geschenk in die Wiege legt, diesen fast durch sein ganzes Leben. Mayr sagt hierüber: „Abgesehen von der in ihrer tödtlichen Wirkung vielfach überschätzten Gefahr, welche die Entbindung dem Weibe bereitet, erscheint der Mann nach der ganzen Entwickelung seines Lebens bedrohter, als das Weib. Er neigt in jeder Beziehung zu intensiverem Verbrauche der Lebenskraft. Die harte Arbeit des Friedens wie des Krieges bringt ihm weit grössere Anstrengungen und Gefahren, wie dem Weibe. Der grösseren Summe physischer Kraft, welche er besitzt, steht keineswegs eine entsprechende grössere Widerstandskraft gegen die mannigfaltigen Lebensbedrohungen zur Seite, welche ihn umgeben. Dabei darf man nicht etwa bloss an die einzelnen rasch tödtenden Vorgänge, wie z. B. die Verunglückungen im Gewerbebetriebe, denken, denen der Mann weit mehr ausgesetzt ist, als das Weib, sondern auch an den langsamen Verzehr der Lebenskraft im Sturm und Drang des Lebens. Recht belehrend ist in dieser Hinsicht die Criminal- Statistik. Niemand wird bezweifeln, dass der Weg des Verbrechens auch dem leiblichen Wohle nachtheilig ist, und wollte er dies, so wäre er durch den einfachen Hinweis auf die Sterblichkeitsziffer der Galeere und des Zuchthauses belehrt. Wenn nun aber von Tag zu Tag das männliche Geschlecht einen etwa fünffach grösseren Betrag zu den Verbrechern stellt als das weibliche, und wenn wir auch darin nur einen , dafür aber statistisch gut erfassbaren Ausdruck des vielfachen Anlasses zu rascherem Verbrauch der männlichen Lebens- 28 I. Die anthropologische Auffassung des Weibes. kraft erblicken, so werden wir uns nicht wundern dürfen, wenn uns die Statistik weiter lehrt, dass wir uns nicht irren, wenn wir in den Strassen unserer Städte mehr alte Weiber als alte Männer zu sehen glauben. " Derselbe Autor sagt : „ Wegen der stärkeren Besetzung der höheren Altersklassen bei den Weibern findet man ein namhaftes Uebergewicht durchlebter weiblicher Lebens- zeit im höheren Alter. Für Bayern ergab sich beispielsweise aus der Erhebung von 1875, dass die 51-55jährigen Weiber mehr als 7 Millionen durchlebter Jahre aufzuweisen hatten, während die Männer gleichen Alters nur ein Gesammtleben von nicht einmal 62 Millionen Jahren darstellen. “ Ganz bedeutende Unterschiede giebt es zwischen den Nationen Europas ; den höchsten Frauen- Ueberschuss zeigen Grossbritannien und Schweden (106 weibliche auf 100 männliche Personen) ; denn wenn man 1881 in England (ohne Schottland und Irland) 11947 726 männliche und 12 660 665 weibliche Personen zählte , so gab es daselbst ein Plus von 712939 Personen weiblichen Geschlechts . Da muss man doch noch fragen, ob dieses Plus nicht vorzugsweise durch Weiber repräsentirt wird, die in höheren Altersklassen stehen . Ein ähnliches Verhältniss findet sich auch in einzelnen deutschen Ländern, namentlich in der Provinz Ostpreussen und im Königreich Württemberg , während Oldenburg und die Provinz Hannover eine fast gleiche Zahl von Männern und Frauen besitzen. Dagegen haben die Vereinigten Staaten von Nordamerika einen Ueberschuss der männlichen Bevölkerung : dieser Thatsache gegenüber meint der französische Statistiker Block, dass vielleicht der Grund der berühmten nordamerikanischen Frauenverehrung ursprünglich in diesem der Damenwelt günstigen Verhältnisse der Nachfrage und des Angebotes zu suchen sei. Die interessante Frage, ob in der That, wie behauptet worden, in England 2 Millionen Personen weiblichen Geschlechts mehr als männlichen Geschlechts existiren , wird durch folgende Zahlen -Verhältnisse beleuchtet. Grossbritannien zählte 1851 : 13369 442 männliche und 14074314 weibliche Einwohner, ein Verhältniss, welches durch den indischen und den Krim- Krieg wahrscheinlich herbeigeführt war. Im Jahre 1861 zählte man : 14097 208 männliche und 14 939 300 weibliche Einwohner ; das Plus der weiblichen Personen betrug also noch nicht 1 Million . 1881 : 17 253 947 männliche ( incl. Soldaten) , 17 992 615 weibliche ; Plus 738 668. In England allein ( ohne Schottland und Irland) bestand im Jahre 1875 (bei 22 712 266 Einwohnern) das Verhältniss von 96,13 männlichen auf 100 weibliche Personen. Im Jahre 1881 war das Verhältniss : 11 947 726 männliche und 12 660 665 weibliche , also 712 939 plus weibliche. In ganz Europa ist das Geschlechtsverhältniss der Gesammt- Bevölkerung = 100 Männer : 102,1 Frauen, dagegen in Grossbritannien 100 : 106,2 ; es überwiegt demnach hier der Frauen - Ueberschuss ganz bedeutend, und zwar in ziemlich gleicher Höhe, wie in Schweden , doch ist immerhin die Annahme von 2 Millionen viel zu hoch. In dem gleichen Zeitraume ( 1865-1883) starben jährlich im Mittel auf je 100 weib- liche Individuen in: Rhode Island 97 männl. England und Wales 107 männl. Vermont 98 Kroatien u. Slawonien . 107 Massachusetts 99 Spanien . 107 77 Schottland . 100 Bayern 108 Irland 100 Oesterreich (Cisleithan . ) 108 29 Elsass - Lothringen 102 Ungarn . 108 Connecticut 102 Schweiz . 108 Norwegen 103 Belgien . 108 77 Dänemark 103 Deutsches Reich 109 Finland . 103 29 Preussen 109 Schweden . 104 22 Sachsen . 109 Holland . 105 97 Thüringen . 109 17 Europäisches Russland 105 22 Griechenland . 111 Italien . 106 "" Württemberg 106 Serbien .. Rumänien 112 " 116 Frankreich 107 "3 5. Die Sterblichkeit des weiblichen Geschlechts und der Weiberüberschuss. 29 Wenn wir diese Sterbelisten um Rath fragen, so sehen wir also, dass wir nur drei Länder antreffen (Rhode Island , Vermont, Massachusetts) , wo die Zahl der weiblichen Todten grösser ist, als die der männlichen; zwei Länder (Schottland und Irland) , wo die Zahlen der beiden Geschlechter gleich sind , während in allen anderen Ländern die Zahl der männlichen Todten diejenige der weiblichen übertrifft und zwar nicht selten ganz bedeutend. Dass also in den Culturstaaten ein Ueberschuss an Weibern in Wirklichkeit existirt , das muss als eine bewiesene Thatsache betrachtet werden. Für die ganz alten Leute in Griechenland fand Bernhard Ornstein? ein bemerkenswerthes Verhältniss, aus dem sich auch ein nicht unbeträchtlicher Ueberschuss der Weiber ergab, der vom 85. Jahre aufwärts in allen fünfjährigen Perioden nachgewiesen werden konnte. Es wird dadurch ein beredtes Zeugniss für die Langlebigkeit der Griechen im Allgemeinen abgegeben. Die officiellen Sterblichkeitslisten der 13 Kreise des Königreichs für die Jahre 1878 bis 1883 ergaben, dass unter einer Bevölkerung von 1653 767 Köpfen nicht weniger als 5297 ein Alter über 85 Jahre erreichte und zwar 85 90 Jahre 1296 Männer, 1347 Frauen, 90-95 700 95-100 305 100-105 116 105-110 52 110 u. darüber 20 820 370 99 168 69 34 Also fanden sich über hundertjährige Griechen 188 Männer und 271 Frauen. II. Die psychologische Auffassung des Weibes. 6. Die psychologischen Aufgaben des Weibes. Ueber das Verhältniss des Weibes zum Manne in Bezug auf ihre gegenseitigen geistigen Fähigkeiten legte sich der Engländer Allan die Frage vor: „Ist das Weib in intellectueller Beziehung dem Manne gleich ? Bestehen keine natürlichen, geistigen Verschiedenheiten zwischen den beiden Geschlechtern ? Sind die deutlichen Unterschiede im Denken und Handeln, die man zwischen Weibern und Männern bemerkt, allein durch die Erziehung bedingt, oder in der Natur begründet? Ist das Weib einer gleichen geistigen Erziehung fähig , wie der Mann, und kann gleichmässiger Unterricht alle geistigen Verschiedenheiten zwischen den Geschlechtern aufheben und das Weib zu einem erfolgreichen Wettstreit mit dem Manne in aller Art geistiger Arbeit befähigen?" Wir berühren hiermit gleichsam die „ Frauenfrage", welche freilich vom anthropologischen Gesichtspunkte aus in einer den Frauenrechtlern nicht ganz wünschenswerthen Weise beantwortet werden muss . Denn wir stellen uns vollständig auf die Seite von Allan, welcher seine Frage folgendermaassen beantwortet : „Mein Standpunkt ist, dass durchgreifende, natürliche und dauernde Unterschiede in der geistigen und moralischen Bildung beider Geschlechter bestehen , Hand in Hand gehend mit der physischen Organisation. Man vergleiche das männliche und weibliche Skelett, man studire Mann und Weib im physiologischen und im pathologischen Zustande, in der Gesundheit und Krankheit ; man beobachte philosophisch ihre respectiven Be- strebungen, Beschäftigungen, Vergnügungen, ihre Neigungen, ihr Verlangen ; man vergegenwärtige sich, welche Rolle jedes Geschlecht in der Geschichte gespielt hat, — und man wird schwerlich der paradoxen Behauptung beizutreten vermögen, dass es keinen Geschlechtsunterschied des Geistes giebt und dass die geistige Verschiedenheit der Geschlechter allein eine Folge der Erziehung sein soll. Ein Weib mit männlichem Sinn ist ein ebenso anomales Geschöpf als eine Frau mit männlicher Brust, mit männ- lichem Becken, mit männlicher Muskulatur oder mit einem Barte. " Wohl muss jedem unbefangenen Beobachter die Thatsache auffallen, dass überall schon von frühester Jugend an die Neigungen, der Geschmack und das Vergnügen bei beiden Geschlechtern höchst different sind. Bei allen Völkern (siehe Ploss 20) zeigt sich schon unter den Kindern in den Spieläusserungen der geistige Unterschied beider Geschlechter : die Knaben sind activer, lieben kriegerische Spiele, spielen Räuber, Soldaten u. s. w.: der als Mädchen verkleidete Achilles griff zum Schwert. Puppen, Spiegel, Putz und Tänze sind die Spiele der Mädchen. Die Vertreter der Frauenrechte" behaupten die Gleichheit zwischen Mann und Weib; wenigstens stehen, wie sie sagen, in intellectueller Hinsicht die beiden Geschlechter mindestens auf gleicher Stufe, ja man sehe sogar, dass in geistiger Beziehung die Mädchen viel schneller zur Reife gelangen als die Knaben, und dass zum Beispiel Mädchen von 16 Jahren in Bezug 6. Die psychologischen Aufgaben des Weibes. 31 auf ihre geistige Entwickelung die gleichaltrigen Knaben bei weitem über- treffen. Man könne sich hieraus zum mindesten nicht einen Rückschluss auf eine geistige Unterbilanz bei dem weiblichen Geschlechte gestatten. Aber diesem Einwurf setzt Allan mit vollem Rechte einen anderen entgegen. Er macht nämlich darauf aufmerksam, dass ein Thier oder eine Pflanze, je höher sie auf der natürlichen Rangstufe stehen, um so langsamer ihre höchste Entwickelung erlangen ; so sei es auch mit den Knaben, die später reifen, als die Mädchen, sowohl in leiblicher, als in geistiger Hinsicht. Sehr schön bespricht an der Hand der Geschichte Lorenz von Stein die „ Frauenfrage“ : „ Es ist noch keine hundert Jahre her in einer Weltgeschichte von so vielen tausend Jahren , dass man überhaupt begonnen hat über die tiefere Natur, das Wesen und die Mission der Frau in der menschlichen Gemeinschaft nachzudenken. Bei allem fast unendlichen Reichthum der alten Welt in allen Gebieten des geistigen Lebens ist hier ein Gebiet , zu welchem ihr arbeitender Gedanke niemals hinangereicht hat . Selbst an den grössten weiblichen Gestalten der alten Welt gehen nicht bloss Philosophie und Geschichte, sondern selbst die geistreiche Beobachtungsgabe der Pariser unter den Griechen , der Athenienser , schweigend vorüber, und weder das schöne Bild der Penelope, noch die glänzende Erscheinung einer Lais, noch die machtvolle einer Kleopatra oder die schmachbedeckte einer Messaline haben zum Nachdenken auch die rastlos Denkenden unter den Alten angespornt. Aristoteles weiss in seiner Politik von hundert Gründen, aus denen Männer stark und Staaten gross werden und vergehen, aber von einem der gewaltigsten Factoren des Lebens und seiner Bewegung, von dem Weibe , weiss er nichts. Plato kennt alle Ideale, die des Menschen, der Weisheit , des Staates, der Unsterblichkeit das Ideal des Weibes kennt er nicht. Die Lyriker besingen alles bis zu den olympischen Spielen und Siegern , aber die, denen sich zuletzt auch diese Sieger gerne beugten, die Frauen, kennen sie nicht . Unter den grossen und kleinen Theaterdichtern der alten Welt hat nur Sophokles eine Antigone; sie wissen alle das Weib nicht als Motiv zu verstehen und zu benutzen , und darum sind uns ihre sonst so grossen Dramen Früchte ohne Blüthen, kalt und klar, hart und historisch. Allerdings beginnt mit der germanischen Welt eine andere Zeit. Das Weib tritt in die Geschichte und ihre Poesie hinein ; an der Schwelle derselben stehen Kriemhild und Brunhild, zwei Gestalten , wie sie die alte Welt nicht kennt, eine Gudrun wird der Inhalt eines zweiten nicht minder grossen Epos. Dann kommen die Troubadours und ihr Reflex bei den Deutschen, die Minnesänger ; das Herz der germanischen Völker hat gefunden, was der Verstand der alten nicht gesehen hat, die Liebe als jenen mächtigen Factor , der die eine Hälfte des männlichen Lebens unbedingt beherrscht , um die andere glücklich oder unglücklich zu machen ; und von da an wird die Ehe der Inhalt aller Kämpfe , in denen das Individuum mit den individuellen , ja mit den gesellschaftlichen Verhältnissen ringt. Schon ist das Pathos aus dem rein männlichen ein halb weibliches geworden ; der Mann , der früher sein Leben und seine höchste Kraft nur dem Staate geweiht , lernt für die Frau nicht bloss fühlen und leben, sondern auch sterben, und die Poesie des achtzehnten Jahrhunderts bedeckt das Grab aller Werthers mit den herrlichsten Blumen des Liedes und des Trauerspiels. Die Frau ist da ; sie ist eine Gewalt ; sie ist zur Hälfte des Lebens geworden ; aber sie ist doch nur ein Eigenthum der Dichtkunst. Kaum dass die trockene Satire Gellert's und Rabener's hier und da einen komischen Zug in die glänzenden Bilder hineinzeichnet, die in den Gretchens und Klärchens , in den verschiedenen Luisenhaftigkeiten und Amaranthen ihre tiefen , schönen Augen auf uns richten und uns fesseln ; die schönen Gestalten bleiben , und selbst die Sappho's, die uns so oft begeistern , sind unser und treten mit ebenso viel Eleganz als Erfolg in das sprudelnde Leben unserer Künstlerwelt hinein. Es ist kein Zweifel, wir sind um eine halbe Welt reicher geworden, aber bis jetzt nur für die Dichtkunst . Das wirkliche Leben hat noch immer die Frau nur als Thatsache, nicht als die grosse anerkannte Kraft aufgenommen, die in ihr lebt , und selbst Balzac's femmes incomprises haben es nicht vermocht , jenes Interesse an den weiblichen Gestaltungen der Dichtkunst über ihr dreissigstes Lebensjahr hinaus festzuhalten. Da kommt nun unsere nüchterne Zeit : ihr Charakter ist der Maassstab, den sie in tausend Formen in ihrer Hand führt, und in tausend Formen messend doch immer dasselbe misst . Das aber, was sie 32 II. Die psychologische Auffassung des Weibes. misst , ist der Werth, und zwar mit kühler Härte und vollem Bewusstsein der wirthschaftliche Werth aller Dinge. Für sie ist auch die Sonne nichts als Licht und Wärme, die Kraft ist Production , der Hain der Sänger mit süssduftender Frühlingsluft ist ein landwirthschaftlicher Factor für die Feuchtigkeit, und die Blüthe aller Dinge hat nur als Mutter der werthvollen Erde ihre nationalökonomische Berechtigung. Es ist sehr traurig, so sehr nützlich zu sein ; aber es ist so . Wer will es wagen, sich dem zu entziehen? Und wenn jetzt jede Form des Bewusstseins von den nationalökonomischen Messungen angekränkelt wird, kann es fehlen, dass wir auch das, worin der Frühling des Lebens zur dauernden Gestalt wird, mit diesem Maasse messen?" So gelangt auch dieser treffliche Schriftsteller zu einer Ablehnung der Emancipation der Frau, indem er am Schlusse seiner weiteren Betrachtungen sagt: „ So werde ich nicht mit den Physiologen über das Grammengewicht des Hirns discutiren ; ich werde vielmehr einfach die unzweifelhafte Thatsache feststellen, dass alle Berufe der Frau zugänglich sind und sein sollen mit Ausnahme derer, bei denen durch die strenge Erfüllung des Berufs selbst der wahre Beruf der Frau, die Ehe , unmöglich wird. Nun glaube ich, diese Grenze ist in den Berufsarten der Frau bereits erreicht ; die Frau, die den ganzen Tag hindurch beim Pulte, am Richtertisch, auf der Tribüne stehen soll, kann sehr ehrenwerth und sehr nützlich sein, aber sie ist eben keine Frau mehr; sie kann nicht Weib, sie kann nicht Mutter sein. " Wir stimmen mit v. Stein völlig in dem Satze überein : „ In dem Zustande unserer Gesellschaft ist die Emancipation ihrem wahren Wesen nach die Negation der Ehe. " Und an einer anderen Stelle sagt derselbe Autor: Es ist kein Zweifel, der Träger des socialen Gedankens ist. der Mann, die Trägerin des socialen Gefühles aber ist die Frau. " Die Natur hat beide Geschlechter gewissermaassen für ihre Leistungen auf eine Arbeitstheilung hingewiesen. Die Fehler, welche in der modernen Erziehung des Weibes begangen werden, bedrohen nicht bloss dessen körperliches und moralisches Gedeihen, sondern sie sind auch mit schwerwiegenden Nachtheilen für das Wohl der Familie und damit für das der Gesellschaft verbunden. „Der Beruf des Weibes, so sagt sehr richtig der Seelen-Arzt v. Krafft- Ebing, ist die Ehe und in dieser ist sie berufen als Mutter, als Hausfrau, als Gefährtin des Mannes und als Erzieherin ihrer Kinder ihre Stelle auszufüllen. Diesen Berufspflichten trägt die moderne Erziehung des Mädchens keineswegs volle Rechnung. Sie schädigt die künftige Leistung als Mutter, indem sie durch zu vieles Stubensitzen und Lernenlassen den Leib verkümmern lässt , die Entwickelungsperiode treibhausartig verfrüht und über den Drang, den Geist zu entwickeln , nicht einmal den Körper in seiner wichtigsten Entwickelungsphase schont. Damit wird der heutzutage überaus häufigen Bleichsucht, der Eingangspforte so vieler Uebel, wie z. B. der Lungen- und Nervenleiden, Vorschub geleistet . Der ethische und häusliche Werth des Weibes als künftiger Hausfrau und Gefährtin des Mannes auf seinem oft aufreibenden , mühseligen Lebensweg leidet unter einer Erziehung, die nur bestrebt ist, das Mädchen heutzutage so viel als möglich durch äusseren und inneren Aufputz zu einer begehrenswerthen Partie für den Mann zu machen und so des Mädchens Zukunft Frau zu werden thunlichst zu sichern. Diese Erziehungsweise vernachlässigt die Gemüths- und Herzensbildung, den Sinn für Häuslichkeit, Einfachheit, Genügsamkeit, für Hohes und Edles. Sie dient nur hohlem Scheine, legt Werth auf encyklopädisches Wissen und auf Fähigkeiten, die die junge Dame in der Gesellschaft beliebt machen, mit Verkümmernlassen der echt weiblichen Tugenden. Statistiker versichern in allem Ernste, dass etwa 75 Procent der Ehen heutzutage unglücklich ausfallen. Mag auch diese Ziffer etwas zu hoch gegriffen sein , so kann es keinem Zweifel unterliegen , dass die an Gemüth- und Herzensbildung so häufig verkümmerte, zu Genuss und Luxus erzogene, über ihre sociale Sphäre hinaus gestellte , körperlich schwächliche und nach den ersten Wochenbetten bereits kränkelnde, dahinwelkende Frau keine Lebensgefährtin, wie sie sein sollte , für den Mann abgeben kann. 6. Die psychologischen Aufgaben des Weibes. 33 Enttäuschungen auf beiden Seiten können nicht ausbleiben. Die Frau fühlt sich in ihrer Lebensstellung nicht befriedigt . Körperlich leidend und nervös ist sie unfähig , ihren mütterlichen und häuslichen Pflichten in vollem Umfange nachzukommen. " Der so häufig aufgestellten Behauptung, dass es sich nicht um angeborene Verschiedenheiten in dem geistigen Vermögen des männlichen und weiblichen Geschlechts handele, sondern dass die in die Augen fallenden Unterschiede einzig und allein als eine Folge der verschiedenartigen Erziehung und der verschiedenartigen Methoden des Unterrichts bei den beiden. Geschlechtern angesehen werden müssten, tritt mit klarem und überzeugendem Beweise Delaunay entgegen: „On pourrait croire que l'instruction donnée également aux individus de l'un et de l'autre sexe a pour effet de rétablir l'égalité entre eux. Il n'en est rien. Au contraire, le fonctionnement du cerveau accroit la préminance de l'homme sur la femme. Dans les écoles mixtes , où les deux sexes reçoivent la même éducation jusqu'à quinze ans , les instituteurs observent, qu'à partir de douze ans les filles ne peuvent plus suivre les garçons. Cette observation démontre que l'égalité des deux sexes rêvée par certains philosophes n'est pas près de s'accomplir. Au contraire, cette égalité, qui existait chez les races primitives, tend à disparaître avec les progrès de la civilisation . " v. Krafft -Ebing¹ , welchen wir bereits citirten, spricht über die grossen Gefahren, welche selbst durch die geringen Grade der Frauenemancipation dem weiblichen Nervensysteme gebracht werden : In der Frauenemancipation im edleren Sinne des Wortes, die nur zu sehr ihre Berechtigung im modernen Culturleben hat, liegt eine nicht zu unterschätzende Quelle für das Entstehen der Nervosität. Mag auch das Weib virtuell befähigt sein , auf vielen Arbeitsgebieten mit dem Manne in Concurrenz zu treten , so war doch seine Bestimmung bisher durch Jahrtausende eine ganz andere. Die zur Vertretung eines sonst dem Manne allein zukommenden wissenschaftlichen oder artistischen Berufs nöthige actuelle Leistungsfähigkeit des Gehirns kann vom Weibe erst im Lauf von Generationen erworben werden. Nur ganz vereinzelte, ungewöhnlich stark und günstig veranlagte weibliche Individuen bestehen schon heutzutage erfolgreich die ihnen durch moderne sociale Verhältnisse aufgezwungene Concurrenz mit dem Manne auf geistigen Arbeitsgebieten . Die grosse Mehrheit der diesen Kampf aufnehmenden Weiber läuft Gefahr dabei zu unterliegen. Die Zahl der Besiegten und Todten ist ganz enorm . Ueberaus häufig leiden weibliche Beamten , speciell Buchhalter, Comptoiristen, Telegraphisten, Postbedienstete an recht schweren Formen von Nervenkrankheit und Nervenschwäche. Ganz besonders gilt dies für Candidatinnen des Lehrfachs. Die Anforderungen an die moderne Lehrerin sind in unseren geschraubten Culturverhältnissen ungewöhnlich hohe, Kaum den Kinderschuhen entwachsen, mitten in der körperlichen Entwickelungsperiode, müssen derartige arme Geschöpfe ihren Geist anstrengen und in unverhältnissmässig kurzer Zeit nahezu ebenso viel Lernstoff bewältigen, als ein dem Gelehrtenstand sich widmender junger Mann, der doch kaum vor dem 18. Jahre einem Berufsstudium sich zuwendet. Zu der geistigen Ueberanstrengung, die selbst nächtliches Studium verlangt, gesellen sich die schädlichen Wirkungen auf den zarten kaum entwickelten Körper in Gestalt von Bleichsucht und Nervenschwäche. Nicht selten geschieht es , dass solche junge Lehrerinnen sofort nach abgelegter Befähigungsprüfung erschöpft zusammenbrechen und schweren Nervenleiden an- heinfallen. " Ein hartes , aber aus solcher Feder wohl nicht zu unterschätzendes Urtheil fällt der bekannte Anthropologe Carl Vogt über die Fähigkeiten der in der Schweiz bekanntermaassen besonders zahlreichen weiblichen Studirenden: „ Aux cours, les étudiantes sont des modèles d'attention et d'application , peut- être même s'appliquent- elles trop à porter à la maison, noir sur blanc, ce qu'elles ont entendu. Elles occupent généralement les premiers bancs, parce qu'elles se font inscrire très- tôt , et ensuite parcequ'elles arrivent de très-bonne heure, bien avant le commencement des cours. Seulement on peut remarquer ce fait, c'est que souvent elles ne jettent qu'un coup d'œil Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 3 34 II. Die psychologische Auffassung des Weibes. superficiel sur les préparations que le professeur fait circuler ; quelquefois même elles les passent au voisin sans même les regarder : un examen plus prolongé les empêcherait de prendre des notes. Lors des examens, la conduite des étudiantes est la même que pendant les cours. Elles savent mieux que les jeunes gens : pour me servir d'une expression de classe, elles sont énormement bûchées : leur mémoire est bonne, de sorte qu'elles savent parfaitement réciter la réponse à la question qui leur est posée. Mais généralement elles en restent là. Une question indirecte leur fait perdre le fil . Dès que l'examinateur fait appel au raisonnement individuel, l'examen est fini : on ne lui répond plus. L'examinateur cherche à rendre plus clair le sens de sa question, il lâche un mot se rapportant peut- être à une partie du manuscrit de l'étudiante : crac, ça marche comme si on avait pressé le bouton d'un téléphone. Si les examens consistaient uniquement en réponses écrites ou verbales sur des sujets , qui ont été traités dans les cours ou qu'on peut lire dans les manuels, les dames obtiendraient toujours de brillants résultats. Mais, hélas ! il y a encore des épreuves pratiques, dans lesquelles le candidat se trouve face à face avec la réalité, et qu'il ne pourra subir avec succès que s'il a fait des travaux pratiques dans les laboratoires, c'est ici que le bât les blesse. et Le fait pour lequel les traveaux de laboratoire sont particulièrement difficiles aux dames on aura peine à le croire c'est qu'elles sont souvent maladroites , inhabiles de leurs mains. Les assistants des laboratoires sont unanimes dans leurs plaintes ; on les poursuit de questions sur les plus petites choses, et une dame seule leur donne plus de travail que trois étudiants . On pourrait croire que les doigts si fins de ces jeunes femmes se prêtent plus spécialement aux travaux microscopiques, au maniement des minces lamelles de verre, à la section de fines coupes, à la confection de petites gracieuses préparations : c'est tout le contraire qui est la vérité. On reconnaît la place d'une étudiante à première vue : aux débris de verre, aux instruments brisés, aux couteaux ébréchés, aux taches provenants de réactifs ou de matières tinctoriales répandues, aux préparations abîmées. Il y a sans doute des exceptions : mais ce sont des exceptions . " Der weibliche Student ist nach Vogt supérieure pour 99l'emmagasinement des choses apprises ", est inférieure. au contraire, en tout ce qui concerne l'activité pratique et le raisonnement individuel. " Für die Naturvölker macht Richard Andree auf ein merkwürdiges Verhalten aufmerksam, welches, wenn auch nicht für alle Stämme zutreffend, doch für die Mehrzahl zweifellos richtig zu sein scheint . Er sagt: Fast überall sind es die Männer, welche sich mit der Herstellung von derartigen Abbildungen befassen : das weibliche Geschlecht tritt dabei in den Hintergrund. Sollte das nicht einem allgemeinen psychischen Gesetze entspringen, das für die verschiedensten Rassen das nämliche ist ? Ein sichtbarer Grund liegt nicht vor, dass die Weiber nicht ebenso gut wie die Männer sich mit Zeichnungen befassen sollten . Dieses führt unter Umständen zu eigenthümlichen Erscheinungen. Der Sinn der Papuas in Neu- Guinea für sehr abwechselnde schöne Ornamentation ist bekannt, alle Geräthe und Waffen aus Holz sind mit den verschiedensten Decorationen in Schnitzwerk versehen, aber bei den Töpferwaaren (in Kaiser Wilhelms Land) , die doch sonst zur Ornamentirung geradezu verlocken und auch solche in den ältesten prähistorischen Vorkommnissen Europas zeigen, fehlt jede Verzierung, und zwar deshalb, weil dort die Töpferei est exclusivement confiée aux soins des femmes, dont la nature est généralement peu artistique . Eine Gleichstellung der beiden Geschlechter darf daher, wie mit vollem. Rechte Virchow¹ sagt, aus intellectuellen und aus physischen Gründen nicht angestrebt werden , denn alle Unterschiede müssen bleiben , die in der physischen Bestimmung beider Geschlechter gegeben sind. Eine volle Emancipation würde zur Auflösung der Familie und zur öffentlichen Erziehung der Kinder führen, einem Zustande, wie er nur auf den niedrigsten Stufen menschlicher Cultur gefunden werden kann. 7. Die moderne Psychologie in ihrer Auffassung des weiblichen Charakters. 35 7. Die moderne Psychologie in ihrer Auffassung des weiblichen Charakters. Verbietet sich schon durch die specifischen physiologischen Functionen, welche das weibliche Geschlecht insbesondere bezüglich seiner sexuellen Aufgaben (Empfängniss, Schwangerschaft, Geburt , Wochenbett , Säugen und Kindespflege) von der Natur übernommen hat , eine Gleichstellung beider Geschlechter , so tritt der Unterschied zwischen Mann und Frau weiterhin auch in psychologischer Hinsicht recht deutlich hervor. Denn das gesammte geistige Leben des Weibes erhält specifische Bildungsbahnen, und wenn nun allerdings auch dem Weibe keineswegs irgend eine geistige Fähigkeit vollständig fehlt, welche der Mann besitzt, so sieht man doch theils durch die ursprüngliche Anlage und theils durch den physiologischen Lebensgang gewisse Fähigkeiten mehr, andere weniger beim Weibe zur Entwickelung gelangen. In ethnologischer Beziehung bemerkt hierüber Lotze sehr treffend Folgendes: „ Vergleicht man die Divergenz in der Richtung der geistigen Bildung, die in Culturvölkern männliches und weibliches Geschlecht scheidet , mit dem, was sich bei den wilden Stämmen findet , so ist zu befürchten, dass ein grosser Theil der Zartheit , der Weichheit und des Gefühlsreichthums, den man so gern von der feineren und geschmeidigeren Textur des weiblichen Körpers abhängig macht, ebenso wenig in diesem Grade eine directe Naturanlage ist , als jene leiblichen Eigenschaften selbst . Mag immerhin auch bei wilden Völkern die Muskelfaser des Mannes straffer, seine Respiration energischer , sein Blut reicher an festen Bestandtheilen , seine Nerven weniger reizbar sein . so sind doch alle diese Unterschiede ohne Zweifel selbst erst durch die Lebensweise der Civilisation vergrössert, die vielleicht alle körperliche Kraft etwas herabsetzt, aber unverhältnissmässig mehr die des weiblichen Geschlechts , während sie zugleich, wie die Zähmung der Thiere, Schönheit und Feinheit der Gestalt steigert. Gewiss halten wir nicht allen psychischen Unterschied der Geschlechter für anerzogen ; ihre verschiedene Bestimmung mag allerdings auf die Richtung und Bildung grossen natürlichen Einfluss ausüben; dagegen sind wir überzeugt , dass die meisten detaillirten Beschreibungen hierüber nicht Schilderungen eines natürlichen, sondern eines künstlichen und zwar bald eines depravirten, bald eines durch Cultur höher entwickelten Zustandes sind . Gewiss gehört zu den Symptomen einer verkehrten Bildung und selbst einer depravirten Ansicht über die natürlichen Verhältnisse die ungemeine Wichtigkeit, welche man in dem weiblichen Seelenleben nicht sowohl den Geschlechtsfunctionen, als vielmehr der Reflexion über sie und' der beständigen Erinnerung an sexuelles Leben beimisst , während man dem männlichen Geiste von Anfang an eine objectivere Richtung auf zusammenfassende Weltanschauung zuschreibt. Man begeht denselben Fehler , den man so häufig bei der Betrachtung der Instincte begangen sieht : man vergisst , dass neben den einzelnen durch Naturanlage bestimmten Trieben noch ein bewegliches unabhängiges Geistesleben steht, und dass der Kreis der Interessen nicht mit diesem einen Instincte abgeschlossen ist. " Dass die periodisch wiederkehrenden Einflüsse, welche durch die vielgestaltige Reihe der Fortpflanzungsfunctionen das Weib in Anspruch nehmen, auch auf das Seelenleben desselben während der Ausübung dieser Functionen einwirken, ist selbstverständlich. Allein Lotze macht mit Recht darauf aufmerksam, dass wir noch wenig aus physiologischen Motiven das permanente Gepräge zu erklären vermögen, welches während der Zeiten des Aussetzens jener Geschlechtsfunctionen die Gesammtentwickelung des Geistes festhält. Er sagt : Die Dimensionen der Körpertheile, des Kopfes, der Brust, des Unterleibes und die damit verbundenen Entwickelungsverschiedenheiten der inneren Organe mögen allerdings durch die abweichende Raschheit, Kraft und Reizbarkeit der Functionen charakteristische Mischungen des Gemeingefühls bedingen, aus denen nicht nur Bevorzugung einzelner Gedanken3* 36 II. Die psychologische Auffassung des Weibes. kreise, sondern auch eine Disposition zu gewissen formalen Eigenthümlichkeiten des Vorstellungsverlaufs und der Phantasie folgen könnten. Am nächsten würde es uns liegen, die Verschiedenheiten der Entwickelung von der Natur des Nervensystems und seiner Erregungen abzuleiten . Bestimmte Unterschiede in der Structur der Centralorgane, die wir zu deuten wüssten, sind bisher nicht aufgefunden worden. Diese Aussprüche Lotze's gelten noch heute, obgleich seitdem mehr als drei Jahrzehnte verflossen sind , welche in der Nervenphysiologie vieles Neue zu Tage brachten. Noch immer wissen wir nur, dass das weibliche Geschlecht einer grossen Reihe von Nervenkrankheiten weit zugänglicher ist , als das männliche, dass also das Nervensystem des Weibes ohne Zweifel eine specifische Thätigkeit äussert. Die „ Nervosität " , diese in unserer Zeit und bei unserer Cultur sehr verbreitete Anomalie, ist allerdings wohl auf beide Geschlechter in gleicher Zahl vertheilt ; und es ist gewiss falsch, wenn man behauptet, dass das Weib mehr als der Mann zur Nervosität neigt ( Möbius) . Vielmehr ist es Thatsache, dass das Weib vorzugsweise der Hyperästhesie und den mit ihr verbundenen Krankheitsformen ausgesetzt ist, und dass namentlich die sogenannten hysterischen Zustände fast nur bei Weibern vorkommen, während sich die Hypochondrie als Männerkrankheit darstellt ; die eigenthümlichen Schwäche- und Erschöpfungszustände, die man als „ Neurasthenie" bezeichnet, sind viel häufiger bei Männern als bei Weibern beobachtet worden. „ Das Weib, " sagt Möbius,,,verhält sich im Allgemeinen passiv. Es herrscht in ihm das Gefühlsleben vor ; die Intelligenz ist, wenn vielleicht auch von vornherein der männlichen ebenbürtig, wenig entwickelt, insbesondere tritt das Vermögen der Begriffe, die Vernunft zurück. Insofern kann man in der weiblichen Natur eine Disposition zu den Nervenleiden finden, für welche Willensschwäche charakteristisch ist. " Alle jene Perioden, welche als Entwickelungsphasen des weiblichen Geschlechts auftreten, geben mehr oder weniger Anlass zu nervöser Erkrankung ; der Eintritt der Menstruation , die Schwangerschaft, das Wochenbett, die sogenannte kritische Zeit (die Wechseljahre oder das Klimakterium) haben namentlich bei unseren cultivirten Lebensverhältnissen die verschiedensten Störungen im Bereiche des Nervensystems im Gefolge, während die Frauen der wilden Völker viel weniger solchen nervösen Leiden, sowie auch den mannigfachen Erkrankungen der Geschlechtsorgane ausgesetzt zu sein scheinen. Um die mittlere Stellung näher zu kennzeichnen, welche unter den deutschen Philosophen Lotze¹ in der Beurtheilung des Weibes einnimmt, können wir uns nicht enthalten, weitere Aussprüche dieses Autors zu berichten. Die geringere Grösse der Kraft , welche das weibliche Geschlecht im Gegensatz zum männlichen zeigt, wird, wie er sagt. durch ein höheres Maass der Anbequemungsfähigkeit an die verschiedensten Umstände ausgeglichen. Die leiblichen Bedürfnisse der Frauen sind weit geringer, als die der Männer ; sie essen und trinken weniger ; sie athmen weniger und widerstehen der Erstickung, wie man behauptet, besser. Alle Mühseligkeiten, wenigstens die, welche allmählich anwachsen und fortdauern, alle Entbehrungen ertragen sie theils leichter, als die Männer, theils wenigstens weit glücklicher, als im Verhältniss zu ihrer körperlichen Kraft erwartet würde. Sie überstehen Blutverluste und dauernde Schmerzen besser ; selbst die grössere Reizbarkeit ihres Nervensystems, um deren willen viele unbedeutende Störungen ausgedehnte Nachwirkungen erwecken, scheint ebenso sehr die schnelle und gefahrlose Zerstörung der erfahrenen Erschütterungen 7. Die moderne Psychologie in ihrer Auffassung des weiblichen Charakters. 37 zu begünstigen. So erreichen sie selbst unter ungünstigen Umständen häufig ein hohes Alter, obgleich die Beispiele höchster, bis tief in das zweite Jahrhundert reichender Lebensdauer fast ausschliesslich auf Männer treffen. Allen sehr heftigen Sinnesreizen von Natur abgeneigt, haben sie doch gegen unangenehme Eindrücke weit mehr nur ästhetischen Widerwillen, wo der Mann seinen physischen Ekel mühsam bezwingt. Dieselbe Anbequemungsfähigkeit zeigt sich in den verschiedenen Lagen des Lebens. Lotze führt dafür die alte, richtige Bemerkung an, dass Frauen sich weit leichter in neue Lebenszustände, ungewohnten Rang und veränderte Glücksgüter schicken, während der Mann die Spuren seiner Jugenderziehung kaum verwischen kann. Auch weist er auf das Gemisch sanguinischer Lebhaftigkeit und sentimentaler Warmherzigkeit hin, das wir an Frauen entweder finden, oder dessen Mangel wir als eine Unvollkommenheit der Einzelnen beklagen. Freilich stimmen wir mit Lotze darin überein, dass es sehr fraglich ist, inwieweit das geistige Leben beider Geschlechter, das durch diese Züge charakterisirt wird, als ein Ergebniss der natürlichen Anlagen oder als ein solches der Lebensverhältnisse und des Bildungskreises aufzufassen ist. Lotze glaubt nicht, dass die intellectuellen Fähigkeiten der Geschlechter sich anders als durch die Eigenthümlichkeit der Gefühlsinteressen unterscheiden, welche ihnen ihre Richtung vorzeichnen : „ Es dürfte kaum etwas geben, was ein weiblicher Verstand nicht einsehen könnte, aber sehr vieles, wofür die Frauen sich nie interessiren lernen . Sagt man nun häufig, dass des Mannes Erkenntniss das Allgemeine, die des Weibes das Einzelne suche, so wird man in zahlreichen Fällen gerade die Individualisirungskraft der Frauen geringer finden ; ohnehin würde jene Vertheilung des Erkenntnissgeschäftes nicht zu den egoistischen Bestrebungen, die man dem männlichen Willen, und zu der Unterordnung unter das All- gemeine stimmen, die man der weiblichen Selbstbeschränkung zuweist. Man würde vielleicht richtiger meinen, dass Erkenntniss und Wille des Mannes auf Allgemeines , die des Weibes auf Ganzes gerichtet sind. " Diesen Satz führt dann Lotze weiter aus, WObei er unter anderem äussert : Es ist weibliche Art, die Analyse zu hassen und das entstandene Ganze, so wie es abgeschlossen dasteht, in seinem unmittelbaren Werthe und seiner Schönheit zu geniessen und zu bewundern. " .. Dann fährt er in seiner Charakterisirung fort : „ Alle männlichen Bestrebungen beruhen auf der tiefen Verehrung des Allgemeinen ; selbst Stolz und Ehrfurcht des Mannes ist nicht befriedigt durch grundlose Gewährung , sondern sein Anspruch beruht auf dem Betrage allgemein anzuerkennender Vorzüge, die er in sich zu vereinigen glaubt; er fühlt sich durchweg mehr, als ein eigenthümliches Beispiel des Allgemeinen, und verlangt, mit Anderen nach einem gemeinsamen Maasse gemessen zu werden. Die Neigung des weiblichen Gemüths ist ebenso andächtig dem Ganzen gewidmet ; so wenig die Schönheit einer Blume nach gemeinschaftlichem Maasse mit der einer anderen zu vergleichen ist , so wenig wünscht das Weib als ein Beispiel neben anderen zu gelten ; und wo der Mann gern im Dienste des Allgemeinen in die Menge Gleichgesinnter eintritt und in ihr untergeht, will das Weib als schönes, geschlossenes Ganzes, nur aus sich selbst verständlich, nur um der unvergleichlichen Eigenthümlichkeit seines individuellen Wesens willen gesucht und geliebt sein. " In vielen, aus dem Leben gegriffenen Zügen findet Lotze Belege dieser allgemeinen Verschiedenheit : Die geschäftlichen Verabredungen der Männer sind kurz, die der Frauen wortreich und selten ohne vielfache Wiederholung ; sie haben wenig Zutrauen zu der Festigkeit eines gegebenen Wortes u. s. w. Das Eigenthum hält der Mann am häufigsten für das, was es wirklich ist, für eine Summe verwendbarer und theilbarer Mittel, und seine Freigebigkeit achtet kein angebliches Zusammengehören derselben; die Verschwendung der Frauen besteht meistens in Anschaffungen, für welche sie die Ausgaben der Entgeltmittel nicht selbst übernehmen. Das einmal erworbene und in ihren Händen befindliche Eigenthum erscheint ihnen dagegen leicht als ein unantastbarer Bestand, dessen Theile, weil sie ein Ganzes bilden, von einander zu reissen unrecht wäre. Am Schlusse seiner Darstellung sagt Lotze: „ Ich möchte endlich die Behauptung 38 II. Die psychologische Auffassung des Weibes. wagen, dass für das weibliche Gemüth die Wahrheit überhaupt einen anderen Sinn hat. als für den männlichen Geist. Den Frauen ist alles das wahr, was durch die vernünftige Bedeutung gerechtfertigt wird, mit der es sich in das Ganze der übrigen Welt und ihrer Verhältnisse einfügt ; es kommt weniger darauf an, ob es zugleich reell ist. Sie neigen deshalb zwar nicht zur Lüge, aber zum Schein, und es liegt ihnen nicht daran, ob irgend etwas, was in einer bestimmten, ihnen werth gewordenen Beziehung den verlangten Dienst des Scheines thut auch in anderer Beziehung verfolgt , sich als ein solches abweisen würde, dem mit Recht so zu scheinen gebührt . Selbst etwas scheinen zu wollen, ohne es zu sein, ist allerdings ein gemeinsames menschliches Gebrechen ; aber von dem wenigstens, was er besitzt, pflegt der Mann Solidität und Echtheit zu verlangen; Frauen dagegen haben eine sehr ausgedehnte Vorliebe für Surrogate. Mit diesen Neigungen sind sie wissenschaftlichen Bestrebungen nicht zugänglich, und ihre Gedanken haben einen künst- lerischen, anschauenden Gang. So wie der Dichter nicht durch Analyse und Berechnung Charaktere schafft, sondern deren Wahrheit daran prüft, dass er selbst ohne das Gefühl künstlicher Selbstverdrehung ihre ganze Weise in seinem eigenen Gemüth nachzuleben vermag , so liebt die weibliche Phantasie sich unmittelbar in Dinge hinein zu versetzen, und sobald sie eine Vorstellung davon erreicht, wie dem, was da ist, sich bewegt und entwickelt, in seinem Sinn, seiner Bewegung und Entwickelung wohl zu Muthe sein möge, glaubt sie ein volles Verständniss zu besitzen. Dass eben die Möglichkeit, wie dies alles so sein und geschehen könne, selbst noch ein wissenschaftliches Räthsel einschliesst, ist den Frauen schwer begreiflich zu machen. Man bemerkt leicht, wie grosse Güter des Lebens, wie die Sicherheit des religiösen Glaubens und der Friede des sittlichen Gefühls hiermit zusammenhängen ; aber auch in kleinen , unscheinbaren Zügen findet man dies Uebergewicht des lebendigen Tactes über die wissenschaftliche Zergliederung. Tausende von zierlichen technischen Handgriffen wenden die Frauen bei ihren täglichen Arbeiten an; aber was sie geschickt ausführen, wissen sie kaum zu beschreiben , sie können es nur zeigen. Die analysirende Reflexion auf ihre Bewegungen liegt ihnen so wenig nahe, dass man ohne Gefahr grossen Irrthumes behaupten kann, Worte wie rechts, links , quer, ‚ überwendlich bedeuten in der Sprache der Frauen gar keine mathematischen Relationen , sondern gewisse eigenthümliche Gefühle, die man hat, wenn man im Arbeiten diesen Be- zeichnungen folgt. " Manche Philosophen , namentlich Schopenhauer, weisen dem weiblichen Geschlecht eine Stellung zu, welche geradezu als eine untergeordnete bezeichnet werden muss. Wir können solche Urtheile nicht verschweigen, denn sie rühren von unzweifelhaft geistvollen Männern her, und sind wiederum ein Beweis dafür, dass es nur auf den Gesichtspunkt ankommt, von dem aus das Weib als solches betrachtet und aufgefasst wird. Schopenhauer sagt: Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, dass das Weib weder zu grossen geistigen, noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist . Es trägt die Schuld des Lebens nicht durch Thun, sondern durch Leiden ab, durch die Wehen der Geburt, die Sorgfalt für das Kind, die Unterwürfigkeit unter den Mann. dem es eine geduldige und aufheiternde Ge- fährtin sein soll. Die heftigsten Leiden, Freuden und Kraftäusserungen sind ihm nicht beschieden : sondern sein Leben soll stiller, unbedeutsamer und gelinder dahinfliessen, als das des Mannes, ohne wesentlich glücklicher oder unglücklicher zu sein. Zu Pflegerinnen und Erzieherinnen unserer ersten Kindheit eignen die Weiber sich gerade dadurch, dass sie selbst kindisch, läppisch und kurzsichtig , mit einem Worte, zeitlebens grosse Kinder sind: eine Art Mittelstufe zwischen dem Kinde und dem Manne, als welcher der eigentliche Mensch ist. Man betrachte nur ein Mädchen, wie sie Tage lang mit einem Kinde tändelt , herumtanzt und singt, und denke sich, was ein Mann, beim besten Willen, an ihrer Stelle leisten könnte. Mit den Mädchen hat es die Natur auf das, was man, im dramaturgischen Sinne , einen Knalleffect nennt, abgesehen, indem sie dieselben auf wenige Jahre mit überreich- licher Schönheit, Reiz und Fülle ausstattete , auf Kosten ihrer ganzen übrigen Lebenszeit, damit sie nämlich, während jener Jahre, der Phantasie eines Mannes sich in dem Maasse bemächtigen könnten, dass er hingerissen wird, die Sorge für sie auf zeitlebens, in irgend einer Form, ehrlich zu übernehmen, zu welchem Schritte ihn zu vermögen die blosse ver- 7. Die moderne Psychologie in ihrer Auffassung des weiblichen Charakters . 39 nünftige Ueberlegung keine hinlänglich sichere Bürgschaft zu geben schien. Sonach hat die Natur das Weib, eben wie jedes andere ihrer Geschöpfe, mit den Waffen und Werkzeugen ausgerüstet , derer es zur Sicherung seines Daseins bedarf, und auf die Zeit , da es ihrer bedarf, wobei sie denn, " so setzt Schopenhauer wenig höflich hinzu , „ auch mit ihrer gewöhnlicben Sparsamkeit verfahren ist . Wie nämlich die weibliche Ameise nach der Begattung die fortan überflüssigen, ja für das Brutverhältniss gefährlichen Flügel verliert, so meistens nach einem oder zwei Kindbetten das Weib seine Schönheit , wahrscheinlich sogar aus demselben Grunde. " Hierin finde ich, dass Schopenhauer den Versuch macht, die Schönheit vom teleologischen Standpunkte aus aufzufassen . Auch in der zeitigeren Reife des Weibes findet Schopenhauer ein Zeichen für die Inferiorität, indem er ausführt : „ Je edler und vollkommener eine Sache ist, desto später und langsamer gelangt sie zur Reife. Der Mann erlangt die Reife seiner Vernunft und Geisteskräfte kaum vor dem achtundzwanzigsten Jahre, das Weib mit dem achtzehnten, Aber es ist auch eine Vernunft darnach : eine gar knapp gemessene. Daher bleiben die Weiber ihr Leben lang Kinder, sehen immer nur das nächste, kleben an der Gegenwart, nehmen den Schein der Dinge für die Sache und ziehen Kleinigkeiten den wichtigsten Angelegenheiten vor etc." Dagegen gesteht Schopenhauer zu: In schwierigen Angelegenheiten nach Weise der alten Germanen auch die Weiber zu Rathe zu ziehen, ist keineswegs verwerflich : denn ihre Auffassungsweise der Dinge ist von der unsrigen ganz verschieden und zwar besonders dadurch, dass sie gern den kürzesten Weg zum Ziele und überhaupt das zu- nächst Liegende ins Auge fassen , über welches wir, eben weil es vor unserer Nase liegt, meistens weit hinwegsehen; wo es uns dann noth thut, darauf zurückgeführt zu werden, um die nahe und einfache Ansicht wieder zu gewinnen. Hierzu kommt, dass die Weiber entschieden nüchterner sind, als wir, wodurch sie in den Dingen nicht mehr sehen, als wirklich da ist ; während wir, wenn unsere Leidenschaften erregt sind, leicht das Vorhandene vergrössern, oder Imaginäres hinzufügen. Aus derselben Quelle ist es abzuleiten, dass die Weiber mehr Mitleid und daher mehr Menschenliebe und Theilnahme an Unglücklichen zeigen, als die Männer, hingegen im Punkte der Gerechtigkeit, Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit diesen nachstehen. Weil im Grunde die Weiber ganz allein zur Propagation des Geschlechts da sind und ihre Bestimmung darin aufgeht, so leben sie durchweg mehr in der Gattung, als in den Individuen , nehmen es in ihrem Herzen ernstlicher mit den Angelegenheiten der Gattung, als mit den individuellen. Dies giebt ihrem ganzen Wesen und Treiben einen gewissen Leichtsinn und überhaupt eine von der des Mannes von Grund aus verschiedene Richtung, aus welcher die so häufige und fast normale Uneinigkeit in der Ehe erwächst. “ Das Schlimmste jedoch kommt noch! Schopenhauer urtheilt : „ Das niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und kurzbeinige Geschlecht das schöne nennen, konnte nur der vom Geschlechtstrieb umnebelte männliche Intellect : in diesem Triebe nämlich steckt seine ganze Schönheit. Mit mehr Fug, als das schöne, könnte man das weibliche Geschlecht das unästhetische nennen. Weder für Musik noch Poesie, noch bildende Künste haben sie wirklich und wahrhaftig Sinn und Empfänglichkeit, sondern bloss Aefferei zum Behuf ihrer Gefallsucht ist es, wenn sie solche affectiren und vorgeben. Das macht, sie sind keines rein objectiven Antheils an irgend etwas fähig und der Grund ist, denke ich, folgender : Der Mann strebt in allem eine directe Herrschaft über die Dinge an, entweder durch Verstehen, oder durch Bezwingen derselben. Aber das Weib ist immer und überall auf eine bloss indirecte Herrschaft verwiesen, nämlich mittelst des Mannes, als welchen allein es direct zu beherrschen hat . Darum liegt es in der Weiber Natur, alles nur als Mittel, den Mann zu gewinnen, anzusehen, und ihr Antheil an irgend etwas anderem ist immer nur ein simulirter, ein blosser Umweg , d. h . läuft auf Koketterie und Aefferei hinaus. “ Das Zugeständniss, welches oben dem weiblichen Geschlecht bezüglich der Schönheit während des jugendlichen Alters von Schopenhauer gemacht wurde, nimmt also dieser Autor am Schlusse seiner Ausführungen wieder zurück ; ihm gilt diese „ Schönheit" für nichts als eine Selbsttäuschung des männlichen Geschlechts ! Spricht sich in diesem ganzen Gedankengange nicht der Sinn eines echten und rechten Weiberhassers aus ? 40 II. Die psychologische Auffassung des Weibes . Wie hart und ungerecht auch der bekannte Philosoph Eduard v. Hartmann² über die Frauen urtheilt, können wir nicht unbeachtet lassen. Wenn einige Züge in dem von ihm entworfenen Gemälde des weiblichen Charakters treffen, so ist dasselbe doch viel zu dunkel gehalten : „ Die weibliche Sittlichkeit, namentlich die der weiblichsten Weiber, ist sehr oft von dieser Art, und dies ist der Hauptgrund, warum das weibliche Geschlecht im Ganzen so sehr viel schwerer als das männliche zu jener sittlichen Reife des Charakters gelangt, wo die Autonomie erst in ihr volles Recht tritt . Die Mehrzahl der Weiber bleibt ihr Leben lang in sittlicher Hinsicht im Stande der Unmündigkeit und bedarf deshalb bis an ihr Ende einer Bevormundung durch heteronome Autoritäten ; sie selbst haben meistens das richtige Gefühl dieser Bedürftigkeit , und je unfähiger sie sind , dem blossen Abstractum des modernen Staates eine Autorität einzuräumen, je mehr sich ihr Stolz dagegen auflehnt, im Gatten oder dem natürlichen Beschützer die leitende Autorität für ihre Handlungen anzuerkennen, desto ängstlicher klammern sie sich an die heteronomen Autoritäten der Religion und der Sitte , desto haltloser steuern sie als steuerloses Wrack auf dem Ocean des Lebens umher, wenn auch diese beiden Anker ihnen zerrissen sind. Man mag diese Thatsache im Sinne der autonomen Moral sehr betrübend finden, aber man muss sie im Interesse der Wahrheit und des praktischen Lebens als Thatsache anerkennen, nach ihr seine Vorkehrungen treffen und sich hüten , ihre Bedeutung in einem falsch verstandenen Interesse für das weibliche Geschlecht abschwächen zu wollen. Wenn Wahrhaftigkeit und Ordnungssinn Charaktereigenschaften darstellen , bei denen die Erziehung verhältnissmässig mehr, als bei anderen, zu thun vermag, wenn namentlich der Ordnungssinn durch ästhetischen Sinn für Harmonie zum Theil ersetzt werden kann : so sind Rechtlichkeit und Gerechtigkeit diejenigen beiden Charaktereigenschaften , welche von allen bisher betrachteten moralischen Triebfedern beim weiblichen Geschlecht im Durchschnitt am schwächsten vertreten sind. Das weibliche Geschlecht ist das unrechtliche und ungerechte Geschlecht, und nur derjenige kann sich über diese Thatsache, welche natürlich sehr erhebliche Ausnahmen zulässt, täuschen , der die äussere Legalität und die Wahrung der schicklichen Form mit dem Vorhandensein der entsprechenden Gesinnung verwechselt. " So wirft v. Hartmann den Frauen vor, dass sie sich mit Vorliebe im Fahrwasser rechtsfeindlicher Neigungen bewegten, alle geborene Defraudantinnen aus Passion seien, zur Fälschung eine instinctive Neigung hätten (ein Viertel der Dienstbücher weiblicher Dienstboten in Berlin enthielten plumpe Fälschungen), dass sie beim Spiel mogelten und dies den Reiz des Spiels für sie ausmache, dass sie nie ' ohne Ansehen der Person urtheilten. die Mütter stets Lieblingskinder und Aschenbrödel hätten - kurz v. Hartmann weiss den Frauen so viel Uebles nachzureden, dass wir glauben müssen, er habe mit denselben recht schlimme Erfahrung zu machen Gelegenheit gehabt. Wir halten sein Urtheil nicht für ein solches, das sich durch Richtigkeit auszeichnet oder von einer weithin sich erstreckenden Erfahrung gestützt würde. Noch schlechter kommen die Frauen nach Hering in dem der speciellen japanischen Damenliteratur angehörigen Werke Onna Daigaku fort. Es sind nach Angabe dieses Lehrbuches fünf Untugenden den Frauen besonders eigen, wegen derer sie tief unter dem Manne ständen. Von je 10 Frauen seien sicher mindestens 7 bis 8 mit diesen fünf „ Krankheiten " behaftet. Diese sind Ungehorsam, heimtückische Bosheit, Schmähsucht, Eifersucht und Albernheit oder Unverstand. Geschmeichelt werden sich die Japanerinnen durch dieses Urtheil wohl nicht gerade fühlen. Auch die Sprüche der alten Inder wissen vielerlei Schlechtes von den Frauen zu melden. (Böthlingk.) 27 Wie die Flüsse , so streben die Weiber, selbst die von vornehmer Herkunft, ihrer Natur gemäss, o Schande, zum Niedrigen hin!" „ Der Unehre Ursache ist das Weib, der Feindschaft Ursache ist das Weib, des weltlichen Daseins Ursache ist das Weib; darum soll man das Weib meiden. " 8. Die abnormen Ehen und der Selbstmord. 41 99 Wer hat diesen Strudel von Zweifeln geschaffen ? Wer dieses Haus voller Ungezogenheiten, diese Stadt voller Uebereilungen, dieses Lagerhaus voller Fehler, dieses mit hunderterlei Betrug besäete Feld von Unzuverlässigkeit, dieses Hinderniss an der Himmelspforte, diesen Eingang zur Höllenstadt , diesen Korb mit allen möglichen Zauberkünsten, ich meine die Kunstpuppe Weib, dieses wie Nektar erscheinende Gift, diese Schlinge für die Menschheit?" 8. Die abnormen Ehen und der Selbstmord. Mancherlei Erscheinungen im Seelenleben der Frau werden durch die methodische Massenbeobachtung zu unserer Kenntniss gebracht . Die Statistik der Bevölkerungsbewegung zeigt , dass durchschnittlich im Gebiete des deutschen Reichs 60-65 Ehen jährlich geschlossen werden, bei denen der weibliche Theil das 40. und 45. Jahr bereits überschritten hat. Bei einer Anzahl dieser Ehen ist der männliche Theil jünger, als der weibliche. Sogar noch im höheren Alter registriren wir Fälle, in denen das Weib das eheliche Band dem einsamen Leben vorzieht. Die Bevölkerungsstatistik nennt solche Ehen vom Standpunkte der Volksvermehrung aus betrachtet abnorme Ehen. In Berlin befanden sich im Jahre 1887, also nach Einführung der Civilehe, unter 14451 den Bund der Ehe schliessenden Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts 3337 zwischen dem 35. und 50. , 119 zwischen dem 50. und 65. und 5 sogar zwischen dem 65. und 70. Jahre. „ Ein sehr verbreitetes Vorurtheil, sagt Ludwig Fuld, führt diese Ehen stets auf die niedrigste Speculationssucht zurück, weil man es für unmöglich hält , dass ein Weib in diesem Alter noch von Liebe erfasst werden könne. Allein aus der psychologischen Betrachtung gewisser Criminalfälle, welche typischen Werth besitzen , ergiebt sich, dass diese psychologische Unmöglichkeit durchaus nicht vorhanden ist . Sogar in Ländern, in welchen die Frauen viel rascher verblühen, als bei uns, finden sich ausweislich der Statistik Fälle von Eheschliessungen in vorgerücktem Alter in keineswegs verschwindender Zahl. Es ist dies doppelt merkwürdig , weil die Italienerin sehr früh hässlich wird ; während die deutsche Frau der höheren Klassen mit vierzig Jahren in zahlreichen Fällen noch eine Erscheinung bietet , welche das Schönheitsgefühl des Künstlers befriedigt, ist die Italienerin in diesen Jahren schon ungemein garstig . Allein das Gefühl scheint bei der Tochter der heissen Zone nicht mit dem Körper gleichen Schritt zu halten . Die leidenschaftliche Natur. die Fähigkeit, mit der Gluth der Leidenschaft zu lieben, scheint in der zweiten Hälfte des Lebens noch in derselben Stärke vorhanden zu sein, wie in der ersten. Und dies wird auch in Italien durch Criminalfälle bestätigt, in welchen Frauen in vorgeschrittenem Alter aus plötzlich entfesselter Leidenschaft die schwersten Verbrechen begingen, welche dem Criminalisten bekannt sind. Die Annalen der italienischen Fürstengeschlechter, insbesondere die der Mediceer, bieten hierfür Beispiele. Eine weitere Stütze giebt die Selbstmordstatistik ab. Zwar ist kein Theil derselben so unbestimmt und so wenig fundirt, wie das Kapitel, welches sich mit den Motiven beschäftigt. Allein gleichwohl darf mit ziemlicher Sicherheit behauptet werden, dass das Motiv der Liebe nur zweimal verhängnissvoll und zahlreiche Opfer fordernd in das weibliche Leben eingreift, zuerst in dem Alter, welches, von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, das klassische genannt werden darf, in den Jahren 18 bis 22, sodann in der Zeit vom Beginne des vierten Decenniums bis über die Hälfte, ja bis gegen das Ende desselben. " Es ist gewiss nicht ohne Interesse, an der Hand der Statistik die Frage zu prüfen, wie sich die Neigung, seinem Leben ein Ende zu machen, bei den verschiedenen Geschlechtern verhält, und weiterhin zu untersuchen, ob sich für den Selbstmord eine besondere Gelegenheitsursache in der Ehe oder in der Ehelosigkeit nachweisen lässt. Bertillon hatte in Frankreich gefunden, dass sich Wittwen viel öfter, als verheirathete Frauen den Tod gaben, und 42 II. Die psychologische Auffassung des Weibes. dass die Familie, in welcher Kinder vorhanden sind, viel weniger leicht den Gedanken an Selbstmord aufkommen lässt , als die kinderlose Familie. J. Bertillon jun. nahm die Angelegenheit, die sein Vater schon bearbeitet hatte, wieder auf. Im Alter von 25 Lebensjahren fand er die Neigung zum Selbstmord bei den Unverehelichten (Wittwern und Wittwen inbegriffen) etwa doppelt so grofs als bei den Verehelichten von gleichem Alter, und im Alter von 70 Jahren waren sie etwa elfmal höher. Die Forschungen wurden vor Allem an der Bevölkerung von Schweden vorgenommen. Die folgende Tabelle giebt eine Uebersicht über die Fälle von Selbstmord, welche in ungefähr den gleichen Zeiträumen in verschiedenen Ländern Europas vorgekommen sind. (Selbstmorde) Land Zeit- Total- raum summe Italien Sachsen Baden . Schweden Schweiz . Norwegen .1876--82 Finnland 11878-83 Dänemark 1880-83 Württemberg Verehelichte ! Ledige W. Sme. m. 1867-83 17591 5762 632 6394 6317 1193 1523 632 1865-83 16814 6822 1355 8257 3983 1220 1653 590 1865-83 4831 1825 276 2101 1793 298 469 135 1865-82 6775 2728 604 3332 1959 1876-83 5223 1931 276 2207 1639 930 368 94 462 211 426 202 25 227 108 2009 , 867 189 ? 401 1870-81 3854 ?? 1742 ? Aus obiger Tabelle ergiebt sich folgendes : Ver- Summe der wittwet Ehelosen m. W. m. W. 9663 7636 2701 579 620 285 3443 297 681 144 2761 54 146 42 930 31 37 23 199 145 250 94 935 ? ?? 1873 Von 54599 Selbstmördern waren: männlich 32295 weiblich . 9213 verehelicht . 24702 ehelos 30141 verehelichte Männer 20505 Weiber 3451 ehelose Männer 21790 Weiber 5722 Es haben sich also in der gleichen Periode über dreimal soviel Männer das Leben genommen als Frauen. Die grösseren Anforderungen und Aufregungen, welche der Kampf um das Dasein an das männliche Geschlecht in bedeutend höherem Maasse stellt, als an das weibliche, geben hierfür eine hinreichende Erklärung. Ferner sehen wir, dafs die Zahl der nicht in der Ehe Lebenden für die Selbstmörder ein höheres Contingent geliefert hat, als die Verehelichten, und zwar die Männer sowohl, als auch die Weiber. Wir müssen daher wohl die Berechtigung des Satzes anerkennen, dass in der Ehelosigkeit in gewissem Sinne eines der prädisponirenden Momente für den Selbstmord gesucht werden muss. 9. Die Betheiligung des weiblichen Geschlechts am Verbrechen. Der Physiologe Rudolphi sagt : „ Das Weib ist im Vergleich zum Manne zarter, weicher, kleiner, beweglicher, veränderlicher, reizbarer, eitler, demüthiger, geduldiger, frommer. Schlecht erzogen wird es zur Furie und übertrifft den Mann in allen Lastern. " Mit dem Einflusse des Geschlechts auf den Hang zum Verbrechen hat uns zuerst Quetelet bekannt gemacht. An der Hand der Statistik gelangt er zu folgenden Schlüssen : 9. Die Betheiligung des weiblichen Geschlechts am Verbrechen. 43 Versuchen wir die Thatsachen zu analysiren , so scheint es mir, dass die Moralität des Mannes und des Weibes (abgesehen von der Schamhaftigkeit) weniger verschieden ist , als man im Allgemeinen annimmt. Was den Einfluss der Lebensweise selbst anbetrifft , so glaube ich, dass derselbe sich recht wohl ermessen lässt aus den Verhältnissen, welche beide Geschlechter in Betreff verschiedener Arten von Verbrechen, bei denen weder die Stärke, noch die Schamhaftigkeit in Betracht kommt, z . B. bei Diebstählen, bei falschem Zeugniss, bei betrügerischem Falliment u. s . w. darbieten ; jene Verhältnisse betragen etwa 100 zu 21 oder zu 17, d. h. 5 oder 6 zu 1. Bei den anderen Fälschungen ist aus angeführten Gründen das Verhältniss etwas stärker. Wollte man die Intensität der Ursachen, welche auf die Frauen einwirken, numerisch ausdrücken, so könnte man sie schätzen, indem man sie als im Verhältniss zur Stärke selbst stehend, oder ungefähr wie 1 zu 2 annehmen würde ; dies ist das Verhältniss beim Vatermord . Bei den Verbrechen , wo die Schwäche und das zurückgezogene Leben der Frauen zugleich in Betracht kommt, wie beim Todtschlag oder beim Strassenraub, müsste man, bei Verfolgung des gleichen Weges bei der Berechnung, das Verhältniss der Stärke ½ mit dem der Abhängigkeit ¹ multipliciren , dies giebt 10 , ein Verhältniss , das wirklich mit den Ergebnissen der Statistik ziemlich übereinstimmt. " Nach der Statistik der Aufgreifungen im Seine - Département (1855-1864) hätte das Weib im Grossen und Ganzen nur etwa den fünften Theil der Wahrscheinlichkeit des Mannes, der Strafjustiz zu verfallen. Zu ganz ähnlichen Schlüssen gelangte auch der Statistiker Georg Mayr, welcher Quetelet's Angaben mit der Verbrecherstatistik von den Schwurgerichten Bayerns (1840-1866) verglich ; es ergab sich trotz einiger Fluctuationen eine ziemliche Regelmässigkeit der Weiberbetheiligung. Doch setzt Mayr hinzu : Allerdings liegt die Sache bei tieferem Eingehen, namentlich in geographischer Beziehung, nicht so ganz gleichartig. Man beobachtet dann beispielsweise, dass die Weiberbetheiligung am Verbrechen in grossen Städten regelmässig viel grösser ist, als bei vorwiegend ländlicher Bevölkerung. So trafen auf 100 abgeurtheilte Individuen solche weiblichen Geschlechts während der Jahre 1862/63 bis 1865/66 bei dem ausschliesslich städtischen Gericht München: 31. 28, 30, 26, dagegen beim ländlichen Gericht Freising 10, 9, 9 , 10. Aber gleichwohl sind auch hier, wie man sieht, im Einzelnen die Ergebnisse bewunderungswürdig constant. Dasselbe gilt von der Weiberbetheiligung in solchen Ländern, in welchen, wie in England , überhaupt der gesammte criminelle Hang der weiblichen Bevölkerung einen grossstädtischen Charakter zu tragen scheint . In England und Wales trafen bei den vor das Schwurgericht gehörigen Reaten in den Jahren 1858 bis 1864 auf 100 Männer 35, 36, 38 , 33, 31 , 32, 32 Weiber. In London steigert sich diese criminelle Weiberbetheiligung. Es trafen nämlich bei den Aufgreifungen der Polizei 1854 bis 1862 auf 100 Männer 57 Weiber. Liverpool und Dublin stehen mit 69 bezw. 84 Weibern auf 100 Männer noch höher oder richtiger gesagt tiefer. " Im Allgemeinen darf man wohl annehmen, dafs mit der Zunahme der Betheiligung des Weibes am Kampfe um das Leben auch die Zahl der Frauen unter den Verbrechern wächst . Hierfür scheint die Tabelle zu sprechen, welche v. Oettingen zusammenstellte : Von je 100 Verbrechern waren : In England 59 Bayern 75 M. 25 Fr. 75 25 27 Proportion : 3 : 1 3 : 1 In Baden 27 Preussen Proportion: 84 M. 16 Fr. 5,3 : 1 י Hannover 77 23 Dänemark 78 22 3.3 : 1 79 22 32 3,5 : 1 " Holland 82 17 Belgien 82 18 4,5 : 1 4,5 : 1 Sachsen Liv- , Esthu. Kurland ,་ 22 11 Spanien 12 4,5 : 1 4,9 : 1 29 Russland " 22 Frankreich 82 18 Oesterreich 83 18 85 15 27 5,7: 1 85 "" 15 5,7: 1 88 63890 86 14 6,1 : 1 12 ཕན 7,3 : 1 10 99 9 1 Die Zahl der wegen Trunkenheit durch die Polizei aufgegriffenen Weiber stieg in grösseren Städten Englands in überraschender Weise. Nach Baer wurden in Manchester aufgegriffen im trunkenen Zustande : 1847-1851 : DRPAR O THE UNIVER 44 II. Die psychologische Auffassung des Weibes. 935 Männer und 207 Weiber, 1852-1856 : 651 Männer und 84 Weiber; dagegen 1867-1871 : 7903 Männer und 2001 Weiber, 1872-1876 : 7020 Männer und 2801 Weiber. In Liverpool stieg die Zahl der der Polizei in die Hände gefallenen trunkenen Frauen von 4349 im J. 1858 auf 5676 im J. 1864. In Glasgow sind während der Jahre 1850-1860 sogar mehr trunkene Frauen als trunkene Männer in Polizeigewahrsam gebracht worden. Es sind allerdings hier fast nur die unteren Klassen der Gesellschaft vertreten, doch zeigt sich an dem Verhältniss ganz deutlich die Wirkung von Elend und Entartung dieser Klassen, die in der sittlichen Verkommenheit des Weibes sich recht deutlich ausspricht. Das ganze Gebiet des deutschen Reichs umfasst eine officielle Criminal- Statistik über das Jahr 1882, aus der hervorgeht, dass die deutsche Frauenwelt in den Annalen der Strafrechtspflege nur in der Stärke von einem Viertel, das sog. starke Geschlecht aber in der Höhe von drei Viertel eingeschrieben ist : es stehen 100 männlichen Verurtheilten nur 23,4 weibliche gegenüber. Allerdings ist dieses nicht ungünstige Verhältniss nicht in allen Theilen des Reiches das gleiche. Im Herzogthum Anhalt , in Dresden , in Leipzig , den Fürstenthümern Reuss und Schwarzburg, im Herzogthum Altenburg und im Reg.-Bez. Bromberg fiel das Weib am häufigsten dem Verbrechen anheim, im Elsass , im Kreise Offenburg , den Reg. - Bez. Osnabrück und Münster, Minden und im Kreise Waldeshut am seltensten. Die meisten Verurtheilungen ergehen auch bei der Aburtheilung eines weiblichen Verbrechers wegen Diebstahls, sodann folgen in der Scala weiblicher Schuld und Sünde Beleidigungen, Mord und Meineid . Die hohe Stelle, welche dabei der Mord einnimmt, ist besonders durch die zahlreichen Strafhandlungen gegen das Leben des eigenen neugeborenen Kindes bedingt. Ueberblicken wir die vorstehenden Ergebnisse der Moral- Statistik, so erhalten wir den Eindruck, dass das Weib je nach seiner Lebenslage sich kaum eines grösseren, doch auch keines geringeren Grades von Moralität rühmen oder zeihen lassen darf, als dem Manne nachzusagen ist. Weiterhin hat Hausner eine vergleichende Criminal- Statistik in Bezug auf die beiden Geschlechter aus zahlreichen Ländern tabellarisch zusammengestellt ; auf Grund derselben sagt er : In ganz Europa bilden die durch Frauen begangenen Verbrechen 16 % aller Verbrechen, und unter den Angeklagten kommt eine Frau auf 5,25 Männer. Auch schliesst derselbe Autor aus den sehr umfassenden Zahlen : dass in den civilisirten Ländern die Frauen eine verhältnissmässig grössere Betheiligung an den Verbrechen zeigen, als in den primitiven, auch dass im Norden, wo den Frauen meist mehr Freiheit des Handelns gelassen wird, das Contingent, welches diese zu dem Verbrechen stellen, grösser ist als im Süden. Dass das männliche Geschlecht im höheren Grade als das weibliche bei dem Verbrechen betheiligt ist, sagt Starke¹ , wird theilweise durch das Geschlecht selbst bedingt und liegt in zahlreichen Momenten der Lebensstellung. Aber nicht überall ist die Lebensstellung des Weibes dieselbe. Je roher ein Culturzustand ist , desto ausgedehnter ist die Betheiligung des Weibes an Arbeiten und Thätigkeiten , welche der Natur des Geschlechts weniger entsprechen. Unter solchen Umständen wird auch das Weib in höherem Umfange am Verbrechen theilnehmen. Um eine Bestätigung dieses Satzes zu erhalten , braucht man nicht über die Grenzen des Vaterlandes hinauszugehen. " Starke hat das procentuale Verhältniss der männlichen zu den weiblichen 9. Die Betheiligung des weiblichen Geschlechts am Verbrechen. 45 Angeklagten im Königreich Preussen für die Zeit von 1854-1878 zusammengestellt. Hier ist erkennbar , dass der auf die weiblichen Angeklagten entfallende Procentsatz (1854 : 23, in 1855 und 1856 sogar 25 Proc. allmählich abgenommen hat, von 1873-1878 bleibt derselbe auf 17 Proc. stehen. Auf Grund dieser preussischen Statistik stellt Starke die Frage : Sollte sich hierin wirklich eine im Laufe der 25 Jahre eingetretene höhere Culturentwickelung der Personen weiblichen Geschlechts vom Osten bis zum Westen und in Folge dessen eine geringere Betheiligung desselben bei Verbrechen und Vergehen zu erkennen geben ? Oder sollte die Depravation der Männer allein in so hohem Grade zugenommen haben, dass in Folge dieses Umstandes das procentuale Verhältniss in der Betheiligung der Geschlechter nur verschoben worden ist ? Starke möchte sich weder für diese noch für jene Alternative aussprechen, weil ihm ein anderer Erklärungsgrund näher zu liegen scheint. Es sind nämlich gewisse Delictsgruppen in jener Periode ganz besonders im Zunehmen begriffen gewesen, welche auf die Entwickelung des öffentlichen Lebens und durch deren Einwirkung auf alle Volksschichten zurückzuführen sind (Beleidigung, Körperverletzung, Verbrechen und Vergehen gegen die öffentliche Ordnung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung). Alle diese Delicte gehören zu denjenigen, welche überhaupt vorzugsweise von Personen männlichen Geschlechts begangen werden ; die äussere Veranlassung ist oft auf Streitigkeiten in Wirthshäusern und auf die Erregung durch Branntwein, nicht selten auch auf die Wirkung von Agitationen zurückzuführen. III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. 10. Die weibliche Schönheit. In einer Hinsicht ist das Weib allerdings dem Manne nach allgemeiner, nur von wenigen (Schopenhauer etc. ) bestrittener Meinung überlegen : in der Schönheit der äusseren Körperform. Allein auch dieser Vorzug ist ungemein ungleich vertheilt. Eine Annäherung an das Ideal weiblicher Schönheit, das wir uns unter dem Einflusse einer geläuterten Aesthetik gebildet haben, ist nur unter höchst günstigen Verhältnissen möglich. Wenn man im Stande wäre, den Begriff des Schönen überhaupt festzustellen, so würde dies wohl in irgend einem Lehrbuch der Wissenschaft vom Schönen (Aesthetik) geschehen sein . Allein bisher suchten wir vergebens ! In einem der neueren Werke dieser Art (Hohlfeld und Wünsche) heisst es sogar: „ Die Schönheit ist eine bestimmte Eigenschaft, die nicht für sich selbst besteht, sondern an einem Anderen ist . Was schön sei , worin die Schönheit bestehe, soll selbst erst in unserer Wissenschaft untersucht werden. Aber auch ohne die Idee der Schönheit bereits klar und im Allgemeinen zu erkennen, kann das Schöne als solches angeschaut und anerkannt und empfunden, ja sogar vom Künstler hervorgebracht werden. " Auch die Anthropologen haben sich mit der Frage beschäftigt : ,,Was ist Schönheit des Menschen ?" Schon im Jahre 1860 übergab Cordier der anthropologischen Gesellschaft zu Paris eine Arbeit über diese Frage, in der er sagte : „ Die Schönheit ist nicht etwa Eigenthum der einen oder der anderen Rasse. Jede Rasse differirt hinsichtlich der ihr eigenen Schönheit von den anderen Rassen. So sind denn die Schönheitsregeln keine allgemeinen, sie müssen für jede einzelne Rasse besonders studirt werden. " Diesen Sätzen widerspricht in einem vor derselben Gesellschaft im Jahre 1885 gehaltenen Vortrage Delaunay , indem er behauptet, dass es allerdings allgemeine Schönheitsregeln giebt sowohl für die Menschen, wie für die Thiere ; sie begründen sich durch die von Claude Bernard angestellten sogenannten organothropischen Gesetze, die in der Entwickelung der Form eines jeden Organs gefunden werden ; es giebt für jedes Organ ein Maximum der Entwickelung, welches die ihm eigene Schönheit darstellt ; und in Betreff der Schönheit des ganzen Individuums müssen die verschiedenen Organe in einer bestimmten Beziehung und in einem gewissen Verhältnisse zu einander stehen. Diesen Sätzen gegenüber muss man doch einwerfen, dass es uns wohl kaum je möglich sein wird, für jede Rasse des menschlichen Geschlechts ein typisches Schönheitsmodell aufzustellen, wie für unsere Rasse etwa der Apollo von Belvedere oder die mediceische Venus gelten kann. Dass es aber ewige Schönheitsgesetze" nicht giebt, wird wohl Jedermann zugeben, der weiss, dass der Neger seine Negerin , der Kalmücke 11. Fördernde und hemmende Bedingungen für die weibliche Schönheit. 47 seine Kalmückin ebenso sehr und mit demselben Rechte schön findet, wie der Weisse etwa die Frauenbilder Raphaël's . Allein dennoch kann man namentlich bezüglich der Frauen- Schönheit sagen, dass eine Voraussetzung und Bedingung des Schönfindens unbedingt das Normale, das Gesunde am Körper sein muss, dass namentlich der Körper in allen seinen Theilen gerade so beschaffen sein muss, um sämmtlichen Sexualfunctionen des weiblichen Geschlechts gerecht werden zu können. Von ähnlichen Betrachtungen geleitet, sagte neuerlich Eckstein : „ Das „ Schönfinden “ ist lediglich ein anderer Ausdruck für das Obwalten des Sexualtriebes, der sich zunächst in die Form der Bewunderung kleidet und sich diejenigen Individuen ausliest , welche den Typus der Gattung am reinsten und vollendetsten repräsentiren. Die Schönheit fällt hier durchaus mit der Zweckmässigkeit zusammen ; sie ist eigentlich identisch mit der Gesundheit im präguanten Sinn des Wortes, insofern nämlich jede störende Abweichung von der typischen Norm auf einer Hemmung, d. h. auf einer Krankheit beruht. Gesunde Zähne sind schön, weil sie zweckmässig sind ; denn sie gewährleisten durch eine vollständige Zerkleinerung der Speisen eine zweckmässige Ernährung. Eine hohe, ebenmässige Stirn ist schön, weil sie zweckmässig ist , denn sie verbirgt eine Reihe psychischer Eigenschaften , die im Kampf ums Dasein günstig und fördernd sind. Umgekehrt berühren uns nicht nur die sogenannten Gebrechen , sondern alle irgend auffällig hervortretenden Abweichungen vom Zweckmässigkeits- Typus unsympathisch. Eine schmalhüftige Frauengestalt ist hässlich , weil die dürftige Entwickelung des Beckens das Schicksal der künftigen Generation compromittirt. Ein im Punkte der Plastik stiefmütterlich behandelter Busen ist hässlich , weil er dem neugeborenen Kinde keine zweckentsprechende Nahrung gewährleistet. Wo sich dagegen keinerlei Hemmung vorfindet , wo alle diejenigen Eigenschaften , die sich im Laufe der Jahrhunderte als zweckmässig für den Kampf ums Dasein bewährt haben , in möglichster Vollkommenheit ausgeprägt sind , da sprechen wir von vollendeter Schönheit , und je mehr sich ein Individuum diesem Typus nähert , um so entschiedener wird es von dem anderen Geschlechte begehrt. " Mag nun der Begriff der weiblichen Schönheit ein sehr relativer sein, so dass im einzelnen das Urtheil überall nur nach individuellem Gefühl ausfällt, so steht doch in allgemeiner Uebereinstimmung so viel fest, dass die Gabe weiblicher Schönheit nach unserem europäischen Geschmacke auf Rassen und Völker nicht bloss ungleich vertheilt ist , sondern dass der höhere oder geringere Grad von Schönheit durch verschiedene physische und culturelle Verhältnisse bedingt wird. 11. Fördernde und hemmende Bedingungen für die weibliche Schönheit. Alle äusseren Einwirkungen, welche die Menschen treffen, die Lebensweise und die Lebensumstände, der Grund und Boden, auf welchem sie ihr Dasein fristen, sowie das Klima, dem sie unterworfen sind, bleiben sicherlich nicht ohne Einfluss auf die Entwickelung der schönen Formen oder der hässlichen Gestalt, welche wir an den Weibern der verschiedenen Völker wahrnehmen. Man hat gesagt, dass die vollendetste Schönheit nur in gemässigten Klimaten anzutreffen sei. Und von dem Gesichtspunkte des Europäers aus hat man darin auch gewiss nicht Unrecht. Man möge aber nicht vergessen, dass hier ein anderer höchst gewichtiger Factor noch mitspielt. der vielleicht von doch noch grösserem Einflusse ist, als Luft und Sonne. Kälte und Wärme ; das ist die Stellung, welche dem Weibe in der betreffenden Bevölkerung angewiesen ist. Von dieser ist es abhängig, ob ihr 48 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. die Möglichkeit oder eine Behinderung gegeben wird, ihre Gesammtorganisation in vollkommener Weise zur Entwickelung zu bringen. Es ist dann einestheils die Zuchtwahl, welche zur Fortpflanzung die schönsten Individuen aussucht, anderentheils die Erziehung, welche zur freien Ausbildung des einzelnen Individuums Gelegenheit giebt, maassgebend für den reichen Besitz eines Volkes an Weibern, deren Erscheinung sich dem Ideale nähert. Dagegen gedeiht die weibliche Schönheit nicht bei einem Volke, dessen Frauen sich von Jugend auf in dem herabgewürdigten Zustande von Hausthieren befinden und bei dem der Preis eines Eheweibes sich nach deren Arbeitskraft richtet. „ Bei den rohen Naturmenschen , " sagt Riehl, 22 desgleichen bei verkümmerten , in ihrer Gesittung verkrüppelten Volksgruppen zeigt sich der Gegensatz von Mann und Weib noch vielfach verwischt und verdunkelt. Er verdeutlicht und erweitert sich in gleichem Schritt mit der wachsenden Cultur. Bei einer sehr abgeschlossen lebenden Landbevölkerung , wie bei den in harter körperlicher Arbeit erstarrten Proletariern , hat der männliche und weibliche Kopf fast die gleiche Physiognomie. Ein in Männertracht gemaltes Frauengesicht aus diesen Volksschichten wird sich kaum von dem Manneskopf unterscheiden lassen, Namentlich alte Weiber und alte Männer gleichen sich hier wie ein Ei dem anderen. " Wie gross der Einfluss des Klimas, der Nahrung und der Lebensweise u. s . w. auf die Veränderungen ist, welchen der Mensch im Allgemeinen unterworfen ist, wurde von Waitz sehr eingehend untersucht. Allein er betont doch auch , dass zahlreiche Folgen der verschiedenen Culturzustände , die der Mensch durchläuft, uns gewissermaassen vor einer Ueberschätzung der klimatischen und geologischen Verhältnisse wahren ; denn wenn der Mensch eine höhere Bildungsstufe erreicht hat, so hört er schon damit auf, genau dem Boden und den Naturverhältnissen zu entsprechen, denen er angehört. Wir leugnen also nicht, dass klimatische und verschiedene äussere Lebensverhältnisse von entschiedenem, bald förderlichem, bald hemmendem Einflusse auf die körperliche und geistige Entwickelung der Menschennatur sind. Allein die Aufgabe der Gesittung und namentlich der Erziehung ist es, dergleichen Einflüsse zu beherrschen, sie entweder, so weit sie günstig sind, zu benutzen, oder sie, so weit sie ungünstig, zu paralysiren durch vorsichtiges Verfahren. Denn der Mensch soll und wird mehr und mehr zum Siege über die materielle Natur gelangen. So liegt es denn auch in der Hand der Nationen. ebenso sehr der physischen wie der moralischen Entwickelung nachzustreben; wir finden auch in der That, dass es eine Erziehung giebt, welche solche Aufgaben verfolgt ; nur ist sie leider noch nicht zum Gemeingut geworden. In den besseren" Theilen, unter den gut situirten Klassen der Bevölkerung, erblicken wir fast überall auch schönere, edlere Gestaltung, nicht bloss bei Männern, sondern namentlich bei Frauen . Der Typus der Schönheit kann sich unter so gut beeinflussten Individuen, welche von Jugend an den Mangel nicht kennen, sondern nach vollem Bedürfniss in intelligenter Weise erzogen werden, im normalen Ausbau des Körpers unbehindert ausbilden ; und so setzt sich oft in den mit Glücksgütern hinreichend ausgestatteten Familien als Erbstück ein schönes und edles Aussehen von Generation zu Generation fort. Freilich sehen wir Völker auch oft genug in den sogenannten unteren Schichten eine reiche Anzahl schöner weiblicher Individuen produciren, obgleich da Armuth und schlechte Beschaffenheit der Jugenderziehung auffallend sind. Hier ist es lediglich die sogar unter ungünstigen Zuständen Gelegenheit gewährende 12. Der Darwinismus über die Entwickelung weiblicher Schönheit. 49 Natur, welche, wenn sie nicht zu sehr beschränkt wird, die Entfaltung des schönen weiblichen Typus möglich macht. Armuth und Bedrängniss behindern vor Allem die nöthige Leibespflege, und die hiermit verbundene ungenügende Ernährung des Organismus kommt namentlich bei dem belasteten weiblichen Geschlecht durch vermindertes Wachsthum, grosse Magerkeit, schlechte Körperhaltung und hässliche Gesichtszüge zur Erscheinung. Es ist also die Stellung des Weibes im socialen Leben und die Arbeitsthätigkeit, die ihr bei jeder Nation conventionell zugewiesen wird, von besonderer Bedeutung für die mehr oder weniger schöne Entwickelung der weiblichen Formen bei den Völkern. Die Altgriechen , welche von Sclaven die schweren Arbeiten verrichten liessen, beschränkten bei ihren Frauen die Ausbildung des Körpers so wenig als möglich. Die Frauen der am Ostcap Neuseelands wohnenden Eingeborenen, welche in elender Lage sind und von ihren Männern äusserst hart und karg gehalten werden, haben meist dunklere Hautfarbe, als diese ; sie sind auch durchgehends kleiner und hässlicher, als die Männer (Forster, Dieffenbach ) ; so zeigen sie in jenem tiefer stehenden Menschenschlag die ihn tiefer stellenden Merkmale in besonders hohem Grade (Polack). Von den Seelappen , die ihre Wohnsitze längs der wilden Küste von Nordland und Finnmarken haben und sich besonders mit dem Kabeljaufang beschäftigen, sagt Du Chaillu: Auch die Frauen sind treffliche Seefahrer, und die lappischen Bootseigenthümer lassen die Bedienung der Fahrzeuge und Netze oftmals ausschliesslich von ihren Frauen, Töchtern , Schwestern oder auch wohl von den eigens zu diesem Zwecke gedungenen Weibern besorgen. . . . Die Züge der Frauen werden , eine natürliche Folge ihres beständigen Verweilens im Freien und ihrer harten Lebensweise, mit den Jahren sehr grob und man kann sie oft ebenso wenig von den Männern unterscheiden, wie man bei Kindern Mädchen von Knaben zu erkennen vermag." Schon von den Indianern Amerikas wurde berichtet, dass Männer und Weiber desselben Stammes häufig eine sehr gleichartige und in vielen Fällen schwer unterscheidbare Gesichtsbildung besitzen, ein Umstand, der sehr dazu beiträgt, den Eindruck, den diese Individuen hervorbringen, zu einem äusserst gleichmässigen zu machen. Die Indianerweiber müssen in der That aber auch alle Arbeit verrichten und sind nach Kohl's Angaben sehr muskelstark. 12. Der Darwinismus über die Entwickelung weiblicher Schönheit. Was nun die Zuchtwahl und ihre Beziehung zur Schönheit des weiblichen Geschlechts betrifft , so können wir über diesen Punkt wohl keinen Besseren hören, als Charles Darwin selber, welcher Folgendes äussert : „ Da die Frauen seit langer Zeit ihrer Schönheit wegen gewählt worden sind . so ist es nicht überraschend, dass einige der nach einander auftretenden Abänderungen in einer beschränkten Art und Weise überliefert worden sind, dass folglich auch die Frauen ihre Schönheit in einem etwas höheren Grade ihren weiblichen als ihren männlichen Nachkommen überliefert haben. Es sind daher die Frauen, wie die meisten Personen zugeben werden, schöner geworden als die Männer. Die Frauen überliefern indess sicher die meisten ihrer Charaktere, mit Ausschluss der Schönheit, ihren Nachkommen beiderlei Geschlechts, so dass das beständige Vorziehen der anziehenderen Frauen durch die Männer einer jeden Rasse je nach ihrem Maassstabe von Geschmack dahin führen wird, alle Individuen beider Geschlechter, die zu der Rasse gehören, in einer und derselben Weise zu modificiren . " Ploss , Das Weib. 1. 3. Aufl. 4 50 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. Man darf freilich den Einfluss der Zuchtwahl in seinem hypothetischen Umfange nicht allzuweit ausdehnen, wie es nach meiner Meinung Alfred Kirchhoff in einem Falle versucht. Er meint, dass die Australnegerinnen gar häufig furchtbare Knüttelschläge gegen den Kopf bekommen, und dass diejenigen Frauen, welche dergleichen Misshandlungen überleben , sich durch erstaunliche Dicke der Schädelknochen auszeichnen müssen, so dass gewissermaassen durch Vererbung von den Ueberlebenden aus die bedeutende Dicke des Stirnbeins am Australneger erzeugt worden sei ; Kirchhoff möchte diese Rassen-Eigenthümlichkeit demnach der Zuchtwahl zuschreiben. Nun wird zwar im Allgemeinen behauptet, dass bei den niedrig stehenden Rassen der Mann die Ehegattin zumeist nicht nach einer bestimmten Zuneigung wählt, welche durch die äusseren Reize des Weibes bedingt wurde ; allein wir können doch auch Beispiele angeben, in welchen bei barbarischen Stämmen die von Darwin besprochene Zuchtwahl vorkommt. In einem gewissen Grade ist das Weib auch hier der auswählende Theil, indem es fast überall demjenigen Manne zu entgehen sucht, welcher ihm zu gefallen nicht im Stande ist. Wenn bei den Abiponern , einem Indianerstamme in Südamerika , der Mann sich ein Weib wählt, so handelt er mit den Eltern um den Preis ; allein es kommt nach v. Azara auch häufig vor, dass das Mädchen durch alles das, was zwischen den Eltern und dem Bräutigam abgemacht ist, einen Strich zieht und hartnäckig auch nur die Erwähnung der Heirath verweigert ; sie läuft nicht selten davon und verspottet den Bräutigam ; sie besteht demnach doch auf dem Rechte der Zustimmung. Unter den Comanchen, jenen wilden Indianern im Norden Mexikos, muss der junge Mann seine Auserwählte allerdings von deren Eltern erkaufen, allein die Einwilligung des Mädchens zur Ehe gilt für unerlässlich : führt sie das Pferd des Bewerbers in den Stall, das dieser an der Hütte angebunden hat. so giebt sie damit ihr Jawort (Gregg). Bei den Kalmücken und ebenso bei den Stämmen des malayischen Archipels findet zwischen Braut und Bräutigam, nachdem die Eltern der ersteren ihre Zustimmung gegeben haben, eine Art Wettlauf statt, und Clarke sowie Bourien erhielten die Versicherung, dass kein Fall vorkommt, wo ein Mädchen gefangen würde, wenn sie nicht für den Verfolger etwas eingenommen wäre. Bei den Kaffern , die ihre Frauen einfach kaufen, sprechen die Mädchen ihre Zustimmung erst dann aus, wenn sich der Mann gehörig präsentirt und seine „ Gangart" gehörig gezeigt hat. Auch bei den Xosa - Kaffern kommt es bisweilen vor, dass die Tochter den ihr vom Vater ausgesuchten Bräutigam ausschlägt und sich an dem Tage , wo die Abgesandten des Bräutigams sie nach dessen Kraal abholen wollen , anstatt festlich mit Ocker, mit Menschenkoth beschmiert. Dann gilt der Heirathscontract als aufgehoben (Kropf). Bei den Buschmänninnen von Südafrika muss nach Burchell der Liebhaber, wenn ein Mädchen zur Mannbarkeit herangewachsen ist, ohne verlobt zu sein, was freilich nicht häufig vorkommt, ihre Zustimmung ebensowohl wie die der Eltern erlangen. Schliesslich haben nach Winwood Reade die Negerweiber unter den intelligenteren heidnischen Stämmen keine Schwierigkeiten, diejenigen Männer zu bekommen, welche sie wünschen ; sie sind vollständig fähig, sich zu verlieben und zarte, leidenschaftliche und treue Anhänglichkeit zu äussern. Demnach befinden sich bei vielen Wilden die Frauen in keinem so völlig unterwürfigen Zustande in Bezug auf das Heirathen, als häufig vermuthet wird. So schliesst denn Darwin: Eine Vorliebe seitens der Frauen, welche in irgend einer Richtung stetig wirkt , wird schliesslich den Charakter des Mannes afficiren, 13. Die Mischung der Rassen steigert meist die Entwickelung weiblicher Schönheit . 51 denn die Weiber werden allgemein nicht bloss die hübscheren Männer je nach ihrem Maassstabe von Geschmack, sondern diejenigen wählen, welche zu einer und derselben Zeit am besten im Stande sind, sie zu vertheidigen. und zu unterhalten. " Umgekehrt werden aber auch die kraftvolleren Männer natürlicher Weise den anziehenderen Weibern den Vorzug geben. 13. Die Mischung der Rassen steigert meist die Entwickelung weiblicher Schönheit. Die Leibesgestalt der Nachkommen wird um so weniger modificirt, und es kommen die Merkmale von Rasse und Kaste um so deutlicher und schärfer zur Erscheinung, je reiner sich die Zeugenden nur innerhalb ihrer Rasse und Kaste vermischen. Dies tritt vorzugsweise dort zu Tage, wo Jahrhunderte lang, wie beispielsweise bei den Hindus, nach dem Gesetze Manu's Verehelichungen nur innerhalb der Kaste erfolgen . Die Brahmanen, die bevorzugte Kaste , werden von de Gobineau als vorzüglich schön von Gestalt gerühmt; und Meiners sagt : „Aeltere und neuere Reisende bewunderten die ausserordentliche Schönheit der Inder und Indierinnen der höheren Kasten so sehr, dass sie dieselben für die schönsten Menschen auf der ganzen Erde erklärten. " Die geringeren Hindus hingegen besitzen ein minder vollkommenes Ebenmaass der Glieder. Bei der Vermischung verschiedener Rassen aber kommen, wie man dieses wohl erwarten konnte, an den Kindern bald die Eigenthümlichkeiten des Vaters , bald die der Mutter durch Vererbung zur Erscheinung. Nach Pruner gerathen bei Vermischung eines Arabers mit einer Negerin die Kinder mehr nach der Mutter ; vermischt sich aber ein Neger mit einer Aegypterin , so besitzen die Kinder noch das Haar der Neger- Rasse, während die Enkel schon schlichtes Haar besitzen und in wohl allen Stücken mit den Aegyptern übereinkommen; Europäer und Türken zeugen mit abyssinischen Frauen Kinder, welche in ihren Körperformen den Bewohnern der iberischen Halbinsel nahe stehen, jedoch einen Mangel an Gesichtsausdruck bekunden. „Van der Burg behauptet, die Erfahrung bei Mischehen zwischen Chinesen und javanischen Frauen gemacht zu haben, dass gerade die Kinder, welche denselben entsprossen waren, mehr den mongolischen Typus zeigten und auch in Sitten, Gebräuchen, Manieren und Denken (kaufmännischen Eigenschaften) dem Vater glichen. Ich kann dieser Beobachtung in allen Stücken beipflichten. " (Beyfuss. ) Die Mischlinge von Javanin und Europäern sind fast durchweg auffallend hübsch; sie haben nicht, wie die Malayinnen gewöhnlich, die allzukeck aufgestülpte Nase, die allzugrosse Breite des lächelnden Mundes und das Herausfordernde der zu schmal geschlitzten Augen. Bei Kanaken- Frauen auf Hawai (Sandwich- Inseln) , die mit Männern von verschiedener Rasse Kinder erzeugt hatten, konnte Richard Neuhauss constatiren, dass beispielsweise die Eine derselben ein Kind von einem Vollblut - Kanaken , eins von einem Chinesen und eins von einem Melanesier hatte, von denen alle unverkennbare Spuren des Vaters trugen bei dem Halb - Chinesen geschlitzte Augen und vorspringende Backenknochen, beim Halb - Melanesier spiralig gekräuseltes Haar und das auffallend grosse Weisse im Auge. In Honolulu sah Neuhauss zwei Halb- Europäer (der Vater ein Deutscher) , bei denen nur wenig noch 4* 52 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. an die Kanaka -Abkunft erinnerte. So glichen also die männlichen Abkömmlinge mehr dem Vater. Ganz anders waren die Erscheinungen bei einer Halbblut- Familie, in der der Vater ein Norweger mit blauen Augen und blondem Haar, die Mutter ein Kanaka- Weib war. Die beiden dieser Ehe entstammenden Töchter hatten die dunkle Hautfarbe und die Züge, auch die grosse Körperfülle, die massive Nase, die dunkelbraunen Augen und Haare der Eingeborenen. Nach Riedel¹ sind die Kinder von Chinesen , welche diese mit Weibern der Aaru- Insulaner gezeugt haben, je nach dem Geschlecht verschieden von Farbe, die Mädchen heller, die Knaben dunkler. Finsch fand unter den Mischlingen der Maori frauen Neuseelands mit Europäern wirkliche Schönheiten, die er unter den Eingeborenen niemals beobachtete. Mischlinge von Gilbert - Insulanerinnen (Mikronesien) mit Weissen unterscheiden sich leicht durch die hellere Hautfärbung, die sanft gerötheten Lippen und den europäischen Gesichtsausdruck . Mischlinge von einem weissen Vater und einer Ponapesin (Carolinen - Inseln) zeichneten sich vor Europäerinnen nur durch dunkleren Teint aus. Zweimal mit Weissen gemischtes Blut, also Dreiviertel Weiss, ist von Weissen gar nicht mehr zu unterscheiden und ebenso hell als letztere. Von HalbblutSamoanerinnen gilt das Gleiche. Die zweijährige Tochter eines Weissen und einer Frau aus Neuguinea erschien wie ein dunkel sonnenverbranntes Europäerkind mit lockigem blonden Haar, tiefdunklen Augen und rothen Lippen (Finsch 2) . Durch die Vermischung namentlich der europäischen mit anderen Rassen scheint in den weiblichen Bastarden eine erhöhte Schönheit gezüchtet zu werden. Schmarda hebt bei den Mischlingen der Malayen und Europäer besonders die Schönheit des weiblichen Geschlechts hervor. Der Körperbau der Mulattinnen ist nach Berghaus zierlich ; etwas kürzere Arme, ganz allerliebste Hände, eine ausnehmend schön gewölbte Brust, die schönste Taille und unbeschreiblich kleine, gefällige Füsse machen die ganze Persönlichkeit zu einem höchst angenehmen reizenden Wesen ; es ist gar kein Vergleich zwischen einer weissen, indolenten, gleichgültigen Brasilianerin und diesen ausgelassenen, munteren, oft tollen und dabei hübschen Mulattinnen möglich. “ Auch v. Nordenskjöld bestätigt die grössere Schönheit der Mischlinge bei der weiblichen Bevölkerung Grönlands: „Die Frauen waren sorgfältig gekleidet, und etliche Halbblut- Mädchen mit ihren braunen Augen und gesunden, vollen, beinahe europäischen Zügen waren ziemlich hübsch, " Im nordwestlichen Amerika giebt es eine Mischrasse oder Halbblütige, die Bois - Brulés , welche von den eingewanderten Franzosen und den Indianern ( Sioux etc. ) abstammen. Die Frauen dieser francocanadischen Mestizenrasse sind im Allgemeinen weisser als die Männer und selbst noch etwas blässer und farbloser ; viele Mestizinnen können an Weisse und Feinheit der Haut es mit den zartesten europäischen Damen aufnehmen ; ihre Züge sind regelmässig und graziös , und man findet unter ihnen oft Mädchen mit wahrhaft klassischer Schönheit. (Harard.) Auch in Chile leben viele Mischlinge (Kreolen) aus indianischem und weissem Blute (Araucaner und Spanier) . Die Frauen und Mädchen haben, wie Treutler beschreibt, gewöhnlich einen schönen weissen Teint, schönes, schwarzes, etwas starkes Haar, sehr feurige, ausdrucksvolle Augen, 13. Die Mischung der Rassen steigert meist die Entwickelung weiblicher Schönheit . 53 etwas gebogene Nase, feine, aber stark markirte schwarze Augenbrauen, welche einen Halbkreis bilden , sehr lange. seidenartige Augenwimpern, herrliche Zähne, schöne Büste, sehr kleine Ohren, Hände und Füsse und graziöse Bewegungen. Es giebt unter ihnen auch viele, welche blondes Haar und blaue Augen haben. Steller sagt von den Itälmenen in Kamtschatka : ..Man trifft unter denen mit breiten Gesichtern solche Schönheiten an, dass sie dem besten chinesischen Frauenzimmer nichts nachgeben. Die Kosaken - Kinder aber von russischen Vätern und itälmenischen Müttern sehen dergestalt wohl aus, dass man gauz vollkommene Schönheiten darunter antrifft. Das Gesicht wird gemeiniglich länglich und europäisch, dabei die itälmenischen schwarzen Haare, Augen und Augenbrauen, die weisse zarte und glatte Haut, nebst der rosenrothen Farbe der Wangen eine ganz besondere Zierde giebet, sind dabey sehr ambitiös, verschlagen, heimlich, verliebt und bezaubern diejenigen, so sich von Moskau ab bis hierher in kein verbothenes Liebesverständniss ein- gelassen. " Es würde unzweifelhaft von nicht geringem anthropologischen Interesse sein, die Mischlinge verschiedener Rassen genau zu untersuchen. Denn wenn auch, wie wir soeben gesehen haben, für gewöhnlich durch Rassenkreuzung die Schönheit gesteigert wird, so findet dieses doch nicht immer statt. Unter welchen Verhältnissen kann man durch die Kreuzung bei den Nachkommen eine Verschönerung erwarten ? unter welchen Umständen überwiegen bei den Producten der Kreuzung die Eigenschaften des Vaters und unter welchen die der Mutter? Wir würden hierdurch einen neuen Einblick erhalten, was wir als stärkere und was wir als inferiore Rassen anzusehen haben. Vielleicht müssen wir es bereits als eine Art der durch die Rassenkreuzung bedingten Verkümmerung betrachten, was Schliephake über die Cumberland - Eskimo berichtet : ,,Weitaus die kleinsten Individuen. welche ich zu Gesicht bekam, waren übrigens Mischlinge. Es waren Bruder und Schwester, dem Concubinat eines vor etwa zwanzig Jahren im Cumberlandsunde anwesend gewesenen Whalersteuermannes portugiesischer Abkunft und eines Eskimoweibes entsprossen . " Jedoch ist, wie wir sahen, für die Annahme, dass eine Rassenkreuzung wenigstens bei dem weiblichen Geschlechte die Schönheit steigert, ein schon nicht mehr unbeträchtliches Material vorhanden. Man könnte vielleicht den Einwurf machen, dass diese Verschönerung keine absolute sei, sondern dass sie nur den Augen des Europäers als eine solche erschiene, weil der Mischling dem europäischen Typus natürlicher Weise ähnlicher sein müsse, als die Weiber von reiner Rasse. Dem vermögen wir aber nun schon zwei Thatsachen entgegenzustellen. Denn v. Nordenskjöld behauptet, dass jetzt auch schon die Eskimos von der grösseren Hässlichkeit ihres eigenen Typus durchdrungen wären ; und auch Kropf berichtet von den Xosa - Kaffern , dass sie die hellere Farbe der Mischlinge für die schönere halten und dass die Töchter eines weissen Vaters und einer farbigen Mutter als Frauen ausserordentlich begehrt werden. Eine kleine Auswahl von Repräsentanten menschlicher Rassenkreuzung sind auf Tafel VIII nach photographischen Aufnahmen zur Darstellung gebracht worden. 54 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. 14. Die Verkümmerung des weiblichen Geschlechts. Wenn ein Volk verkümmert , so geht auch dem weiblichen Geschlechte der Sinn für eigene Haltung und schönes Benehmen verloren. Die Geschichte weist genügende Beispiele auf, welche dieser Behauptung zur Bestätigung dienen; wir greifen nur eines aus der Reihe derselben heraus. Die Insel Cypern hat in früherer Zeit eine reiche Culturperiode erlebt ; sie war die bevorzugte Cultstätte der cyprischen Venus, der meergebornen, welcher Frauen aus allen im Alterthum bekannten Ländern Weihegeschenke darbrachten ; dort fand man auch, wie die neuesten Ausgrabungen lehren, einen nicht geringen Wohlstand und eine für jene Zeit hochentwickelte Stufe der Cultur. Jedenfalls nahm auch das weibliche Geschlecht äusserlich und innerlich an diesen verhältnissmässig günstigen Verhältnissen und Zuständen Theil. Allein nunmehr ist ein grosser Theil der einst fruchtbaren Insel verödet, und die Bevölkerung meist arm und ungebildet. Ueber die Indolenz der Frauen aus Cypern äussert sich Samuel White Baker folgendermaassen : „ Es war am 4. Februar und die Temperatur des Morgens und Abends zu kalt (6º C.), um zu bivouakiren. Trotz des kalten Windes umgab eine grosse Anzahl Weiber und Kinder unsere Wagen; sie fröhnten stundenlang ihrer Neugier und froren in ihren leichten, selbstgefertigten baumwollenen Kleidern. Die Kinder waren meist hübsch und viele der jüngeren Weiber von gutem Aussehen ; es war aber im Allgemeinen eine vollständige Vernachlässigung des Aeusseren bemerkbar, welche in hervorragender Weise allen Frauen in Cypern eigen ist . In den meisten Ländern, in wilden wie in civilisirten, folgen die Weiber einem natürlichen Zuge und schmücken ihre Personen in einem gewissen Grade, um sich anziehend zu machen ; aber in Cypern fehlt die nöthige Eitelkeit gänzlich, die man auf Reinlichkeit und Kleidung verwenden sollte. Der saloppe Anzug giebt ihren Gestalten ein unangenehmes Aeusseres, alle Mädchen und Frauen sehen aus, als ob sie bald Mutter werden würden. " Baker beschreibt das Aeussere näher, und wir bekommen den Eindruck, dass ihm hier die Repräsentantinnen eines verkommenen Geschlechts entgegentraten. Ganz richtig sind dabei die Bemerkungen, dass das Merkmal zurückgegangener Cultur der Mangel der natürlichen Vorliebe des Weibes ist, sich im Aeusseren möglichst schön darzustellen durch Schmuck, anständige Bekleidung u. s . w. Die Sittenzustände eines verwilderten Volkes sprechen sich namentlich auch darin aus, dass beim weiblichen Geschlecht der angeborene Sinn für eigene, auf gute Situation hindeutende, einen günstigen Eindruck auf den Begegnenden hinterlassende Erscheinung verloren gegangen ist und einer auffallenden äusseren Vernachlässigung Platz gemacht hat, welche auch auf eine Verringerung des inneren Werthes hindeutet. Neben der geistigen Verkümmerung wird auch gar bald ein Zurückgehen derjenigen Verhältnisse am Körper des weiblichen Geschlechts auftreten , welche ganz allgemein als die charakteristischen Merkmale und Vorzüge vor dem männlichen Geschlecht bezeichnet werden. Das Weib beginnt sofort durch die somatische Vernachlässigung männliche Züge, Form und Bewegungen zu bekommen; dabei wird es schnell alt und abgelebt in seiner ganzen Erscheinung. Sehr auffallende Beispiele für diese Thatsache finden wir selbst in Deutschlands Gauen : In der Oberpfalz ist das weibliche Geschlecht fast durchaus von gleicher Grösse mit der männlichen Bevölkerung, und es bestätigt sich hier die Erfahrung, die bei allen minder gebildeten Volksstämmen sich wiederholt, dass, wo das Weib in allen Beschäftigungen die 15. Die Vertheilung der weiblichen Schönheit unter den Völkern. 55 Gehülfin des Mannes ist, wie stellvertretend das Weib des Mannes, so auch der Mann des Weibes Arbeit verrichtet, auch in der äusseren Erscheinung Idas Weib die harten Züge des Mannes annimmt, und ebenso oft Männer gefunden werden mit hellen, weibischen Stimmen, als Weiber mit tiefem, rauhem Organe, eine Wahrnehmung, die mit seltener Meisterschaft auch in Riehl's Naturgeschichte des Volkes so treffend als ausführlich geschildert ist. Trotzdem finden sich auf dem Lande, wie Brenner-Schäffer in der Oberpfalz wahrnahm, die schönsten Kinderköpfe mit ausdrucksvollen Augen und Zügen bei der Landbevölkerung. Das ist noch unverarbeiteter Rohstoff. Leider, dass die Verarbeitung so mangelhaft ist. Das aufblühende Mädchen ist nur in der ersten Jugend hübsch, dann treten die Formen gröber und massenhafter hervor, und nach wenig Wochenbetten hat das kurz zuvor noch blühende Weib das Aussehen einer Matrone. " 99 Und Gleiches fand im Norden Deutschlands Goldschmidt : „ Die Schönheit und Jugendfrische der ärmeren jungen Leute im nordwestlichen Deutschland ist leider meist eine kurze ; sie überdauert die Kinderjahre nicht sehr lange Zeit. Die schwere Arbeit bei noch nicht voll entwickeltem Körper nimmt zu leicht die Fülle, die zur Schönheit nöthig ist, sie schafft frühzeitig Falten des Gesichts und Steifheit und eckige Formen des Körpers. Oft habe ich schon eine Mutter, die mir ein Kind zeigte, für die Grossmutter desselben gehalten. In jüngeren Jahren sind die Kinder der kleineren Leute in allen Bewegungen freier und leichter. Früh aber verliert sich die Gewandtheit und Beweglichkeit ; die Steifheit eines verfrühten Alters vertritt beim Beginn des Mannesalters ihre Stelle. An einem gewandten , leichten Gange, an freien, nicht eckigen Bewegungen erkennt das geübte Auge bald. dass ein Mann oder eine Frau vom Lande zu den wohlhabenden Leuten gehört, deren frühe Jugend frei war von zu schwerer Arbeit. “ Nicht allein im äusseren Aussehen, sondern auch in der Gestaltung der Skeletttheile wird das Weib unter gewissen Lebensverhältnissen dem männlichen Geschlecht so ähnlich, dass sich der sexuelle Unterschied fast ganz verwischt. G. Fritsch glaubt, dass bei den uncivilisirten Menschen Schulter- und Beckengürtel nicht ihre typische Entwickelung erlangen, z. B. bei den Kaffern sei das Becken weder recht männlich noch recht weiblich, sondern ein Gemisch, welches jedoch dem männlichen Typus näher liegt. Aehnliches scheint für die Australier zu gelten, wo nach Müller's Angaben das Weib ungemein früh altert. Von dem schnellen Verfall der Weiber der Wanjamuesi in Central - Afrika macht Reichardt folgende Schilderung: „ Das verheirathete Weib ist infolge der grossen Arbeitslast mit dem zwanzigsten bis fünfundzwanzigsten Jahre alt und sehr verändert. Die Brüste hängen schlaff und glatt wie Taschen auf den Leib, oft bis zum Gürtel herab, die Züge sind hässlich, Falten kommen zum Vorschein, der Unterleib ist stark, ein Ansatz von Fett ist ebenso oft vorhanden, wie abschreckende Magerkeit, das Gesäss sehr ausgeladen. Die Arme sind dann besonders stark und muskulös geworden von dem fort währenden Mehlstampfen und Reiben. “ 15. Die Vertheilung der weiblichen Schönheit unter den Völkern. Wenn allerdings das Urtheil über die Schönheit ganz relativ ist, so wird doch immerhin der Europäer sagen können, ob sich die Weiber einer bestimmten Rasse mehr oder weniger seinem Schönheitsideale, welches er sich im Gefolge einer geläuterten Aesthetik gebildet hat, nähern, oder ob sie sich von ihm entfernen . 56 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. Wer von uns könnte den Typus der mongolischen Rasse für schön erklären, jene Männer und Frauen mit ihren flachen, runden, nach oben zu stärker entwickelten Gesichtern, ihren kleinen , gegen die Nase zu schief gestellten Augen, ihren schmalen, wenig gebogenen Brauen, ihren hohen, vorstehenden Backenknochen, ihrer an der Stirn breit aufsitzenden, an der Wurzel flach liegenden, am Ende platt und breit gebildeten Nase, ihrem kurzen Kinn, ihren grossen, abstehenden Ohren und ihrer gelblichen Gesichtsfarbe? Und doch giebt es auch dort unter den Weibern, namentlich in Japan, Individuen , die, wenngleich nicht schön, doch immerhin hübsch genannt zu werden verdienen (z . B. Nr. 1 in Fig. 32) . Die Weiber der Mongolen bekommen, wenn sie sich seltener der freien Luft aussetzen, eine krankhaft weisse Hautfarbe. Vor allem ist aber bei dieser Rasse namentlich durch den mangelnden oder schwachen Bartwuchs der Männer eine gewisse Aehnlichkeit zwischen den beiden Geschlechtern zu bemerken, so dass es dort, wo eine weite Kleidung getragen wird, oft schwer ist , Männer- und Weibergesichter allsogleich zu unterscheiden. Welcher Europäer könnte jemals am Neger - Typus etwas Schönes finden? An jenen schwarz- oder wenigstens dunkelhäutigen, starkknochigen Figuren mit ihren langen, schmalen, im Unterkiefertheil vorstehenden Gesichtern, ihren wulstigen, aufgeworfenen Lippen, ihren breiten, dicken Nasen, grossen, weiten Nasenlöchern, krausen Haaren, ihrem stierähnlichen Nacken, ihren schwachen Waden und grossen, platten Füssen? Allein man würde sehr irren, wenn man den hier kurz angedeuteten hässlichen Typus für den in den eigentlichen Neger - Ländern allgemein herrschenden halten wollte. Missionar Koelle, ein guter Kenner der Neger - Völker, sagt: „ Was in Büchern häufig als Grundtypus der Neger- Physiognomie dargestellt wird, würde von den Negern als eine Carricatur oder im besten Falle als eine Stammesähnlichkeit angesehen werden, die aber in Bezug auf Schönheit hinter der Masse der Negerstämme zurückbliebe. " Namentlich werden gar oft von einzelnen Beobachtern die schlanken Körper der Negermädchen in ihrer Blüthezeit als reizende Erscheinungen geschildert. Und selbst den im Alter urhässlichen Hottentottenweibern erkennt man in ihrer Jugend einen leichten und zarten Körperbau, sowie Kleinheit und Zartheit der Extremitäten, der Hände und Füsse zu. (Barrow.) Wo ist das Vaterland der echten und reinen weiblichen Schönheit, die keiner künstlichen Nachhülfe bedarf? Giebt es einen Punkt auf der Erde. welchem in dieser Hinsicht die Palme gebührt? Man hat gesagt, dass ein Erdstrich die besondere Auszeichnung habe, vorzüglich schöne Frauen zu erzeugen, und dass es sich nur darum handle, welches dieser Zone angehörende Land in der Concurrenz Sieger bleibe. Zu diesem Erdstriche werden Persien, die benachbarten Gegenden des Kaukasus, insbesondere Circassien und Georgien , die europäische Türkei , Italien , das nördliche Spanien . Frankreich , England , Deutschland . Polen, Dänemark, Schweden und ein Theil Norwegens und Russlands gerechnet. Allein Jedermann weiss, dass in sehr vielen der hier genannten Länder die weibliche Schönheit im Allgemeinen doch nur innerhalb der nationalen Grenzen ein bescheidenes Maass hält, und dass überall der Grad der Vollendung und der Annäherung an das Ideal auf einer recht bescheidenen Höhe stehen bleibt, wenn man genöthigt ist, erst eine Auslese im Volke zu veranstalten und dann zu berechnen, wie viel oder wie wenig Procent-Theile den nicht allzu scharfen Geschmacks - Ansprüchen genügen. 16. Die Schönheit der Europäerinnen. 57 Wir kennen in dieser Hinsicht sehr verschiedene Urtheile, welche mehr oder weniger individuell gefärbt sind ; mir scheinen nur solche von anerkannten Aesthetikern beachtenswerth. In Rom und im römischen. Gebiete, im Allgemeinen in den Gegenden, welche Winckelmann die schönen Provinzen Italiens nennt, ist, wie er sagt, die hohe vollendete Schönheit gewissermaassen heimisch und ein Erzeugniss des sanften Himmels. Es finden sich in diesen Ländern, wie Winckelmann hervorhebt, wenig halb entworfene, unbestimmte und unbedeutende Züge des Gesichts, wie häufig jenseits der Alpen, sondern sie sind theils erhaben, theils geistreich, und die Form des Gesichts ist meist gross und voll, die Theile desselben in grösster Uebereinstimmung unter einander. Dieser enthusiastische Freund der Kunst setzt hinzu : Diese vorzügliche Bildung ist so augenscheinlich, dass der Kopf des geringsten Mannes unter dem Pöbel in dem erhabensten historischen Gemälde könnte angebracht werden, und unter den Weibern dieses Standes würde es nicht schwer sein , auch an den geringsten Orten ein Bild zu einer Juno zu finden. Eine im Jahre 1888 in Spaa veranstaltete Schönheits- Concurrenz, welche sich eines sehr lebhaften Zuspruchs von Frauen und Mädchen erfreut haben soll, ergab 19 Siegerinnen, welche sich auf 8 Länder vertheilten, nämlich auf Amerika ( 1). Belgien ( 3), Frankreich (6), Italien ( 1 ). Oesterreich (Wien) 3, Preussen (Berlin 2, Posen 1 ). Schweden (1) und Ungarn (1 ) . Die drei ersten Preise erhielten die Amerikanerin, eine Belgierin und eine Wienerin. 99 Man kann in Sachen des Geschmacks bei Beurtheilung der Frauenschönheit eines Volkes oder Volksstammes nicht vorsichtig genug sein. Eine wohlthuende Zurückhaltung in dieser Hinsicht finde ich beispielsweise in einer alten Reisebeschreibung, deren Autor Baader von unseren Landsmänninnen in Schwaben schreibt : Die Ulmer Frauenzimmer werden von vielen Kennern dieses Geschlechts worunter ich mich von Amtswegen nicht zählen darf für die schönsten in Schwaben gehalten. " Wir selbst möchten uns auch nicht von Amtswegen" zu den Kennern rechnen : namentlich würden wir leicht Gefahr laufen, die deutschen Frauen als beste Repräsentantinnen unseres Schönheits-Ideals aufzustellen. Deshalb geben wir in der folgenden Zusammenstellung ethnologischer Abschätzung der Frauenschönheit eine Reihe von Aussprüchen, die von fein abwägenden Beobachtern herrühren. - 16. Die Schönheit der Europäerinnen. Von fast allen , welche Italien bereisten, werden die körperlichen Vorzüge der Italienerinnen gerühmt, namentlich ihre dunklen Augen, und die plastischen Formen der Römerin. Freilich hat eine kühlere Betrachtung stets den Enthusiasmus auf ein geringeres Maass zurückgeführt. Der Zauber , welcher jede neue Erscheinung und Situation begleitet, ist der Grund all' der Illusionen, welche durch Reise- Phantasien und Bilder über italienische Frauen verbreitet werden, über welche aber Jeder, der längere Zeit in Italien lebte, die Achseln zuckt, wenn er sich auch selten aufgelegt fühlt, solchen Illusionen entgegenzutreten, die mit jedem neuen Maler, Dichter und ästhetischen Stilisten von Neuem erzeugt werden, und sich ebenso wenig zerstören lassen, wie Fata morgana in der Wüste oder Nebel und Dunst auf der Haide. " Diese Meinungsäusserung des vielleicht allzu scharf urtheilenden Bogumil Goltz bezieht sich allerdings vorzugsweise auf das geistige Leben der italienischen Frauen , doch trifft zum Theil sein Wort auch den Ruhm der körperlichen Schönheit ; und die zahlreichen Maler und Bild- 58 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. hauer , welche nach Italien , als höchster Kunststätte. wallfahrteten, fanden dort für ihre Studien weibliche Modelle , deren vielfach wiederholte Darstellung nicht wenig beitrug, dass sich die günstigste Meinung über die Reize der italienischen Frauenwelt überallhin verbreitete . Allein auch in diesem Lande sind manche Gegenden fruchtbarer an weiblicher Schönheit, als andere. Schon vor mehr als hundert Jahren äusserte in dieser Beziehung Volkmann : „Es giebt wenig schöne Frauenzimmer in Rom , zumal unter Vornehmen, in Venedig und Neapel sind sie häufiger. Die Italiener sagen es selbst im Sprichwort, dass die Römerinnen nicht schön sind. " Auf Sicilien fand ich auffallend wenig hübsche Gesichter und Gestalten bei Weibern, während viele Männer ein schöneres Aeusseres zeigten. Das Wort Hehn's : Hier krümmt sich der Mensch nicht unter der Peitsche der Noth, die im nordischen Winter einen Theil der Bevölkerung hässlich und blöde macht, " kann sich meiner Ansicht nach in Süditalien nur auf den männlichen Theil der Bevölkerung beziehen, denn diesem fehlt nicht nur die Belastung mit Fabrikarbeit und er theilt seine Zeit ein in ein wenig Arbeit ( noch dazu in freier Luft ) und in Faulenzen , sondern er bürdet die Lasten in erstaunlicher Weise theils dem Rücken des Esels , theils dem Kopfe des Weibes auf. Diese letzteren haben vielleicht auch in der Schönheit der Formen durch zweierlei Umstände gelitten , indem bei der gewaltigen Mischung der Rassen auf Sicilien ( Sikuler , Griechen , Römer , Germanen, Saracenen , Normannen u. s . w. ) die einzelnen dieser Rassen nicht eben ihre besseren Eigenschaften auf die Generation übertrugen, und indem zweitens dem weiblichen Geschlecht eine Stellung zugewiesen wurde , welche vielmehr eine Verkümmerung als eine Veredelung und Entwickelung der weiblichen Schönheit förderte. Die Spanierinnen geniessen einen nicht geringen Ruf bezüglich ihrer äusseren Erscheinung. Hierzu mag wohl unter Anderem die Mischung des Blutes etwas beitragen , indem die keltisch- iberischen Ureinwohner einen Theil von römischen, dann aber auch von maurischen Elementen in sich aufnahmen ; und der fruchtbare Boden der iberischen Halbinsel förderte gewiss auch die eigenthümliche Anmuth des weiblichen Körpers. „ Das Aeussere einer Spanierin , " sagt Bogumil Goltz , ist der Ausdruck ihres Charakters. Ihr schöner Wuchs, ihr majestätischer Gang , ihre sonore Stimme , ihr schwarzes, feuriges Auge, die Heftigkeit ihrer Gestikulationen, kurz der Ausdruck ihrer ganzen Persönlichkeit kündigt den Charakter an. Ihre Reize entwickeln sich früh , um zeitig zu verwelken , wozu das Klima, die hitzigen Nahrungsmittel und der sinnliche Genuss beitragen. Eine Spanierin von vierzig Jahren scheint noch einmal so alt, und ihre ganze Figur zeugt von Uebersättigung und beschleunigtem Alter. " Von den Reizen einer Granaderin , noch mehr aber einer Sevillanerin spricht auch Schweiger- Lerchenfeld mit vielem Enthusiasmus. Und der Italiener de Amicis sagt : „ Ich glaube, in keinem Lande giebt es eine Frau, welche passender als die Andalusierin erscheint , um die Männer auf den Gedanken einer Entführung zu bringen. Und dies nicht allein, weil sie die Leidenschaft, den Ursprung aller Thorheiten, erweckt, sondern auch, weil sie aussieht, als sei sie zum Fangen und Verstecken gemacht ; sie ist so klein , leicht , rundlich, elastisch, biegsam. Ihre beiden Füsschen könnte Jeder in die Tasche seines Ueberrockes stecken und sie selbst , mit einer Hand um die Taille gefasst , wie eine Puppe aufheben. Es würde genügen, den Finger auf ihren Kopf zu drücken, um sie wie ein Rohr zu knicken. Mit ihrer natürlichen Schönheit verbindet sie die Kunst zu gehen und Blicke zu werfen , die einen unschuldigen Beobachter verrückt machen könnten. " Aehnlich lautet das Urtheil von Obersteiner über die vielberühmten Reize der Andalusierinnen: Die Verhältnisszahl der schönen Frauen und Mädchen ist vielleicht in Sevilla nicht viel günstiger als in anderen , von der Natur nicht gerade stiefmütterlich bedachten Städten ; aber dass es hier einzelne so hervorragende Schönheiten giebt, wie sie in dieser Weise anderswo kaum zu finden sein dürften, unterliegt keinem Zweifel. Insonderheit die Augen - und das gilt ziemlich allgemein sind hier von einer Gluth und einer Tiefe, dass sie durch diese Eigenschaft allein die Andalusierin verrathen. Ihren Teint wissen die Damen in merkwürdiger Weise zu erhalten, trotzdem man ausser dem Fächer weder Hut noch Sonnenschirm als Schutzmittel gegen die brennende Sonne bei ihnen sieht, ja es ist anzunehmen, dass diese blendende Weisse der Haut oft auf Rechnung künstlicher Mittel zu setzen sei. Zählt man nun zu alledem noch die so kleidsame Tracht der Mantilla, die grellfarbige Blume in dem sehr üppigen dunklen Haar, die auffallende Klein- 16. Die Schönheit der Europäerinnen. 59 heit der Hände und Füsse, die lebendige Grazie des Ganges und das ausdrucksvolie Spiel mit dem nie fehlenden Fächer , so ist es kein Wunder, dass manche Reisende über die Schönheit der Andalusierinnen gar nicht zur Ruhe kommen. Freilich setzt dieser Autor in patriotischem Gefühl hinzu : Und doch können ihnen unsere deutschen Mädchen wohl noch ein Paroli bieten.". 27 Die Portugiesin unterscheidet sich wesentlich von der Spanierin. Sie ist weniger mobil und lebensfreudig, weniger aufgeweckt und von Lust beseelt, ganz und gar im öffentlichen Leben aufzugehen. Sie ist weniger sinnlich, als die Spanierin ; sie verbleibt gern im Hause und schaut gelangweilt aus den Fenstern auf die Strasse hinab. Einen Gegensatz zu diesem Frauenleben selbst in den grössten Provinzialstädten Lusitaniens bildet die Erscheinung der Residenzbewohnerin, die stolze Schöne des stolzen Lissabon. „Jedenfalls sind die Frauen Lissabons die schönsten des Landes zwischen Minho und Algarve. Der Schimmer des Vergehens und Verblühens, der sie streift, giebt ihnen einen Reiz, der viel Aehnlichkeit mit dem hat, den ein verblassendes Kunstwerk, ein durch die Jahrtausende verwitterter Prachtschmuck einflösst. " (Schweiger-Lerchenfeld.) Die Merkmale der Schönheit sind auch in Griechenland nicht gleichmässig vertheilt. Der Anblick einer schönen Frau , " sagt Adolf Bötticher , ist im Inneren Griechenlands etwas so ausserordentlich Seltenes, dass er jedesmal überraschend wirkt. Die Frau wird sehr früh reif und ist oft von dreizehn bis vierzehn Jahren bereits Mutter. Sie nährt ihr Kind bis in das fünfte und sechste Jahr ; daher oft mehrere gleichzeitig. Aber die Frau altert dabei schnell, und die harte Arbeit auf dem Felde und am Webstuhle giebt ihren Zügen etwas Herbes, ihre Formen werden grob und eckig , der Gang schleppend, was gegen die elastische, königliche Haltung der Männer auch der niedrigsten Klasse auffallend absticht. Wer die Frauen Griechenlands nur nach dem Aufenthalte in Athen beurtheilen wollte , würde sehr fehl gehen. Dort freilich , am Strande des Phaleron , lustwandelt um die kühlere Abendzeit nach dem erfrischenden Wellenbad eine reiche Schaar schöner Frauengestalten. Hört man hier die Namen Penelope , Helena, Aspasia rufen, so wird man nicht enttäuscht, wenn man nach dem Antlitz der Trägerinnen solcher Namen forscht. Gleichen sie mit dem dunkel umrahmten , feinen Oval des Gesichts , der leicht gebogenen Nase, den vollen Lippen und grossen, glänzenden Augen auch nicht dem attischen Bildhauerideale der klassischen Zeit , so dürften sie sich doch italienischen Schönheiten getrost an die Seite stellen und haben vor diesen den Vorzug der Haltung und die Wohlgeformtheit des Fusses voraus, eines Fusses, den ich weiss keine Uebersetzung die Franzosen un pied bien cambré nennen. Aber diese Damen gehören der einem behaglichen Nichtsthun lebenden Geld- und Geburtsaristokratie an, oder der hier nur spärlich vertretenen Klasse der Lilien auf dem Felde, die nicht säen, noch ernten, und die der Vater im Himmel doch kleidet und nährt, meist von den Inseln oder aus Kleinasien eingewanderte Schönheiten , die in der Hauptstadt ihr Glück zu machen gedachten und ein klägliches Ende in den Matrosenkneipen am Peiraieus nehmen, auf denen in weithin sichtbaren Lettern die Inschrift „ Synoika Aphrodites" prangt. “ ― - Von den Frauen der Neugriechen sagte schon Bartholdy: Sie haben gewöhnlich schöne, aber früh welkende Busen und werden früh beleibt ; nationale Reize bietet die Grazie und edle Bewegung des Halses nebst der Kopfhaltung. Die Frauen in Athen stehen seit alter Zeit hinter allen anderen an Schönheit , selbst hinter den dortigen Albaneserinnen zurück. " Von den in den klimatisch gesündesten Gegenden wohnenden Griechinnen äusserte Sonnini : sie haben schöne Statur und Haltung ; offene Physiognomie, sehr lebhafte Augen ; sie tragen den Kopf hoch, den Körper gerade und mehr nach hinten als vorn geneigt, sie haben noble, dabei leichte Haltung und Gang. Diese Frauen haben im Allgemeinen une taille noble et aisée, un port majestueux", sehr schöne Züge voll Würde , aber ohne kalten Ernst , vielmehr mit lebhaftem und geistvollem Ausdruck. Sonnini fand in Kreta , wo freilich die Christen von ihren türkisirten Landsleuten unterdrückt werden , die Weiber wenn auch mit Ausnahmen - weniger schön , als anderswo die Griechinnen; dagegen rühmte Sonnini im Allgemeinen die Schönheit der Frauen im Archipelagus : auf Tinos u. s . w. , auch St. Sauveur nennt die Frauen auf Leucadia meist schön. - Die Spartanerinnen fand Pouqueville blauängig, hager, doch schön und edel ge- 60 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. baut, die Messenierinnen klein , mit regelmässigen Gesichtszügen, grossen, blauen Augen. langem, schwarzem Haar. In Chios fand de Amicis „ robuste" Frauen. (Diefenbach³.) Die albanesischen Frauen verfügen selten über äussere Vorzüge. In den Gebirgsdistricten sind sie grobknochig gebaut und die Gesichter weisen harte, männliche Züge auf. In Süd - Albanien gelangt der griechische Typus hin und wieder zum Durchbruch, doch sind auch hier die Frauen fast durchweg unschön. (Schweiger-Lerchenfeld.) Die Albaneserinnen , sogenannte Clementinerinnen , welche in einen Theil Syrmiens (im kroatischen Grenzlande) eingewandert sind, haben meist schön geschnittene Gesichtszüge und mandelförmig geschlitzte, dunkle Augen, sind schlank und geschmeidig, ihr Gang ist schön. (Kramberger.) Die Malteserinnen sind keine Italienerinnen und erinnern auch nicht sehr stark an die Griechinnen ; sie haben etwas edel arabisches mit ihren ovalen Gesichtern, der nach unten zu herabgebogenen, scharfgeschnittenen Nase und ihren gluthvollen, aber verschleierten Augen. Von Gestalt sind sie gross und schlank, ihre Gesichtsfarbe ist dunkel. Die Rumäninnen aller Stände findet Franzos hübsch , von üppig stolzem, doch schlankem und schmiegbarem Wuchse; Farbe braun: Augen und Haar schwarz. Nach Kanitz haben die Rumäninnen in Serbien weichere und rundere Formen , als die Serbinnen , schlanken, elastischen Bau, schöne anmuthige Gestalt und Bewegung; Augen feurig, meist dunkel, Wimpern lang. Brauen dicht, Beine rund, Füsse schmal und klein : Kopf, Gesicht, Nase, Mund mahnen an antike Statuen. Die Bulgarinnen sind nach Kanitz nicht selten schön, haben tiefe Farbe, frisches Aussehen , doch welken sie früh . Quin sah schöne Bulgarinnen mit dunklen Augen und Haaren. Eine recht günstige Meinung erhalten wir von den Serbinnen durch die Mittheilung Franz Scherer's, welcher schreibt : „ Dass in Serbien , einem von Natur so sehr bevorzugten Lande, auch schöne Frauen zu gedeihen vermögen, wird wohl kaum Jemand bezweifeln. Besonders in den Städten Serbiens begegnet man oft sehr edlen Frauengestalten ; man sieht darunter Gesichter vom feinsten Schnitt und oft wahrhaft überraschender Schönheit . Ein lebhaftes dunkles Auge und ein eben solches Haar, ein auffallend blasser und dabei doch etwas südlich schimmernder Teint, sanft angehaucht von dem anmuthigen Roth der Wangen , geben solch einem Gesichte etwas ungemein Vornehmes ; denkt man sich noch dazu die tadellose Gestalt solch einer Schönheit ringsumflossen von dem sich an die edlen Formen des Körpers in geschmeidigen Linien höchst vortheilhaft anschliessenden Nationalcostüm , und man hat ein prächtiges Bild . “ Denjenigen Serbinnen , welche an der sogenannten oberen Militärgrenze wohnen, und welche von den in Syrmien , in der Bacska und dem Banate wohnenden Serbinnen sehr verschieden sind, widmete der Baron Rajacsich eine eingehende Betrachtung. Sie haben einen stärkeren Körperbau, volleren Busen, starke Hinterbacken und Waden. eine entwickeltere Muskulatur, sie sind auch etwas breitschultriger mit Ausnahme einiger Gegenden der Bacska und des Kikindaer Districts. Ferner haben sie einen stärkeren Haarwuchs, viel stärkere und dichtere Augenbrauen als die Bevölkerung dieser unabsehbaren Ebenen. Im Allgemeinen hat die Physiognomie der Serbin eine Aehnlichkeit mit dem griechischen Typus , indem sich die griechische Bevölkerung der BalkanHalbinsel mit den Südslaven mischte. Rajacsich setzt hinzu : „Wenn auch die Serbin an der Grenze von Croatien und Slavonien dunklere und geheimnissvollere Augen hat, ihr Blick der Liebe unzugänglich scheint, so liegt in dem sanfteren Auge der verführerischen Banaterin eine bezaubernde Schönheit und eine grosse Poesie , die eine magische Kraft auf jeden Mann ausüben muss. Obwohl ich längere Zeit unter dem schönen italienischen Volke lebte und so manches reizende und verführerische Auge sah , konnte ich mich nicht der zartesten Gefühle erwehren , wenn ich den eleganten, schlanken Wuchs der Mädchen, besonders aber jener im Tschaikisten- Bataillon, ihre schön geformten Nasen, ihren lieblichen, kleinen, wonnelächelnden und süssen Mund und bezaubernde Schönheiten in so grosser Menge sah. " Die Weiber in Montenegro , obwohl in der ersten Jugendblüthe recht anmuthig, erscheinen doch, wie Bernhard Schwarz versichert, sehr bald schon verfallen, hartknochig, 16. Die Schönheit der Europäerinnen. 61 eckig und runzelig , sind auch im Allgemeinen von viel kleinerer Figur , als die Männer. Es hängt dies, wie Schwarz sagt, zum nicht geringen Theile mit dem ihnen beschiedenen Leben zusammen. Die Frau vertritt hier das Lastthier ; man sieht sie oft tief gebückt mit Lasten von einem Centner und mehr einherwandeln, und während der Rücken so belastet ist, handhaben die schwieligen Hände auch noch den Strickstrumpf. Während bei den Südslaven zumeist der Typus der äusseren Erscheinung des Mannes schöner ist, als der des Weibes, bilden nur die Kroaten eine Ausnahme; bei letzteren ist das Weib schöner, als der Mann. Ein genauer Kenner dieser Völker sagt : Steigert sich die äussere Erscheinung des Weibes namentlich in Slavonien zur reizvollen Schönheit , so ist das Frauengeschlecht in der steinigen Cernagora ( in den Felsengebirgen Montenegros) hager, reizlos , von düsterem Wesen, ohne Heiterkeit, ein trauriger Ausdruck seines ganzen unglücklichen Daseins. " ( Ausland 1883.) Von den Türkinnen, insbesondere den Frauen der Osmanen , welche weniger als die in Konstantinopel meist eingeführten Frauen durch Mischung entartet sind und auf dem Lande in der europäischen und vorderasiatischen Türkei wohnen, heisst es, dass sie im Allgemeinen unschön sind mit Ausnahme des Haares und der gewöhnlich dunklen, selten blauen Augen; sie haben gerade, ziemlich grosse Nase und einen übergrossen Mund (Didaskalia 1877) . Nach anderer Angabe sind sie nie schön, vielmehr die Züge unregelmässig ; der Kopf nicht edel- oval ; gewöhnlich die Augensterne gross und dunkel mit bläulich weisser Umrandung , die Lider schwer, die Brauen und Wimpern voll und dicht ; das Haar schwarz oder braun, selten üppig . Nase und Mund meist gross, die Füsse selten schön; dagegen die Kinnparthie lieblich, die Stirn manchmal von freiem Umriss. De Amicis schildert die Türkinnen in Konstantinopel , abgesehen von den bedeutenden Abweichungen durch Blutmischung , durchschnittlich meist fett , viele unter Mittelgrösse, sehr weiss, aber gewöhnlich geschminkt ; Augen schwarz, Mund roth und sanft ; ovale Gesichtsform, kleine Nase, ein wenig starke Lippen, rundes Kinn, der schöne Hals lang und beweglich ; Hände klein. Die magyarischen Mädchen und Frauen nennt ein vielleicht allzu sehr schwärmender Mann Erscheinungen von pikantem Reize, Musterbilder von körperlicher und seelischer Gesundheit. " Die Polin zählt man gewöhnlich unter die europäischen Schönheits- Ideale. Schweiger- Lerchenfeld vergleicht die Polinnen besonders zu ihrem Vortheil mit den Russinnen: Ihre Erscheinung besitzt in der That etwas Blendendes, namentlich durch den ruhigen, fast klassischen Schnitt der Gesichtszüge. Sie ist viel graziöser als die Russin , und ihre Eleganz verräth jedenfalls mehr Geschmack, als wir bei dieser wahrzunehmen in der Lage sind. Dabei ist sie durchschnittlich viel zarter gebaut, der Teint ist durchsichtiger und feiner, das dunkle Auge verräth grosse Lebhaftigkeit, ohne jenen sinnlichen Schmelz zu besitzen, der beispielsweise an den blauen Augensternen der Nord- Russin haftet. Alles in Allem präsentirt sich die polnische Dame als ein Bild von hervorragender Rassenschönheit, zu der sich eine natürliche Anmuth gesellt, die man sonst nur bei romanischen Frauen anzutreffen pflegt. “ Die Polinnen nannte Bogumil Goltz die „ Spanierinnen des Nordens“ : „ sie haben dunkle, schön bewimperte, schmachtende, liebetrunkene, feucht verklärte Augen, welche sie in italienische , arabische und alle anderen Augen umzuwandeln vermögen, und mit denen sie eben so leicht Guido Reni's Magdalenen porträtiren können, als racheschnaubende Megären, als Aspasien, Heloisen und Chlorinden . " Auch gehört nach Goltz zu ihren originellsten und hinreissenden Schönheiten : ein weicher, schmiegsamer und biegsamer Wuchs, von jener mittleren Grösse und Constitution, welche die Eleganz dictirt ; ein Wuchs, der durch kein Schnürleib versteift und verstärkt wird, vielmehr in der Bekleidung köstlicher Seiden- Roben eine Taille von reizender Feinheit bildet, an welcher die leiseste Bewegung eine lebengeschwellte und graziöse werden muss. „Denkt man sich, " so fährt Goltz fort, zu diesen Liebes - Waffen einer polnischen Eva noch eine zierliche , weisse, weiche, selbst bei Hausfrauen noch im späteren Alter durch Handschuhe und durch Nichtsthun conservirte Hand, einen kleinen, schmalen, hochgestellten Fuss, eine hervorspringende Hacke, so kann man sich erklären, wie die so schon lebhaften polnischen Männer sich zu einer Ritterlichkeit, zu einer Leidenschaftlichkeit fortgerissen fühlen , die 62 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. schwerlich noch in einem anderen Lande als in Spanien heutzutage ihres Gleichen findet. " Offenbar hat Bogumil Goltz hier nur die vornehmen , den aristokratischen Kreisen angehörenden Polinnen im Auge ; von den bäuerlichen und bürgerlichen Vertreterinnen dieses Volkes spricht er nicht. ,, In Sachen russischer Frauenschönheit, so berichtet Schweiger- Lerchenfeld, gehen die Ansichten erheblich auseinander. Es kommt viel darauf an, ob man dieselben an dem Typus einer Gross - Russin oder an dem einer Klein - Russin , oder vollends an dem einer in das Raffinement der Toilette und Selbstverschönerung eingeweihten Dame der vornehmen Gesellschaft festhält . Die Klein- Russin , dem Temperament nach viel lebhafter und feuriger als ihre nördliche Schwester, trägt auch äusserlich die Merkmale einer mehr südlichen Rasse. Sie ist gross , schlank, hat dunkle ausdrucksvolle Augen und schwarze Haare, welche kokett durch ein fingerbreites Band emporgehalten werden. Die Formen des Körpers sind von so aristokratischer Feinheit und Zierlichkeit, dass man unwillkürlich an das polnische Blut erinnert wird. Die Gross - Russin ist, obwohl kleiner von Gestalt , viel derbknochiger, als ihre südliche Stammverwandte , und ihre Körperformen besitzen die ausgesprochene Neigung zu übermässiger Abrundung. Das Auge ist hell und besitzt einen freundlichen Ausdruck ; eine sorglose Munterkeit ohne Schwärmerei spricht aus ihm, aber man vermisst auch die warme Empfindung und vollends die schwüle Leidenschaft , die mitunter die Seele der Süd - Russin durchwühlt. Neben den blauen Augen gemahnt auch noch das lichte , meist aschblonde Haar an die nördlichen Heimsitze , denen die Gross - Russin angehört. Im Grossen und Ganzen," so schliesst Schweiger-Lerchenfeld, macht auch sie keinen unvortheilhaften Eindruck, will man von dem etwas breitknochigen, nicht sehr fein modellirten Gesichte absehen. “ Im Gouvernement Kostroma , ziemlich im Norden des Zarenreichs, an der Wolga , benachbart Nischnei - Nowgorod gelegen, ist der Menschentypus echt russisch , doch sind die Gesichtszüge hier weniger stumpf und bei den Frauen oft orientalisch scharf und länglich ; die gebogene Nase , der rothe , fein geschnittene Mund, die dunklen , melancholischen Augen mit den starken Brauen, die nicht hohe, glatte, breite Stirn und die brünette Hautfarbe weisen auf den Orient hin . „ Was die Frauen anbelangt, so begegnet man namentlich in den zwei letzterwähnten Fractionen der Krim- Tataren ( Gebirgs - Tataren und littorale Tataren ) nicht selten vollkommenen Idealen der Frauenschönheit, wie dies auch in der europäischen Türkei der Fall ist, nur dass sie hier so , wie dort in Folge des frühen Heirathens und wegen der anstrengenden Arbeit, der sie unterworfen sind, recht früh altern und verwelkten Matronen ähnlich sehen. " (Vambéry ) Die Lappen - Frauen nannte Olaus Magnus hübsch , ihre Gesichtsfarbe aus Weiss und Roth gemischt ; Reynard ( im 17. Jahrh. ) sagt : Ihr Haar ist meist roth, wird selten grau im Alter. Die Weiber der Esthen haben weit lebendigere und schönere Gesichtszuge als ihre Männer ; auch nach Baer mehr gelberes Haar, als diese , niemals schwarzes. Unter den Schwedinnen scheinen die Dalekarlierinnen den Preis der Schönheit am meisten zu verdienen. Du Chaillu sagt von ihnen : Auch unter den Frauen trifft man zahlreiche stattliche Erscheinungen, und viele der jungen Mädchen besitzen jene eigenartig schöne schwedische Gesichtsfarbe, welche an Frische, Reinheit und Durchsichtigkeit in keinem anderen Lande ihresgleichen findet , in allerhöchster Vollkommenheit. Eine in Milch schwimmende Apfelblüthe dies ist der einzige Vergleich, den ich für die zarte Rosenfarbe ihrer Wangen zu geben vermag. Die Schwedinnen allein dürfen sich rühmen, jenen wunderbaren Rosenschimmer zu besitzen , der wie ein matter Anhauch leise und allmählich in das entzückende Weiss der Haut übergeht und ihnen einen so eigenartig wirkenden Reiz verleiht . Vereinigen sich nun -- wie bei den Mädchen von Orsa , einer Pfarrei in Dalekarlien mit so tadellosem Teint tiefblaue Augen, kirschrothe Lippen , schöne , durch das Kauen des Kåda (Fichtenharz) blendendweiss erhaltene Zähne und blondes, seidenweiches Haar, so stellt sich uns ein Bild weiblicher Schönheit dar, wie man es in solcher Vollendung unter keinem anderen Himmelsstriche antrifft. " Nicht überall in Schweden findet man so vorzügliche weibliche Reize. Derselbe Reisende traf in dem 12-15 Meilen entfernt von Orsa liegenden Elfdal keine einzige hübsche Frau ; die vorstehenden Backenknochen , wie die platte aufgestülpte Nase lassen 17. Die Schönheit der Asiatinnen. 63 hier die halblappische Abstammung erkennen, wie denn auch hier die meisten Frauen kurzen gedrungenen Körperbau zeigen . Dagegen äussert der gleiche Autor über die Mädchen und Weiber der Provinz Plekinge: Was der Ruf von der Schönheit der Frauen sagt, fand ich im vollsten Maasse bestätigt ; meine Ankunft erfolgte zur Zeit der Heuernte, und in eisiger Geschäftigkeit sah ich die herrlichen Gestalten sich auf den Wiesen umherbewegen ; das Wetter war warm, und so trugen die meisten ausser dem Hemde, welches eine Schürze um die Taille festhielt , keine weitere Bekleidung ; den Kopf hatten sie malerisch mit einem rothen Tuche amwunden, und obgleich das Gesicht vollkommen unbeschützt den glühenden Sonnenstrahlen ausgesetzt war, so zeigten doch die meisten Frauen und Mädchen jene blendende Weisse und Zartheit der Gesichtsfarbe, wie sie eben nur schwe- dischen Schönen eigen zu sein pflegt. " Die typische Frauenschöne ist nach Ranke¹ in Oberbayern leicht gebräunt mit dunklem , manchmal schwarzem Haar, und das braune Auge leuchtet von Lebenskraft und Lebensmuth , welche sich ebenso in jeder Bewegung des schlanken, aber muskelkräftigen Körpers aussprechen . Auch lichte blaue Augen kennen hier einen mädchenhaft- schmach- tenden Ausdruck nicht. 17. Die Schönheit der Asiatinnen. Die Ostjaken, Samojeden , Korjäken und Kamtschadalen gehören zu einer, nach unseren Begriffen höchst unschönen Völkergruppe, und insbesondere gelten bei den meisten Reisenden ihre Weiber fast durchgängig für hässlich. Man schrieb von diesen Frauen : „ Aller weiblichen Anmuth beraubt, unterscheiden sie sich von den Männern bloss durch die Verschiedenheit der Geschlechtstheile ; sie sind denselben so sehr ähnlich, dass man beide Geschlechter auf den ersten Blick nicht leicht unterscheiden kann. Ihre Haut hat gemeiniglich eine Olivenfarbe ; sie sind von Statur zumeist klein . " Und doch durfte man eine junge Samojedin , welche sich im Jahre 1882 in Leipzig und anderen Städten dem Publikum zeigte, nicht eben als ,,hässlich" , wenn auch nicht als schön bezeichnen. Die Männer der Tschuktschen haben, wie v Nordenskjöld fand, eine braune Haut, während die Haut bei den jungen Tschuktschen - Weibern nahezu ebenso weiss und roth, wie bei den Europäern ist . Die jüngeren Weiber machen oft den Eindruck des Anmuthigen , vorausgesetzt , dass man es vermag, sich des widerlichen Eindrucks zu erwehren, den der Schmutz und der Thrangestank hervorrufen. Die Weiber der Botjaken fanden Gmelin und Pallas klein, nicht hübsch; auch die Mordwinen haben nach Pallas nur selten schöne Frauen. Das Gesicht der Kalmückinnen sieht nicht unangenehm aus. Dass es auch unter ihnen sogar Schönheiten in ihrer Art giebt, bezeugt Kollmann, welcher unter einer in Basel vorgezeigten Kalmücken - Horde die Fran Buwa, Mutter von drei Kindern, als solche bezeichnet, indem er von ihr sagt : „ Höher gewachsen als alle anderen, schlank und doch kräftig . Hände klein, feine Knochen; die Nase ist fein, leicht gekrümmt, der Rücken beschreibt eine schön geschwungene Linie, schon dadurch verliert das breite Gesicht seine platte Oede ; Augenspalte weit offen, die Plica marginalis sehr schwach, so dass der innere Augenwinkel frei ist . Augenwimpern lang , Lider dünn im Gegensatz zu ihren Genossinnen und den Samojedenfrauen. aus Südungarn. " Die Gesichtsbildung erinnert an die mancher Männer und Frauen Ueber die Yakuten berichtet Ermann : „ Ihre oft schön gebauten Frauen haben regelmässige Züge, feurige, schwarze Augen, lebhaftes und fröhliches Wesen, sie welken aber früh. " Was die Physiognomie der Frauen von den westlichen der sibirischen Türken ( Tataren) anbelangt, so zeichnet sich dieselbe durch Regelmässigkeit, mitunter durch Anmuth aus ; ihre Gesichtsfarbe ist bedeutend weisser als die ihrer Männer; sie haben ganz dunkle und lange Haare, ihre Körperformen sind gerundet und weich, die Endtheile ziemlich proportionirt ; die Schultern sind bisweilen rückwärts geworfen, der Bauch hin- 64 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. gegen nach vorwärts gestreckt. Sehr beeinträchtigend wirkt auf die äussere Erscheinung der Tataren das bisweilen allzu starke Hervortreten der Backenknochen und das häufige Auftreten der Augenschmerzen, denen sie infolge des Wohnens in raucherfüllten Räumlichkeiten ausgesetzt sind. Die Frauen, namentlich wenn sie das dreissigste Jahr überschritten haben, zeichnen sich durch grössere Wohlbeleibtheit aus, als die Männer. " (Vambéry) Die Turkmenen- Frauen beschreibt Burnes als blond und oft hübsch. Fraser sagt von den Frauen der Göklen , die weniger tatarisch aussehen, als die Tekke's: " Neben meist gelben, hässlichen und abgemagerten Frauen sah ich sehr schöne jüngere mit nussbraunem und röthlichem Teint, angenehmen, regelmässigen, gescheidten Gesichtern , durchdringenden schwarzen Augen. “ Während die Männer in Afghanistan als schön gelobt werden, lässt sich dies von den afghanischen Frauen keineswegs behaupten. In Jarkand sind die Frauen meist hübsch und haben frische, angenehme Physiognomien ; ihre Füsse sind klein und wohlgestaltet. Die persische Frau, sagt Polak, ist von mittlerer Statur, weder mager noch fett . Sie hat grosse, offene, mandelförmig geschlitzte, von Wollust trunkene Augen und feingewölbte, über der Nase zusammengewachsene Brauen ; ein rundes Gesicht wird hochgepriesen und von den Dichtern als Mondgesicht besungen. Ihre Extremitäten sind besonders schön geformt ; Brust und Hüften sind breit , die Hautfarbe etwas brünett ; die Haare sind dunkelkastanienbraun, der Haarboden sehr üppig. Man trachtet allerdings durch künstliche Mittel ( Schminken, Schwärzen der Brauen u. s . w. ) die Körperschönheit zu erhöhen. In Haltung und Bewegung ist die Perserin graziös, ihr Gang ist leicht , frei und flüchtig. Den armenischen Frauen schreibt Crousse zu: ,,une beauté puissante, épanouie , vigoureuse, comme celle des races fortes. " De Amicis sagt : Schönheit und Reichthum der Formen, Beleibtheit, weisse Farbe, orientalisches" Adlerprofil, grosse Augen mit langen Wimpern, das Gesicht ohne den geistigen Schimmer des griechischen Frauengesichts. Schindler sagt : Die Frauen der wohlhabenden, unterrichteten und kriegsmuthigen Armenier in Feridan haben sehr rothe Gesichter. Karsten fand bei ihnen häufig schöne Gestalten und regelmässig ovale Gesichter, schwarze blitzende Augen , reiches schwarzes Haar. Ein anderer Autor giebt ihnen Schönheit, edle Züge, schlanken Wuchs, ebenmässige Gieder, zarten Teint, reiches Haar. Man hat bekanntlich gewisse Gegenden des Kaukasus, insbesondere Circassien , Georgien und Mingrelien als das Eldorado der weiblichen Schönheit gepriesen, namentlich in früherer Zeit ; sie lieferten die trefflichste Harems -Waare nach Konstantinopel. Man sagte, dass diese Weiber mit den regelmässigsten Zügen und dem reinsten Blute die ausgebildetsten Formen verbinden. Nach Ausspruch des französischen Reisenden Chardin, der im vorigen Jahrhundert jene Länder besuchte, sind die Georgierinnen gross, wohlgebaut und ihr Wuchs ist ungemein frei und leicht. Die Circassierinnen sollen nach ihm eben so schön sein ; ihre Stirn hoch; ein Faden von der feinsten Schwärze zeichnet anmuthig ihre Augenbrauen ; die Augen sind gross, liebreizend, voller Feuer; die Nase schön geformt ; der Mund lachend und rein ; die Lippen roserroth, und das Kinn so, wie es sein muss, um das Eirund des vollkommensten Gesichtes zu begrenzen. Dazu kommt die schönste, frischeste Haut, welche die Sclavenhändler zu Kaffa ungescheut Proben bestehen liessen, um zu zeigen, dass der Käufer nicht etwa durch aufgelegtes Colorit getäuscht werde. Auch sagt Chardin : „ Es giebt in Mingrelien wunderschöne Weiber, von majestätischem Anschen und herrlichem Antlitz und Wuchs. Dabei haben sie einen Blick, der alle , die sie sehen, umstrickt. “ Nach Pallas u. A. sind auch die Frauen der Tscherkessen schön, doch unter ihrem Rufe, wenn auch meist gut gebildet, weiss von Haut, mit regelmässigen Zügen, kurzen Schenkeln. Manche Tscherkessinnen haben eine aufgestülpte Nase und rothe Haare, auch nicht immer so regelmässige Züge, wie die Mingrelierinnen. Um eine schlanke Taille hervorzubringen und zu erhalten und das Fett- und Wohlbeleibtwerden, das doch sonst im Orient vielfach als Schönheit gilt, zu verhindern, beköstigen die tscherkessischen Mütter die Mädchen fast nur mit Milch und sie legen ihnen im fünften oder sechsten Jahre eine starke Schnürbrust an. 17. Die Schönheit der Asiatinnen. 65 Bodenstedt sagt von den Tscherkessinnen : „ Unter den erwachsenen Mädchen fand ich nur vier, die wirklich Schönheiten in unserem Sinne des Wortes waren. Die übrigen zeichneten sich mehr durch schlanken Wuchs und durch die Kleinheit ihrer Ohren, Hände und Füsse aus. Schwarzes Haar und dunkle Augen kommen bei ihnen nicht häufiger vor als bei uns, von den Anwesenden hatten die meisten blondes oder helles Haar und blaue oder hellbraune Augen. " Die Hindu- Frau ist nach Paul Mantegazza¹ schön und hat eine zärtliche, leidenschaftliche Natur. Sie hat fast immer einige Schönheiten, nachtschwarze Augen, glühend wie die tropische Zone, gross, von langen Wimpern umschlossen und von dichten Augenbrauen überschattet ; Schultern, Arme und Busen sind einer griechischen Statue würdig , kleine Füsse, die vom Druck tyrannischer Schuhe nicht entstellt , sondern durch Ringe und langes Ruhen verschönert sind. Hässlich dagegen wird sie durch ihre Hautfarbe, die zu schmächtigen Gliedmaassen und die durch den täglichen Gebrauch von panSupari geschwärzten Zähne. Die freie Vergattung , wie sie namentlich in Indien unter der Nayer - Rasse herrscht, scheint nach den Erfolgen der seit Jahrhunderten wirkenden Zuchtwahl auf die Rasse nicht ungünstig zu wirken. Die Frauen werden von Jagor¹ als ungemein zierlich, zart, reinlich, elegant, anmuthig und verführerisch geschildert und sollen trotz des heissen Klimas von auffallend weisser Hautfarbe sein. Jagor weist dabei darauf hin, dass auch in Sparta die dort bestehende Zuchtwahl, welche die schönsten Paare zusammenführte, einen Menschenschlag erzielte, der an männlicher Kraft und Tapferkeit wie an weiblicher Schönheit alle anderen Griechenstämme übertraf. Unter den Weibern der Igorroten auf den Philippinen giebt es , wie Hans Meyer fand, einige von so feinen Gesichtszügen und so weisser Haut, dass sie mit jeder hübschen Europäerin zu concurriren vermögen. Büste. Unter den Malayinnen fand Finsch hübsch gebaute Gestalten mit gut geformter Die malayischen Frauen auf der Halbinsel Malakka und einem Theile von Sumatra sind mehr derb, als zierlich gebaut ; ihre olivenfarbige, bald mehr als kupferbräunlich bezeichnete Haut lässt ein Erröthen der Wangen kaum bemerken; noch mehr als bei den Männern sind bei ihnen Zunge, Gaumen und Mundschleimhaut stark violett gefärbt. Die reinen Malayinnen auf Java sind nicht selten von tadellosem Wuchse, aber sehr selten von einigermaassen hübschen Gesichtszügen : hingegen finden sich unter den Dayakinnen von Borneo , welche uns durch photographische Aufnahmen bekannt geworden sind, sehr anmuthige Gestalten mit wohlgeformten Gesichtszügen. - Die Bewohner der Aru- Inseln sind nicht von reiner Rasse ; sie haben nicht mehr Aehnlichkeit mit dem Papua , als mit dem Malayen : auch machen sie einen europäischen Eindruck, vielleicht wie Wallace meint durch Vermischung mit Portugiesen. Die Frauen aber, ausgenommen in frühester Jugend, sind keineswegs so anmuthig, wie die Männer. Ihre scharf markirten Züge sind sehr unweiblich, und harte Arbeit, Entbehrungen und sehr frühe Heirath zerstören das, was sie an Schönheit und kräftigerem Aussehen für eine kurze Zeit vielleicht besessen haben. " Jedoch sagt Ribbe : In Watulei sah ich junge Frauen von wohlhabenden Arunesen , welche über der Brust , um den Hals und um die Hüften Perlketten trugen. In der Mitte zwischen den Brüsten werden mit Vorliebe kleine Glocken angebracht , und eine so geschmückte Dorfschöne sieht , obschon halb nackt, ganz anmuthig und reizend aus, wie überhaupt das weibliche Geschlecht in Aru durch schöne und normale Körperformen und durch Anmuth in den Bewegungen vortheilhaft von den stammverwandten Nachbarinnen absticht. Leber die Rote - Insulanerinnen sagt Graafland: Die Frauen sind bekannt wegen ihrer Schönheit . Ihr Haar ist reich, rabenschwarz, voller Glanz, glatt oder bei manchen ein wenig gekräuselt ; der Blick ist voller Leben und die Körperform eine zierliche ; sie haben meist eine zierliche Taille, lebhafte dunkle Augen, einen reichen Haarschmuck und eine lichtere Hautfarbe als die Männer, viele können auf Schönheit Anspruch machen. Die tibetanischen Frauen sind klein, schmutzig und gewöhnlich unschön, zuPloss . Das Weib. I, 3. Aufl. 5 66 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. weilea begegnet man jedoch auch erträglichen Gesichtern ; die Hautfarbe ist heller als bei den Männern, und die Zähne stehen regelmässiger. (Przewalski ) Die Japanerin macht in ihrer äusseren Erscheinung entschieden einen günstigeren Eindruck als die stammverwandte Chinesin. Namentlich ist die Japanerin der besseren Stände sehr ansprechend ; die Anmuth scheint ihr angeboren zu sein ; ihr offenes kindliches Gesicht ist ein Spiegel ihres ganzen Wesens ; die etwas schief stehenden Augen sind glänzend schwarz und besitzen einen ungemein schelmischen Ausdruck. Die Zähne sind tadellos weiss, durch Zwischenräume getrennt und ein wenig vorstehend ; das Haar ist zumeist reich. Dieses Alles bezieht sich insbesondere auf das Mädchen ; die Frau färbt sich nach landesüblicher Art die Zähne schwarz und reisst sich die Augenbrauen aus ; allein auch an den Frauen wird vor allem ihr ausserordentlich freundliches und seelenvolles Auge gerühmt. Die Frauen der Chinesen sind klein und zierlich ; so bezeichnen sie die Anthropologen der „ Norara" - Reise . Doch sagen andere Berichterstatter : Ihr Wuchs ist von mittlerer Grösse und fein , ihre Nase kurz , ihre Augen schwarz und feurig , ihr Mund klein, ihre Lippen glänzend roth, ihre Brust stark, ihre Hautfarbe weiss. Wieder Andere urtheilen : „ Die Chinesinnen füllen keineswegs das Schönheitsalbum der Erde. Sie sind klein und unansehnlich von Gestalt ; das Gesicht, bei strenger Clausur meist mit einer krankhaften Blässe bedeckt, hat gewöhnlich einen Stich ins Gelbe und ist in seiner Begrenzung nahezu kreisrund ; das charakteristische Merkmal der mongolischen Rasse, die schiefgeschlitzten Augen , sollen zwar manchem Gesicht einen pikanten Anstrich verleihen, doch wird man gut thun, anzunehmen, dass gerade die Schlitzäugigkeit den Gesichtsausdruck erheblich entstellt. Dabei kommen noch die vorstehenden Backenknochen , die kurze, platte Nase, die fleischigen Lippen und das schlichte, grobe Haar in Betracht. " 18. Die Schönheit der Oceanierinnen. Von den Polynesierinnen , deren Männer nicht selten stattliche Gestalten von klassischer Schönheit zeigen, sagt Finsch : „ Die Frauen sind im Ganzen kleiner, aber in der Jugend ebenfalls sehr hübsche Erscheinungen , mit wohlgeformter Büste , die leicht zur Fülle hinneigt. Alte Weiber sind hässlich bis abschreckend hässlich . “ Während manche Beobachter den Typus der Kanakinnen auf Hawai als hübsch bezeichnen und die Formen im jugendlichen Alter bis zum 30. Jahre wohlgestaltet fanden. stimmen alle Berichterstatter darin überein , dass sie schnell altern. Die Häuptlingsfrauen zeichnen sich, wie ihre Männer, durch athletischen Bau, sowie durch Fettleibigkeit aus, was indess nach den landläufigen Begriffen von Schönheit den physischen Reiz nur erhöht. (Bechtinger. ) Auf Tahiti giebt es einen Adel, dessen Männer meist an 6 Fuss und darüber gross, und die Weiber nicht viel kleiner sind . Auch bemerkt man bei den Weibern Neigung zur Körperfülle, doch fand man hier nicht die ungeheuren Fleischmassen wie auf Hawai. Da die Tahitierinnen reichliche Kleider tragen, auch viel im Schatten leben, so sind sie oft von so heller Farbe, dass sie rothe Backen haben, und ein Erröthen sichtbar wird. Forster ist entzückt von ihren grossen heiteren Strahlenaugen und ihrem unbeschreiblich holden Lächeln; allein er selbst sagt, dass die Weiber keine regelmässigen Schönheiten wären, dass ihr Hauptreiz vielmehr in ihrer Freundlichkeit bestehe. Die Weiber der Markesas - Inseln sind nach Porter weniger schön, als die Männer; bei sonst schönen Gliedern haben sie hässliche Füsse und einen hässlichen schwankenden Gang; nach Krusenstern ist ihr Wuchs klein , ihr Unterleib dick, allein das Gesicht schön, rundlich, mit grossen funkelnden Augen, schönen Zähnen und blühender Farbe. Daher hält es Gerland für eine übertriebene, oder nur für einzelne Bezirke gültige Behauptung, wenn Jacquinot die Markesanerinnen für hässlicher als alle übrigen Polynesierinnen erklärt. Schon dem Mendana fiel ihre Schönheit auf; er rühmt ihre Arme und Hände und ihren Wuchs und sagt, sie seien schöner, als die schönsten Weiber in Lima. Von den Melanesiern auf der Insel Tanna ( Hebriden) heisst es, dass ihre Weiber klein und später meist hässlich sind (Forster). Auf Vate , einer anderen he- 18. Die Schönheit der Oceanierinnen. 67 bridischen Insel, sind die Weiber schlank und zierlich (Erskine) ; auf Mallikollo sind sie dagegen hässlich und schlecht gewachsen, was bei der massenhaften Arbeit, welche auf ihnen liegt , nicht verwundern kann ; sie werden durch ihre sehr langen, schlauchartigen, hängenden Brüste sehr entstellt. Auch auf Aoba waren die Weiber hässlich ; auf Vanikoro aber ganz besonders hässlich, sobald sie der ersten Jugend, in der sie bisweilen hübsch sind , entwachsen sind . Die Weiber auf Tombara sind minder hübsch, als die Männer (Hunter) ; auch auf Neuguinea sind die Weiber wegen der auf ihnen lastenden Arbeit meist hässlich. Von den Papuas , die uns im Allgemeinen als wenig anziehende Erscheinungen geschildert werden , heisst es, dass es unter ihnen doch auch sehr hübsche Gesichter, besonders bei den jungen Männern und Knaben, manchmal auch bei jüngeren Frauen giebt, doch sind sehr hässliche Gesichter an der Tagesordnung. Die Weiber der Südwestküste der Insel Doreh sind nach v . Rosenberg kleiner als die Männer, welche im Allgemeinen eine mittlere Statur haben. Unverhältnissmässig dünne, magere Beine bei sonst wohlproportionirtem Körper sind beim Papua nichts Seltenes , zumal bei Frauen. Ein Papua mädchen von 15-16 Jahren, welches von van Hasselt der Berliner anthropologischen Gesellschaft vorgestellt wurde, besass eine ebenso zierliche Hand, wie einen zierlichen Fuss. Die Weiber der Papuanen, sagt Jung, sind in der ersten Jugend nicht unschön, sehr bald jedoch von einer abstossenden Hässlichkeit, welche durch einen grossen Mangel an Reinlichkeit und die daraus, wie aus schlechter Nahrung resultirenden Hautkrankheiten noch erhöht wird. Die Frauen der Eingeborenen von Neuguinea sind nach Metzger feiner gebaut, als die Männer, haben ebenso tiefschwarzes Kraushaar, platte Nase und breiten Mund , wie diese ; dabei aber schmale Schultern und kleine, hängende Brüste mit grossen Warzen. Den Papuas Neuguineas ähnlich sind die Melanesier des Admiralitätsarchipels ; die Männer sind hier wohlgewachsen und kräftig , die Frauen aber stehen , wie die Gelehrten des Challenger fanden , weit hinter ihnen zurück ; sie sehen wahrhaft abstossend aus, insbesondere durch den steten Gebrauch der Betelnuss ; die alten Weiber sind nach Miklucho - Maclay meist sehr mager und gleichen mit ihrem rasirten Kopfe, dessen stark ausgeprägten Hautfalten, ihrem zusammengeschrumpften Busen und hageren Beinen fast ganz alten Männern. Den Weibern der Maori auf Neuseeland fehlt die weibliche Grazie, sie haben in allen ihren Bewegungen etwas Urwüchsiges, doch auch etwas Eckiges. Man sieht unter ihuen, wie Buchner schreibt , zuweilen schöne, wohlgebildete Gestalten , aber naturgemäss giebt sich bei diesen die Verkommenheit noch viel deutlicher kund, als bei den Männern . Nach Zöller, dem Correspondenten der Kölnischen Zeitung, besitzen die Frauen weit grössere Füsse als ihre Männer, und geradezu fürchterliche Extremitäten. Nach Finsch sind sie kleiner und im Ganzen weniger schön, als die Männer ; wirkliche Schönheiten in unserem Sinne fand er nicht unter ihnen . Diese Melanesierinnen verblühen meist rasch und werden dann meist hässlich für unseren Geschmack. Die Frauen der Gilbert - Insulaner ( Mikronesier) sind kleiner, als ihre Männer, die von mittlerer Grösse sind ; sie erfreuen sich angenehmer Gesichtsbildung und zarten Gliederbaues. Meinicke sagt : „ Die Frauen schön und zart, haben langes schwarzes und lockiges Haar, regelmässige, von Geist und Frohsinn zeugende Gesichtszüge mit gut entwickelter Stirn, lebhaften dunklen Augen , etwas vorspringenden Backenknochen und breiter Nase, weissen, durch das Kauen der Pandanus-Frucht oft verdorbenen Zähnen. " Bei den Samoanern sind die Frauen weniger schön, als die Männer, welche im Allgemeinen, wie fast alle Polynesier , als schöne Rasse gelten ; die Figur der Samoanerinnen ist zu sehr untersetzt ; angenehm aber berührt ein Ausdruck von Schamhaftigkeit, der auf anderen Inseln so viel seltener zu finden ist. (Jung. ) Von diesen Samoaner-Frauen sagte Zöller: Die schönste Samoanerin würde doch immer nur mit einem deutschen Bauermädchen verglichen werden können . Um feinere Züge darzustellen, dazu sind die Nasen zu breit, stehen die Backenknochen zu sehr hervor. Schöne Frauen würde man nur schwer, hübsche sehr leicht herausfinden können, so lange sie noch jung sind. “ "" Auf der Osterinsel zeigen alle Frauen, deren Gesichter man früher als viel runder und voller schilderte , als sie jetzt sind, schlaffe, verlebte Züge, was sogar bei ganz jungen 5* 68 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. Mädchen beobachtet werden kann. Während in der ganzen Südsee Frauen und Mädchen voll und wohlgestaltet erscheinen , verwelken sie hier bei ihrem ausschweifenden Leben und besonders in Folge der Polyandrie sehr früh und schnell. Die Frauen sind hier kleiner, als auf anderen Südsee inseln ; auch sind Frauen und Mädchen etwas heller von Hautfarbe, als die Männer ; sie erinnern in dieser Beziehung an die javanischen ; ihre Haut fühlt sich mehr rauh, als weich an. Die Weiber der australischen Eingeborenen sind meist in der Mittelgrösse der weissen Frauen , selten sehr gross, in welchem Falle sie für ausgezeichnet schön gehalten werden. In der früheren Jugend sind sie nicht unlieblich ; die Blüthezeit fällt in die Periode von 10. -14 . Jahre. Mücke, der sich lange in Südaustralien aufhielt , rühmt von einem im 15. Jahre stehenden Mädchen die prächtige Rundung der im „ edelsten Ebenmaasse" gehaltenen Körperformen. Ihre Haut glänzte sammetweich, und die rothen, etwas vollen Lippen liessen eine Perlenreihe der wohlgeformtesten , elfenbeinweissen Zähne sichtbar werden. Die australischen eingeborenen Weiber der Umgegend von Adelaide sind mager, mit hängenden Brüsten (Köhler); und während die Männer eine gewisse Anmuth und Sicherheit haben, fehlt diese den Weibern, deren Arme und Beine von ganz besonderer Dürre sind ( Wilhelmi) . Auch sind in der grossen australischen Bucht die Weiber klein, mager und verkommen (Browne). Als im Jahre 1884 in Berlin eine Gruppe australischer Eingeborener gezeigt wurde , hatte Virchow Gelegenheit hervorzuhebeu, wie sehr er überrascht worden sei durch die ungezwungene, natürliche und häufig geradezu schöne Form, in welcher von diesen Naturmenschen die Körperbewegungen ausgeführt werden ; er sagt : „ Die Frauen haben eine so graziöse Art, den Kopf zu tragen, Rumpf und Glieder zu stellen und zu bewegen, als ob sie durch die Schule der besten europäischen Gesellschaft gegangen wären. “ 19. Die Schönheit der Amerikanerinnen. Die Yankees haben sich im Verlaufe der Zeit zu einer specifischen Rasse herausgebildet, und auch ihre Frauen haben viel Specifisches schon in ihrem Aeusseren. Ein ungalanter Amerikaner sagte einmal über seine Landsmänninnen : Sie haben keine Knochen, keine Muskeln, keinen Saft sie haben nur Nerven. Und wie sollte man es anders erwarten? Statt des Brodes essen sie Kreide, statt des Weines trinken sie Eiswasser; sie tragen enge Corsetts und dünne Schuhe. " v. Schweiger- Lerchenfeld citirt das Urtheil europäischer Beobachter, dass die Mädchen in den Staaten der Union (und zwar die der nördlichen und östlichen ) bei all' ihren körperlichen Vorzügen, ihrer interessanten Blässe, ihrer gewinnenden Schönheit und bestrickenden Anmuth, gleichwohl einen entschiedenen Mangel an Lebenskraft bekunden. Auch macht er auf den Unterschied europäischer Abstammung aufmerksam: In den nördlichen Gebieten, wo sich das flämische Blut geltend macht , ist die leibliche Schönheit der Frauen ganz anderer Art; die Haut ist zarter, das Auge blauer und feuriger, als beim englischen Typus ; die New- Yorker Schöne hat mehr Farbe , die Bostoner Schöne mehr Feuer und Zartheit. Nur unter den höheren Ständen Amerikas hat sich das ursprüngliche englische Schönheitsideal ungeschmälert erhalten . Ueber die Schönheit der mexikanischen Frauen sind die Urtheile verschieden, doch wird allgemein zugestanden, dass die Städterinnen, namentlich die von rein spanischer Abkunft, immerhin zu den würdigen Repräsentanten weiblicher Schönheit zu zählen sind. Ihre Augen sind gross und schwarz, ihr Haar üppig und glänzend, die Zähne blendend weiss. Klein von Gestalt bietet die Städterin durch eine gewisse angeborene Anmuth, die dem südlichen Blute eigenthümlich ist, einen vortheilhaften Eindruck. Dagegen besitzen die mexikanischen Landfrauen entschieden weniger physische Vorzüge als die Städterinnen rein spanischen Blutes. Zwar sind auch hier Vorzüge, wie glänzende, feurige Augen, blendende Zähne, reichliches Haar und dergleichen nicht selten, dafür aber sind andere Gesichtstheile nichts weniger als schön, die Nase ist hässlich geformt, der Mund gross , die Backenknochen vorstehend. 19. Die Schönheit der Amerikanerinnen. 69 Welche specifische Eigenschaften man den Creolinnen in Mittel- und Südamerika nachrühmt, ist genügend bekannt : Ein reizendes Gesicht mit blassem Teint, feingeschnittenen, funkelnden, langbewimperten Augen u. s . w. Aus Quito , der Hauptstadt der Republik Ecuador , schreibt man : „ Die Frauen wären im Allgemeinen hübsch zu nennen, doch sind auffallende Schönheiten fast eben so selten, wie ausgesprochen hässliche Gesichter. " Ein um so weniger anziehendes Aeusseres besitzen für den geläuterten Geschmack des Europäers Alie Frauen des arktischen Nordens in Amerika. Allein es giebt doch recht auffallende Unterschiede namentlich zwischen den östlichen und westlichen Bewohnern Grönlands. Die Vollblutweiber von der Westküste sind meist ziemlich hässlich, haben vorstehende Bäuche, watschelnden Gang und sind in der Regel klein von Gestalt. Die Frauen der Ostküste hingegen sind zumeist gross und schlank und weit schöner als ihre Landsmänninnen im Westen. (Finn.) Charakteristisch für alle sind die kleinen Hände und Füsse. „Eine festlich gekleidete grönländische Schöne mit ihrer braunen, gesunden Gesichtsfarbe und ihren glatten vollen Wangen sieht in dem aus ausgewählten Seehundsfellen gefertigten, dicht ansitzenden Anzuge und den kleinen , eleganten, mit hohen Stulpen versehenen Stiefeln und den bunten Perlenbändern um Hals und Haar nicht übel aus. Ihr Aeusseres gewinnt noch durch eine stetige Heiterkeit und ein Benehmen, in dem sich eine grössere Portion Koketterie geltend macht, als man bei einer Schönheit der mit Unrecht verschrieenen Eskimorasse erwarten möchte. Ein entschlossener Seehundjäger führt das hübsche Mädchen mit milder Gewalt nach seinem Zelte. Mit Gewalt wollen sie genommen sein und deshalb werden sie auch mit Gewalt genommen. Sie wird seine Frau, bringt Kinder zur Welt und vernachlässigt ihr Aeusseres. Die vorher so gerade Haltung des Körpers wird gebeugt in Folge der Gewohnheit, ein Kind auf dem Rücken zu tragen, die Rundung des Körpers verschwindet, derselbe wird welk und der Gang wackelig, das Haar fällt an den Schläfen aus, die Zähne werden durch das Kauen der Häute beim Gerben bis auf die Wurzel abgenutzt und die Sauberhaltung und Wartung des Körpers und der Kleider versäumt. Die in ihrer Jugend recht behaglichen Eskimomädchen werden daher nach ihrer Verheirathung abscheulich hässlich und schmutzig. “ (v . Nordenskjöld.) Bei mehreren Indianerstämmen Nordamerikas sind die Frauen oft auffallend klein ( selten über 5 Fuss nach Bartram bei den Creeks u. s . w. ) ; sie zeichnen sich oft durch zierliche kleine Hände und Füsse aus, bei den meisten Stämmen ist ihr Wuchs untersetzt , und sie haben dicke, runde Köpfe mit breiten, flachen, runden Gesichtern . (Prinz v. Wied. ) Die Weiber der Koljuschen an der Nordwestküste von Amerika zeigen einen krummen, wackelnden Gang , während die Männer stolz einherschreiten ; sie haben kleine Hände und meist kleine Füsse. (Holmberg.) Auch von mehreren Stämmen Südamerikas , z. B. den Lenguas , rühmt man die kleinen Füsse und Hände der Frauen. Die Weiber des untergegangenen Volkes der Chibcha waren nach Oviedo im Vergleich mit anderen Indianerinnen hübsch. Bei den Conibo am Yurua ( Südamerika) sind die Frauen klein, aber ohne die mageren Beine und dicken Bäuche der meisten übrigen südlichen Stämme. (v. Hellwald.) Die Weiber der Araucanier haben dieselben Züge, wie die Männer, ihr Wuchs ist klein, der Oberleib sehr lang , und die Beine sehr kurz. Die jungen Mädchen der Arawaken (Caraiben) in Guyana werden des herrlichen Ebenmaasses ihrer Formen, der kräftigen Fülle ihrer Glieder, der interessanten antiken Gesichtsbildung wegen gerühmt ; sie besitzen grosse schwarze Augen. Nach Appun's Versicherung sollen die jungen Mädchen edle, äusserst anmuthige, oft wahrhaft vollendete weibliche Formen zeigen bei meist rein griechischem Profil. Die Arekuna- Mädchen zeichnen sich körperlich vor allen übrigen Indianerinnen aus : Appun bewundert an ihnen die Nase von edlem römischen Schnitt, und ihr kleiner Mund prangt mit den feinsten, nur ein klein wenig geschwellten Lippen ; die feurigen schwarzen Augen und die rabenschwarzen Haare vollenden die Schönheit dieser Mädchen, die überdies gleich allen Indianern mit sehr kleinen Händen und Füssen ausgestattet sind. Dagegen excelliren die Weiber der Taruma durch ihre Hässlichkeit. Während Appun von der 70 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. Schönheit der Indianerinnen Südamerikas unter den Tropen mit solcher Ueberschwänglichkeit berichtet, kann freilich Sachs deren Reize keineswegs rühmen. So different ist eben der Geschmack! Ein schöner, kräftiger Menschenschlag sind die Patagonier , die sich selbst Tehuelchen nennen und zwischen den chilenischen Anden und der atlantischen Küste umherziehen ; ihre Weiber sind durchschnittlich kleiner und mit minder üppigem Haarwuchs bedacht, gleichwohl aber von auffallender Wohlgestalt und Muskelstärke. Die Weiber der zwerghaften Bewohner des Feuerlandes ( Pescheräs ) sind noch kleiner, als ihre Männer ( durchschnittlich 1544 mm hoch) , doch maass eine nach Europa transportirte 1612 mm bei der von Virchow vorgenommenen Messung . Das Gesicht bei ihnen sieht so aus, als hätte man den Kopf zwischen zwei Bretter gelegt und zusammengequetscht; die Nase ist so niedergedrückt, die Backenknochen treten so weit heraus, dass der Eindruck der Breite und Niedrigkeit auffallend dominirt . Boehr und Essendörfer schildern die Weiber als fett. Als Uebergang zu den afrikanischen Rassen mögen die Buschnegerinnen von Surinam ihre Erwähung finden. Prinz Roland Bonaparte sagt von ihnen: Les femmes ont pendant leur jeunesse des formes irréprochables , et la douceur de leur peau, malgré sa couleur, ferait envie en plus d'une Européenne. Mais cette beauté passagère ne dure que très- peu de temps. 20. Die Schönheit der Afrikanerinnen. Ueber die äussere Erscheinung der ägyptischen Araberin, sagt v. SchweigerLerchenfeld, lässt sich wenig Bemerkenswerthes mittheilen. In Sachen orientalischer Frauenschönheit gehen nämlich die Ansichten ziemlich aus einander. Strenge Schönheitsrichter, denen auf Schritt und Tritt das althellenische Schönheitsideal vorschwebt, legen mit Vorliebe an alle Gesichter, die ihnen vorkommen, den klassischen Maassstab an und finden dann natürlich allerlei auszustellen. Sie fragen auch achselzuckend : Was ist Schönes an einer Aegypterin? Ist ihr Antlitz nicht so rund, wie die Scheibe des vollen Mondes, und gleicht ihr Gang nicht dem einer vollgefressenen Ente ? Die Frage, oder richtiger, die mit dieser Frage verbundene Negation hat ohne Zweifel ihre Berechtigung. Aber mit dem Camper'schen Gesichtswinkel oder dem übrigen anthropologischen Apparat ist der Sache blutwenig gedient. Es braucht ein Antlitz nicht sonderlich ideal geschnitten zu sein und kann dennoch einen Reiz besitzen , der alle normalen Schönheitslinien des alt hellenischen Typus übertrifft . Dies gilt ganz besonders von den arabischen Frauen Aegyptens , deren Köpfe selten nach einem bestimmten Modelle geschnitten sind , obgleich der Gesammteindruck immer ein vortheilhafter bleibt. Fast alle Aegypterinnen haben feingeformte, zierliche Hände und Füsse ; ihr Gang verräth angeborene Grazie, wenn auch vielleicht jene eigenthümliche Schwingung der Hüften, welche die Araber Ghung" nennen, nicht allen Weibern wohl ansteht. Bezaubernd ist das tief dunkle, zuweilen mystisch brennende , dann wieder mild anziehende Auge, dem häufig ein feuchtes Lustre eigenthümlich ist. Dies Auge kann eben so fieberisch glühen, als umschleiert schmachten, wenn die Verschleierung eine vollkommene, das heisst : der Yaschmack nicht so dünn ist , dass man durch dessen zartes Gewebe jeden Gesichtszug deutlich erkennt. .... Die Frauen der Aegypter zeigen die typischen Eigenthümlichkeiten des Retu, d. h. des Altägypters auf den bildlichen Darstellungen, wie ihn R. Hartmann aus eigener Wahrnehmung beschreibt, doch ist der Charakter in der für das weibliche Geschlecht angemessenen Weise gemildert. Die jungen Mädchen sind ungemein gracil. Eine hübsche Darstellung nackter junger Aegypterinnen bieten die mit ihrem königlichen Vater ein dem Schach ähnliches Spiel treibenden Töchter Ramses III. zu Theben. Aber der Reisende hat auch jetzt noch Gelegenheit , Studien über den Körperbau solcher Wesen zu machen, nicht nur bei Beobachtung der häufigen Badescenen, sondern auch beim Passiren seichter Nilarme durch Marktleute, wobei stets ein grösserer Theil des Körpers entblösst wird. Sehr schön sind bei diesen Personen, wie Hartmann bezeugt, die Schultern 20. Die Schönheit der Afrikanerinnen . 71 und zuweilen die Oberarme geformt. Der Oberschenkel , Unterarm und Unterschenkel sind öfters zu mager, obwohl es in dieser Beziehung auch nicht an rühmlichen Ausnahmen fehlt . Ein Araber - Mädchen ist , wie v. Maltzahn von denjenigen der Nomaden Tripolitaniens bemerkt, nur kurze Zeit schön, aber in dieser Zeit ist sie würdig, eine Braut für Göttersöhne zu sein ; sie ist ein Stück Wüstenpoesie. Der Goldton des weiblichen Incarnats, die phosphorescirende schwarze Haarfluth mit dem schönen Stich ins schillernde Blauschwarz — der tiefdunkle , sehnsuchtsumhauchte Blick mit der sammtenen WimperGardine, auch nicht zuletzt die geschmeidig -edle wohlgerundete Gestalt : das alles sind Reize, wozu es nicht des Culturmenschen bedarf, um einen würdigen Kenner aufzutreiben. Kein Wunder, dass ein so leicht erregbares , sich dem Eindrucke der Aussenwelt willig hingebendes Volk , wie der arabische Nomade, die Schönheit seiner Erwählten mit Worten besingt, welche sich der glänzendsten Farbe, der eigenthümlichsten Vergleiche bedienen. Die Zeit der Blüthe des arabischen Weibes bei den Wüstennomaden Afrikas ist eine äusserst kurze ; nur in der zartesten Jugend, etwa bis zum 16. Jahre, bleibt ihnen die Frische erhalten , welche Frauen des Nordens noch im Spätfrühlinge ihres Lebens zeigen. Es ist ein unendlich vergänglicher Frauentypus, der in den beiden extremen Polen, Hitze der Leidenschaft und Zartheit der Formen, seinen Ausdruck findet . Mit dem tiefbrünetten Teint und der zarten, noch vollen und dabei doch nicht zu starken Formrundung, mit den wie von einem rosigen Goldhauch durchschimmerten braunen Wangen, mit dem fast allzu lebhaften Spiel ihrer flammensprühenden schwarzen Augen und dem tiefen Dunkel ihres rabenschwarzen Wollenhaares scheinen , wie Chavanne in seiner „ Sahara" sagt, die jungen Mädchen der luftigen Zelte die Offenbarung eines unendlich reizenden Typus. Ein solches Weib, ein solches Gebilde aus Feuer und Dunkel kann, das fühlt man instinctmässig, nur wenige Wochen schön bleiben . Obwohl noch jung, sind viele Arabermädchen bereits verrunzelt , verwelkt und abgemagert; die arabische Wüstenschönheit wird. je älter, je hagerer und mit dreissig Jahren geradezu abschreckend hässlich, mit Ausnahme einiger Gegenden, wie Tuat , wo die Frauen ähnlich wie bei den Berbern der Küstenstädte in vorrückenden Jahren sich oft üppiger Körperfülle erfreuen . Dass dem Neger- Typus auch beim weiblichen Geschlechte das Epitheton „ schön“ gegeben werden könnte, hat nach europäischen Schönheitsbegriffen keine Berechtigung. Schon die schwarze Hautfarbe, die prognathe Stellung des Gesichts mit dem vorstehenden Unterkiefer, die wulstigen Lippen und überhaupt alle specifischen Neger- Merkmale müssen uns wohl eher abstossen, als anziehen. Und dennoch fehlt es nicht an Negerstämmen, bei welchen durch die klassischen Formen und durch die geschmeidige Bewegung aller Gliedmaassen durch den eigenthümlichen Reiz , der in dem Blicke ihrer Augen liegt , durch die prächtige Weisse der Zahnreihen u. s. w. die jugendlichen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts eine anziehende Erscheinung darbieten. Doch beschränkt sich diese günstige Meinung stets nur auf die Jugendzeit, da es schöne Matronen wie bei uns kaum je unter den Negerinnen giebt. Die Frauen am Gabun in Aequatorial - Afrika sind fast als hübsch zu bezeichnen , mit ihren wohlgeformten Extremitäten, den ausdrucksvollen Augen und der kaum merklich abgeplatteten Nase. Der Mund ist keineswegs weit, wohl aber die Unterlippe etwas aufgedunsen, dagegen die Zähne von tadelloser Schönheit. Man könnte die Frauen der Woloffen schön nennen, wenn nicht die Wade, wie bei anderen Neger- Völkern, unentwickelt wäre. Entstellend wirken auch die platten Füsse sowie die fast sporenartige Verlängerung der Fersen. Bei den Frauen der Berabra Nubiens sind die Gliedmaassen schlank und mager ; die Mädchen entwickeln sich später, als die ägyptischen ; bereits vierzehnjährige sind nicht selten noch busenlos . Sie verwelken wie die Südländerinnen schon frühzeitig . Alte nubische Frauen sind besonders hässlich . (Hartmann“.) „Die Frauen der Somali , sagt Paulitschke, besitzen mitunter nicht unangenehme Züge, eine schöne Büste und volle Brust. Stumpfnasen, stark hervortretende Stirn und feine, zierliche Ohren sind mir an ihnen aufgefallen . Auch der Hals ist schön geformt. die Hüften schmal, das Becken breit, das Gesäss stark, ihre Bewegungen leicht und zierlich . Um die Mitte der zwanziger Jahre altern die Frauen, das Gesicht beginnt Falten 72 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. anzunehmen, die Brüste werden welk und lang, und in den vierziger Jahren bereits bieten die Frauen das Bild abschreckender Hässlichkeit. " Arme. Die Galla - Frauen haben nach Paulitschke volle, breite Schultern und schöne volle Die Habab- Frauen sind nach v. Müller in der Jugend schön , doch altern sie in der Folge rasch. In Abuscher, zu Wadai , sind nach Matteucci's und Massari's Versicherung Männer wie Weiber schön und von hoher Gestalt. Unter den Negern des Sudan gilt nach Gerhard Rohlfs eine Frau mit sogenannten kaukasischen Gesichtszügen als eine Schönheit. Eine genaue Schilderung der Frauen der Galla in Ostafrika verdanken wir Juan Maria Schuver, welcher sagt : „ Die Frauen aller Klassen, mit Ausnahme der allerärmsten , bieten einen so von den hageren , meist finster dareinschauenden Männern verschiedenen Anblick, dass ich mich immer von neuem darüber wundern musste. Die jungen sind von einer Lebhaftigkeit, die alle Augenblicke zum Durchbruche zu kommen bereit ist , auch büssen sie nicht so frühzeitig ihre Reize ein , wie die Negerinnen , vielleicht , weil sie den Vortheil geniessen, bei den schweren Arbeiten von den Sclaven unterstützt zu werden. Ihre Gestalt ist weit kleiner, als die der Männer, obwohl es an grossen Frauen nicht ganz fehlt. Fast immer sind sie 10-15 cm kleiner, als die Männer, und für diese möchte das Maass von 1,60--1,75 m als Durchschnitt anzunehmen sein. Ihre physische Natur ist derartig von dem starken Geschlechte verschieden, dass es schwer fällt, eine Erklärung dafür zu geben. Bei den Weibern sehen wir nur verhältnissmässig grössere Köpfe, obwohl noch immer der Kategorie von Mikrocephalen zuzurechnen , runde Schädel, viereckige Gesichter , aber ausserordentlich abgerundete Züge , weit geöffnete dunkelbraune Augen, Nasen mit leichter Tendenz zum Rümpfnäschen und an der Wurzel eingedrückt, dichte Augenbrauen, kleine fleischige Backen, Kindermündchen mit Perlzähnen und aufgeworfenen Lippen und ein kleines Kinn. Der Nacken ist hübsch rund und durchaus nicht kranichartig, wie bei den Männern, Füsse und Hände sind so klein, dass man über die Behauptung Byron's lachen könnte, der hierin das einzige wahre Zeichen der Aristokratie erkennt. Die Formen sind rund und compact, die Gliedmaassen kurz, aber die Formenfülle der jungen Negerinnen findet sich hier nur selten. Sie sind hübsch, aber nicht schön. “ Derselbe Autor sagt von den jungen Mädchen der Berta im oberen Nilgebiet : „ Sie haben die vollendeten Formen klassischer Statuen. " Die Frauen der Bedscha sind in der Jugend nicht unschön ; ihr zierlicher Leib mit sehr festen, gut entwickelten Brüsten altert aber früh, da sie sich durchschnittlich im 12. bis 15. Jahre verheirathen. Die Weiber der Danakil und Saho sind von edlem Wuchse und schönen Formen, doch auch schnell verwelkend und alternd. Die Abyssinierinnen haben nach der Beschreibung Steiner's eine mittelgrosse Figur und besitzen öfters entwickeltes Fettpolster; junge Mädchen sind reizend und sehr sympathisch ; sie haben ein rundliches Gesicht, eine nicht hohe, gewölbte Stirn, ziemlich grossen Mund, rundes Kinn, nicht selten ein Doppelkinn; ein angenehmes Benehmen und nicht geringer Fleiss machen sie zu sehr gesuchten Artikeln für den Harem der Araber. Das weibliche Geschlecht der Saurta und Terroa , zweier Stämme , die auf den beiderseitigen Abhängen des Gedem- Bergs in Ostafrika (von Massaua landeinwärts nach Abyssinien zu) wohnen , ist bedeutend kleiner, als das männliche. Die jungen Mädchen haben angenehme Züge , aber die grosse Magerkeit im Allgemeinen thut der Schönheit ihres Körpers Abbruch. Ihre Hände, aber auch die der Männer, sind ausnehmend klein. Rohlfs sagt dazu : „ Dies ist eine Eigenthümlichkeit nicht bloss der Küstenbewohner, sondern auch aller Abyssinier, deren Hände überhaupt zu klein sind, als dass sie können schön genannt werden. " Der Grund der Kleinheit, der Verkümmerung liegt im Nichtgebrauch, in der Arbeitslosigkeit . Die meisten Weiber der Boilakertra , eines Volksstammes im Inneren von Madagascar, haben eine gute Haltung, einige drücken den Leib etwas stark vor, alle haben aber schlanke, obwohl kräftige und wohlproportionirte Taillen, trotzdem Schnürleiber dort unbekannt sind. (Audebert.) 22 Einzelne Basutho in Transvaal , Frauen und Männer, haben wirklich schönen 21. Das Schönheitsideal bei verschiedenen Völkern. 73 Körperbau, namentlich Männer und Jünglinge ; unter den Frauen und Mädchen sind dies doch nur sehr vereinzelte Ausnahmen. Namentlich machen die zumeist tabaksbeutelartig herabhängenden Brüste einen degoutanten Anblick, obschon bei einzelnen jüngeren auch hier schöne Körperformen vorkommen. " (Wangemann. ) Unter den Frauen der Zulu- Kaffern giebt es anatomisch tadellose Formen mit intelligenten Köpfen und Physiognomien. 21. Das Schönheitsideal bei verschiedenen Völkern. Wenn wir eine Umschau halten unter den Völkern des Erdballs und sehen, wie überall die Mädchen von den Jünglingen begehrt werden, auch bei solchen Rassen, deren Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts selbst in den Jahren ihrer höchsten Blüthe uns in Bezug auf ihre äusseren Formen doch nur mit Abscheu oder Widerwillen zu erfüllen im Stande sind, so müssen wir wohl zugestehen, dass das Ideal der Schönheit, wie es im Geiste der verschiedenen Völker lebendig ist, doch sehr verschiedener und mannigfacher Art sein muss. Von einem gewiss nicht untergeordneten ethnologischen und wohl auch von anthropologischem Interesse würde es sein, wenn es uns gelingen würde, dieses Schönheitsideal bei den verschiedenen Völkern aufzuspüren und uns zu vergegenwärtigen. Auf den ersten Anblick möchte man dieses für nicht gar so schwierig halten, da es nur wenige Volksstämme giebt, welche nicht eine gewisse Freude an der bildenden Kunst hätten und nicht auch bis zu der (meist plastischen) Darstellung der menschlichen Gestalt vorgedrungen wären. Wir würden aber gewiss einem ausserordentlich grossen Irrthum unterliegen, wenn wir in diesen geschnitzten oder auch wohl gemalten weiblichen Figuren das Schönheitsideal des Künstlers erblicken wollten. Er hat gewiss in bei weitem der Mehrzahl der Fälle nichts Weiteres zu bilden beabsichtigt, als ein weibliches menschliches Wesen überhaupt, dessen Formen er natürlich seinen Stammesgenossinnen ähnlich zu gestalten suchte, da er Weiber anderer Körperform nicht kannte, und ganz ähnlich wie die Kinder civilisirter Rassen war er wahrscheinlich hoch erfreut, wenn ihm diese Absicht annähernd gelungen ist , ohne dass er im Uebrigen beanspruchte, dass sein Kunstwerk nun auch den Inbegriff der nationalen weiblichen Schönheit zur Darstellung bringen sollte. Es giebt aber noch einen anderen Weg, um uns dem gewünschten Ziele zu nähern, nur schade, dass er bisher noch so wenig geebnet ist. Das sind die Lieder liebegirrender Jünglinge, oder schwärmerischer Dichter, welche gewöhnlich dasjenige zum klaren Ausdrucke bringen , was ihnen das umschwärmte Liebchen als besonders schön und besonders begehrenswerth erscheinen lässt . Von dem Schwanenhals, dem Busen wie Schnee, den Wangen wie Milch und Blut, den Perlenzähnen und dem Rosenmund, den Augen, leuchtend so hell wie die Sterne, wie sie die Liebeslieder der europäischen Völker durchziehen, braucht der Herausgeber den Lesern wohl nicht zu erzählen . Vielleicht enthalten die verborgenen Blätter ihrer Notizbücher selbst noch dergleichen ausgeseufzte Hyperbeln. Hier möge nur in Kürze über das Schönheitsideal des Europäers angeführt werden, was Martin Schurig mit den Worten des Conrad Tiberius Rango darüber sagt: ..Als eine vollkommen schöne Frau muss bezeichnet werden, quae habeat duo dura, ubera et nates : duo mollia, manus et ventrem: duo brevia, nasum et pedes : duo longa, digitos et latera: duo nigra, oculos et concham: duo rubra, genas et os : duo alba, crura et cervicem. " 74 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. Erwähnung möge auch noch eine Redensart der Spanier finden. welche, um die Schönheit eines hohen Fusssohlengewölbes zu bezeichnen, aussagt : dass unter dem Fusse eines schönen Mädchens ein Bächlein hindurch fliessen könne (Schaaffhausen). Für uns würde es aber gerade ein bei weitem grösseres Interesse darbieten, wenn wir uns die entsprechenden Herzensergüsse weniger civilisirter Völker zu verschaffen vermöchten. Zu meinem grossen Bedauern ist aber das Wenige, was ich in dieser Beziehung zu bieten im Stande bin, nur ganz spärlich und lückenhaft ; denn in den vielen Anthologien, welche existiren, sie mögen noch so dickleibig und vielbändig sein, ist gerade dieses Gebiet vollständig vernachlässigt. Aber auch das Wenige, was mir zugänglich geworden ist, wird dem Leser schon einen Begriff geben, einerseits wie ganz absonderlich und unserem Geschmacke und Empfinden fremd die die weiblichen Schönheiten verherrlichenden Vergleichsbilder gewählt werden, andererseits aber auch, wie doch für gewisse Vorzüge des weiblichen Körpers die Geschmacksrichtung der Männer als eine ganz unbestreitbar internationale bezeichnet zu werden verdient. Was uns auf diesem Gebiete zur Verfügung steht, stammt fast alles. aus Asien . und zwar können wir aus dem Altindischen aus dem Epos Nal und Damajanti die erste Probe liefern, die wir Friedrich Rückert's¹ Uebersetzung entnehmen : Da sah er, vom Mägdetrosse Umgeben, die Widarba - Maid, Glänzend, als wie ein Göttergeschmeid, Das vom Himmel gefallen, Erleuchtend irdische Hallen. Die Glieder getaucht in Liebesreiz Erweckten der Blicke Liebesgeiz, Doch vor dem klaren Angesicht Schämte sich Sonn- und Mondenlicht. Die Liebe des Liebeskranken wuchs, Wie er sah ihren schlanken Wuchs. Sie nun sehend in halber Hülle, Mit der Brüst' und der Hüften Fülle, Die gliederzartwuchsrichtige, Vollmondangesichtige, Gewölbaugenbrauenbogige, Sanftlächelredewogige : Fiel er, der Waidmann, durch so viel Zierde In die Schlingen der Begierde. Ein Paar weitere Stellen aus dem Sanskrit verdanken wir der Uebersetzung Böthlingk's. In der einen heisst es von der Geliebten, sie habe Lenden, wie Elephantenrüssel. Eine andere lautet : „ Ob der Bürde der Schenkel und der Brüste schreitet sie ganz langsam einher und bestrebt sich eine Fertigkeit zu erlangen im Rauben des Herzens der Jünglinge. “ Oder: Die hier mit den beweglichen, langgestreckten Augen, mit dem starken , gewölbten , festen Busen, die unter der Last der mächtigen Hüften langsam Einherschreitende, ist meine Liebste, die mir das Leben raubt. Noch ausführlichere Schilderungen der weiblichen Schönheiten geben die folgenden Verse : Ein Gesicht, das des Mondes spottet, Augen, die Wasserrosen lächerlich zu machen geeignet sind, eine Farbe der Haut , die die des Goldes übertrifft , starkes Haar, das mit einem Bienenschwarm sich messen kann, Brüste, die dem Elephanten die Pracht seiner 21. Das Schönheitsideal bei verschiedenen Völkern. 75 Stirnbeulen entziehen, schwere Hüften und der Rede glänzende Zartheit sind der Jungfrauen natürlicher Schmuck. Das Gesicht ist langäugig und strahlend wie der Mond im Herbste, die Arme sind an den Schultern abschüssig, der Brustkasten ist schmal und zeigt dicht zusammenstossende, hohe Brüste, die Seiten sind wie geglättet, die Taille ist mit den Händen zu umspannen, die Lenden haben starke Backen, die Füsse gebogene Zehen : gerade so . wie eines Tanzlehrers Sinn es sich nur wünschen könnte, ist ihr Leib zusammengefügt. Von der uns an dieser Stelle interessirenden Poesie der alten Hebräer finden wir entsprechende Beispiele in dem alten Testamente und zwar in dem hohen Liede Salomonis. Es möge mir gestattet sein, hier auch die betreffenden Verse wiederzugeben : Ich gleiche Dich, meine Freundin , meinem reisigen Zeuge an dem Wagen Pharao. Deine Backen stehen lieblich in den Spangen und Dein Hals in den Ketten. Wer ist die, die heraufgehet aus der Wüste, wie ein gerader Rauch, wie ein Geräuch von Myrrhen, Weihrauch und allerlei Pulver eines Apothekers? Siehe, meine Freundin, Du bist schön, siehe, schön bist Du. Deine Augen sind wie Taubenaugen zwischen Deinen Zöpfen. Dein Haar ist wie die Ziegenheerde, die beschoren sind auf dem Berge Gilead . Deine Zähne sind wie die Heerde mit beschnittener Wolle , die aus der Schwemme kommen, die allzumal Zwillinge tragen, und ist keine unter ihnen unfruchtbar. Deine Lippen sind wie eine rosinfarbene Schnur, und Deine Rede lieblich . Deine Wangen sind wie der Ritz am Granatapfel zwischen Deinen Zöpfen. Dein Hals ist wie der Thurm Davids mit Brustwehr gebauet, daran tausend Schilde hangen, und allerlei Waffen der Starken. Deine zwo Brüste sind wie zwei junge Rehzwillinge, die unter den Rosen weiden, bis der Tag kühle werde und der Schatten weiche. Du bist allerdings schön, meine Freundin, und ist kein Flecken an Dir. Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester, liebe Braut, mit Deiner Augen einem und mit Deiner Halsketten einer. Wie schön sind Deine Brüste, meine Schwester, liebe Braut ! Deine Brüste sind lieblicher denn Wein und der Geruch Deiner Salben übertrifft alle Würze. Deine Lippen, meine Braut, sind wie triefender Honigseim, Honig und Milch ist unter Deiner Zunge, und Deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch Libanons. Wer ist, die hervorbricht wie die Morgenröthe, schön wie der Mond, auserwählet wie die Sonne, schrecklich wie die Heeresspitzen? Wie schön ist Dein Gang in den Schuhen, Du Fürstentochter. Deine Lenden stehen gleich an einander, wie zwo Spangen, die des Meisters Hand gemacht hat. Dein Nabel ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Dein Bauch ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen. Dein Hals ist wie ein elfenbeinerner Thurm. Deine Augen sind wie die Teiche zu Hesbon, am Thor Bathrabbim. Deine Nase ist wie der Thurm auf Libanon, der gegen Damaskus siehet . Dein Haupt stehet auf Dir, wie Carmel. Das Haar auf Deinem Haupt ist wie der Purpur des Königs in Falten gebunden. Deine Länge ist gleich einem Palmbaum, und Deine Brüste ( gleich) den Weintrauben. Lass Deine Brüste sein wie Trauben am Weinstock und Deiner Nasen Geruch wie Aepfel. Eine arabische Quelle aus alter Zeit erschliesst sich uns in den Gedichten (Makamen) des Hariri aus Basra , welcher am Ende des 11. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung gelebt hat. Wir verdanken die Uebersetzung dieser poetischen Producte bekanntlich ebenfalls Friedrich Rückert2. Und in anmuthigen Bildern sollt Ihr mir schildern die feurige Liebe, die ich trage zu einer, die meine Lust und meine Plage, dunkelroth von Lippe hart wie eine Klippe, gerade wie ein Bolz, überschwenglich an Stolz . - 76 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. Das Haar um ihre Schläfe nahm den Schlaf von meinen Augen ; Ich schmachte, weil sie mich verliess, in dem Verliess des Leides. Aus ihrem Wuchs erwächst mein Tod, mein Blut fliesst um die Blüthe Der Wang' , ihr Auge weidet sich am Brand des Eingeweides . Mein Loos ist hoffnungslos, bis mich die Mängellose löset ; Doch ist mein hoffnungsloser Stand ein Gegenstand des Neides. Dem Gleichgewicht der Glieder war mein Auge gleich gewogen, Doch eben maass das Ebenmaass des Leibs mein Herz voll Leides . Eine andere Stelle bei Hariri lautet (Hartmann¹) : Ihre schönen Zähne glänzten wie Perlen, Hageln, oder ein Tropfen kostbaren Weins, weiss schimmernd , wie Camillen- oder Palmenblüthe. Ein anderer alter arabischer Dichter Namens Amralkeis sagt (Hartmann¹): Das lauge Haar, das ihren Rücken ziert , ist wie eine Kohle schwarz, dicht , und wie Palmranken durch und durch verschlungen. Ich fasste sie bei ihres Hauptes Haar war ihr Leib, dick und stark die Hüfte. - sie bog sich sanft zu mir herüber; dünn Ihr Bein glich einer Palmröhre von Wasser getränkt. Hartmann¹ citirt dann ferner den Motannabi: Sie blickte mich an mit den Augen einer Gazelle in einer weinerlichen Stellung, und wischte das Regengesprühe über eine Rose von Anam. Ihr Haar ist wie ein Rabe schwarz, buschigt , nachtschwarz, dicht , von Natur, nicht durch Kunst gekräuselt. Ihre Lippen duftender, als Sommerlüftchen, und lieblicher, denn scythischer Muskus ihr Hyacinthenhaar. Sie schiessen mit Pfeilen, deren Gefieder die Augenwimpern sind, und spalten die Herzen, ohne zu ritzen die Haut. Und selbst den Koran können wir hier anschliessen (Sure 56 Vers 24) : Und es werden bei ihnen sein schwarzaugigte, grossaugigte Mädchen, wie Perlen in der Muschel verborgen. Der Dichter Amru, ebenfalls ein alter berühmter Araber, singt : Zart von Wuchs enthüllte sie ihren schlanken, schön proportionirten Körper, Und ihre Seiten, die im Gefolge ihrer Reize prächtig sich ausdehnten. Und ihre Lenden, so lieblich strotzend , dass des Gezeltes Thür sie zu fassen kaum vermag, Und ihre Hüften deren schöne Wölbung mir den Gebrauch meiner Sinne vor Entzücken raubt. Und er vergleicht die Beine der Geliebten mit zwei reizenden Säulen von Jaspis oder glattem Marmor, an welchen Ringe und Spielereien hangen, die ein geräuschvolles Getöse machen. " (Hartmann¹.) Etwas reichlicheres Material bietet sich uns aus einer um einige Jahrhunderte späteren Zeit in den Hesar Afsan oder tausend Märchen" . bei uns bekannt unter dem Namen .,Tausend und eine Nacht". Wenn auch dieses Werk ursprünglich persisch ist und zwar aus dem 10. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, so sind doch die auf uns gekommenen Handschriften in arabischer Sprache verfasst, und sie sind durchaus nicht wörtliche Uebersetzungen der Originale, sondern freie Bearbeitungen und Vervollständigungen und zwar wahrscheinlich von einem Aegypter aus dem 15. Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammen also jedenfalls auch die vielen poetischen Stellen, welche in die Märchen eingeflochten sind und. obgleich in Aegypten verfasst, müssen sie doch wohl als ein Ausdruck arabischen Denkens und Fühlens aufgefasst werden. Ich gebe einzelne Proben von ihnen nach der Uebersetzung des Dr. Gustav Weil: 21. Das Schönheitsideal bei verschiedenen Völkern. 77 Sie ist schmiegsam, wie die Zweige des Ban ( ein Baum) , den der Zephyr bewegt ; wie reizend und anziehend ist sie, wenn sie geht ! Bei ihrem Lächeln glänzen ihre Zähne, so dass wir sie für einen Blitzstrahl halten können , der neben Sternen leuchtet. Von ihren kohlenschwarzen Haaren hängen Locken herunter, die den hellen Mittag in die Wolken der Nacht hüllen ; zeigt sie aber ihr Angesicht in der Finsterniss, so beleuchtet sie alles von Osten bis Westen. Aus Irrthum vergleicht man ihren Wuchs mit dem schönsten Zweig und mit Unrecht ihre Reize mit denen einer Gazelle. Wo sollte eine Gazelle ihren schönen Ausdruck hernehmen? Ich erblicke an ihrem Busen zwei festgeschlossene Knospen, die der Liebende nicht umfassen darf; sie bewacht sie mit den Pfeilen ihrer Blicke, die sie dem entgegenschleudert, der Gewalt braucht. Sie erscheint wie der Vollmond in einer freundlichen Nacht, mit zarten Hüften und schlankem Wuchse, ihr Auge fesselt die Menschen durch ihre Schönheit ; die Röthe ihrer Wangen gleicht dem Rubin ; schwarze Haare hängen ihr bis zu den Füssen herunter ; hüte dich wohl vor diesem dichten Haare ! Schmiegsam sind ihre Seiten, doch ihr Herz ist härter als Felsen. Aus ihren Augenbrauen schleudert sie Pfeile, die immer richtig treffen und nie fehlen, so fern sie auch sein mögen. Ihre Augen sind schwarz, wohlduftend ihr Mund ; ihre Aepfelwangen sind wie Anemonen. Wenn das Licht der Sonne und das Leuchten des Mondes sich begegnen, wird das Firmament verdunkelt ; wenn ihre strahlenden Wangen sich zeigen, wird die Morgenröthe aus Scham blass ; und wenn bei ihrem Lächeln ein Blitz aus ihren Zähnen leuchtet , so wird die dunkle Abenddämmerung heller Morgen. Ihr Wuchs ist so ebenmässig, dass, wenn sie erscheint , die Zweige des Ban eifersüchtig über sie werden. Der Mond besitzt nur einen Theil ihrer Reize ; die Sonne wollte sie anfechten, koante aber nicht. Wo hat die Sonne Hüften , wie sie die Königin meines Herzens hat? Ein schönes Mädchen ! Ihr Speichel ist wie Honig, ihr Auge ist schärfer als ein indisches Schwert ; ihre Bewegungen beschämen die Zweige des Ban, und wenn sie lächelt, so gleicht sie der Athemis. Du sagst, ihre Wangen seien wie Doppelrosen, doch sie empört sich darüber und spricht : Wer wagt es. mich mit einer Rose zu vergleichen ? wer schämt sich nicht zu behaupten, mein Busen sei so reizend wie die Frucht eines Granatapfelbaumes? Bei meiner Schönheit und Anmuth ! bei meinen Augen und schwarzen Haaren ! Wer wieder solche Vergleiche macht, den verbanne ich aus meiner Nähe und tödte ihn durch die Trennung ; denn findet er in den Zweigen des Ban meinen Wuchs, und in den Rosen meine Wangen, was hat er bei mir zu suchen? Von Proben persischer Poesie gebe ich eine Stelle aus den Liedern des Ferdoesi, welcher ungefähr ein Jahrhundert vor dem ersten Kreuzzuge dichtete (Hartmann¹): Eben und weiss hob sich in reizender Wölbung ihre ovale Brust, die keine Phantasie je malen kann. Ihr schamhaftes Auge, Ihre wie Elfenbein blendende Gestalt Machen des Liebhabers Seufzer los , Rund sind ihre Augenlider, und ihre schneeweissen Zähne Glänzen, von der Hand der Natur schön geformt. Ihre gerade Nase liegt in schönem Ebenmaasse ausgestreckt ; Ihr schlummernd Auge wird sanft gefächelt durch des Geliebten holden Blick. Das Moschushaar in wallenden Ringeln gekräuselt Spielet in der Luft und scherzet, wenn es losgebunden flattert . Eine liebliche Röthe schimmert auf ihrem rosenfarbenen Gesicht Und erhöhet unwiderstehlich ihrer Schönheit Reiz. So liebenswürdig sind ihre Lippen, dass selbst das Lüftchen Sich nicht zu nähern wagt, sondern nur von ferne wünscht. Von einem älteren Türken, dem Ibrahim Bassa, stammt der Aus spruch, der sich auf eine von ihm geliebte Prinzessin bezieht : 78 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. Noch erst strahlt unter der Morgenröthe der Stirn das grosse schwarze Auge mit allen seinen bezaubernden Reizen aber allmählich erhebt sich die spitze kleine Nase wie aus dem Nebel hervor. Aus moderner Zeit finden wir in dem Werke von Vambéry über das Türkenvolk einige Beispiele poetischer Ergüsse, welche Bernary übersetzt hat : Eine Mutter aus dem Volke der mittelasiatischen nomadisirenden Türken besingt ihre verstorbene Tochter: Mein Liebchen, ich will sie loben, wie schön war sie, Wie in Butter gebackenes Brod war sie etc. Von den West - Türken stammen folgende Verse: O holde Jungfer, bogengleich sind deine Brauen , Leben und Welt bist du. Ach! Ach ! So tanze doch, du mein Rosenzweig ! Auch ein Liebeslied eines iranischen Türken steht uns zur Verfügung, das ich im ganzen Wortlaut wiedergebe : Einige r. Hahn' . 1. Der Mond bewegt im Kreise sich, um unterzugehen, Ich bin schläfrig und möchte gern schlafen gehen, Meine Hände die haben es erlernt , Deine Brüste tanzen zu lassen. 2. Ich bin kein Mond, ich bin kein Stern, Ich bin keine Braut, bin eine Jungfer nur; () Jüngling , der du am Thore stehst, Komm herein, ich bin allein! 3. Das Käppchen hat sie seitwärts aufgesetzt Und legt es schelmisch bald auf die andere Seite hin ; Ach, ob eines einzelnen Kusses Hat sie das Herz in Blut mir gebadet. 4. Das Muttermal auf deinem Gesicht Gleicht der auf der Steppe weidenden Gazelle, Ja ich kenne meine Holde genau, Denn ein Doppelmal hat sie im Gesicht. Lieder der Albanesen finden sich in dem Werke von Ich gebe von denselben nur solche Stellen wieder, welche für unser gegenwärtiges Thema von Bedeutung sind: Deine Brauen vernichten mich, Wenn du dich abwendest und von der Seite blickst. Aus deinem Munde, o Liebling (?) , Quillt Honig und Zucker. Deine Perlenzähne Sind Gift für meine Wunde u. s. w. Dieses Lied stammt aus Premet an der Vojussa und ist in toskischer Sprache mit gegischen Anklängen. Liebchen, schlank wie ein Spross Und weiss wie Bernstein , Deine Haare (sind) wie Zithersaiten , Dein Duft Bergmelissen, Dein Mund Gewürznelke des Kramladens. Gnade, kleine Freundin, Pomeranze, Orange. 21. Das Schönheitsideal bei verschiedenen Völkern. 79 Liebe Dukatenstirne, Liebe Orangenstirne. Kleine rothe Beere an dem Abhang. Wie ist es mit mir so , o Freund, Dass ich das rothe Haar nicht liebe ? Das Haar gelb wie ein Venetianer ( Dukaten) . Es geht vorüber der Silberhals . Um mich zu beklagen, den Aermsten, Wegen eines Liebchens mit dem Schachtelmunde. Du Kleine, die Dich Dein Mann nicht will, Steige ein Bischen auf die Mauer. Entweder Du, Kleine, oder Deine Schwägerin, Damit ich die Augen und Brauen sehe. Warum sind Deine Brauen (so ) schwarz ? Hast Du etwa Galläpfel aufgelegt? Sie : Nein, nein, bei Gott! Denn ich habe selbst die Schönheit. In Scutari in Nord- Albanien singen, wenn am Hochzeitstage die Braut entschleiert wird, die Festtheilnehmer den folgenden Gesang : Wie schön sie ist , die Gattin, Gott schütze sie ! Ihre Stirne ist breit und erhaben! Gott schütze sie! Ihre Augenbrauen gleichen dem Regenbogen ! Gott schütze sie ! Ihre Augen sind weit, wie die Kaffeeschalen ! Gott schütze sie ! Ihre Wangen sind roth wie Karmin! Gott schütze sie! Ihr Mund gleicht einer kleinen vergoldeten Büchse ! Gott schütze sie ! Ihre Lippen gleichen den Kirschen ! Gott schütze sie! Ihre Zähne gleichen den Perlen ! Gott schütze sie ! Ihr Teint ist weiss wie Milch! Gott schütze sie ! Ihre Taille ist schlank wie eine Cypresse ! Gott schütze sie ! (Gopčevič. ) Dem Werke von Vambéry entnehmen wir auch die Herzensergüsse eines liebeglühenden Baschkiren: O Liebchen mein, Deine Augenbrauen Gleichen dem noch dünnen Neumonde! O Liebchen mein, Deine Brüste Gleichen den noch warmen Butterknollen. Auf hohen Bergen hab ich Feuer angezündet, Und es brannte die Flamme den Berg entlang; Auf Deine rechte Wange hab' einen Kuss ich gedrückt, Und die linke Wange erbebte davon. Auf hoher Berge Gipfel Auf Steinen umherzusteigen ist schwer. O Holde ! ohne Euren Anblick Drei Stunden auszuhalten ist wohl schwer! Gäbe es Apfelbäume, So würde ans Gesträuch ich mich nicht anlehnen , Wäre meine Geliebte bei mir, So würde an Fremde ich mich nicht wenden. Ist hier die Fülle der poetischen Gedanken schon keine sehr hochgradige, so sinkt sie auf eine noch viel niedrigere Stufe bei den Mordwinen herab, von deren Liedern Ahlquist folgende Probe giebt : 80 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes.. Vortrefflich ist das Dorf Slavkina. Wer ist am reichsten in Slavkina? Der alte Schansja ist sehr reich, Der alte Schansja ist sehr stolz . Er ist nicht reich an Getreide, Er ist nicht stolz auf seinen Salzvorrath ; Er ist reich an Töchtern, Er ist stolz auf seine Töchter. Sieben Töchter hat er; Wer ist die Schönste von den sieben? Jungfer Nata ist sehr schön, Jungfer Nata ist sehr hübsch. Nata ist mit Lederschuhen bekleidet, Nata ist in feine Linnen gekleidet, Aus bestem rothen Baumwollenzeug sind ihre Aermel ; Ein Morgenroth ist ihr gekämmtes Haar, Eine nogaische Peitsche ist ihr Zopf, Gleich dem Morgenstern sind ihre Quasten, Gleich dem Abendroth ist ihr Shawl ; Der aufgehenden Sonne gleich ist ihre Haarbinde, Eine schwarze Wolke ist ihr Kaftan, Gleich Buchweizenstroh ist ihr Gürtel. Wir fügen noch das Schönheitsideal an, wie es sich nach Colquhoun der Chinese gebildet hat . Er verlangt von einem schönen Weibe, dass sie Wangen habe wie Mandelblüthe , Lippen wie Pfirsichblüthe, eine Taille wie ein Weidenblatt und eine Bewegung wie eine Lotusblume. In einem Liede in Nord - Celebes heisst es nach Riedel": Die Zähne der Geliebten sind prächtig gefleckt. Das Schönheitsideal der Singhalesen führt uns Oberlaender vor : „Keine Frau würde für eine vollkommene Schöne gelten , wenn sie nicht folgende Eigenschaften hätte : ihr Haar muss reichlich sein, wie der Schwanz eines Pfaues, lang , bis zu den Knieen reichen und in zierlichen Locken enden. Ihre Augenbrauen müssen dem Regenbogen gleichen , ihre Augen dem blauen Saphir und den Blumenblättern der blauen Manillablume. Ihre Nase muss wie der Schnabel des Habichts sein ; ihre Lippen glänzend und roth, wie Korallen oder die jungen Blätter des Eisenbaums. Ihre Zähne klein, regelmässig , dicht an einander stehend, wie Jasminperlen ; ihr Hals gross und rund, ihr Thorax geräumig ; ihre Brüste fest und konisch, wie die Cocosnuss, und ihre Taille klein, fast klein genug , um mit der Hand umfasst zu werden ; ihre Hüften weit ; ihre Glieder spindelförmig zulaufend, die Sohle ihrer Füsse ohne Höhle und die Oberfläche ihres Körpers im Allgemeinen weich, zart , sanft und abgerundet, ohne Rauhigkeit vor- stehender Knochen und Sehnen. " Von den Einwohnern des südlichen Arabiens bringt uns r. Maltzan folgendes Lied: Nimm vor den Locken Dich in Acht! Den Sinn umstricket ihre Pracht, Wie eine hundertfache Kette, Entfesselt auf dem Ruhebette. Und bleibe auch der Stirne ferne! Sie ist von dem Geschlecht der Sterne, Und vor den Brauen hüte Dich! Sie wölben um zwei Sonnen sich. Nimm vor den Augen Dich in Acht! Sie sind zwar dunkel, wie die Nacht , Und dennoch hell wie Tageslicht, Wenn sie der Narr erblickt, zur Stund' Wird sein Verstand aufs Neu gesund. 21. Das Schönheitsideal bei verschiedenen Völkern. 81 Und komm zu nah der Nase nicht! Als Held beherrscht sie das Gesicht. Und bleibe fern dem kleinen Mund! Der wie ein Fingerring so rund. Auch vor dem Halse sieh Dich vor! Der schlank und biegsam wie ein Rohr, Gleich einem Glase licht und rein, Kunstvoll gewunden, zart und fein. Nimm auch in Acht Dich vor der Brust! Sie ist ein Garten voller Lust, Der Blüth' und Knospen treu bewahrt, Und Früchte trägt von jeder Art. Die Taille auch, denn sie vor allen Erregt des Schauers Wohlgefallen, Sie ist so schlank, so zart, so fein, Sie scheint fast körperlos zu sein. Und vor dem Leibe sieh Dich vor! Ein Schleier von dem feinsten Flor, Der bunten Haut der Schlange gleich, So schmiegsam , schimmernd, glatt und weich. Die Schenkel sind ein süsser Traum, Zwei Blätter von dem Kadibaum! Und hüte Dich auch vor den Beinen ! Die wie zwei goldene Leuchter scheinen . Und vor dem Fuss nimm Dich in Acht! Es fühlte Mancher seine Macht, Und wird von ihm zu Fall gebracht. " Was wir aus dem Afrika der Neuzeit besitzen, das ist leider ausserordentlich dürftig. Ueber die Wanjamuesi im centralen Afrika äussert sich Reichard folgendermaassen: Als schön gilt den Wanjamuesi , wie allen mir bekannt gewordenen Negerstämmen, ein Weib ohne eingeschnürten Gürtel , wenn der Körper von der Hüfte bis unter die Arme ungefähr dieselbe Breite hat, kama ngasi (wie eine Leiter sagt der Küstenneger ) , der Hals muss lang und dünn wie eine Schlange" sein und die Ohren wie ein Elephant, d . h. ganz abstehend und gross sein . Die Brust muss strotzend und voll sein. Auch über die Hararî im nordöstlichen Central - Afrika vermögen wir noch Auskunft zu geben. In ihren Liebesliedern, von denen uns Paulitschke einige Proben bringt, kommen die folgenden Stellen vor : Ich sage Dir nur dies : Dein Gesicht ist wie Seide, . . . Du bist schlank wie ein Lanzenschaft , Deine Gestalt ist wie eine brennende Lampe. Der Honig ist bereits ausgehoben und ich komme damit. Die Milch, sie ist bereits gemolken, und ich bringe sie Dir. Und jetzt bist Du der reine Honig und jetzt bist Du die gemolkene Milch . . . Deine Augen sind schwarz gefärbt mit Kahul ... Ich habe ein Antlitz gesehen, frisch von Farbe ! Ich sah ein weisses Antlitz und darin waren Punkte an Farbe wie die Schwärze ... Deine Augen sind wie der Vollmond, und Dein Körper ist duftend wie der Geruch des Rosenwassers . . Und Du bist wie der Garten eines Königs, in welchem alle Wohlgerüche vereinigt sind. Und bist Du wie die Frucht des Gartens eines fleissigen Anbauers , wie könntest Du verdorren ? Den Abschluss dieser poetischen Proben möge eine Ode des alten Anakreon bilden ( Hartmann¹) : Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 6 82 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. Wohlan! male Du unter den Malern der erste, Meister in der Rhodischen Kunst, Male meine abwesende Geliebte Genau, wie ich Dir es sage. Male mir zuerst weiche und schwarze Haare, Und wenn's das Wachs erlaubt , lass sie auch von Salbe triefen. Unter den dunklen Haaren Aus der ganzen Wange heraus Wölbe sich eine glatte Stirn , Glänzend weiss wie Elfenbein. Die Haare zwischen den Augenbrauen Trenne nicht zu merklich, noch lasse sie in einander fliessen. Die gekrümmten Augenbrauen, Der Augenlider schwarzer Rand, Müssen sich bei dieser, wie bei jener Sanft in einen Punkt verlaufen. Das Auge mache genau aus Feuer, Zugleich blau wie Minervens, Schmachtend zugleich, wie Cytherens Auge. Male Nas' und Wangen Rosenroth mit Milch vermischt ; Die Lippe sei wie die der Pytho Zum Kuss einladend. An dem Rand des weichen Kinns Um den marmorweissen Hals Müssen alle Grazien sich lagern, Uebrigens umflattere sie Ein purpurfarbenes Gewand. Nur ein wenig Fleisch spiele sanft hindurch Und mache nach den verborgenen Reizen lüstern . Doch halt ein ! ich seh' sie schon , Bald wirst du, o Wachs, selbst reden. 22. Der Geschmack und seine Auffassung der weiblichen Schönheit. Alles dasjenige, was die einzelnen Völker vermöge ihrer specifischen Geschmacksrichtung für Schönheit halten , glauben sie durch Kunsthülfe ins rechte Licht stellen, oder auch noch übertreiben zu müssen. Namentlich sorgen die Frauen dafür, der Natur in dieser Beziehung zu Hülfe zu kommen und an sich selbst, sowie an ihren Kindern möglichst gefällige Formen zu schaffen . Wenn es Thatsache ist, dass, wie von Weisbach bei der Novara - Reise gefunden wurde, die Chinesen wie fast alle mongolischen Völker von Natur kleine Füsse haben, so wird es wohl erklärlich, dass bei ihnen die Frauen höherer Klassen die Füsse ihrer jungen Töchter möglichst verkleinern ; wenn die Tahiti - Insulaner, die Hottentotten , viele Negervölker u. s. w. die ihnen eigenthümliche Breite der flachen Nase für besonders schön halten, so darf man sich nicht darüber wundern, dass sie Nase und Stirn ihrer Kinder durch Zusammendrücken noch mehr abflachen ; wenn Humboldt angiebt, dass die amerikanischen Indianer ihre Haut nur deshalb mit rother Farbe bemalen, weil sie die natürliche Röthung ihrer Haut für hübsch halten, so darf man ihm wohl Glauben schenken, So sind die künstlich hergestellten Haartrachten so vieler afrikanischer Völker bei deren Weibern ebenfalls nur die Erzeugnisse einer 22. Der Geschmack und seine Auffassung der weiblichen Schönheit . 83 conventionellen Geschmacksrichtung ; und die Holzpflöcke, welche die Botokuden in den Lippen tragen, sollen doch nur dazu dienen, den schon an sich hervorstehenden Lippen die weite Ausdehnung zu verschaffen, welche von Natur noch nicht in gehörigem Grade vorhanden war. Auch ist die Compression des Schädels , die so zahlreiche Völker an ihren Kindern üben, wohl meistentheils mit der Absicht verbunden, letzteren den Vorzug einer edleren, sonst nur bei Vornehmen wahrzunehmenden Kopfbildung zu gewähren. So wechselt das Gefühl für das Schöne am menschlichen Körper je nach nationalen Eigenthümlichkeiten, welche Ehrgeiz oder Eitelkeit für ein charakteristisches Merkmal der Formenvollendung hält. Man würde aber ganz erheblich irren, wenn man glauben wollte, dass diese Dinge nur für die wilden oder halbcivilisirten Völker ihre Gültigkeit besässen . Denn wenn unsere europäischen Damen ihre Taillen möglichst zusammenschnüren, sowie ihr Gesicht roth und weiss schminken, so finden wir hierin schliesslich doch auch nur das Bestreben, durch Kunst sich dasjenige zu erwerben oder zu verstärken, was bei ihnen als besonderer Reiz des schönen Geschlechts gilt und einem wirklich schönen Individuum schon von der Natur verliehen wurde. Es ist nur zwischen den uncivilisirten Weibern und den Damen der sogenannten hochstehenden Rassen folgender wichtiger Unterschied zu constatiren. Während bei den ersteren die Entstellungen ihrer Körper, welche ihrer Meinung nach Verschönerungen desselben sind, meist eine gewisse, durch Jahrhunderte lange Gewohnheit geheiligte Constanz und Gesetzmässigkeit besitzen, unterliegen sie bei unseren Damen einem steten, den sinnlosen Launen der Mode folgenden Wechsel, was von dem Standpunkte der Logik doch jedenfalls zu Gunsten der uncivilisirten Frauen spricht. Sie haben sich ein Schönheitsideal geschaffen, welchem sie fast immer in streng vorgeschriebener Weise zu gleichen bestrebt sind, während unsere Damen nach kurzer Zeit dasjenige als hässlich und entstellend profaniren, was ihnen soeben noch als das Ideal der Schönheit gegolten hat. Um Beispiele hierfür braucht man nicht gerade verlegen zu sein. Bald sollen die Füsse lang und unnatürlich schmal, bald wieder feist und abnorm kurz erscheinen beides, wie sich dem Arzte nicht selten zu sehen die Gelegenheit bietet, zu grosser Qual und oft nicht wieder reparirbarem Schaden der Besitzerin. Bald giebt man den durchbohrten Ohrläppchen einen knopfartigen Schmuck, unter welchem sie scheinbar verschwinden, bald wieder werden wahre Lasten in die Ohren gehängt, deren Gewicht die Ohrläppchen zu langen ovalen Lappen ausdehnt. Bald wird der Brustkorb umschlossen, als wenn die Natur den Damen die Brüste versagt hätte, bald wieder werden die letzteren durch panzerartige Vorrichtungen gewaltsam in die Höhe gequetscht, so dass sie, anstatt an der normalen Stelle, in der Unterschlüsselbeingrube ihren Sitz zu haben scheinen, wobei selbst oft bei der Bauchhaut eine Anleihe gemacht werden muss , um eine Fülle zu heucheln, die die missgünstige Natur versagt hat. Von den Versuchen, bald fadendürr, bald wieder tonnenartig dick zu erscheinen , wollen wir schweigen. Aber aus allem diesem geht hervor, dass die Damen gänzlich vergessen, dass dem Auge des Mannes nichts widerwärtiger und beleidigender ist , als die Unnatur. Doch kehren wir wieder zu den tiefer stehenden" Rassen zurück. 6* 84 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. 23. Die Bemalungen, die Tättowirungen und die Erzeugung der Schmucknarben. Die Proceduren, welche die niederen Rassen mit ihren Körpertheilen vorzunehmen gewohnt sind, sind sehr mannigfacher Natur, und es ist gewiss nicht ohne Interesse, dieselben hier in grossen Zügen durchzugehen. Wir machen den Anfang mit den Bemalungen. Dieselben erstrecken sich bisweilen über den ganzen Körper, wie bei manchen IndianerHorden ; vorwiegend sind sie aber auf das Gesicht beschränkt. Hier sind sie nicht in allen Fällen Mittel der Verschönerung, sondern sie haben manchmal gerade die entgegengesetzte Bedeutung . So müssen sich z. B. bei gewissen Indianerstämmen die Weiber das Gesicht schwarz färben, wenn für den männlichen Hausvorstand die Leichenfeier abgehalten wird. Von den Lei auf Hainan berichtet Scott, dass an dem Hochzeitstage der Gatte der Neuvermählten das Muster seiner Vorfahren auf das Gesicht malt, damit sie nach dem Tode von den Seinigen anerkannt werde. In der Mehrzahl der Fälle allerdings gilt die Bemalung als ein Verschönerungsmittel, z. B. bei den Anda manesinnen (vergl. Fig. 13 No. 2) . So sind die Färbungen der Augenbrauen ja bekannt, welche bei den orientalischen Frauen im Gebrauche sind. „Was die sonstigen Toilettensachen (bei den Krim - Tataren) anbelangt , sagt Vambéry, so spielt das Henna (Lawsonia inermis) hier eine wichtigere Rolle als in der Türkei , indem die Frauen , wie in Persien und im Kaukasus , mit diesem das europäische Geruchsorgan beleidigenden Farbstoff nicht nur Augenbrauen , Nägel, Hand und Hals , sondern bisweilen auch das schwarz funkelnde Haar roth anstreichen . eine Sitte , die von Alters her im moslemischen Osten beliebt war und schon von Herodot bei den Scythen erwähnt wird, deren Weiber aus zerriebenem Cedern- und Weihrauchholz sich eine Schminke zubereiteten. “ Wahrscheinlich steht hierzu auch die oben citirte Stelle aus dem hohen Liede Salomonis in Beziehung : „ Das Haar auf Deinem Haupt ist wie der Purpur des Königs in Falten gebunden. " Bei den Eingeborenen auf Java und auf anderen Inseln des malayischen Archipels herrscht die Sitte, sich die Zähne dunkel zu färben, und sie blicken mit unverhohlener Verachtung auf die weissen Zähne der Europäerinnen , welche denen der Hunde gleichen“. Auch die Zähne der anamitischen Weiber in Cochinchina sind nach Mondière keineswegs nur schwarz vom Bethelkauen, sondern sie färben sich dieselben mit bestimmten Droguen : autrefois seulement à l'époque de sa première menstruation ; aujourd'hui elle est en progrès et se noircit les dents lors de son premier coït, c'est - à - dire près trois ans plutôt qu'autrefois. Es bedarf wohl keiner Erwähnung, dass man die Bemalung nicht als eine ausschliessliche Gewohnheit des weiblichen Geschlechts betrachten darf. Im Gegentheil, bei sehr vielen Völkern pflegen sich auch die Männer zu bemalen und zwar in bei weitem ausgiebigerer Weise, als die Weiber dies zu thun gewohnt sind. Die Absicht und die Bedeutung dieser Sitte ist aber wohl nur in den seltensten Fällen die, ihre Schönheit zu steigern . Nicht schöner, sondern hässlicher, abschreckender und fürchterlicher wollen diese Leute erscheinen, um schon durch ihren blossen Anblick ihren Gegnern, oder wenn es Zauberer sind, ihren Gläubigen Angst und Entsetzen einzuflössen. Daher findet die Bemalung auch gewöhnlich nur zu solchen Zeiten statt, wo sie in vollem Kriegerschmucke zu erscheinen , oder mit den Göttern und Gespenstern zu verkehren wünschen. 23. Die Bemalungen, die Tättowirungen und die Erzeugung der Schmucknarben. 85 Ebenso wie die Bemalung, so ist auch die Tättowirung dort, wo sie überhaupt noch vorkommt, eine beiden Geschlechtern gemeinsame Sitte ; jedoch pflegt fast ganz allgemein die Tättowirung der Frauen von der- Uns jenigen der Männer ganz erhebliche Unterschiede darzubieten. interessirt hier naturgemäss ausschliesslich die erstere, und wir würden wohl sicherlich fehlgreifen, wenn wir in ihr unter allen Umständen ein Mittel zur Verschönerung erblicken wollten. Diese ist in einer Reihe von Fällen zweifellos gar nicht beabsichtigt worden. Die Ursachen aber, warum diese weiblichen Wesen sich tättowiren lassen, sind nun sehr verschiedenartige. Bei einem Theile der Tättowirungen haben wir, wie wohl deutlich ersichtlich ist, nichts Anderes zu erkennen, als das erwachende Schamgefühl , als den Ausdruck des biblischen Spruches: Und sie wurden gewahr, dass sie nackend waren. Sie wollten ihre Nacktheit verhüllen und verstecken, und auf diese Weise erklärt es sich, wenn die Weiber auf den VitiInseln, wie Lubbock erzählt, auch unter dem Liku (dem Schamgurt) tättowirt waren. Denn jedenfalls war doch wohl diese Tättowirung viel früher gebräuchlich, als der Schamgurt, und wahrscheinlich auch früher, Fig. 10. Tättowirung der Unterextremitäten einer Ponapesin (nach Finsch¹) . als die Tättowirung der übrigen Körperstellen . Auch die Wilden von Tahiti tättowiren sich nach Berchon's Angabe an der Vulva ; ebenso nach Finsch die Damen von Pona pé in der Carolinen - Gruppe, und einige andere Beispiele werden wir später kennen lernen. Damit hängt es dann unzweifelhaft auch wohl zusammen, dass die Tättowirung bei vielen Völkern gerade zur Zeit der beginnenden Geschlechtsreife ausgeführt wird . Joest¹ hat in seinem schönen Werke hierfür eine Reihe von Beispielen zusammengestellt. Nächstdem kommen wohl die Brüste heran und dann erst der Bauch, die Extremitäten u. s. w. Doch finden sich auch manche Ausnahmen von dieser Reihenfolge. Dass übrigens die Tättowirung auch für die scharfen Augen des Europäers den Eindruck der Nacktheit erheblich mildert, oder gänzlich verschwinden lässt, das wird in ganz übereinstimmender Weise von allen Reisenden bestätigt ; auch konnte man sich hiervon kürzlich bei der in Berlin und anderen Städten ausgestellten Amerikanerin, der schönen Irene, überzeugen. Bei manchen Völkern ist die Tättowirung das Zeichen bestimmter, glücklich erreichter Lebensabschnitte, z. B., wie wir bereits gesehen haben, 86 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. der glücklich erlangten Geschlechtsreife, der ersten Menstruation u. s . w., sowie auch, um einen modernen Polizeiausdruck zu gebrauchen, ihres Familienstandes, ob sie ledig oder verheirathet sind . So ist es auf Tahiti und Toba , so bei den Weibern der Guarani in Brasilien und bei den Kabylen. Nach Bertherand tragen die letzteren auf der Stirn zwischen den Augenbrauen, auf einem Nasenflügel oder auf einer Wange ein kleines blaues Kreuz, das durch Schiesspulver oder Antimonoxyd hervorgerufen ist . Wenn das junge Mädchen heirathen will, so lässt der Taleb dieses Zeichen durch Application von djer (ungelöschter Kalk) oder sabounakhal (schwarze Seife) verschwinden. Ein von den Achseln bis zur Brustmitte herabgehender tättowirter Streifen von spitzwinkliger Gestalt gilt bei den Motu in Port Moresby auf Neu- Guinea als Zeichen der Verheirathung, er wird aber bereits dem verlobten Mädchen eintättowirt (Finsch¹). Das Tättowiren bei eingetretener Pubertät hat bei einigen Stämmen. den Charakter einer Art von Examen ; es soll, wie es scheint, eine Prüfung sein in der klagelosen Ertragung heftiger körperlicher Schmerzen. Darum wird hier die Tättowirung in besonders peinigender Weise ausgeführt. Haben wir hierin vielleicht die Absicht zu erkennen, das soeben mannbar gewordene Mädchen auf die ihr späterhin bevorstehenden Geburtsschmerzen vorzubereiten und sie gegen dieselben abzuhärten, oder sollte es nur lernen , die Peinigungen ihres künftigen Eheherrn zu erdulden , ohne einen Ton der Klage hören zu lassen? " Schon das einfache Tättowiren, wie es auf den Viti - Inseln gebräuchlich ist, verursacht erhebliche Schmerzen. Doch halten sie die Erduldung desselben für eine religiöse Pflicht, deren Vernachlässigung sicherlich nach dem Tode bestraft wird. " (Lubbock, ¹) Auch die Frauen der Eskimo sind, wie v. Nordenskjöld berichtet : „überall , wo sie nicht mit den Europäern in dauernder Berührung gestanden. tättowirt, nach Mustern, wie sie bei den Tschuktschen üblich. Man legte früher auch in Grönland grosses Gewicht auf die Tättowirung und glaubte oder richtiger redete den jungen Mädchen, welche sich gegen diese schmerzhafte Operation sträubten, ein, dass der Kopf der Frau, die sich nicht auf diese Weise schmücken lasse, in der anderen Welt in ein Thrangefäss verwandelt werde, das man unter die Lampe stellt , um aufzusammelu, was aus derselben verschüttet wird. Das Tättowiren geschieht in der Weise, dass man mit Hülfe einer Nadel einen in Lampenruss und Thran getauchten Faden unter die Haut zieht, und zwar nach einem vorher auf dieselbe gezeichneten Muster, wobei man mit dem Finger auf die durchnähte Stelle drückt, um die Schwärze zurückzuhalten. Das Tättowiren geschieht auch durch Punktirung , d . h. dadurch, dass man die Schwärze in Löcher reibt, die man mit einer Nadel in die Haut gestochen hat. Auch der Graphit wird als Tättowirungsschwärze angewendet, weshalb auch dieses Mineral ein Handelsartikel der Eskimos ist. " In Japan , Birma u. s. w. benutzt man zum Tättowiren nadelartige Instrumente, die bisweilen (Japan) aus mehreren in einer Reihe dicht neben einander liegenden Nadeln bestehen. Auf verschiedenen Inseln der Südsee haben die Tättowir- Instrumente die Form kleiner zierlicher Haken, deren aus Knochen oder Muschel gearbeitete Klingen mit feinen Zähnelungen an der Schneide versehen sind. Diese gezahnte Schneide wird der Haut aufgesetzt, und durch einen leichten Schlag mit einem hölzernen Hammer werden die mit Farbstoff bestrichenen Zähne in die Haut hineingetrieben. Fig. 11 zeigt solche hakenähnliche Instrumente zum Tättowiren von Neu- Seeland in ungefähr der natürlichen Grösse. Lubbock¹ sagt : „ Bei den Frauen am Murray (Australien) ist die einzige wichtige Handlung , die Eyre kennen lernte , das Abschrapen des Rückens. Eyre nennt es ein 23. Die Bemalungen, die Tättowirungen und die Erzeugung der Schmucknarben. 87 Tättowiren, der richtige Ausdruck würde meiner Meinung nach Einkerben“ sein. Diese Procedur findet statt, sobald ein Mädchen erwachsen ist, und muss äusserst schmerzhaft sein. Das junge Frauenzimmer kniet nieder und legt ihren Kopf zwischen die Kniee einer alten starken Frau, und der Operateur - es ist immer ein Mann macht mit einem Muschel- oder Feuersteinstücke reihenweise von der rechten zur linken Seite quer über den Rücken bis dicht an die Schulter lange, tiefe Einschnitte in das Fleisch. Der Anblick ist äusserst empörend. Das Blut rinnt in Strömen herab und tränkt die Erde, während die Schmerzensausbrüche des armen Opfers sich zu einem lauten Angstgeschrei steigern. Und doch unterziehen sich die Mädchen bereitwillig dieser Qual ; denn ein gut gekerbter Rücken wird sehr bewundert. “ 6 Fig. 11 . Tättowir-Instrumente von Neu- Seeland ( nach W. Joest*). Allerdings haben die schmerzhaften Proceduren bisweilen keinen anderen Zweck, als den, die frische Wunde in einen Zustand der Irritation zu versetzen, um eine recht stark prominirende Narbe , eine Art von Keloid zu erzeugen. Aus diesem Grunde reiben sich die Einwohnerinnen von Kordofan und Darfur Salz in die frischen Tättowirungsschnitte, da die hierdurch entstehenden Protuberanzen grosse persönliche Reize verleihen. (Darwin.) (VI. 320. ) Solche Ziernarben sah Finsch bei Frauen in NeuBritannien am Oberschenkel und Gesäss. Die dieselben verursachenden Einschnitte sind sehr schmerzhaft und bedürfen mehrerer Monate zu ihrer Heilung. Auf den Gilbert - Inseln bringen sich die Mädchen nicht selten Brandwunden bei , deren Narben für eine Schönheit gelten, nur um ihren Muth zu beweisen. (Finsch. ') Bisweilen wissen die Wilden selber nicht, was sie sich bei dem Tättowiren denken. Das erhellt ganz deutlich aus folgender Geschichte , welche Tylor erzählt : Auf den Viti - Inseln tättowiren sich nur die Weiber, 88 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. während sich auf den ihnen benachbarten Tonga - Inseln nur die Männer tättowiren. Ein Tonganer war nach den Viti- Inseln geschickt worden, um zu erfahren , wie tättowirt würde. Während der Rückreise sagte er sich immer vor: „Man muss die Frauen tättowiren und nicht die Männer. " Er stolperte aber über ein Hinderniss , fiel hin und vergass seinen Satz, so dass er bei seiner Ankunft den Seinen sagte : Man muss die Männer tättowiren und nicht die Weiber , " und seitdem wurde es auch so ausgeführt. Polynesischer Logik genügt diese Erklärung, denn die Samoaner haben eine ganz ähnliche Legende. 99 Finsch¹ giebt in Uebereinstimmung mit Kubary seine Meinung dahin ab, dass die Tättowirung bei den Ponapesen jetzt lediglich Verschönerungszwecken dient und weder mit Rang, Stand noch Religion irgend etwas zu Fig. 12 . Kaffermädchen aus Natal mit Schmucknarben. (Nach Photographie. ) thun hat. Während die Sitte des Tättowirens auf den Gilbert- und Marshall- Inseln immer mehr abkommt, ist sie auf Ponapé noch in voller Blüthe und von grosser Vollkommenheit der Zeichnung und Ausführung. Rowley hörte von einer Frau der Magandja in Afrika, deren Körper in Folge frischer Einschnitte in die alten Tättowirungsnarben (um sie prominirend zu machen) von Blut triefte , dass sie nach Vernarbung der Wunden die grösste Schönheit im Lande sein würde. Uebrigens werden hier die Narben besonders benannt , je nach den Körpertheilen, auf denen sie ihren Sitz haben. Die in Fig. 12 beigegebene Abbildung eines jungen Kaffermädchens aus Natal lässt derartige Schmucknarben auf ihrem Rücken sehr deutlich erkennen. Die Expedition der Novara hat uns in den Besitz eines neuseeländischen Liedes gebracht, welches Müller wiedergiebt. Er sagt : „ Bei den Frauen werden nur die Lippen und der von den Mundwinkeln gegen das Kinn gezogene Halbbogen tättowirt , manchmal auch Arme und Brust , letztere jedoch nicht mit derselben Regelmässigkeit . Beim Tättowiren eines Mädchens pflegen die anwesenden Gespielinnen folgendes Lied zu singen : Leg' Dich hin, meine Tochter, zu zeichnen Dich, Zu tättowiren Dein Kinn! Dass nicht, wenn Du kommst in ein fremdes Haus, Sie da sagen: 29 Woher dieses hässliche Weib?" 1 6 3 televi GM .13Fig 1.Oraon Cole -Frau (Bengalen ). — Verschönerungen des Gichts . Andamanesin 2.Sud -Mittu 3.Central Frau (.Afrika Maori 4.Frau ).Seeland (Neu ). 6,Australierin Queensland (Limboo 8.).Anachoreten --7-Insulanerin Frau Nipal (). Schweinfurth (No. 3nach übrigen ',die nach Photographien .) - 5.Aino -Frau (Yesso ),- - 88 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. während sich auf den ihnen benachbarten Tonga -Inseln nur die Männer tättowiren. Ein Tonganer war nach den Viti- Inseln geschickt worden, um zu erfahren , wie tättowirt würde. Während der Rückreise sagte er sich immer vor : „Man muss die Frauen tättowiren und nicht die Männer. " Er stolperte aber über ein Hinderniss , fiel hin und vergass seinen Satz, so dass er bei seiner Ankunft den Seinen sagte : „ Man muss die Männer tättowiren und nicht die Weiber , " und seitdem wurde es auch so ausgeführt. Polynesischer Logik genügt diese Erklärung, denn die Samoaner haben eine ganz ähnliche Legende. Finsch giebt in Uebereinstimmung mit Kubary seine Meinung dahin ab, dass die Tättowirung bei den Ponapesen jetzt lediglich Verschönerungszwecken dient und weder mit Rang, Stand noch Religion irgend etwas zu Fig. 12. Kaffermädchen aus Natal mit Schmucknarben. (Nach Photographie. ) thun hat. Während die Sitte des Tättowirens auf den Gilbert- und Marshall - Inseln immer mehr abkommt, ist sie auf Ponapé noch in voller Blüthe und von grosser Vollkommenheit der Zeichnung und Ausführung. Rowley hörte von einer Frau der Magandja in Afrika, deren Körper in Folge frischer Einschnitte in die alten Tättowirungsnarben (um sie prominirend zu machen) von Blut triefte, dass sie nach Vernarbung der Wunden die grösste Schönheit im Lande sein würde. Uebrigens werden. hier die Narben besonders benannt , je nach den Körpertheilen, auf denen sie ihren Sitz haben. Die in Fig. 12 beigegebene Abbildung eines jungen Kaffermädchens aus Natal lässt derartige Schmucknarben auf ihrem Rücken sehr deutlich erkennen. Die Expedition der Novara hat uns in den Besitz eines neuse eländischen Liedes gebracht, welches Müller wiedergiebt. Er sagt : ,,Bei den Frauen werden nur die Lippen und der von den Mundwinkeln. gegen das Kinn gezogene Halbbogen tättowirt , manchmal auch Arme und Brust , letztere jedoch nicht mit derselben Regelmässigkeit. Beim Tättowiren eines Mädchens pflegen die anwesenden Gespielinnen folgendes Lied zu singen : Leg' Dich hin, meine Tochter, zu zeichnen Dich, Zu tättowiren Dein Kinn! Dass nicht, wenn Du kommst in ein fremdes Haus, Sie da sagen: 27 Woher dieses hässliche Weib ?" 3 1 6 .Gesichts des Verschönerungen - - 13.Fig ),-Yesso Frau (5.Aino ).Seeland (Neu Frau -Maori 4.).Afrika Centrl (Frau -3.Mittu .Süd Andamanesin 2.-).(Bengalen Frau -Cole 1.Oraon 8.Limboo -Frau (Nipal ). .Insulanerin -Anachoreten 7. ().Queensland ,Australierin 6 .)Photographien nach die übrigen ',Schweinfurth nach No. 3( - UNIVERSITY or IFORNIA 23. Die Bemalungen, die Tattowirungen und die Erzeugung der Schmucknarben. 91 Leg' Dich hin, meine Tochter, zu zeichnen Dich, Zu tättowiren Dein Kinn, Dass Du fein anständig werdest, Damit nicht, wenn Du kommst zum Feste, Sie da sagen: 91 Woher dies rothlippige Weib? “ Auf dass wir Dich reizend machen Komm' und lass Dich tättowiren, Damit nicht, wenn Du kommst wo die Sclaven sitzen, Sie da sagen: "" Woher das Weib mit dem rothen Kinn ?" Wir zieren Dich, wir tättowiren Dich, Bei dem Geiste des Hine- te-iwa-iwa ; Wir tättowiren Dich, dass der Strandgeist Möge gesendet werden von Rangi Zu den Tiefen der See. Zu der schäumenden Welle! Deine Schönheit ist gepaart mit Liebreiz ! Deine Schönheit ist wie der Himmel, Wie die Sterne Pahatiti, Ruatapu, Rongonui und Kahukura, Du bist schöner Als Uetonga und Tamerereti Oder der heilige Schatten Reretoro's! Der Strandgeist wird gesendet werden von Rangi Zu den Tiefen der See Zu der schäumenden Welle. Lass' die Schmeichler und die Kinder, Lass' Dein Lebewohl bei ihnen, Geh' hin wie die scheidende Wolke Ueber den Raukawa- Bergen Und lass' sie weinen in Kummer! Jedoch ich Ich bin Rangi und Papa Mein Werk ist vollendet !" - "" Als eine besondere Auszeichnung treffen wir die Tättowirung auf den Pelau - Inseln. Nach Kubary" lassen sich die Mädchen auf den PelauInseln schon als Kinder von ihren Gespielen allerlei Muster auf die Beine tättowiren. Diese sind aber bedeutungslos und werden später durch andere Muster überdeckt, welche die Seiten und die ganze hintere Fläche des Beines einnehmen, von den Knöcheln aufwärts bis zur Gesäss- Schenkel- Falte. Die Vorderfläche der Beine und das Gesäss bleiben frei. Nach Eintritt der Geschlechtsreife kommt die Tättowirung der Schamgegend hinzu, wovon in einem späteren Abschnitte die Rede sein wird. Die Frauen der Reichen sind aber mit dem vorrückenden Alter ihrer Stellung schuldig, die complete Frauentättowirung zu erwerben, welcher volle Schmuck jedoch im Principe. von der Erfüllung verschiedener socialer Pflichten abhängt. Hat auf Veranlassung der Frau eine Festlichkeit stattgefunden, so hat sie das Recht, die Tättowirung von dem telengékel (der Schamtättowirung ) an in einem schmalen Streifen auf die beiden Seiten der Scham bis in die Gegend des Afters auszudehnen . Hat aber ihr Ehegemahl ihretwegen einen honget oder mur turukul gegeben, dann erhält sie die kelteket- Tättowirung. Bei dieser werden die noch bislang freien Stellen der Beine mit dem gewöhnlichen Muster zugedeckt , so dass dieselben wie mit schwarzen Tricots bekleidet aussehen. " Der Begriff der Verschönerung ist in denjenigen Fällen , wenn auch vielleicht nur noch ganz versteckt , vorhanden , wo, wie z. B. bei manchen Südsee- Insulanern , das Tättowiren das Vorrecht der Freien und Vor- 92 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. nehmen ist , durch das sie sich von den Sclavinnen, denen Tättowiren nicht gestattet ist, unterscheiden. Sehr lehrreich ist hierfür eine Angabe, welche wir Charles Darwin ' verdanken. Sie zeigt uns zugleich , dass der Tättowirung unter Umständen auch die mystische Anschauung zu Grunde liegt, dass sie ein Unheil abwenden könne. Darwin erzählt in seiner Reise eines Naturforschers um die Welt, dass die Frauen der Missionare auf Neu- Seeland die bei ihnen dienenden und natürlich bereits bekehrten jungen Frauenzimmer zu überreden suchten , sich nicht tättowiren zu lassen . „ Als aber ein berühmter Operateur aus dem Süden angekommen war, sagten sie : „ Wir müssen wirklich, wenn auch nur einige wenige Linien auf unseren Lippen haben, sonst werden, wenn wir alt werden, unsere Lippen zusammenschrumpfen und dann würden wir sehr hässlich aussehen. " Es wird auch jetzt ( 1831) nicht nahezu so viel tättowirt, wie früher. Da aber ein Unterscheidungszeichen zwischen dem Häuptling und dem Sclaven darin liegt, wird es wahrscheinlich noch lange ausgeübt werden. Jeder beliebige Ideenzug wird in einer kurzen Zeit schon so gewohnheitsgemäss , dass mir die Missionare sagten, selbst in ihren Augen sehe ein glattes, nicht tättowirtes Gesicht niedrig und nicht wie das eines neuseeländer Gentleman aus. " (Vergl. Fig. 13 No. 4.) Die Tättowirung schützt also hier vor dem Altwerden. Vielleicht wird. dieser Schutz aufgefasst nach Art einer homöopathischen Wirkung : die Mädchen lassen sich Furchen in das Gesicht schneiden, um sich vor dem Auftreten von Runzeln zu schützen. Vielleicht hat auch die Sitte der

Ainos auf Yesso eine ähnliche Bedeutung : Die Weiber sind nach v. Brand um den Mund in Form eines aufgedrehten Schnurrbarts blau tättowirt , was sie sehr hässlich macht. Die erste Tättowirung findet gewöhnlich im siebenten Jahre statt und wird dann allmählich vergrössert. (Vergl. Fig. 13 No. 5.) Aufder zu den Liu - kiu - Inseln gehörigen Insel Amami Oshima ist das Tättowiren allein bei den Frauen Sitte. Sie lassen sich regelmässig tättowiren und zwar nur den Rücken der beiden Hände. ( Fig. 14.) „ Die Tatuzeichen sind stets die gleichen ; man weiss jedoch keine Bedeutung anzugeben und erklärt ausdrücklich , dass dieselbe von Okinawa aus erst eingeführt worden. Meist im 13. Jahre liessen sich die Mädchen dieses Zeichen einätzen von besonderen Leuten, die diese Kunst verstanden. Mit drei zusammengebundenen Nadeln wurden Reihen von Einstichen gemacht und darauf die gewöhnliche Tusche eingerieben, die sonst zum Schreiben benutzt wird. Die Farbe wird indigoblau. Seit vier Jahren hat die japanesische Regierung das Tättowiren nach der von einem Tattowirer selbst ver- auch hier verboten, wie schon seit viel längerer Zeit in Japan. " (Doederlein.) Fig. 14 . Tättowirte Hand einer Oshimanerin, fertigten Zeichnung (nach Doederlein). Wie wir die Bemalung des Gesichts der jungen Lei - Gattin als ein Erkennungszeichen antrafen, so existirt nach Montano in Bezug auf die Tättowirung etwas Aehnliches bei den Eingeborenen von West- Mindanao in den Philippinen : Le tatouage est surtout répandu parmi les tribus qui entourent le golfe de Davao ; il est pratiqué sur les enfants de 5 à 6 ans par la mère, en vue de leur imposer une 2 3 6 Gesichts des 15. Verschönerungen .Fig ).-Schweinfurth¹ nach ,Afrika (Central -Frau 3.Loobah ).Photographie nach Frau (Eskimo Alaska 2.- ).Livingstone nach (Frau -1.Magandja ).Oberländer nach ,Afrika Central (lachend -Frau 5.Magandja Schweinfurth nach ,Afrika Centrl (Frauen -Bongo der Gesichtsverzierungen 6.und 4. 1 -

24. Die Körperplastik. 95 marque indélébile et de pouvoir les reconnaître quand ils sont enlevés par ruse ou par violence, cas excessivement frequents. Wir können also nicht mit Joest übereinstimmen, der die Tättowirung lediglich durch den dem Menschen unter allen Breitengraden innewohnenden Verschönerungstrieb hervorgerufen wissen will. Wir werden uns der Thatsache nicht zu verschliessen vermögen, dass sehr verschiedenartige Gründe und Anschauungen ihr zum Dasein verholfen haben. 24. Die Körperplastik. Wenn wir in den Bemalungen und in fast allen Tättowirungen noch das rein decorative Moment vor uns hatten, so führte uns ein kleiner Theil der letzteren , welche die ausgesprochene Absicht erkennen lassen , dicke wulstartige und knopfförmige Narben zu erzeugen, bereits hinüber in das Gebiet der Körperplastik , d. h. zu denjenigen Mitteln sogenannter Verschönerung, welche als Verstümmelungen oder Verdrückungen einzelner Körperregionen bezeichnet zu werden verdienen . Hier stehen obenan die künstlichen Formgebungen der Schädelkapsel, wie sie durch zusammenpressende Kopflager oder durch entsprechend angelegte Druckverbände bereits bei Kindern in dem zartesten Lebensalter herbeigeführt werden. Sehr bekannte Beispiele sind die „ rückwärts fliehend " gepresste Stirn der alten Einwohner von Mexiko und der FlatheadIndianer (heute noch in Gebrauch), ferner die künstliche Höherpressung der Schädeldecke, wie sie ebenfalls noch heutigen Tages bei gewissen Völkern des Kaukasus geübt wird; und endlich die künstliche Verlängerung der Hinterhauptregion, welche in bestimmten Theilen von Frankreich noch immer nicht hat ausgerottet werden können. Wir können dieses hier nur kurz andeuten, da fast überall, wo dieser Gebrauch herrschend war oder noch im Schwange ist, er bei beiden Geschlechtern in gleichmässiger Weise zur Ausübung gelangt. Man vergleiche hierüber die von Ploss 20 besprochenen traditionellen Operationen am Kindeskörper. Für uns von Wichtigkeit ist aber eine Angabe de Crespigny's über die Malanaus auf Borneo , weil dort nur die Köpfe der Mädchen (aber nicht aller) deformirt werden, indem die an und für sich schon flache und zurückweichende Stirn noch zurückweichender gemacht wird. Der hierzu benutzte Apparat wird Jah genannt. Ein Kissen oder Polster aus den frischen Blättern einer Art Wasserlilie wird zwischen den viereckigen Theil des Jah und den Kinderkopf gelegt. Diese Blätter sind weich, dick und fleischig. Man wechselt sie täglich. Von den zum Bereiche des Gesichts gehörenden Gebilden haben unzweifelhaft die weiteste Verbreitung die absichtlichen Beschädigungen der Ohrmuscheln. Wir brauchen uns hier nicht erst in der Ferne nach Beispielen umzusehen. Finden doch die Durchbohrungen der Ohrläppchen behufs Unterbringung von Schmucksachen auch bei uns noch in sehr vielen Fällen statt. Und in manchen Gegenden, wenigstens der Mark Brandenburg, wird diese Procedur für durchaus nothwendig gehalten, nicht, wie der Volksmund scherzweise sagt, um ein untrügliches Mittel zu besitzen , die Knaben von den Mädchen unterscheiden zu können, sondern weil man glaubt, dass auf diese Weise ungesunde Säfte von den Augen abgezogen, die Augen somit vor Erkrankungen geschützt und bereits chronisch erkrankte zur Heilung gebracht werden können. Das Tragen eines Ohr- 96 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. ringes im linken Ohre wird in dieser Beziehung für noch wirksamer gehalten als ein rechtsseitiger Ohrring. Die Sitte, das Ohrläppchen zu durchlöchern, ist, wie bereits gesagt, eine weitverbreitete. Aber manche Völkerschaften begnügen sich nicht damit, ein einfaches Loch durch dasselbe zu bohren, sondern sie pflegen dieses auch noch allmählich durch das Einlegen kleiner Holzpflöckchen von immer wachsendem Kaliber und endlich von immer grösser gewählten Bambusrollen zu wahrhaft enormer Grösse auszudehnen. Zuletzt werden dann als Schmuck Holzknöpfe (Madagascar . CentralAfrika) , Palmenblattspiralen (Naya- Kurumbas im Nilgiri - Gebirge [Jagor ) oder Blumen (Neu- Seeland) in den enorm erweiterten Ohrlöchern getragen. Bei den Mädchen der Battas wird nach Hagen das Ohrloch durch Bambuspflöcke oder Wolltuchknäuel etwa daumengross erweitert, um einen silbernen Reif als Schmuck einzuhängen, der das Läppchen bedeutend verlängert. Ausserdem durchlöchert man den oberen Theil der Ohrmuschel, in welchem dann zierlich gearbeitete Ohrringe getragen werden. Bei den Basuthos in Transvaal war es Sitte und ist es stellenweise auch wohl heute noch, nicht die Durchbohrung in dem Ohrläppchen selbst, sondern an derjenigen Stelle anzubringen, wo die äusserste Windung der Ohrmuschel, der Helix, in das Ohrläppchen übergeht. Joest berichtet, dass die Mädchen der Makua auf Mozambique es lieben, sich eine Perle oder dergleichen in einen Nasenflügel zu schrauben und sich, abgesehen von 10-15 Löchern in dem Ohrrande, das Ohrläppchen so zu erweitern, dass sie Holzpflöcke von dem Durchmesser eines Fünfmarkstücks hineindrängen können. Auch in bestimmten Theilen Ostindiens (vergl. Fig. 13 No. 1) und namentlich bei den Mittu in Afrika (vergl. Fig. 13 No. 3) wird die Ohrmuschel mit einer ganzen Reihe von Durchbohrungen versehen. Bei manchen Südseevölkern werden die Ohrläppchen zu ganz erstaunlicher Länge ausgedehnt und ihre Durchbohrung zeigt ebenfalls sehr erhebliche Dimensionen. Gewöhnlich wird dann das Ohrläppchen mit einer ganzen Reihe von Ringen geschmückt, welche an Fingerringe erinnern. Ein Beispiel hierfür liefert die Anachoreten - Insulanerin ( Fig. 13 No. 7). In dem durchbohrten Nasenflügel pflegen die Damen der Hindu einen Ring zu tragen. Es wird zu diesem Zwecke aber immer nur ein Nasenflügel benutzt und zwar scheint entschieden der linke bevorzugt zu werden, der bei einigen Stämmen durch die Schwere des oft sehr grossen Ringes ganz beträchtlich herabgezogen wird. Das zeigt uns z. B. die LimbooFrau (Fig. 13 No. 8). Wenn bei den Kaders in den Anamally- Bergen (Indien) die Kinder zu laufen beginnen, so werden ihnen Nase und Ohren durchbohrt; Knaben wie Mädchen tragen Ohr- und Nasenringe ; ältere Leute pflegen diesen Schmuck abzulegen (Jagor). Die Bongofrauen (Central - Afrika) tragen in den Nasenflügeln und in der Lippe aufrechtstehende Halmstücke (Schweinfurth¹ ) . (Vergl. Fig. 15 No. 4 und 6. ) Die Nasenscheidewand zu durchbohren und zwar dicht vor dem Ansatze der Oberlippe, war früher viel verbreiteter als heute. Jetzt aber finden wir diese Art der Verschönerung noch bei den Australiern in Queensland, wo sie bei beiden Geschlechtern herrscht. In der Oeffnung wird ein Knochen oder auch ein verziertes Stück Holz getragen (vergl . Fig. 13 No. 6). Auch die Weiber der Dschur im östlichen Sudan haben 24. Die Körperplastik. 97 häufig einen eisernen Ring durch das Septum narium oder durch die Mitte des Nasenrückens gezogen (v . Hellwald). Bei den Verschönerungen des Mundes kommen in erster Linie, abgesehen von den bereits erwähnten Tättowirungen der Lippen, die Färbungen und die Verunstaltungen der Zähne in Betracht. Sie werden ganz oder theilweise ausgebrochen, treppenartig abgemeisselt, spitzig zugefeilt ( vergl. Fig. 15 No. 5 ) und mit dreieckigen Löchern versehen. Allerdings ist dies Alles in viel höherem Grade bei den Männern als bei den Weibern der Fall, jedoch haben letztere bisweilen ihre besonderen Gebräuche. Die Schneidezähne der Weiber auf Madagascar sind nach Joest haifischzahnartig zugespitzt. Hagen sagt: Bei den Weibern der Batta werden die oberen Schneidezähne gleich den unteren völlig bis auf das Zahnfleisch abgemeisselt. Dieser Gebrauch ist constant ; man wird kaum eine Frau finden, die ihre Zähne anders trüge. Haben die Zähne endlich ihre definitive Form erhalten, wenn auch erst nach Jahren, so werden sie bei beiden Geschlechtern schwarz gefärbt, und zwar sämmtliche Zähne ausnahmslos. Zu diesem Zwecke verkohlt man ein Stück Limonenholz auf einer Messer- oder Parangklinge. Das herausträufelnde Harz des brennenden Holzes vermischt man innig mit der Kohle und bestreicht mit dem so erhaltenen Firniss die Zähne zwei bis dreimal ; dieselben werden dadurch dauernd und intensiv schwarz gefärbt , während der zähe Firniss zugleich eine etwa geöffnete Zahnhöhle verstopft. " Auf den kleineren Inseln der alfurischen See zwischen Neu- Guinea und den Sundainseln herrscht fast durchgängig die Sitte, den Mädchen zum Zeichen der erreichten Mannbarkeit die Zähne abzufeilen. Auch die Lippen entgehen dem Schicksale nicht, aus Gründen sogenannter Verschönerung entstellt und verstümmelt zu werden. Die Frauen der afrikanischen Bongo z. B. zwängen die Oberlippe jederseits nahe an den Mundwinkeln in Metallklammern und ausserdem tragen sie in einem Loche mitten in der Oberlippe einen Halm oder einen Kupfernagel und in der Unterlippe einen Holzpflock (Schweinfurth¹, vergl. Fig. 15 No. 4 und 6 ) . Von den Weibern der Magandja sagt Livingstone: Ihr absonderlichster Schmuck ist das Pelele, der Oberlippenring. Die Oberlippe der Mädchen wird an der Uebergangsstelle zur Nasenscheidewand durchbohrt und durch einen eingelegten Stift das Verheilen gehindert. Es werden dann allmählich dickere Stifte eingelegt, bis nach Monaten oder Jahren das Loch so gross ist, dass ein Ring von zwei Zoll Durchmesser hineingelegt werden kann. (Fig. 15 No. 1.) Dies bewirkt es, dass in einem Falle die Lippe zwei Zoll über die Nasenspitze vorragte, und als die Dame lächelte , hob die Contraction der Muskeln die Lippe bis über die Augenbrauen , während gleichzeitig die Nasenspitze durch das Loch heraussah und die spitz abgefeilten Zähne einen Krokodilsrachen vortäuschten. ( Fig . 15 No. 5.) Warum tragen die Frauen diese Dinge? wurde der ehrbare Häuptling Chinsurdi gefragt. Offenbar erstaunt über eine so dumme Frage erwiderte er : „ Der Schönheit wegen ! Es sind dies die einzigen schönen Dinge, welche die Frauen haben. Männer haben Bärte, Frauen haben keine. Was für eine Art von Person würde die Frau sein ohne das Pelele? Sie würde wie ein Mann mit einem Munde ohne Bart, aber gar keine Frau sein . " Anstatt dieses Ringes tragen die Weiber der Mittu nach Schweinfurth² einen Knopf aus Elfenbein, aus Horn oder auch aus Quarz (Fig. 15 No. 3) . Von den demselben Stamme angehörenden Loobah- Weibern wird gleichzeitig auch noch ein polirter Quarzkegel von über 6 cm Länge in der Unterlippe getragen. (Fig. 15 No. 3.) Die Weiber von Latuka tragen einen Krystall in der Unterlippe, und die Frau des Häuptlings äusserte sich gegen Baker, dass seine Frau sich sehr verschönern würde, wenn, sie ihre Vorderzähne aus der unteren Kinnlade herausziehen und den langen zugespitzten, polirten Krystall in ihrer Unterlippe tragen wollte. Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 7 98 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. Dass bei den Botokuden in Süd - Amerika grosse hölzerne Knöp der Unterlippe getragen werden, dürfte dem Leser wohl bekannt sein. Thr Name stammt von dieser Sitte her. Dieselbe herrscht aber bei den Männern ganz in demselben Maasse, als bei dem weiblichen Geschlecht. Auch im Norden Amerikas herrschen ähnliche Gebräuche ; das ersehen wir aus einem Berichte, den wir dem Capitän Jacobsen verdanken : In den Eskimo - Dörfern im hohen Nordwesten Amerikas an der Mündung der Kuskoquim weiss sich der weibliche Theil mit Perlen sehr zu schmücken ; diese werden überall, auch in den Haaren, angebracht. Die Unterlippe der jungen Mädchen wird an drei Stellen durchbohrt ; in den Seitenlöchern steckt als Lippenpflock je ein kleiner krummer Knochen, dessen knopfförmiges stärkeres Ende sich im Inneren des Mundes befindet und das Herausfallen des Knochens verhindert ; das äussere Ende des Knochens ist mit Pen geschmückt. Auch das Mittelloch der unteren Lippe trägt als Lippenpflock einen ganz kleinen Knochen mit Perlen. Die Nasenscheidewand der jungen Mädchen ist gleichfalls durchbohrt und trägt eine bis auf den Mund herabhängende Perlenschnur. Dieser Nasenperlenschmuck findet sich auch bei den jungen Eskimoschönen am unteren Thukon, sowie weiter nordwärts bei den Mallemuten. Alle diese Eskimos tättowiren auch das Kinn. " (Fig. 15 No. 2.) Bei den nördlichen Nachbarn der Babines in Britisch Columbien herrscht die Sitte, der ganzen Länge des Mundes nach in die Oberlippe Glasperlen einzusetzen, die allmählich von der Haut überwachsen werden, so dass nur ein Drittel der Perlen über die Lippe hervorsteht. Sie sehen dann aus, als hätten sie ihre Zähne ausserhalb des Mundes (v. Hesse- Wartegg). Von den Verunstaltungen am Kopfe haben wir noch kurz das Ausreissen der Augenbrauen (Bongofrauen [ Schweinfurth] , Japanerinnen) und das absonderliche Abrasiren des ganzen Schädels oder bestimmter Te desselben zu erwähnen. (Man vergleiche auf Fig. 13 die Andamanesin No. 2 und die Anachoreten - Insulanerin No. 7.) Es würde uns zu weit führen, sämmtliche in dieser Beziehung herrschenden Gebräuche berichten zu wollen, welche besonders in Afrika ihre Heimath haben. Am Rumpfe sind wir bereits den durch die Tättowirungen hervorgerufenen Verunstaltungen begegnet. Von den sonst hier noch vorgenommenen Proceduren sind die bei weitem wichtigsten die Behandlung der Brüste und der Geschlechtstheile. Da wir jedoch später diesen Organen ein besonderes Kapitel zu widmen haben, so können wir auch die Besprechung ihrer Verunstaltungen bis dahin verschieben. An den oberen Extremitäten müssen wir die absonderliche Unsitte erwähnen, die Fingernägel bis zu unglaublicher Länge wachsen zu lassen (Annamiten), um dadurch den Beweis zu liefern, dass die Besitzerin ihre Hände nicht zur Arbeit zu profaniren nöthig hat. Das Abschneiden einzelner Fingerglieder, wie es uns in Afrika (Buschmänner), im südlichen Indien und bei Indianern begegnet. hat nicht die Bedeutung einer Verschönerung , sondern es ist entweder ein Zeichen der Trauer, oder ein Opfer zur Abwendung von Gefahren. Andree¹ hat die hierher gehörigen Thatsachen zusammengestellt. Wenn schon von einem grossen Theile der in den vorhergehenden Zeilen beschriebenen sogenannten Verschönerungen gesagt werden muss, dass sie der Geschmacksrichtung der civilisirten Nationen geradezu widersprechen, so gilt dieses doch in ganz besonderem Maasse von einer Umformung, von einer Körperplastik, um mit Johannes Ranke² zu reden, welche einen Theil des weiblichen Körpers im wahren Sinne des Wortes zur Verkrüppelung bringt, dessen normaler Bau und gute, harmonische Entwickelung bei allen 24. Die Körperplastik. 99 Välern europäischer Cultur sich einer hervorragendenerkennung erfreut ; ich meine den Fuss und den Unterschenkel. Dass leider auch unsere Damen nicht absolut von dem Vorwurfe freigesprochen werden können, dass sie an diesen Theilen künstliche Mittel wirken lassen, um dem Ideale ihres eigenen missverstandenen Schönheitsbegriffes möglichst nahe zu kommen, das wurde bereits weiter oben angedeutet, und die beifolgende Abbildung mag eine Vorstellung von einer der allergewöhnlichsten Verbildungen, dem sogenannten Ballen, geben, welche die Füsse durch zu spitzes Schuhwerk erdulden und welche, wie man nach den hier dargestellten Veränderungen an dem Grosszehengelenke sehr wohl begreifen wird, eine dauernde Quelle ganz erheblicher Unbequemlichkeiten und Schmerzen für die unglückliche Besitzerin abgiebt. (Fig. 16. ) Fast alle übrigen Völker haben den Fuss als dasjenige anerkannt und geachtet, was er in Wirlichkeit ist, als das hochwichtige und unentbehrliche Locomotions- und Stützorgan des gesammten Körpers; demgemäss erfreut er sich auch allgemein einer ganz besonderen Schonung und Pflege und ist von den sogenannten Verschönerungen, von gewaltsamen Umformungen verschont geblieben. Höchstens werden die Zehen mit Ringen geschmückt oder noch häufiger das Fugelenk. Allerdings sind die um das letztere gelegten Ringe bei einigen Damen Mittel-Afrikas so schwer, dass auf dem Fussblatt dicke Schwielen entstehen (Tappenbeck). Aus Süd - Amerika berichtet Schomburgk: „ Schon die Weiber der Caraiben , sowie die einiger anderen Stämme Guyanas, besitzen eine förmliche Manie, eine künstliche Vergrösserung ihrer Waden hervorzurufen , zu welchem Zwecke sie auch den jungen Mädchen fest anschliessende Bänder unter Fig. 16 . Entzündeter Ballen (nach Erichsen). dem Knie anlegen ; die Maionkongs Fig. 17. Fuss einer Chinesin niederen hatten aber nicht allein solche Bänder um die Beine, sondern auch um den oberen Theil ihrer Arme. " Standes (nach Welcker) von der Seite und von der Sohlenfläche aus gesehen. Durch diese absonderliche Umgestaltung wird aber wenigstens die Function und die Gebrauchsfähigkeit der Beine nicht beeinträchtigt . Ein einziges Volk nur ist es , welches eine Verkrüppelung der Beine und Füsse absichtlich herbeiführt : das sind die Chinesen. Diese künstliche Verbildung des Chinesen fusses ist ein weibliches Verschönerungsmittel im allerstrengsten Sinne. Denn niemals und unter keinen Umständen wird diese Procedur an den Füssen der Knaben vorgenommen. Zum Ruhme des weiblichen Geschlechts in China sei es aber gesagt, dass , so verbreitet auch diese entstellende und für jedes andere Volk ausser dem chinesischen abscheuliche Unsitte in dem himmlischen Reiche ist , dennoch mehrere Districte sich von der Entstellung frei gehalten haben, wie auch die jetzt 7* 100 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. herrschende Kaiserfamilie dieselbe verachtet und. wenn man dem Volksmunde glauben darf, eine an den Füssen Verkrüppelte, die den kaiserlichen Palast betreten sollte, mit dem Tode bestrafen würde (Bastian). Die in den Sunda - Inseln lebenden Chinesinnen verkrüppeln auch ihre Füsse nicht. Es werden aber nach Keitner in gewissen Gebieten von China (Singangfu und Lan- tschou- fu) auch die Unterschenkel bis zum Knie gewaltsam mit Binden eingezwängt, um recht stark abzumagern. Der Effect wird noch erhöht, wenn in der Wadenmitte ein zollbreiter Streifen frei bleibt und das Bein wie ein altes Strumpfband hervorblickt. " ,, Ueber den Fuss der Chinesinnen wurde viel gefabelt. Es ist auch. in der That nur selten möglich , über denselben durch Besichtigung der Füsse chinesischer Damen Genaueres zu erfahren. Denn die Frauen der Chinesen haben eine besondere Scheu, die entblössten Füsse sehen zu lassen ; die Gattin darf sie selbst dem Ehemann nicht zeigen. Doch vermochten uns unter Anderen die Aerzte Morache, ehemaliger Arzt der französischen Gesandtschaft in Peking, Fuzier, Bouzot, Schalje und schon früher Lockhart verlässliche Berichte zu liefern. Erst wieder in neuerer Zeit haben Welcker in Halle . und dann auch Rüdinger in München die Aufmerksamkeit auf diese willkürliche Verunstaltung gelenkt. Fig. 18. Normaler Menschenfuss (nach Welcker) . Zum Vergleich mit Fig. 19. Fig. 19. Fuss einer vornehmen Chinesin (nach Welcker). Die künstliche Verkleinerung und Missgestaltung der Füsse ist in den südlichen Provinzen Chinas allgemein bei den wohlhabenden Klassen zu finden weit weniger im Norden , und insbesondere nicht in Peking, wo die Tataren vorherrschen, bei denen diese Sitte nicht in Aufnahme kam. Ferner hat fast jede chinesische Provinz ihre eigene Abweichung der Deformation. So begegnet man speciell in Kuang- si und Kuang - ton den schönsten und ausgesuchtesten Exemplaren. Unter den reichen und vornehmen chinesischen Familien findet man sie nach einigen Angaben jedoch im ganzen chinesischen Reich, da dieser „ Luxus" ihren Töchtern die besten Partien sichert. Die barmherzigen Schwestern in Peking haben bei Kindern in ihrer Krankenpflege den freien Fuss in einigen Wochen zu seiner früheren Form zurückgehen sehen: freilich verdammen sie durch diese Experimente die Mädchen zur Ehelosigkeit, denn noch hat der fremde Einfluss nicht vermocht , die Macht dieser verderblichen Mode zu brechen. 24. Die Körperplastik. 101 Man befolgt in den verschiedenen Provinzen beim Binden des Fusses verschiedene Verfahrungsweisen ; man hat aber auch zwei Grade der Verkrüppelung. Entweder werden nämlich bloss die Zehen verkrüppelt. oder es wird auch der hintere Theil des Fersenbeines senkrecht nach unten gestellt. Die Operation des Bindens wird bei den niederen Klassen von der Mutter, bei den besseren Ständen von eigens dazu in der Familie unterhaltenen Frauen ausgeführt. In den reichen, auf schöne Töchter eitlen Familien beginnt die Verunstaltung der Füsse mit dem vierten, bei anderen mit dem sechsten oder siebenten Lebensjahre. Zunächst wird, wie Morache angiebt , der Fuss geknetet, dann werden. die vier kleinen Zehen mit Gewalt gebeugt und durch eine Binde von 5 cm Breite mittelst fester Umwickelung in dieser Lage erhalten. Täglich wird die Binde erneuert. Das Kind trägt einen ziemlich hochreichenden Schnürstiefel, der sich nach vorn zuspitzt und eine platte Sohle ohne Absatz hat. Dies Verfahren giebt nur den in den Nordprovinzen Chinas üblichen gewöhnlichen Fuss. Zur Herstellung der zweiten , eleganteren Form legt man, wenn die bleibende Beugung der Zehen erreicht ist, unter den Fuss einen halben Cylinder von Metall und führt nun die Binden um den Fuss , auch wohl um den Unterschenkel, in der Absicht, dessen Muskeln an einer der beabsichtigten Gestaltung feindlichen Wirkung zu hindern. Bei der Anlegung der Binden presst die Mutter aus allen Kräften das Fersenbein und die Zehen über dem Halbeylinder zusammen und führt auf diese Weise eine Lageveränderung des sogenannten Kahnbeins herbei. Der so misshandelte Fuss wird später in einen Stiefel mit starker convexer Sohle gesteckt. Man kann sich vorstellen, welche peinlichen Schmerzen dem armen Kinde die festen Umschnürungen verursachen. Die Binden bleiben Tag und Nacht liegen, selbst wenn die Füsschen heiss und entzündet und die Kinder unruhig werden. Ist doch die Schönheit des Körpers höher anzuschlagen, als das Wohlbefinden der lieben Kinder ! Es kommt, wie Parker erzählt, bisweilen vor, dass beide Füsse bis zu den Knöcheln brandig werden. Haben nun aber die jungen Mädchen die Misshandlung überstanden, so gehen sie fortan nicht mehr wie andere Menschen einher, sondern sie wackeln. wie auf Stelzen , indem sie das ganze Gewicht des Körpers lediglich auf der kleinen Fläche der Fersenspitze und dem Ballen der grossen Zehe balanciren. Um nicht zu fallen, bedienen sich die Damen als Stützen der Spazierstöcke oder sie lehnen sich auf begleitende Dienerinnen. trotz aller Mühsal die Chinesinnen stolz auf ihre Fuss- Stümpfe. In der poetischen Landessprache heisst das verstümmelte Glied Kin - lien , d. h. die goldene Wasserlilie" . Mit frischen Farben beschreibt Capitain Bingham die von ihm vorgenommene Besichtigung des Fusses einer Chinesin: „ Im Hause eines Landmannes wünschten wir den pied mignon" einer Frau zu sehen ; ein hübsches junges Mädchen von 16 Jahren wurde auf einen Stuhl gesetzt , um unsere Neugierde zu befriedigen . Anfangs war sie sehr schämig ; allein der Glanz eines neuen Kopftuches überwand bald ihre Zurückhaltung ; sie begann die oberen Bandagen, welche um den Fuss und über einen schmalen, von der Ferse heraufgehenden Streifen gewunden waren, aufzuwickeln . Der Schuh wurde dann abgezogen und die zweite Bandage abgenommen, welche den Dienst eines Strumpfes versieht. Die Binden um die Zehen und Knöchel waren sehr fest und hielten alles an seinen Platz. Als sie endlich den kleinen Fuss zeigte, war er zart, weiss und rein; das Bein war vom Knie abwärts sehr geschwunden, der Fuss schien an der Hacke wie gebrochen, während die vier kleinen Zehen unter den Fuss hinabgezogen waren, so dass nur die grosse Zehe ihre natürliche Lage behalten hatte. Durch das Brechen (oder Biegen) der Hacke wird ein hoher Bogen zwischen der Ferse und den 98 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. Dass bei den Botokuden in Süd - Amerika grosse hölzerne Knöpf der Unterlippe getragen werden, dürfte dem Leser wohl bekannt sein." 1hr Name stammt von dieser Sitte her. Dieselbe herrscht aber bei den Männern ganz in demselben Maasse, als bei dem weiblichen Geschlecht. Auch im Norden Amerikas herrschen ähnliche Gebräuche : das ersehen wir aus einem Berichte, den wir dem Capitän Jacobsen verdanken : 20 In den Eskimo- Dörfern im hohen Nordwesten Amerikas an der Mündung der Kuskoquim weiss sich der weibliche Theil mit Perlen sehr zu schmücken ; diese werden überall, auch in den Haaren, angebracht. Die Unterlippe der jungen Mädchen wird an drei Stellen durchbohrt ; in den Seitenlöchern steckt als Lippenpflock je ein kleiner krummer Knochen, dessen knopfförmiges stärkeres Ende sich im Inneren des Mundes befindet und das Herausfallen des Knochens verhindert ; das äussere Ende des Knochens ist mit Peren geschmückt. Auch das Mittelloch der unteren Lippe trägt als Lippenpflock einen ganz kleinen Knochen mit Perlen. Die Nasenscheidewand der jungen Mädchen ist gleichfalls durchbohrt und trägt eine bis auf den Mund herabhängende Perlenschnur. Dieser Nasenperlenschmuck findet sich auch bei den jungen Eskimoschönen am unteren Thukon, sowie weiter nordwärts bei den Mallemuten. Alle diese Eskimos tättowiren auch das Kinn. " (Fig . 15 No. 2.) Bei den nördlichen Nachbarn der Babines in Britisch Columbien herrscht die Sitte, der ganzen Länge des Mundes nach in die Oberlippe Glasperlen einzusetzen, die allmählich von der Haut überwachsen werden, so dass nur ein Drittel der Perlen über die Lippe hervorsteht. Sie sehen dann aus, als hätten sie ihre Zähne ausserhalb des Mundes ( ; HesseWartegg). Von den Verunstaltungen am Kopfe haben wir noch kurz das Ausreissen der Augenbrauen (Bongofrauen [ Schweinfurth] , Japanerinnen) und das absonderliche Abrasiren des ganzen Schädels oder bestimmter Te desselben zu erwähnen. (Man vergleiche auf Fig. 13 die Andamanesin No. 2 und die Anachoreten - Insulanerin No. 7. ) Es würde uns zu weit führen, sämmtliche in dieser Beziehung herrschenden Gebräuche berichten zu wollen, welche besonders in Afrika ihre Heimath haben. Am Rumpfe sind wir bereits den durch die Tättowirungen hervorgerufenen Verunstaltungen begegnet. Von den sonst hier noch vorgenommenen Proceduren sind die bei weitem wichtigsten die Behandlung der Brüste und der Geschlechtstheile. Da wir jedoch später diesen Organen ein besonderes Kapitel zu widmen haben, so können wir auch die Besprechung ihrer Verunstaltungen bis dahin verschieben . An den oberen Extremitäten müssen wir die absonderliche Unsitte erwähnen, die Fingernägel bis zu unglaublicher Länge wachsen zu lassen (Annamiten), um dadurch den Beweis zu liefern, dass die Besitzerin ihre Hände nicht zur Arbeit zu profaniren nöthig hat. Das Abschneiden einzelner Fingerglieder, wie es uns in Afrika (Buschmänner), im südlichen Indien und bei Indianern begegnet. hat nicht die Bedeutung einer Verschönerung, sondern es ist entweder ein Zeichen der Trauer, oder ein Opfer zur Abwendung von Gefahren. Andree' hat die hierher gehörigen Thatsachen zusammengestellt. Wenn schon von einem grossen Theile der in den vorhergehenden Zeilen beschriebenen sogenannten Verschönerungen gesagt werden muss, dass sie der Geschmacksrichtung der civilisirten Nationen geradezu widersprechen, so gilt dieses doch in ganz besonderem Maasse von einer Umformung, von einer Körperplastik, um mit Johannes Ranke² zu reden, welche einen Theil des weiblichen Körpers im wahren Sinne des Wortes zur Verkrüppelung bringt, dessen normaler Bau und gute, harmonische Entwickelung bei allen 24. Die Körperplastik. 99 Välern europäischer Cultur sich einer hervorragende nerkennung erfreut ; ich meine den Fuss und den Unterschenkel. Dass leider auch unsere Damen nicht absolut von dem Vorwurfe freigesprochen werden können, dass sie an diesen Theilen künstliche Mittel wirken lassen, um dem Ideale ihres eigenen missverstandenen Schönheitsbegriffes möglichst nahe zu kommen, das wurde bereits weiter oben angedeutet, und die beifolgende Abbildung mag eine Vorstellung von einer der allergewöhnlichsten Verbildungen, dem sogenannten Ballen, geben, welche die Füsse durch zu spitzes Schuhwerk erdulden und welche, wie man nachden hier dargestellten Veränderungen an dem Grosszehengelenke sehr wohl begreifen wird, eine dauernde Quelle ganz erheblicher Unbequemlichkeiten und Schmerzen für die unglückliche Besitzerin abgiebt. (Fig. 16. ) Fast alle übrigen Völker haben den Fuss als dasjenige anerkannt und geachtet. was er in Wirlichkeit ist, als das hochwichtige und unentbehrliche Locomotions- und Stützorgan des gesammten Körpers ; demgemäss erfreut er sich auch allgemein einer ganz besonderen Schonung und Pflege und ist von den sogenannten Verschönerungen, von gewaltsamen Umformungen verschont geblieben. Höchstens werden die Zehen mit Bingen geschmückt oder noch häufiger das Fugelenk. Allerdings sind die um das letztere gelegten Ringe bei einigen Damen Mittel - Afrikas so schwer, dass auf dem Fussblatt dicke Schwielen entstehen (Tappenbeck) . Aus Süd- Amerika berichtet Schomburgk: „ Schon die Weiber der Caraiben , sowie die einiger anderen Stämme Guyanas , besitzen eine förmliche Manie, eine künstliche Vergrösserung ihrer Waden hervorzurufen, zu welchem Zwecke sie auch den jungen Mädchen fest anschliessende Bänder unter dem Knie anlegen ; die Maionkongs hatten aber nicht allein solche Bänder um die Beine, sondern auch um den oberen Theil ihrer Arme. " Fig. 16. Entzündeter Ballen (nach Erichsen). Fig. 17. Fuss einer Chinesin niederen Standes (nach Welcker) von der Seite und von der Sohlenfläche aus gesehen. Durch diese absonderliche Umgestaltung wird aber wenigstens die Function und die Gebrauchsfähigkeit der Beine nicht beeinträchtigt. Ein einziges Volk nur ist es , welches eine Verkrüppelung der Beine und Füsse absichtlich herbeiführt : das sind die Chinesen. Diese künstliche Verbildung des Chinesen fusses ist ein weibliches Verschönerungsmittel im allerstrengsten Sinne. Denn niemals und unter keinen Umständen wird diese Procedur an den Füssen der Knaben vorgenommen. Zum Ruhme des weiblichen Geschlechts in China sei es aber gesagt, dass, so verbreitet auch diese entstellende und für jedes andere Volk ausser dem chinesischen abscheuliche Unsitte in dem himmlischen Reiche ist , dennoch mehrere Districte sich von der Entstellung frei gehalten haben, wie auch die jetzt 7* 100 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. herrschende Kaiserfamilie dieselbe verachtet und, wenn man dem Volksmunde glauben darf, eine an den Füssen Verkrüppelte, die den kaiserlichen Palast betreten sollte, mit dem Tode bestrafen würde (Bastian). Die in den Sunda- Inseln lebenden Chinesinnen verkrüppeln auch ihre Füsse nicht. Es werden aber nach Keitner in gewissen Gebieten von China ( Singangfu und Lan- tschou- fu) auch die Unterschenkel bis zum Knie gewaltsam mit Binden eingezwängt, um recht stark abzumagern. „ Der Effect wird noch erhöht, wenn in der Wadenmitte ein zollbreiter Streifen frei bleibt und das Bein wie ein altes Strumpfband hervorblickt. " Ueber den Fuss der Chinesinnen wurde viel gefabelt. Es ist auch in der That nur selten möglich , über denselben durch Besichtigung der Füsse chinesischer Damen Genaueres zu erfahren. Denn die Frauen der Chinesen haben eine besondere Scheu, die entblössten Füsse sehen zu lassen; die Gattin darf sie selbst dem Ehemann nicht zeigen. Doch vermochten uns unter Anderen die Aerzte Morache, ehemaliger Arzt der fra nzösischen Gesandtschaft in Peking, Fuzier, Bouzot, Schalje und schon früher Lockhart verlässliche Berichte zu liefern. Erst wieder in neuerer Zeit haben Welcker in Halle . und dann auch Rüdinger in München die Aufmerksamkeit auf diese willkürliche Verunstaltung gelenkt. Fig. 18. Normaler Menschenfuss (nach Welcker) . Zum Vergleich mit Fig. 19. Fig. 19. Fuss einer vornehmen Chinesin ( nach Welcker) . Die künstliche Verkleinerung und Missgestaltung der Füsse ist in den südlichen Provinzen Chinas allgemein bei den wohlhabenden Klassen zu finden weit weniger im Norden , und insbesondere nicht in Peking, wo die Tataren vorherrschen, bei denen diese Sitte nicht in Aufnahme kam. Ferner hat fast jede chinesische Provinz ihre eigene Abweichung der Deformation. So begegnet man speciell in Kuang - si und Kuang - ton den schönsten und ausgesuchtesten Exemplaren. Unter den reichen und vornehmen chinesischen Familien findet man sie nach einigen Angaben jedoch im ganzen chinesischen Reich, da dieser „ Luxus" ihren Töchtern die besten Partien sichert. Die barmherzigen Schwestern in Peking haben bei Kindern in ihrer Krankenpflege den freien Fuss in einigen Wochen zu seiner früheren Form zurückgehen sehen; freilich verdammen sie durch diese Experimente die Mädchen zur Ehelosigkeit, denn noch hat der fremde Einfluss nicht vermocht , die Macht dieser verderblichen Mode zu brechen. 24. Die Körperplastik. 101 Man befolgt in den verschiedenen Provinzen beim Binden des Fusses verschiedene Verfahrungsweisen ; man hat aber auch zwei Grade der Verkrüppelung. Entweder werden nämlich bloss die Zehen verkrüppelt. oder es wird auch der hintere Theil des Fersenbeines senkrecht nach unten gestellt. Die Operation des Bindens wird bei den niederen Klassen von der Mutter , bei den besseren Ständen von eigens dazu in der Familie unterhaltenen Frauen ausgeführt. In den reichen , auf schöne Töchter eitlen Familien beginnt die Verunstaltung der Füsse mit dem vierten, bei anderen mit dem sechsten oder siebenten Lebensjahre. Zunächst wird, wie Morache angiebt , der Fuss geknetet, dann werden die vier kleinen Zehen mit Gewalt gebeugt und durch eine Binde von 5 cm Breite mittelst fester Umwickelung in dieser Lage erhalten. Täglich wird die Binde erneuert. Das Kind trägt einen ziemlich hochreichenden Schnürstiefel, der sich nach vorn zuspitzt und eine platte Sohle ohne Absatz hat . Dies Verfahren giebt nur den in den Nordprovinzen Chinas üblichen gewöhnlichen Fuss. Zur Herstellung der zweiten , eleganteren Form legt man , wenn die bleibende Beugung der Zehen erreicht ist, unter den Fuss einen halben Cylinder von Metall und führt nun die Binden um den Fuss , auch woll um den Unterschenkel, in der Absicht, dessen Muskeln an einer der beabsichtigten Gestaltung feindlichen Wirkung zu hindern. Bei der Anlegung der Binden presst die Mutter aus allen Kräften das Fersenbein und die Zehen über dem Halbeylinder zusammen und führt auf diese Weise eine Lageveränderung des sogenannten Kahnbeins herbei . Der so misshandelte Fuss wird später in einen Stiefel mit starker convexer Sohle gesteckt . Man kann sich vorstellen, welche peinlichen Schmerzen dem armen Kinde die festen Umschnürungen verursachen. Die Binden bleiben Tag und Nacht liegen, selbst wenn die Füsschen heiss und entzündet und die Kinder unruhig werden. Ist doch die Schönheit des Körpers höher anzuschlagen. als das Wohlbefinden der lieben Kinder ! Es kommt, wie Parker erzählt, bisweilen vor, dass beide Füsse bis zu den Knöcheln brandig werden. Haben nun aber die jungen Mädchen die Misshandlung überstanden, so gehen sie fortan nicht mehr wie andere Menschen einher, sondern sie wackeln wie auf Stelzen , indem sie das ganze Gewicht des Körpers lediglich auf der kleinen Fläche der Fersenspitze und dem Ballen der grossen Zehe balanciren. Um nicht zu fallen, bedienen sich die Damen als Stützen der Spazierstöcke oder sie lehnen sich auf begleitende Dienerinnen. Doch sind trotz aller Mühsal die Chinesinnen stolz auf ihre Fuss- Stümpfe. In der poetischen Landessprache heisst das verstümmelte Glied Kin - lien , d. h . die goldene Wasserlilie". Mit frischen Farben beschreibt Capitain Bingham die von ihm vorgenommene Besichtigung des Fusses einer Chinesin: „ Im Hause eines Landmannes wünschten wir den pied mignon " einer Frau zu sehen ; ein hübsches junges Mädchen von 16 Jahren wurde auf einen Stuhl gesetzt , um unsere Neugierde zu befriedigen . Anfangs war sie sehr schämig ; allein der Glanz eines neuen Kopftuches überwand bald ihre Zurückhaltung : sie begann die oberen Bandagen, welche um den Fuss und über einen schmalen, von der Ferse heraufgehenden Streifen gewunden waren, aufzuwickeln . Der Schuh wurde dann abgezogen und die zweite Bandage abgenommen, welche den Dienst eines Strumpfes versieht. Die Binden um die Zehen und Knöchel waren sehr fest und hielten alles an seinen Platz. Als sie endlich den kleinen Fuss zeigte , war er zart , weiss und rein; das Bein war vom Knie abwärts sehr geschwunden, der Fuss schien an der Hacke wie gebrochen, während die vier kleinen Zehen unter den Fuss hinabgezogen waren, so dass nur die grosse Zehe ihre natürliche Lage behalten hatte. Durch das Brechen (oder Biegen) der Hacke wird ein hoher Bogen zwischen der Ferse und den 102 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. Zehen gebildet , während bei den Damen von Canton und Macao die Hacke ganz unangetastet bleibt, dagegen ein sehr hoher Absatz angebracht wird, wodurch die Spitze der grossen Zehe auf den Boden kommt. Die unter den Fuss eingeschlagenen Zehen liessen sich nur mit der Hand insoweit vorbeugen, dass man sah, sie seien nicht wirklich in den Fuss hineingewachsen. " Es giebt Gypsabgüsse solcher Füsse in ethnographischen Sammlungen ; ihre Länge misst 4 bis 5 Zoll , doch die elegantere Form hat nur gegen 3 Zoll Länge. Fig. 20. Linker Fuss einer Chinesin (nach Junker). Die Haut ist entfernt, um die Muskeln freizulegen . ,,Die Betrachtung unseres Modells, sagt Welcker2, sowie alles dasjenige, was wir über den Modus der chinesischen Fusstoilette wissen, lehrt dass es sich um eine äusserste Streckung", anatomisch gesprochen: um eine Plantarflexion des Fusses, zugleich aber und dieses ist offenbar das tiefgreifendste Moment der gesammten Verunstaltung um eine Einknickung des Fusses handelt , bei welcher das Hinterende des Fersenbeines nach abwärts geknickt und dem Mittelfusse entgegengebogen wird (Fig. 20). [ Es bedarf kaum der Erinnerung , dass nicht eine rasche Knickung , wobei ein Theil zerbrochen oder auch nur unmittelbar verbogen würde, gemeint ist. Es handelt sich um die Erzielung des Wachsens der Theile in gebogener Richtung. ] Fuss- rücken und Schienbein befinden sich in einer und derselben Flucht, so dass die grosse Zehe nahezu senkrecht nach abwärts ragt, während die vier kleineren Zehen vom Aussenrande des Fusses her unter die Sohle geschlagen sind. Der Theil des Fusses aber, welcher dessen Hinterrand bilden sollte, die Ferse, ist nach unten zu liegen gekommen. Immer kam das Hinterende des Fersenbeines genau so unter den übrigen Fuss zu liegen, wie bei einem normalen Fusse der Hacken eines Hackenschuhes unterhalb der Ferse liegt. Die Chinesin geht also bei nahezu senkrecht gerichteten Mittelfussknochen auf den verkümmerten und grossentheils verbogenen Fusszehen ; das Hinterende des Fusses ruht auf einem doppelten Absatze einmal auf dem untergebogenen Fersenhöcker und dieser auf dem Absatze des Schuhes. " Martin sagt: „ Pendant le travail déformateur, il y a un certain nombre de victimes qui ne peuvent résister et qui meurent. Celles qui le supportent souffrent plus ou moins suivant leur degré de vigueur et les conditions de leur alimentation. La femme chinoise marche sans fléchir les genoux, laissant à peu près inactifs les muscles de la jambe et jettant en avant les deux membres, dont les mouvements sont alors et entièrement subordonnés à l'action des muscles du bassin. Ceux- ci s'atrophient moins que les premiers, et comparativement semblent exagérés comme volume : ils donnent alors aux parties molles du bassin un aspect qui peut faire croire à une amplitude laquelle, en réalité n'existe pas. " Erkundigt man sich in China nach Ursprung, Sinn und Zweck dieses eigenthümlichen Gebrauchs , so bekommt man sehr widersprechende An- 24. Die Körperplastik. 103 sichten zu hören. Wenn man von den Sagen absieht, welche den Ursprung der Sitte in die Zeit von 1100 v. Chr. Geburt zurückverlegen , so variiren die historischen Angaben zwischen den Zeiten des Kaisers Yang-li, 695 n. Chr. Geburt, und des Kaisers Li- Yuh, 961 bis 976 nach Christus. Sicher bestand die Sitte noch nicht zur Zeit des Confutse ; und Marco Polo, der berühmte Reisende , der sich im 13. Jahrhundert am glänzenden Hof des Kaisers aufhielt, erwähnt sie noch nicht. Nach Scherzer und anderen soll die Sache ihren Grund in der Eifersucht der Männer haben, welche, wie er meint , zu glauben scheinen, dass eine erschwerte Beweglichkeit der Frauen auch eine grössere Garantie für deren Treue ist . Allein dies war nicht die ursprüngliche Absicht bei Einführung der Sitte , auch denkt man in China, wenn man die Füsse des ganz jungen Mädchens einzuwickeln beginnt, noch nicht an eine später erfolgende Treulosigkeit desselben gegen den Ehemann. Eine befriedigende Erklärung für die Entstehung dieser Unsitte hat man bisher noch nicht beizubringen vermocht. „ Wir wundern uns , " sagt Welcker, „ über den Gebrauch einer so geschmacklosen und mit so vielen Unbequemlichkeiten verbundenen Verstümmelung , doch wir vergessen , dass es weit edlere Organe sind, welche durch die bei uns gebräuchliche Art des Schnürens verkümmert werden. Allein es giebt Dinge , über die das Publikum Belehrung gar nicht will . Vergeblich hat Sommerring gegen das Schnüren geschrieben, vergeblich hat Hogarth in den Umriss der Venus eine Schnürbrust eingezeichnet, vergeblich haben begeisterte Jünglinge mit anderem Plunder die Schnürbrust gar verbrannt die Unsitte blieb. Die Chinesinnen aber werden , sobald die europäische Cultur das Reich der Mitte noch ferner aus dem Gleichgewicht bringt, das Schnüren der Füsse aufgeben und den Brustkasten schnüren. " - Vielleicht gab es schon dereinst in Asien ein Volk, das den Brauch hatte, die Füsse der Frau zu verkleinern. Bei Plinius heisst es : „Eudoxus in meridianis Indiae viris plantas esse cubitales , feminis adeo parvas, ut Struthopodes appellentur. " Den Verstümmelungen und Entstellungen zum Zwecke sogenannter Verschönerung haben wir noch die artificiellen Fettbildungen anzuschliessen. Eine besondere Geschmacksrichtung für Frauenschönheit ist nämlich im Orient heimisch dort halten viele Völker nur solche Weiber für schön , deren Körper eine mehr als normale Fülle durch reichliche Fettablagerung zeigt. Ein feiner Gliederbau gilt dort nichts , und die Fettbildung wird durch eine förmliche Mästung des jungen Mädchens im Harem gefördert. Die klassische Gegend für die Wohlbeleibtheit ist Afrika. Im Königreich Karagwah gilt ebenso wie in Unyoro und anderen afrikanischen Staaten bei allen Frauen , besonders bei denen des Königs , die Wohlbeleibtheit als zum Begriff der Schönheit gehörig. Schon von früher Jugend an werden die betreffenden Mädchen einer richtigen Mästung mit Mehlbrei eder geronnener Milch unterworfen. Diese Vorliebe für die übermässig vollen weiblichen Formen findet sich: allgemein bei den Arabern und wohin diese ihre Herrschaft und ihren Einfluss verbreitet haben. Zwar war das ältere arabische Schönheitsideal durchaus nicht auf die Ueberschätzung der Fleischmasse basirt, und noch jetzt zeigen z. B. die Frauen der Himyaren nie fette Gestalten. Aber bereits die Zeit Mohameds bietet uns in Gestalt seiner dicken Lieblingsgattin Aischa ein Beispiel ausserordentlicher Beleibtheit. Das im Ganzen doch faule Wohlleben im Harem der vornehmen. 104 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes. Aegypter macht deren Weiber zur Corpulenz, und sogar zu einer oft gewaltigen Fettablagerung geneigt. Solche Corpulenz giebt aber die Einleitung zu vielen leiblichen Beschwerden. Einen widerlichen Eindruck macht der plumpe, watschelige Gang einer feisten Sitte ( Dame), woran zum Theil freilich die unpraktische Fussbekleidung Schuld hat. Eine Frau niederen Standes dagegen , welcher keine zahlreichen Dienerinnen zu Gebote stehen, muss fleissig arbeiten und wird daher nicht leicht fett. Sie bleibt durchschnittlich schlanker , graziöser , als die Frau aus höherer Lebenssphäre (Hartmann³). Die Frauen in Aegypten suchten seit langer Zeit die Fettbildung theils durch den Gebrauch warmer Bäder, theils durch ganz besondere diätetische Mittel zu fördern ; dies bezeugt Alpinus, welcher auch speciell die eigenthümliche, zu diesem Zwecke benutzte Methode beschreibt. Die Trarsa in der Sahara zwischen Talifet und Timbuktu verlegen sich ganz besonders auf die Erzeugung von Fettleibigkeit bei den Frauen ; die Mädchen müssen freiwillig oder gezwungen unerhörte Massen von Milch und Butter zu sich nehmen , so dass sie zuletzt eine Feistigkeit erzielen, die bei der Magerkeit der Männer doppelt auffällt (Chavanne). Unter den südnubischen Völkern herrscht der barbarische Brauch, die jungen Mädchen vor ihrer Verheirathung künstlich zu mästen : denn Fettleibigkeit und Körperfülle gehören hier zu den ersten Schönheitsbedingungen des Weibes. Vierzig Tage vor der Hochzeit wird das Mädchen zu folgendem Regime gezwungen : früh Morgens mit Tagesanbruch salbt man ihr den Körper über und über mit Fett ein, dann muss sie einen Brei aus circa 1 Kilogramm Durra- Mehl mit Wasser, ohne Salz und Würze gekocht, zu sich nehmen, sie muss , denn neben ihr steht die hierin unerbittliche Mutter oder sonstige Verwandte, der das Heirathsproject am Herzen liegt, mit dem Stocke oder Kurbatsch aus Hippopotamushaut, und wehe ihr, wenn sie die Schüssel nicht bis auf den Grund leert. Selbst wenn sie die Uebermasse der faden widrigen Nahrung erbricht , wird sie nicht dispensirt , es wird von neuem gebracht und muss hinuntergeschluckt werden. Nachmittags bekommt sie ebenfalls Durra-Brei ( Lugma) mit etwas gekochtem Fleisch, dessen Brühe die Sauce bildet ; Abends dieselbe Quantität Brei wie am Morgen und endlich in der Nacht noch eine grosse Kürbisschale fetter Ziegenmilch. Dabei unablässige äusserliche Fetteinreibungen. Bei dieser Behandlung gewinnt der Körper des Mädchens fast sichtbar an Rundung, und wenn die vierzig Tage verflossen sind , gleicht er beinahe, um einen sudanesischen Vergleich zu gebrauchen, an Masse dem Nilpferde ; doch entzückt das ihren Zukünftigen und erweckt den Neid ihrer mageren Mitschwestern. Die Fettleibigkeit ist eben Mode, und was thut und leidet die Evastochter nicht alles um der Mode willen ? (Berghoff) Den gleichen Geschmack verräth, was Paulitschke über die Somâli sagt : „Der Jüngling huldigt seiner Geliebten durch Lieder. Er ruft ihr zu : Du bist schön, Deine Glieder sind üppig ; tränkest Du Kameelmilch, Du wärest noch schöner. " Auch auf Hawai nehmen die Fettmassen der Frauen oft ganz bedeutende Dimensionen an; dies gilt als die grösste Schönheit für das weibliche Geschlecht ; ebenso findet sich auf Tahiti Aehnliches. Auch bei den Indern ist Corpulenz ein Erforderniss für die Schönheit einer vornehmen Frau; bereits das Gesetzbuch des Mann schreibt vor , bei der Wahl des Eheweibes darauf zu achten , dass der Gang grazios wie der eines jungen Elephanten sei , und in einem Sanskrit verse heisst es : Der Zweifel, ob, o Geliebte, zwischen Deinen Brüsten und zwischen Deinen Hütten ein Zwischenraum sei oder nicht, bleibt auch heute bei mir ungelöst. " (Böthlingk. ) Dagegen fordert der chinesische Brauch von der Frau eine zarte und zierliche Gestalt. IV. Die Auffassung des Weibes im Volks- und religiösen Glauben. 25. Der Aberglaube in der Behandlung des Weibes. Wenn wir uns unter den Naturvölkern umblicken, so finden wir, dass alle Ereignisse des Lebens mit höheren Gewalten, guten oder bösen, in Verbindung gebracht werden. Da ist es nun wohl nicht zu verwundern, dass in noch viel stärkerem Grade alle die geheimnissvollen Vorgänge der Fortpflanzung und der Zeugung, der Schwangerschaft und Geburt und der räthselhaften Entwickelung vom Kinde zum geschlechtsreifen Individuum als unter der Einwirkung der Götter und Dämonen stehend aufgefasst werden. Es ist dann nur ein weiterer Schritt in dem gleichen Gedankengange, wenn die auf unentwickelter Culturstufe Stehenden nun durch Opfer und allerlei absonderliche und abergläubische Handlungen den segensreichen Beistand der guten Geister sich gewinnen und die feindlichen gefahrdrohenden Eingriffe der bösen Geister von sich und den Ihrigen abzuwenden bestrebt sind. In hohem Grade erfinderisch hat sich in solchen Vornahmen der menschliche Geist erwiesen , und es ist . wie wir sehen werden , kein Volk so tiefstehend, aber auch keines so hochcivilisirt, dass wir nicht derartige Proceduren bei ihm nachzuweisen im Stande wären. Fast immer aber fühlen sich die Menschen zu schwach, ihre Angst und Sorge um sich und die Ihrigen allein zu tragen und auf sich zu nehmen, und mit den Gottheiten in directe Verbindung zu treten. Sie bedürfen dazu der Hülfe und Unterstützung klügerer, muthigerer und bevorzugterer Naturen, welche mit ihnen und für sie die nothwendigen Ceremonien vornehmen. So sind es die klugen Frauen, die Priester und Priesterinnen, die Zauberer, Teufelsbeschwörer, Medicinmänner und Schamanen, welche wir diese Hülfeleistung gewähren sehen. Es ist eine interessante culturgeschichtliche Erscheinung, dass meistentheils in solchem Suchen nach kräftiger Hülfe die ersten Anfänge der sich entwickelnden Heilkunde verborgen liegen. Sehr richtig schrieb einst Heusinger : „Die Anfänge der Medicin bei wilden Völkern zeigen uns allgemein eine Verbindung supranaturalistischer. mystischer Heilungsmittel mit physischen Heilungsmitteln, und dieselben Personen verrichten die Incantationen und wenden Wurzelkräuter u. s. w. an. Bei fortschreitender Cultur trennen sich beide, es giebt Incantatoren und Wurzelsucher, die zu Aerzten 106 IV. Die Auffassung des Weibes im Volks- und religiösen Glauben. werden ; dass sie einige Zeit so neben einander bestehen, lehrt uns selbst die. griechische Medicin, wo bis ins 4. Jahrh. n. Christo die AsklepiosTempel neben den Aerzten fortbestehen, und gerade in der letzten Zeit recht vorzugsweise nur als hyperphysische Heilungsorte. Allein gewöhnlich wird die mystische Medicin entweder bald ganz abgeworfen. oder sie geht ganz auf die eigentlichen Priester über. " Wir sind im Stande, auch in der Geburtshülfe diesen Entwickelungsgang zu verfolgen. Wenn nun aber solchen Völkern die Cultur von aussen her, oder durch selbständige autochthone Ausbildung eine wirkliche Heilkunde und ihre Vertreter, Aerzte und Geburtshelfer und Hebammen zuführt, so bestehen jene Magier noch lange Zeit neben den letzteren fort. Unter den alten Indern aber blieb das Priesterthum gänzlich mit der ärztlichen und geburtshülflichen Praxis verschmolzen in der Brahmanenkaste, ganz ähnlich wie in dem mittelalterlichen Europa die Heilkunde in den Händen der Mönche war. Das abergläubische Vertrauen der Völker richtete sich in ganz eigenthümlicher Weise auf mannigfache Gegenstände bei den verschiedenen Phasen des geschlechtlichen Lebens. So frei sich aber auch in dieser Beziehung die Phantasie der Völker ergehen mochte, so finden wir doch auch eine gewisse Analogie unter ihnen hinsichtlich der Gegenstände, an welche sich ihr Vertrauen knüpfte. Vielleicht und wahrscheinlich allerdings übertragen sich manche abergläubische Vorstellungen von einem Volk auf das andere ; gewiss aber gelangte der menschliche Geist vermöge seiner bei verschiedenen Rassen übereinstimmenden Organisation gar oft zu ziemlich gleichen Begriffen , Anschauungsformen und Glaubenssätzen. Wir werden in den späteren Kapiteln sehr mannigfachen abergläubischen Gebräuchen und religiösen Ceremonien begegnen. Nur die genauere Beobachtung des natürlichen Vorganges bei den einzelnen Acten der Geschlechtsverrichtungen war im Stande, die Erkenntniss so weit zu fördern, dass der Aberglaube mehr und mehr unter den Völkern Europas verschwand. Allein auch dort, wo in den höheren, gebildeteren Schichten der Gesellschaft dem Aberglauben wenig Raum mehr gegeben wird, hängt man noch immer in den niederen Volksklassen mit grosser Zähigkeit an altgewohnten abergläubischen Bräuchen. Ein solches Festhalten am Aberglauben bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ist leicht zu erklären, da man weiss, welche grosse Lebensdauer überhaupt alle Sitten, Gewohnheiten und Vorstellungen haben, die sich einmal im Innersten der Familien eingenistet hatten. Alle sich an die Geschlechtsverrichtungen knüpfenden Sitten vermischen sich um so leichter und um so inniger mit abergläubischen Handlungen, je mystischer an sich die Erscheinungen des hier einschlagenden Naturvorganges sind und je ausschliesslicher sich bloss Weiber der Beobachtung dieser Erscheinungen unterziehen. - Vergeblich sind aufgeklärte Geister bei den verschiedenen Nationen bemüht gewesen, solchem Aberglauben energisch entgegenzuarbeiten, und auch hier ist es wiederum eine interessante, für die überall gleiche Beschaffenheit des menschlichen Geistes zeugende Erscheinung , dass man bei weit von einander entfernten Völkern auch hierin auf die gleichen Ideen verfallen ist. So wurden in der Bevölkerung von Sidon , jetzt Saida (in Palästina) , syrische abergläubische Gebräuche gesammelt, welche den unsrigen sehr glichen. Die Muselmänner daselbst nennen sie „ Ilm errukke", d. i . die Spinnrocken-Wissenschaft. Ganz ähnlich suchte im Jahre 1718 Praetorius dem Aberglauben der Deutschen entgegenzutreten, indem er die abergläubischen Gebräuche in einem dicken Buche sammelte 26. Die religiösen Satzungen in Bezug auf das Geschlechtsleben der Frau. 107 und abkanzelte, welches den Titel führte : „ Die gestriegelte Rockenphilosophie, oder aufrichtige Untersuchung derer von vielen superklugen Weibern hochgehaltenen Aberglauben. " 26. Die religiösen Satzungen in Bezug auf das Geschlechtsleben der Frau. Es ist auffallend, wie sehr sich manche Religionen mit den Mysterien des Gechlechtslebens beschäftigen, und wie häufig sich auch in die geburtshülflichen Gebräuche der Völker ein religiöses Moment einmischt. Schon mit dem Eintritt der Geschlechtsreife werden bei vielen Völkern Bräuche und Ceremonien vorgenommen, welche bei höher civilisirten Völkerschaften durch religiöse Riten ersetzt werden. Wenn manche Gründer von Religionen gewisse diätetische Sitten in ihrem Volke schon vorfanden und sie für zweckmässig, und somit auch dem Heile des gesammten Menschengeschlechts für dienlich hielten, so legten sie denselben wohl die Bedeutung von Gott wohlgefälligen Handlungen bei . Sie suchten demnach die ihnen nützlich erscheinende Volkssitte durch strenge Gebote im Volke für alle Zeiten zu festigen. Andere Male benutzten sie wohl auch nur einen schon fest eingewurzelten diätetischen Brauch als religiöse symbolische Handlung. Dies trifft einzelne religiöse Vorschriften und Ceremonien, zu denen hie und da die Pubertätsentwickelung, die Eheschliessung, die Schwangerschaft, die Geburt, die Pflege der Neugeborenen Veranlassung gaben. Der Befehl, diese mit Ceremonien vorzunehmenden diätetischen Acte im Namen und zu Ehren der Gottheit stetig beizubehalten, kann wohl zum Theil der Absicht entsprungen sein, für eine dauernde Erhaltung des Menschengeschlechts Sorge zu tragen, während die höhere Forderung der Religion geistige Erhebung und Veredelung des Menschen ist . In der Regel nehmen sich bei einem Volke, welches sich aus der rohesten Barbarei erhebt, zunächst die Priester als die vorzugsweise gebildete Klasse der Ausübung der ärztlichen Kunst an. So beschäftigten sich auch die Religionsgründer und Propheten mit der Gesundheitspflege des Volkes. Wir haben anderwärts gezeigt, dass die Beschneidung der Knaben bei einer sehr grossen Anzahl von Völkern nur als Volkssitte zu betrachten ist (Ploss2 ) . Dort aber, wo sie von Religionslehrern geheiligt und befohlen wurde, wie bei den Juden , wurde sie als nationales Symbol" des von Gott auserwählten Volkes bezeichnet, aber auch als Mittel, die Fruchtbarkeit , also die Vermehrung des Volkes zu fördern ! Wie sehr religiöse Gesetzgeber es namentlich für eine Lebensaufgabe des Individuums halten , zur Fortpflanzung des Menschengeschlechts beizutragen, zeigt unter anderen der Talmud , wo es heisst : „ Wer das Heirathen vorsätzlich unterlässt, um nämlich keine Leibeserben zu erzeugen, der ist moralisch einem Mörder gleichzustellen " ; denn die Rabbiner glaubten, dass ein Unverehelichter ebenso wie ein Mörder sich eine Verminderung der Population zu Schulden kommen lässt (T. Jebamoth, 63, b) . Ferner steht im Talmud : „Wer auch nur zur Erhaltung eines einzigen Menschen beiträgt, ist gleich als ob er das Weltall erhielte. " In solchem Geiste, d. h. mit der Absicht auf Erzeugung und Erhaltung der Menschen, waren denn auch eine Anzahl von religiösen Handlungen in Bezug auf das Geschlechts- 108 IV. Die Auffassung des Weibes im Volks- und religiösen Glauben. leben bei den Juden eingesetzt worden. Moses sagt ausdrücklich: „ Beobachtet meine Gesetze und meine Rechte, durch deren Ausübung der Mensch leben soll " (z. B. Moses 18, 5) . So verstehen wir denn, in welcher Absicht er die Reinigungsgesetze für die Menstruirenden, die Wöchnerinnen u. s. w. gab, und warum er diese Vorschriften und ihre genaue Befolgung durch Einsetzung der Brand- und Sühnopfer am Schlusse des Wochenbetts unmerklich unter die Controle der Priester stellte . Schliesslich erinnere ich an das religiöse Dogma: dass das Weib mit Schmerzen gebären soll. So nehmen auch manche andere Culte Lehren über die Lebensweise in Bezug auf das Fortpflanzungs- und Geschlechtsleben auf. „Ich nenne, " sagt Zoroaster im Gesetzbuche,,,den Verheiratheten vor dem Unverheiratheten , den, welcher einen Hausstand hat, vor dem, welcher keinen hat, den Familienvater vor dem Kinderlosen, den Reichen vor dem Armen" etc. Bei den alten Persern und Medern endlich galt das Zendavesta als heiliges Buch, und wir wissen, eine wie grosse Rolle die Heilkunde durch die Schätzung und Erhaltung des Lebens in demselben spielte, obgleich uns von ihm nur das zwanzigste Buch , der Vendidad , erhalten ist . Ueberall, wohin Zoroaster's Lehren drangen, spielten auch als Priester die Magier eine grosse Rolle; sie prakticirten als Aerzte und Teufelsbanner bei Krankheit, Geburt und Wochenbett. Und wie noch heute bei den Parsen, die nach Zoroaster's Lehre leben, die Ehelosigkeit bestraft wird, so musste auch bei den alten Indern nach dem Gesetzbuche Manu's Jedermann heirathen,,,weil das Geschlecht erhalten werden muss". Das Gesetz Manu's giebt auch Rathschläge in Bezug auf die Wahl des Mädchens, und viele. andere Bestimmungen Manu's bezeugen, welche Aufgaben die Religion der Inder bei ihren Sittenvorschriften befolgte ; insbesondere gehören hierher die Reinheits- und die Speisegesetze der Inder. Die Religionswächter der Inder , die Priester- und Mediciner- Kaste, die Brahmanen, beaufsichtigten auch die Geburt und das Wochenbett. Die Buddhisten sind durch die Macht ihrer Kirche äusserlich nicht gezwungen, sich bei irgend welchen Familienangelegenheiten unter die Vormundschaft der Priester zu stellen ; allein sie wenden sich doch bei Familienereignissen an deren geistlichen Beistand ; ja die Lamaisten nehmen den Segen der Priester bei solchen Gelegenheiten noch häufiger in Anspruch. als die Katholiken . Der gläubige Buddhist findet im Priester seinen geistlichen Vater, und dieser fungirt auch bei der Geburt und der Namengebung der Kinder. Ausserdem treiben die geistlichen Söhne des Buddha überall die Heilkunde ; sie brauchen ihren Einfluss in den Familien also nicht wie in christlichen Landen mit dem Hausarzte zu theilen ; in Tibet, China, in der Mongolei , im ganzen Norden Asiens sind sie zugleich Wahrsager, Astrologen, Geisterbeschwörer und Zauberer; als solche bringen sie. ihre Künste auch bei der Geburt in Anwendung. ( Koeppen.) Manche Forscher auf dem Gebiete der Religionsgeschichte verneinen mit vollem Rechte, dass einzelne Ceremonien und religiöse Satzungen, z . B. das Beschneiden, als wirkliche Sanitätsmaassregeln zu betrachten seien ; solche Satzungen wurden nach ihnen mindestens nicht in hygienischer Absicht, wie etwa bei uns das Impfen, eingeführt. Wir geben auch zu, dass viele religiöse Gebräuche, die mit dem Geschlechtsleben zusammenhängen, eine hygienische Tendenz nicht beanspruchen dürfen. Vielmehr wurde das Mysterium der Zeugung und Fortpflanzung, welches bei mehreren Völkern unter Anderem zum abscheulichen Phallusdienst führte, unter dem Einflusse der verschiedenen Naturanschauung in mannigfachen , oft recht ge- 27. Die Frauensprache. 109 sundheitsschädlichen Formen symbolisirt. Dass aber die Religionsstifter in ihrem selbstgewählten Berufe als reformatorische Gesetzgeber der Völker bei ihrer Wahl der symbolischen Handlungen, welche sie empfohlen haben, auch mehr oder weniger das Bewusstsein von deren Zweckmässigkeit selbst in hygienischer Hinsicht hatten, ist doch wohl nicht ganz unwahrscheinlich . Beispielsweise gingen die Institutionen Mosis über menstruirende, blutende und gebärende Frauen aus der den ganzen Mosaismus beherrschenden Idee der Heiligung des Volkes hervor ; Moses wurde jedoch in der Wahl und Ausführung seiner Satzungen durch klimatische Verhältnisse bestimmt. Wie alle die grossen Abschnitte in der Entwickelung und in dem Leben des einzelnen Individuums, die Geburt, die Verschönerungsproceduren am menschlichen Körper (Ohr- und Lippendurchbohrung, Tättowirung, Zahnverstümmelung u. s . w. ) , die Beschneidung, die Menstruation , die Schwangerschaft und der Tod von religiösen Ceremonien begleitet und mit abergläubischen Vorschriften umgeben sind, das sehen wir auch in dem Umstande, dass in den genannten Lebensperioden die Betreffenden nicht selten abgesondert von der Gemeinde gehalten werden, dass der Verkehr mit ihnen und das von ihnen Ausgehende die sie Berührenden verunreinigt und auf eine gewisse Zeit hin ebenfalls zu dem Ausschluss aus der Gemeinde zwingt, dass ihnen bestimmte Geschäfte vorzunehmen auf das Strengste untersagt bleibt , dass ihnen bestimmte Dinge zu essen verordnet und andere wieder als Nahrungsmittel zu verwenden verboten ist. Wir erkennen auch hierin wieder den untrennbaren Uebergang von den religiösen zu den hygienischen Vorschriften. 27. Die Frauensprache. Eine sehr merkwürdige und absonderliche Erscheinung in dem Leben einiger Völker können wir hier nicht mit Stillschweigen übergehen. Sie besteht darin, dass sich bei ihnen die Frauen einer eigenen . von den Männern niemals benutzten und bisweilen auch nicht einmal verstandenen Sprache bedienen. Jedoch vermögen wir in dieser Beziehung verschiedene Abstufungen ganz deutlich zu erkennen. Als den höchsten Grad dieser Frauensprache" müssen wir es bezeichnen, wenn, wie uns Herodot dieses in zwei Fällen berichtet, die Männer und die Weiber überhaupt verschiedenen Sprachstämmen angehören. So sagt er von den Sauromaten, welche sich mit den zu ihnen verschlagenen Amazonen ehelich verbanden : ,,Die Sprache der Weiber vermochten zwar die Männer nicht zu erlernen , aber die Weiber verstanden die der Männer. " Ebenso ging es den Joniern , welche die Frauen der Karier erbeutet und zur Ehe genommen hatten, nachdem deren Männer von ihnen erschlagen worden waren. Rochefort und v . Martius haben eine ähnliche Erscheinung bei gewissen südamerikanischen Völkern in gleicher Weise durch erfolgten Frauenraub aus fremdem Sprachstamme erklären wollen. v . Martius fand eine auffallende Sprachverschiedenheit zwischen den beiden Geschlechtern bei den Guyacurus und mehreren anderen Stämmen in Brasilien : Rochefort beobachtete sie bei caraibischen Stämmen, insbesondere bei denjenigen, welche die kleinen Antillen bewohnen. Er sprach die Vermuthung aus, dass einstmals die Caraiben nach den kleinen Antillen eingewandert wären und dass sie dort alle Männer getödtet, die 110 IV. Die Auffassung des Weibes im Volks- und religiösen Glauben. Weiber aber für sich behalten hätten; die letzteren seien dann ihrer angestammten Sprache treu geblieben. Allein dass in diesem Falle die gegebene Erklärung nicht zutreffend ist, hat Stolle nachgewiesen, denn die caraibische Frauensprache besitzt nur ein einziges Wort, welches dem Arawaischen gleicht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass diese Erscheinung einerseits in der socialen Stellung der Frau, welche nicht einmal in Bezug auf die Worte mit den Männern gleichberechtigt ist, andererseits aber in einer für unsere Sprache und unser Empfinden vollkommen fremden, viel schärferen Differenzirung gewisser Dinge, wie besonders der Verwandtschaftsgrade, ihre eigentliche Erklärung findet. Gerade das Letztere sehen wir auch nach Stoll in der Sprache der Cakchiqueles in Guatemala. Dort nennt der Mann den Schwiegersohn hi, die Schwiegertochter ali , den Schwiegervater hi- nam, die Schwiegermutter hi- te, während die Frau für dieselben Verwandten die Worte ali, ali , ali - nam und ali- te gebraucht. Auch sonst findet es sich bisweilen, dass die Weiber für eine ganze Reihe von Gegenständen und Begriffen ihre besonderen Ausdrücke und Bezeichnungen gebrauchen, welche die Männer niemals in den Mund nehmen und für welche die Letzteren ihre eigenen Worte besitzen . Etwas Derartiges berichtet Prinz Roland Bonaparte von den eingeborenen Indianern aus Surinam: Les femmes ont beaucoup de mots qui leurs sont propres , et que les hommes n'emploient jamais, ce qui ne veut point dire , comme on l'a affirmé, que les hommes et les femmes parlent deux langues différentes : Qui se dit chez les hommes : „ Ehé" ou Tasi" ; et chez les femmes : „ Taré" . De même les hommes disent : „ Bahassida" pour „Je crois" ; et les femmes „ Bahara" . - Bei einzelnen Völkerschaften sind wir im Stande, dem Wesen und dem. Ursprunge der Frauensprache in Wirklichkeit auf den Grund zu kommen. Sie hat sich ausgebildet durch eine höchst eigenthümliche Sitte des Familienund öffentlichen Ceremoniells. Es ist nämlich den Weibern streng verboten, die Namen von bestimmten ihrer Anverwandten, sowie diejenigen des Häuptlings oder des Königs in den Mund zu nehmen . Sie sind gezwungen, an deren Stelle ein anderes Wort zu gebrauchen. Das erzählt z . B. Kranz von den Zulus , wo, abgesehen von dem Königsnamen , auch der des Schwiegervaters und seiner Brüder dem Weibe auszusprechen streng verboten ist. Besonders schwierig wird das in der königlichen Familie. Hier müssen die Frauen den Namen ihres Gemahls, sowie diejenigen seines Vaters, seines Grossvaters und aller seiner Brüder vermeiden. Sie haben immer nur Worte und Silben zu erfinden und je nach Umständen zu verändern. Würde also der Name ein Z enthalten, so würde das Wasser, gewöhnlich „ amanzi", umgeformt in amandabi u. dergl. mehr. Diejenige Frau, welche dieser Sitte zuwider handeln sollte, würde durch einen Priester der Hexerei angeklagt und mit dem Tode bestraft werden. " Es wird natürlicher Weise dann sehr schwierig, die Sprache der Weiber zu verstehen, denn es entsteht dadurch eine gänzlich veränderte Sprache, für welche die Zulu selber die Bezeichnung Ukuteta kwabapzi besitzen, das heisst in der Uebersetzung Frauensprache. Wie uns das auch noch wiederhoientlich in anderen Beziehungen begegnen wird. so können wir auch hier eine ganz ähnliche Sitte bei einem räumlich weit von den Zulus entfernten und mit ihnen auch in keinerlei Verwandtschaft oder irgend welcher Beziehung stehenden Volke constatiren. Wir meinen die Kirgisen. Von diesen berichtet Vambéry, dass die Frau den Namen der männlichen Mit- 27. Die Frauensprache. 111 glieder des Hausstandes niemals aussprechen dürfe, weil das unschicklich ist, und man erzählt sich folgende auf diese Sitte bezügliche Anekdote : „ Ein Kirgise hatte einst fünf Söhne, die sich Köl ( See) , Kamisch (Rohr), Kaskir (Wolf) , Koj ( Schaf) und Pitschak (Messer) nannten. Seine Schwiegertochter ging eines Tages zum Wasser, und als sie am See im Rohre einen Wolf erblickte, der ein Schaf verzehrte, kam sie schreiend zurück : Dort neben dem Glänzenden im Schaukelnden frisst ein Raubthier das Blökende , da sie die auf diese Begriffe bezüglichen Worte, zugleich die Namen der männlichen Mitglieder der Familie, nicht aussprechen durfte. “ Und selbst bei uns lässt sich noch eine gewisse Analogie nachweisen, denn es dürfte wohl hinreichend bekannt sein, dass auch unsere Damen für alles die Sphäre des Geschlechtslebens Berührende ihre eigene Ausdrucksweise besitzen, welche von derjenigen der Männer ganz bedeutend verschieden ist und gar nicht selten von den letzteren nicht einmal verstanden werden kann. Hier war es zweifellos das Schamgefühl, welches die besonderen Ausdrücke vorgeschrieben und erfunden hat. Aber auch das Verbot, die Namen der männlichen Verwandten auszusprechen, werden wir wohl auf Rechnung des Schamgefühls zu setzen haben, jedoch hat dasselbe eine Höhe der Ausbildung erreicht , welche unserem Fühlen und Empfinden , sowie unseren Begriffen von Schicklichkeit vollkommen fremd und unbegreiflich ist . V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. 28. Die äusseren Sexualorgane des Weibes im Allgemeinen. Die anatomischen Verhältnisse der Geschlechtsorgane und die physiologischen Sexual- Functionen sind die wesentlichsten Charakteristica des weiblichen Organismus. Sie haben für die ethnographische Forschung insofern eine nicht geringe Bedeutung, als sie, wie es den Anschein hat, thatsächlich bei den verschiedenen Völkern ganz bedeutende Unterschiede darbieten. Es sind hier zunächst die weiblichen Geschlechtstheile in ihren äusseren Formen zu betrachten, insoweit sie ein völkerkundliches Interesse besitzen. Unzweifelhaft zeigen die äusseren weiblichen Geschlechtstheile einestheils die weibliche Scham, anderentheils die Brüste gewisse wichtige Verschiedenheiten. Nochwenig wissen wirjedoch leider über die ethnographischen Differenzen der inneren Geschlechtstheile, der Gebärmutter mit ihren Anhängen. Schliesslich hat das Becken, als derjenige Skeletttheil, welcher bei Schwangerschaft und Geburt eine wichtige Rolle spielt und sich vielfältig in seiner Gestalt vom Becken des Mannes unterscheidet, namentlich deshalb eine Bedeutung, weil es je nach der Rasse eine Reihe charakteristischer Formen wahrnehmen lässt. Dann müssen wir in späteren Abschnitten zu der Besprechung der Geschlechtsfunctionen übergehen, der Menstruation, der Schwangerschaft, der Geburt, des Wochenbettes und des Säugungsgeschäftes. Auch hier ist so manches typisch für Völker und Rassen. Wir dürfen manche Gebräuche, die sich auf das Geschlechtsleben und auf die Behandlung der Geschlechtsorgane beziehen, nicht unbeachtet lassen, obgleich sie nicht unmittelbar während der Schwangerschaft, der Geburt oder des Wochenbettes vorgenommen werden. Denn manche dieser hier anzuführenden Volkssitten sind nicht ganz ohne Einfluss auf die Schwangerschaft und Geburt, sei es fördernd, sei es hindernd. In dieser Beziehung scheint mir nämlich insbesondere die Excision der Clitoris, die Vernähung der Vulva, die künstliche Verlängerung der Clitoris und der Nymphen, sowie die Pflege und Behandlung der Brüste, das eigenthümliche Benehmen beim Coitus u. s. w. bei manchen Völkern von nicht geringer Bedeutung zu sein. Für einen Theil dieser Gebräuche und ihre Entstehung haben wir jedoch erst dann die Aussicht, eine richtige Erklärung zu finden, wenn wir zuvörderst in Betracht ziehen, welche charakteristischen Eigenthümlichkeiten im natürlichen Bau der Geschlechtsorgane sich bei den verschiedenen Völkerschaften bemerklich machen. Fast überall auf der Erde ist mit den Genitalien der Begriff des Beschämenden, des Pudendum, verbunden, und das Aussprechen ihres Namens 28. Die äusseren Sexualorgane des Weibes im Allgemeinen. 113 92 wird als etwas Unanständiges, als etwas Beleidigendes angesehen. Auch bei uns im niederen Volke wird bekanntlich ihr Name als ein Schimpfwort verwendet, und auf mehreren der Inseln des alfurischen Meeres gilt der Zuruf,, Geschlechtstheil Deiner Mutter" als eine der schwersten Beleidigungen (Riedel¹). Herodot (172 II. 106. 102) erzählt : In dem syrischen Palästina (es ist wahrscheinlich die Judäa einschliessende Meeresküste gemeint) sah ich Säulen, welche der ägyptische König Sesostris aufstellte, und darauf die oben angegebene Inschrift (sein Name, seine Herkunft und der Name des besiegten Volkes) , sowie die Schamglieder eines Weibes. Wo er ohne Kampf und leicht die Städte einnahm, bei diesen liess er zwar auf die Säulen dieselbe Inschrift setzen, wie bei den Völkern, welche tapfer gewesen waren, nur fügte er noch die Schamglieder eines Weibes hinzu, Fig. 21. Stein- Relief von der Oster - Insel ; Doppeldarstellung des Gottes Make- Make, eine eheliche Geburt bezeichnend (nach Geiseler). indem er damit kund thun wollte, dass sie feige gewesen wären. " Philipp Jacob Sachs erzählt von einer Münze , welche die Königin Margarethe von Dänemark schlagen liess, pudendum muliebre exacte referentem ", zum Hohne für die Königin von Norwegen und Schweden , welche sie besiegt hatte. Im königlichen Münzcabinet von Berlin ist diese Münze, wie mir Herr Dr. Menadier freundlich mittheilte , weder vorhanden , noch bekannt. Jedoch erzählte er mir, dass angeblich eine ähnliche Darstellung auf einer Münze August des Starken vorhanden ist, welche auf Wunsch der Gräfin Kosel deren Genitalien vorstellen sollte. Diese letztere Legende hat ihren positiven Hintergrund in einer ovalen Wappenumrahmung. Aber auch eine ehrenvolle Bedeutung kann die Darstellung der weiblichen Schamtheile haben. So findet sich dieselbe vielfach auch auf den Sculpturen und Bildertafeln, welche von der Besatzung des preussischen Schiffes Hyäne auf der Osterinsel entdeckt worden sind (Geiseler). Da sie sich immer zusammen mit der doppelten Darstellung des Gottes Make- Make finden, des Gottes der Eier, der das Männliche und das Weibliche repräsentirt und der in dieser Doppeldarstellung die Geburt eines Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 8 114 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht . Menschen bezeichnen soll , so sollen die daneben gestellten weiblichen Genitalien anzeigen , dass diese Geburt einer chelichen Entbindung entsprossen war. (Fig. 21.) Die Oster- Insulaner haben auch jetzt noch in alten Häuptlingsfamilien die absonderliche Sitte bewahrt, dass bei der Eingehung einer ehelichen Verbindung sich der Ehemann die Vulva der Frau in ähnlicher Zeichnung etwa zwei Zoll gross vorn auf die Brust unmittelbar unter dem Kehlkopfe eintättowirt , um Jedem den Beweis zu liefern , dass er verheirathet ist. (Fig. 22.) Fig. 22. Tättowirter Häuptling der Oster - Insulaner ( nach Viaud). Die Darstellung der weiblichen Geschlechtstheile erfreut sich in vielen Gegenden Indiens auch heute noch göttlicher Verehrung. Schon Dulaure sagte: ,, Les Indiens ont cru donner plus d'expression ou de vertu à l'emblème de la fécondité, en réunissant les parties génératives des deux sexes. Cette réunion, que quelques écrivains confondent avec le Lingam, est nommée Pulleiar. (Hier liegt eine Verwechselung mit dem Namen einer niederen Kaste vor.) C'est sans doute un extrait de la statue moitié mâle, moitié femelle, que Bardésane avait autrefois vue dans l'Inde. „Ce symbole, aussi naif qu'énergique, est, dit Sonnerat, la forme la plus sacrée sous laFig. 23. Lingam aus Bengalen. (Museum für Völkerkunde in Berlin. ) (Nach Photographie. ) quelle on adore Chiven : il est toujours dans le sanctuaire de ses temples. " Les sectateurs de ce dieu ont une grande dévotion au Pulleiar: ils l'emploient comme une amulette ou un préservatif; ils le portent pendu à leur cou; et les moines , appelés Pandarons , ne marchentjamais sans cette religieuse décoration . " Einen derartigen Lingam führt Fig. 23 dem Leser vor. Er stammt aus Bengalen und befindet sich im Besitze des königl. Museums für Völkerkunde in Berlin. Der in der Mitte aufrecht stehende Zapfen ist das Symbol des Mahadeva oder Cira. Er ist aus Bergkrystall gefertigt und ragt ungefähr 29. Das weibliche Becken in anthropologischer Beziehung. 115 3-4 cm aus dem Untersatze aus graugrünem, marmorartigem Gesteine hervor. Dieser Untersatz ist das Symbol der Bhavani, der Gemahlin Mahadeva's. und er repräsentirt das weibliche Prinzip. Die Ethnographen beschäftigten sich bisher mit grossem Interesse mit den kraniologischen und physiognomischen Eigenthümlichkeiten der Menschenrassen. Allein der Kopf und das Gesicht bieten vielleicht nicht bedeutendere ethnographische Vergleichungspunkte dar , als wir sie bei den weiblichen Geschlechtstheilen mit allem was dazu gehört zu finden vermögen. Man hat über die Besonderheiten im Bau der äusseren Sexualorgane nur bei einzelnen Völkerschaften genaue Nachforschungen angestellt ; es ist eben schwer, eine genügende Zahl von Objecten zu bekommen und einer Betrachtung, oder gar einer genauen Messung zu unterwerfen. Doch die anthropologische Bedeutung der Sache verdient es wohl, dass wir, so weit wir dieses vermögen, das Material, so weit es schon vorhanden ist, an dieser Stelle zusammenzubringen, aber auch durch neue Beiträge zu vergrössern suchen. 29. Das weibliche Becken in anthropologischer Beziehung. Unter allen Theilen des gesammten Knochensystems hat nächst dem Schädel für die Anthropologie des Weibes der Bau , die Grösse und die Gestaltung des Beckens die allerwichtigste Bedeutung. Dieser aus mehreren Knochen zusammengesetzte Theil des knöchernen Gerüstes hat einerseits die Aufgabe, die über und in seiner Höhle liegenden Unterleibsorgane zu stützen und zu tragen, andererseits aber, und das ist hier von besonderer Wichtigkeit, sind es auch die weiblichen Geschlechtsorgane , welche von ihm umschlossen werden und zu ihm in engster Beziehung stehen. Diese enge Beziehung des Beckens zu den Genitalien tritt besonders dann recht deutlich in den Vordergrund, wenn sich das Weib in dem Zustande der Befruchtung befindet und wenn es gilt , dem neuen Organismus das Leben zu geben. Aus diesem Grunde sind daher auch am weiblichen Becken zahlreiche Besonderheiten wahrzunehmen, welche es von dem männlichen in hohem Grade unterscheiden und es gewissermaassen erst für den Mechanismus des Geburtsvorganges geeignet machen. Wir haben dieses alles bei der Zusammenstellung der anatomischen Unterschiede in dem männlichen und weiblichen Körperbau einer ausführlichen Besprechung unterzogen. Würdigung dieser Thatsachen haben sich Anthropologen und Gynäkologen schon vielfach dem Studium dieser Knochengruppe gewidmet. Man hat das menschliche Becken in seiner Entwickelung von der ersten Bildung im Fötus an wissenschaftlich verfolgt ; man hat gefunden, wie seine Form durch alle das Wachsthum beeinflussenden Momente bedingt wird, welche Wirkung dabei die Rumpflast , der Druck und Gegendruck am Oberschenkelansatz , der Muskelzug u. s. w. ausüben ; man hat es mit dem Becken der menschenähnlichen Affen und mit anderen Thierbecken verglichen , und schliesslich hat man auch die Unterschiede anfgesucht, welche sich bei den verschiedenen Menschenrassen am Becken zeigen. Vorzugsweise fanden die Frauenärzte und Geburtshelfer Gelegenheit, am Frauenbecken Studien zu machen, indem sie nach verschiedenen Richtungen hin Maasse zu nehmen genöthigt waren und die Ergebnisse dieser Messungen dann unter einander vergleichen konnten. Auch schon ohne den genaueren Vergleich durch Bandmaass und Zirkel , schon durch das Augenmaass war man im Stande, grosse Unter8* 116 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. schiede zwischen den Frauenbecken verschiedener Rassen wahrzunehmen : und einer der Ersten, welcher auf solche Differenzen aufmerksam machte und Messungen vornahm, war Sömmerring. Eine bahnbrechende Arbeit verdanken wir Vrolik, welcker die Becken von Negern, Javanesen , vom Buschmann u. s. w. verglich. Auf Grund dieses noch allzu geringen Materials machte dann M. J. Weber in Bonn den Versuch, die Beckenformen schon mit Rücksicht auf die Rasse zu gruppiren ; sie sollten, wie er meinte, den Schädelformen entsprechen , so dass die ovale Form namentlich den Kaukasiern , die vierseitige den Mongolen, die runde den Amerikanern , die keilförmige den Negern zukäme. Seit jener Zeit ist auf diesem Gebiete zwar viel, doch keineswegs- wie ich an anderer Stelle dargethan habe (Ploss 19) - Hinreichendes gearbeitet worden, so dass wir schon im Stande wären, für das Rassenbecken eine systematische Eintheilung aufstellen zu können. Dort habe ich gezeigt, dass für die Messungen des Beckens ein einheitliches und gemeinsames Verfahren fehlt. Dies ist eine Behauptung, welche gleichzeitig Balandin in St. Petersburg aussprach, ohne auch nur auf die Frage über das Rassenbecken einzugehen , indem er lediglich die bisherigen Messungen des Europäer- Beckens quantitativ und qualitativ für ungenügend erklärte, um aus ihnen die Eigenschaften des normalen Beckens festzustellen . Insbesondere scheint es mir auch sehr fraglich, ob man berechtigt ist, die Maassverhältnisse der Beckenhöhle, namentlich des Beckeneinganges (d. h. der Querdurchmesser in seiner Proportion zu dem auf 100 berechneten geraden Durchmesser als "Index" bezeichnet), als Grundlage einer systematischen Eintheilung aufzufassen. Schon Zaaijer stellte demgemäss die „ runde" und die „ länglichovale" Form des Eingangs als typisch auf ; und C. Martin gruppirte : 1. Becken mit rundem Eingange, bei denen die Conjugata (der Abstand der Schambeinsymphyse von dem Promontorium des Kreuzbeines) fast eben so gross ist , als der Querdurchmesser , und höchstens um 110 kleiner als dieser ist (Ureinwohner Amerikas , Australiens und der Inseln des indischen und grossen Oceans ) ; 2. Becken mit quero valem Eingange, bei welchen die Conjugata mehr als 10 ihrer Länge kleiner ist als der quere Durchmesser (Bewohnerinnen Afrikas und Europas ) . In diesen Proportionen , dies wird allgemein anerkannt, liegen aber nicht allein die besonderen Merkmale des Rassen- Typus. Es sind vielmehr gewiss auch die einzelnen Theile des Beckens als Rassen-Merkmale charakteristisch, unter anderen die Darmbeinschaufeln . deren Breite . Stellung und Dicke bei gewissen Rassen mehr oder weniger an das Thierbecken erinnert, z . B. das keilförmig verlängerte Becken des Negers , wie Vrolik, Pruner, Carl Vogt u. A. hervorgehoben haben. Andere, wie de Quatrejages, finden in solchen Bildungen nur ein Stehenbleiben auf frühen Altersstufen. 1/ Wie hier die Breite des grossen Beckens (d . h. der Abstand der äusseren Ränder der Darmbeinschaufeln von einander), so wird von Anderen die Configuration des Kreuzbeins (Os sacrum) als charakteristisch geschildert : Nach Bacarisse erreicht die Breite an der Basis des Kreuzbeins ihr Maximum bei der weissen Rasse , besonders bei den Europäern , dann folgen die gelben Rassen und endlich die schwarzen. Hinsichtlich der Höhe des Kreuzbeins besteht grosse Mannigfaltigkeit : die afrikanischen Neger erreichen die grösste Höhe unter den Kreuzbeinen mit 6 Wirbeln , die Europäer unter solchen mit 5 Wirbeln. Die Krümmung des Kreuzbeins ist bei den weissen Rassen am stärksten , besonders bei Europäern , dann folgen die gelben Rassen, und die flachsten Kreuzbeine haben die schwarzen. 29. Das weibliche Becken in anthropologischer Beziehung. 117 Besondere Unterschiede zeigen sich unter den Rassen ganz zweifellos auch in der Neigung des Beckens, d. h. in der Haltung und Stellung desselben zur Rumpfaxe. Schon Broca machte darauf aufmerksam und gab ein besonderes Untersuchungsinstrument für diese Verhältnisse an. Auch Hennig ging den Rassen-Differenzen nach dieser Richtung hin nach. Jedoch Prochownick, der ebenfalls einen Messapparat angab. kam nach seinen Erörterungen zu dem Schluss , dass man sich vorläufig wegen der grossen individuellen Schwankungen von der Bestimmung der Beckenneigung nicht viel für die Unterscheidung der Rassentypen versprechen darf. Allein wir brechen hiermit die Besprechung dieser Frage über das Rassenbecken ab, indem wir lediglich auf die ausführlichen Arbeiten von Vrolik , Zaaijer , Pruner-Bey, A. Weisbach , Carl Martin , O. von Franqué, Verneau, Wernich, H. Fritsch, G. Fritsch, A. Filatoff, A. v. Schrenck, Hennig u. A. verweisen . Denn die Frage über das Rassenbecken im Allgemeinen geht beide Geschlechter an ; unsere Aufgabe ist es vielmehr, dieselbe nur insoweit ins Auge zu fassen, als sie insbesondere das weibliche Geschlecht betrifft. Erwähnen wollen wir nur noch, dass die deutsche anthropologische Gesellschaft, im Wesentlichen durch eine Abhandlung von Ploss 1 angeregt, im Jahre 1884 eine besondere Commission erwählt hat, welche die zweckmässigste und fruchtbringendste Art, das Rassenbecken zu studiren, berathen und ausarbeiten soll. Auch bei Völkern, die auf gleichem Boden wohnen, zeigen die Becken erhebliche Differenzen. So fand Schröter , dass das Becken der Esthin und Deutschen ein stärker entwickeltes ist , als das der Polin und Jüdin; dass das Becken der letzteren überhaupt das in allen Rassen kleinste ist. Und unter den von Schröter untersuchten Becken fand sich die stärkste Neigung bei den Deutschen , eine geringere bei den polnischen Frauen , eine noch geringere bei den Jüdinnen , und die allergeringste bei den Esthinnen. Uebrigens ist die Beckenneigung bei ein und demselben Individuum keine constante Grösse , denn die Haltung und Stellung desselben ruft wesentliche Veränderungen in dem Verhältnisse des Winkels hervor, welchen die Beckenaxe und die sogenannte Ebene des Beckens zur Körperaxe bildet. Bis jetzt ist aber der Nachweis noch nicht geliefert worden, dass die verschiedenen Arten der Körperstellung während des Gebäraktes, welche bei den verschiedenen Völkern gebräuchlich sind, ihre Erklärung durch die der betreffenden Volksrasse eigenthümliche Beckenneigung finden. Nach Mondière scheiden sich die Weiber Cochinchinas in Annamitinnen , Cambodgianerinnen , Chinesinnen und Minh - huong, d. h. Mischlinge von Chinesen und Annamiten. Von diesen hat die Chinesin das grösste Becken in allen Dimensionen ; du reste, chez elle, tout ce qui se rapporte aux organes de la génération semble avoir pris des proportions exagérés. Die Cambodgianerin hat das längste und schmalste Becken. Ohne allen Zweifel haben die Lebensweise, sowie die Sitten und Gebräuche eines Volkes einen gewissen Einfluss auf die herrschende Beckenform. Vor allem ist die Ernährung des Skeletts überhaupt und namentlich. die Zufuhr von knochenbildendem Material sehr wichtig. In dieser Hinsicht erinnere ich daran, dass G. Fritsch bei Hottentotten und Buschmannsfrauen die Becken sowie den ganzen Körper verkümmert fand. Die Becken der Südafrikaner zeigten weder recht die typischen männ- 118 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. lichen, noch die weiblichen Formen, sondern es war ein Gemisch der verschiedenen Charaktere vorhanden , welches durchschnittlich dem männlichen Typus näher liegt. Diese Thatsache verdankt ihre Entstehung zum Theil den ungünstigen Lebensbedingungen, unter welchen das Skelett nicht den Grad der Vollkommenheit erreicht, als unter dem Einflusse der Civilisation . Ausserdem will man gefunden haben, dass die Beckenmaasse von Negerinnen , die in Amerika geboren waren, durchschnittlich sich dem europäischen Becken mehr nähern : neben den Verbesserungen der allgemeinen Verhältnisse war auch eine Verbesserung des Knochengerüstes einhergegangen. Auch die gebräuchliche Tracht mag auf das Becken, namentlich während des Wachsthums, mechanisch formverändernd einwirken. Ebenso muss jedenfalls eine specifische langandauernde Körperhaltung und eine besondere Arbeitsthätigkeit die Gestaltung dieser Knochengruppe mitbedingen. Schon Chassaniol sprach den Verdacht aus, dass der Brauch junger Negerinnen , die Kinder rittlings auf den Hüften einherzutragen, eine Verkrümmung des Seitentheils ihrer Becken herbeiführe. Und Bertherand, welcher die Becken der Araberinnen in Algerien sehr weit geöffnet fand, sucht die Ursache in drei Bedingungen : erstens im Tragen der Kinder auf dem Rücken während der ganzen Säugungsperiode, zweitens im Reiten zu Pferd schon in früher Jugend, und drittens im Sitzen mit untergeschlagenen Beinen nach Art der Schneider in unseren Landen. Epp glaubt, dass die Chinesinnen , bei denen er öfter hohe, schmale Becken fand, dies mit Wahrscheinlichkeit nur der sitzenden Lebensweise zu verdanken haben. Das alles müsste freilich noch näher untersucht werden, wie auch die etwaige Wirkung der Art, wie bei manchen Völkern das kleine Kind eingeschnürt und getragen wird, wie es kriecht, bevor es auf die Beine kommt u. s. w. Gegen die Ansicht, dass der Rassentypus der Beckengestalt durch die Rumpflast, durch den Muskelzug und durch den seitlichen Gegendruck der Femora modificirt werde, trat unter Anderen Schliephake auf, indem er meint, dass die Form des späteren Beckens im Ganzen schon in der Uranlage desselben gegeben ist , und dass durch Rumpflast u. s. w. nur noch einzelne Umformungen geringeren Grades hervorgerufen werden könnten. Das Tragen der Kinder rittlings auf den Hinterbacken, welches namentlich im Westen Afrikas bei den Negerinnen ganz gebräuchlich ist. hat auch zu der Vermuthung Anlass gegeben, dass hierdurch die an diesen Weibern bemerkbare Einbiegung des Lendentheils am Rückgrat zu erklären sei ; es würde hiermit der erste Grad einer Rückgratsverkrümmung (Lordose) zu Stande kommen. Die Körperhaltung, die durch solche Einwärtsbiegung des unteren Theils der Wirbelsäule bedingt wird, hat wiederum zur Folge, dass das Becken mehr als gewöhnlich geneigt ist , indem sich sein vorderer Theil ganz von selbst tiefer stellt. Allein auch diese grössere Beckenneigung erzeugt nicht auch etwa (durch die Alteration der normalen Richtung der Wirbelsäule) eine Verschiebung der Articulation der Wirbelkörper in der Sacro- Lumbar- Gegend (wie etwa nach Hennig, Lambl u. A. an der Pariser Hottentotten- Venus gefunden wurde). Vielmehr findet eine Abweichung der Stellung und Richtung der gesammten Lumbar- Partie des Rückgrats statt. Daher ist auch Berenger- Feraud im Irrthum, wenn er das Vorspringen der Hinterbacken bei den Negern Senegambiens von der schiefen Anschliessung des Beckens an die letzten Lendenwirbel herleitet. Allerdings ist nun die gesammte Beschaffenheit des ganzen Skeletttheils in 29. Das weibliche Be ken in anthropologischer Beziehung. 119 der Beckengegend durch diese Gewohnheit, das Kind zu tragen , vielleicht erst erworben und dann mit der Zeit nach und nach habituell geworden. Fig. 24. Alt- Peruanische Vase. (Museum für Völkerkunde in Berlin. ) (Nach Bastian. ) Fig. 25. Alt-Peruanische Vase. (Museum für Völkerkunde in Berlin. ) (Nach Bastian. ) Wir dürfen aber nicht vergessen, dass dieses Tragen der Kinder auf dem Rücken nicht eine ausschliesslich afrikanische Sitte ist. Wir finden diese Gewohnheit auch bei manchen anderen Völkern, ohne dass wir bei denselben von einer Einbiegung der Wirbelsäule etwas hören. Die Figuren 24 und 25 zeigen zwei alte peruanische Vasen des Museums für Völkerkunde in Berlin , in deren Bemalung wir dieses Reiten der Kinder auf dem Gesäss der Mutter sehr deutlich zu erkennen vermögen. Fig. 26 führt uns die gleiche Sitte bei den Japanerinnen vor. Bei den Afrikanerinnen mag es nicht ohne Bedeutung sein, dass sie mit dem Kinde auf dem Rücken viele Arbeit knieend verrichten, namentlich solche, wobei sie vornübergebeugt das Gesäss stark nach hinten herausrecken. müssen, wie beispielsweise bei dem Zerreiben ihres Getreides auf steinernen Handmühlen. Eine weitere Frage ist aber, ob diese Einbiegung der Lendenwirbel irgendwo den Geburtsverlauf beeinträchtigt? Allerdings sollen viele Negerinnen bei der Geburt eine Stellung einnehmen , in welcher die Lendenkrümmung über dem Promon- Fig. 26. Japanerin , ein torium sich wesentlich ausgleicht , so dass die Kind auf dem Rücken tragend. 120 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. Kindestheile bei der veränderten Beckenneigung leicht nach aussen gleiten und kein Hinderniss finden. Der oft ausgesprochenen Behauptung gegenüber, dass die Geburten bei einem Volke oder bei einer Rasse wegen des specifischen Beckenbaues vorzugsweise leicht oder schwer vor sich gehen, müssen wir eine gewisse Zurückhaltung bewahren ; wir glauben im Gegentheil, dass solche Behauptungen vorläufig unerwiesen sind , so lange es Aerzten und Geburtshelfern nicht möglich gewesen sein wird, eine weit grössere Anzahl von Ge- burtsfällen bei den verschiedensten Rassen und Volksstämmen zu beobachten und deren Becken ganz genau in recht zahlreichen Exemplaren mit einander zu vergleichen. Wir werden an anderer Stelle, wo wir von der gesundheitsgemässen Geburt und ihren Bedingungen sprechen , auf diesen Gegenstand ausführlicher eingehen. Ohne Zweifel sind nicht nur sämmtliche Verhältnisse des Beckenbaues, sondern auch mannigfache Eigenthümlichkeiten des gesammten weiblichen Organismus, und nicht minder die Grössenverhältnisse von dem Kopfe und der Schulterbreite des ausgetragenen Kindes maassgebend für den mehr oder weniger günstigen Verlauf der Geburten bei den verschiedenen Völker- schaften. Und bei dem vergleichenden Studium der Maasse des weiblichen Beckens bei den verschiedenen Rassen wird man, wenn man wirklich ein Bild von den realen Verhältnissen gewinnen will, niemals versäumen dürfen, das Maass der Schulterbreite und dasjenige der gesammten Körpergrösse mit in Vergleich zu stellen . Von den Formverhältnissen des knöchernen Beckens wird natürlicher Weise zum nicht geringen Theile die Configuration von dem unteren Körperende der Frau, namentlich diejenige der Gesässpartie und der Schenkel, sich in Abhängigkeit befinden. Das ist ja auch der Grund, dass Messungen am Lebenden an diesen Theilen einen Rückschluss auf die geringere oder be- trächtlichere Grösse des knöchernen Beckens ermöglichen ein Umstand, welchen die moderne Geburtshülfe schon seit langer Zeit für ihre Zwecke auszunutzen gelernt hat. So kann es kommen, dass bei bestimmter Stellung der Darmbeine von Natur breite Becken dennoch für das Auge einen schmalen Eindruck machen, weil die Darmbeinkämme nicht in gewohnter Weise lateralwärts ausladen, sondern sich relativ genähert sind durch ein gesteigertes Steilstehen der Darmbeine. Ein Beispiel hierfür liefern die Weiber der Loango- Küste , von denen Falkenstein' sagt : ,,Auffallend ist im Allgemeinen die geringe Beckenbreite der Frauen , so dass man beide Geschlechter von hinten kaum unterscheiden würde ; doch kommen auch Ausnahmen vor. " Paulitschke erklärt ein schiefstehendes" Becken als typisch bei den Somali- und Galla- Frauen. Aehnlich äussert sich auch Wolff über die Negerinnen im Congogebiete : „Die breiten Beckenknochen stehen, wie bekannt, bei allen Negern steiler, als bei uns ; das ganze Becken ist um seine horizontale Axe gedreht, so dass das untere Ende mehr nach hinten steht, als bei uns, es treten daher die Glutäen, die die Hinterbacken bilden, sehr stark hervor, während die Hüften auch bei den Weibern schmal sind. " Von den Woloffen- Frauen sagt de Rochebrune: Toute la région du bassin est médiocrement développée ; l'abdomen généralement bombé dans sa première moitié supérieure tombe presque en ligne droite inférieurement, et n'offre pas la courbe légèrement onduleuse de l'Européenne. “ 2 4 - - )Photographien (Nach .Rassen verschiedener Wuchs imUnterschiede Die 27.Fig .)Borneo (Mädchen -Dajak 3.No. ).Queensland Nord (-Mädchen Australier 2.No. .)Afrika (Central -Mädchen Makraka 1.No. .)-Afrika (Central Weib Mondù- 6.No. ).-Kallipygos Venus (Idealfigur Griechische 5.No. ).Afrika -(Central Weib Madi- 4.No. ,Wien aus Mädchen 8.No. ).(Polynesien Samoa aus Mädchen 7.No. - -

30. Die Gesässgegend des Weibes in anthropologischer Beziehung und die Steatopygie. 123 Dass auch bei ganz nahe zusammenwohnenden Völkerschaften auffallende Unterschiede in der Beckenbreite bei den Weibern statthaben können, das beweisen einige Angaben von Riedel¹ . Nach ihm ist bei den Babar- Insulanerinnen das Becken breit, während die Weiber der Seranglaound Gorong- Inseln nur eine geringe Beckenbreite besitzen . Fig. 28. Japanerinnen in den Reisfeldern arbeitend . (Nach Photographie, ) Andererseits kann bei Frauen , welche im Ganzen einen grazilen und schmächtigen Eindruck machen, doch das Hintertheil relativ grosse Dimensionen erreichen : So hatte Wernich, welcher längere Zeit eine gynäkologische Abtheilung in Yeddo leitete, die Becken der Japanerinnen als breit und sehr geräumig befunden, deren Symphyse einen sehr grossen stumpfen Winkel bildet. Man sieht dieses sehr gut auf einer Photographie, welche Japanerinnen bei der Arbeit in den Reisfeldern darstellt ( Fig. 28) . Allerdings erscheint hier die Beckengegend auch noch dadurch etwas breiter, dass sich die Frauen in gebückter Stellung befinden. In dieser Körperhaltung macht die Gesässgegend bei allen Frauen einen breiteren Eindruck, als wenn der Körper sich in der aufrechten Stellung befindet. 30. Die Gesässgegend des Weibes in anthropologischer Beziehung und die Steatopygie. Ein zweiter wichtiger Factor, welcher für die Form der weiblichen. Hüften kaum minder maassgebend ist, als das knöcherne Gerüst des Beckens, ist die grössere oder geringere Fülle des Unterhautfettgewebes, dessen Menge bei verschiedenen Völkern eine ausserordentlich verschiedene ist. Hierdurch wird, allerdings im Vereine mit der Ausbildung der Schenkel und der Waden und mit der Schulterbreite, die allgemeine Erscheinung des Weibes, die wir gewöhnlich als ihren Wuchs bezeichnen, ganz be- 124 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht . deutend beeinflusst oder eigentlich bedingt. Die Figur 27 ist bestimmt, einige Repräsentantinnen des weiblichen Geschlechts vorzuführen, welche dem Leser beträchtliche Verschiedenheiten in dieser Beziehung auch bei jugendlichen Individuen vor Augen führen, insoweit dieselben verschiedenen Rassen angehören. Die in ihren Proportionen unseren Geschmack am meisten befriedigenden Gestalten sind die beiden Europäerinnen (No. 5 und 8) , denen die kleine Dajakin von Borneo (No. 3 ) sich am nächsten anschliesst. Die Samoanerin (No. 7) erscheint uns auch noch proportionirt gebaut, doch neigt sie schon zu etwas überreichlicher Fülle hin, während die beiden Sudanesinnen (No. 1 und 4) und die Australierin (No. 2) eine für unser Auge abschreckende Magerkeit besitzen. Das Mondù-Weib aus Central - Afrika (No. 6 ) zeigt recht deutlich den fast männlichen Habitus, die beträchtliche Schulterbreite im Vergleich zu der viel geringeren Hüftenbreite, und ausserdem bemerken wir die für die afrikanischen Völker fast charakteristische kümmerliche Ausbildung der Waden. Bei den Papuas fand Müller auf der Norara- Reise die Hintertheile der Weiber stark entwickelt. Aehnliches berichtet Riedel von den Weibern der Insel Buru. Als Entstehungsursache für deren grosse und stark entwickelte Hinterbacken möchte er das anstrengende Bergsteigen dieser Weiber verantwortlich machen. Bei den Itälmenen in Kamtschatka haben die ..Frauenzimmer, nach Steller, ein rundes, kleines, fieischigtes Gesäss . " Besonders arm an Unterhautfett sind namentlich die Australierinnen. Bei denen aus Queensland, welche vor zwei Jahren Europa durchreisten, machten die Hüften und Schenkel, sowie die Waden, wenn derartige dürre Gebilde diesen Namen verdienen , durch ihre ausserordentliche Schmalheit und Magerkeit einen geradezu überraschenden Eindruck. (Fig. 27 No. 2. ) Die Steigerung in das Extreme nach der anderen Richtung hin treffen wir in einer eigenartigen, dem weiblichen Geschlechte bei verschiedenen Völkerschaften Afrikas vornehmlich zukommenden Bildung eines besonders stark entwickelten Fettpolsters an den Gesässtheilen. Es ist dieses der sogenannte Fettsteiss oder die Steatopygie. Diese Besonderheit kommt namentlich bei den Buschmann- und Hottentotten- Frauen vor ; sie tritt schon in der Jugendzeit auf, doch hat man noch nicht genauer angegeben, von welchem Lebensalter an diese örtliche Fettablagerung sich vollzieht (Fig. 29 No. 2) . Blancard berichtet nach Le Vaillant , que l'hypertrophie fessière apparaissait dès la première enfance, accentuant ainsi la différence entre la fille et le garçon. Auch von anderer Seite wird dieses behauptet. Jedoch zeigten bei den kürzlich in Berlin ausgestellten sogenannten Farini'schen Erdmenschen, d. h. Buschmännern aus der Kalahari-Wüste, auch die Männer eine ungewöhnliche Fülle der Hinterbacken . Allerdings stand das sie begleitende kleine Mädchen in dieser Beziehung den Männern kaum nach. (Fig. 29 No. 3. ) Angeblich soll bei Mischlingen die Steatopygie nicht zur Ausbildung gelangen. „ Cette protubérance, sagt Louis Vincent, qui existe au niveau de la région fessière , a été regardée par certains auteurs comme de nature musculeuse : il n'en est rien ; c'est une masse d'une consistance élastique et tremblante entièrement formée de graisse et traversée en tous sens par de gros faisceaux de fibres lamineuses, très- irrégulièrement entre- croisées. “ Die von Curier beschriebene sogenannte Hottentotten- Venus besass diesen Fetthöcker in hohem Grade: die Höhe der Hinterbacken betrug 16,2 cm. Die von Flower und Murie untersuchte, etwa 21 Jahre alt in 30. Die Gesässgegend des Weibes in anthropologischer Beziehung und die Steatopygie. 125 England verstorbene Buschmännin hatte zwar keinen eigentlichen Fetthöcker, doch war bei ihr die Fettschicht der Hinterbacken 1 Zoll dick, und die Haut darüber hatte ein loses, gefaltetes Aussehen, als wenn sie früher viel bedeutender ausgedehnt gewesen wäre. Bei der von Luschka und Görtz untersuchten Leiche der als ,, Buschweib" bezeichneten Afandy betrug die Dicke des Fettpolsters, nachdem es ein Jahr lang in Weingeist Fig. 29. Fettleibigkeit und Steatopygie. 1. Bongo - Frau (Central-Afrika) ( nach Schweinfurth). 2. Koranna - Weib (Süd- Afrika) (nach Photographie). 3. Buschmann- Mädchen (Farini'scher Erdmensch) (Süd-Afrika) (nach Photographie ) . 4. Aethiopische Araberin aus den Pyramidengräbern von Saqâra (nach Dümichen). gelegen, in seiner grössten Mächtigkeit 4-4,5 cm; es war hier nicht bloss das angehäufte Fett bedeutender, sondern auch die Vertheilung des Fettes eine andere, als bei Europäerinnen; am stärksten war sie in der Gegend der Darmbeinkämme und über den Musc. glutaei max. , und während bei Europäerinnen die Stärke der Wölbung vom Darmbein nach unten zu allmählich zunimmt, verflacht sich bei der Hottentottin die Partie immer mehr nach der hinteren Oberschenkelfläche hin. Die genaue anatomische Beschreibung dieser Autoren schliesst völlig die Ansicht aus, dass die auffallende Erscheinung etwa von einer besonderen Neigung des Beckens herrühren könnte, und dass das Kreuzbein nach hinten zu gestreckt sei. Topinard macht von der Erscheinung einer mit der Steatopygie behafteten Frau die folgende Beschreibung: La stéatopygie se présente comme une exagération monstrueuse des fesses qui, d'une part, sont plus larges, et, qui, de l'autre, semblent se redresser et pointer en haut : en réalité, elles offrent à leur partie supérieure , allant de la concavité des lombes au point culminant des fesses, un plan presque horizontal. En bas, la fesse tantôt se termine par sa courbure ferme et son pli horizontal normal, tantôt se continue insensiblement par un plan oblique avec les cuisses . Sur les côtés, elle est circonscrit par une dépression ou gouttière oblique d'avant en arrière et de haut en bas, dont le centre est au grand trochanter. Auf diesem Fettpolster des Hintertheiles, Aredi genannt, lässt die Hottentottin ihr Kind ruhen ; dasselbe gilt unter dem Hottentottenvolke als eine Schönheit, wie denn überhaupt runde, fette und fleischige Formen bei ihnen den Maassstab für diese Eigenschaft abgeben. Auch Theophil Hahn tritt der Meinung entgegen, dass das Kreuzbein bei den 126 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. Hottentotten abnorm hervorrage, denn nicht bloss das weibliche, sondern auch das männliche Geschlecht zeigt bei diesem Volke die Eigenthümlichkeit, und er selbst hatte an seinen Spielkameraden, jungen Hottentotten , oft Gelegenheit zu beobachten, wie in der guten Jahreszeit, wo es viel Milch und Wildpret gab, ihre Gesässtheile für unsere europäischen Vorstellungen nachgerade fabelhafte Dimensionen annahmen, während bei geringerer Nahrung diese Fettmasse sich wieder verlor. Bei einer Hottentotten - Frau, welche vor Kurzem sich in Berlin sehen liess (Fig. 30), konnte man ausser der starken, wenn auch nicht übermässigen Entwickelung des Gesässes noch eine andere Eigenthümlichkeit bemerken, welcheTopinards bei Buschmanns- Frauen ebenfalls beobachtet und mit den folgenden Worten geschildert hat : En outre de la stéatopygie, les femmes boshimanes présentent un caractère peu remarqué jusque dans ces derniers temps, et qui se rattache au précédent. En avant, en dehors et un peu au-dessus du trochanter se voit une saillie arrondie, se continuant insensiblement avec les parties environnantes, qui accroît la largeur des hanches. Auf diese Weise ist die grösste Breite des Mittelkörpers vollständig nach unten verschoben worden und liegt noch ein klein Wenig unterhalb der Gesäss - Schenkel - Furche. Weiter nach abwärts nehmen dann aber die Beine ganz gewöhnliche Dimensionen an, so dass die starke Fettauflagerung an den Oberschenkeln nur dem allerobersten Dritttheile angehört. Während für gewöhnlich die grösste Breite des Mittelkörpers bei der Frau ungefähr in der Höhe der Steissbeinspitze zu finden ist, hat sie hier in Folge der Fettauflagerung eine bedeutend tiefere Lage erhalten, wie bereits gesagt worden ist, ein Wenig unterhalb der Gesäss-Schenkel-Falte. Doch auch andere Völker Afrikas zeichnen. sich durch reichliche Fettablagerung an jenen Theilen aus. Ausser den Abantus gehören die Nigritier des Nils und die Bongo nach Hartmann hierhin, nach Réroid auch die Somali und die Berber. Livingstone will die Steatopygie sogar auch bei einigen Frauen der Boers bemerkt haben, welche doch der weissen Rasse angehören. Thuli hält diese Angabe für sehr wenig glaubwürdig. Er meint, man könne hier höchstens annehmen, dass die betreffenden Frauen nicht ganz reinen Blutes, sondern mit Hottentotten- oder Buschmann- Blut gemischt gewesen wären, wenn nicht die Behauptung von Knor und anderen auf Wahrheit beruhen sollte, dass der Fettreichthum der Hinterbacken durch die Vermischung der Buschmänner mit Kaffern oder mit Europäern bei deren Nachkommen verschwinde . Fig. 30. HottentottenFrau , 22 Jahre alt , mit Steatopygie und starkem Fettpolster in der TrochanterenGegend. (Nach Photographie. ) Bei den Woloffen - Frauen am Senegal kommt nun zwar die eigentliche Steatopygie nicht vor, doch hat de Rochebrune an ihnen eine nicht 30. Die Gesässgegend des Weibes in anthropologischer Beziehung und die Steatopygie. 127 geringe Entwickelung der Fettbildung an den betreffenden Theilen bemerkt, und er widerspricht in dieser Beziehung direct dem negativen Berichte Huard's. De Rochebrune hat von Woloffen- Weibern 150 Individuen gemessen, und er fand den Umfang der Hinterbacken, wenn auch nicht sobedeutend wie beim Buschmann - Weib, so doch grösser als bei den Europäerinnen. Er hat folgende Zahlen bei der Messung von einem Trochanter zum anderen über den höchsten Punkt der Hinterbacken hinweg gefunden : bei der Buschmann- Frau: 0,791 m, bei der Woloff- Frau : 0,678 m, bei den Europäerinnen : 0,644 m. Die Tibbu- Frauen haben vor den Bornu- Frauen , wie Gustav Nachtigal beobachtet, nicht allein den Vorzug regelmässiger, edlerer, gefälligerer Züge, sondern in ihrer Gestalt den eines wohlgeformten Beckens , das bei diesen durch seine starke Neigung im Verein mit der reichlichen Fettablagerung ein widerlich vorspringendes Gesäss hervorbringt. Fig. 31. Ausgewachsene Europäerin (Oesterreicherin ? ) . (Nach Photographie. ) Fig. 32. 16jähriges Aschanti- Mädchen. (Nach Photographie. ) Eine für ihr jugendliches Alter sehr kräftige Entwickelung der Hinterbacken und der Körperformen im Allgemeinen bot auch ein 16 Jahre altes Aschanti- Mädchen dar, welches mit mehreren ihrer Landsleute vor Kurzem in Berlin gezeigt wurde ( Fig. 32) . Dieses ist besonders in die Augen springend, wenn man damit die Formen einer jungen, immerhin nicht gerade mageren Europäerin vergleicht (Fig. 31 ), welche bereits vollkommen ausgewachsen und körperlich ausgebildet ist. In den Pyramidengräbern von Saqâra in Aegypten fand sich auf einem Steine das von Dümichen wiedergegebene Bildniss einer arabischen 128 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. Fürstin, welche in dem 17. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung regierte. (Fig. 29 No. 4.) Sie fällt durch die starken Körperformen und namentlich durch die erhebliche Dicke des beträchtlich vorspringenden Hintertheiles auf, wodurch sie sich ganz wesentlich von den äusserst schmalhüftigen ägyptischen Frauenbildern unterscheidet. Wie die Ausgrabungen von Dieulafoy in Susa bewiesen haben, waren die damaligen Bewohner dieses Theiles von Asien Aethiopier. Und diesem Volksstamme gehört ohne Zweifel auch unsere arabische Fürstin an. 31. Die äusseren weiblichen Sexualorgane und ihre anthropologischen Merkmale. Es kann leider nicht abgeleugnet werden, dass selbst solche Objecte, die der Untersuchung durch Aerzte und Anthropologen so leicht zugänglich sind, wie die weiblichen Sexualorgane europäischer Nationalitäten . bisher durchaus noch nicht genau genug erörtert worden sind . Jeder beschäftigte Geburtshelfer hatte wohl in seiner Praxis mitunter Gelegenheit, z. B. ausnahmsweise grosse Nymphen zu finden . Allein hier sind sie nur eben Ausnahmen; dagegen scheinen die Verhältnisse sich in anderen Ländern häufiger zu wiederholen, in noch anderen aber scheinen die betreffenden Theile constant grösser zu sein. Sollte es wahr sein, dass auch hier schon Rasse und Klima sich von Einfluss auf Form und Gestalt der äusseren Geschlechtstheile zeigen ? So behauptet unter Anderen Columbat de l'Isère, dass in südlichen Gegenden die Genitalien der Frauen gewöhnlich höher und mehr nach vorn gelegen sind, als in kalten und feuchten Ländern ; es sollen die Schottinnen , die Engländerinnen und Holländerinnen fast immer die Vulva weniger vorn und den Uterus weiter unten, als die Französinnen des Südens, die Spanierinnen und Italienerinnen haben. Sollte sich etwas dem Aehnliches bestätigen, so müsste man wohl als nächsten Grund der differenten Erscheinung eine verschiedene Neigung und Stellung des Beckens zu betrachten haben. Die gewohnheitsgemässe Haltung des Körpers ist dabei gewiss ebenfalls nicht ohne ganz erheblichen Einfluss. In sehr vieler Hinsicht unterscheiden sich die äusseren weiblichen Geschlechtstheile des Menschen von denjenigen des Affen. Hierüber sowie über die Rassen- Differenzen beim Menschen hat vor Allen v. Bischoff vergleichende anatomische Untersuchungen angestellt. Die Weiber aller Menschenrassen besitzen, soweit sie bis jetzt bekannt sind, grosse Schamlippen und einen Schamberg und einen auf beiden stärkeren Haarwuchs. Bei einigen Stämmen der äthiopischen Rasse, vorzüglich bei Buschmänninnen und Hottentottinnen , scheint allerdings eine geringere Entwickelung des Schamberges, der grossen Schamlippen und des Haarwuchses auf denselben vorzukommen, ganz fehlen sie jedoch niemals. Dagegen besitzen weder die Weibchen der Anthropoiden noch die übrigen Affen einen Schamberg, deutliche grosse Schamlippen und stärkeren Haarwuchs an den äusseren Geschlechtstheilen . Nur allein der Orang-Utang hat vielleicht eine schwache Andeutung grosser Schamlippen. Jedoch treten dieselben auch bei den übrigen Anthropoiden nach Hartmann während der Menstruation deutlich hervor. Diese besitzen daher kleine äussere und grosse innere Schamlippen. Umgekehrt ist eine mässige Entwickelung der kleinen Schamlippen oder Nymphen mit dem Praeputium und Frenulum Clitoridis die Regel bei dem menschlichen Weibe : 31. Die äusseren weiblichen Sexualorgane und ihre anthropologischen Merkmale. 129 Die Schamtheile der Australierinnen sollen nach Köler etwas mehr zurückstehen, daher die Männer, „was übrigens bei den meisten Australiern Sitte ist, " die Begattung von hinten vollziehen. Jedoch stimmt das Letztere nicht mit den Angaben von Miklucho- Maclay überein. Ueber die Einwohnerinnen des alfurischen Archipels besitzen wir Nachrichten von Riedel¹ . Er erklärt bei den Weibern der Seranglaound Gorong- Inseln den Vaginaleingang für eng und die Labia minora. für rudimentär. Bei den Weibern der Babar - Inseln ist die sichtbare Spalte (pli) der Vulva kurz und nicht so lang, als bei den meisten Ambonesinnen. Die Inseln Leti , Moa und Lakor besitzen eine schmalköpfige und eine breitköpfige Bevölkerung. Die Frauen der ersteren haben eine länglichrunde Spalte der Pudenda. Die breitköpfigen Frauen besitzen nur rudimentäre Nymphen. Die Weiber von Buru haben eine enge Schamspalte und rudimentäre Nymphen. Die Vaginen der Aaru- Insulanerinnen bezeichnet Riedel als klein, jedoch soll hierzu der Penis der Männer, welcher ebenfalls nur eine geringe Grössenentwickelung aufweist , im Verhältniss stehen . Von den grossen und breiten Schamlippen der Guarani- Weiber in Süd - Amerika sprechen v . Azara und Rengger. Bei der Section der an Pneumonie und Pleuritis verstorbenen Feuerländerin Losè fand v. Bischoff Folgendes : „ An den äusseren Genitalien derselben zeigte sich eben so wenig wie am After irgend eine bedeutende Spur von Haarwuchs ; nur auf der oberen Partie der grossen Schamlippen finden sich einzelne Härchen (etwa 1 cm lang). Es zeigte sich auch keine Spur einer Rasur oder Ausreissen der Haare. Die grossen Schamlippen sind mässig stark entwickelt und lassen zwischen sich eine gegen 6,5 cm lange ziemlich geschlossene Schamspalte . Oben an dem Schamberg gehen sie mit einer etwas vertieften Commissur in einander über ; nach unten und hinten bilden sie eine hintere Commissur mit einem schwach entwickelten Frenulum und dahinter gelegener Fossa navicularis. Die rechte grosse Schamlippe ist etwas stärker entwickelt als die linke. Eigenthümlich ist es, dass um den weit offen stehenden und von einigen Hämorrhoidalknoten umgebenen After herum die Epidermis fehlt und dieser Mangel sich auch bis hinauf zu dem unteren Ende der linken grossen Schamlippe fortsetzt. Diese Arrosion musste von einem entweder aus dem After oder aus der Vulva herrührenden scharfen Ausflusse veranlasst sein . Die kleinen Schamlippen ragen nicht vor der Schamspalte vor, und ist die rechte ansehnlich grösser als die linke. Nach unten verlieren sich beide in den Scheidenvorhof; nach oben theilt sich die rechte in zwei Fortsätze, deren äusserer, sich an die innere Fläche der grossen Schamlippen anlehnend, bis an die obere Commissur der letzteren sich hinzieht, der innere aber sich, wie das obere Ende der linken kleinen Schamlippe, abermals in zwei kleinere Falten spaltet, deren äussere das Praeputium Clitoridis, die innere das Frenulum Clitoridis in gewöhnlicher Weise bildet. Die Clitoris ist von normaler Grösse, und auch die Glans derselben tritt nicht mehr wie gewöhnlich hervor ; 2 cm hinter und unter der Clitoris befindet sich an der oberen Wand des Scheidenvorhofs die Harnröhrenöffnung , welche nur die Eigenthümlichkeit zeigt , dass von den sie umgebenden Schleimhautfalten eine auf jeder Seite sich im Bogen nach oben an der inneren Seite des Scheidenvorhofs hinzieht und so auf beiden Seiten eine kleine Tasche bildet . Am Scheideneingang finden sich mehrere ziemlich stark hervortretende Carunculae myrtiformes. Die Scheide ist 11 bis 12 cm lang, und plattgelegt 3,5 cm breit. Es finden sich an ihrer vorderen und hinteren Wand Columnae rugarum, welche besonders an der vorderen Wand ziemlich stark entwickelt sind und in einem gegen die Harnröhrenöffnung sich hinziehenden Wulst vorspringen. “ Schon früher war die ältere Feuerländerin Catharina, die Mutter des Mädchens von 4 Jahren, gestorben. v. Meyer berichtet aus dem Gedächtniss , dass bei ihr das Fettpolster der Labia majora nur gering entPloss , Das Weib. I. 3. Aufl. 9 130 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. wickelt war. Die beiden genannten Labien umgaben eine klaffende Schamspalte, so dass die Labia minora und die Clitoris sichtbar waren. Nach Virey besitzen die Kamtschadalinnen mit grosser Wahrscheinlichkeit eine weite Mutterscheide, da sie gewohnt sind, in ihrer Vagina eine Art Mutterkränzchen aus Birkenrinde zu tragen. Ob sie dieses aber immer thun, oder ähnlich wie manche Insulanerinnen des malayischen Archipels nur in der Zeit der Menstruation, das ist aus dieser Notiz nicht zu ersehen . Auch Steller sagt von ihnen : Die Scham ist sehr weit und gross, daher sie auch nach den Kosaken und Ausländern allezeit begieriger sind, und ihre eigene Nation verachten. Mit den Ostjakinnen muss es sich nach einem Berichte von Pallas ähnlich verhalten. Er sagt: Die Ostjaken - Weiber tragen in der Scham beständig eine zusammengedrehte Wicke von geschabtem weichen Seidenbast, welche sie, so tief sie können, hineinstecken, wenn sie harnen wollen, herausnehmen und auch der Reinlichkeit wegen oft abwechseln. Weil aber diese Ausfüllung bei einer jeden Bewegung aus ihrer Lage kommen und auf die Erde fallen würde, wenn sie durch nichts an der rechten Stelle erhalten würde, so haben die ostjakischen Weiber einen Gürtel ausgesonnen, der fast wie die von der Eifersucht südlicher Europäer erfundenen Keuschheitsgürtel gestaltet ist : von demselben nämlich geht eine Binde zwischen den Beinen durch, die vermöge einer besonders gestalteten Platte von Birkenrinde, welche daran festgenäht ist, die heimlichen Theile bedeckt. Diese Erfindung kommt ihnen sonderlich zur Zeit der monatlichen Unpässlichkeit wohl zu statten, weil sie zu solcher Zeit in Ermangelung der Beinkleider, die sie nicht tragen, alles besudeln würden. Die äusseren Genitalien der Japanerinnen bieten manche Eigenthümlichkeiten dar ; Wernich fand Folgendes in seiner gynäkologischen Abtheilung zu Yeddo: Die grossen Schamlippen sind fettarm und, auch bei jungen Personen , sehr schlaff. Der Harnröhrenwulst springt sehr erheblich hervor, was vielleicht auf das in den niederen Ständen ganz gebräuchliche Uriniren in aufrechter Stellung zurückzuführen ist. Die Scheide ist kurz, nie fand Wernich eine über 7 cm lang. Ein Hymen ist ihm niemals zu Gesicht gekommen. Der Damm erschien im Allgemeinen nicht von besonderer Breite. Congestionirung und Consistenzzunahme (Erection) der Portio vaginalis kam bei den Untersuchungen viel häufiger vor, als bei den europäischen Frauen. Die Japanerinnen haben, wie es heisst, so enge Genitalien , dass Aerzte angestellt sind, welche aus den Puellis publicis diejenigen aussuchen, deren Genitalien ohne beiderseitige Inconvenienz den Coitus mit dem kräftigen Gliede eines Europäers gestatten. Ob diese mir zugegangene Mittheilung auf Thatsachen beruht, muss weiter erörtert werden. Doenitz, welcher Jahre lang als Angestellter der japanischen Regierung gelebt hat und in Tokio eine sittenpolizeiliche Controle der Prostituirten einführte , erklärte dem Herausgeber die Angabe als unzutreffend . Die Vaginen waren für die auch bei uns gebräuchliche Durchschnittsnummer der Mutterspiegel bequem passirbar. Auch pflegen die dort lebenden Europäer sich selbst ihre Concubinen zu wählen und sie nicht aus den Händen der Polizei zu empfangen. In einer Sammlung japanischer Aquarelle des kgl . Museums für Völkerkunde in Berlin, welche unter dem Namen physiognomische Studien" von Maruyama Okio, dem bedeutendsten japanischen Maler des vorigen Jahrhunderts, gefertigt worden sind, befindet sich auch die Darstellung eines nackten, auf der Erde kauernden Weibes mit der Bezeichnung : eine Frau, die in Wollust gesündigt hat. *) Ihre lange Schamspalte ist weit

  • ) Nach freundlicher Uebersetzung des Directorialassistenten Herrn Dr. Grube.

31. Die äusseren weiblichen Sexualorgane und ihre anthropologischen Merkmale. 131 klaffend gezeichnet ; die Clitoris sowohl, als auch die kleinen Schamlippen ragen beträchtlich aus ihr hervor, die grossen Schamlippen aber erscheinen. schmal und wenig fettreich. Die Anna miten-Frau in Cochinchina ist in ihren Geschlechtsorganen nach Mondière anders gebaut, als die Europäerin. Sie besitzt nicht die grosse Erweiterung und die grosse Krümmung, welche bei unseren Frauen durch die Verlängerung des Perinaeum gegeben ist ; alle zwischen Os pubis, Os ischii und Os coccygis liegenden Theile haben die Form eines Trapezoids. Weder das Perinaeum noch auch die äusseren Theile wölben sich ; es ist eine Abflachung der grossen und kleinen Schamlippen vorhanden, und die Mutterscheide scheint sehr kurz zu sein, so dass das Orificium uteri dem Scheideneingang sehr nahe liegt. Die Vagina der Tatarin soll selbst noch nach der Niederkunft eine . grosse Enge besitzen. Bei den Bafiote- Negern an der Loango- Küste in West- Afrika wird das ihnen wohlbekannte Hymen nkumbi oder tschikumbi genannt ; mit denselben Worten bezeichnet man auch daselbst ein junges Mädchen vom Zeitpunkte des Menstruationseintritts an bis zur Hingabe an einen Mann (Pechuel-Loesche). Nur bei einigen Negervölkern wurden die äusseren Genitalien der Frauen, die schon Pruner-Bey zum Object seiner Beobachtungen gemacht hatte, so genau untersucht und beschrieben, wie de Rochebrune bei den Woloffen gethan hat. Er bezeichnet diese Genitalien als „ médiocrement développés“ . Eine nur einige Millimeter hohe Falte stellt die grossen Schamlippen dar, die Nymphen sind einigermaassen rudimentär und messen in der Breite 0,004 m, in der Länge 0,021 m; so charakterisirt sich das Ganze der Vulva durch eine Abplattung, indem die Oberfläche äusserlich begrenzt ist von zwei ellipsoiden Falten , die sich von dem unteren Theil und der Mitte des Schamberges bis auf die vordere Gegend des Perinaeum verbreiten ; dabei schliessen sich die inneren Ränder dieser Falten an einander, indem sie sich nur wie eine leichte , wellige Linie, selbst bei den Frauen von gewissem Alter, abzeichnen . Aehnlich unterscheidet sich die Färbung dieser Theile von derjenigen der ganzen Haut durch blasseres Aussehen, die Nymphen sind bei Erwachsenen schieferblau, dunkelroth bei jungen Mädchen . Die Clitoris ragt beständig vor ; in allen gemessenen Fällen maass die freie Partie 0,013 m im Mittel. Auf der Diese Gestaltung differirt wesentlich von der der Europäerinnen. anderen Seite ist jedoch die habituelle Verlängerung der Nymphen, welche andere Beobachter als Specialität der Negerinnen beschrieben, nicht bei den Woloffen zu finden ; vielmehr zeigen dieselben hier eine Art von Atrophie ; man könnte, wie de Rochebrune meint, von einem wahren Zurückbleiben in der Entwickelung reden, denn abgesehen von dem Vorspringen der Clitoris und von der weiteren Ausdehnung der Oberfläche der Vulva kann man die anderen Theile nicht besser vergleichen, als mit denjenigen eines enropäischen Mädchens von 8 bis 10 Jahren. Sehr bemerkenswerth ist auch die Stellung , welche dieses Organ einnimmt. Wenn man eine senkrechte Linie durch den Körper der Frau von oben bis unten auf die Basis zieht, und auf diese Linie eine perpendiculäre Fläche sich gelegt denkt, welche das Niveau der Afteröffnung hält, so findet man, dass die Fossa navicularis in dieser Fläche gelegen ist, und dass demzufolge die Basis der Vulva in einem Punkte liegt, der verhältnissmässig hoch zur Verticalen ist . Weiterhin zeigt sich dies auch an der Länge des Perinaeun , die sehr bemerkenswerth ist. Während die Länge desselben bei der Europäerin im Mittel 0,012 m misst, findet man sie bei der Woloff- Frau 0,025 m ; aus diesem Unterschied von 0,013 m erhellt, dass die Vulva um so viel zurückliegt . v. Bischoff in München fand an den Genitalien einer angeblich aus. dem Sudan (Ost - Afrika) stammenden, in München verstorbenen Negerin 9* 132 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. gut entwickelte grosse Schamlippen . Aber obwohl die Person noch Jungfrau war, d. h. ein noch deutlich ausgesprochenes Hymen besass, klaffte dennoch die Schamspalte in der Art, dass die beiden ansehnlich grossen Schamlippen mit schwarzem Pigment versehen waren, während sie an ihrer inneren Fläche, soweit diese den Scheidenvorhof begrenzte, von einer röthlichen Schleimhaut überzogen waren. v. Bischoff setzt hinzu : „ Mit diesen geringen Modificationen, die übrigens auch bei Europäerinnen in ähnlicher Weise vorkommen, stimmen diese Genitalien ganz mit denen von Weibern europäischer Völkerschaften überein, namentlich war auch hier die Clitoris keineswegs stärker entwickelt. " Bei den Negerinnen soll nach Ausspruch eines anderen Autors das Hymen viel höher sitzen, als bei Weissen. Von den äusseren Genitalien der eingeborenen Frauen Algeriens (Araberinnen) berichtet Bertherand Folgendes : „Par suite de la précocité dans la puberté hâtée, par une vie sédentaire et le climate dans la dépravation des moeurs favorisées par la polygamie et les unions conjugales prématurées, les organes génitaux acquièrent un développement très- prononcé, Chez les femmes surtout, l'exubérance des grandes lèvres explique parfaitement la nécessité de leur excision dans les régions plus rapprochées des tropiques. Le clitoris est volumineux et très - proéminent , le vagin très- ample. " Bevor wir zu der Besprechung einer eigenthümlichen Ausbildung der kleinen Schamlippen übergehen, wie sie sich besonders bei südafrikanischen Stämmen findet, mag noch hervorgehoben werden, dass wir über die etwaigen Unterschiede der Secrete der Scheide bei den verschiedenen Völkerschaften uns noch in vollständiger Unklarheit befinden. Selbst die Vertreterinnen der europäischen Rassen bieten in dieser Beziehung bekanntermaassen mancherlei Differenzen dar, je nachdem sie sich in absoluter Gesundheit oder in dem Zustande chronischer Erkrankung, je nachdem sie sich in psychischer Ruhe oder in den verschiedenen Stadien geschlechtlicher Erregung, je nachdem sie sich kurz vor oder nach der Menstruation oder in der intermenstrualen Pause, und endlich je nachdem sie sich in unbefruchtetem oder in befruchtetem Zustande befinden. Was die ausländischen Völker anbetrifft , so finde ich nur eine Angabe aus neuerer Zeit von Moncelon über die Weiber auf Neu- Caledonien: Les parties sexuelles, pendant les ardeurs du coït, donnent chez la femme jeune et passionnée une odeur des plus désagréables, et qui résiste à des ablutions réitérées : In der alten indischen Literatur existiren hierüber absonderliche Angaben, welche ich dem in der Tamilsprache geschriebenen Kokkôgam entnehme. Ich verdanke die Verdeutschung der Freundlichkeit des Herrn Dr. A. Grünwedel. Die Weiber werden in den indischen Schriften in vier besonders benannte Klassen getheilt, in die Lotosduftigen, die Padmini , die Bunten, die Cittini (sanskrit Cittrinî) , die Schneckigen, Cankini ( sanskrit Çankhinî) , und die Elefantigen , die Attini ( sanskrit Hastrinî) . Von diesen Weibern heisst es nun im Kokkógam: Die Lotosduftige : ihre zwei Brüste gleichen der Bilvafrucht (Aegle marmelos) , ihre Eigenthümlichkeit besteht darin, dass das suradanir, das Liebesexcret (die bei der Cohabitation ausfliessende Flüssigkeit ) , ohne Unterlass fliesst und sich mit dem Geruch der tàmarei vergleichen lässt , welche schöne Blüthenblätter hat. Ihr Geschlechtstheil gleicht den Blüthenblättern der rothen Wasserrose und ist gleich einem heiligen Geheimniss. Die Bunte: ihre aufknospenden Brüste werden dick, ihre Schenkel haben Goldfarbe. Ihr Liebesexcret gleicht dem Geruch des tên ( Honig, Palmensaft) ; ihr Geschlechtstheil ist schön, weil er eine sehr reichliche Behaarung besitzt , wie wenn man eine Gemüseart ( Hirsehalme ? ) in Reihe und Glied auf eine goldene Schüssel legt. Ihr Liebesexcret ist milde und reichlich ausströmend, da der Geschlechtstheil scheibenförmig aus einander gezogen ist. 32. Die Hottentottenschürze. 133 Die Schneckige ist sehr mager und ohne Fülle . . an dem Geschlechtstheile hat sie schwarze Haare und dieser Theil ist zusammengedrückt anzusehen und das hervor. strömende Liebesexcret riecht salzig. Die Elefantige: ihr Körper ist gross und reich an Haaren und der Theil ihrer Vulva geht in die Breite , weil darin ein hervorragendes trockenes Mani ( Mittelperle des Rosenkranzes, Clitoris) steht, und ihr Liebesexcret hat den durchdringenden Geruch, wie' die Flüssigkeit, welche aus dem Ohre des brünstigen Elefanten fliesst . Die Ränder des Geschlechtstheiles sind aus einander gezerrt, breit und mit vielen Haaren bewachsen. Ein Anthropologe , welcher diese scheinbar etwas verworrenen Dinge mit Aufmerksamkeit liest, wird wohl sofort erkennen, dass hier ein gutes Stück thatsächlicher Beobachtung zu Grunde liegt. Wir haben ja auch bei unserer Rasse die Gelegenheit , zu sehen , dass die weiblichen Genitalien gewisse Formverschiedenheiten darzubieten vermögen, sowohl was ihre Behaarung anbetrifft , als auch in Bezug auf ihre allgemeine Configuration , und wir können sehr wohl verstehen, was unsere indischen Vorfahren sich unter den beschriebenen Formen gedacht haben. Wir werden in der ersten Form wohl die Vulva mit derben, fettreichen grossen Labien und festgeschlossener Rima pudendi zu erkennen haben , während in der zweiten Form die wenig prominenten grossen Labien wohl nur wenig die leicht klaffende Schamspalte überragen. In der dritten Form finden wir wohl auch ziemlich fettarme, aber stark hervorstehende, eng auf einander liegende grosse Schamlippen. Die Vulva der Elefantigen endlich würde jene Form repräsentiren , bei welcher die medianen Ränder der grossen Schamlippen sich nicht gegenseitig erreichen , so dass die stark entwickelte Clitoris von Haut überdeckt (daher die Erwähnung des trockenen Mani) zwischen ihnen frei zu Tage liegt. Wir können hier wieder mit rechter Deutlichkeit ersehen , wie auch die scheinbar verworrensten Angaben und Erzählungen der Völker doch gar nicht selten, von der richtigen Seite betrachtet, gelegentlich ihre Erklärung finden und die ihnen zu Grunde liegenden Thatsachen und Verhältnisse mit Sicherheit erkennen lassen. 32. Die Hottentottenschürze. Ueber die durch ihre starke Verlängerung auffallenden kleinen Schamlippen der Hottentotten- und Buschmanns- Frauen ist bis in die neueste Zeit hinein ausserordentlich viel verhandelt worden. Man nennt bekanntlich diese eigenthümliche Bildung die Hottentottenschürze, oder mit französischem Namen le tablier. Schon in älterer Zeit erhielt man Mittheilungen über diesen interessanten und auffallenden Gegenstand; so berichtet schon Ten Rhyne: „Feminae Hottentotticae hoc sibi a ceteris gentibus peculiare habent, quod pleraeque earum dactyliformes , semper geminas e pudendis propendentes, productas scilicet nymphas gestent. " Zwar erklärte der alte Blumenbach diese Angaben für eine Erdichtung. Doch gar bald wurden sie von Anderen (Tackard , Sparmann, Bancks, Péron, Lesueur) bestätigt. So schien denn festzustehen, dass die Schürze" der eingeborenen Frauen in Afrika in einer excessiven Entwickelung der Nymphen bestehe. Da trat plötzlich Le Vaillant mit seiner bekannten Behauptung auf, dass hier nicht von einer natürlichen, sondern vielmehr nur von einer künstlichen Missbildung die Rede sein könne. Man suchte aber anatomisch nachzuweisen, dass die mitunter 14-18 cm betragende Vergrösserung der 134 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. Nymphen oft zugleich mit einer Verlängerung des Praeputium Clitoridis bei Frauen der Betschuanen - Stämme einhergehe. Namentlich machte uns Curier mit den betreffenden Verhältnissen seiner berühmten HottentottenVenus, einer im Jahre 1815 durch einen Holländer nach Paris gebrachten sogenannten Buschmann- Hottentottin , bekannt, welche zu Paris 1816 starb; und Johannes Müller besprach die Angelegenheit in gleichem Sinne. Diese Hottentotten - Venus , deren Modell im Pariser Museum steht, hatte, wie de Quatrefages berichtet, folgende Maasse : die rechte kleine Schamlippe 55 , die linke 61 mm Länge, die rechte 34, die linke 32 mm Breite. die Dicke des Organs bleibt sich überall gleich und erreicht 15 mm. Auch bildete Wilhelm Heinrich Busch die Hottentotten- Schürze als natürliche Missbildung der Nymphen ab. Nach Cuvier's Untersuchung dieser Venus- Hottentotte bestanden die fleischigen Lappen, welche den Sinus pudendus constituiren, in der Mitte aus dem Praeputium Clitoridis und dem obersten Theile der Nymphen, alles Uebrige aber aus der Entwickelung der unteren Partie der letzteren. Virey berichtet über die Untersuchung der Geschlechtstheile an der Leiche dieser Person, dass die angebliche Schürze" der Hottentottinnen „ nichts weiter sei, als die beiden Nymphen, welche sehr verlängert auf beiden Seiten aus den fast unmerklich vorhandenen , sehr verkleinerten grossen Fig . 33. Hottentottenschürze Schamlippen herabhängen. Diese von aussen braunen (nach Photographie) . und von innen betrachtet dunkelrothen Nymphen sind ungefähr zwei Zoll lang und bedecken den Eingang der Scheide und Harnröhre . Man kann dieselben, da sie abwärts und zunächst dem Mittelfleisch nicht anhängen , ungefähr wie zwei Ohren über der Scham in die Höhe heben. " Es lag im Geiste jener Zeit, in welcher man diese Thatsachen kennen lernte, dass die Gelehrten sofort aus analogen Erscheinungen eine Erklärung für die Entstehung so eigenthümlicher anatomischer Bildung zu construiren suchten. Unter Anderem finde ich folgende Aeusserung (Renard) : ,,Man kann die sonderbare Verlängerung der äusseren Zeugungstheile der Afrikanerinnen mit der gewisser Blumen des nämlichen Himmelsstrichs vergleichen, z. B. mit den Geranien (Pelargonium) , deren obere Blumenblätter länger als die unteren sind, vielleicht um die Geschlechtstheile zu bedecken und gegen die allzu brennende Sonne von Afrika zu schützen. Linné vergleicht die Blumenblätter (Petala) mit den Nymphen, und die Ursache der Verlängerung der einen wie der anderen kann in der Hitze des Klimas liegen. Ein solcher Erklärungsversuch ermangelt allerdings weiterer Begründung; mindestens kann hier wohl nicht an die teleologische Zweckbestimmung der verlängerten Nymphen als Schutzorgane vor einer schädigenden Wirkung des heissen Klimas gedacht werden. Die bei der Section der Sarah von Curier gefundenen anatomischen Verhältnisse stimmen ziemlich genau überein mit dem, was Reisende aus der Heimath der Hottentotten- Schürze nach genauer Orientirung berichtet hatten. Insbesondere erhielt die ganze Sache ihre Bestätigung durch. Damberger, durch Barrow und Andere. Damberger sagt : „Die Schamlefzen waren etwa 3-4 Zoll lang und formirten über der Scham, wo sie über einander geschlungen waren, gleichsam ein Schloss , welches, wenn es gereizt wird, sich von selbst öffnet , da sich dann die Schamlefzen ausstrecken. Herr Vaillant macht davon eine übertriebene Beschreibung , sagt sogar , dass diejenigen , welche ihre Scham- 32. Die Hottentottenschürze. 135 theile so haben wollen, Steine oder sonst etwas Schweres in ihre Lefzen hingen, wodurch sie in die Länge gezogen würden ; das Unstatthafte dieser Behauptung wird Jeder leicht einsehen. " Etwas genauer beschrieb Barrow die Schamtheile der Weiber der Buschmänner: „ Die bekannte Geschichte, dass die hottentottischen Frauenzimmer ein ungewöhnliches Anhängsel an den Theilen haben, die das Auge selten zu sehen bekommt, ist in Ansehung der Buschmänner völlig wahr. Die Horde, die wir antrafen, war damit versehen. Bei der Untersuchung fanden wir, dass es in einer Verlängerung der inneren Schamlippen bestand, die mehr oder weniger gross waren, je nachdem die Person alt oder sonst beschaffen war. " Mit den Jahren sollen nämlich die Nymphen an Länge zunehmen. Die Länge der grössten , welche Barrow maass , betrug 5 Zoll. Die Farbe der so verlängerten Nymphen soll schmutzig blau, in das Röthliche sich verlierend sein und am meisten mit der des Auswuchses am Schnabel eines Truthahns Aehnlichkeit haben. Während aber bei Europäerinnen die kleinen Schamlefzen sich runzeln, werden sie bei den Hottentottinnen völlig glatt. Nach Ausspruch des Zoologen Lichtenstein zu Berlin ist die Hottentottenschürze kein Kunstproduct ; sie ist in der Jugend vor der Pubertätsentwickelung und bis zum 20. Jahre im Ganzen wenig ausgebildet und nimmt im Alter an Ausdehnung zu. So viel wussten wir Thatsächliches ; da fand sich plötzlich vor wenigen Jahren eine zweifache Gelegenheit, dass fast gleichzeitig von einigen. Forschern die Sache wieder hier in Europa anatomisch erörtert werden konnte. In Deutschland und in England starben zwei Buschweiber. Luschka mit seinen Schülern in Tübingen untersuchten das eine, Flower und Murie in London das andere Exemplar. Mehrere Jahre lang hatte sich das Buschweib Afandy in Deutschland sehen lassen, und als sie in ihrem 30. Lebensjahre zu Ulm gestorben war, lieferte Luschka über ihre Geschlechtstheile eine genaue anatomische Beschreibung mit Abbildungen. Während die grossen Schamlippen ganz ähnlich wie in Curier's und Johannes Müller's Fällen schwach ausgebildet waren, so dass sie wenig zur Bildung einer Spalte tendirten , vielmehr wesentlich dazu beitrugen, dass die Nymphen fast in ihrer ganzen Länge blosslagen, bedingten fast ausschliesslich die kleinen Schamlippen für sich das Aequivalent der Rima pudendi. Sie hängen als zwei weiche, schmutzigrothe, von beiden Seiten abgeplattete Lappen schlaff herunter und berühren sich mit ihren zugekehrten Flächen so, dass nur im Bereiche der unteren Ränder einiger Abstand existirt. Die Länge der Nymphen, von ihrer Basis bis zu der von derselben am weitesten entfernten Stelle gemessen, belief sich auf 3½ cm, so dass sie also das Maass der von Curier und Müller beschriebenen Fälle nicht erreichten, dagegen die gewöhnliche im Maximum nur 7 mm betragende Länge der Nymphen weit übertrafen (Goertz) . Flower's und Murie's Fall betraf ein BuschmannMädchen, welches im wahrscheinlichen Alter von 21 Jahren im Juni 1864 in London an Tuberculose starb. Auch bei diesem Mädchen waren die Labia majora nur klein, und wohl nur deshalb lag die ebenfalls mässig entwickelte Clitoris weit mehr zu Tage, als beim europäischen Weibe; doch war dieselbe mit einem wohl entwickelten Praeputium versehen, dessen Seiten sich abwärts in die Nymphen fortsetzten. Letztere stellten sich als grosse, 1,2 Zoll lange, sehr ausdehnbare Lappen von dunkelrother, fast schwärzlicher Farbe dar. Ferner führen Flower und Murie nach den Mittheilungen eines am Cap wohnenden Beobachters über die äusseren Genitalien zweier anderer Hottentottinnen, Mutter und Tochter, Folgendes an: Bei der 12jährigen Tochter waren die Glutaei schon mit dem bekannten halbkugeligen Fettkissen bedeckt, die Nymphen hingen in aufrechter Stellung des Mädchens als zwei 3½ Zoll lange Lappen herab ; das Hymen war nicht 136 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. intact. Die Mutter nahm ihre ungemein verlängerten Lappen auf, legte den rechten um die rechte Seite über das Gesäss, den linken ebenso, und die Enden beider berührten sich hinten in der Mittellinie. Es wird bei dieser Angabe ein gelinder Zweifel wohl kaum unterdrückt werden können. M Fig. 34. Hottentottenschürze ( nach Blanchard). zuzuBlanchard benutzt die absonderliche Bildung der Genitalien der Buschweiber, um den letzteren die niederste Stufe auf der Scala der menschlichen Entwickelung weisen, indem er bei ihnen eine erhebliche Thierähnlichkeit und zwar im Speciellen pithecoide, affenartige Zustände nachzuweisen bemüht ist . Er citirt Cuvier, welcher sich über die Steatopygie der Buschweiber folgendermaassen äussert: ,,Elles offrent une ressemblance frappante avec celles qui surviennent aux femelles des mandrills, des papions, etc. , et qui prennent, à certaines époques de leur vie, un accroissement vraiment monstrueux. " ,, Rappelons tout d'abord, fährt Blanchard fort, que le tablier est constitué par une hypertrophie considérable des petites lèvres et du prépuce du clitoris. En même temps que les nymphes se développent de la sorte, la taille du clitoris augmente elle-même dans de notables proportions , mais les grandes lèvres et le mont de Vénus subissent une régression véritable et sont loin de présenter un développe- ment comparable à celui qu'ils atteignent chez les femmes d'autres races. Il en résulte que les nymphes débordent de beaucoup les grandes lèvres et que la rima pudendi, c'està-dire la ligne suivant laquelle s'affrontent ces dernières, n'existe plus ; ou plutôt, elle se trouve anormalement constituée par les petites lèvres. On ne saurait méconnaître l'analogie remarquable qui existe entre cette disposition de la vulve chez le chimpanzé femelle et la conformation de ces mêmes parties chez la femme boschimane. " In der Berliner anthropologischen Gesellschaft besprach Waldeyer das Präparat von den Geschlechtstheilen eines Korannaweibes. Die im südöstlichen Afrika wohnenden Koranna sind Betschuanen (Hottentotten) , welche nach Fritsch mit sehr viel Buschmannsblut gemischt sein sollen. ,,Die beiden Labia majora sind gut entwickelt, deutlich durch eine Furche von dem noch erhaltenen Schenkelreste abgesetzt ; die Commissura labiorum superior ist ausgerundet und tritt nicht bestimmt hervor ; an der Innenfläche der grossen Labien finden sich noch vereinzelte stärkere Haare im Zusammenhange mit der erwähnten äusseren Behaarung . Eine Commissura labiorum inferior fehlt völlig, da die beiden Labien analwärts sich weit von einander entfernen und sich unmerklich in die Haut des Dammes verlieren. Oben haben die grossen Lippen eine Breite von 3 cm, in der Mitte von 2 cm, gegen das untere Ende von 1 cm . Die Schamspalte klafft ziemlich weit in ihrer ganzen Länge. Dies Klaffen wird bedingt durch eine umfangreiche Hervorragung, die wie an einem rundlichen Stiel unter der Commissura labiorum superior beginnt und abwärts in zwei rundliche, blattförmige Lappen ausläuft. Letztere ragen aus dem mittleren Theile der Schamspalte hervor, liegen dicht an einander und decken schürzenförmig den ganzen unteren Abschnitt der genannten Spalte bis zum Damme hin. Der stielförmige obere Theil dieses Vorhanges wird in dem Zustande, in welchem sich das Präparat gegenwärtig befindet, von den Labia majora nicht gedeckt, ist ohne weiteres deutlich sichtbar. Drängt man die letzteren jedoch an einander so wie sie etwa bei geschlossenen Schenkeln liegen müssen, so decken dieselben den Stiel. Der letztere weist sich als das verdickte und namentlich stark verlängerte Praeputium clitoridis aus, die beiden Lappen als die oberen Partien der kleinen Schamlippen. 32. Die Hottentottenschürze. 137 Diese Lappen sind 4 cm lang, helfen das Vestibulum vaginae begrenzen und gehen lateralwärts in die Innenfläche der Basis der Labia majora ganz in derselben Weise über, wie die Labia minora gewöhnlicher Grösse und Form. Die Breite der Lappen beläuft sich auf 2 bis 2,5 cm. Nach abwärts setzen sich dieselben in zwei kleine Hautfalten fort , welche nicht stärker entwickelt erscheinen , als kleine Labien europäischer Weiber, und sich ganz so wie solche verhalten. Analwärts, gegen die Stelle der Commissura inferior hin, sind sie leicht wulstig verdickt und springen wieder etwas stärker vor. Man kann also an den Nymphen des vorliegenden Präparates drei Abschnitte unterscheiden : einen oberen, welcher sehr stark entwickelt ist und in Form der Schürze hervorragt, einen mittleren von ganz gewöhnlichem Verhalten, der auch bei aneinanderliegenden grossen Labien von den letzteren völlig verdeckt werden würde , und einen unteren, etwas wulstartig verdickten. Eine sogenannte Navicula und also auch eine Fossa navicularis fehlt ; vielmehr kommt aus dem Vestibulum vaginae direct eine Furche, welche zwischen den distalen wulstigen Enden der Labia minora auf den Damm hinausführt . Von den beiden schürzenförmigen Lappen geht beiderseits in normaler Weise ein Frenulum zur Glans Clitoridis . Letztere ist auffallend klein, ohne deutliche Abrundung, und steckt tief in der Präputialtasche darin . Das Vestibulum vaginae erscheint tief, die Harnröhrenmündung liegt ziemlich weit von der Clitoris ab, die Carina vaginae tritt deutlich hervor. Von der hinteren Vaginalwand springt die Columna rugarum posterior stark und keilförmig zwischen den beiden wulstigen hinteren Nymphenpartien vor. Die Rugae vaginales sind gut entwickelt. Der Damm hat eine Länge von nicht ganz 2 cm. “ In Beyrut fand Duhousset ein junges Mädchen von 14 Jahren , deren Geschlechtstheile er in folgender Weise beschreibt : ,,J'observais alors le grand développement des nymphes, dont les plis muqueux se terminaient en pointe, reposant à terre sur une longueur de quelques centimètres de chaque côté du vagin, avant de se confondre avec celui-ci à la face interne des grandes lèvres. Les deux lobes formant ce prolongement charnu des petites lèvres, partant du prépuce, semblaient dépasser la trace du clitoris, dont on ne voyait pas le renflement arrondi terminal. L'aspect de la vulve de cette fille de quatorze ans, probablement déjà déflorée, était repoussant. L'excroissance anormale, plus rouge que la peau généralement d'un ton bistre, était recouverte d'une poussière grise rendue humide par la sécrétion sébacée qui s'en échappait incessamment. " Eine Abbildung , nach der Natur aufgenommen , legte Duhousset der Pariser Société d'Anthropologie am 15. Februar 1877 vor. Bei dieser Gelegenheit spricht er seine Ansicht dahin aus, dass eine derartige Verlängerung der Nymphen in heissen Zonen viel häufiger vorkomme , als in gemässigten , selbst an solchen Plätzen, wo sich die Mädchen und Frauen nicht etwa selbst durch Berührungen der Theile diese Verlängerungen hervorzubringen bestreben. Duhousset giebt zu, dass auch in gemässigten Zonen dergleichen Verbildungen vorkommen, wie Broca versichert hatte, der sie in Frankreich nicht selten einseitig vorfand. Er meint, dass das häufige Vorkommen im Orient dort die Veranlassung gegeben habe, eine Abtragung der Nymphen für nothwendig zu halten und hiermit die Circumcision einzuführen. Nach Steller's Angaben sollen auch die Kamtschadalinnen lange und hervorhängende Nymphen besitzen, ganz ähnlich , wie wir sie bei den Hottentottinnen kennen gelernt haben. Er sagt von ihnen : „ Ausser diesen haben einige und zwar die mehrsten sehr grosse Nymphen, welche ausserhalb der Scham auf einen Zoll hervorragen und wie Marienglas oder Pergament durchsichtig sind. Die Itälmenen nennen diese ausserordentlichen Nymphen Syraetan und lachen sich selbst einander damit aus. " Wir haben uns ziemlich ausführlich mit dieser Angelegenheit beschäftigt, und es fragt sich nun, inwieweit man die hier besprochene Gestaltung für eine ethnologische Eigenthümlichkeit zu betrachten berechtigt ist? Hartmann schreibt in dieser Beziehung : 138 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. Die Hottentottenschürze braucht man nicht bloss in Süd- Afrika zu suchen , man findet sie durch den ganzen Continent, sogar in Europa noch häufig genug ! Jeder Stubenethnolog würde erstaunen, wenn ich ihm ein Glas voll sogenannter Hottentottenschürzen , aus dem Präparirsaale der Haupt- und Weltstadt Berlin stammend, fein säuberlich in Alkohol aufbewahrt, vorweisen würde. Facta loquuntur ! Nach unserer eigenen geburtshülflichen Beobachtung können wir allerdings bestätigen, dass ähnliche Bildungen bei unseren deutschen Frauen nicht so selten sind, wie man wohl früher meinte. Allein für die Ethnologie handelt es sich doch nur darum, festzustellen, erstens welche durchschnittlichen Grössenverhältnisse die betreffenden Theile hier wie dort zeigen ; zweitens welche Minima und Maxima hier wie dort vorkommen. Für jetzt mangelt es noch an genügendem Material. " Waldeyer wirft die Frage auf, ob wir in der Hottentottenschürze ein Rassenmerkmal oder eventuell eine Theromorphie, eine thierische Bildung zu erkennen haben. Und er citirt mehrere Autoren, denen zufolge die Hypertrophie der Nymphen in ihren Anfängen beim neugeborenen Kinde bereits deutlich unterscheidbar sein soll. Vrolik z. B. schreibt an Tiedemann: Et ce que parait plus curieux encore, dans l'enfant nouveau-né se trouve déjà la première ébouche de ce prolongement comme prédisposition innée. Eine sehr bedenkliche Erschütterung erhält diese Ansicht von der ethnographischen Bedeutung der Hottentottenschürze durch eine Erklärung des Missions- Superintendenten Merensky, welcher viele Jahre unter diesen Leuten gelebt und gewirkt hat. Er äusserte sich in der Berliner anthropologischen Gesellschaft folgendermaassen : ,,Was die Hottentottenschürze angeht, so geht meine Meinung dahin, dass sie nicht natürlich ist , sondern, wo sie vorhanden war, künstlich erzeugt wurde. Ich bin zu dieser Ansicht durch die Beobachtung geführt, dass die Basutho und viele andere afrikanische Stämme eine künstliche Verlängerung der Labia minora zu bewirken wissen. Die dazu nothwendige Manipulation wird von den älteren Mädchen an den kleineren fast von der Geburt an geübt, sobald sie mit diesen allein sind, wozu gemeinsames Sammeln von Holz oder gemeinsames Suchen von Feldfrüchten fast täglich Anlass giebt. Die Theile werden gezerrt, später förmlich auf Hölzchen gewickelt. " In der Debatte zu dem Waldeyer'schen Vortrage erinnerte der Herausgeber an den soeben citirten Ausspruch Merensky's und hob hervor, dass hierdurch auch sehr gut die von Waldeyer beschriebene Form der Hottentottenschürze ihre Erklärung findet, dass nämlich der obere Theil der kleinen Schamlippe am meisten vergrössert erscheint. Er ist es ja gerade, der bei diesen Manipulationen am leichtesten mit den Fingerspitzen gefasst und daher auch am ergiebigsten gedehnt zu werden vermag. Das Museum des Berliner Missionshauses besitzt eine in Holz gearbeitete Frauenfigur von unbekannter Bestimmung, welche die Bavaenda, ein Betschuanenstamm im nördlichsten Transvaal , gefertigt haben. Hier sind die vergrösserten inneren Schamlippen in unverkennbarer Weise zur Darstellung gebracht worden. (Fig. 35.) Wir müssen uns übrigens vollständig Hartmann's Ausspruche anschliessen, dass die Hottentottenschürze auch bei uns in Deutschland gar nicht so übermässig selten von den Aerzten angetroffen wird. Der Herausgeber kann es aber nicht verschweigen, dass diejenigen Fälle, welche er selber zu sehen Gelegenheit hatte, ausschliesslich bei solchen Damen vorgekommen sind, wo der allergegründetste Verdacht vorlag, dass sie masturbatorische Reizungen auf diese Theile hatten einwirken lassen. Er äusserte sich kürzlich in diesem Sinne gegen den Berliner Gynäkologen Karl Schröder, der ihm erwiderte, dass er die Sache genau ebenso auffasse und dass ihm in einer grossen Reihe von Fällen, wo die vorliegenden Krankheits- 32. Die Hottentottenschürze. 139 Verhältnisse ein Inquisitorium in dieser Richtung erforderten, immer und übereinstimmend die frühere Masturbation zugestanden worden sei. In einem solchen Falle, den der Herausgeber sah, war bei einer Dame in den dreissiger Jahren die linke Nymphe stark verlängert und aus der Rima pudendi hervorhängend, während die rechte Nymphe fast noch normale Verhältnisse erkennen liess . Nach ungefähr Jahresfrist liess sich auch bereits an der rechten kleinen Schamlippe eine erhebliche Vergrösserung, annähernd um das Dreifache ihrer früheren Ausdehnung, erkennen. Dass es sich hier nicht um angeborene Zustände oder gar um Rasseneigenthümlichkeiten gehandelt hat, das wird wohl Niemand bestreiten wollen. Es wird von einigen Anatomen mit Bestimmtheit behauptet, dass die Clitoris in südlichen Ländern überhaupt grösser sei, als in den gemässigten und kalten Zonen, und dass namentlich bei einigen Völkern Nord - Afrikas constant eine Verlängerung der Clitoris und der kleinen Schamlippen vorkommt. Insbesondere ist dieVerlängerung bei den Mandingos und Ibbos (nach Mungo Park) bedeutend. Fig. 35. Holzgeschnitzte Figur der Bavaenda ( Süd-Afrika). Hinteransicht, die Hottentotten- schürze zeigend . (Nach Photographie. ) An einer im Breslauer Krankenhause verstorbenen und vou Morgenstern obducirten Negerin beschreibt Otto folgende eigenthümliche Bildung : Es hängt vor der Schamspalte ein Fleischlappen wie eine Klappe herab ; die grossen Schamlippen bieten nichts Besonderes in ihrer Erscheinung, nur dass sie in ihrem oberen Abschnitt etwas weit auseinander stehen ; die Nymphen sind vielfach eingekerbt und erstrecken sich bis nach dem After zu. Der Fleischlappen besass eine Länge von 4 Zoll, war 1½ Zoll breit und hing an einem 12 Zoll langen Stiel. Johannes Müller hatte wohl sicher Recht, dass er dieses Gebilde für eine hypertrophirte Clitoris erklärte. Bruce von Kinnaird berichtet von den Genitalien der Abyssinierinnen: ,,Derjenige Theil, den die Natur wegen seiner ausserordentlichen Empfindlichkeit vollkommen bedeckt hat ( es ist hiermit natürlicher Weise die Clitoris gemeint), steht in diesem Lande soweit über den bestimmten Ort vor und übertrifft die gewöhnliche Grösse, dass daraus nicht nur Ekel und andere Unbequemlichkeiten entstehen, sondern auch Fig.36.Holzgeschnitzte der Zweck, wozu die Ehe eingesetzt worden, zum Theil verhindert wird. " Figur der Bongo Diese Thatsache könnte auf eine mögliche Erklärung die künstlich vergrós- des gerade bei diesen Völkern heimischen Gebrauchs der (nach Schweinfurth ). blutigen Resection oder Excision der Mädchen führen. Doch (Central- Afrika ) , serte Clitoris zeigend 140 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht . führt Görtz dagegen an , dass die Beschneidung der Mädchen in Kamtschatka , wo die Nymphen ja auch vergrössert sind, sowie in Süd - Afrika nicht gebräuchlich ist. Er verwechselt hier offenbar die Excision der Clitoris mit der Beschneidung der Nymphen, zwei Operationen, die von einander getrennt werden müssen. Dass den Afrikanern selbst diese ihre körperlichen Eigenthümlichkeiten sehr wohl zum Bewusstsein gekommen sind, das vermögen wir aus gewissen Producten ihrer Kunstfertigkeit, wie sie z. B. Fig. 35 zeigt, zu ersehen. So bildet auch Schweinfurth eine aus Holz geschnitzte weibliche Figur der Bongo ab (Fig. 36) , welche zur Erinnerung an eine verstorbene Frau gefertigt wurde. Man erkennt an ihr mit grosser Deutlichkeit die verlängerte Clitoris. 33. Die künstliche Vergrösserung der Schamlippen und der Clitoris. In dem vorhergehenden Abschnitte ist in ausführlicher Weise von den Vergrösserungen der kleinen Schamlippen und der Clitoris die Rede gewesen und es wurde daselbst bereits angedeutet, dass diese Vergrösserungen nicht naturgemässe, zufällig auftretende, sondern mindestens in einer Reihe von Fällen absichtliche, durch besondere Manipulationen hervorgerufene sind. Die Beweggründe für diese absonderlichen Vornahmen mögen nun aber nicht allemal die gleichen sein . In den vorher besprochenen Fällen handelte es sich zugestandenermaassen um die onanistische Befriedigung des Geschlechtstriebes, und ob wir bei den Hantierungen der grösseren Basutho - Mädchen den kleinen gegenüber nur eine unschuldige Spielerei erkennen sollen, das erscheint doch als in hohem Maasse fraglich. Wahrscheinlich ist auch hier eine Verirrung des Geschlechtstriebes die Ursache, welcher in der Onanisirung eines Anderen seine Befriedigung erstrebt. Allerdings lässt es sich nicht leugnen, dass in anderen Fällen vielleicht nur eine Verschönerung in dieser absonderlichen Weise erzeugt werden sollte. Und ganz gewiss werden manche dieser Dinge vorgenommen , um eine Steigerung der geschlechtlichen Befriedigung bei dem Coitus hervorzurufen. Schon Le Vaillant hatte, wie wir sahen, behauptet, dass die Hottentottinnen und die Namaqua - Frauen (nicht alle, sondern nur einzelne) aus Eitelkeit die grossen Schamlippen verlängern, indem sie zuerst durch Zerren und Reiben diese Theile ausdehnen, dann aber auch durch Anhängen von Gewichten die Länge derselben mehr und mehr steigern. Auch mitten in Afrika kommt bei mehreren Negervölkern der Gebrauch einer künstlichen Verlängerung der Schamlippen vor, z. B. in Dahomey (Adams) , ferner bei den Uganda . Dagegen wird bei den Wahia am Nyassa- See der Kitzler so lang wie ein Finger ausgedehnt. Auf welcher Thatsache die Nachricht beruht, die Cameron am TanganjikaSee erhielt, mag noch erörtert werden : er erfuhr, dass weiter im Westen durch Manipulationen am Kinde es dahin gebracht werde, dass die Fettdecke des Unterleibes wie eine Schürze bis auf die Mitte der Schenkel herabhänge ; und der Gouverneur von Angola , Admiral Andrade, berichtete dem Reisenden Cameron, dass Aehnliches in der Nähe von Mozambique stattfinde. In Nord- Amerika war bei den Mandan- Weibern das Deformiren der Geschlechtstheile gebräuchlich ; auch ist unter den Menitarie- und 34. Die absichtliche Zerstörung des Jungfernhäutchens. 141 Krähen- Indianern die künstliche Verlängerung der äusseren oder auch der inneren Schamlippen gebräuchlich (v . Wied). Auf der polynesischen Insel Ponape (östliche Carolinen) existirt eine Unsitte, über welche Finsch Folgendes berichtet : „ Als besonderer Reiz eines Mädchens oder einer Frau gelten besonders verlängerte, herabhängende Labia interna. Zu diesem Behufe werden impotente Greise angestellt, welche durch Ziehen und Zupfen bei Mädchen, noch wenn dieselben kleine Kinder sind, diesen Schmuck künstlich hervorzubringen bemüht sind, und damit zu gewissen Zeiten bis zur herannahenden Pubertät fortfahren. Zu gleicher Zeit ist es ebenso die Aufgabe dieser Impotenten, der Clitoris eine mehr als natürliche Entwickelung zu verleihen, weshalb dieser Theil nicht allein anhaltend gerieben , sowie mit der Zunge beleckt , sondern auch durch den Stich einer grossen Ameise gereizt wird, der einen kurzen, prickelnden Reiz verursacht. Im Einklange hiermit stehen die Extravaganzen im Genuss des Geschlechtstriebs. Die Männer bedienen sich zur grösseren Aufreizung der Frauen nicht allein der Zunge, sondern auch der Zähne, mit welchen sie die verlängerten Schamlippen fassen, um sie länger zu zerren. " 34. Die absichtliche Zerstörung des Jungfernhäutchens. Eine andere Art der Deformirung an den Geschlechtstheilen, welcher wir bei verschiedenen Völkern begegnen, betrifft das Jungfernhäutchen . Nicht selten wird im jugendlichsten Alter hier schon der entsprechende Eingriff vorgenommen. So giebt es z. B. zwei ausserordentlich reich bevölkerte Länder auf der Erde, nämlich China und Indien , deren Einwohner völlig unbekannt sind mit dem Vorhandensein eines Jungfernhäutchens , und die Ursache dieser Unbekanntschaft ist lediglich in einer übertriebenen Gesundheitsmaassregel zu suchen. Während sonst alle orientalischen Völker dem Hymen als Zeichen der Jungfräulichkeit der Braut einen hohen Werth beilegen, wird dieses Häutchen sowohl in China als auch in Indien bei den äusserst sorgfältig vorgenommenen Reinigungen der kleinen Mädchen durch die Wärterinnen regelmässig zerstört . So kommt es, dass die Chinesen und selbst die chinesischen Aerzte gar nichts von der Existenz des Hymen wissen . Die Kinderwärterinnen. der Chinesen betreiben nämlich, wie Hureau de Villeneuve erzählt, bei den täglichen Waschungen der kleinen Kinder die Reinigung der Geschlechtstheile derselben und die Beseitigung des sich in den Genitalien bei dem heissen Klima stark ansammelnden Schleimes so scrupulös, dass sie stets den reinigenden Finger in die Scheide des kleinen Mädchens einführen . Hierbei erleidet das Häutchen, das vor dem Scheideneingang ausgespannt ist, eine wiederholte Ausdehnung nach innen und verschwindet zum Theil. Aehnliches findet sich im alfurischen Archipel auf der Insel Ambon und auf den Uliase - Inseln. Derselbe Gebrauch herrscht auch in Indien , selbst unter den dort wohnenden Engländern und Holländern , welche einheimische Ammen annehmen . Ueberhaupt wird dort die Reinigung der Sexualtheile sehr scrupulös durchgeführt. Eine löbliche Eigenschaft des weiblichen Geschlechts, " sagt Epp, „ ist die Reinlichkeit der Genitalien, und es hat in dieser Beziehung einen grossen Vorzug vor dem in Europa, bei welchem Sorglosigkeit oder übergrosse Schamhaftigkeit die Geschlechtstheile zu einer mephitischen Cloake machen. Hier folgt nach jeder natürlichen Befriedigung Abwaschung mit Wasser. " 99 Jungfrauen, die sich noch im Besitz des Häutchens befinden, soll es aus ähnlichen Ursachen bei den Machacuras - Indianerinnen 142 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. Brasiliens ebenfalls nicht geben. Es heisst hierüber in v. Feldner's Bericht: „Nulla inter illas invenitur virgo, quia mater inde a tenera aetate filiae maxima cum cura omnem vaginae constrictionem ingredimentumque amovere studet, hoc quidem modo : manui dextrae imponitur folium arboris in infundibuli formam redactum, et dum index, in partes genitales immissus huc et illud movetur, per infundibulum aqua tepida immittitur. “ In Paraguay herrscht eine sehr absonderliche Sitte : wenn die Hebamme ein Kind männlichen Geschlechts empfängt, so zieht sie mit ihren Händen sehr stark den Penis lang; bei den Einwohnern von Paraguay soll überhaupt das männliche Glied sehr lang sein ; wenn das Kind jedoch weiblichen Geschlechts ist, so bohrt sie mit ihrem Finger in die Vagina, indem sie sagt : „ Dies ist eine Frau. " So giebt es in Paraguay keine Jungfrau , da das Hymen meist zerstört ist (Mantegazza's schriftliche Mittheilungen). Durch eine auf mehreren Inseln des alfurischen Archipels herrschende Unsitte, welche Riedel¹ berichtet. wird selbstverständlich ebenfalls das Jungfernhäutchen vernichtet. Dieselbe besteht darin, dass man den Mädchen während der Menstruation Tampons von weichgeklopftem Baumbast in die Scheide hineinsteckt, damit diese das Menstrualsecret aufsaugen sollen. Wenn man dieses noch als eine halb unbewusste Zerstörung des Jungfernhäutchens auffassen könnte, so begegnen wir der absichtlichen Zerstörung desselben ebenfalls im malayischen Archipel auf den SawuInseln. Hier steckt man dem jungen Mädchen bei der ersten Menstruation ein zusammengerolltes Koli- Blatt in die Scheide, das in dem Bestreben , sich wieder zu entrollen, wie ein Dilatator auf die Vaginalwand einwirkt. (Riedel¹.) Von den Itälmenen in Kamtschatka giebt ähnlich wie Virey auch Steller an, dass sie ebenfalls gewohnt sind, zur Zeit der Menstruation sich einen Tampon von einer Grasart in die Vagina zu stecken . Derselbe wird mit Hülfe einer besonderen Bandage festgemacht. Aber nicht hierdurch geht ihr Jungfernhäutchen verloren, sondern sie haben es schon lange vorher eingebüsst. Denn da es bei ihnen als Schande und als ein Zeichen schlechter Erziehung gilt, wenn sie als reine Jungfer in die Ehe treten, so erweitern die Mütter, damit sie dieser Schmach vorbeugen möchten, in der zarten Jugend die Scham mit den Fingern, zerrissen die Obstacula und die Jungfernschaft und lerneten ihnen das Handwerk von Jugend auf. " 35. Die Beschneidung der Mädchen. Bei einer grossen Anzahl von Völkerschaften besteht bekanntlich die eigenthümliche Sitte, auch bei den Mädchen die sogenannte Beschneidung vorzunehmen. Sehr lange Zeit hat man dieses für einen nur auf bestimmte Gebiete von Afrika beschränkten Gebrauch angesehen, da uns von dort her die frühesten und eingehendsten Nachrichten kamen . Es hat sich aber im Laufe der Zeit gezeigt, dass auch bei Völkern anderer Länder, namentlich Asiens , eine gleiche Sitte angetroffen wird, so dass die Annahme ausgeschlossen bleiben muss, dass nur ein einziges Volk auf diese absonderliche Idee verfallen ist, von dem dieselbe dann allmählich auf die Nachbarstämme übertragen wurde. Denn sowohl die weite Entfernung der Wohnsitze, als auch die Rassenverschiedenheit beweisen zur Genüge, dass von einer directen Uebertragung gar nicht die Rede sein kann. Die Be- OF THE UNIVERSITY CALIFORNIS 35. Die Beschneidung der Mädchen. 143 schneidung der Mädchen, welche auch mit dem Namen der Excision bezeichnet wird, wird nicht bei allen die Beschneidung ausübenden Völkern in übereinstimmender Weise ausgeführt. Es handelt sich dabei um eine blutige Abtragung der kleinen Schamlippen, sowie der Clitoris mit ihrem Praeputium. Bei einzelnen Stämmen werden alle diese Theile entfernt, bei anderen wiederum wird nur das Eine oder das Andere fortgeschnitten. Man findet den Gebrauch der Mädchenbeschneidung in den Städten Arabiens , wo der Zuruf: „ O Sohn der unbeschnittenen Frau" bei den Arabern als ein Ausdruck der Verachtung gilt ( Wilken), in Aegypten , in Nubien (Kordofan) , in Abyssinien, im Sennaar und den umliegenden Ländern, in Belad- Sudan. bei den Gallas , Agows, Gaffats und Gongas, sowie bei manchen anderen Völkern Ost - Afrikas. Die im Nilthal bei den kleinen Mädchen stattfindende Excision der Nymphen soll auch in der kleinen Oase in der Lybischen Wüste gebräuchlich sein. Aber nicht bloss bei diesen meist mohamedanischen Völkerschaften im Osten dieses Erdtheils, sondern auch im Westen bei den Negervölkern : den Susus. in Bambuc, bei den Mandingos, in der Gegend von Sierra - Leone , in Benin , in Congo und in Acra an der Goldküste , bei den Peuhls , bei den Negern in Old - Calabar und in Loanda: im Südosten bei den Masaiund Wakuasi- Stämmen ; im Süden bei einigen Betschuana- Völkern. Dieselbe Sitte ist auch unter den Malayen des ostindischen Archipels, namentlich in Java heimisch. Auch von den Kamtschadalen wurde sie berichtet. Und merkwürdiger Weise hat man sie schliesslich auch unter den Indianern in Peru (den Chunchos oder Campas und den Tuncas) , sowie bei den Panos und allen Indianern am Ucayale- Fluss entdeckt. Man meinte, dass diese eigenthümliche Sitte wohl in Arabien ihre erste Heimath haben möchte, weil vorzugsweise die mohamedanischen Völker Anhänger derselben geworden sind . Allerdings spricht schon Strabo von der Beschneidung der Mädchen bei den Arabern, und vielleicht hat sich schon vor Mohamed die Sitte von Arabien aus verbreitet. Denn die mohamedanische Religion hat an sich gar nichts mit dieser Sitte zu thun, auch sind ja unter den genannten Völkern Afrikas viele nicht mohamedanische. Aber auch schon die alten Aegypter beschnitten die Mädchen im Alter der Pubertät, wahrscheinlich meist im 14. Lebensjahre. Dies geht aus folgender Stelle in einem Papyrus hervor, die ich bei Bachofen fand. Im fünfzehnten der britischen Papyri heisst es nach Bernardino Peyron : „ Armai, ein in der Clausur des memphitischen Serapeum lebender Aegypter , reicht dem Strategen Dionysios folgende Klageschrift ein : Tatemi, die Tochter der Nefori von Memphis , lebe mit ihm im Serapeum , und habe durch ihre Collecten und die freiwilligen Gaben der Besucher bereits ein Vermögen, betragend ein Talent und 390 Drachmen, gesammelt, das sie ihm als Depositum zur Aufbewahrung anvertraut habe. Darauf sei er von der Mutter der Tatemi folgender Art betrogen worden : sie habe ihm vorgegeben, die Tochter stehe in dem Alter, in welchem sie nach ägyptischer Sitte beschnitten werden müsse (лEQITɵVEOF ) ; er möge ihr daher jene Summe verabfolgen, damit sie bei der Vornahme jener feierlichen Handlung die Tochter einkleiden und angemessen dotiren könne. Sollte sie nicht dazu kommen, das Vorhaben zu erfüllen und die Tochter Tatemi im Monat Mechir des Jahres XVIII zu beschneiden, so werde sie ihn die Summe von 2400 Drachmen zurückerstatten. Auf diesen Vorschlag sei er eingegangen und habe der Nefori das Talent und die 390 Drachmen eingehändigt. Aber die Mutter habe von Allem Nichts gehalten, und als nun die Tochter ihm Vorwürfe gemacht und ihr Geld zurückverlangt, sei es ihm durch wichtige Geschäfte unmöglich geworden, sich selbst nach Memphis zu begeben und dort seine Angelegenheit zu besorgen. Darum gehe seine Bitte dahin, Nefori möge vor Gericht geladen und die Sache zum Gegenstand richterlicher Beurtheilung gemacht werden. “ 144 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. Diese Stelle beweist, dass die Aegypter, welche die Beschneidung des männlichen Geschlechts nur bei der Priester- und Krieger- Kaste übten, das weibliche Geschlecht allgemein der Beschneidung unterwarfen, wobei die Tochter ihre Dotation erhielt, so dass sie gewissermaassen in den Besitz ihres Heirathsgutes gelangte. Denn da in Aegypten, wie Herodot bezeugt. kein Weib irgend ein Priesterthum versah, so konnte auch die Beschneidung der Mädchen nicht als priesterlicher Vorzug wie bei dem männlichen Geschlecht gelten ; entweder war es also vielleicht ein Vorrecht der im Serapeum erzogenen Mädchen, im Pubertätsalter beschnitten zu werden, oder man beschnitt überhaupt alle Jungfrauen. " Uebrigens sprechen auch römische Autoren von dieser Sitte der Aegypter, denn Paulus von Aegina, welcher im 7. Jahrhundert n. Chr. lebte, sagt : Quapropter Aegyptiis visum est, ut antequam exuberet, amputetur, tunc praecipue, quum nubiles virgines sunt elocandae. " Allein wenn es auch gelingen sollte, Arabien oder Aegypten als Ausgangspunkt der Mädchenbeschneidung festzustellen und die Verbreitung derselben von hier aus über fast ganz Afrika und über den ostindischen Archipel nachzuweisen, so würde doch der Weg, den sie nach Süd - Amerika zu den Indianern Perus sowie zu den Malayen des ostindischen Archipels einschlug, ein ungelöstes Räthsel bleiben. Es ist vielmehr mit grösster Bestimmtheit anzunehmen, dass manche Völker selbständig zu dieser sonderbaren Sitte gelangten. Man hat nicht ohne Berechtigung behauptet, dass die Operation in der Absicht ausgeführt werde, die Geschlechtslust abzustumpfen. Denn abgesehen davon, dass manche Völker, unter welchen die Operation eingeführt ist. direct eine solche Absicht als Zweck der Operation angeben. trifft ja die Beschneidung auch gerade die Wollustorgane, welche durch sie entfernt werden. So sprach denn auch Brehm, der diesem Gegenstande eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hatte, gegen mich die Ansicht aus, dass diese Operation nur vorgenommen würde, um den bei den afrikanischen Völkern ausserordentlich lebhaften Geschlechtstrieb der Frauen zu vermindern. Andere aber waren der Meinung, dass die bedeutende Vergrösserung, welche in jenen Ländern die Clitoris und die kleinen Schamlippen erreichen, wie wir weiter oben auseinandergesetzt haben, als ein grosser Schönheitsfehler angesehen würden und dass aus diesem Grunde zu der Abtragung dieser Theile geschritten wird. Es wurde schon in einem früheren Abschnitt die Angabe von Bruce von Kinnaird über die abnorme Grösse der Clitoris bei den Abyssinierinnen wiedergegeben, welche ein Hinderniss für den Zeugungsact abgeben sollte. „Weil man nun in den Ländern, wo diese Ausdehnung und Grösse sehr gemein war, die Volksmenge von jeher als ein Hauptaugenmerk aller Staaten angesehen hat, so ist man bemüht gewesen, diesem Uebel abzuhelfen und etwas von den über die gewöhnlichen Grenzen hervorragenden Theilen wegzuschneiden. Daher nehmen alle Aegypter, Araber und die Nationen in den südlichen Gegenden von Afrika, als die Abyssinier, Gallas, Agows, Gafats und Gongas diese Operation mit ihren Kindern vor : es ist keine gewisse Zeit dazu bestimmt, doch geschieht es allezeit ehe sie heyrathbar werden. " Bruce erzählt dann weiter, dass die Missionare bei den Neubekehrten die Verschneidung untersagten , weil sie die Operation für eine jüdische Ceremonie erklärten: „Als die Mädchen aber heranwuchsen und mannbar wurden, war dieser Theil so gross und hervorragend, dass es beleidigend für das Auge und die Berührung war. Die Männer wurden abgeschreckt, und die Volksmenge kam in Abnahme. Die Folge davon war, dass 35. Die Beschneidung der Mädchen. 145 die Männer, wenn sie sich unter den katholischen Cophten eine Frau wählten, sich einer Gewohnheit unterwerfen mussten, wofür sie einen unüberwindlichen Abscheu hatten : sie heyratheten daher lieber eine Ketzerin , welche die Excision erlitten hatte und von jener Unannehmlichkeit befreit war, und daraus entstand die Folge , dass sie wieder in ihre ehemaligen ketzerischen Irrthümer zurückfielen . " Auf Vorstellung der Missionare wurden von dem Collegium der Cardinäle de propaganda fide in Rom geschickte Wundärzte abgesendet, um einen aufrichtigen Bericht von der Beschaffenheit der Sache abzustatten. Diese erklärten bey ihrer Zurückkunft, dass entweder die Hitze, das Klima oder eine andere natürliche Ursache eine solche Veränderung in der Bildung dieser Theile hervorbrächte, dass die dortigen Weiber von denen in anderen Ländern gar sehr verschieden wären, dass diese Verschiedenheit einen Abscheu veranlasse und folglich dem Zwecke der Ehe hinderlich wäre. “ Jetzt gab die Geistlichkeit nach, jedoch mussten die Mütter erklären , dass die Operation „ keineswegs aus jüdischen Absichten geschehe" und es wurde bestimmt, dass das Hinderniss für die Ehe auf alle Wege aus dem Wege zu räumen sey " . Seit der Zeit wird die Excision sowohl mit den Katholiken als mit den Cophten in Aegypten vorgenommen. Es geschieht vermittelst eines Messers oder Rasirmessers durch Weiber, gemeiniglich wenn das Mädchen 8 Jahre alt ist. " Ebenso berichtete Mungo Park aus dem Westen Afrikas , dass daselbst die Mandingo - Neger die Operation nicht als religiöse Ceremonie, sondern als etwas Nützliches" ansehen, indem sie glauben, dass dadurch die Ehen sehr fruchtbar werden. 99 Demnach betrachten manche Völker die Operation nur als eine zweckmässige Handlung zur Beseitigung eines mechanischen Hindernisses für die Ausübung des Coitus und für die Befruchtung. So lassen sich die Widersprüche erklären , welche Russegger durch sein Raisonnement nicht zu lösen vermochte. Russegger, welcher die Sitte im südlichen Nubien fand, sagt darüber: „ Diese uralte Gewohnheit ist meiner Ansicht nach rein eine Erfindung südlicher Eifersucht, und ihr praktischer Nutzen lässt sich um so weniger einsehen, da der Reiz des Beischlafs weiblicher Seite durch diese Operation nothwendig vermindert und dadurch der Zunahme der Bevölkerung entgegengewirkt wird. Auch die scheinbar nothgedrungene Enthaltsamkeit im Umgange mit dem anderen Geschlechte vor der Ehe wird dadurch keineswegs allgemein erreicht, da mir mehrere Fälle bekannt sind , wo Mädchen , auf diese Art präparirt, die Aufschneidung an sich vornehmen liessen, später aber dem Acte der Aufschneidung , nur mit wenigen Umständen verbunden, neuerdings sich unterwarfen, eine neue Vernarbung herbeiführten, und ohne Anstand als jungfräuliche Phönixe ein eheliches Bündniss eingingen. " Ich glaube, dass Russegger die beiden verschiedenen Operationen der Excision und der nachher zu besprechenden Vernähung mit einander fälschlich identificirt oder verwechselt und deshalb ihre verschiedene Tendenz verkannt hat. Die Vernähung ist allerdings ein Act der männlichen Eifersucht, die Excision aber hat nur die Aufgabe, die als Hinderniss betrachteten Theile schon frühzeitig zu beseitigen. Nicht überall, wo die Excision vorgenommen wird, nimmt man auch die Vernähung vor ; jene Operation ist vielmehr weit verbreiteter als diese. Die künstliche Verkürzung der Labia minora und die Exstirpation der Clitoris unter den Völkern Ost - Afrikas hat demnach, wie man vermuthen kann, ursprünglich einen ganz bestimmten Zweck gehabt, wenn auch diese Völker zum Theil die ursprünglich damit verbundene Absicht jetzt nicht immer bei Befolgung der althergebrachten Gewohnheit völlig bewusst im Auge haben. Wie wenig sie sich selbst und Anderen Rechenschaft über die Bedeutung der Operation zu geben im Stande sind, das scheint schon daraus hervorzugehen, dass so viele Reisende trotz mannigfacher Erkundigungen keine bestimmte Antwort auf die Frage über die eigentliche Absicht erhalten konnten . Ploss , Das Weib. 1. 3. Aufl. - 10 146 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. Die Beschneidung ist bei den meisten Völkern mit eigenthümlichen Ceremonien und Festen verbunden. Das Lebensalter, in welchem die Beschneidung der Mädchen stattfindet, ist meist ein sehr jugendliches. In Arabien wird ihr das Mädchen schon wenige Wochen nach der Geburt unterworfen (Niebuhr) ; bei den Somâli mit 3-4 Jahren (Paulitschke) ; im südlichen A egypten wird sie vor der Pubertät im 9. oder 10. Jahre vorgenommen (Werne), in Nubien im zarten Kindesalter (Russegger) ; bei den MandingoNegern zur Zeit der Mannbarkeit (Mungo Park) ; in Abyssinien , bei den Gallas, Agows u. s. w. gewöhnlich wenn das Mädchen 8 Jahre alt ist (Bruce). Nach Angaben von Stecker führen jezt die Abyssinier die Beschneidung der Mädchen bereits am achtzigsten Tage nach der Geburt aus. In Dongola (Kordofan) erfolgt sie um das 8. Jahr (Rüppell) ; bei den Matkisses , einem Betschuanen- Volke in Süd - Afrika , zur Pubertätszeit (Delegorgue) ; ebenso in Old - Calabar (Hewan) ; bei den Malayen des ostindischen Archipels, in Java u. s. w. zur Zeit des zweiten Zahnens (Epp) ; bei den Indianern in Peru, den Chunchos oder Campas , an Mädchen von 10 Jahren (Grandidier). Bei den im südöstlichen Afrika lebenden Masai- und Wakuasi- Stämmen, welche die Söhne im 3. Jahre beschneiden, werden die Töchter erst kurz nach ihrer Verheirathung beschnitten; bei den Negern zu Loanda 8 Tage vor der Hochzeit (Douville). Die Peuhls im Westen Afrikas beschneiden die Mädchen bald nach der Geburt. In Persien soll bei einigen Nomadenstämmen nach Chardin die Beschneidung der Mädchen zur Zeit der Mannbarkeit üblich sein ; doch konnte Polak trotz aller Nachfragen Nichts hierüber constatiren. Eine Beschreibung der Operation, wie sie zur Excision der kleinen Schamlippen und wohl auch der Clitoris in Aegypten ausgeführt wird, lieferte Duhousset : „La Circoncision consiste seulement dans l'enlèvement du clitoris , et se pratique de la manière suivante sur les filles de neuf à douze ans . L'opérateur, qui est le plus souvent un barbier, se sert de ses doigts trempés dans la cendre pour saisir le clitoris , qu'il étire à plusieurs reprises d'arrière en avant, afin de trancher d'un seul coup de rasoir, lorsqu'il présente un simple filet de peau. La plaie est recouverte de cendre pour arrêter le sang, et se cicatrise après un repos complet de quelques jours. J'ai vu plus tard, de l'aveu même des opérateurs, le peu de soin qu'on apportait à circoncire les filles dans les limites réligieuses de l'opération , qu'on pratique plus largement en saisissant les nymphes à la hauteur du clitoris, et les coupant presque à leur naissance, à la face interne des grandes lèvres, dont les replis muqueux, qui nous occupent, sont pour ainsi dire la doublure cachante les organes reproducteurs ; ce qui reste des petites lèvres forme, par la cicatrisation des parois lisses, s'indurant et se rétrécissant, une vulve béante, d'un aspect singulier chez les fellas circoncises. " Ecker erhielt das Präparat der betreffenden Theile von einer Fellachenfrau von Billharz zum Geschenk. An diesem Präparat ist von der Glans clitoridis, dem Praeputium und den Labia minora nichts zu sehen; alle diese Theile sind vollständig entfernt. Ecker injicirte die Corpora cavernosa von ihrer Wurzel aus ; hierbei zeigte sich, dass sie bis zu ihrer Vereinigung wegsam waren; von da an drang die Masse nicht mehr weiter vor und die Körper verloren sich in einem narbigen Gewebe. Eine Injection der bekanntlich insbesondere mit dem Gefässsystem der Glans clitoridis zusammenhängenden Bulbi vestibuli gelang nicht. Es ist also, wie Ecker sagt, wohl anzunehmen, dass bei dieser Operation die Glans clitoridis mit ihrem Praeputium gefasst, hervorgezogen und ziemlich tief abgeschnitten wird. 35. Die Beschneidung der Mädchen. 147 In Aegypten und Abyssinien wird nach Hartmann das Praeputium clitoridis, seltener die Clitoris selbst oder ein an der vorderen Commissur der Labia majora hervorwachsender Klunker abgetragen. Am oberen Niger , bei den Malinke und Bambara , herrscht nach Gallieni ebenfalls der Brauch der Mädchenbeschneidung. Er sagt darüber: schnittene Nubierin (nach Panceri). „Chez les Malinkés et les Bambarres , les jeunes filles sont généralement âgées de douze à quinze ans au moment de l'opération , qui a lieu après l'hivernage, alors que les indigènes possèdent encore Fig. 37. Eine verl'abondante provision de mil, nécessaire pour les repas plantureux préparés à cette occasion. L'opération est faite par les forgerons pour les garçons, par les femmes des forgerons pour les filles. L'instrument employé est un simple couteau en fer grossièrement aiguisé. Les patientes ne doivent donner aucun signe de faiblesse au moment de l'excision. Comme nous nous étonnions souvent de voir pratiquer la circoncision vis- à-vis des jeunes filles , on nous répondait, que celles- ci restaient ainsi plus fidèles à leurs maris ; cependant, les femmes indigènes ne se piquent guère de chasteté. Les familles, dont les enfants viennent de subir l'opération de la circoncision, célèbrent cette fête par des danses et des chants , accompagnés de repas plus copieux que d'habitude. Les riches tuent des chèvres , des poulets, quelques fois même un boeuf; les pauvres ramassent deux ou trois chiens dans le village et les unisent avec le riz ou le couscous ; partout on confectionne du dolo et on se livre à d'abondantes libations. Après l'opération, les circoncis vêtus de longues robes munies de capuchons qui leur recouvrent la tête, ne reparaissent dans leurs familles que lorsqu'ils sont entièrement guéris. Les garçons sont séparés des filles . . .. Les filles portent de petites calebasses remplies de menus cailloux , semblables à nos jouets d'enfant . Au matin, de bonne heure, tous retournent sous leur arbre. Les cicatrices sont longues à se guérir, car ces indigènes ne possèdent rien pour retenir les peaux après l'excision ; il faut bien compter 40 à 50 jours pour la guérison . Le retour dans les familles donne lieu à des longues fêtes. Les jeunes garçons ont désormais le droit de porter des armes et de donner leur avis dans les conseils ; les jeunes filles peuvent se marier. " Nach den Berichten von Riedel¹ wird auf fast allen Inseln des alfurischen Archipels, namentlich durchgehends von der mohamedanischen Bevölkerung, die Beschneidung der Mädchen ausgeführt. Es handelt sich meistens um eine partielle Resection der Clitoris. Von den Einwohnern der Insel Buru erzählt er : Vor Eintritt der ersten Menstruation ( bei Knaben vor der Pubertät) werden die Zähne bis dicht zum Zahnfleischrande abgefeilt und die Beschneidung vorgenommen . Die Mädchen werden gebadet, auf einen Stein gesetzt, und von einer alten Frau wird ihnen ein Stück von der Glans clitoridis abgeschnitten , angeblich um den Geschlechtstrieb vor der Verheirathung zu unterdrücken . Auf die Wunde werden als blutstillendes Mittel gebrannte und pulverisirte Sagoblattrippen ( ekbaa) aufgelegt. Dann trägt eine Frau das Mädchen in die Hütte, wo es einer besonderen Diät unterzogen wird und bis zur Heilung das Haus nicht verlassen darf. Die Sitte ist mohamedanischen Ursprungs. Bei den Seranglao- und Gorong- Inseln giebt er an, dass die Clitoridektomie vom 7. bis zum 10. Jahre stattfindet und zwar mit einem grossen Fest. Nicht selten tritt nach der Operation der Tod an Verblutung ein ; jedoch werden die Kinder dann glücklich gepriesen, da sie dann in Mohamed's 7. Himmel kommen. Die Operation wird bei Mädchen durch die Frau des Geistlichen ausgeführt und das Kind hinterher gebadet. Auf Celebes werden in den Landschaften Holontala , Bone , Boalemo und Katting gola die jungen Mädchen in ihrem 9. , 12. oder 10 * 148 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. 15. Jahre beschnitten ; diese Handlung heisst „ mopolihoe olimoe", d. h. ,.mit dem Citrus histrix gebadet werden" . Auch hierbei finden, wie bei der Knaben- Beschneidung, grosse Feierlichkeiten statt, doch verursachen die Mahlzeiten weniger Unkosten. Die Operation verrichten weibliche Personen . (Riedel.4) Wilken sagt : Im Allgemeinen werden die Mädchen in jugendlicherem Alter beschnitten, als die Knaben. Das bezeugt Herr van Hasselt unter Anderem von den Menangkabawschen Malayen. Auch bei den Javanen ist das der Fall ; die Mädchen werden gegen das 6. bis 7. Jahr dem Eingriff unterworfen. Bei den Makassaren und den Boeginesen findet die Operation im Alter von 3 bis 7 Jahren statt, bei den Gorontalesen viel später. aber doch immer noch früher, als bei den Knaben, nämlich mit 9 , 12 oder 15 Jahren. Die Beschneidung wird im Inneren des Hauses ausgeführt, und zwar stets von Frauen, während ebenso, wie bei den Boeginesen und Makassaren berichtet wird, den Männern, mit Ausnahme des Vaters vielleicht, verboten ist , dabei zu sein. Uebrigens werden häufig dabei Feste gefeiert, obgleich diese, wenigstens bei den Gorontalesen , nicht den Umfang und Aufwand haben wie bei der Knabenbeschneidung. Nur bei den Makassaren und Boeginesen findet die Handlung ganz in der Stille ohne Feierlichkeit statt. Worin der Eingriff besteht, und wie er ausgeführt wird, das wird uns nur von den Javanesen , den Makassaren und den Boeginesen berichtet . Bei den Erstgenannten wird ein Stück von der Clitoris, vielleicht die Glans clitoridis , abgeschnitten und das Abgeschnittene mit einem Stückchen Curcuma in Kattun gewickelt und unter einem Kelorbaum (Moringa pterygosperma) vergraben. Dass wirklich die Clitoris beschnitten wird, das geht aus der Bezeichnung puting- itil für die Operation her- vor, d. h. das Abbrechen von der itil oder Clitoris . Bei den Makassaren und den Boeginesen wird nach Dr. Matthes nur ein ganz, ganz kleines Stückchen von der Clitoris abgeschnitten, nur so viel , dass eben etwas Blut fliesst , daher wird die Operation auch mit kattang oder katta bezeichnet, d . h. Abschaben. Die Sache geschieht durch zwei Frauen, von denen die eine hinter dem Mädchen Platz nimmt, soviel als möglich die Schamtheile auseinander zerrt und dadurch den Kitzler hervortreten lässt . ( Die Angabe von Epp, dass die kleinen Schamlippen beschnitten würden, scheint auf einem Irrthum zu beruhen. ) Ebenso wie die Beschneidung der Knaben bei den Mohamedanern in dem Archipel hat die der Mädchen mehr oder weniger den Charakter einer Aufnahmeceremonie in den Glauben. “ Ganz ähnlich ist es nach Riedelio bei den Sulanesen. Die Wunde wird mit dem Safte von Curcuma longa bestrichen, und bis sie geheilt sind, dürfen die Kinder keine hitzigen Speisen geniessen. Vor erfolgter Beschneidung darf das Mädchen keine Ehe eingehen . Von der Beschneidung der Itälmenen in Kamtschatka erzählt Steller bei der Besprechung ihrer vergrösserten Nymphen : Es werden dieselben nunmehr für eine grosse Schande gehalten und ihnen in der Jugend, wie den Hunden die Ohren, abgeschnitten. Besonders bemerkenswerth ist schliesslich, dass die Mädchen- Beschneidung auch in Amerika als Volkssitte vorkommt. An eine Einführung dieser Sitte von anderen Continenten her kann hier wohl kaum gedacht werden . Im jetzigen Freistaat Ecuador und in der Landschaft Maynes daselbst leben die Panos - Indianer, welche im vorigen Jahrhundert der Missionär Franz Xavier Veigl besuchte ; er erfuhr, dass sie früher die Mädchen der Beschneidung unterworfen hatten ; als er nach der Ursache dieses Gebrauches sich erkundigte. sagte man ihm, man habe beschnittene Weiber für fähiger und geschickter erachtet, ihren natürlichen Obliegenheiten nachzukommen. Die Indianer in Peru am Flusse Ucayale , welche man mit dem Namen Chunchos bezeichnet (auch Campas) , üben bei den Mädchen von 10 Jahren ebenfalls die Circumcision aus. Bei dieser Gelegenheit kommen die Nachbarn mit vollem Schmucke angethan zusammen und be- 35. Die Beschneidung der Mädchen. 149 reiten sich 7 Tage lang durch feierliche Gesänge und Tänze zu dem Feste vor, wobei sie in reichlicher Menge die berauschende Chicha, aus Manioc bereitet, geniessen. Am achten Tage wird das Mädchen durch eine starke Gabe des gegohrenen Manioc berauscht und unempfindlich gemacht ; in diesem Zustande vollführt eine alte Frau an ihr die Operation. Durch einfache Uebergiessungen stillt man die Blutung. Alsbald beginnen wieder die Gesänge und Tänze ; dann legt man das Opfer in eine Hängematte und trägt es von Haus zu Haus. Durch die Circumcision ist das junge Mädchen unter die Frauen aufgenommen (Grandidier). Wir können dieses Thema nicht verlassen, ohne einer Form der Beschneidung der Weiber zu gedenken, welche leider auch noch in Europa vorkommt und namentlich in Russland und in Rumänien ihre wesentlichste Verbreitung besitzt. Sie wird ausgeführt zur höheren Ehre Gottes von der sonderbaren Secte der Selbstverstümmler oder Skopzen , über welche wir . Pelikan ausführliche Untersuchungen, durch zahlreiche Abbildungen erläutert, verdanken. Bekanntlich stützen sich die Skopzen bei ihren absonderlichen Vornahmen auf einen Ausspruch des Evangelisten Matthaeus (19, 12) : „ Denn es sind etliche verschnitten, die sind aus Mutterleibe also geboren ; und sind etliche verschnitten, die von Menschen verschnitten sind ; und sind etliche verschnitten, die sich selbst verschnitten haben um des Himmelreichs willen. " Die vorgenommenen Verstümmelungen betreffen bei den Weibern entweder die Brüste oder die Genitalien oder beides zugleich. Wir betrachten hier fürs erste nur die Verletzungen an den Geschlechtstheilen . Dieselben bestehen in dem Ausschneiden der Nymphen allein oder mit der Clitoris zugleich, oder in dem Ausschneiden des oberen Theils der grossen Schamlippen sammt den Nymphen und der Clitoris , so dass durch die darauf folgende unregelmässige Vernarbung dieser Theile die Schamspalte bedeutend verengt wird. Drei Abbildungen der Genitalien von Skopizen oder Skoptschichen (weiblichen Skopzen) erläutern die vorgenommenen Operationen . Alle drei betreffen jungfräuliche Individuen mit intakt erhaltenem Hymen und unverletztem Frenulum der grossen Schamlippen. Bei der einen finden wir die asymmetrische Excision der kleinen Labien. Die linke Nymphe zeigt ungefähr in der Mitte ihres freien Randes einen dreieckigen Ausschnitt. Der dreieckige Defect hat nach unten einen horizontalen Rand von 0,7 cm, nach oben einen schrägen Rand unter 45 Grad nach lateralwärts abgehend, während die Lücke im äusseren Rande der Nymphe 1 cm beträgt. Die Ränder des Ausschnittes erscheinen abgerundet und verdickt. Die rechte Nymphe ist in ihrem unteren Dritttheil scheinbar ganz von ihrer Basis herausgeschnitten, und nur an ihrer unteren Grenze ist ein kleines Zipfelchen stehen geblieben, das zu einem hanfkorngrossen Knötchen angeschwollen ist . Auf einer anderen Tafel erkennen wir die symmetrische Ausschneidung der kleinen Schamlippen . Im oberen Dritttheile der Nymphe hat ein schräger, von oben kommender Schnitt jederseits einen ungefähr 0,25 cm breiten zungenförmigen Lappen aus den kleinen Schamlippen bis zu deren Basis hin herausgeschnitten. Eine zweite Excision hat die Mitte der kleinen Labien getroffen und aus jeder ein dreieckiges Stück herausgetrennt von ungefähr derselben Form und Grösse wie der Ausschnitt an der linken Nymphe der vorher beschriebenen Person. Die Schnittränder sind mit rundlicher Verdickung vernarbt . Auf diese Weise ist zwischen den Ausschnitten der kleinen Schamlippen von diesen jederseits ein ungefähr 0,3 cm breiter Lappen stehen geblieben . Derselbe bietet aber keinen freien Rand dar, sondern ist mit diesem mit der Schleimhaut der benachbarten grossen Schamlippe narbig verwachsen, woraus geschlossen werden muss, dass bei der Operation auch diese wund gemacht worden ist und dass an den Lappen auch von ihrem freien Rande ein feiner Saum abgetrennt wurde. Denn beide Theile mussten angefrischt, wie der Chirurg sagt, d. h. wund gemacht sein, wenn sie mit einander verwachsen sollten. 150 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. Fig. 38. Verschnittene 70-jährige Jungfrau aus Russland , der Skop- zensekte angehörend Die dritte Tafel, ebenso wie die vorigen in Lebensgrösse ausgeführt, giebt uns das Bild einer Excidirten ( Fig . 38 ) . Eine Schamspalte im eigentlichen Sinne existirt nicht, sondern wir sehen statt derselben ein längsovales Loch von 3 zu 2 cm Durchmesser, das trichterförmig nach abwärts (bei Rückenlage der Patientin) zu führen scheint. An der Hinterwand dieses Loches markirt sich in der Mitte die ziemlich grosse Harnröhrenöffnung und etwas seitwärts von dieser jederseits eine kleine Schleimhautcarunkel, welche wohl als einziger Ueberrest der excidirten Nymphen betrachtet werden muss. Auf dem grau behaarten Schamberge ist eine breite, unregelmässige, annähernd dreiseitige Narbe sichtbar, im grössten Querdurchmesser 3 cm breit . Die Spitze dieses narbigen Dreiecks ist nach unten gekehrt, und von ihr läuft ein leicht gezackter Narbenstreifen in der Medianlinie abwärts bis zu der Harnröhrenöffnung hin. Von einer Clitoris existirt keine Spur , statt der kleinen Schamlippen sind nur die beiden vorhererwähnten Carunkeln erhalten. Grosse Schamlippen im gewöhnlichen Sinne des Wortes sind auch nicht vorhanden. Jedenfalls wurde ihre gesammte obere Abtheilung mit fortgeschnitten und bei dem Verschluss der Wunden, der, wie gewisse regelmässig angeordnete Pigmentflecke lehren, durch die blutige Naht stattgefunden hat, musste die Haut von dem stehengebliebenen Reste der grossen Schamlippen mit beträchtlicher Gewalt nach oben und zur Mitte zu herangezogen werden . Hierdurch erscheinen die Labia majora nicht mehr als „ Lippen", sondern als nur minimal das Niveau der Umgebung überragende Hautflächen , die sich kaum noch durch die fast gänzlich verstrichene Labial- Schenkelfurche gegen die Nachbarschaft hin abgrenzen. (nach v. Pelikan). 36. Die Infibulation der Mädchen. In engstem Zusammenhange mit der Mädchenbeschneidung steht eine andere Operation an den weiblichen Geschlechtstheilen, welche man mit dem Namen der Infibulation oder der Vernähung bezeichnet hat. Wir werden jedoch sogleich erfahren, dass hier durchaus nicht immer von der Anlegung chirurgischer Nähte die Rede ist. In der Infibulation haben wir nun in Wirklichkeit, wie man es früher von der Mädchenbeschneidung überhaupt angenommen hatte, eine specifisch afrikanische Sitte vor uns ; wir kennen bis jetzt kein einziges Land der Erde, mit Ausnahme des nordöstlichen und des centralen Afrika, wo diese für unsere Empfindungen so höchst widerwärtige Sitte Eingang gefunden hätte. Allerdings berichtet Lindschotten, dass er die Infibulation in Pegu in Indien vorgefunden habe, aber seine Angabe ist von anderen Reisenden nicht bestätigt worden, so dass ihm vielleicht ein kleiner Gedächtnissfehler mit untergeschlüpft ist . Der Infibulation muss unter allen Umständen eine Beschneidung des Mädchens vorhergehen, und zwar wird diese noch dazu in sehr ausgiebiger Weise ausgeführt, um hinlänglich weite Wundflächen zu schaffen , damit durch deren Vereinigung eine feste Narbe zur Ausbildung kommt. weder durch wirkliche Application von chirurgischen Nähten, oder, was das Häufigere zu sein scheint , durch entsprechende Lagerung und Bandagirung der Kranken werden die frisch angelegten Wundflächen in innige Berührung mit einander gebracht und auf diese Weise eine narbige Vereinigung derselben hervorgerufen. Es wird dafür Sorge getragen, dass durch diese Vernarbung die ganze Schamspalte verschlossen wird bis auf eine ganz kleine Oeffnung, dadurch sie ihr jungfrawlich Wasser abschlagen mögen “, wie es bei Lindschotten heisst. 36. Die Infibulation der Mädchen. 151 Schon im Mittelalter wurde von Magrizi berichtet, dass man bei den Beja (Bedscha) den Mädchen die Schamlippen beschneide und die Rima pudendi zunähe, und auch heute findet sich noch diese Sitte ziemlich allgemein bei den südlich von den Nilkatarakten wohnenden Völkern, bei den Galla , den Somali , den Harari und den Einwohnern von Massaua u. s . w. Unter den Beduinen der westlichen BejudaSteppe , im Norden von Chartum, werden die Mädchen zwischen dem 5. und dem 8. Jahre der Infibulation unterworfen. Auch in Kordofan ist das 8. Jahr dasjenige der Beschneidung und Vernähung . Die Mädchen der Harari werden mit 7 Jahren, diejenigen der Somali mit 8 bis 10 Jahren, oder, wie Paulitschke berichtet, schon im Alter von 3-4 Jahren vernäht. Lanzi giebt für die Infibulation bei den Danakil das 3. Lebensjahr an. Ueber die Ausführung der Operation liegen uns eine Reihe von Berichten vor, welche die bereits angeführte Thatsache bestätigen, dass der modus procedendi nicht immer der nämliche ist ; allerdings ist das schliesslich erzielte Resultat, wie es den Anschein hat, in allen Fällen das gleiche. Bei den Somali und Harari besteht die der Infibulation vorhergehende Beschneidung in einer operativen Verkürzung der Clitoris und einer Wundmachung, einer Anfrischung, wie der Chirurg sagen würde, der „ äusseren vulvae", also der grossen Schamlippen. Wahrscheinlich werden bei dieser Gelegenheit gleichzeitig aber auch die kleinen Schamlippen abgetragen. Die Operation wird durch erfahrene Frauen ausgeführt, welche derselben umgehend eine echte Vernähung folgen lassen, die nach Paulitschke mit Pferdehaaren, mit Baumwollenzwirn oder mit Bast gemacht wird . Nur ein kleiner Rest der Schamspalte bleibt unvernäht. Eine mehrtägige Ruhe, während welcher dem Mädchen die Füsse zusammengebunden werden , bringt die Wundflächen zur narbigen Vereinigung. Von einer echten Vernähung spricht auch Burckhardt bei den mit dem Namen Mukhaeyt, d. h. consutae , bezeichneten Operirten : ,,Mihi contigit nigram quandam puellam, quae hanc operationem subierat, inspicere. Labia pudendorum acu et filo consuta mihi plane detecta fuere , foramine angusto in meatum urinae relicto. Apud Esne , Siout et Cairo tonsores sunt , qui obstructionem novacula amovent, sed vulnus haud raro letale evenit. " Bedeutend häufiger scheint es vorzukommen, dass, anstatt die frischen Wundflächen durch Nähte mit einander zu vereinigen, sie nur genau auf einander gepasst werden. Die Operirte wird dann durch entsprechende Bandagirung an jeglicher Bewegung gehindert und darf bis zur glücklich erfolgten Heilung ihr Lager nicht verlassen. Hierüber stehen uns mehrfache ausführliche Berichte zur Verfügung. Wir beginnen mit demjenigen des Dr. Peney, Chefarzt der Armee im Sudan : „C'est vers l'âge de sept ou huit ans, que la jeune fille est livrée à la matrone chargée de l'opérer. Quelques jours avant l'époque fixée pour cet objet, la mère de famille invite les parents et connaissances du sexe féminin à se réunir chez elle, et c'est par des fêtes qu'on prélude à la cérémonie sanglante. Le moment arrivé, la victime , environnée de toutes les femmes présentes, est couchée sur un lit où elle est maintenue par les assistantes, tandis que la matrone, armée d'un rasoir et agenouillée entre les cuisses de la patiente, procède à l'opération. Celle-ci commence par l'ablation d'une partie du clitoris et des nymphes ; de là le rasoir, descendant sur le rebord des grandes lèvres, enlève sur leur bord interne et en contournant la valve une languette de chair, large de deux centimètres environ. Cette opération dure quatre ou cinq minutes ; et pour empêcher les cris de la patiente de se faire entendre, les assistantes ont soin de pousser des clameurs sur le diapason le plus aigu, tout que durent les manoeuvres opératoires. L'ablation des parties 152 V. Die äusseren Saxualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. achevée et le sang étanché, la jeune fille est couchée sur le dos, les jambes étendues et liées fortement l'une à l'autre, de façon à leur interdire tout mouvement. Cette précaution est nécessaire pour ménager la formation de la cicatrice . Avant d'abandonner l'opérée aux soins de la nature, la matrone introduit dans la partie inférieure du vagin , entre les lèvres saignantes de la plaie, un petit cylindre de bois , de la grosseur d'une plume d'oie. L'office de ce cylindre, qui doit rester en place jusqu'au moment où le travail de la cicatrisation sera achevé, est de ménager une issue aux urines et plus tard aux menstrues. C'est tout ce qui reste de perméable dans le vagin. " Brehm schreibt : Die Gebote des Mohamedanismus befehlen nur die Circumcision ; allein die Bewohner des Sudan nehmen nicht nur diese Operation vor, sed etiam labiis minoribus (nymphis) abscissis labia majora inde a Veneris monte usque ad vaginam sanando ita copulant, ut fistula sola ad urinam fundendam pateat. " Die Operation wird nach Brehm von alten Weibern ausgeführt, welche mit stumpfen Rasirmessern die nöthigen Schnitte machen, dabei aber das Kind auf entsetzliche Weise quälen. Oft muss es vier Wochen lang mit zusammengebundenen Beinen auf dem Angarêb, d. i. dem dort gebräuchlichen Bette, liegen bleiben, ehe die Wunde vernarbt. Bei den Danakil hat nach Lanzi das infibulirte Mädchen mit zusammengebundenen Beinen fest auf dem Lager auszudauern ; bis dahin pflegt. die vollständige Vernarbung der angefrischten Theile eingetreten zu sein. Ueber den Sennaar giebt Cailliaud Folgendes an: „Après avoir élagué ces deux membranes, les plaies de l'une et de l'autre sont rapprochées, et la patiente est tenue dans un état d'immobilité presque entière jusqu'à ce qu'elles se soient réunies ensemble par agglutination ; au moyen d'une canule très-mince, on ménage une ouverture à peine suffisante pour les écoulements naturels. " Die Art und Weise, wie die Operation bei den Nubiern ausgeführt wird, beschrieb Tanner in der Geburtshülflichen Gesellschaft zu London: „Puella , adhuc tenera , humi supina prosternitur, cruribus sursum trusis , genubus flexis et in diversum extensis . Sic jacenti , verendorum labia acuta novacula utrinque per totum paene os scalpunter, relicta ad extremum deorsus hiatum in longitudinem quarta unciae parte, in quam calamus pennam anserinam circulo aequiparans intro immittitur. Hoc facto labiorum margines, sanguine adhuc stillantes in unum coguntur, eo consilio ut resanescentes conjungantur, et nihil aliud apertum relinquatur, quam exiguum illud foramen, quod per calamum insertum reservatur. Quae ut fiat conjunctio et superficies labiorum scalpro nuper incisa quam optime coeat, puellae crura genubus et talis inter se nexis colligantur. Hinc fit, ut nulla membrorum tensione vel luctatione labella jamjam concrescentia possint separari. Post paucos dies firmiter inter se conhaerent, et forma, quam natura dederat, nulla apparet . Ita laevis est pars ea, quae monti qui veneris vocatur proxime subjacet, ut speciem nudae feminae quem admodum sculptores statuam ex ea parte laevigant, omnino repraesentet. Calamo subducto perexigua quae relinquitur apertura officio urethrae fungitur. " Panceri hatte in Aegypten Gelegenheit, eine ungefähr 20jährige Sudanesin zu untersuchen , welche früher die Excision durchgemacht hatte. Er sagt von ihr: „ Man sah an Stelle der Schamspalte eine lineare Narbe, unter welcher der untersuchende Finger die Clitoris an ihrem Platze, aber völlig beweglich und unter dem genannten Narbengewebe versteckt nachweisen konnte. Nur wenn man die Schenkel ausFig. 39. Eine vernähte einanderspreizte, sah man bei dem Perinaeum die Scheidenöffnung Nubierin (nach Panceri) . in Form eines Spaltes, dessen Ränder durch den Kamm der kleinen Labien gebildet wurden, die gewissermaassen mit den grossen verschmolzen waren. Die obere Commissur, die Clitoris, die Harnröhrenmündung und die vordere Hälfte der kleinen Schamlippen waren verborgen, weil die grossen Schamlippen mit einander verschmolzen waren" (Fig. 37 u. 39). 37. Das Wiederaufschneiden der infibulirten Weiber. 153 Zum Schlusse möge noch die Schilderung von Werne kommen, welche sich auch auf die südlich vom ersten Nilkatarakte wohnenden Völker bezieht : „Alte Weiber legen ein solches , dem Volksglauben unterworfenes Opfer auf einen Anqarêb und scarificiren mit einem scharfen Messer die beiden Wände der grossen Schamlefzen bis auf einen kleinen Raum nach dem After hin. Darauf nehmen sie eine Ferda- ( jenes lange Stück Baumwollenzeug mit verzierten Enden, so Männer und Weiber um ihren Körper gürten) und umwickeln damit dem Mädchen die Knie fest, wodurch jene scarificirten Theile, an einander geschlossen, auf die Dauer verwachsen, bis auf den nicht wund gemachten Theil ; in die kleine Oeffnung wird wegen des möglichen Zusammenwachsens ein Federkiel oder ein dünnes Rohr gesteckt, um den Bedürfnissen der Natur den Weg offen zu halten . Vierzig lange Tage muss das Mädchen in dieser Lage auf dem Anqaréb mit gebundenen Knieen aushalten, ausgenommen wo ein Bedürfniss eintritt ; und es scheint dieser Zeitraum, der Erfahrung über wirklich erfolgte Zusammenwachsung der Schamlippen entsprechend , gleichsam gesetzlich zu sein . “ Wenn wir uns die Frage vorlegen, was für eine Absicht der Infibulation zu Grunde liegt, so kann darüber wohl kaum ein Zweifel herrschen. Natürlicher Weise war der Zweck der Operation kein anderer, als der, die Mädchen zu absoluter Enthaltsamkeit in Bezug auf die geschlechtliche Vereinigung zu zwingen. Und Werne hat nicht Unrecht, wenn er sagt, es ist eine sicherere Vorkehrung, als alle die mit künstlichen Schlössern und Federn, mit welchen rohe Ritter ihre Frauen umschlossen, wenn sie Kreuzund andere Züge machten. So entschuldigt sich, wie er weiter angiebt, nicht selten ein Mädchen, wenn man liebkosend sich ihr nähert, mit einem : el bab makfûl, das Thor ist verschlossen." Auch Tanner äussert sich in ähnlicher Weise: 99 Hoc artifico tutis licet puellis cum pueris libere consociari, dum dies nuptialis advenerit , quo tempore sponsa sine controversia virgo est. Von Sclavenhändlern wird die Vernähung oder die Infibulation bisweilen an ihren frisch erbeuteten Sclavinnen vorgenommen, damit sie ihrer Keuschheit sicher wären. Aber es wird behauptet, dass doch bisweilen von ihnen unliebsame Erfahrungen gemacht worden wären. 37. Das Wiederaufschneiden der infibulirten Weiber. Wir haben uns in dem vorigen Abschnitte überzeugt, dass durch die Infibulation im Allgemeinen ein fast vollständiger Verschluss der Schamspalte hervorgerufen wird, wobei nur eine ganz minimale Oeffnung zum Abfluss des Urins übrig gelassen ist . Es bedarf nun keiner besonderen Auseinandersetzung, dass derartig zugerichtete Genitalien zur ehelichen Funktion voliständig unbrauchbar sind und dass, wenn wirklich ausnahmsweise einmal eine Schwängerung stattfinden sollte, für welche ja bekanntlich nicht immer eine wahre Immissio penis durchaus nothwendig ist, an eine regelmässige Entbindung nicht gedacht werden kann. Diesen Uebelständen beugen nun die Völker vor, bei denen wir die Infibulation der Mädchen herrschend fanden, indem sie die vernarbte Stelle im geeigneten Zeitpunkte von Neuem auftrennen. Von den Weibern im Sennaar sagt Cailliaud : "Quelque temps avant le mariage, il faut détruire par incision cette adhérence contraire à la nature. S'il survient quelque symptôme fàcheux, le fer rouge et le rasoir sont là . On dirait que la sensibilité émoussée chez ces peuples les empêche d'apprécier les soufrances inouies et les accidents graves et inévitables de ces pratiques inhumaines, 154 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht . inventées par le despotisme du sexe le plus fort, pour s'assurer la jouissance première de cette fleur virginale si fugitive dans tous les autres pays. Quoi qu'il en soit , il en coûte assez cher pour faire remettre une jeune fille en état de remplir des devoirs conjugaux. S'il en est quelqu'une qui, à défaut de moyens pécuniaires, se marie sans avoir subi cette préparation essentielle, c'est à l'époux prendre à cet égard le parti qui lui convient ; mais lorsqu'il réussit , chose difficile , à la rendre féconde, elle a le droit d'exiger qu'une des matrones, qui exercent ce cruel métier, fasse disparaître gratis des obstacles, qui contrarient le travail de l'enfantement. La jeune veuve, qui conserve l'espoir de se remarier, n'hésite point à se soumettre une seconde fois aux tortures de cette double lacération ; mais le cas est rare." Peney spricht in seinem weiter oben erwähnten Berichte über den Sudan ebenfalls über die Wiederauftrennung : ,,Quand la jeune Nubienne prend un époux, c'est encore à la matrone qu'elle s'adresse pour que celle- ci rende aux parties sexuelles les dimensions nécessaires à l'accomplissement du mariage. Car l'ouverture existante est trop étroite et trop peu dilatable (à cause de la cicatrice dont elle est entourée) pour que le mari le plus rigoureux puisse compter sur ses seuls efforts pour pénétrer dans la place. La matrone intervient alors , et, par une incision longitudinale, elle produit une plaie par laquelle s'accomplira la copulation . Mais comme cette plaie nouvelle tendrait à se refermer, si les parties saignantes restaient en contact, la matrone introduit entre les lèvres de la plaie, et à deux ou trois pouces de profondeur dans le vagin, un nouveau cylindre végétal, beaucoup plus volumineux que le premier : car ce dernier doit figurer les dimensions du pénis du mari. Ce deuxième cylindre reste en place une quarantaine de jours, époque où la cicatrisation est complète et où sa présence devient inutile. Mais tout n'est pas dit pour la malheureuse qui s'est une première et une deuxième fois soumise à l'opération . Si elle conçoit , ce qui arrive ordinairement, elle ne pourra pas accoucher sans soubir encore les épreuves de l'instrument tranchant ; car la même bride résistante, qui entoure la vulve et qui s'opposait à la copulation , s'opposera encore à la dilatation de cette partie par où doit passer l'enfant. Il faudra donc encore débrider, au moyen de larges et profondes incisions, les parties qui refusent de se dilater. Souvent au moment où l'enfant, en sortant du bassin, vient s'appuyer sur la cloison interne des parties génitales, souvent, dis-je , il arrive alors que la matrone, qui doit saisir cet instant pour inciser profondément les grandes lèvres, blesse grièvement le produit qui cherche à s'échapper au dehors. J'ai vu moi- même, dans des cas semblabes, des coups de rasoir, portés mal habilement, produire chez l'enfant des blessures mortelles . Et cependant, malgré les douleurs qui accompagnent toujours cette horrible pratique de l'infibulation, malgré les dangers qu'elle fait courir à la femme et à l'enfant qui va naître, malgré toutes les tentives essais par les agents du gouvernement égyptien pour bannir cette affreuse coutume, les Soudaniennes n'en persistent pas moins dans leurs idées à cet égard ; quand aux jeunes filles, elles y semblent encore plus attachées que les hommes, car elles prétendent que sans l'infibulation elles ne trouveraient aucun mari. “ In dem Berichte von Tanner heisst es : „ Festum, quod in honorem nuptiarum celebratur, ritu, qui finem castitati alhuc coactae imponat, concluditur. Sponsa a quibusdam ex amicis suis, officio pronubarum fugentibus, tanquam jure occupatur. Mulier, rei agendae perita , ferramentum acutum, curvatum , in falsi urethrae canalem inserit, quod eum admodum curvatum est, ut, quum cuspis cura adhibita, sursum propellitur, cutis, ubi opus est, perforatur. Uno ictu tegumentum dissuitur, et rimae longitudo eadem prope, quae prius fuerat, restituitur. Ex illo tempore sponsa summa vigilantia a pronubis observatur, a quibus ad mariti tugurium deducitur. Ibi ante fores in vigilia manent pronubae, et signum , quod ex usu convenit, auscultantes exspectant : quo intus edito, chorus omnis feminarum clara voce, arguta simul et injucunda, more suo exultantes ululant . . . . Antequam mulier puerum eniti possit, opus est, vaginam secundo dilatare, quae post partum arudine introducta ad priorem mensuram iterum con- trahitur. " Ebenso spricht Burckhardt von dieser Gegenoperation. d. h. der Aufschneidung nach der durch Circumcision (die er fälschlich Excisio clitoridis nennt) entstandenen künstlichen Verschliessung der Vagina : 37. Das Wiederaufschneiden der infibulirten Weiber. 155 ,,Cicatrix post excisionem clitoridis parietes ipsos vaginae, foramine parvo relicto, inter se glutinat. Cum tempus nuptiarum adveniat, membranam, a qua vagina clauditur, coram pluribus inciditur, sponso ipso adjuvante. Interdum evenit, ut operationem efficere nequeat sine ope mulieris alicujus expertae, quae scalpello partes vaginae profundius rescindit. Maritus crastina die cum uxore plerumque habitat ; unde illa Arabum sententia : Post diem aperturae dies coitus. Ex hac consuetudine fit, ut sponsus numquam decipiatur, et ex hoc fit , ut in Aegypto Superiori innuptae repulsare lascivias hominum student, dicentes : Tabousny wala' takghergang. Sed quantum eis sit invita haec continentia post matrimonium demonstrant, libidini quam maxime indulgentes. " Werne sagt von den Stämmen, welche südlich vom ersten Nilkatarakte wohnen: „Ist nun eine auf solch' scandalöse Art erhaltene Jungfrau früher oder später Braut geworden, so werden die obscönen Handlungen fortgesetzt. Eine von den Weibern, welche jene Operation ausführen, kommt unmittelbar vor der Hochzeit zum Bräutigam , um dessen männliche Vorzüge zu messen; sie verfertigt darauf eine Art Phallus von Thon oder Holz und verrichtet nach dem Maasse desselben eine theilweise Aufschneidung ; der mit einem Fettlappen umwundene Zapfen bleibt stecken, um ein neues Zusammenwachsen zu verhüten. Unter den gebräuchlichen lärmenden Hochzeitsfeierlichkeiten führt alsdann der Mann sein mit verbissenem Schmerze einherschreitendes Weib nach Hause auf das Gerüst hinter einen grobwollenen Vorhang und schon nach 4 oder 5 Tagen, ohne die Wunden heilen oder vernarben zu lassen, fällt der Thiermensch über sein Opfer her. Vor dem Gebären wird das Muliebre zwar durch totale Lösung in integrum restituirt, allein nach der Geburt, je nach Belieben des Mannes, bis auf die mittlere oder die kleinste Oeffnung wieder geschlossen, und so fort. " Ganz ähnlich äussert sich auch Brehm. Vor der Hochzeit nun sendet der Ehespons den Angehörigen des Mädchens ein aus Holz geschnitztes Abbild seines Penis, nach dessen Maass die Oeffnung in den Schamtheilen des Mädchens gemacht werden soll . Ist die Frau geschwängert, so wird vor der Niederkunft die Oeffnung erweitert. Nach mündlichen Mittheilungen erfahre ich von Brehm, dass letztere Operation durch einen Schnitt von hinten nach vorn, d. h. vom Damme her nach dem Mons Veneris hin vorgenommen wird, indem der vordere oder obere Theil der Schamtheile zusammengeheilt ist und sich die zurückgebliebene Oeffnung nach hinten zu befindet. Auch bei den Danakil wird nach der Angabe von Lanzi durch einen kleinen Schnitt, welcher von unten nach oben geführt wird, so viel von der Schamspalte geöffnet, dass der Ehegatte nach glücklich erfolgter Verheilung dieser kleinen Wunde in Funktion zu treten vermag. Erst kurz vor der Entbindung trennt das alte Weib die Verwachsung vollständig. Dieser barbarische Gebrauch ist ihnen aber derartig in Fleisch und Blut übergegangen, dass es Frauen giebt, welche nach der Entbindung sich aus eigenem Antriebe wieder vernähen lassen. " Fig. 40. Eine wiederaufgenäht gewesene Hartmann konnte eine ungefähr 30 Jahre alte Sudanesin aus Alt - Dongola , welche vernäht gewesen und wieder auf- schnittene ,,ver- getrennt war, nach der Natur zeichnen und hat dem Herausgeber freundlichst diese Zeichnung zur Veröffentlichung überlassen. Man erkennt die narbigen Reste der kleinen Schamlippen und den Stumpf der abgeschnittenen Clitoris, unter dem sich die Harnröhrenöffnung präsentirt. Sudanesin. (Nach der Natur gezeichnet von Robert Hartmann.) Ich habe mir Mühe gegeben, so viel als möglich über die Wirkung und die Folgen zu erfahren, welche die Infibulation auf das Befinden und 156 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. die Gesundheit des Individuums äussert ; insbesondere erkundigte ich mich hier bei mehreren Afrika- Reisenden. Der verstorbene v. Beurmann theilte mir mündlich mit, dass bei denjenigen Völkerschaften, welche die Vernähung der Geschlechtstheile ausüben, die Frauen häufig sehr schwer gebären ; auch sollen dort, wie er sagte, oft Missgeburten " vorkommen. Dagegen sollen nach v. Beurmann's Angabe die afrikanischen Frauen, an welchen keine Vernähung vorgenommen wird, meist sehr leicht gebären. Jedenfalls lässt sich begreifen, dass der narbenbildende, eine Contraction und einen Verschluss der äusseren Geburtstheile bedingende Process der Zusammenheilung den Geburtsvorgang wesentlich beeinträchtigen kann. Das Vernähen bringt jedoch noch andere Nachtheile mit sich ; denn an vernähten Frauen, welche in den Spitälern Aegyptens mit syphilitischen Geschwüren an den Geschlechtstheilen dem verstorbenen Uhle (Jena) zu Gesicht kamen, musste nach mündlichen Mittheilungen desselben eine Operation in ähnlicher Weise vorgenommen werden, wie bei der Phimose an Männern ; man musste die verwachsenen Schamlippen durch einen Schnitt trennen, da sie eine förmliche Einschnürung der entzündeten und geschwollenen, von Syphilis ergriffenen unterliegenden Theile bewirkten und den Austritt des Schanker- Secretes hinderten. Uhle berichtete mir, dass er nirgends in den der Syphilis gewidmeten Spitälern so fürchterliche Zerstörungen an den weiblichen Geschlechtstheilen gefunden habe , als in ägyptischen Krankenhäusern bei einigen früher vernäht gewesenen Neger-Sclavinnen. Diese schwarzen Mädchen hatte man aus dem Inneren Afrikas auf einem langen Zuge durch die Wüste transportirt, und sie waren unterwegs von einem mit Syphilis behafteten Transporteur mitten. aus der Sclavenkette herausgenommen, aufgeschnitten und zum Coitus gemissbraucht worden. Hierauf hatte man sie mit den frischen Wunden, die sich in grösster Ausdehnung schnell mit syphilitischen Geschwüren bedeckten, auf wochenlangem Marsche weiter transportirt, wobei sich denn bei völligem Mangel an Reinigung der kranken Theile, bei der fortgesetzten Reibung durch das Gehen und bei dem hohen Hitzegrade der Luft der bemitleidenswerthe Zustand ausbildete, in welchem Uhle diese unglücklichen Geschöpfe zu untersuchen Gelegenheit fand. Ueberall dort, wo die besprochenen Sitten herrschen, namentlich da, wo die Vernähung allgemein üblich ist, ist das weibliche Geschlecht, wie Waitz mit Recht sagt, auf das Tiefste herabgewürdigt. In der That steht bei diesen Völkern die Frau so niedrig im Werthe, dass man den Besitz eines weiblichen Wesens nach der Zahl der Kühe berechnet, für die man sich ein solches erwirbt. Wo aber lediglich die Benutzung der Arbeitskraft und die Befriedigung der sinnlichen Lust für die Männer Beweggründe sind, sich eine Frau anzuschaffen, da wird man in der Wahl der Vorsichtsmaassregeln gegen Uebertretung der Keuschheit der Frau in Bezug auf letztere eben nicht besonders delicat und zart verfahren. Nicht selten aber werden nach erfolgter Entbindung die unglücklichen Weiber von Neuem der Infibulation unterworfen, wie wir durch Hartmann, Brehm und Werne erfahren. Hartmann sagt : „Auch Sclavinnen werden solchergestalt infibulirt . Es giebt grausame Herren ( selbst Europäer! ) , welche an Sclavinnen, ihren zeitweisen Maitressen, jene Operation zwei- bis dreimal haben vollziehen lassen und die Armen dann schliesslich doch noch verkauft haben. " Werne lernte in der Berberei eine junge Wittwe kennen, deren 38. Der Mons Veneris in anthropologischer Beziehung. 157 Mann sie in kurzer Zeit sieben Mal diesen Operationen unterworfen hatte. Ekelerregende Narben waren davon zurückgeblieben. Ueber die Art und Weise, wie das Wiederaufschneiden vorgenommen wird, stehen uns ebenfalls mancherlei Berichte zur Verfügung. So heisst es schon bei Lindschotten : „ Wenn sie dann erwachsen und verheyrat werden, so mag sie der Bräutigam wiederumb aufschneiden, so gross und so klein , als er vermeinet, dass sie ihm eben recht sei. " In Kordofan muss nach Ignaz Pallme bei den meisten Stämmen die Braut 20 Tage vor der Hochzeit sich der zweiten Beschneidung" unterwerfen ; er meint jedenfalls damit die Aufschneidung ; Rüppell sagt : ,,Die Aufschneidung der Braut , d . h. die eröffnende Operation an den Geschlechtstheilen, hat nicht eher statt, als bis der ganze bedungene Hochzeitspreis entrichtet ist . Die bei der Aufschneidung gemachte Oeffnung ist nach Bedürfniss des Ehemanns grösser oder kleiner. Wenn nach erfolgter Schwangerschaft die Zeit der Entbindung sich nähert, so wird die Oeffnung nöthigenfalls durch abermaliges Schneiden vergrössert, und nach erfolgter Geburt wird die ganze Oeffnung durch Auffrischen der Wundränder wieder zum Verwachsen geeignet, wodurch die Wöchnerin gleichsam in einen jungfräulichen Zustand zurücktritt. Sie bleibt in solchem so lange, als sie das Kind stillt ; dann schreitet ma abermals zur Wiederaufschneidung. Diese Operation wird wiederholt, bis nach dem dritten und vierten Wochenbett, wenn es der Ehemann verlangt ; öfters unterbleibt sie aber schon nach dem ersten. Ich habe Weiber gesehen, deren Männer kurz nach einem der ersten Wochenbetten ihrer Gattin gestorben waren ; und da zur Zeit des Todesfalls die Wunde der Aufschneidung zugewachsen war, so befanden die Frauen sich in einem sonderbaren Zustande, und ihre Eltern zwangen sie , in dem traurigen Status zu bleiben ; denn durch die Aufschneidung würden sie freiwillig in die Klasse der Freudenmädchen sich versetzt haben." Bei den Somali lösen nach Paulitschke vor der Ehe die bezeichneten Chirurginnen oder die Mädchen selber die vernähte Stelle, welche indessen meist erst vor der Niederkunft vollständig aufgetrennt wird. 38. Der Mons Veneris in anthropologischer Beziehung. Die Physiognomie des Mons Veneris , des Schamberges, wird im Wesentlichen durch drei Factoren hervorgerufen, durch die Formverhältnisse des knöchernen Beckens (besonders durch die Vergrösserung oder die Verringerung des Winkels, welchen die beiden horizontalen Schambeinäste mit einander bilden) , durch die stärkere oder geringere Ablagerung von Unterhautfettgewebe und endlich durch die Art, die Farbe und die Anordnung der Schambehaarung. Da nun diese drei Dinge bei den Völkern der Erde in sehr verschiedenartiger Weise zur Entwickelung gekommen sind, so versteht es sich wohl ganz von selber, dass auch an dem Schamberg Rassenunterschiede bemerkbar sein müssen. Aber wir sind noch erheblich weit davon. entfernt, hier fertige Lehrsätze formuliren zu können. Denn leider ist das zu Gebote stehende Beobachtungsmaterial noch ein in allerhöchstem Maasse kümmerliches und spärliches. Ja selbst über die entsprechenden Verhältnisse bei dem weiblichen Geschlecht der civilisirten europäischen Nationen sind wir noch fast vollständig im Unklaren. Denn obgleich über ganz Europa eine enorme Menge von Kliniken und Krankenhäusern zerstreut ist, in welchen täglich zu Beobachtende aus- und eingehen, so hat es doch leider immer noch an Beobachtern gefehlt, welche das sich ihnen überreich darbietende Material zu verwerthen und für eine genauere Verarbeitung zusammenzubringen sich bereit erklärt hätten. Der Herausgeber hat bereits 156 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. 99 die Gesundheit des Individuums äussert ; insbesondere erkundigte ich mich hier bei mehreren Afrika - Reisenden. Der verstorbene v. Beurmann theilte mir mündlich mit, dass bei denjenigen Völkerschaften, welche die Vernähung der Geschlechtstheile ausüben, die Frauen häufig sehr schwer gebären ; auch sollen dort, wie er sagte, oft Missgeburten" vorkommen. Dagegen sollen nach v. Beurmann's Angabe die afrikanischen Frauen, an welchen keine Vernähung vorgenommen wird, meist sehr leicht gebären. Jedenfalls lässt sich begreifen, dass der narbenbildende, eine Contraction und einen Verschluss der äusseren Geburtstheile bedingende Process der Zusammenheilung den Geburtsvorgang wesentlich beeinträchtigen kann. Das Vernähen bringt jedoch noch andere Nachtheile mit sich ; denn an vernähten Frauen, welche in den Spitälern Aegyptens mit syphilitischen Geschwüren an den Geschlechtstheilen dem verstorbenen Uhle (Jena) zu Gesicht kamen, musste nach mündlichen Mittheilungen desselben eine Operation in ähnlicher Weise vorgenommen werden, wie bei der Phimose an Männern ; man musste die verwachsenen Schamlippen durch einen Schnitt trennen, da sie eine förmliche Einschnürung der entzündeten und geschwollenen, von Syphilis ergriffenen unterliegenden Theile bewirkten und den Austritt des Schanker-Secretes hinderten. Uhle berichtete mir, dass er nirgends in den der Syphilis gewidmeten Spitälern so fürchterliche Zerstörungen an den weiblichen Geschlechtstheilen gefunden habe , als in ägyptischen Krankenhäusern bei einigen früher vernäht gewesenen Neger- Sclavinnen . Diese schwarzen Mädchen hatte man aus dem Inneren Afrikas auf einem langen Zuge durch die Wüste transportirt, und sie waren unterwegs von einem mit Syphilis behafteten Transporteur mitten. aus der Sclavenkette herausgenommen, aufgeschnitten und zum Coitus gemissbraucht worden. Hierauf hatte man sie mit den frischen Wunden, die sich in grösster Ausdehnung schnell mit syphilitischen Geschwüren bedeckten, auf wochenlangem Marsche weiter transportirt, wobei sich denn bei völligem Mangel an Reinigung der kranken Theile, bei der fortgesetzten Reibung durch das Gehen und bei dem hohen Hitzegrade der Luft der bemitleidenswerthe Zustand ausbildete, in welchem Uhle diese unglücklichen Geschöpfe. zu untersuchen Gelegenheit fand. Ueberall dort, wo die besprochenen Sitten herrschen, namentlich da, wo die Vernähung allgemein üblich ist, ist das weibliche Geschlecht, wie Waitz mit Recht sagt, auf das Tiefste herabgewürdigt. In der That steht bei diesen Völkern die Frau so niedrig im Werthe, dass man den Besitz eines weiblichen Wesens nach der Zahl der Kühe berechnet, für die man sich ein solches erwirbt. Wo aber lediglich die Benutzung der Arbeitskraft und die Befriedigung der sinnlichen Lust für die Männer Beweggründe sind, sich eine Frau anzuschaffen, da wird man in der Wahl der Vorsichtsmaassregeln gegen Uebertretung der Keuschheit der Frau in Bezug auf letztere eben nicht besonders delicat und zart verfahren. Nicht selten aber werden nach erfolgter Entbindung die unglücklichen Weiber von Neuem der Infibulation unterworten, wie wir durch Hartmann, Brehm und Werne erfahren. Hartmann sagt: „ Auch Sclavinnen werden solchergestalt infibulirt . Es giebt grausame Herren (selbst Europäer! ) , welche an Sclavinnen, ihren zeitweisen Maitressen, jene Operation zwei- bis dreimal haben vollziehen lassen und die Armen dann schliesslich doch noch verkauft haben. " Werne lernte in der Berberei eine junge Wittwe kennen, deren 38. Der Mons Veneris in anthropologischer Beziehung. 157 Mann sie in kurzer Zeit sieben Mal diesen Operationen unterworfen hatte. Ekelerregende Narben waren davon zurückgeblieben . Ueber die Art und Weise, wie das Wiederaufschneiden vorgenommen wird, stehen uns ebenfalls mancherlei Berichte zur Verfügung. So heisst es schon bei Lindschotten : 22 Wenn sie dann erwachsen und verheyrat werden, so mag sie der Bräutigam wiederumb aufschneiden, so gross und so klein , als er vermeinet, dass sie ihm eben recht sei. “ In Kordofan muss nach Ignaz Pallme bei den meisten Stämmen die Braut 20 Tage vor der Hochzeit sich der zweiten Beschneidung" unterwerfen ; er meint jedenfalls damit die Aufschneidung ; Rüppell sagt : ,,Die Aufschneidung der Braut , d . h. die eröffnende Operation an den Geschlechtstheilen, hat nicht eher statt, als bis der ganze bedungene Hochzeitspreis entrichtet ist. Die bei der Aufschneidung gemachte Oeffnung ist nach Bedürfniss des Ehemanns grösser oder kleiner. Wenn nach erfolgter Schwangerschaft die Zeit der Entbindung sich nähert, so wird die Oeffnung nöthigenfalls durch abermaliges Schneiden vergrössert, und nach erfolgter Geburt wird die ganze Oeffnung durch Auffrischen der Wundränder wieder zum Verwachsen geeignet, wodurch die Wöchnerin gleichsam in einen jungfräulichen Zustand zurücktritt. Sie bleibt in solchem so lange, als sie das Kind stillt ; dann schreitet man abermals zur Wiederaufschneidung. Diese Operation wird wiederholt , bis nach dem dritten und vierten Wochenbett, wenn es der Ehemann verlangt ; öfters unterbleibt sie aber schon nach dem ersten. Ich habe Weiber gesehen, deren Männer kurz nach einem der ersten Wochenbetten ihrer Gattin gestorben waren ; und da zur Zeit des Todesfalls die Wunde der Aufschneidung zugewachsen war, so befanden die Frauen sich in einem sonderbaren Zustande, und ihre Eltern zwangen sie , in dem traurigen Status zu bleiben ; denn durch die Aufschneidung würden sie freiwillig in die Klasse der Freudenmädchen sich versetzt haben. " Bei den Somali lösen nach Paulitschke vor der Ehe die bezeichneten Chirurginnen oder die Mädchen selber die vernähte Stelle, welche indessen meist erst vor der Niederkunft vollständig aufgetrennt wird. 38. Der Mons Veneris in anthropologischer Beziehung. Die Physiognomie des Mons Veneris, des Schamberges, wird im Wesentlichen durch drei Factoren hervorgerufen , durch die Formverhältnisse des knöchernen Beckens (besonders durch die Vergrösserung oder die Verringerung des Winkels, welchen die beiden horizontalen Schambeinäste mit einander bilden), durch die stärkere oder geringere Ablagerung von Unterhautfettgewebe und endlich durch die Art, die Farbe und die Anordnung der Schambehaarung. Da nun diese drei Dinge bei den Völkern der Erde in sehr verschiedenartiger Weise zur Entwickelung gekommen sind, so versteht. es sich wohl ganz von selber, dass auch an dem Schamberg Rassenunterschiede bemerkbar sein müssen. Aber wir sind noch erheblich weit davon entfernt, hier fertige Lehrsätze formuliren zu können. Denn leider ist das zu Gebote stehende Beobachtungsmaterial noch ein in allerhöchstem Maasse kümmerliches und spärliches. Ja selbst über die entsprechenden Verhält nisse bei dem weiblichen Geschlecht der civilisirten europäischen Nationen sind wir noch fast vollständig im Unklaren. Denn obgleich über ganz Europa eine enorme Menge von Kliniken und Krankenhäusern zerstreut ist, in welchen täglich zu Beobachtende aus- und eingehen, so hat es doch leider immer noch an Beobachtern gefehlt, welche das sich ihnen überreich darbietende Material zu verwerthen und für eine genauere Verarbeitung zusammenzubringen sich bereit erklärt hätten. Der Herausgeber¹ hat bereits 158 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. an anderer Stelle seine Klage darüber laut werden lassen, und ganz ohne Widerhall ist sie nicht verklungen. Wenigstens hat in dem Schema, welches die von der deutschen anthropologischen Gesellschaft im Jahre 1884 gewählte Commission für das Studium der menschlichen Behaarung ausgearbeitet hat, auch das Körperhaar seine Berücksichtigung gefunden . Johannes Palfyn sagt: „ On entend par le penil la partie supérieure de la partie honteuse, située en la partie antérieure des os pubis ; et la Motte est cette partie, qui parait élevée comme une petite colline au- dessus des grandes Lèvres , qui pour cela est apellée le Mont de Vénus, parce que tous ceux qui s'enrollent sous l'étandart de cette Déesse, doivent nécessairement l'escalader. La substance externe de la Motte est faite seulement de la peau: mais il n'en va ainsi de sa partie interne, puisqu'elle est presque toute de graisse : ce qui est fait exprès pour la rendre épaisse , molle et fort éminente, principalement dans les jeunes filles ; ou cette substance douce et délicate est très- propre pour servir d'Oreiller à Vénus, de peur que l'os pubis des deux Sexes se froissant ensemble, s'opposait au plaisir, qu'on doit trouver dans le congrès. " (Schurigª. ) Eine eigenthümliche Reflexion über die Behaarung der Genitalien finden wir bei Gerdy: „ Nach unten zeigt das Becken nur eine schmale Furche, an welcher man jedoch nach vorn die geschlechtlichen Charaktere, hierauf den Damm (perinacum) und endlich nach hinten die Afteröffnung unterscheiden kann . Alle diese Theile sind durch Haare verdeckt , vornehmlich aber die Zeugungsorgane. Es wird dadurch gleichsam ein Schleier gebildet , unter welchem sich diese schon durch ihre Lage versteckten Organe den Augen entziehen, und wunderbarer Weise gerade dann , wenn die Geschlechtstheile aus ihrer ursprünglichen Keuschheit heraustreten, wenn ich mich so ausdrücken darf, wenn die Geschlechtsdifferenz schon die Leidenschaft der Liebe aufzuregen vermag, gerade dann bedeckt sie die Natur mit einem Schleier , welcher die Einbildungskraft nur um so mehr aufregt und die mächtigste Leidenschaft nur um so stärker ent flammt. “ Der Schamberg geht in seinen unteren Partien in die grossen Schamlippen über und nimmt noch deren obere Commissur in seinen unteren Rand mit auf. Nach den Seiten reicht er bis an die Leistenfurchen, und nach oben wird er von der unteren der beiden Bogenlinien begrenzt, welche mit dem Nabel zugekehrter Concavität die Unterbauchgegend durchziehen . Eine reichliche Ablagerung von Unterhautfett lässt ihn bei den deutschen Damen als flachrundlichen Hügel über das Niveau der Umgebung hervortreten . Auch zeigt er in der Mehrzahl der Fälle von den Pubertätsjahren an gewöhnlich in seiner ganzen Ausdehnung einen mehr oder weniger dichten Haarwuchs, welcher aber mancherlei Variationen unterliegt, die, wie bereits gesagt, noch nicht einmal in Deutschland hinreichend studirt worden. sind. Der erste, der Tabellen darüber anlegte, war der verstorbene Gynäkologe Eggel in Berlin , welcher dieselben seinerzeit dem Herausgeber¹ zur Bearbeitung überlassen hatte. Es ging aus der Analyse dieser Tabellen hervor, dass die Behaarung des Mons Veneris in Bezug auf ihre Farbe in einem ungefähren, aber nicht ganz absoluten Abhängigkeitsverhältnisse zu der Farbe der Kopfhaare sich befindet, während die Färbung der Augen einen Rückschluss auf die Farbe der Pubes nur mit grosser Reserve gestattet. Unter 1000 untersuchten weiblichen Erwachsenen waren : dunkeläugig dunkelhaarig (Kopfhaar) helläugig (Schamhaar) hellhaarig (Kopfhaar) . (Schamhaar) 239 333 329 761 6 667 671 Es waren daher auch bei einer Anzahl von dunkeläugigen Weibern helle Schamhaare vorhanden, und die letzteren fanden sich in einigen Fällen 38. Der Mons Veneris in anthropologischer Beziehung. 159 selbst bei solchen weiblichen Individuen, welche sich im Besitze eines dunklen Kopfhaares befanden . Die Schamhaare sind bald kurz, bald lang, bald dünn gesät, bald dicht und buschig stehend , bald schlicht und straff, bald kraus und lockig. Ueber alle diese interessanten Dinge besitzen wir leider noch kein statistisches Material. Nicht immer ist bei unseren Damen der ganze Schamberg behaart, und bisweilen ist er sogar absolut haarlos. Dafür giebt es aber wiederum andere Fälle, in welchen der Haarwuchs sowohl nach den Seiten hin, als auch nach oben die normalen Grenzen überschreitet. Da dieses Zustände sind, wie sie bei dem männlichen Geschlechte in Deutschland als die normalen betrachtet werden müssen. so habe ich eine solche Ausbreitung der Behaarung bei dem weiblichen Geschlecht als Heterogenie der Behaarung bezeichnet. Für diese scheinen ganz besonders unsere Blondinen prädisponirt zu sein. Die grössere oder geringere Neigung des Beckens lässt auch den Schamberg mehr oder weniger hervortreten. Auch soll die stärkere oder schwächere Sättigung der Hautfärbung an dieser Stelle unter den Völkern sehr wechseln. Bei den Chinesinnen soll in Folge der bekannten Operation zur Verkümmerung des Fusses der Mons Veneris ungewöhnlich gross werden und auch die Schamlippen in diese Hypertrophie einbezogen werden ; dies berichtet Stricker nach Angaben von Morache und Lockart. Allein Seligmann, der hierüber nähere Erkundigungen einzog, erhielt keine Bestätigung dieser Angabe. Das kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin besitzt eine Anzahl von höchst kunstvoll ausgeführten chinesischen Reliefs in farbigem Speckstein, welche den Namen tsch'ün - tsch'eh d. h. Frühlingstäfelchen oder pi - hi d. h. geheime Spiele führen. Sie enthalten erotische Scenen, auf welche wir an anderer Stelle noch zurückkommen werden. Hier zeigen die zur Darstellung gebrachten weiblichen Individuen, welche sämmtlich die Verstümmelung der Füsse aufweisen, allerdings eine sehr kräftige Entwickelung des Schamberges, und auch die grossen Schamlippen sind von beträchtlicher Ausdehnung und scheinen eine reichliche Menge von Unterhautfettgewebe zu besitzen. Es werden demnach die Angaben von Stricker's Gewährsınännern doch wohl den thatsächlichen Verhältnissen entsprechen. Die Schamhaare sind in schwarzer Färbung angegeben. Sie erscheinen kurz und schlicht und dabei wenig dicht stehend, auch decken sie bei weitem nicht den ganzen Mons Veneris, sondern sie bilden auf ihm eine ziemlich schmale dreieckige Figur, an ein lateinisches V mit nach oben gerichteter Spitze erinnernd. Der Haarwuchs am Mons Veneris der Japanerinnen , sagt Wernich, ist gegenüber der Stärke des Haupthaares und der Dicke des einzelnen Haarschaftes dürftig ; ausserordentlich selten bildet er ein Dreieck, die ovale, die Vulva oberhalb imitirende Contour herrscht vor. Doenitz fand in ausserordentlicher Häufigkeit vollständigen Mangel der Schambehaarung. Dass dieser Zustand aber von den Japanern nicht als eine Schönheit betrachtet wird, geht aus einem schwerbeleidigenden Schimpfworte hervor, das kawaragé heisst, zu deutsch Ziegelsteinbaar. Das bedeutet, die Geschimpfte habe an ihrer Vulva so viel Haare, als sie ein Ziegelstein hat, also gar keine. Es wurde weiter oben schon das Bild von der japanischen Frau erwähnt, die in Wollust gesündigt hat. Hier hat der berühmte Marugama Okio die Schamtheile mit sehr starker, schwarzer Behaarung dargestellt. Die Haare stehen dicht und sind von beträchtlicher Länge, auch scheinen 160 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. sie ziemlich dick zu sein. Sie sind ungekräuselt, schlicht und weit vom Körper abstehend . Nicht nur der ganze Mons Veneris ist dicht bestanden, sondern die Behaarung bekleidet auch die äusseren Flächen der grossen Schamlippen fast bis zu deren hinterer Commissur herab. Auch aus den Achselhöhlen starrt ein reichlicher Haarwuchs hervor. Bei Neu- Britannierinnen sah Finsch, wenn sie keine Aetzmittel zur Entfernung der Pubes angewendet hatten. nicht selten blondes Schamhaar, obwohl schwarzes die Regel bildet. Riedel¹ hebt bei den breitköpfigen Einwohnerinnen der Inseln Leti . Moa und Lakor besonders hervor, dass sie ein gut entwickeltes Fettpolster am Mons Veneris besitzen . Sie scheinen. sich demnach hierin sowohl von der schmalköpfigen Bevölkerung derselben Eilande, als auch von den Weibern der übrigen Inseln des alfurischen Archipels zu unterscheiden. Auf den Aaru- Inseln und der Luang- Sermata- Gruppe desselben Archipels ist der Schamberg und die Achselhöhle nur wenig behaart. Auf den Babar- Inseln ist die Achselhöhle bei vielen Frauen sogar vollständig kahl, während auf den Tanembar- und Timorlao - Inseln bei den Weibern die Achselhöhle und der Schamberg allerdings nur mit spärlichen, aber mit langen Haaren bestanden ist. Auf dem Seranglao- und Gorong- Archipel gilt der Zuruf: Deine Mutter hat viele Haare an den Genitalien, für eine schwere Beleidigung . (Riedel.¹ ) Für die Beurtheilung der Eigenthümlichkeiten des Schamhaares bei den Javaninnen liegen dem Verfasser einige der Berliner anthropologischen Gesellschaft gehörige Photographien vor, welche dieselben der Freundlichkeit des Herrn Kuypers verdankt. Es handelt sich um 8 junge Personen, von denen die eine so vollständig kahl erscheint, dass hier ohne allen Zweifel absichtliche Enthaarung vorliegen muss. Die sieben anderen sind sämmtlich stark behaart. Der gut entwickelte Mons Veneris ist mit ziemlich langen, krausen Haaren bewachsen, welche dicht bei einander stehen . Bei einigen sind die lateralsten Partien des Schamberges von der Behaarung frei geblieben. Der Haarwuchs steigt ein erhebliches Stück an der äusseren Seite der grossen Schamlippen herab, so dass er die Rima pudendi dem Anblick entzieht. Die Behaarung der Achselhöhle scheint aber nur eine geringe Entwickelung zu besitzen . Von den Weibern der Itälmenen in Kamtschatka berichtet. Steller : „ Ueber der Scham haben sie alleine ein Schöpflein schwarzer, dünner Haare, wie ein Krochel auf dem Kopf, das Uebrige ist alles kahl. " Bei den Cumberland - Eskimos ist nach Schliephake die Körperbehaarung nur schwach entwickelt. Auch bei der älteren Feuerländerin fand v . Meyer das Fettpolster auf dem Mons Veneris sehr gering entwickelt. so dass die vordere Fläche der Schambeine als eine scharf begrenzte viereckige Erhöhung hervorragte. Die Behaarung des Mons pubis bestand nur aus zartem Flaum von 1/2 cm langen feinen Haaren. Ebenso hatte die jüngere Feuerländerin nach v. Bischoff nur einen mässig stark entwickelten Schamberg. v. Bischoff konnte eine Sudan - Negerin obduciren, welche einen gut ausgebildeten, mit krausen schwarzen Haaren reichlich bedeckten Venusberg besass, und Waldeyer sagt von seinem Koranna - Weibe: „ Der Mons Veneris ist stark entwickelt mit einem 2 bis 2,5 cm dicken Fettpolster. Derselbe ist mit schwarzen, krausen , jedoch kurzen Haaren dicht besetzt ; diese stehen nicht in Gruppen, bilden aber hier und da kleine Spirallöckchen . Die Behaarung setzt sich auf die beiden grossen Schamlippen fort , wird aber gegen das untere Drittel der letzteren bedeutend schwächer ; zu beiden Seiten des Dammes finden sich nur noch vereinzelte stärkere Haare. " } 39. Der Mons Veneris in ethnographischer Beziehung. 161 Bei der Pariser Venus Hottentotte (bekanntlich keine Hottentottin , sondern ein Buschweib) fanden sich nur einige sehr kurze Flocken von Wolle, gleich der des Hauptes, und auch bei der von Luschka und Görtz untersuchten Afandi zeigten sich nur wenige kurze Härchen. Eine mir vorliegende Photographie eines jungen Mädchens aus BritischKafferland zeigt den Mons Veneris, wie auch die Aussenflächen der stark entwickelten grossen Schamlippen mit kurzen, dichtstehenden Büscheln wollig-krauser Haare besetzt. · 39. Der Mons Veneris in ethnographischer Beziehung. Nachdem wir uns bisher mit der Anthropologie des Mons Veneris und der Schambehaarung beschäftigt haben, müssen wir auch noch deren ethnographische Beziehungen in das Auge fassen. Wir meinen damit die mancherlei Vornahmen und Behandlungsweisen, welche der Brauch und die Sitte der verschiedenen Völker diesen discreten Theilen angedeihen lässt . Es ist von denselben zweifellos am bekanntesten die sogenannte Epilation, d. h. die absichtliche Entfernung des natürlichen Haarwuchses. Wir begegnen derselben unter anderen in Arabien , in Aegypten, in Nubien , im Sudan und in der Türkei. Das türkische Enthaarungsmittel, welches man meist hierbei benutzt, besteht bekanntlich aus Auripigment (Arsenicum sulphuratum flavum) und gebranntem Kalk, welche Stoffe zu gleichen Theilen mit Rosenwasser zu einer Paste angerührt werden : nachdem diese Paste einige Minuten auf der betreffenden Stelle aufgelegen und dann sorgfältig abgewischt worden, sind die Haare beseitigt. Das Mittel ist im Orient ganz allgemein in Gebrauch und es heisst in der Türkei Rusma, in Persien nach Polak Nureh. Denn auch in Persien muss sich die mohamedanische Frau die Haare sowohl an den Geschlechtstheilen wie auch unter den Armen im warmen Bade regelmässig wegätzen. Das mohamedanische Mädchen und die christlichen Armenierinnen in Persien thun dieses aber nicht, wie Häntzsche mittheilt. Polak sagt : Die Schamhaare werden dem Ritualgesetz gemäss durch ein Präparat von Auripigment (zernich) und Kalk entfernt ; man nennt dies hadschebi keschidew, d. i. sich dem Gesetzlichen unterziehen ; elegante Frauen aber rupfen sich die Haare aus, bis endlich der Haarwuchs von selbst aufhört. " Petrus Bellonius erzählt, dass der Auripigmentverbrauch im Morgenlande in Folge dieser Sitte der Epilation ein so ungeheurer ist, dass der Pächter der Metallzölle dem türkischen Sultan einen Tribut von jährlich achtzehntausend Ducaten zu entrichten habe. Doch man darf nicht glauben, dass nur die eigentlichen Morgenländerinnen diese Sitte haben. So entfernen auch an der Guinea- Küste die jungen und unverheiratheten Negerinnen nach Monrad die Haare in der Gegend der Geschlechtstheile ; wenn sie aber in den Stand der Ehe treten, so lassen sie die Haare naturgemäss wachsen. In Niederländisch Indien pflegen die Weiber malayischer Rasse, wie Epp versichert, sich die Schamhaare auszureissen, so dass bei ihnen der Mons Veneris ganz kahl erscheint. Das bestätigte auch die eine der oben erwähnten Photographien der Berliner anthropologischen Gesellschaft. Die anderen aber lieferten den Beweis, dass diese Enthaarung Ploss , Das Weih. I. 3. Aufl. !! 162 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. nicht als allgemeine Sitte angesehen werden kann, wie auch die daselbst lebenden Chinesinnen sich diesen Gebrauch nicht angeeignet haben. Aber bei den Batta auf Borneo werden nach Hagen bei dem weiblichen Geschlechte die Schamhaare ausgerissen und abrasirt, sobald sie sich zeigen . Auch in verschiedenen Ländern des eigentlichen Indien ist die absichtliche Entfernung der Schamhaare bei den Frauen ganz allgemeine 00 Fig. 41. Indische Daumenringe (ârsi) , zur Epilation benutzt. (Nach Photographie. ) Sitte. Sie bedienen sich dazu, wie Jagor dem Herausgeber mittheilte, ganz besonderer Ringe, von denen das kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin durch den genannten Reisenden einige Exemplare erhalten hat. (Fig. 41.) Sie werden. ausschliesslich zu dem angegebenen Zwecke benutzt und, wenn sie in Function treten sollen, auf dem Daumen getragen. Man kann sie in ihrem Aussehen am ersten mit einem sehr grossen Siegelringe vergleichen, da sie oben mit einer grossen, platten Scheibe versehen sind. Dieselbe trägt von zierlich durchbrochenem Rande umgeben einen kleinen Spiegel, welcher bei den Manipulationen einerseits wirklich zum Bespiegeln der Schamtheile, andererseits zum Reflectiren des Lichtes auf diese etwas versteckten Regionen benutzt wird. Mit dem ziemlich scharfen Rande des Ringes sollen dann die Schamhaare direct entfernt werden. Der indische Name dieser Epilationsringe ist ârsî. Im Grossen und Allgemeinen macht es den Eindruck, als ob die Epilation mit Vorliebe von solchen Völkern ausgeübt wird, welche von Natur eine nur geringe und dürftige Behaarung der Schamtheile besitzen, ganz ähnlich wie sich solche Völker rasiren, welche kümmerliche Bärte haben. Die scheinbaren Ausnahmen hiervon sind wohl dadurch bedingt, dass die absichtliche Enthaarung, einmal zur rituellen Operation erhoben, nun auch von allen bekehrten Nationen angenommen werden musste. Wenn ich oben sagte, dass die Epilation der Schamhaare bei Frauen im Orient ein Brauch strenggläubiger Mohamedaner sei, so muss ich doch auch anführen, dass schon längst vor Mohamed viele Orientalinnen denselben Brauch übten ; es liegt hier wieder ein Beispiel dafür vor, dass die Völker geneigt sind, die von ihren Voreltern überkommenen Sitten gleichsam zu religiösen Handlungen werden zu lassen. Aus Asien und Aegypten ging schon in alter Zeit dieser Volksbrauch erst nach Griechenland und dann auch Italien über. Obgleich die Epilation von den griechischen Frauen ebenfalls angenommen zu sein scheint (Aristophanes¹ ). So waren es doch vorzüglich die Hetären und Lustdirnen ( Aristophanes²) überhaupt, welche dieselbe an sich vornahmen. Eben dieses Verhältniss mochte in Rom stattgefunden haben (Martial) , wo die älteren Frauen die Entfernung der Haare an den Genitalien als ein Mittel brauchten, ihr Alter zu verbergen. Mehrere Autoren bezeugen; dass die Sitte sich in Italien bis auf die neueren Zeiten erhalten hat ; sie scheint daselbst noch der Reinlichkeit wegen, sowie insbesondere zum Schutz gegen Ungeziefer vorgenommen zu werden. (Rosenbaum .) Der bekannte Nestor der deutschen Gelehrten in Süd- Amerika, Rudolph A. Philippi in Santiago , hatte die grosse Freundlichkeit, über diesen Punkt in Bezug auf die Chileninnen für den Herausgeber Er- · 39. Der Mons Veneris in ethnographischer Beziehung. 163 kundigungen einzuziehen. Dieselben haben ergeben, dass die Epilation geübt wird, aber keineswegs als durchgehende Sitte, sondern, wie es den Anschein hat, nur in gewissen, nicht sehr gebildeten Schichten der Bevölkerung. Wir haben noch einen zweiten kosmetischen Gebrauch unseren Betrachtungen zu unterziehen, welcher ebenfalls an dem Mons Veneris bei einzelnen Volksstämmen zur Ausübung kommt, das ist die Tättowirung dieser Körpergegend. So weit unsere jetzige Kenntniss reicht, findet dieselbe nur auf gewissen Inselgruppen der Südsee statt. Wir besitzen darüber von den beiden bekannten Südsee- Reisenden Finsch und Kubary eingehendere Berichte. , Wie es scheint, sagt Finsch¹, hängt in dem kleinen Gebiete von Hood - Bai auf Neu- Guinea die Tättowirung der Schamtheile mit vollendeter Reife zusammen, aber ich habe mir in diesem heiklen Capitel nicht aus eigener Anschauung Gewissheit verschaffen können. “ Die Tättowirung der Mädchen auf Ponape ist nach Kubarys eine sehr ausgedehnte. Sie wird im 7. -8. Jahre angefangen. Gegen das 12. Jahr wird der Unterleib und die Hüften in Angriff genommen. „ Die Bedeckung der Schamtheile wird so sorgfältig ausgeführt, dass die Fig. 42. Scham- Tättowirung Zeichnung sich auf die Labia majora wie auch einer Ponapesin. (Nach Finsch¹ ) auf den Meatus vaginae erstreckt. " Von den Pelau- Inseln berichtet Kubarys : „ Sobald das Mädchen Umgang mit Männern pflegt, trachtet sie die unentbehrliche telengékel-Tättowirung zu erwerben, weil ohne diese kein Mann sie ansehen würde. Dieselbe besteht aus einem den Mons Veneris ausfüllenden Dreiecke , dessen äusserer Umriss aus der einfachen gréel- Linie (gerade Linie) besteht. Der innere Raum wird dann ogúttum, d . i . gleichmässig schwarz ausgefüllt , und die nach oben gerichtete Basis des Dreiecks erhält eine blásak-Umsäumung ( Zickzacklinie) . “ Die Tättowirung der Frauen auf den NukuoroInseln beschränkt sich nach Kubary³ nur auf den Schamhügel und besteht aus einem einfachen unausgefüllten Dreiecke, dessen zwei Seiten schraffirt sind und über dessen nach oben gerichteter Basis sich eine einfache, an beiden Enden mit Widerhaken versehene Linie befindet. ,,Trotz der Beschränktheit der nukuorschen Tättowirung ist ihre Bedeutung bei den Frauen eine hervorragende, wie man schon aus dem Umstande, dass alle von nicht tättowirten Frauen geborenen Kinder getödtet werden, schliessen darf. Sie bildet da Abzeichen der Reife und des Eintretens in die Gemeinschaft der übrigen Frauen, und wird auch deshalb in Gesellschaft ausgeführt, einen hervorragenden Theil der Festlichkeiten der takotona- Zeit bildend. " wirung einer Pelau- Es kann für mich keinem Zweifel unterliegen, Fig. 43. Scham - Tättodass der ursprüngliche Sinn dieser Tättowirungen darin gesucht werden muss, dass man bestrebt war, Insulanerin. (Nach Kubary³ .) 11 * 164 V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. die Nacktheit zu verdecken. Das spricht sich auch in den zuletzt erwähnten Anschauungen noch ganz deutlich aus. Denn nur bei den erFig. 44. towirung Scham- Tät - einer Nukuoro- Insulanerin. (Nach Kubary³.) wachsenen Menschen kann nach den Anschauungen. dieser Naturvölker von Nacktheit geredet werden. Die Nacktheit der Kinder ist etwas Selbstverständliches. Das Weib also, das sich der hergebrachten Sitte der Schamverhüllung durch die Tättowirung nicht fügt, erscheint ihnen noch als Kind ; dasselbe gilt daher nicht als ein reifes Weib und ihr Kind als etwas Unnatürliches, und aus diesem Grunde darf dasselbe nicht am Leben bleiben, weil alles Unnatürliche dem Stamme Schaden bringt. Wie sehr von niedrig stehenden Völkern alles Unnatürliche gefürchtet. wird, das beweist auch eine andere, auf unser Thema bezügliche Thatsache. Bei den Tungusen wird nach Georgi's Mittheilungen ein starker Haarwuchs an den Geschlechtstheilen für einen Misswachs angesehen, der nur durch die Einwirkung der bösen Geister entstanden sein könne. Aus diesem Grunde hat der Ehegatte auch das Recht, sich ohne Weiteres von einer derartig behaarten Frau scheiden zu lassen. Dass die Schamhaare auch einstmals ihre medicinische Bedeutung besassen, das erfahren wir aus dem Henricus ab Heer. Sie wurden von den Feldscheerern benutzt, um Blutungen zu stillen, indem sie mit gewissen Stoffen gemischt dem Kranken vor die Nase gehalten wurden. Sie konnten Männern aber nur Hülfe bringen, wenn sie von Weibern stammten, und umgekehrt. Noch andere sympathetische Wirkungen sehen wir die Schamhaare auf einigen Inseln des alfurischen Archipels ausüben. Auf Serang , Eetar und den Ewabu- Inseln geben nach Riedel¹ die Mädchen dem Auserwählten ihres Herzens als Liebespfand einige ihrer Kopf- und Schamhaare. Das soll ein sicheres Mittel sein, um ihn treu und beständig zu erhalten . Es kann uns nicht verwundern, dass man die Kraft, die Liebe zu erhalten, gerade einem Theile von jenen Organen zutraut, wo schliesslich die Liebe perfect wird. Verwunderlicher ist es, dass die Schamhaare auch den Einfluss böser Geister abzuwehren vermögen. Dieses berichtet Ribbe von den Aru- Inseln : „་ ་ Um den Hals werden von Männern, Weibern und Kindern Amulette getragen, die gegen böse Geister, gegen Krankheiten schützen sollen ; sie bestehen aus kleinen , an Schnüren befestigten Säckchen, in welchen sich irgend ein als Pomali [identisch mit tabu] betrachteter Gegenstand befindet, z. B. merkwürdig geformte Steine, Perlen, Magensteine von Thieren, Schamhaare von Frauen u. s. w. " Hierbei müssen wir uns erinnern, dass das Entblössen der Geschlechtstheile bei vielen Völkern als ein unfehlbares Mittel angesehen wird, um die Dämonen zu verscheuchen, wie ja ganz ähnlich sogar noch Martin Luther sich des ihn in der Nacht belästigenden Teufels nicht anders zu erwehren vermochte, als dass er ihm das entblösste Hintertheil zu dem Bett herausstreckte. Und dass nun in dem uns vorliegenden Falle dem einzelnen Theile die gleiche Wirkung zukommt, wie dem Ganzen, das entspricht so recht den Anschauungen, wie wir sie bei Naturvölkern nicht allein, sondern auch noch bei niederen und manchmal selbst noch bei den höchsten Schichten unseres eigenen Volksstammes finden. Es ist einer der unendlich vielen Beweise, wie vielfache Berührungspunkte in dem menschlichen Denken der Völker auf den verschiedensten Entwickelungsstufen man bei einiger Aufmerksamkeit nachzuweisen vermag. VI. Die inneren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Beziehung. 40. Die Erkenntniss des anatomischen Baues der inneren weiblichen Geschlechtsorgane. Bei allen Völkerschaften, welche sich noch auf einer relativ niedrigen. Stufe der Culturentwickelung befinden , werden wir selbstverständlich nur höchst geringe oder gar keine Kenntnisse von dem anatomischen Bau der inneren Organe vorauszusetzen vermögen. Wenn sich aber überhaupt etwas derartiges bei ihnen vorfindet, so können sie ihr Wissen nur durch gelegentliche Erfahrungen an Thieren erworben haben, wie sie beim Zerlegen des Schlacht- und Opferviehes oder beim Zerstückeln der Jagdbeute gemacht werden, und man wird dann nicht selten sofort in ihren Anschauungen erkennen, dass ihnen die analogen Erscheinungen und Formverhältnisse des thierischen Körpers vor Augen schweben. So sehen wir auch bei den alten Griechen und Römern die anatomischen Kenntnisse der weiblichen Unterleibsorgane sehr im Argen liegen. Das kann uns auch garnicht verwundern, denn es war bei ihnen bekanntermaassen nicht Gebrauch, an menschlichen Leichen. Untersuchungen anzustellen. Das geht auch aus den Beschreibungen hervor, welche Hippokrates von den weiblichen Sexualorganen giebt. Es ist danach gänzlich unmöglich, dass er dieselben jemals in Wirklichkeit gesehen habe. Auch er überträgt, wie man sofort erkennen kann, die Form und den Bau der betreffenden thierischen Organe ohne Weiteres auf den Menschen. Bei den Säugethieren nämlich findet sich im Allgemeinen die Gebärmutter, der sogenannte Fruchthalter, je nach der Thierspecies mehr oder weniger gespalten, oder, wie es mit dem fachmännischen Ausdrucke heisst, zweigetheilt, während die Gebärmutter des Menschen ein ungetheiltes Gebilde ist. Solchen thierischen Uterus bipartitus muss nun Hippokrates ? im Sinne gehabt haben, wenn er nicht von einer Gebärmutter, sondern nur von den Hörnern und Höhlen des Uterus redet. Die Eierstöcke sind ihm überhaupt vollständig unbekannt geblieben. Man hat allerdings den Versuch gemacht, nach einer in seinen Werken befindlichen Stelle, wo es heisst (in lateinischer Uebersetzung) vasa ad uterum plicantur, ihm die Kenntniss der Eierstöcke und der sich zu dem Uterus schlängelnden Eileiter zu vindiciren ; jedoch ist das wohl bei seiner höchst unzulänglichen Schilderung der anatomischen Verhältnisse mit Unrecht geschehen. In gleicher Weise berichtet auch Aristoteles nur nach den bei den Thieren gemachten Befunden. Rufus von Ephesus , welcher sich besonders die Thier- 166 VI. Die inneren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. untersuchungen des Herophilus zu Nutze machte, spricht gleichfalls immer nur von den Hörnern der Gebärmutter. Er unterscheidet aber an diesem Organe bereits den Fundus, das untere Ende, und den Cervix und das Collum ; auch hat er schon Kenntniss von der Existenz der Eileiter, deren eigentlicher Entdecker aber, wie Galenus berichtet, der zu Aristoteles' Zeiten. lebende Philotimos gewesen war. Sie geriethen übrigens wieder in Vergessenheit und sind dann erst im Jahre 1550 von dem italienischen Anatomen Falloppia von Neuem entdeckt und genauer beschrieben worden, und seinen Namen tragen sie noch heute. Das einzige Volk des Alterthums, dem man eine einigermaassen genauere Kenntniss der inneren Organe des menschlichen Körpers zutrauen kann, das sind die alten Aegypter, deren Einbalsamiren wohl manche günstige Gelegenheit zu anatomischen Beobachtungen geboten haben muss. In wie weit hiervon aber auch die ägyptischen Aerzte profitirt haben mögen, das entzieht sich wohl fast vollständig unserer Beurtheilung. Von dem bekannten Aegyptologen Georg Ebers erfuhr Ilennig¹ über die anatomischen Kenntnisse der alten Aegypter auf dem uns hier interessirenden Gebiete aus dem nach ihm benannten Papyrus Folgendes : Im Aegyptischen bedeutet das Wort matù, männlich gebraucht (koptisch oti) die Gebärmutter (uterus), dagegen weiblich gebraucht (auch oti) die Mutterscheide (vulva) . Ausserdem giebt es in jenem Papyrus auch eine Bezeichnung für die Gebärmutter : „ mut “ , worin Hennig¹ eine Analogie unserer Mutter", untro, mater finden will. So heisst eine Stelle : „ Arzneien, um die Mutter der Menschen einer Frau an ihre Stelle zurückzubringen. “ Die Eierstöcke heissen im Aegyptischen benti und werden durch die Dualform dieses Wortes, wie auch durch die ovalen übereinander geschriebenen Ringel deutlich bezeichnet, so kommen z . B. „ Recepte vom Nichtfallenlassen der Eierstöcke" vor. 99 Fast noch geringer als die anatomischen Kenntnisse der Griechen und Römer war auf unserem Gebiete das Wissen der Juden und ihrer Priesterärzte. Nach der Behauptung von Israëls sollen zwar die talmudischen Aerzte viele Obductionen vorgenommen haben. Trotzdem aber sind ihre Anschauungen doch nicht sehr tiefgehende. Israëls glaubt, dass sie die Nymphen und das Hymen erwähnen, die Schinaïn und das Tofifijoth ; aber von dem Bau der Gebärmutter wussten sie nicht sehr viel. Sie unterschieden an derselben ein Vestibulum (das Collum) und ein Coenaculum (die Vasa spermatica) ; die Vagina war nach ihrem Ausdruck der Domus externus, ubi minister conculcat. Eine Schlussfolgerung von den Sectionen der Thiere auf die Körperbildungen der Menschen zu ziehen, gestatteten die Rabbiner nicht. Zuerst war es Soranus, welcher genau die Gebärmutter von der Scheide trennt ; dabei beruft er sich auf die von ihm selbst vorgenommenen Sectionen von Leichen. Nach ihm hat die Gebärmutter des Weibes die Form eines Schröpfkopfes und keineswegs die Gestalt wie bei den Thieren ; er unterscheidet an ihr Hals, Nacken, Stiel, die Flügel, die Seiten und den Grund. Den Muttermund beschreibt er genau und sagt, dass der Uterus aus zwei Membranen besteht. Aus den Vasa spermatica so versteht Hennig die betr. Stelle streben je eine Arterie und eine Vene nach den Eierstöcken, und neben ihnen hebt sich jederseits vom Uterus ein dünner Gang heraus, der als Eileiter anzusprechen ist. Der Lateiner Muscio, genannt Moschion, der später, vielleicht erst im 6. Jahrhundert, in Rom lebte und ein compilatorisches Hebammenbuch verfasste, schliesst sich dem Soranus fast 0. Die Erkenntniss des anatomischen Baues der inneren weiblichen Geschlechtsorgane. 167 vollständig an, indem er Uterus und Vagina unterscheidet. *) In diesem Lehrbuch ist vom Bau der Sexualorgane alles dasjenige gelehrt, was die damaligen Aerzte bei ihren anatomischen Kenntnissen wussten. Dann geht Galenus wieder auf die den Thieren ähnliche doppelhörnige Gebärmutter zurück, und bei Oribasius finden wir dieselbe Ansicht, ebenso wie bei dem im Jahre 980 in Persien geborenen arabischen Arzte Avicenna. 1 Wenn dann Hennig sagt: „Einen grossen Zwischenraum überschreitend , treffen wir erst wieder bei Vesal eine auf den Soranus- Moschion'schen Stand aufgebaute verbesserte und vermehrte Auflage der Abbildung von den inneren Zeugungstheilen, " so müssen wir diesen Satz als auf der falschen Annahme beruhend bezeichnen , dass die in den Moschion- Ausgaben gefundenen Bilder der inneren Geschlechtsorgane von Moschion selbst herrühren . Es können erst die im 16. Jahrhundert von Vesalius gezeichneten Bilder als einigermaassen naturgetreu bezeichnet werden. Im Allgemeinen ist auch das von Plater (im 16. Jahrhundert) angefertigte Bild ziemlich ähnlich dem von Vesalius gelieferten, nur sind die von Falloppia 1550 genauer beschriebenen Eileiter etwas anders, doch noch immer nicht genau genug gezeichnet. Aus Susrutas' Ayurveda erfahren wir sehr wenig darüber, wie sich die indischen Aerzte die weiblichen Genitalien zusammengesetzt dachten. In Hessler's lateinischer Ausgabe dieses Buches ist Nichts enthalten, was über die Anatomie und Physiologie der Schwangerschaft Aufschluss geben könnte. Zu der Stelle, wo die Gebärmutterkrankheiten besprochen werden, bemerkt Hessler: Vocabulum yoni non secus uterum , ac vulvam significat ; designat igitur omnes partes genitales muliebres, quae ad coitum, conceptionem, graviditatem et partum pertinent. " In dem oben bereits citirten Tamil- Buche Kokkôgam werden gewisse Unterschiede in der Tiefe der Geschlechtstheile der Weiber constatirt und diese letzteren hiernach in drei Gruppen eingetheilt. Von diesem Gesichtspunkte aus giebt es drei Arten von Weibern, nämlich die Gazellenweibchen , deren Geschlechtstheil eine Tiefe von 6 Daumenbreiten besitzt, ferner die Stuten mit 9 Daumenbreiten Tiefe und endlich die Elefantenweibchen mit 12 Daumenbreiten Tiefe. Ihnen entsprechen übrigens drei Arten der Männer, die Hasen, die Stiere und die Hengste , deren Penis ebenfalls 6 oder 9 oder 12 Daumenbreiten misst. Die Anhänger des Buddha berichten von der Erzeugung desselben : Wie im Schatzkästlein das Juwel, so liegt das Kind im Leib der Mutter immer auf der rechten Seite desselben, unberührt von den Absonderungen und fleischlichen Unreinigkeiten des Schoosses. " Nach dieser buddhistischen Legende zu urtheilen, darf man wenig Bekanntschaft mit der Lage der Gebärmutter voraussetzen . Die japanischen Geburtshelfer , insbesondere ihr Lehrmeister Kangawa, der in den Jahren 1750-1760 sein berühmtes Werk schrieb, hatten, bevor sie von europäischen Aerzten genauere Kenntniss über den Bau des Körpers erhielten, noch sehr unvollkommenes Wissen von den anatomischen Theilen , welche für die Geburtshülfe wichtig sind. Eine

  • ) Valentin Rose wies in seiner Ausgabe des Soranus ( Leipzig 1882) nach, dass

Moschion (eigentlich Muscio) dem Soranus und anderen Schriftstellern nur nachgeschrieben hat ; das lat. Original des Moschion wurde im 15. Jahrh. in das Griechische übersetzt, und hier wurden jedenfalls auch die Abbildungen der inneren weibl . Geschlechtstheile hinzugefügt, die sich dann in der von Dewez besorgten Ausgabe der Schrift Moschion's wiederfinden . Diese Bücher stimmen in der Hauptsache mit denjenigen überein , welche wir beispielsweise bei Rueff (Ein schön lustig Trostbüchle etc. 1554) finden , welche also dem damaligen Standpunkte der anatomischen Kenntnisse entsprechen. 168 VI. Die inneren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. genauere Kenntniss von der Gebärmutter verräth dieses San-ron betitelte Werk nicht. Als die hierher gehörenden Theile bezeichnen sie folgende : 1. Das Hüftbein (ganzes Becken) ; den Theil desselben , welcher quer läuft und unter dem Nabel steht, nennt man Querbein (offenbar kein bestimmter anatomischer Begriff) . Der andere Theil des Hüftbeins geht nach unten und vereinigt sich von beiden Seiten mitten zwischen beiden Schenkeln. Dieser Theil heisst das vereinigende Bein (hiermit ist offenbar die Symphysis gemeint) . 2. An dieser Stelle giebt es einen Zwischenraum, E- in* ) ( d . i . das Perinaeum) ; derselbe ist beim Manne 3 Bu ( 0,024 englische Fuss) **) breit, bei der Frau 5 Bu ( 0,040 engl. Fuss) , so lange sie nicht geboren hat, nach der ersten Geburt wird er über 1 Sun (0,08 engl. Fuss) breit. 3. Vor dem vereinigenden Bein liegt die Scham, dahinter der Anus ; dringt man 4 Sun ( 0,32 engl. Fuss) in die Scham, so findet man oberhalb des Anus die Gebärmutter ; ihre Länge ist 8 Sun (0,64 engl . Fuss ) ; ihr Mund ist nach hinten gerichtet und liegt gerade in der Höhe des unteren Randes des Querbeins. Was die Kenntniss betrifft, welche die Chinesen von den weiblichen Genitalien haben, so steht dieselbe auf einer sehr niederen Stufe. Vom Becken und seiner Anatomie, obgleich doch die Gestalt desselben so wichtig für den Geburtsmechanismus ist, scheinen sie wenig oder nichts zu wissen ; denn in den mit anatomischen Bildern reichlich verzierten medicinischen Werken der Chinesen hat man die Abbildung eines Beckens noch nicht finden können. Dahingegen enthalten einzelne chinesische Abhandlungen über Geburtshülfe Beschreibungen der inneren Geschlechtstheile, wobei man leicht die Scheide und die Gebärmutter unterscheiden kann : ähnlich (wie die Beschreibung lautet) einer Nenuphar-Blüthe, die auf ihrem Stengel sitzt". Allein man kann in der Beschreibung weder die Eileiter, noch die Eierstöcke wiedererkennen , auch erfährt man nicht, ob der Verfasser von ihrer Bedeutung überhaupt eine Vorstellung hat. 41. Die Gebärmutter in anthropologischer Beziehung. Ob bei dem Bau und den Formverhältnissen der inneren Geschlechtsorgane in Wahrheit Rassenunterschiede bestehen, das muss bis jetzt noch als sehr fraglich hingestellt werden. Gewisse auffallende Formen wurden allerdings bereits gefunden, es bedarf jedoch erst noch der Bestätigung, ob dieselben als Eigenthümlichkeit der Rasse, oder als Folge der individuellenLebensweise aufgefasst werden müssen. Sehr bedeutend werden wahrscheinlich die Differenzen unter den Rassen nicht sein. So fand Pruner- Bey bei den Negerinnen den Hals des Uterus dick und verlängert. Der Eingang der Vagina besitzt nach de Rochebrune bei der Woloffen - Frau eine besondere Engigkeit, sowie eine auffallende Rigidität. Ihre mittlere Tiefe beträgt 0,160 m; ihre Färbung ist graubraun. Der Hals des Uterus ist birnförmig, eng wie ein Schleienmaul, charakterisirt besonders durch seine

  • ) In beschatteter Theil ; E heisst der Punkt, an welchem sich die Miyaku's vereinigen ; die drei Miyaku's sind drei grosse Adern, von denen die eine auf der Vorderseite, die zweite auf der Rückseite die Mitte des Körpers hinabläuft, die dritte quer über

den Damm in beide Beine läuft. Sie sind , wie alle dergleichen Bestimmungen, Resultat der Speculation und entsprechen keinem anatomischen Begriffe.

    • ) Das gewöhnlich gebräuchliche Längenmaass ist der Shiaku, der in 10 Sun und

100 Bu getheilt ist . Der im gewöhnlichen Handwerkergebrauche benutzte ist so ziemlich dem englischen Fuss gleich. Der in der Geburtshülfe gebräuchliche Shiaku ist dagegen nur 0,5 engl. Fuss lang , also der Sun 0,08 , der Bu 0,008 engl. Fuss. 41. Die Gebärmutter in anthropologischer Beziehung. 169 Länge und die Stellung des Orificium nach vorn ; man würde unter solchen Verhältnissen bei der Europäerin nach de Rochebrune's Ansicht bereits einen beginnenden Prolapsus diagnosticiren. Pruner-Bey hatte gesagt: „, Chez la négresse le col de la matrice est gros et allonge. " De Rochebrune weist nun aber die Anschauung zurück, dass diese Gestaltung ein ethnographisches Merkmal sei . Vielmehr ist diese Form, die bei der Europäerin als eine pathologische aufgefasst werden müsste, bei der Woloffin nur insofern physiologisch, als sie in Folge der von Jugend an geführten Lebensweise entsteht ; sie ist ein Ergebniss des Klimas, der Nahrung, des Tanzens und der Menstruation ; de Rochebrune geht die Wirkung dieser Einflüsse im Einzelnen durch. Die Durchschnittsverhältnisse des Mutterhalses sind nach ihm folgende : bei der Europäerin 0,017 m Länge, 0,031 m Durchmesser, "" Woloffin 0.044 99 99 0,019 „, 99 Man darf also nicht sogleich annehmen, dass diese Verlängerung des Collum uteri ein Rassen- Merkmal ist ; sie kann durch mannigfache Einflüsse bedingt sein : durch das die Gewebe erschlaffende Klima, durch die specifische Ernährung des Körpers u . s . w. ist vielleicht eine Disposition vorhanden, und hierdurch begünstigt kann die Gestalt- und Lageveränderung des Uterus leicht bei übermässigem Tanzen und anderen Leistungen des Körpers (Tragen schwerer Lasten), besonders zur Zeit des Menstrualflusses, entstehen. Unter ähnlichen Lebensverhältnissen soll bei Creolen , Hulies u . s . w. eine gleiche Beschaffenheit des Uterus vorkommen, und St. Vel berichtet, dass eine einfache hypertrophische Verlängerung des Mutterhalses auch auf den Antillen unter älteren Weibern beobachtet wird, welche den verschiedenen Klassen der Bevölkerung angehören, aber nach mehreren Geburten durch schwere Arbeit überlastet wurden. Ebenso fraglich ist, ob der Bau des Uterus, welchen Görtz bei dem Buschweibe Afandi vorfand, ein Merkmal der Rasse, oder eine zufällige Besonderheit des Individuums ist. Diese Frau, die etwa 38 Jahre alt verstorben war und 3 Kinder geboren haben soll , zeigte bei der Section einen Uterus, dessen Bau Görtz als plump bezeichnet ; der Fundus war convex, die Fläche des Körpers stark gewölbt, die Vaginalportion kurz, cylindrisch, der äussere Muttermund liess bequem einen Gänsefederkiel durchtreten , die Lippen waren dick, aber weder gekerbt, noch narbig eingezogen , die Maasse übertrafen nicht diejenigen einer Gebärmutter bei einer jugendlichen Europäerin. Die inneren Genitalien der jüngeren Feuerländerin boten folgende Eigenthümlichkeiten : Die Portio vaginalis Uteri tritt an dem Scheidengewölbe nur mit der hinteren Muttermundslippe hervor, die vordere ist ganz verstrichen. Der Muttermund bildet eine etwa 12 mmlange quere Spalte, steht zwar ziemlich weit auf, hat aber keine Einrisse oder Narben, so dass diese Person wohl gewiss keine reife Frucht geboren hat. Der Uterus hat einen Längendurchmesser von 8 cm, einen Querdurchmesser von 5,5 cm, einen Dickendurchmesser von 3 cm, ist im Allgemeinen etwas platt und ein wenig schief gestaltet. An den Eierstöcken fanden sich alte membranöse Exsudationen und Verwachsungen. Diese Theile und die Eierstöcke zeigten die gewöhnliche Beschaffenheit. Der Constrictor cunni ist nur schwach, der Bulbus vestibuli im gewöhnlichen Grade entwickelt. 170 VI. Die inneren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. 42. Die Gebärmutter im Volksglauben. Die Kenntniss der uncivilisirten Völker von der Bedeutung der Gebärmutter beschränkt sich auf nur Weniges. Von einer Frau, welche unfruchtbar ist und deren Menses fehlen, meinen nach Bertherand die Araber in Algerien , dass ihre Gebärmutter verschlossen sei, und dass es dagegen kein Mittel gebe; sie sagen : „ Gott weiss es allein " , um damit anzudeuten , dass Nichts zu thun sei. Bei vielen Völkern aber kommt die in so mannigfachen Formen auftretende Nervenkrankheit, die Hysterie . vor, welche man mit mehr oder weniger Recht in Zusammenhang mit Erkrankungen der Genitalorgane brachte. Zumeist freilich hält man bei rohen Völkerschaften die Hysterische, wie überhaupt fast alle Kranken mit nervösen Erscheinungen, für „ Besessene". Ist beispielsweise eine Frau in der Nayer - Kaste in Indien hysterisch oder leidet sie an Krämpfen, so gilt sie für besessen, und man wendet sich an den Bhuta- Priester, damit er den Bhuta (Dämon) in den Leib eines anderen Menschen oder Thieres treibe, oder ihn zwinge, durch den Mund des Besessenen zu sprechen, wahrzusagen und die Ursache der Krankheit und auch das Heilverfahren (hauptsächlich Spenden an den Priester) anzugeben. (Jagor.2) Diese Austreibung des Dämons aus Hysterischen, Kataleptischen und Epileptischen wird ungemein verbreitet auch bei uns im Volke bis in neuere Zeit gefunden. Allein hier und da dämmert doch auch die Ahnung eines von der Gebärmutter ausgehenden Nerven- Reflexes bei hysterischen Leiden auf, allerdings in einer merkwürdig phantastischen Gestalt, die vielleicht auf sehr alte Zeit zurückweist. Merkwürdig ist die Thatsache, dass sowohl bei einzelnen Völkern wie auch noch in den niederen Bevölkerungsschichten der Jetztzeit die Meinung vorkommt, die Gebärmutter sei ein lebendiges Thier. Im alten Rom sah sich der Arzt Soranus schon veranlasst, solcher Meinung entgegenzutreten. Auch der griechische Philosoph Plato (Kleinwaechter) sah den Uterus für ein nach Befruchtung begehrliches Thier an, welches, wenn seine Begierde nicht befriedigt wird, sich ungehalten zeigt und im Körper herumzuwandern beginnt, wodurch es die Wege der Lebensgeister und der Respiration verlegt. Die Folgen davon sind schweres Angstgefühl und zahlreiche Krankheiten . Gleiche Ansichten herrschten zu Aristoteles' und Actuarius' Zeit, sowie lange später noch. Aretäus sagt : „ In der Mitte zwischen beiden Flanken liegt beim Weibe der Uterus, ein weibliches Eingeweide, welches vollständig einem Thiere gleicht, denn es bewegt sich in den Flanken hin und her. Die Gebärmutter ergötzt sich an angenehmen Gerüchen und nähert sich denselben, während sie vor üblen zurückweicht. Sie gleicht daher einem Thiere und ist auch ein solches. " Dieser Auffassung zufolge bestand die Behandlung der Hysterie namentlich darin, die Gebärmutter durch angenehm riechende Mittel heranzulocken oder durch üble Gerüche zu verscheuchen. Auch Hippokrates spricht von Wanderungen, von Ab- und Aufsteigen der Gebärmutter, und seine Heilmethode gegen die damit verknüpften Leiden besteht namentlich in Räucherungen, aromatischen Injectionen u. s. w. Erst Galenus verwirft die Annahme einer Wanderung der Gebärmutter, befolgt jedoch die Therapie des Hippokrates, während Soranus sowohl die Theorie als auch die Behandlung desselben ablehnt. In Deutschland und in den österreichischen Alpen hat sich von Alters her der Volksglaube viel mit den Verhältnissen des weiblichen Unterleibes beschäftigt, und namentlich werden die mannigfachen Erscheinungen 42. Die Gebärmutter im Volksglauben. 171 der Hysterie der 99 Mutter" in die Schuhe geschoben. Führte dieselbe doch lange Zeit geradezu den Namen Muttersucht, und in Steyermark wird nach Fossel der sogenannte Globus hystericus noch heutigen Tages als die Hebmutter bezeichnet. In Tölz sagt man nach Hoefler: „ Die Bärmutter ist ihr steigend worden. " Aber auch hier begegnen wir wiederum ganz allgemein der Anschauung, dass die Gebärmutter ein im Körper des Weibes lebendes Thier sei, welches schlagen, beissen, und hin und her zu kriechen vermag. Ihr Name ist die Mutter (Muata) oder die Bärmutter (Bermutter) . Die Bewohner des Ennsthales in der Gegend von Admont sagen: ,,Wann d'Muata aus'n Häusl is, hilft nix besser als d'Muata fuatern. " Dieses Futtern der Gebärmutter geschieht nach Fossel in folgender Weise: Man nimmt Rossmünze (Mentha silvestris), Hirschhorngeist, Honig, Muscatnuss und Katzenschmalz, vermengt es und thut alles in eine Nussschale, formt darauf aus einem dünnen Wachskerzchen ein Kränzchen, klebt auf demselben drei Wachskerzen aufrechtstehend an und zündet, indem man die Nussschale inmitten des Kränzchens auf den Nabel der Kranken legt, die drei Kerzen an. Während dieser geistvollen Procedur kehrt die Muata in ihr Häusl zurück und die Kranke ist genesen. 99 wwwwwwwwwwwwww ... Solche Im Aufkirchner Mirakel heisst es : „Die N. N. hat die Bermuttter geschlagen. " Und nach dem Fürstenfelder Mirakel hat „ Hansens Biberger's Tochter die Bärmutter die ganzen Tage ohne Aufhören gebissen , bis sie sich mit einer wächsenen Bärmutter allhier verlobt. " wächsernen Muttern haben die Gestalt einer Kröte mit kurzen gespreizten Beinen. An ihrem Hintertheile ist, wie an manchen Urnen, ein kleiner, runder, fussartiger Ansatz, damit sie aufrecht hingestellt werden können ; ausserdem aber tragen sie eine schmale seidene Schnur um den Hals, um das Aufhängen bei dem Gnadenbilde zu ermöglichen. Herausgeber hat im Sommer 1890 bei einem Wachszieher in Salzburg solch eine Votivkröte erwerben können, die in dem Kapitel über die Unfruchtbarkeit abgebildet ist. Derartige Wachskröten sollen übrigens in ganz Oberbayern und Tyrol zu haben sein, und in der Kirche in Kufstein fand er eine unter anderen wächsernen menschlichen Gliedmaassen an einem Altarbilde aufgehängt. Auch eiserne Votivkröten kommen bisweilen vor. Eine solche eiserne Krötenfigur befindet sich im Wiesbadener Museum ( Fig. 45) ; sie ist von durchschnittlich 1 cm dickem Eisen, nicht getrieben, sondern geschmiedet und die Verzierungen eingepunzt. Nach dem Volksglauben kriecht die „ Bermutter" als Kröte aus dem Munde heraus, um sich zu baden, und kehrt zurück, während die Kranke schläft ; dann folgt Genesung (Handelmann) . Hat aber die Frau indessen den Mund geschlossen, so kann sie, wie wir später sehen werden, nicht wieder zurück, und in diesem Falle wird die Frau unfruchtbar. Fig. 45. Eisernes Votivbild in Krötengestalt, die Gebärmutter darstellend. (Museum zu Wiesbaden. ) (Nach Handelmann. ) Warum es nun gerade die Kröte ist, mit welcher der Volksglaube die Gebärmutter identificirt hat, das ist nicht so ohne Weiteres zu verstehen. Dass eine oberflächliche Aehnlichkeit des platten, dicken Uterus mit dem 172 VI. Die inneren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht. genannten Thiere hierzu die Veranlassung gegeben haben sollte, das ist doch in hohem Grade unwahrscheinlich, da man nicht recht einzusehen vermag, wo denn dem Volke sich die Gelegenheit geboten haben sollte, eine menschliche Gebärmutter in natura zu sehen. Auch Panzer's Erklärung will uns nicht erheblich fördern ; er ist der Meinung, dass die Krankheit, d. h. die Hysterie, wie das Hin- und Herkriechen einer Kröte empfunden würde. Es bleibt uns für das Erste nichts Anderes übrig, als die Thatsache hinzunehmen und eine befriedigende Erklärung der Zukunft zu überlassen. Auch auf den Serang- oder Nusaina- Inseln im malayischen Archipel wird nach Riedel¹ der Uterus als ein lebendes, mit der Frau nicht zusammenhängendes Wesen betrachtet, das, wenn die Frau nicht krank werden und ihr Körper sich ordentlich entwickeln soll, fortdauernd mit Sperma genitale gefüttert werden muss. Das erinnert an einen Ausspruch des weisen Salomo (Sprüche 30, 15. 16) : Drei Dinge sind nicht zu sättigen, und das vierte spricht nicht : es ist genug. Die Hölle, der Frauen verschlossene Mutter, die Erde wird nicht Wasser satt, und das Feuer spricht nicht, es ist genug. " Votivgaben und zwar solche, welche figürlich die erkrankten Theile des Körpers darstellten, wurden schon bei den Griechen (vergl. Palma di Cesnola's Ausgrabungen auf Cypern) und Römern in den Tempeln der Götter dargebracht, welchen man einen Einfluss auf die Heilung zuschrieb. So haben erst ganz neuerdings die in Rom im Tiber 1890 vorgenommenen Baggerarbeiten die hinabgestürzte Cella des alten Aesculap-Tempels getroffen und mehrfach menschliche Körpertheile in gebranntem Thon zu Tage gefördert. Schon an sich ist diese Thatsache als Zeichen ähnlicher psychologischer Richtung im Völkerleben von Wichtigkeit ; besonders aber zeigt sich eine Uebereinstimmung in dem Brauche, dass die Frauen die Bilder krankhaft veränderter Sexualorgane aufgestellt haben. Fig. 46. Votivfigur aus ge- branntem Thon einer Skizze des Herausgebers ). So deutet Neugebauer ein im Nationalmuseum zu Neapel aufbewahrtes Exemplar aus Terracotta, das in Pompeji ausgegraben wurde. Er ist der Meinung, dass dasselbe eine vorgefallene und mit der gefalteten und umgestülpten Scheidenschleimhaut überkleidete Gebärmutter darstellt. Auch das Museo archeologico in Florenz ( im Museo archeologico in Florenz) besitzt derartige Votivstücke in blassröthlichem gedie Gebärmutter darstellend ( nach brannten Thon, unter denen besonders eins von ungefähr 2 Fuss Höhe ganz deutlich die Vulva, den Nabel und dazwischen in einer ovalen, flachen Vertiefung den quergerunzelten Uterus mit der Scheidenportion und dem Muttermunde erkennen lässt. Absichtliche Lageveränderungen der Gebärmutter werden in Niederländisch-Indien und bei den Munda- Kohls vorgenommen ; wir kommen in einem späteren Capitel noch darauf zurück. 43. Die Eierstöcke und die Ovariotomie. 173 43. Die Eierstöcke und die Ovariotomie. Die Bedeutung der Eierstöcke (Ovarien) als fruchtliefernder Organe ist manchen Völkern nicht unbekannt. Unter den Eingeborenen Ostindiens verstand man es, weibliche Castraten herzustellen, indem, ähnlich wie bei uns die Schweineschneider an Schweinen durch eine Operation die Eierstöcke entfernen , dort an Mädchen die Ovariotomie, wenn auch nur in roher Weise, ausgeführt wird. Von diesem vielleicht schon längst geübten Gebrauche berichtete Roberts. Auf welche Weise die Operation ausgeführt wurde, konnte er nicht ermitteln. Die von ihm untersuchten Personen waren ungefähr 25 Jahre alt, gross, muskulös und vollkommen gesund. Sie hatten keinen Busen und keine Warze (?) , auch keine Schambaare ; der Scheideneingang war vollkommen verschlossen und der Schambogen so enge, dass sich die aufsteigenden Aeste der Sitzbeine und die absteigenden der Schambeine fast berührten. Die ganze Gegend der Schamtheile zeigte keine Fettablagerung, ebenso wie die Hinterbacken nicht mehr, als bei Männern, während der übrige Körper hinreichend damit versehen war. Es war keine Spur einer Menstrualblutung oder einer deren Stelle vertretenden Blutung vorhanden, ebenso kein Geschlechtstrieb . Mit Recht wird darauf hingewiesen, dass diese Unglücklichen abermals den Beweis liefern, wie der ganze weibliche Habitus von den Eierstöcken abhängig ist. Man hat aus Stellen des Strabo und des Alexander ab Alexandro schliessen zu dürfen gemeint, dass auch die alten Lyder und Aegypter die Kunst verstanden, weibliche Eunuchen zu schaffen. d. h. den Frauen oder Mädchen die Ovarien zu exstirpiren (Morand, Hyrtl und Andere) . Allein dort handelte es sich vielmehr wohl nur um die Exstirpation der Clitoris, die jedenfalls schon in alter Zeit bei den Orientalen geübt worden war. Dagegen machte uns v. Miklucho- Maclay mit der Thatsache bekannt, dass eines der rohesten Völker, die Australier , die operative Entfernung der Eierstöcke üben, um den jungen Leuten eine specielle Art von Hetären zu schaffen, welche nie Mütter werden können. Diese Operation wird in einzelnen Gegenden Australiens von Zeit zu Zeit an jungen Mädchen. vorgenommen : am sogen. Parapitschuri - See fand ein Berichterstatter ein solches zwitterhaftes Mädchen mit knabenartigem Aussehen und mit länglichen Narben in der Leistengegend. Ein andermal sah der Naturforscher Mac Gillivray am Cap York ein eingeborenes Weib, dem man, wie die Narben zeigten, die Ovarien ausgeschnitten hatte ; man hatte dies gethan, weil sie stumm geboren war und man verhüten wollte, dass sie ebenfalls stumme Kinder zur Welt brächte. Eine ganz besondere Methode, die Eierstöcke functionsunfähig zu machen, versuchte man in der kleinen religiösen Secte, welche am Anfange des vorigen Jahrhunderts unter der Leitung der Eva v. Buttler in der Grafschaft Sayn- Wittgenstein ( Sassmannshausen) ihr Wesen trieb. Da jede gottesdienstliche Handlung mit fleischlicher Vermischung der Gemeindeglieder endete, so wurde der Versuch gemacht, Mädchen und Frauen. bei ihrer Aufnahme durch eine schmerzhafte und lebensgefährliche Operation der Zusammendrückung der Eierstöcke" für die Conception unfähig zu machen, was aber nicht in allen Fällen mit dem gewünschten Erfolge gekrönt gewesen ist ( Christiany). VII. Die Weiberbrust. 44. Die Weiberbrust in ihrer Rassengestaltung. In den Gesängen der alten und neueren Dichter eines jeden Volkes, namentlich aber in denjenigen der Orientalen und Inder , wird die Form der Brust eines schönen Mädchens Fig. 47. Zulu - Frau Mulattin ? ) , im Anzug mit hochgeschobenen Brüsten . (Nach Photographie.) stets mit hoher Begeisterung und mit Worten geschildert, welche durch sinnliche Vergleichung den unaussprechlichen Reiz der schönen Erscheinung empfinden lassen sollen . Wir können an solchen Schilderungen ermessen, welche ästhetischen Anforderungen je nach der Geschmacksrichtung der Völker an die Gestaltung einer idealen Weiberbrust gestellt werden. Uns liegt nun aber daran, vom naturhistorischen Standpunkte aus festzustellen, wie sich thatsächlich bei den verschiedenen Menschenrassen und Volksstämmen die Brüste in ihrer Entwickelung, Form, Thätigkeit und Rückbildung, sowie bei einer eigenthümlichen Behandlung verhalten. Man hat lange versäumt , diesem Gegenstande nach den hier angedeuteten Richtungen hin die rechte. Beachtung zu schenken ; insbesondere schien es auch schwer, durch eine blosse Beschreibung der Gestaltung deutlich zu werden. (Ploss 12.) Einen Versuch, die typischen Gestaltungen der Brust durch bestimmten Ausdruck zu bezeichnen, um mit dieser Bezeichnung sogleich ohne bildliche Darstellung den Habitus zu charakterisiren, machten die französischen Anthropologen. (Instructions. ) Allein ihre Bezeichnungen sind doch nicht so präcis, dass sie dem Sachverhalte stets entsprechen und eine genauere Darlegung desselben oder gar ein Bild überflüssig machen. Es heisst dort von den Brüsten : „Elles sont tantôt hémisphériques, tantôt plus ou moins pendantes, tantôt piriformes , c'est-à- dire en forme de poire. " 44. Die Weiberbrust in ihrer Rassengestaltung. 175 Es kann nun kein Zweifel darüber bestehen. dass es in der That primitive , nicht erworbene Unterschiede an der Weiberbrust unter den verschiedenen Völkern giebt. Wir müssen dies schliessen aus den zahlreichen Abbildungen, welche wir von überall her erhielten. Auch sagte schon Hyrtl: Nur die Brüste der weissen und gelben Rassen sind im jungfräulichen compacten Zustande halbkugelig ; jene der Negerinnen dagegen unter gleichen Verhältnissen des Alters und der Körperbeschaffenheit mehr in die Länge gezogen, zugespitzt, nach aussen und unten gerichtet, kurz mehr euterähnlich. " Das reicht aber, wie wir wohl nicht erst weiter zu betonen brauchen, natürlicherweise nicht aus, um alle die vielfachen Abstufungen. in der Form, der Grösse, der Consistenz u. s. w. anschaulich zu machen, welche die Weiberbrust bei den verschiedenen Völkern und Individuen darzubieten vermag. Allerdings darf man nicht vergessen, dass jegliche Frauenbrust eine Reihe von Phasen in ihrer Entwickelung durchzumachen hat, je nach dem Lebensalter der Trägerin, welche durch ganz verschiedenartige Formgestaltung gekennzeichnet sind. Wenn man von allen diesen Entwickelungsphasen der Brust desselben Individuums getreue Darstellungen mit einander vergleichen würde, so könnte man bisweilen in die Versuchung kommen, zu glauben, dass man die Brüste ganz verschiedener Individuen vor sich habe. Man muss daher bei dem Urtheil, das man über die Form der Brüste fremder Nationen abgiebt , recht sorgfältig berücksichtigen , in welchem Lebensabschnitte sich die Besitzerinnen der betreffenden Brüste befinden. Die auffallendsten Unterschiede bestehen innerhalb derselben Rasse in der Form der Brüste, je nachdem die letzteren bereits ihrer physiologischen Bestimmung genügt haben oder noch nicht. Die Fig. 48. Zulu - Frau (Mulattin ? ) jungfräuliche Brust hat fast bei allen Völkern eine ganz andere Form, als die Brüste von Frauen, welche bereits geboren haben , ganz besonders, wenn sie schon längere Zeit ein oder gar mehrere Kinder gesäugt haben. Durch das Säugegeschäft werden die Brüste zumeist mehr oder weniger stark herabhängend, welk, faltig und runzelig und zeigen nicht selten sehr wenig mit den Gesetzen der Schönheit in Einklang stehende Knotenbildungen. Darauf treten die Veränderungen des Alters hinzu, welche bisweilen die Brüste in platte, weit herabhängende Lappen umformen oder sie auch wohl gänzlich verschwinden lassen, so dass nur noch eine unförmige Warze die Stelle bezeichnet, wo sie einstmals den Brustkorb verschönten. Es ist eine der vielen noch ungelösten Aufgaben der Anthropologie, das Lebensalter zu bestimmen, in welchem bei den verschiedenen Rassen und Völkern die soeben geschilderten Veränderungen einzutreten pflegen, sowie auch den Grad der Ausbildung, welchen sie für gewöhnlich erreichen. mit hängenden Brüsten. (Nach Photographie.) 176 VII. Die Weiberbrust. Schon wenn bei dem heranwachsenden Mädchen die Brust aus dem neutralen oder puerilen Zustande sich in den weiblichen Typus umzubilden beginnt, sind, wie es scheint, wie es aber noch viel genauer studirt und erforscht werden muss, nicht unwesentliche Formenunterschiede zu beobachten. Wir kommen auf dieselben in einem späteren Abschnitte noch eingehender zurück. Natürlicherweise muss man auch, wenn man ein Urtheil über die Form der Brüste einer Person abgeben will , dieselben vollständig unverhüllt gesehen haben. Denn die Frauen verstehen es bekanntlich sehr wohl, durch entsprechend fest angelegte Kleidung die bereits schlaff herabhängenden Brüste voll und üppig erscheinen zu lassen. Dieses zeigen dem Leser klar und deutlich die Figuren 47 und 48, welche dieselbe Person, angeblich eine Zulu- Prinzessin (wahrscheinlich aber eine Mulattin) , vorführen. Wenn man nun von der Rassengestaltung der weiblichen Brust spricht, so pflegt man gewöhnlich nicht an die durch Wochenbetten und Säugungsperioden beeinflussten, auch nicht an die vom Alter veränderten Brüste zu denken, sondern an die jugendlichen und jungfräulichen Brüste der jungen Mädchen in dem kräftigsten geschlechtsreifen Alter. Hier sind bei den verschiedenen Rassen nicht unerhebliche Formverschiedenheiten zu beobachten. Bald ist die Warze klein und flach wie ein Knöpfchen, bald etwas massiger und konisch geformt, mit breiterer Basis und abgerundeter Spitze, bald gross und cylindrisch, fast wie ein Fingerglied. Wie die Warzen, so zeigen auch die Warzenhöfe nicht unerhebliche Unterschiede. Bald sind sie blass, bald dunkelrosa, bald braun und selbst fast schwarz pigmentirt ; bald bilden sie kleine, bald grössere oder selbst ungeheuer grosse Scheiben, bald treten sie leicht, bald stark halbkugelig gewölbt über den Hügel der Brust hervor, und bisweilen sind. sie durch eine deutlich ausgesprochene einschnürende Ringfurche von dem letzteren abgesetzt. Bei den Hügeln der Brüste hat man darauf zu achten, ob sie mehr oder weniger unvermittelt aus der Fläche des Brustkorbes herausquellen, oder ob die letztere schon von den Schlüsselbeinen an, nach abwärts allmählich an Unterhautfett zunehmend, unmerklich in die Brüste übergeht. Man hat die Art ihres Sitzes zu berücksichtigen, ob sie höher oder tiefer am Thorax, ob sie näher der Medianlinie oder mehr zur Achselhöhle hin ihren Ursprung nehmen. Von ganz besonderer Wichtigkeit ist aber ihr Umfang und ihre Form und Gestaltung. Fig. 49. Kaffer - Mädchen aus Natal mit hochgradig gewölbten und vorspringen- den Warzenhöfen auf den Brüsten. (Nach Photographie. ) Die Unzulänglichkeit der französischen Bezeichnungen in dieser Beziehung, wie sie die Instructions anthropologiques générales vorschlagen, wurde oben bereits betont. Auch die Eléments d'anthropologie générale von Topinard 44. Die Weiberbrust in ihrer Rassengestaltung. 177 bringen hierfür keine neuen Vorschläge. Die Formen, welche nach des Herausgebers Meinung unterschieden werden müssen, kann man bezeichnen : A. nach der Grösse: als 1. stark oder üppig , 2. voll, 3. mässig , 4. schwach, klein oder spärlich. B. nach der Consistenz , beziehungsweise dem grösseren oder geringeren Grade der Straffheit : als 1. stehend , 2. sich senkend, 3. hängend. Hier darf man jedoch nicht übersehen, dass bei manchen Brüsten das Hängen durch die ursprüngliche Form bedingt ist und sehr wohl neben straffer Consistenz bestehen kann. Im engeren Sinne kann man bei der Form der Brüste drei Hauptgruppen unterscheiden, nämlich : 1. scheibenförmige Brüste, 2. halbkugelige Brüste, 3. konische Brüste. Die scheibenförmigen Brüste wiederholen ungefähr die Form einer halben Mandarine; der Durchmesser ihrer Grundfläche übertrifft bei weitem ihre Höhe. Die halbkugeligen kann man je nach ihrer Grösse mit einem halben (oder Dreiviertel) Apfel, mit einer halben Apfelsine, oder mit einer halben Cocosnuss u. s. w. vergleichen ; immer ist ihre Höhe dem Durchmesser ihrer Grundfläche ungefähr gleich. Die konischen Brüste sind pyriform (birnförmig) oder citronenförmig zugespitzt, oder auchan ein Ziegeneuter erinnernd. Bei ihnen ist stets die Höhe, d. h. die Entfernung ihrer Warze von dem Mittelpunkte ihrer Grundfläche, erheblich grösser als der Durchmesser der letzteren . Zahlreiche und wiederholte Maasse, genaue Notizen, nicht über den Gesammteindruck, welchen eine Bevölkerung macht, sondern über möglichst viele Einzelindividuen , reichliche photographische Darstellungen und Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. Fig. 50. Tänzerin aus Algerien mit gewölbt den Brüsten aufsitzenden Warzenhöfen. (Nach Photographie. ) 12 178 VII. Die Weiberbrust. ganz besonders Gypsabgüsse wären im Stande, unsere anthropologischen Kenntnisse auf diesem Gebiete in recht erheblicher Weise zu fördern. In der Regel nimmt man an, dass dort, wo die geschlechtliche Entwickelung früh eintritt, z . B. in den südlichen Klimaten, auch die Rückbildung der Brüste am frühesten beginnt. Nicht unwesentliche Verschiedenheiten vermag man auch an den Brustwarzen und an ihren Warzenhöfen zu beobachten. Jedoch scheinen hier individuelle Unterschiede eine nicht unerhebliche Rolle mitzuspielen . Bei einigen Personen ist der Durchmesser der Warzenhöfe ausserordentlich gross, während derselbe bei anderen von nur geringer Ausdehnung ist. Fig. 51 . den Brüsten aufsitzenden Warzenhöfen. Auch in Bezug auf ihre Pigmentirung lassen sich mancherlei Variationen erkennen, die aber natürlicher Weise nicht unwesentlich von der Rassenfärbung der Besitzerin beeinflusst wird. Dem Hügel der Mamma sitzt der Warzenhof sehr häufig flach scheibenförmig auf; oft aber auch ist er derartig gewölbt , dass er sich ganz gleichmässig in die allgemeine Wölbung der Mamma einfügt. und diese seiner Ausdehnung entsprechend vervollständigt. Bei manchen Stämmen, namentlich in Afrika. und in der Südsee, bilden die Warzenhöfe auch besondere kleine halbkugelige Hügel , welche sich aus dem Hügel der Mamma mit einer scharf markirten Grenze herausheben. Hierfür sehen wir ein klassisches Beispiel in dem jungen KafferMädchen aus Natal, welche in Fig. 49 dargestellt ist. Auch die in No. 9 Fig. 52 dargestellte SamoaIndianerin aus Arizona mit gewölbt nerin zeigt uns diese Form des Warzenhofes ; in geringerem Grade zeigt es die Indianerin (Nach Photographie. ) Arizona, welche uns Fig. 51 vorführt, und die in Fig. 50 dargestellte Algerierin. Die soeben geschilderte scharfe Abgrenzung zwischen dem convexen Warzenhofe und der Mamma kann einen solchen Grad erreichen, dass dieselbe wie scharf eingeschnitten erscheint. Das sehen wir bei einer Bari- Frau in Fig. 52 No. 10. Die Brustwarze selbst kann nun ganz verstrichen in der Mitte des Warzenhofes liegen, oder mehr oder weniger knopfförmig aus ihm hervorragen. Bisweilen sitzt sie dem gewölbten Warzenhofe noch wiederum. halbkugelig auf, auch kann sie schmal und verlängert eine Zapfenform darbieten oder selbst an ein Fingerglied erinnern. Es ist in hohem Grade zu bedauern, dass über den Bau und die Form der Brüste genaue statistische Angaben oder gar subtile Messungen überhaupt noch nicht vorliegen. Man hat sich bisher im Allgemeinen auf die einfache Angabe von Durchschnitts-Beobachtungen beschränkt, d. h. auf die Wiedergabe des Eindrucks, welchen die Mehrzahl der Weiber einer be- 44. Die Weiberbrust in ihrer Rassengestaltung. 179 stimmten Bevölkerung in Bezug auf die Form ihrer Brüste auf den berichtenden Reisenden hervorgerufen hatte. Es kam dann allenfalls wohl noch die Schilderung besonders auffallender und von dem bei uns Gewöhnlichen abweichender Bildungen hinzu. Aber damit war dann auch das Ende erreicht. Der Zukunft muss es daher vorbehalten bleiben, uns mit genauen anatomischen Untersuchungen zu versehen. Es müssten dazu genaue Maassbestimmungen vorgenommen werden hinsichtlich des Sitzes und des Umfanges, sowie der Form und der Grösse der Brust, auch müssten die gleichen Untersuchungen sich auch auf die Warze und den Warzenhof erstrecken. So viel vermögen wir aber doch bereits selbst aus dem spärlichen Material, welches uns bis heute vorliegt, zu ersehen, dass wir wirklich bei der Frauenbrust von wahren Rassenunterschieden reden können. Allerdings kommen die meisten Formen der Mammae, welche als charakteristisch bei fremden Völkern beobachtet wurden, auch bei uns ab und zu in besonderen Fällen als vereinzelte Exemplare vor. Allein gerade darin, dass diese letzteren nur vereinzelt sind und dieselben nur als grosse Ausnahme erscheinen , und gewöhnlich auch jener, bei einem besonderen Volke fast durchgängig vorgefundenen ausgeprägten Form ermangeln, liegt eben die Bedeutung der ethnographischen Merkmale an der Frauenbrust. Ueber die nationalen Unterschiede, welche man am Frauenbusen bei den europäischen Völkerschaften wahrgenommen hat, wollen wir in erster Linie einiges anführen. Jedoch auch diese sind noch lange nicht genau genug bekannt geworden. Dass auch ohne künstliche und absichtliche Beeinträchtigungsmittel für das Wachsthum der Brüste die Entwickelung und die Grösse derselben in verschiedenen Theilen Deutschlands eine sehr verschiedene ist, das dürfte wohl hinreichend bekannt sein. In Schlesien z . B. pflegt sie, wie es scheint, eine bescheidene, ja fast kümmerliche zu sein, während in Mecklenburg , in der Würzburger Gegend und in Wien selbst noch sehr junge Mädchen einen bereits üppig und voll entwickelten Busen darzubieten pflegen . Nach dem Ausspruche eines alten Dichters, den Hyrtl anführt, scheinen die Frauen Oesterreichs in dieser Beziehung in besonders gutem Rufe gewesen zu sein ; die Theile seiner Liebsten wünscht er aus verschiedenen Ländern : Den Kopf aus Prag , die Füss' vom Rhein , Die Brüst' aus Oesterreich im Schrein, Aus Frankreich den gewölbten Bauch etc.“ Ob wirklich bei slavischen Völkern sich die Brustdrüse zeitiger ausbildet, als bei den germanischen , wie einmal behauptet wurde, ist wohl noch nicht ganz festgestellt. Die Serbinnen Syrmiens , der Bacska und des Banates haben keinen grossen Busen, auch hat dieser nicht die grosse Härte, wie jener der Mädchen von Civil- und Militär - Croatien , deren gute Formen nur jenen der starken Dalmatinerin oder Liccanerin , der Bunjevka , aber hauptsächlich der reizenden und schönen Grenzerin im Brooder Regimente nachstehen. Jedoch sagt v. Rajacsich von den syrmischen Serbinnen geradezu im Gegentheil, dass sie vollbusig sind und stark entwickelte Waden und Hinterbacken besitzen. Der Bau der Südeuropäerinnen bedingt wohl auch im Allgemeinen eine frühere Entfaltung und üppigere Entwickelung ihrer Brüste. Unter den Europäerinnen sollen die Portugiesinnen die grössten , die Castilianerinnen die kleinsten Brüste haben (Abilgaard). Die Grösse der Brüste soll in feuchten oder sumpfigen Gegenden bedeutender werden, als in trockenen Gebirgsländern (Hyrtl). Wenn Rubens seine Göttinnen und Engel mit den Brüsten flandrischer Kuhmägde ausstattet, so lässt das wohl auf seinen und seiner Zeitgenossen Kunstgeschmack schliessen, der sich für eine besondere Fülle des Fleisches und Fettes interessirte, nicht aber darauf, dass die Frauen in Flandern in Wirklichkeit durchgängig die üppigsten Körperformen aufzuweisen hatten. Dass aber die Frauen in England , besonders diejenigen der höheren Stände, verhältnissmässig gering entwickelte Brüste besitzen , scheint ebenso festzustehen, wie derselbe Mangel der Yankee - Frauen in New- York und anderen Städten Nord - Amerikas ; 12 * AG UNIVERSITY 180 VII. Die Weiberbrust . hier werden öffentlich künstliche Brüste von allen möglichen Grössen zum Verbergen des Mangels angeboten, ein Handelsartikel, der seit einigen Jahren aber auch in Berlin allgemeinen Eingang gefunden hat. In der europäischen und asiatischen Türkei ist nach Oppenheim jede Mutter im Stande, ihr Kind selbst zu nähren, da niemals eine Schnürbrust die Brüste und Brustwarzen zerdrückt. Nach dem Wochenbett bleibt bei den Türkinnen gewöhnlich eine Schlaffheit der Brüste zurück, die an und für sich in der Regel sehr entwickelt sind . Bei den Völkern Amerikas beginnen wir mit der Südspitze des Continents. Von den Pescheräs , den Bewohnern des Feuerlandes an der Magelhaensstrasse , hatte schon Essendörfer im Jahre 1880 der anthropologischen Gesellschaft in Berlin berichtet, dass, während die Männer auffallend mager sind , die Frauen eine bedeutende Fettentwickelung, insbesondere sehr üppige Brüste zeigen. Dies bestätigt sich an den Pescherä-Weibern , die nach Berlin gebracht worden waren ; Virchow fand die Brüste sehr voll ; die Mammae stark und kräftig , ohne doch hässlich zu sein ; sie hängen nur wenig, jedoch so , dass die grossen und wohlgebildeten Mamillen mehr nach unten stehen . Von den südamerikanischen Indianern erhielt man im Ganzen wenig detaillirte Untersuchungsberichte. Von den Weibern der Kayapo in der Provinz Matto Grosso ( Brasilien ) sagt Kupfer : Die jüngeren Frauen haben feste, kleine, etwas spitz zur Papilla zulaufende Brüste, die reiferen eine volle nicht unschöne Brust. Allein im Allgemeinen stehen die Indianerinnen Süd - Amerikas in der allmählichen Verlängerung der Brüste hinter anderen nicht zurück. Wenn die Indianer - Frauen in Chile und Californien mehrere Kinder geboren haben, so sind ihre Brüste nach Ausspruch Rollin's, Wundarzt bei La Pérouse's Expedition, ebenso schlaff und herabhängend, wie bei Europäerinnen in ähnlichen Fällen. Nach Rengger hat der Busen der Guarani- Weiber das Eigenthümliche, dass die Partie des Warzenhofes erhaben auf der Brust aufsitzt. Auch die Brüste der WarrauIndianerinnen in British- Guyana hängen nach Schomburgk, sobald sie geboren haben, schwammig herab. Nach Sartorius sind die Brüste der Azteken- Weiber (Nahuatt ) konisch geformt. Bezüglich der nordischen Völker Amerikas fehlen noch eingehendere Berichte. Die Brüste der Eskimo -Weiber sind nach Smith ungewöhnlich entwickelt, doch nicht in so ausserordentlichem Grade, wie die Brüste der Hottentotten- und BuschmannFrauen. Bekanntlich sagt man den Hottentotten - Frauen fast allgemein nach, dass sie die am stärksten herabhängenden Brüste haben, ebenso wie die Weiber der Buschmänner. Schon Lichtenstein schrieb : „ Die schlaff herabhängenden Brüste und die übermässig dicken, weit unter dem hohlen Rücken vorstehenden Hintertheile, in welchen sich gerade wie bei afrikanischen Schafen alles Fett des Körpers gesammelt zu haben scheint , machen nebst der übrigen Hässlichkeit der ganzen Gestalt und der Gesichtsbildung diese Frauen in den Augen des Europäers zu wahren Scheusalen . " Genauer beschreibt Fritsch die Gestalt der Hottentotten- Brust : „ Die Entwickelung des Busens steht etwa derjenigen bei europäischen Frauen näher, als diejenigen der A- bantu. Ich habe bei den Koi - koin das massige, euterartige Ansehen der Brüste nicht beobachtet, welches bei den anderen Regel ist ; der Busen ist vielmehr verhältnissmässig klein, zugespitzt , mit vortretender Brustwarze, der Warzenhof überragt die Oberfläche nur wenig, wenn nicht wiederholtes Säugen darin eine Abänderung herbeiführt. Natürlich bleibt wegen der grossen Hinneigung aller Hautpartien zur Faltenbildung auch die Formation der Brüste in späteren Jahren nicht so , wie sie oben beschrieben wurde, doch ist es gerade aus diesem Grunde bemerkenswerth, dass man häufig Personen im Alter von dreissig Jahren sieht , welche dieselben noch ziemlich unverändert zeigen. Je nach höherem Alter hört dieser Körpertheil allerdings auf, zu den Reizen des schönen Geschlechts zu gehören. " Barrow beschreibt bei den Hottentotten - Frauen, während er für die Kaffern schwärmt, die Brüste als mit sehr grosser Warze und hervorragendem Warzenhofe, was um so weniger, " wie Fritsch hervorhebt, zugegeben werden kann, als diese beiden Merkmale nicht zusammen vorzukommen pflegen, das letztere aber ein entscheidendes Charakteristicum der A- bantu ist. “ 7 2 3 10 5 6 11 52.Fig )Photographie (Nach .Brust weiblichen der Formen Verschiedene - Schuli- 3. .)Warzenhöfen grossen sehr mit Brüste hängende (Stark .Hottentottin 2. )Brüste halbkugelförmige Kleine .(Japanerin 1. Abge- (.Frau Abukaja 5.-)Brüste (Ziegeneuterähnliche ].[Afrika Frau -Abukaja 4. ).Brüste halbeitronenförmige (Konische ],Afrika [Mädchen ].Queensland -[Nord Australierin -7.)Brüste halbcitronenförmige ,Konische (].Afrika [Mädchen -.Magungo -6 ).Brüste hängende leicht ,plattete -9 )Brüste Ziegeneuterähnliche (].Afrika [Mädchen -Makraka 8..)Warzenhofe prominirendem stark mit Brüste halbkugelförmige Kleine (Samoanerin . abge- mit Brüste Halbkugelförmige (].Afrika [Frau -Bari 10. .)Warzenhofe prominirendem stark ,abgeschnürtem mit Brüste Konische .(]Oceanien [ ).Warzen fingergliedähnlichen mit Brüste abgeflachte (Kleine .Negerin -Loango 11. .)Warzenhofe prominirendem stark ,schnürtem

44. Die Weiberbrust in ihrer Rassengestaltung. 183 Dass auch die Kaffer- Frauen sehr stark entwickelte Brüste haben können, ersehen wir aus Fig. 53, welche uns eine Kaffer- Frau aus Natal vorführt. Man hat in Europa Gelegenheit gehabt, den anatomischen Bau der Brust einer Hottentottin sowie eines Buschweibes genau kennen zu lernen , da zwei weibliche Individuen dieser mit einander verwandten Völker (eines in Paris , das andere in Tübingen) zur Section kamen. Das Buschweib Afandi, deren Körperbaunach ihrem im 38. Lebensjahre erfolgten Tode (sie soll drei Kinder gehabt haben) Görtz genau beschrieb, hatte keineswegs hängende Brüste ; dieser Autor sagt: „ In der Formation der Areola stimmt unser Buschweib mit der Pariser Venus Hottentotte (Cuvier's) , die einen vier Zoll messenden, mit strahlenförmigen Runzeln versehenen Hof zeigte, gar nicht, dagegen wohl mit der Europäerin überein; der Hof hat einen Durchmesser von 414 Zoll und ist unregelmässig, eher concentrisch als radiär gerunzelt. Die Papille ist wenig vorstehend, doch wohl sichtbar und nicht verstrichen, vom Hof durch eine sie ganz umfassende Rinne abgesetzt. " Unter dem sehr uncultivirten Volksstamm der Boilakertra im Inneren von Madagaskar fand Audebert bei den jungen Mädchen die Brüste rund, fest und wohlgestaltet ; die Saugwarze ist etwas stark entwickelt und von schwarzer Farbe. Das Verkommen und Herabhängen der Brust bei älteren Frauen entsteht einfach dadurch, dass sie ihre Kinder Jahre lang säugen, und zwar neben den Neugeborenen oft zugleich solche, welche so gross sind, dass sie die Brüste der stehenden Mutter erreichen können. Wenden wir uns zu den in den Nilländern wohnenden Völkern, so treffen wir zunächst die Aegypterinnen , deren Brüste Hartmann in der Jugend oval und prall fand, doch werden dieselben mit zunehmender Körperentwickelung und nach wiederholten Geburten welk und hängend. Die Brüste der Fellah- Mädchen schwollen oft schon mit dem 11. bis 13. Jahre ; allein bei den Frauen von 25 bis 30 Jahren werden sie schon schlaff. Die Weiber in Ober- Aegypten standen im Alterthum in dem Rufe, sehr starke Brüste zu haben, wie aus folgenden Versen des Juvenalis hervorgeht : Fig. 53. Kaffer-Frau aus Natal mit grossen, stark hängenden Brüsten. Nach Photographie. ) Wer staunt kropfigten Hals in den Alpen an? Wer in dem Eiland Meroë grössere Brüst' als die fetten Säuglinge selber? Paulitschke führt schöne Büsten und starke Brüste als typisch für die Galla- Frauen an. Möglichst genau beschreibt Hartmann die nigritische Körperbildung. 29 Viele Negermädchen haben in der Jugend eine anmuthige, weich und gracil geformte Büste. Die Brustdrüsen sind dann halbkugelig hervorstehend, prall, unten gewölbter, oben flacher. Der Warzenhof ist, wie bei manchen unserer jungen Mädchen, ebenfalls gewölbt und von einer kurzen Warze überragt. Häufiger aber zieht sich bei selbst jungen nigritischen Frauenzimmern die Brust mehr oder minder spitzkugelförmig nach aussen. Kegelförmig 184 VII. Die Weiberbrust. entwickelt sich dann auch der Warzenhof, weniger die Warze. Das gewährt einen unschönen Anblick. Noch mehr verliert sich das Aesthetische der weiblichen nigritischen Torsobildung, wenn solche spitzkugelförmigen Brüste früh welken und siech herabhängen. Nach Geburten können daraus schlappe, schmale, spitzige Hautfalten werden. Bei noch anderen Nigritierinnen zeigt sich ein in der Jugendblüthe breiter, hoher, voller. manchmal übervoller Busen. Aber auch der welkt früh dahin, und erhalten sich an seiner Statt nur breitere, ebenfalls flache, leeren Tabaksbeuteln gleichende Reste. " Auch fand Hartmann , dass bei den eingeborenen Weibern Nord - Afrikas sehr gefällige Torsobildungen nicht selten seien. Die Brüste junger Mädchen entwickeln sich nach seinen Wahrnehmungen hier selten vor dem 15. bis 16. Jahre ; dieselben sind öfters prall, oben etwas abgeflacht und vorne wie unten schön gewölbt, was einen sehr angenehmen Gesammteindruck hervorruft. Die berüchtigte, von den Arabern so häufig gepriesene Ziegenbrust beleidigt nur dann unseren ästhetischen Sinn , wenn sie zu voll und gar zu hängend sei. In gemildertem Grade klein und zierlich, passen sie ganz gut zu den häufig ungemein gracilen Formen der dortigen Mädchen (Hartmann 10). Mehrere Abbildungen der Büsten nordafrikanischer Mädchen giebt Hartmann in seinem grösseren Werke. Im Sudan sah Hartmann nirgends jene schlaffen , schlauchartigen , verlängerten Brüste, wie sie bei vielen Afrikanerinnen vorkommen, doch zeigt der Busen einer Fungi- oder DenkaFrau keineswegs die meist klassische Formenschönheit junger, noch jungfräulicher Töchter ihres Landes. Uebrigens trägt eine eigenthümliche Gewohnheit der Sudanesinnen zur Verunstaltung ihrer Brust bei. Das auf eine Hüfte gesetzte Kind schlingt nämlich beim Gehen der Mutter seine Aermchen um den Leib derselben ; es hält sich dabei öfters an einer der beiden Brüste an, weshalb sich diese sehr rasch und ausserordentlich ausdehnen. Brehm, welcher mir dies berichtete, sah, dass die Brüste älterer Frauen über die Schulter geworfen werden, weil sie der arbeitenden Frau hinderlich waren. Bei den Nobah, einem Bergvolke in Kordofan, zeigen die Brüste nur in grosser Jugend gefällige Formen; sie erhalten nach Hartmann früh eine schlauchförmige Gestalt mit tiefrunzeligen Warzenhöfen und sehr langen, spitzen, hornigen Warzen. Bei den Frauen der Fudji - Berûn im Sennaar sah Hartmann im jugendlichen Alter einen schönen Torso und pralle, ein Kugelsegment darstellende Brüste mit sehr erectilen, aber weichen Warzen. Auch die Brüste der Mensa - Frauen in Ost- Afrika , welche sich schon im Alter von 10 bis 12 Jahren zu entwickeln beginnen, welken nach Brehm rasch dahin, und im 30. Jahre hat ihr Busen mit dem des 13jährigen Mädchens keine Aehnlichkeit mehr. Bei den Galla fand Juan Maria Schuver besonders die Färbung der Brustwarzen eigenthümlich; dieselben haben eine bläuliche Farbe und werden mit vorrückendem Alter hellindigofarbig. Die östlichen Libyer sind die Tibbu; von den Brüsten ihrer Frauen sagt Nachtigal: Mangel an Fettbildung lässt nur zu früh den kurze Zeit hindurch hübsch geformten Busen als eine leere Hautfalte erscheinen , die glücklicher Weise, da jene nie voluminös war, nicht tief herabhängt. Fig. 54. Aschanti - Mädchen, 16 Jahre alt, mit bereits hängenden Brüsten. (Nach Photographie. ) 44. Die Weiberbrust in ihrer Rassengestaltung. 185 Von den Wanjamuesi berichtet Paul Reichard: 99 Die Brüste der jungen Mädchen sind höchstens bis zum dreizehnten Jahre strotzend und beginnt die Entwickelung derselben schon mit dem siebenten und achten Jahre. Die Basis der Brust ist kleiner wie die unserer Frauen und oft bildet sich die Brustwarze mit dem Warzenhof zu einem Ansatz auf der Brust aus, so dass diese wie eine zweite Brust auf der ersten sitzen. " Aus West - Afrika liegen mannigfache Berichte vor. Die Entwickelung der Brüste bei den Frauen der Egba in Yoruba unweit des Golfs von Benin am Nigerfluss ist nach Burton ungewöhnlich stark ; nach der ersten Geburt verwelken sie aber, und im Alter werden sie zu blossen Hautbeuteln . Auch sind Fälle vorhanden, wo nach Art der Amazonen die eine Brust ihre volle Entwickelung erhalten hat, während die andere wegen Nichtgebrauchs kaum sichtbar gehoben scheint . Wie früh die Brüste bei diesen Stämmen auch ohne vorhergegangenes Wochenbett hängend werden können, das zeigt uns das in Fig. 54 abge- bildete junge Aschanti - Mädchen, welches erst 16 Jahre alt ist. Wir haben dasselbe schon in Fig. 32 kennen gelernt. Fig. 55. Zwei Loango- Negerinnen mit asymmetrischen Brüsten. (Nach Photographie. ) ,,Da die Loango - Negerin , " sagt Pechuel-Loesche, überhaupt nicht zur Ueppigkeit neigt und unschöne Fettbildung gar nicht vorkommt , so sind auch die Brüste derselben meist proportionirt und erscheinen bei jugendkräftigen Individuen sehr hart und derb, gewissermaassen auch strotzend. Dieselben nähern sich weniger der halbkugeligen , als der konischen Gestalt , haben oft eine zu kleine und zu wenig vermittelte Basis und präsentiren sich im sehr seltenen Extrem fast zitzenähnlich und ungleich entwickelt. Brüste von solcher Form folgen natürlich um so leichter dem Gesetz der Schwere, und werden bald zu den herabhängenden Beuteln , welche vorzugsweise an Afrikanerinnen getadelt werden, obgleich sie auch bei anderen Rassen vorkommen und bei Cultur- 186 VII. Die Weiberbrust. .. Nationen ebenfalls nicht unbekannt sind. Die bessere Form mit breiter Basis ist naturgemäss die dauerhaftere und in manchen Fällen auch noch eine Zierde des reiferen Weibes : in der Jugend erscheint sie häufig von vollendet schöner Bildung, bis auf die selten genügend scharfund klein abgesetzte Warze. " Falkenstein sagt von den Loango - Negerinnen : Die weibliche Brust ist nur in seltenen Fällen wirklich schön gebildet, da sich schon bei Eintritt der Reife die Neigung zum Hinuntersinken verräth. Die halbkugelige Form ist sehr selten, dagegen scheint das Wachsthum in die Länge zu überwiegen, so dass mehr eine Kugelform entsteht, durch welche die Senkung begünstigt wird. Die Brustwarze sowie der umgebende Hof ist gewöhnlich stark entwickelt. Jede nach unseren Begriffen vorhandene Schönheit schwindet überraschend schnell, in wenigen Jahren ist die elastische Straffheit der Jugend der verwelkten Schlaffheit des vorzeitigen Genusses gewichen. " Unter den von diesem Reisenden aufgenommenen Photographien befinden sich die zweier Loango - Negerinnen ( Fig. 55 ) , bei welchen die beiden Brüste eine ganz deutliche Verschiedenheit in der Grösse aufweisen. Wenn auch ein ganz klein Wenig davon auf Rechnung der schiefen Körperhaltung kommt, so kann man doch nicht in Abrede stellen, dass hier wirklich eine Asymmetrie der Brüste besteht. Wie wir gesehen haben, wurde solche Asymmetrie der Brüste von Burton im Yoruba- Gebiete und von Brehm im Sudan beobachtet. Ueber die Frauenbrust bei den Woloff- Negern berichtet de Rochebrune : „ L'aspect piriforme des seins s'observe surtout chez les jeunes filles, bien que chez la femme ayant eu des enfants ces caractères se maintiennent, car les seins prodigieusement pendants, que certains observateurs donnent à la négresse en général ne peuvent s'appliquer à la Ouolove. " Auch bemerkte Bérenger- Féraud : „ Les seins prennent chez les Ouoloves un grand développement quand elles ont eu des enfants, et soit, qu'elles allaitent, soit qu'elles aient sevré leur nourrisson, ils n'ont bientôt plus rien de gracieux, d'agréable à la vue. " In Persien entwickeln sich die Brüste frühzeitig , gedeihen aber nur zur mittleren Grösse und bleiben selbst unter dieser zurück, mit Ausnahme der Weiber vom armenischen Stamme, deren Brüste weit kräftiger ausgebildet sind (Polak) . Trotzdem geben die Brüste der Perserinnen Milch , wie die Schweizerkühe von guter Rasse, wie ja überhaupt von der Grösse der Mamma durchaus kein Rückschluss auf eine gute Functionsfähigkeit der Brustdrüse gemacht werden kann. Im Gegentheile sind sogar sehr starke Brüste für das Säugegeschäft viel weniger zu gebrauchen, als die mittelgrossen, wenigstens bei uns in Norddeutschland. Die Perserin trägt ihre Brüste im Suspensorium (Polak), die wohlhabende Frau legt bisweilen gestrickte Etuis um dieselben ( Häntzsche) . Da die Brüste in Persien sonst aber frei und ohne beengendes Schnürleib getragen und nur mit Flor bedeckt werden, so sind sie nicht empfindlich gegen Erkältung. Die Frauen der Eingeborenen auf Formosa im Süden dieser Insel, der Sabari , Whang- tschut , Tuasok etc. sind ebenso wenig schön, wie ihre hässlichen Männer, ebenfalls klein und schwach gebaut, wie diese ; ihre Büste ist schlecht entwickelt , die Brüste klein und konisch zulaufend ; nur bei den Whang- tschut und Bakurut sah Ibis, der dies berichtet, einige bessere weibliche Figuren . Von der Chinesinnen- Brust sagt Mondière: „ Le sein est admirablement conformé, hémisphérique, mais il a une grande tendance, vers l'âge de vingt-cinq à vingt-huit ans, à se charger de graisse et à devenir beaucoup trop volumineux. “ Den Busen der Annamitin charakterisirt Mondière in folgender Weise : „ Le sein est habituellement hémisphérique et régulier chez la femme annamite ; les seins piriformes sont rares, et, chose assez remarquable, c'est le plus souvent chez les femmes qui ont la peau la plus blanche qu'on les rencontre. L'écartement des mamelons, chez la jeune femme qui n'a pas eu d'enfant, est de 19 centimètres . Assez petits jusque vers dix- sept ans, ils prennent un volume considérable pendant la grossesse et deviennent très - déclives dans les derniers temps de celle- ci. L'aréole varie beaucoup, mais elle est d'autant plus grande et colorée que la femme est plus blanche, et son diamètre, dans ces circonstances, peut, comme je l'ai constaté plusieurs fois, avoir de 7 à 9 centimètres. Le mamelon reste court 44. Die Weiberbrust in ihrer Rassengestaltung . 187 jusqu'à l'accouchement, mais les premières succions de l'enfant le développent rapidement. Après un premier allaitement, il reste proéminent et coloré, ce qui tient à la longue durée de l'allaitement. Il est rare qu'après le sein reprenne sa forme normale, comme nous le voyons chez beaucoup de nos femmes, mais il diminue de volume, s'affaisse sans devenir toutefois tout à fait disgracieux. “ Die Brust einer Minh- huong , d . h. einer Mestize, nähert sich in ihrer Gestalt derjenigen ihrer annamitischen Mutter, wie Mondière fand ; jedoch waren bei ihr die Warzen mehr hervorragend . Nur bei zwei Cambodja - Weibern, die noch keine Kinder hatten, sah Mondière die Brust unbedeckt : dieselbe war „ légèrement piriforme" ; er setzt hinzu : „ Malgré cette forme, les mamelons pointent directement en avant et sont moins écartés l'un de l'autre de 16 à 20 Millimètres que chez les autres femmes. " Schnelles Verwelken der Brüste in Folge des Säugens kommt bei sehr zahlreichen Völkern vor, dagegen giebt es Andere, deren Weiber sich die Fülle der Brust besser bewahren im Nordosten von Französisch- Cochinchina, auf der Grenze von Annam, Cambodja und Cochinchina wohnen beispielsweise die Moïs , von welchen Amedée Gautier sagt: „Ihre Frauen sind gewöhnlich hässlich , aber gut gebaut, mit vollen Brüsten , die selbst nach dem ersten Kinde keine Falten zeigen. " Bei den malayischen Frauen sind die Brüste nach Müller klein, spitz und kugelig, der Busen wenig entwickelt und oft ganz platt . Demgemäss würden sie einen bestimmten Typus haben ; doch sagt Finsch : „ Die Brüste der Malayinnen variiren ebenso sehr, wie überall nach Alter und Individualität ; zuweilen ist die Warze noch ganz versteckt, ja eingezogen, zuweilen ragt noch der dunkle Hof vor, dessen Ausdehnung und Färbung von hell- bis fast dunkelbraun ebenfalls alle Abstufungen zeigte. " Ueber die Bewohnerinnen der Inseln des alfurischen Archipels verdanken wir Riedel mehrere Angaben: Auf Buru haben die Mädchen mittelmässig grosse Brüste, die von oben platt und von unten gewölbt sind. Nach der Niederkunft werden sie hängend mit abscheulichen Falten. Auf der Insel Ambon und den Uliase - Inseln sind die Brüste wegen der Verstümmelung in der Jugend schlecht entwickelt ; die Warzenhöfe sind klein. Auf Serang oder Nusaina besitzen Frauen, die nicht geboren haben, nur sehr kleine Brüste. Auch die Brüste der Frauen auf den Seranglao- und Gorong- Inseln sind klein und dabei pyriform ; ebenso auf den Watubela- Inseln. Dagegen haben auf den Keei- oder Ewabu- Inseln junge Frauen grosse und volle Brüste mit birnenförmig hervortretender Brustwarze. Auf den Tanembar- und Timorlao - Inseln haben die jungen Weiber kleine birnenförmige, aber volle Brüste. Auch auf Leti , Moa und Lakor sind die Brüste birnförmig, ebenso auf Keisar oder Makisar, dabei aber klein und mit schwarzen Warzenhöfen. Auf der Sawa oder Hawa- Gruppe (Riedel ' ) finden wir die Brüste der Mädchen wieder klein und pyriform. Von den Bewohnerinnen der Insel Nias berichtet Modigliani : „ Die Weiber zeigen, so lange sie jung sind , arglos ihre unverhüllte Brust, welche wohlgebaut ist, mit stehend- pyriformen Brüsten, deren Warze klein und schwärzlich ist. Diese natürliche Schönheit schwindet aber rasch, und nach dem ersten Wochenbett geht durch das lange Zeit hin- durch fortgesetzte Säugen und die ununterbrochenen häuslichen Anstrengungen jegliche Frische verloren. Die Brüste sinken schlaff zum Bauche herab, ihre Vorderseite bedeckt sich mit Runzeln, und von der schönen Jungfrau bleibt nach nur zwei Jahren nichts übrig, als die Erinnerung. “ Montano sagt von den Malayen oder Moros von Sulu : Les mamelles ne sont pas coniques et fermes comme chez les Indiennes, même vieilles . Chez les Soulouxnés jeunes elles sont plutôt hémisphériques ; elles se rident promptement et deviennent tout à fait pendantes chez les sujets âgés. " Von den Negritas der Philippinen macht derselbe Reisende die folgende Beschreibung : „ La forme des mamelles chez les jeunes filles tient le milieu entre les variétés hémisphérique et pyriforme, dès la première grossesse, elles deviennent volumineuses et pendantes. " Néis berichtet von den Einwohnerinnen von Laos: „ Les femmes, dont les seins n'ont jamais un développement exagéré, acquièrent le plus souvent avec l'âge un certain degré d'embonpoint, mais sans obésité. " 188 VII. Die Weiberbrust. Im hohen Norden scheinen sich die Brüste länger und besser in jugendlicher Frische zu erhalten, wie wenigstens Steller bei den Frauen der Itälmenen in Kamtschatka beobachtet hat . Er sagt darüber : „ Die Weibspersonen haben kleine runde Brüste, die beyvierzigjährigen Frauenzimmern noch so ziemlich hart sind , und nicht bald hangend werden. “ Die Bewohnerinnen Oceaniens scheinen sehr häufig eine charakteristisch geformte Brust zu besitzen, da die Beobachter von spitzen Brüsten, namentlich aber von einer Einschnürung rings um den Warzenhof sprechen. So fand z. B. Kubary bei den Frauen der Carolinen - Insel Yap meist kräftig entwickelte, etwas spitze Brüste. Hiermit stimmt dasjenige überein, was auch v . Miklucho- Maclay auf anderen Inseln des Stillen Oceans wahrnahm. Er sagt : „ Bei Mädchen von circa 15-12 Jahren, die noch keine Kinder geboren hatten , fand ich die sonderbare Form der Brüste, die ich schon an einem anderen Orte erwähnt habe. Der obere Theil war von der ziemlich straffen (jugendlichen ) Mamma durch eine Einschnürung geschieden. Die beigegebene Skizze stellt diese Eigenthümlichkeit, welche ich bei Papua - Mädchen von Neu- Guinea , sowie bei jungen Polynesierinnen ( Samoa) ebenfalls gesehen habe, dar. Die asymmetrische Entwickelung der Brüste, welche überhaupt nicht selten ist , scheint in diesem Falle fast die Regel zu sein : ich habe immer die Einschnürung an der einen Mamma tiefer getroffen als an der anderen. Im abgeschnürten Theile liess sich die Brustdrüse leicht durchfühlen. Dieses Verhalten ist nicht bei allen Mädchen zu beobachten, aber findet sich, mehr oder weniger ausgesprochen, nicht selten ; es schien mir auch mit den Perioden des geschlechtlichen Lebens (Menstruation und Schwangerschaft) nicht in directem Zusammenhange zu stehen, jedoch denke ich, dass nach wiederholter Lactation die Einschnürung verschwindet, da bei älteren Weibern ich nie diese Form der Brüste gesehen habe. " Schliesslich bemerkte v. MikluchoMaclay, dass die Bezeichnung der Franzosen mammelles piriformes für diese Gestaltung der Brüste nicht entsprechend ist. Bei den Bewohnerinnen von Ponapé ( östl. Carolinen) haben nach Finsch¹ die Mädchen meist tadellos entwickelte Brüste, die sanft gewölbt, halbkugelförmig, fest sind , selten zur Ueberfülle hinneigen und nur bei Frauen, welche Kinder säugten, die bekannte hängende Form annehmen. Die Entwickelung der Brustwarze ist sehr verschieden , bald tritt der dunkler gefärbte Hof besonders hervorragend birnförmig vor, bald nur die Warze allein ; letztere fand sich bei jungen, eben aufblühenden Mädchen zuweilen noch ganz versteckt, oder nur an der einen stärker entwickelt. Bei starkbrüstigen Mädchen, wo der Hof der Brustwarze, an der Basis sanft eingeschnürt , besonders hervortrat, war die Warze doch noch ganz versteckt. Auf Samoa sind nach Gräffe die Brüste „ stark entwickelt, etwas spitz. " Die Brüste der eingeborenen Mädchen auf den Viti - Inseln , insbesondere derjenigen, die eben erst reif geworden, zeichnen sich, wie Buchner beschreibt, durch eine Hervorragung des Warzentheiles aus, der leicht abgeschnürt erscheint und so dem ganzen Organ etwas birnförmiges ertheilt. Die Frauen der Gilbert- Inseln sind in der Jugend sehr hübsche Erscheinungen mit wohlgeformter Büste, die leicht zur Fülle hinneigt . Schon bei Mädchen mit noch ganz versteckter Brustwarze bemerkt man zuweilen einen dunklen Hof um die letztere, dessen Ausdehnung und Färbung übrigens individuell ausserordentlich variirt. Sehr häufig tritt bei jungen Mädchen nur der dunklere Warzenhof halbkugelig erhaben vor. (Finsch.2) Auf Maiana ( Hall - Insel) , einer polynesischen Insel , fand Finsch bei straffen jungen Mädchen die Brüste klein und fest , den etwas dunklern Hof um die wenig vorragende Warze wenig ausgedehnt ; bei einer älteren Frau hingen die starkentwickelten Brüste durch ihre Schwere weit herab; die wenig entwickelte Warze war sehr dunkel gefärbt, ebenso wie der merkbar erhabene Hof. Die Brüste der Melanesierinnen ( Papuas) sind in der Jugend gut entwickelt und geformt, neigen meist etwas zur Fülle und werden nach dem ersten Kindbett gewöhnlich hängend. (Finsch. ") Die Brüste eines 13-14 Jahre alten Motu- Mädchens fand Finsch in der Entwickelung klein mit kleinerem dunkelgefärbten Hof um die kleinere , etwas hellere Warze. Dagegen war bei einem 16jährigen Motu- Mädchen die Brust allerdings auch klein , doch schön halbkugelig, voll, mit wenig hervorragender, kleiner Warze, und um dieselbe ein engbegrenzter dunkler Hof. 45. Die Pflege, die Behandlung und die Ausschmückung der weiblichen Brust. 189 Die Brüste der Australierinnen , welche im Jahre 1884 nach Berlin kamen und in Castan's Panoptikum sich dem Publikum zeigten, wurden zwar nicht direct untersucht, allein nach den photographischen Aufnahmen von Virchow in folgender Weise charakterisirt : Die Büste von Tagarah (vielleicht 16-18 Jahre alt) ist von grosser Schönheit, ihre Brüste sind von streng jungfräulicher Beschaffenheit ; die vollen Brüste halbkugelig, oben etwas flacher, unten stärker gewölbt, ein grosser, im Ganzen etwas vortretender Warzenhof mit flacher rundlicher Warze. Bei Yemberi ( vielleicht in den zwanziger Jahren) sind die Brüste gross , aber schlaff, hängend, mit weit herausgezogener Warze, die bedeckende Haut fein runzelig. 45. Die Pflege, die Behandlung und die Ausschmückung der weiblichen Brust. Es darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die eigenthümliche Pflege und Behandlungsweise, welcher die weiblichen Brüste bei nicht wenigen Völkerschaften unterzogen werden, gewisse Formen und Gestaltungen an ihnen hervorzurufen im Stande sind, welche von dem eigentlich Normalen mehr oder weniger abweichend sind. Schon die israelitischen Aerzte des Talmud waren auf den Einfluss aufmerksam, welchen die Pflege der Brust auf die Entwickelung dieses hochwichtigen Organes äussert. Sie behaupten, dass bei den Töchtern der Bemittelten sich in der Regel die rechte Brust früher als die linke wölbe, in Folge des von ihnen auf der rechten Seite gewöhnlich getragenen Umschlagetuches ; wogegen bei den ärmeren Klassen sich die linke früher als die rechte wölbe, da die Mädchen dieser Klasse gewohnt sind, mit der linken Hand Wasser zu schöpfen oder auch ihre Geschwister umherzutragen. Wer denkt hier nicht an die Kämpfe, welche bei unseren hochcivilisirten Völkern der Gegenwart alle einsichtsvollen Aerzte, an ihrer Spitze der berühmte Anatom Sommerring, mit der Unsitte des enganschliessenden Frauenmieders noch immer bestehen? Allein auch andere, und zwar nicht bloss civilisirte, vielmehr recht rohe Völkerschaften üben, wie wir in Folgendem sehen werden, sei es absichtlich, sei es unabsichtlich, einen behindernden Druck auf die sich entwickelnde Brust durch die Kleidung, ja selbst durch besondere Vorrichtungen aus, während im Gegentheil andere Völker sich einer sorgfältigen Cultur dieses dem Säugungsgeschäfte gewidmeten Werkzeuges befleissigen. Die alte Sage von den Amazonen , welche den Mädchen angeblich die rechte Brust amputirten, damit diese bequemer fechten könnten, beruht vielleicht auf der Beobachtung, dass bei einem Volke die kriegerisch gesinnten Frauen durch die enge Tracht mit einseitiger Compression der Brust fast völligen Mangel derselben zeigten. Eine Analogie dafür finden wir in der oben erwähnten Beobachtung Burtons. Die Cultur der Brüste bei den Kaffern ist einzig in ihrer Art. Schon im 7. oder 8. Jahre beginnt die Mutter beim Mädchen die Brüste mit einer Salbe zu bestreichen, die aus Fett und gepulverten Wurzeln bereitet ist. Sie frottirt und umfasst mit ihren Fingerspitzen die die Brustwarze umgebenden Weichtheile, gleichsam um die Brustdrüse herauszuziehen, und später wird letztere täglich lang und schmal ausgedehnt und mit Bast umschnürt. Von den Frauen der Basuthos werden die Kinder auf dem Rücken getragen und sie reichen denselben , wie auch noch manche andere Afrikanerinnen , die Brust durch den Arm hindurch. Um dies möglich zu machen, werden, wie Holländer berichtet, schon lange vor der Niederkunft die Brüste fortwährend gezogen; und so schön auch die Brust eines jungen Kaffernmädchens sich producirt, so entsetzlich erscheinen die lang herabhängenden Schläuche der Frauen, die bereits geboren haben. Eine besondere Beachtung verdient nun auch die eigenthümliche Behandlungsweise der Brüste, welche bei manchen anderen afrikanischen Völkern herrscht. Es ist nämlich 190 VII. Die Weiberbrust. Fig. 56. Loango- Negerin sowohl am Congo (nach Hartmann u. A. ) , als auch an der Loango - Küste (nach Pechuel- Loesche und Falkenstein) , dann in Angola (nach Pogge) , schliess- lich aber bei den südafrikanischen Bantu- Völkern (nach Fritsch) Gebrauch, dass schon das junge Mädchen ein Band oder eine Schnur über die Brust um den Thorax schlingt, durch welches die Mammae niedergehalten werden. ( Fig. 56. ) Welche Wirkung nun aber dieser, oberhalb der Brüste aufliegende Faden auf das Organ selbst ausübt, und welche Absicht man mit der Anlegung desselben verbindet, wurde in der anthropologischen Gesellschaft zu Berlin 1877 erörtert. Falkenstein fand , dass an der Loango - Küste nicht bloss eine Schnur, sondern statt derselben bisweilen auch ein zur Bekleidung dienendes langes Tuch durch seine verschlungenen Zipfel über der Brust fest angezogen wird. Schon vor längerer Zeit hat Hille berichtet, dass es bei den Negersclavinnen zu Surinam Sitte ist, um den Oberkörper ein dreieckig zusammengefaltetes Tuch über die Brüste zu schlagen, dessen Enden auf dem Rücken straff zusammengebunden werden, wodurch die Brust nach unten gezwängt wird. Falkenstein meint, dass diese Sitte nicht etwa das Herabsinken der Brüste oder das Welken derselben verursache. Denn die Ernährung der Brust werde, wie er anatomisch genauer nachweist, keineswegs durch jene Schnur beeinträchtigt. Ebenso wenig glaubt er, dass die Negerinnen etwa durch das Tragen der Schnur die Brüste zum frühen Welken bringen wollen ; man setze die Sitte , deren Ursprung man nicht kennt, eben nur gewohnheitsgemäss fort ; vielleicht, so äussert Falkenstein, übte man sie früher zu Heilzwecken. Dagegen behauptet Fritsch, der diesen Brauch in SüdAfrika kennen lernte, die heruntergebundene Brust sei bei den Bantu- Völkern, die in regelmässiger Ehe leben, ein Abzeichen der verheiratheten Frau, sie verleihe ihr Würde, wie die dunkle Hautfarbe dem Manne Respect. Fritsch meint, dass allerdings dieses Herunterbinden der Brüste ein Heruntersinken derselben bedinge ; damit sei jedoch nicht nothwendig auch ein Welken dieser Organe verknüpft. , Wenn man, " sagt PechuelLoesche, aus dieser Thatsache, dass die Negerinnen verschiedener Volksstämme eine Schnur über die Brüste befestigen, auf eine der unseren entgegengesetzte Bethätigung des Schönheitssinnes oder auf eine aus anderen Gründen erstrebte Entstellung geschlossen hat , so mag dies bezüglich jener zutreffend sein, bezüglich der Bafiote - Neger an der Loango - Küste wäre es eine Unrichtigkeit. Nicht niederbinden wollen diese die Brüste, sondern die erschlafften und dem Gesetze der Schwere folgenden hochziehen. Die Schnur wird über den oberen Rand gelegt, um durch Spannung, durch Verkürzung der Haut die Fülle der locker gewordenen Hügel auf ihrer natürlichen und wünschenswerthen Stelle zu erhalten." Und wenn schliesslich die Angola- Negerinnen schon bei ihren kleinen Mädchen ein Band über die Brust binden, so meint Pogge, der diese Sitte in allen von ihm bereisten Ländern der Westküste fand, dass dieses Band dazu bestimmt sei, das Mädchen schon von Kindheit an an sein Tragen zu gewöhnen, denn als Frau müsse es später die natürlichen Hängebrüste niederhalten, damit dieselben ihr bei Bewegungen nicht lästig werden. mit der Brustschnur. (Nach Photographie. ) 29 Wir werden hierdurch an gewisse Maassnahmen erinnert, welche in Süd-Amerika beobachtet worden sind. Von den Payaguas , die am Paraguay- Strom wohnen, berichtet v. Azara, dass ihre Weiber den Busen der jungen Mädchen, sobald derselbe ausgewachsen ist und seine natürliche Grösse erreicht hat, entweder mit den Mänteln oder auch mit einem ledernen Riemen zusammenpressen, um ihn hinterwärts gegen den Gürtel zu ziehen, so dass er, che sie noch 24 Jahre alt werden, wie ein Beutel an ihnen herabhängt ; und Rengger fand 45. Die Pflege, die Behandlung und die Ausschmückung der weiblichen Brust. 191 ebenfalls, dass die Payagua - Weiber mittelst eines Gürtels die Brüste verlängern . Er meint aber, dass sie von Natur nicht mehr als die Brüste der Europäerinnen zur Verlängerung neigen, sondern dass sie lediglich durch das Pressen künstlich verlängert werden. Die Frauen der Annamiten in Cochinchina tragen, wie Amand, Militärarzt bei der französischen Expedition nach China und Cochinchina , meldet, keine Schnürbrust, aber sie bemühen sich, die Brüste niederzudrücken mittelst einer dreieckigen Brustbinde, welche durch ein doppeltes um Hals und Rücken gewundenes Band sehr zusammengeschnürt wird. Von Riedel erfahren wir, dass im östlichen malayischen Archipel auf den Inseln der Luang- und Sermata - Gruppe die Weiber sich einer Art Leibchen bedienen. In Folge des Gebrauches von diesem mit dem Namen Kutang bezeichneten Kleidungsstück werden die Brüste gedrückt und sind mehr oder weniger missgestaltet. Die Hindu- Frauen tragen unter dem Sari oder dem grossen ungenähten Obergewand ein enganschliessendes Leibchen. Kehren wir nach Europa zurück, so finden wir im 16. und 17. Jahrhundert in Spanien eine Unsitte, von der ich allerdings nicht anzugeben vermag, ob sie bereits vollständig ausgerottet ist, oder ob sie noch in abgelegenen Districten ihr Dasein fristet . Es wurde nämlich die natürliche Entwickelung der Brüste mit aller Gewalt hintertrieben und verhindert. Zu diesem Zweck wurden die sich wölbenden Brüste der zu Jungfrauen heranwachsenden Mädchen mit besonderen Tafeln von Blei bedeckt und durch die letzteren ein derartiger Druck ausgeübt, dass bei vielen spanischen Damen anstatt der Busenhügel Vertiefungen und Höhlungen entstanden waren. Uebertriebene Magerkeit war eben damals die Mode, und die Spanierinnen sorgten nach d'Aulnay geflissentlich dafür, dass diese Reize, nämlich eine hagere, knochige Brust und ein ebensolcher Rücken bis weit hinab dem Anblick dargeboten wurden. Ganz entgegengesetzte Begriffe von Schönheit hatten in der Zeit, in welcher Montague seine Reise unternommen hatte, die Damen in Italien. Für sie war eine übermässige Busenfülle das erstrebenswerthe Schönheitsideal, und sie glaubten dieselbe möglichst sichtbar machen zu müssen. Es ist ja hinreichend bekannt, dass in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Mode auch in Deutschland von den Damen eine recht erhebliche Entblössung des Busens forderte. Da war es dann freilich nicht gar selten nothwendig, durch besondere Stützvorrichtungen den bereits erschlafften Brüsten ein scheinbar jugendliches Strotzen wiederzugeben. Die Formveränderungen, welche auf diese Weise den Brüsten angekünstelt werden können, sind recht erheblicher Art, wovon sich zu überzeugen den Aerzten häufige Gelegenheit geboten ist . Auch die Figuren 47 und 48 lassen derartige Verhältnisse erkennen. Gegen das für unsere heutigen Begriffe schamlose Präsentiren der Brüste, wie es im vorigen Jahrhundert allgemein üblich war, hat namentlich der alte Reinhard weidlich geeifert . Es heisst bei ihm : „Freylich entblössen die Frauenspersonen ihren Busen nicht vor die Lange Weile, freylich eröffnen sie ihre Fleischbank nicht umsonst, und freylich legen sie ihre Waaren nicht ohne Ursach aus, ebenso wie der Vogelsteller seine Lockspeise niemals ohne Grund auszusetzen gewohnt ist, sondern allemal die Absicht hat, die Vögel damit zu betrügen und in das Garn zu locken. Die Schönen haben den Fleischhauern die Kunst recht meisterlich abgelernet : denn diese , wenn sie einen Nierenbraten ansehnlich machen und zu ihrem Nutzen theuer verkaufen wollen, so unterstopfen sie die magern Nieren mit dem Netze : und das Frauenvolk, wenn es die Brüste scheinbarer machen will, so unterleget es die welken Brüste beynahe mit dem ganzen Wächsgeräthe, welches es besitzt, damit die lieben 192 VII. Die Weiberbrust. Ihrigen desto besser in die Höhe treten, aufschwöllen und ansehnlicher werden möchten, da es denn natürlich so aussiehet , als wenn die Brüste vor Geilheit aus dem Busen laufen wollten. Man muss also solche gebrüstete Schönheiten immer erinnern , gute Achtsamkeit zu haben, damit sie ihre Habseligkeiten nicht gar einbüssen möchten. Doch bey diesen Fällen würde dem Schoosshündchen auch einmal ein guter Bissen von dem Glücke zu Theil werden. Ich bin nun schon einmal vor allemal in der Einbildung : dass sich die Schönheiten unsers Zeitpunkts aus keiner andern Absicht entblössen, ihre Brüste aufputzen und zur Schau tragen, als bloss ihre ausgelegten Waaren glücklich an den Mann bringen zu mögen. Ohnerachtet ihnen doch die Natur die Brüste aus weit erheblichern Ursachen und zu grösserm Nutzen gegeben hat, als dass sie mit diesen Vorzüglichkeiten Eitelkeit treiben, auf ihre erhabenen Gaben hochmüthig werden , und die Mannsbilder damit zur Wollust und Sünde reizen sollten . " In Deutschland wird hinsichtlich der Pflege der Brust ausserordentlich viel sowohl in den Städten, als auch auf dem Lande gesündigt, so dass den Kindern ein guter Theil der ihnen zukommenden Nahrung hierdurch entzogen wird. Beispielsweise führe ich nur an, dass in Oberschwaben nach Buck die Brust durch enge Kleider, Mieder u. s. w. zu völliger Unbrauchbarkeit verkümmert ; schliesslich ist nur ein elendes Stück von einer Brustwarze vorhanden ; es können deshalb dort nur sehr wenige Kinder gestillt werden. auch ist daher die Kindersterblichkeit dort ausserordentlich hoch. Im südlichen Theile von Württemberg herrscht, wie mir Stuttgarter Aerzte mittheilen, der Brauch, dass die Landmädchen sich durch ihre Tracht die Brüste geflissentlich niederdrücken. Im Bregenzerwald ist dies im hohen Grade der Fall. Bei Oppermann (Scherr, Ecker) findet sich folgende Angabe über die Bewohnerinnen dieser Gegend : ,, Die Gestalten sind kräftig und gedrungen, die Hüften breit, die Beine ebenmässig gebaut. Nur eins mangelt ihnen völlig : die Brust . Allerdings gewahrt man denselben Mangel auch sonst bei Bergbewohnerinnen, aber es ist dennoch auffallend , dass derselbe hier sogar bei solchen angetroffen wird, die sonst üppig gebaut sind . Dies mag daher kommen, dass Mütter solchen Töchtern, die etwa vor anderen sich durch das, was diesen fehlt , auszeichnen könnten, tellerartige Hölzer anschnallen und so mit Gewalt eine der schönsten Zierden des Weibes in ihrer Entwickelung hemmen. " Auch Byr berichtet von den Mädchen des Bregenzerwaldes : „ Die Juppe umfängt den Leib so eng, dass sie fast die Entwickelung der Brust verhindert und bei älteren Frauen auch immer den Eindruck von Verbildungen hervorruft. " In der Dachauer Gegend in Bayern ist das Stillen der Mütter völlig unbekannt (die Kindersterblichkeit beträgt 40 bis 50 Procent) ; durch diese Pflichtvernachlässigung , die auf Kind und Kindeskinder übergegangen ist , sind die Organe des Säugens allmählich verkümmert ; dazu kommt noch besonders die unschöne Tracht der Dachauerinnen in der Form starrer, brettartiger Apparate, welche die Brüste von der frühesten Jugend an in ihrer Entwickelung hemmen. ( Custer. ) Jedem Fremden, der Deutsch- Tyrol bereist, wird die flache Brust des deutschtyroler Weibes auffallen. Von der Pubertätszeit an wird der Brustkasten des Weibes in ein festes Mieder eingezwängt, das man füglich einen Holzpanzer nennen kann, denn eine wohlentwickelte Brust, die in anderen Ländern den Stolz eines Weibes bildet , gilt in Tyrol nicht als körperliche Zierde. Die Brüste gelangen daher durch Druck zur Atrophie. Das deutsch- tyroler Eheweib stillt ihr Neugeborenes nicht oder höchstens 2-3 Wochen, theils weil die Brüste dazu nicht mehr geeignet sind, theils weil das Stillen nicht Sitte ist . Dagegen fehlt in Welschtyrol dieser Holzpanzer, und dort ist auch die weibliche Brust besser entwickelt, als im deutschen Norden. (Kleinwaechter.) Bei den Tscherkessen wird dem jungen Mädchen im 10. bis 12. Jahre von der Brust bis an die Hüfte herab ein Schnürkleid oder breiter Gürtel von rohgarem Leder dicht um den Leib genäht oder bei Vornehmen mit silbernen Heften befestigt. Grosse Brüste zu haben, ist nach den Begriffen der Osseten das Zeichen mangelnder Sittlichkeit eines Mädchens. Daher tragen die Ossetinnen ebenfalls ein dicht ihre Brüste einschliessendes Corset. Dieses Corset thut man dem Mädchen von 7-8 Jahren, nach Pokrowsky im 10. oder 11. Jahre, an und nimmt es bis zur Brautnacht nicht mehr ab. Dann zerschneidet der junge Ehemann die das Corset zu- 46. Die Verstümmelungen der weiblichen Brust. 193 sammenhaltenden Schnüre und nimmt es ab. Nach dieser Operation entwickeln sich die Brüste unverhältnissmässig rasch. Hier ist von den Osseten nördlich vom Kaukasus die Rede, die viele Sitten von den Kabardinern angenommen haben. (v . Seydlitz.) Wie hoch und eng der Brustkorb von diesem Instrumente umschlossen wird, ist aus Fig. 57 zu ersehen. Auch die Kalmykinnen verflachen die Brüste durch ein Schnürleib. Man sieht, dass wir durch solche unverständigenMaassnahmen bereits hinübergeführt werden in das Gebiet der Verstümmelungen der Weiberbrust, welchem ein späterer Abschnitt gewidmet sein wird. Fig. 57. Corset der Ossetinnen (Kaukasus) (nach Pokrowsky). Da sind bedeutend unschuldigerer Art die vermeintlichen Verschönerungen der weiblichen Brüste, wie sie durch bestimmte Arten der Tättowirungen hervorgerufen werden. Derartige Tättowirungen finden wir an sehr verschiedenen Punkten der Erde : namentlich sind bei manchen Völkern im äquatorialen Afrika kleine in den Hügel der Mamma eingeschnittene Strichornamente in senkrechter oder querer Anordnung nichts Ungewöhnliches . Von den südafrikanischen Basutho - Mädchen sagt Joest : „ Ihre oft sehr schönen Brüste verunstalten sie ausserdem durch eine Menge horizontaler oder vertikaler Schnittnarben. " Noch interessantere Tättowirungen finden sich in dem alfurischen Archipel. So sind als Muster auf Fig. 58. Tättowirung der Brüste bei den Tanembar- Insulanerinnen (nach Riedel). der Insel Serang bogenförmig gestellte Punkte gebräuchlich, welche gleichsam die Projectionsfigur der Mamma wiedergeben, und auf der Insel Tanembar wählt man eine Sternfigur mit geraden oder mit symmetrisch gekrümmten Strahlen, welche die Brustwarze so umgeben, dass sie den Mittelpunkt des Sternes bildet. Wir haben hiervon in Fig. 58 dem Leser die Abbildungen vorgeführt. Das sind natürlicher Weise alles nur gänzlich unschädliche Spielereien, durch welche die spätere Function dieses für die Erhaltung der Nachkommenschaft so hochwichtigen Organes in keiner Weise beeinträchtigt werden kann. Wir wollen den betreffenden Völkern daher aus diesen Gebräuchen keinen Vorwurf machen. 46. Die Verstümmelungen der weiblichen Brust. Bevor wir das Thema der Frauenbrust verlassen, müssen wir noch einiger Verletzungen und Verstümmelungen gedenken, welche die Mütter und Angehörigen der Besitzerinnen oder diese selbst an den Brüsten mit Ploss, Das Weib. I. 3. Aufl . 13 194 VII. Die Weiberbrust. Absicht und Ueberlegung zur Ausführung bringen. Wir haben eine Reihe von Vornahmen bereits kennen gelernt, welche man wohl als unbewusste Verstümmelungen der Brüste bezeichnen könnte. Es waren im Wesentlichen schwere Schädigungen der Brustwarze, welche durch unzweckmässige, die Brust beengende und drückende Mieder an ihrer Entwickelung und Ausbildung derartig behindert und beeinträchtigt wird, dass sie zum Säugen eines Kindes nur unvollkommen oder gar nicht mehr gebraucht werden. kann. Unsägliche Schmerzen, körperliche sowohl als auch besonders solche der Seele, welche die jungen Mütter erdulden müssen, sind auf das Tragen derartiger Corsets in den Jahren ihrer Entwickelung zurückzuführen. Dass diese Unsitte nicht nur bei uns in den Städten und namentlich auch in gewissen ländlichen Districten herrschend ist, sondern dass wir ihr auch auf dem Lande und sogar auf fernen Inseln des alfurischen Archipels (auf den Sermata- Inseln) begegnen, das haben wir weiter oben bereits gesehen. Diese Art der Schädigung an den Brüsten nenne ich eine unbewusste, obgleich nach so häufigen Warnungen von Seiten der Aerzte den eitlen und unverständigen Müttern doch längst die Augen hätten aufgehen können. Zur bewussten und absichtlichen Verstümmelung aber wird das Anlegen des Mieders, wenn es, wie das leider in einigen geistlichen Orden die Regel ist, in der wohldurchdachten Absicht geschieht, die Brüste möglichst an den Brustkorb heranzupressen, um sie womöglich durch den permanenten Druck zum Schwinden zu bringen, damit die Gott geweihte Jungfrau nichts an sich habe, wonach lüsterne Männeraugen blicken könnten, und dass sie auch äusserlich schon hier auf Erden den Engeln im Himmel ähnlich werde, welche bekanntlich weder Brüste, noch auch ein Geschlecht besitzen. Hier ist auch daran zu erinnern, was oben von Dachau, dem Bregenzerwalde und von Spanien gesagt wurde. Es kommen aber auch Verstümmelungen noch viel gröberer Art durch einige eingreifendere Operationen vor, welchen die Brüste unterzogen werden, und hier wohl wird jedem sofort die Erzählung von den alten Amazonen in die Erinnerung kommen. Strabo sagt von ihnen : Allen wird in der Jugend die rechte Brust abgebrannt, damit sie sich des Armes zu jedem Gebrauche, besonders zum Schleudern bedienen können. Diodorus von Sicilien spricht ihnen sogar beide Brüste ab : „ Wird aber ein Mädchen geboren, so werden ihm die Brüste abgebrannt, damit sie sich zur Zeit der Reife nicht erheben, denn man hielt es für kein geringes Hinderniss bei Führung der Waffen, wenn die Brüste über den Leib hervorragten" ; wegen dieses Mangels werden sie auch von den Griechen. Amazonen genannt (zu deutsch Brüstelose, von maza, weibliche Brust, und dem a privativum). Nach Hippokrates setzten bei diesem, am Asow'schen Meere (dem Mäotischen Sumpfe) wohnenden Volke der Sauromater die Mütter den jungen Mädchen ein künstlich dazu gearbeitetes, und überdies noch glühend gemachtes Kupferblech auf die rechte Brust, und brannten diese so aus, dass sie nicht mehr wachsen konnte, damit sich alle Kraft und Stärke nach der rechten Schulter und dem rechten Arme hinziehe. Ursprünglich scythisch , erhielten die Amazonen in den bildlichen Darstellungen der Griechen erst später die alt dorische Tracht kretensischer Jägermädchen : kurz aufgeschürzte Tunika mit Entblössung der rechten Schulter. Wir können uns mit diesen Damen hier nicht weiter beschäftigen, jedoch werden wir in einem späteren Abschnitte auf dieselben zurückzukommen haben. 46. Die Verstümmelungen der weiblichen Brust. 195 Einen eigenthümlichen Brauch fand Cameron in Akalunga, am Ufer des Tanganyika - Sees, ebenso wie in Kasangalowa vor : dort scheinen die Frauen nicht, wie sonst die Negerinnen, stolz auf ihre Brustwarzen zu sein ; sie haben vielmehr eine leere Grube an der betreffenden Stelle. Cameron sprach seine Verwunderung darüber aus, und man sagte ihm, es geschehe zur Zierde, dass sie sich die Warzen ausschnitten. Sollten sie wirklich, so dachte Cameron, sich freiwillig auf so schmerzhafte Weise verstümmeln? Das konnte er nicht glauben ; er vermuthete, es sei eine Strafe, doch blieb er im Zweifel über den wahren Grund. Fig. 59. Russin, zur Skopzen- Secte gehörig, mit abgeschnittenen Brüsten . (Nach v. Pelikan. ) Am Herbertflusse in Australien werden einzelnen jungen Mädchen nach Rotsh die Brustwarzen ausgerissen, um ihnen das Säugen unmöglich zu machen. Auch noch in unserem Jahrhundert werden abscheuliche Arten der Brustverstümmelung von der in Russland hauptsächlich ihr Unwesen treibenden christlichen Secte der Skopzen ausgeübt. Wir sind diesen Leuten bereits weiter oben begegnet. Nach der vortrefflichen Abhandlung von v. Pelikan über diese wunderlichen Heiligen waren ihm Fälle bekannt geworden, wo zehn-, neun- und selbst siebenjährigen Mädchen die Saugwarzen abgeschnitten worden waren, und wo dieselben vor Gericht hartnäckig behaupteten, sie hätten solches an sich selbst verübt. Er unterscheidet bei diesen Skopizen , wie die Weiber bei dieser Secte genannt werden , folgende Verletzungsweisen an den Brüsten : 13* 196 VII. Die Weiberbrust. 1. das Ausschneiden , Ausätzen oder Abbrennen der Brustwarzen eineroder beiderseits. Letzteres bei weitem häufiger ; ― 2. die Abtragung eines Theils der Mammae oder die totale Amputation der beiden Brüste (letzteres ist viel häufiger), so dass an ihrer Statt Längsnarben entstehen, die denen ähnlich sind, welche nach der operativen, zu Heilzwecken vorgenommenen Abtragung vorkommen; 3. verschiedene Einschnitte auf beiden Brüsten , grösstentheils symmetrisch vertheilt. Angeblich spielt in ihrem Gottesdienste eine Abendmahlsfeier eine grosse Rolle, bei welcher den Communicanten statt der Hostie ein kleines Stückchen einer frisch abgeschnittenen, noch blutenden Jungfrauenbrust zum Essen gereicht wird ; jedoch ist diese Anschuldigung durch die gerichtlichen Untersuchungen nicht zur Genüge aufgeklärt worden. Unsere Fig. 59 zeigt eine an den Brüsten verstümmelte Skopize von 20 Jahren, bei welcher die zweite der genannten Arten von Verletzungen ausgeführt worden und eine Verheilung der Amputationswunden durch Narbenbildung eingetreten ist . Zweite Abtheilung. Das Leben des Weibes.

47. Die Hauptabschnitte in dem Leben des Weibes. geWir haben in den bisherigen Kapiteln das Weib, um es mit einem Worte auszudrücken, von dem anatomischen Standpunkte aus in Betracht gezogen. Die folgenden Abschnitte sollen mehr den Lebenserscheinungen. desselben gewidmet werden. Man kann die gesammte Lebenszeit des Weibes in drei grosse Perioden eintheilen. Die erste Periode umfasst die Zeit vom Mutterleibe bis zum Eintritt der geschlechtlichen Reife. Man kann sie auch, wenn auch nicht mit einer für alle Fälle geltenden Sicherheit, als die Zeit vor dem Geschlechtsleben bezeichnen. Es darf hier aber nicht vergessen werden, dass, wie wir sehen werden, der schlechtliche Verkehr bei nicht wenigen Völkern bereits vor dem Beginn der geschlechtlichen Reife zu regelmässiger Ausübung zu gelangen pflegt. Die zweite Periode ist die Zeit der Blüthe , die Zeit des Geschlechtslebens , d. h. die Zeit von dem Eintritt der Reife bis zu dem Erlöschen der weiblichen Fortpflanzungsfähigkeit, bis zu dem sogenannten Klimakterium oder dem Abschluss der Wechseljahre. Dass häufig der geschlechtliche Verkehr weit über diese Grenze hinaus ausgedehnt wird, das dürfte wohl als bekannt vorausgesetzt werden. So heisst es in einem Sanskrit - Verse : „ Dieses ist unangemessen und verkehrt , dass die Männer noch in hohem Alter sogar Liebeserregungen fühlen, und ebenso auch dieses, dass bei schönhüftigen Weibern Leben oder Liebesgenuss nicht mit dem Schlaffwerden des Busens ihr Ende erreichen. " (Böthlingk.) Die dritte Periode endlich umfasst die Zeit nach dem Aufhören. des Geschlechtslebens , die Zeit von den klimakterischen Jahren bis zum Grabe. Es sind diese genannten drei Perioden in Bezug auf ihre zeitliche Ausdehnung von einer ganz ausserordentlichen. Verschiedenheit nicht allein bei den verschiedenen Rassen und Nationalitäten, sondern sehr häufig auch bei den weiblichen Individuen derselben Völkerschaft. Wollen wir für die geschilderten Epochen kurze Ausdrücke wählen, so können wir sie als die Kindheit , die Mannbarkeit und das Alter des Weibes bezeichnen. Wir werden jetzt das Weib durch alle diese drei wichtigen Abschnitte seines Lebens zu begleiten haben. Wir brauchen nicht erst zu erwähnen, dass diese drei Hauptabschnitte sehr wohl noch in Unterabtheilungen zerlegt werden können. So scheidet sich die Kindheit noch naturgemäss in drei Perioden, in die frühe Kindheit, das Säuglingsalter und ungefähr die Zeit der ersten Zahnung umfassend, in die Periode des Zahnwechsels und in das Backfischalter, und in dem letzten Lebensabschnitt muss man die Zeit des Alterns , d. h. des beginnenden Alters von derjenigen des vollendeten Alters trennen . Man hat bei manchen Völkern theils im Scherz, theils im Ernst für die verschiedenen 200 Das Leben des Weibes. Lebensalter besondere Vergleiche und Bezeichnungen erfunden. Auf einem Stich des alten Tobias Stimmer (16. Jahrhundert) heisst es : x Jar Kindischer art, xx Jar ein Jungfrau zart, xxx Jar im hauss die frau, xl Jar ein Matron genau, 1 Jar eine Grossmuter, lx Jar dess Alters schuper, lxx Jar alt Ungestalt, lxxx Jar wüst und erkalt, xc Jar ein Marterbildt, c Jar das Grab aussfült. Das Volk von Venezuela hat nach der Angabe von Ernst in Caracas folgenden Vers: " Die Mädchen sind von Gold Und die Verheiratheten von Silber ; Die Wittwen sind von Kupfer Und die Alten von Blech. " Nach Böthlingk's Angabe enthält ein Sanskrit vers die folgenden Vergleiche : „ Ein unerwachsenes Mädchen gleicht dem Traubensaft, eine Jungfrau dem Zucker, eine Frau mittleren Alters dem Safte der Mangofrucht, ein altes Weib einer Cocosnuss. “ An einer anderen Stelle der altindischen Gesänge wird von dem Mädchen gesagt : 99 Wenn die Menses bei ihr noch nicht erschienen sind, heisst sie Gaurî (die Röthliche) ; sind die Menses da, Rohini (die Rothe) , ohne Pubes Kanja (Mädchen) ; ohne Brüste Nagnika (die Nackteinhergehende). " Wir finden in einer ähnlichen Angabe des Angira auch die betreffenden Lebensalter aufgezeichnet, auf welche sich die soeben vorgeführten Namen beziehen. Er sagt : „ Die Weiber heissen Gurê im 8. Jahr, Rohine im 9. Jahr, Kangkaka im 10. Jahr und nach dem 10. Jahr Majaswala, wo die Frau ihre Regel hat. " Die reichste Nomenclatur für das weibliche Geschlecht finden wir aber, wie Beauregard angiebt, bei den alten Aegyptern wieder. Mehr als 25 Worte sollen bei ihnen existiren, um die kleinen Kinder zu bezeichnen. Beauregard führt nur einige derselben an, und meist ist für die Knaben jedesmal ein fast gleichlautender Name vorhanden. Erst mit dem fortschreitenden Alter tritt eine Verschiedenheit in den Bezeichnungen ein. Der Name mesi für die kleinen Mädchen ( mes für die Knaben) hängt mit dem Verbum mes , geboren werden, zusammen und bezeichnet die Neugeborenen. Set- et für die Mädchen ( set für die Knaben) enthält die Wurzel set , Abbild, Aehnlichkeit. „ Appliqué comme dénomination aux jeunes enfants , cette expression me paraît être un compliment à l'adresse des parents et peut- être, comparée à notre expression , exclamative : portrait du papa ! portrait de la mama ! " Das Wort nefer- t für die Mädchen (nefer für die Knaben) entspricht ungefähr unserem „ Kleine " . Jetzt fangen die Bezeichnungen für das weibliche und das männliche Geschlecht an sich zu scheiden; es herrscht ferner keine Uebereinstimmung mehr zwischen ihnen. Das junge Mädchen heisst renen- t. „ Il répond au mot grec ag Véros et à notre mot : jeune demoiselle. " Das reife Mädchen hat den Titel hennu, demoiselle à marier, personne mûre pour la culture. Als Ehefrau heisst das Weib sami-t (sam symbolisirt die Vereinigung) . Das Weib als Mutter mát hat vier hieroglyphische Bezeichnungen, in deren einer die männlichen und weiblichen Genitalien auftreten. Für die Wittwen hat die ägyptische Sprache drei Ausdrücke ; der erste, kemh, bedeutet tiefe , schwarze Trauer; der zweite, char, wüstes, unbebautes Feld, und der dritte endlich , nennu, hat den Sinn , vom Phallus entwöhnt, verlassen. VIII. Das Weib im Mutterleibe. 48. Die Erkenntniss des Geschlechtes der Kinder im Mutterleibe. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung in der Psychologie der Völker, dass schon vom Mutterleibe an sich eine Ungleichwerthigkeit der beiden Geschlechter nachweisen lässt, und zwar ist es in der Mehrzahl der Fälle das weibliche, welches bereits von seiner Geburt an als das minderwerthige betrachtet zu werden pflegt. Hört man doch selbst in unserem hochcivilisirten Lande nicht selten spöttelnde Bemerkungen demjenigen zuraunen, welchem nur ein Mädchen" geboren ist . Wir werden später noch zu erfahren haben, wie wenige Berechtigung einem solchen Spotte innewohnt, aber es ist wohl eine feststehende Thatsache, dass bei uns fast durchgehends die Geburt eines Knaben mit grösserer Freude begrüsst wird, als diejenige eines Mädchens. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die in guter Hoffnung sich befindenden Frauen und vor allen Dingen deren kluge und vielerfahrene Rathgeberinnen schon während der Schwangerschaft bemüht sind, das Geschlecht des zukünftigen Weltbürgers vorherzusagen . Und bis zu dem achtzehnten Jahrhunderte hin lebten selbst die Aerzte in dem festen Glauben, dass sie sich in dem sicheren Besitze solcher Erkennungsmittel befänden. Schon bei den Aerzten der alten Inder wurde eine frische. helle Gesichtsfarbe als untrügliches Vorzeichen für die bevorstehende Geburt eines Knaben angesehen, auch hatten gewisse Gelüste und Träume ihre ganz bestimmte Vorbedeutung. Nach Susruta's Ayurvedas deutete ein auf beiden Seiten gleich hoher Leib auf einen Zwitter (Napunsaka genannt , was eigentlich ein Nichtmännchen bedeutet), hingegen eine thalähnliche Vertiefung in der Mitte des Leibes zeigte eine Zwillings schwangerschaft an. Sehr eigenthümliche Uebereinstimmungen in den Ansichten finden wir bei den Juden , den Griechen und den Römern, welche alle drei die rechte Seite der Schwangeren (wahrscheinlich als die stärkere oder „ hitzigere" ) als diejenige bezeichnen, aus welcher die Knaben herrühren, während die Mädchen aus der linken Seite hervorgehen sollten. Und dieser Anschauung entsprechend, stellten sie ihre Diagnose, d. h. sie urtheilten nach den Zeichen rechts oder links am Auge, aus der früheren und stärkeren Fülle der einen. Brust, aus der grösseren Schwellung der einen Bauchseite, aus der schnelleren und kräftigeren Beweglichkeit der einen Extremität, aus der Pulsbeschaffenheit auf beiden Seiten, aus dem Niederschlage des Urins auf einer von beiden Seiten des Nacht- Geschirrs (Soranus) oder auch aus dem Untersinken oder Schwimmen eines Tropfens Blut oder Milch aus der rechten Seite. 202 VIII. Das Weib im Mutterleibe. Der Umstand, dass sie innerhalb der Gebärmutter jedem Geschlechte eine besondere Seite zuweisen, findet seine Erklärung darin, dass sie ihre anatomischen Kenntnisse. wie oben gesagt wurde, nur von den Schlachtund Opferthieren her besassen, und dass die Wiederkäuer einen zweigetheilten zweihörnigen Uterus besitzen und nicht eine einfache Gebärmutterhöhle, wie sie dem Menschen zukommt. Eine andere Uebereinstimmung finden wir unter den alten Griechen und Römern darin, dass sie gemeinschaftlich ein geröthetes, blühendes Angesicht der Schwangeren auf einen Knaben deuteten. Sie meinten ferner. dass sich die Knaben früher bewegen, als die Mädchen, und dass man die Zeit, in welcher die Kindesbewegungen von den Schwangeren gefühlt werden, als diagnostisches Merkmal benutzen könne. Plinius sagt: eine bessere Gesichtsfarbe und Kindesbewegungen am 40. Tage deuten auf einen Knaben. das Gegentheil aber, sowie eine leichte Anschwellung der Schenkel und Leisten, auf ein Mädchen. Den Glauben an diese Merkmale nahmen auch die Araber an. Nach Rhazes deutet ein voller, runder und harter Unterleib und eine muntere Gesichtsfarbe auf einen Knaben, aber eine rothpunktirte Haut auf ein Mädchen ; „ et si caput mamillae transmutatum fuerit ad rubedinem, pariet masculum, si ad nigredinem, filiam ". Aber auch die rechte und linke Seite spielen bei Rhazes dieselbe Rolle, wie bei den Griechen. Avicenna meinte gleichfalls, aus verschiedenen Zeichen rechter- und linkerseits das Geschlecht des Kindes erkennen zu können. Nach Albukasem deutet Pulchritudo faciei et agilis motus auf einen Knaben, aber Demigratio rostri mamillae sinistrae, discoloratio et maculae faciei auf ein Mädchen. Nach Manoello, einem jüdischen Dichter , geb. 1265 zu Rom , gest. 1330 zu Fermo , ist , wie derselbe in einem seiner vielen Scherzgedichte (in seinem Liederbuche 1328) sagt, durch folgende Zeichen zu erkennen, ob eine Frau, welche schwanger ist , ein männliches Kind trägt : 1. das Gesicht der Mutter sieht schön und „ ungetrübt" aus ; 2. die rechte Brust ist grösser, als die linke ; 3. die Pulse der rechten Hand schlagen stärker; 4. die Adern unter der Zunge sind rechterseits lebhafter und frischer; 5. die Adern der ganzen rechten Seite sind zehnfach stärker, als die der linken ; 6. der Warzenhof der rechten Brust ist dunkel, wie bei einer leichten, kräftigen Kameelstute ; 7. das rechte Nasenloch pflegt zu bluten ; 8. der Fötus liegt mehr auf der rechten Seite des Leibes. Als Mittel, zu erkennen, ob eine Schwangere ein Mädchen oder einen Knaben haben wird, giebt eine sehr alte, auf dem Blatte eines Bibelcodex (Leipziger Bibliothek) geschriebene und von Bursian veröffentlichte Receptsammlung Folgendes : Sieh die Brustwarzen an ; wenn sie aufwärts stehen, wird's ein Knabe, wenn abwärts, ein Mädchen ; wenn sie schön gefärbt sind, ein Knabe, wenn schlecht, ein Mädchen. " In einer deutschen Bearbeitung des Plinius aus dem 16. Jahrhundert lesen wir : „ Die Weiber, so Knäblein tragen, sollen blass gefärbt seyn, auch leichtlicher geberen, und das Kind sich gemeinlich am vierzigsten Tage regen. Mit den Meidlein halte sichs anders, denn die werden gantz schwerlich getragen und regen sich allererst umb den neuntzigsten Tag. “ Dann heisst es weiter: Wenn die Seele dem zubereiten Leibe eingegossen wirt, so fahnt er an zu leben, und sich in Mutter Leibe zu regen und bewegen. " Wir erfahren hieraus, dass nach der Ansicht der damaligen Zeit die Mädchen in dem Mutterleibe um beinahe zwei Monate später in den Besitz einer Seele gelangen, als die Knaben. 48. Die Erkenntniss des Geschlechtes der Kinder im Mutterleibe. 203 In Deutschland im Frankenwalde glaubt das Volk , dass schlechtes Aussehen und besonders kränkliches Befinden in der Schwangerschaft einen Knaben verspreche. (Flügel.) Nach dem Glauben der Pfälzer giebt es ein Mädchen, wenn die Frau nach der Befruchtung mit dem linken Fusse zuerst aus dem Bett steigt. Auch im übrigen Bayern wird ein gelbes, fleckiges Aussehen der Schwangeren für das sichere Anzeichen genommen, dass sie ein Mädchen trage, und das Gleiche gilt, wenn in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft die Mittellinie des Unterbauches nicht dunkel gefärbt ist. (Lammert.) Man glaubt in Steyermark, dass Jahre, in denen mehr Aepfel und Nüsse gerathen, mehr Knaben, in denen hingegen mehr Birnen gedeihen, mehr Mädchen zur Welt kommen. Man deutet dort Erscheinungen, z. B. Aufregung beim Beischlaf, blühendes Aussehen der Frau und energische Kindesbewegungen auf einen Knaben, bleiche Gesichtsfarbe, insbesondere ,,Leberflecke" der Schwangeren auf ein Mädchen. (Fossel. ) Will eine schwangere Frau im Siebenbürger Sachsenlande wissen, ob sie einen Knaben oder ein Mädchen haben werde, so nimmt sie eines jener Holzstäbchen, die auf dem Webstuhl zwischen dem Garn stecken, und reitet darauf mit zugemachten Augen auf die Gasse. Sieht sie hier zuerst einen Mann, so hat sie einen Knaben, wenn sie eine Frau sieht, so ist ein Mädchen zu erwarten (in St. Georgen in Siebenbürgen) . (Hillner.) Der Siebenbürger Zigeunerin, welche wissen will, ob sie in anderen Umständen sei und welchen Geschlechtes ihr Kind sein wird, wird Folgendes gerathen : „ Sie nehme ein Ei, giesse den Inhalt desselben, ohne jedoch das Eiweiss vom Dotter zu trennen, in einen Napf und lasse Wasser aus ihrem Munde hineinträufeln. Schwimmt das Ei am nächsten Morgen auf der Oberfläche des Wassers, so ist sie in gesegneten Umständen und wird, wenn das Dotter vom Eiweiss getrennt herumtreibt, einen Sohn, wenn aber beide Eibestandtheile vereinigt auf der Oberfläche schwimmen, eine Tochter zur Welt bringen. " (v. Wlislocki. ) Unter den Serben bedeutet die Entzündung der oberen Augenwimpern, dass die Frau mit einem Knaben, die der unteren, dass sie mit einem Mädchen schwanger ist . Will eine Serbin , wenn sie schwanger ist, wissen, ob sie einen Knaben oder ein Mädchen haben wird, so soll sie im Garten zwei gleiche Grashalme zur Hälfte abbeissen, so dass sie ganz gleich lang sind, und dann werden dieselben in die Erde gesteckt. Dies wird Abends gemacht. Zugleich aber wird eine Hälfte dem Knaben, die andere dem Mädchen gewidmet. Morgens früh sieht man nach, welches Ende grösser geworden ist, ob jene des Knaben, oder die des Mädchens. Nach der grösseren Hälfte wird auch das Kind bestimmt. (Petrowitsch.) ,,Bei den altgläubigen Südslaven wird im Allgemeinen das Schwein, welches als Festbraten dienen soll , nach den Weihnachtsfasten geschlachtet und sorgfältig ausgeweidet. Die Eingeweide legt man besonders in einen Schäffel, darauf aber beschauen zuerst die Männer, dann die Frauen mit grösster Aufmerksamkeit die Form des in der Mitte zurückgebliebenen Unschlitts und prophezeien daraus, wenn es schlapp ist, dass eine von den jungen Frauen im Hause ein weibliches, und wenn es aufgeknospet ist, dass sie ein männliches Kind zur Welt bringen werde.“ (Krauss. ") Bei dem russischen Volke gelten nach Demič folgende Regeln : , Wird die Schwangere, wenn man sie fragt, ob es ein Knabe oder ein Mädchen wird, roth, so wird es ein Mädchen, wird sie nicht roth, so wird's ein Knabe. Beschwerden in den 3 ersten Monaten deuten auf ein Mädchen (umgekehrt, Knabe). Träumt die Schwangere von einem Brunnen oder einer Quelle, so wird's ein Mädchen, von einem Messer oder Beil, 204 VIII. Das Weib im Mutterleibe . ein Knabe. (Ehstland.) Eine vor der Conception blasse Frau, die hinterher roth ist , bekommt einen Knaben. Die ,, schattige Laube ", ein Volksheilbuch, sagt , dass die Knaben im dritten , die Mädchen im vierten Monat im Uterus die ersten Bewegungen machen. “ Von den Lappen erzählt der alte Scheffer : „ Denn sobald sie merken, dass das Weib schwanger sey, wollen sie auf diese Weise, ob sie ein Knäblein oder Mägdlein zur Welt trage, erfahren. Sie betrachten alsofort den Mond (denn sie halten dafür, die schwangere Weiber seyn dem Monde in vielen gleich) , steht über demselben ein Stern, so schliessen sie, es werde ein Knäblein seyn, stehet er aber unter demselben, so werde es ein Mägdlein seyn. " Auch bei der Bevölkerung Italiens begegnet man auf unserem Gebiete mancherlei Aberglauben, welcher theilweise, ähnlich wie in Deutschland , die Nachwirkung der Anschauungen des Alterthums erkennen lässt. So gilt es im Modenesischen für das Zeichen einer späteren Mädchengeburt, wenn sich in den ersten Monaten der Gravidität bleiche Gesichtsfarbe, fleckige Haut und gastrische Störungen einstellen . Auch wird ein Mädchen geboren werden, wenn der Bauch der Schwangeren abgerundet und wenig vorspringend erscheint. (Riccardi. ) Allerlei Erkennungszeichen hat man in Unter- Italien in der Provinz Bari nach Harusio's Angabe. Will eine Schwangere wissen, ob sie einen Knaben oder ein Mädchen trage, so muss sie sich auf die Erde setzen und sich dann wieder erheben lassen. Stützt sie sich dabei links, so wird sie ein Mädchen zur Welt bringen. Auch eine trächtige Eselin kann als Orakel dienen, wenn sie von der Schwangeren geritten wird. Das Kind der Letzteren hat das entgegengesetzte Geschlecht, wie das junge Eselfüllen . Wirft der Weiberrock rechts und links auf dem Bauche eine Falte, so wird ein Mädchen geboren werden, hingegen zeigt eine Mittelfalte einen Knaben an. Wenn in den letzten Monaten der Schwangerschaft die Frau im Gesicht eine unreine Hautfarbe und Leberflecke zeigt, so ist sie mit einem Mädchen schwanger. Auch soll die Frau einen Tropfen ihrer Milch auf ein glühendes Kohlenbecken fallen lassen. Breitet sich der Milchtropfen aus, so deutet das auf ein Mädchen, bleibt er konisch, auf einen Knaben. Ganz sicher soll es ein Mädchen werden, wenn sich schon ungefähr 30 Tage vor der Niederkunft Milch in den Brüsten findet ; ist das aber erst 10 Tage vorher der Fall, so wird ein Knabe geboren werden. Wie diese Völker, so glauben sowohl die Chinesen als auch die Türken im Besitze bestimmter Merkmale zu sein, die ihnen das Geschlecht des Kindes verrathen. Die türkischen Hebammen machen nach Eram der Schwangeren Hoffnung auf einen Knaben, wenn „ la face est turgescente, les joues colorées et les yeux brillants" ; sie erwarten aber ein Mädchen, si la femme est pâle, si les yeux sont ternes, si la physiognomie est triste" . Auch vermögen sie zum Erstaunen Aller selbst Zwillingsschwangerschaften, welche im Orient durchaus nicht selten vorkommen sollen, mit einer gewissen Geschicklichkeit zu erkennen und vorherzusagen. Die malayischen Hebammen auf den Philippinen bestimmen. schon in frühester Periode der Schwangerschaft das Geschlecht des Kindes; die Frauen ermangeln nicht, sie in dieser wichtigen Frage zu Rathe zu ziehen (Mallat) ; ihre Merkmale, die sie hierbei benutzen, sind mir jedoch nicht bekannt. Nach dem Glauben der Maori auf Neu- Seeland pflegt die Geburt eines neuen Wesens schon vorher durch Träume angezeigt zu werden. Wenn ein verheiratheter Mann im Traume menschliche Schädel mit Federn 48. Die Erkenntniss des Geschlechtes der Kinder im Mutterleibe. 205 verziert erblickt, so wird ihm gewiss damit ein Kind verheissen. Waren die Federn, welche er gesehen , vom Kotuku, so wird das Kind ein Knabe, waren es dagegen Federn vom Huia, so wird das Kind ein Mädchen. (Novara. ) Auch die Insulanerinnen des alfurischen Archipels verstehen es, bei Schwangerschaften vorherzubestimmen, ob ihnen ein Knabe oder ein Mädchen geboren werden wird. Auf den Keei - Inseln geben Zaubermittel hierüber den Aufschluss ; auf den Aaru- Inseln sagen es alte Frauen den Schwangeren vorher, weigern sich aber hartnäckig, ihre Kennzeichen anzugeben. Bei der ersten Schwangerschaft ist auf den Babar- Inseln der Ehemann verpflichtet, unter der Assistenz eines Sachverständigen ein Ferkel zu schlachten. Diesem wird das Herz herausgenommen, und erblickt man beim Aufschneiden desselben eine Ader mit einer Verdickung, so ist das Kind ein Knabe, und im umgekehrten Falle ein Mädchen. Ist das Orakel nicht deutlich genug, dann muss noch eine Henne geschlachtet und an deren Herzen die Untersuchung wiederholt werden. Wenn die schwangeren Weiber auf Leti, Moa und Lakor an der Hinterseite ihrer Schenkel Schmerzen fühlen, dann werden sie einen Knaben zur Welt bringen. Auf Ambon und den Uliase - Inseln gilt es als Vorzeichen für eine Knabengeburt, wenn der Unterbauch der Schwangeren gross ist und sie beim Laufen ihr rechtes Bein schwer aufzuheben vermag. Ist aber der Oberbauch gross und kann sie ihr linkes Bein schwer bewegen, dann wird sie ein Mädchen zur Welt bringen. (Riedel. ') Was von allen diesen untrüglichen Zeichen zu halten ist, das enthüllte uns schon mit klaren Worten gegen das Ende des 17. Jahrhunderts der alte Pariser Geschworenen -Wundarzt François Mauriceau: 27 Man kan den Weibern ihren Vorwitz und Sehnsucht, indem sie zu wissen verlangen, ob sie schwanger oder nit , wohl genug thun. Es finden sich aber ihrer viel, und fast alle, die da wollen, man sol weiter gehen, und ihnen sagen, ob es mit einem Büblein oder einem Mägdlein seye, das doch schlechter Dinge unmöglich ; obwohl fast keine Hebamme ist , die sich rühmet, solches nicht zu errahten (in Wahrheit wol errahten ; aber nicht, zu treffen) : dann wann das geschicht, so ist es viel mehr ein gewagter Handel, als einige Wissenschafft, oder Bedencken, das sie gehabt haben, solches wahrsagen zu können. Man wird aber offt so hart gedrungen, und angefochten, sein Bedencken hiervon zu sagen, sonderlich von Frauen, die nie kein Kind gehabt, ja auch von ihren Männern, die nicht weniger vorwitzig : dass man ihnen jemals Schanden halben aufhupffen muss, so gut man in diesem Fall kann. “ Die Barbara Widenmannin, Führerin derselben in des Heiligen schreibt im Jahre 1735 in ihrer geschworene Hebamme, und der Zeit Römischen Reichs Stadt Augsburg, Anweisung christlicher Hebammen" : „Ob aber eine schwangere Frau mit einem Mägdlein oder Knäblein schwanger gehe, weiss niemand gewiss, als GOTT allein, der auch in das Verborgene siehet, und fleissig darum muss gebetten werden, dass er die beschehrte Leibes -Frucht gnädig erhalte , und zu rechter Zeit die Eltern damit erfreue. Alsdann können sie selber sehen, was ihnen beschehrt worden. " Ganz neuerdings ( 1888) hat Dupuy der Pariser Société de Biologie. ein Merkmal angegeben, um das Geschlecht des Kindes im Mutterleibe vorherbestimmen zu können, falls es sich nicht um die erste Schwangerschaft handelt. 200 Familien mit mehr als 1000 Kindern haben ihm hierzu das Beobachtungsmaterial geliefert. Zu diesem Behufe muss man das Geschlecht des ersten Kindes kennen. Bezeichnet man den Monat (d. i. den Zwischenraum zwischen zwei Menstruationen), in welchem das erste Kind concipirt worden ist, mit 1, so 206 VIII. Das Weib im Mutterleibe. wird das nächstfolgende Kind dasselbe Geschlecht haben, wenn es in einem paaren Monat concipirt wurde, also im 12., 14. , 16. u. s. w. , umgekehrt wird das Kind das entgegengesetzte Geschlecht haben, wenn es in einem unpaaren Monat, also z. B. 11., 13., 15. etc. concipirt wurde. 49. Verlauf der Mädchen- und Knabengeburten. Im Alterthum hat fast allgemein die Ansicht geherrscht, dass die Knabengeburten leichter vor sich gehen, als Mädchengeburten. Diese Ansicht finden wir bei Aristoteles, Plinius und Galenus ausgesprochen. Aus der Stelle von Galenus kann geschlossen werden, derselbe habe vielleicht angenommen, dass die Knabengeburten deshalb leichter sind, weil sich die Knaben kräftiger bewegen : Masculus autem in corpore quam femina majorem motum plerumque concitat et facilius paritur, tardius femina. Auch die Rabbiner des babylonischen Talmud hatten, wie wir schon anführten, diese Ansicht. Sie meinten, die männlichen und weiblichen. Kinder müssten im Uterus in ähnlicher Weise liegen, wie beim Coitus der Mann ( das Gesicht nach unten) und die Frau (das Gesicht nach oben) . Deshalb glaubten sie auch, dass der weibliche Fötus mehr Rotationen vollenden müsse, als der männliche, und dass deshalb die Schmerzen der Gebärenden bei der Geburt eines Mädchens grösser seien, als bei der eines Knaben. Man kann aber auch heute noch im Volke häufig dem Glauben begegnen, dass sich die Mädchen in ihrer angeborenen Schüchternheit nicht. so ungenirt aus dem Mutterleibe herauswagen, wie die Knaben. Wenn daher eine Entbindung länger auf sich warten lässt, als die Schwangere oder deren weibliche Umgebung herausgerechnet haben, so wird hierdurch bewiesen, nicht dass die Damen sich in der Feststellung des Termines verrechnet haben, sondern dass der zukünftige Sprössling ein Mädchen ist . welches sich nicht entschliessen kann, das Licht der Welt zu erblicken . Die Bayern sind allerdings, wie Lammert berichtet, in diesem Punkte gerade der entgegengesetzten Meinung. Sie sagen, dass die Geburt eines Mädchens immer schneller von Statten gehe, weil die Mädchen vorwitziger wären. Solchen unbegründeten Annahmen gegenüber steht eine hochinteressante Thatsache, welche sich aus der Sterblichkeits- Statistik der Neugeborenen in allen Ländern ergiebt : Es unterliegt keinem Zweifel, dass überall unter den Todtgeborenen sich ganz erheblich mehr Knaben befinden , als Mädchen. Was ist der Grund für diese merkwürdige Erscheinung ? Müssen wir in dem Geburtsacte selbst für die Knaben eine grössere Gefahr erblicken als für die Mädchen? Das lässt sich leider aus der Statistik nicht ersehen, da sich für die während der Geburt Gestorbenen in den Mortalitätslisten keine Rubriken finden. Nach den älteren Beobachtungen von Wappaeus ist das Verhältniss bei den Lebendgeborenen 100 105,8, bei den Todtgeborenen dagegen 100 Mädchen zu 140,3 Knaben. Quetelet fand aus Beobachtungen für verschiedene europäische Länder, vorzugsweise aus den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts, 133,5 todtgeborene Knaben auf 100 todtgeborene Mädchen. Neuere Untersuchungen von Bodio ergeben für die todtgeborenen Knaben gegenüber 100 todtgeborenen Mädchen folgende Verhältnisszahlen : 49. Verlauf der Mädchen- und Knabengeburten. 207 Italien 140 (Jahre 1865-1875) , Deutsches Reich 129 ( J. 1872-75) , Oesterreich 131 ( Cisleithanien J. 1866-1874) , Belgien 135 ( J. 1865–1874) , Holland 126 (J. 1865--1873) , Bayern 134 ( J. 1865-1875) . Nach officiellen Zählungen ergab sich während der Jahre 1865–1883 (resp . 1882) ein durchschnittliches Verhältniss der Todtgeborenen auf 100 Mädchen, die Zahl der Knaben: in Italien 137 , Frankreich 145, Preussen 129, Bayern 132 , Sachsen 130, Thüringen 125, Württemberg 131 , Baden 128 , Oesterreich - Cisleith. 131 , Belgien 134, Holland 128, Schweden 134 , Norwegen 129, Dänemark 130. Es ist wohl nicht ohne Interesse, ausser den relátiven auch die wirklichen Zahlen kennen zu lernen. Italien . Frankreich Preussen Bayern . Sachsen . Thüringen Land Württemberg Baden Elsass - Lothringen Oesterreich . Ungarn . Kroatien u. Slavonien Schweiz Belgien Holland Schweden Norwegen Dänemark Spanien Todtgeborene. Zeit Knaben Mädchen 1865-1883 301587 229478 1865-1882 473204 329234 1865-1883 455633 338323 99 "9 76916 56325 17 37 52391 40205 37 15521 12442 1871-1882 21255 16228 1865--1883 20203 15306 1872-1882 13706 11540 1865-1883 213466 163381 1876-1882 35072 27505 1874-1882 | 4954 3737 1870-1883 | 29598 22141 1865-1883 1 85358 63398 1865-1882 73798 57896 27 42991 32210 27 20601 15963 20613 15814 1865-1870 22085 14698 1870-1882 19730 15014 1875-1878 10704 8352 1878-1882 6016 4621 1870-1881 8777 5928 1873-1876 424 292 1881-1882 412 273 781 Rumänien Russland ( europäisches ) Finnland Massachusetts Vermont Connecticut Rhode Island 1875-1883 | 1246 Wenn es nun allerdings unter diesen Culturländern mit verschiedener Nationalität Unterschiede giebt, so sind dieselben doch nicht so bedeutend, um aus denselben bestimmte Schlüsse ziehen zu dürfen ; nur ist auffallend , dass sich der Knabenüberschuss der Todtgeborenen in den beiden Ländern romanischer Zunge, in Italien und Frankreich, so hoch erhebt, wie in keinem der übrigen Länder. Doch war in Gegenden der Vereinigten Staaten Nordamerikas der Knabenüberschuss ebenfalls sehr gross (Massachusetts 1870-1883 : 148) . Man ist erst in neuerer Zeit bemüht gewesen, zu ermitteln , welches die Ursachen sind, die diesem eigenthümlichen Verhältnisse zu Grunde liegen. Der Umstand, dass ja überhaupt mehr Knaben als Mädchen geboren werden, wie wir oben gezeigt haben. ist zur Erklärung nicht ausreichend, denn das Verhältniss der todtgeborenen Knaben und Mädchen und der lebendgeborenen Knaben und Mädchen ist kein übereinstimmendes. Es müssen hier noch anderweitige Factoren wirksam sein. Nach Clarke und Anderen ist das mittlere Gewicht der neugeborenen Knaben grösser als das der Mädchen, auch hat der Schädel des Knaben 208 VIII. Das Weib im Mutterleibe . einen grösseren Umfang als der des Mädchens. Später suchte Simpson zu ermitteln, warum die Knaben im Allgemeinen schwerer geboren werden, als die Mädchen. Auch wollte die Thatsache, dass Knaben beim Geburtsact häufiger sterben, als Mädchen, Meckel dadurch erklären, dass die Knaben. sich lebhafter bewegen und deshalb häufig Veranlassung zur Drehung der Nabelschnur, zur Hemmung des Kreislaufes und dadurch zu dem Absterben bieten. Gegen Clarke trat Casper und gegen Simpson insbesondere Veit auf. Breslau suchte Simpson's Ansicht zu bekräftigen ; ich selbst (Ploss ) beleuchtete diese Frage nochmals. Jedenfalls wirken zu der grösseren Gefährdung des männlichen Organismus durch den Geburtsact verschiedene Bedingungen zusammen : der grössere Umfang des Körpers, insbesondere des Schädels, beim Knaben steht dabei gewiss in erster Linie, jedoch bedarf diese Angelegenheit noch weiterer Erforschung und Aufklärung. Olshausen hat noch einen anderen Umstand hervorgehoben. Er maass die Schädel von je 500 Mädchen und 500 Knaben, dabei fand er nur eine durchschnittliche Differenz des grössten Querdurchmessers von noch nicht 1 Millim. Olshausen hält es für unwahrscheinlich, dass hiermit sich die Differenz des Geschlechtsverhältnisses bei Todtgeburten erklären lasse. Vielmehr hält er dafür, dass wahrscheinlich rhachitische Frauen mit engen Becken häufiger, als sonst gesunde und mit normalen Becken ausgestattete Frauen Knaben produciren. Er hat aus 6 Kliniken die Geburten bei engem Becken je nach dem Geschlechtsverhältniss der Neugeborenen berechnet. Das Ergebniss war hier 310 Knaben zu 211 Mädchen, also 100 Mädchen : 150 Knaben. Es wird, wie Olshausen selbst bemerkt, freilich eingeworfen werden, dass die Knabengeburten als die durchschnittlich schwereren mehr als die relativ leichteren Mädchengeburten zur Kenntniss des Arztes kommen. Allein immerhin ist es nicht unwichtig weiter zu untersuchen, ob rhachitische Frauen einen so bedeutenden Knabenüberschuss erzeugen, wie durch diese vorläufige Statistik wahrscheinlich wird . IX. Das Weib während der Zeit der geschlechtlichen Unreife oder die Kindheit des Weibes. 50. Die Aufnahme des Mädchens nach der Geburt. Es wurde bereits weiter oben darauf aufmerksam gemacht, dass bei sehr vielen Völkerschaften die Geburt einer Tochter mit sehr geringer Freude begrüsst wird, und es geht das soweit, dass dieselbe geradezu als eine Schande und ein Unglück angesehen werden kann. So haben die Uiguren , welche zu den mittelasiatischen Türken gehören, die folgenden Verse: „ Besser wenn eine Tochter nicht geboren oder nicht am Leben bleibt , Wird sie geboren, so ist es besser, wenn unter der Erde, Wenn das Todtenmahl mit der Geburt vereint. " (Vambéry. ) Auch der Kirgise sagt : Bewahre nicht lange das Salz, denn es wird zu Wasser ; bewahre nicht lange die Tochter, denn sie wird zur Sclavin. Die Ossetin wird zur Entbindung in ihre Heimath gesendet und kehrt mit leeren Händen zu ihrem Gatten zurück, wenn sie eine Tochter geboren hat. Ist sie aber von einem Knaben entbunden worden, dann bringt sie ihrem Ehemanne für die günstige Befruchtung reiche Geschenke mit. Eine Georgierin , die nur von Töchtern Mutter wird, wagt es kaum, vor Menschen sich sehen zu lassen ; bei Geburt eines Knaben aber giebt es fast überall grossen Jubel. (Bodenstedt. ) Im Koran, welcher den Kindesmord verbietet, heisst es : „ Hört der Araber , dass ihm eine Tochter geboren worden ist , so färbt die Traurigkeit sein Angesicht schwarz ; diese Nachricht dünkt ihm ein so schmähliches Uebel, dass er sich vor keinem Menschen sehen lässt, und er ist zweifelhaft, ob er die ihm geborene Tochter zu seiner Unehre behalten, oder ob er sie in die Erde scharren soll. " Auch von den Montenegrinern wird die Geburt einer Tochter beinahe als ein Unglück, mindestens aber als eine grosse Enttäuschung angesehen ; selbst in den höchsten Kreisen findet sich diese merkwürdige Ansicht. Ist eine Tochter geboren, so stellt sich der Vater auf die Schwelle des Hauses und senkt die Augen, gleichsam um seine Nachbarn und Freunde um Verzeihung zu bitten ; wird mehrere Male hinter einander eine Tochter geboren, statt eines Erben und zukünftigen Soldaten, so muss die Mutter, die ihrem Mann nur Töchter geschenkt hat, nach dem Volksglauben sieben Priester zusammenrufen, welche Oel weihen und umhersprengen, sowie die Schwelle des Hauses fortnehmen und durch eine neue ersetzen müssen, um das am Hochzeitstag durch böse Mächte behexte Haus zu reinigen. Ganz anders geht es jedoch im Hause her, wenn ein Knabe geboren wurde ; von fast toller Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 14 210 IX. Das Weib während der Zeit der geschlechtlichen Unreife etc. Freude erdröhnt das ganze Haus ; der Tisch wird gedeckt, und bald sammeln sich um ihn alle Bekannten des Hauses und bringen den Eltern ihre Glückwünsche dar, darunter auch einen sehr merkwürdigen, der zugleich das kriegerische Leben dieses Volkes kennzeichnet, nämlich den Wunsch, dass der Neugeborene nicht in seinem Bette sterben möge. Auch bei dem modenesischen Landvolke sind nach Riccardi die Mädchengeburten nicht sehr angesehen. Unter den Conibos , welche in Süd- Amerika am Ucayale wohnen, ist dem Vater die Geburt eines Mädchens so gleichgültig, ja sogar so widerwärtig, dass er, wenn man ihm dieselbe meldet, sein Moskitonetz anspeit ; dagegen schlägt er vor Freuden mit dem Bogen auf die Erde, wenn ein Knabe zur Welt gekommen ist, und sagt der Mutter freundliche Worte. Wenn diese nach der Geburt eines Mädchens vom Flusse zurückkommt, in welchem sie sich und das kleine Geschöpf gewaschen hat, senkt sie beim Eintreten in die Hütte den Kopf und ist so beschämt, dass sie kein Wort spricht. (Marcoy. ) Wie bei fast allen Völkern Asiens , so ist insbesondere bei den alten sowohl als auch bei den jetzigen Chinesen die Geburt einer Tochter ein wenig erfreuliches Ereigniss. Den Grund hierfür erfahren wir durch Hein: „In China und Japan gab und giebt es wegen des Ahnencultus kaum ein grösseres Unglück für den Familienvater, als keinen Sohn zu haben, da es dann an jemand fehlte, den Vorfahren Opfer zu bringen, damit dieselben in der Unterwelt nicht ewiglich hungern und dürsten müssen. " Bei manchen Nationen wird diesem Unbehagen über die Geburt der Tochter aber nur ein stummer Ausdruck gegeben, d. h. dieselbe wird gleichgültig und ohne äussere Zeichen der Freude mit Stillschweigen übergangen, während bei der Geburt eines Knaben sehr grosse, oft mehrere Tage andauernde Feste veranstaltet werden. So finden wir es bei den Arabern in Algerien , so bei den Uiguren in Mittelasien, so bei den Chewsuren (Radde) und so bei den Sarten in Taschkent und Chokan. Auch von den Fiji - Insulanern sagt Blyth: ,,Abgesehen von den hohen Ständen wird die Geburt eines Mädchens mit grosser Gleichgültigkeit aufgenommen, während die Geburt eines Knaben Veranlassung zu nicht endendem Jubel giebt. " So zeigt sich auch bei den Niassern das geringere Ansehen der Mädchengeburten darin, dass sie, wie Modigliani berichtet, einen besonderen Götzen, den Adù Lawiru besitzen , welcher bei der Eheschliessung angerufen wird, dass er der Frau stete Gesundheit und männliche Nachkommenschaft verleihe. Sehr interessant ist es, zu sehen, wie sich die Minderwerthigkeit des weiblichen Geschlechts sogar in gewissen rituellen Vorschriften widerspiegelt, welchen sich die Mutter nach der Entbindung zu unterziehen verpflichtet ist, und welche verschieden sind, je nachdem ein Mädchen oder ein Knabe geboren wurde. Wenn eine Crih- Indianerin einen Knaben geboren hat , so muss sie zwei, nach der Geburt eines Mädchens aber drei Monate lang von ihrem Manne getrennt leben. (Richardson. ) Aehnliche Unterschiede in Bezug auf das Geschlecht des Kindes finden wir auch bereits in den Reinigungsgesetzen der alten Israeliten : Bekanntlich stellte Moses ( 3. B. M. 12) fest : „ Wenn ein Weib besamet wird, und gebieret ein Knäblein, so soll sie sieben Tage unrein sein , so lange sie ihre Krankheit leidet. Und am achten Tage soll man das Fleisch seiner Vorhaut beschneiden. Und sie soll daheim bleiben 33 Tage im Blute ihrer Reinigung. Kein Heiliges solle sie anrühren, und 50. Die Aufnahme des Mädchens nach der Geburt. 211 zum Heiligthum soll sie nicht kommen, bis dass die Tage ihrer Reinigung aus sind . Gebieret sie aber ein Mädchen, so soll sie zwei Wochen lang unrein sein, so lange sie ihre Krankheit leidet, und soll 66 Tage daheim bleiben, in dem Blute ihrer Reinigung. " Bei den alten Griechen war die Frau durchschnittlich bis zum vierzigsten Tage unrein ; das an diesem Tage abgehaltene Fest hiess Tessarakostos ; die Frau wurde bei demselben durch Waschungen gereinigt, dann ging sie in den Tempel der Diana und opferte dort. Aber auch bei ihnen herrschte die sonderbare mosaische Ansicht von der ungleichen Zeitdauer der Unreinheit bei Knaben- und Mädchengeburten ; sie findet sich bei Hippokrates¹ . In dieser Schrift wird auch der Versuch gemacht, zu erklären, warum bei Knaben und Mädchen die Lochienreinigung eine ungleiche Zeitdauer habe, weil nämlich bei der Bildung des Fötus die Sonderung der Glieder im weiblichen Kinde längstens 42, im männlichen hingegen 30 Tage in Anspruch nimmt. Sonderbar ist, dass der Römer für eine Tochter ein Quandrans, für einen Knaben ein Sextans im Tempel der Juno zahlen musste. In Oberägypten geht am 40. Tage nach der Geburt die Mutter mit dem Kinde in das Bad, und lässt sich vierzig Wasserbecher über das Haupt schütten, wenn der Sprössling, den sie geboren, ein Knabe, und neununddreissig, wenn es ein Mädchen ist. Dann erst sind Mutter und Kind rein. (Klunzinger.) Hier und da kommen solche Erscheinungen auch in Deutschland vor, und so zeigen manche Volkssitten offenbar, dass man das männliche Geschlecht höher schätzt, als das weibliche. An mehreren Orten, auch in der Schweiz ( Schaffhausen) , wird die Nachricht von der Geburt eines Kindes durch ein Mädchen den Nachbarn mitgetheilt, wobei sie einen grossen Blumenstrauss auf der Brust trägt ; ist aber das Neugeborene ein Knabe, so hat sie noch einen zweiten, umfangreicheren in der Hand. war ehemals nach Bluntschli's Züricher Rechtsgeschichte verordnet, dass der Vater bei der Geburt eines Mädchens ein Fuder Holz bekomme, bei der Geburt eines Knaben aber zwei Fuder. Auch Im Etschthale in Tyrol wird, wenn den Hirten in den Sennhütten ein Kind geboren wird, das Familienereigniss den über den Bergen entfernt wohnenden Nachbarn durch Flintenschüsse kund gethan ; der erste Schuss ruft die Hörer wach, die Anzahl der übrigen Büchsenschüsse thut zu wissen , ob sie die Ankunft eines Knaben oder eines Mädchens mitfeiern sollen. Wem käme hierbei nicht die merkwürdige Ceremonie in die Erinnerung, dem Volke durch Kanonenschüsse die glückliche Entbindung einer Prinzessin oder Königin anzuzeigen ? Bekanntlich bedeuten hier 101 Schuss die Geburt eines Prinzen, während eine neugeborene Prinzessin sich mit 35 Schüssen begnügen muss. Bei den Omaha - Indianern freut sich jedoch der Vater über die Geburt eines Knaben ebenso sehr, als über diejenige eines Mädchens, und die letzteren pflegen sich sogar einer besseren Behandlung zu erfreuen, da sie ja doch nicht selbst für sich sorgen können. (Dorsey.) Aber wir begegnen auch solchen Volksstämmen, bei welchen die Geburt einer Tochter geradezu als ein viel erfreulicheres Ereigniss begrüsst wird, als eine Knabengeburt. Wenn bei den Bewohnern der Aru - Inseln im malayischen Archipel , welche auf den mittleren dieser Inseln wohl zumeist Negritos sind, eine Frau eine Tochter zur Welt bringt, so entsteht grosse Freude, weil, wenn sich dieselbe später verheirathet, die Eltern einen Brautpreis empfangen, von dem auch alle diejenigen, welche bei der 14 * 212 IX. Das Weib während der Zeit der geschlechtlichen Unreife etc. Geburt anwesend waren, einen gewissen Theil bekommen. Man feiert dann ein Fest, wobei ein Schwein geschlachtet und eine ungeheure Menge Arac getrunken wird. Die Geburt eines Sohnes wird mit Gleichgültigkeit entgegengenommen. Die Gäste begeben sich dann traurig und enttäuscht nach Hause, und der armen Mutter wird öfters noch vorgeworfen, dass sie keiner Tochter das Leben geschenkt. Ein Mädchen wird gewöhnlich bei ihrer Geburt schon verlobt und die Grösse des Brautschatzes gleichzeitig bestimmt. (v. Rosenberg.) Die Neuseeländer Maoris freuen sich ebenfalls über die Geburt einer Tochter mehr, als über die eines Sohnes. (Colenson. ) Auch in Afrika finden wir Aehnliches wieder, so namentlich bei den Mumbo, und bei den Kaffern- und Hottentottenstämmen. Denn hier repräsentirt jede Tochter einen Zuwachs des Vermögens, da sie dereinst für Rinder von dem Freier dem Vater abgekauft werden muss. Je mehr Töchter ein Mann besitzt, desto mehr Rinder stehen ihm in Aussicht und hierin beruht ihr grösster Reichthum. Aber selbst bis zum Extreme sehen wir die Bevorzugung der Mädchengeburten vor denjenigen der Knaben bei den Bejah in Afrika ausgebildet, von denen uns im Mittelalter Magrizi berichtet. Bei ihnen wurden von den Weibern die Lanzen gefertigt an einem Orte, wo kein Mann wohnen und hinkommen durfte, ausser um sich Lanzen zu kaufen . Wurde nun eine dieser Frauen von dem Kinde (eines dieser Lanzenkäufer) entbunden. so tödtete sie es, wenn es männlichen, und sie liess es leben, wenn es weiblichen Geschlechts war. (Hartmann³.) 51. Die Mädchentödtung. Die grosse Missstimmung, welche die Geburt einer Tochter hervorruft. geht bei einigen Nationen so weit, dass sie bemüht sind, diesen unliebsamen Zuwachs ihrer Familie so schnell wie nur irgend möglich wieder los zu werden. Da ist denn der allersicherste Weg zur Erreichung dieses Endzweckes, dass das unglückliche kleine Mädchen umgebracht wird. So erzählt Hauri, dass die alten Araber der vorislamitischen Zeit die Gewohnheit hatten, die neugeborenen Mädchen lebendig zu begraben. Auch unter den Hindu ist nach Mantegazza¹ die Tödtung der Töchter gleich nach der Geburt weit verbreitet, und als die Europäer ihnen wegen ihrer Grausamkeit Vorwürfe machten, so antworteten sie : Bezahlt nur die Mitgift für unsere Töchter und wir werden sie leben lassen. Auch Boethlingk erzählt, dass in Indien in den niederen Schichten der Bevölkerung, obgleich das Weib gegen rohe Willkür des Mannes durch das Gesetz geschützt ist, doch ihr Loos so traurig ist, dass es begreiflich wird. dass indische Mütter häufig ihre weiblichen Kinder dem Tode in den heiligen Strömen Indiens preisgeben, um sie vor dem ihnen im Leben bevorstehenden Loose zu bewahren. Die Tödtung der neugeborenen Mädchen finden wir aber auch noch in anderen Erdtheilen. So berichtet z. B. Schliephake von den CumberlandEskimos , dass deren Familien nicht sehr zahlreich wären, woran ausser der allerdings grossen Sterblichkeit im Kindesalter auch die immer noch. nicht ausgerottete Unsitte, die neugeborenen Mädchen zu ermorden, die Schuld trägt. Auch bei den Athapasken- Indianern im Osten der Felsengebirge war es bis zur Ankunft der Missionare sehr gebräuchlich, die 51. Die Mädchentödtung. 213 Tochter gleich nach ihrer Geburt auszusetzen oder zu erwürgen. (v. Hellwald.) In einem handschriftlichen Bilderwerk des Kgl. Kupferstichkabinets in Dresden findet sich bei dem Bilde einer Tapuya - Frau unter anderen folgende Bemerkung : „Dass ist aber schröcklich undt für vieler Menschen ohren grewlich, dass nemllich ein Weib, wen sie ein todtes Kind zur Weldt gebohren hat, dasselbe von stunden an zerreist, undt auff so viel mahl ihr zu thun möglich, wiederumb hineinfrisst, vorgebende, es sey ihr Kindt, auss ihrem Leibe gekommen, undt wehre nirgends besser als wieder in denselben verwahrt. " (Richter. ) Die weiteste Verbreitung scheint die Mädchentödtung noch in Oceanien. zu haben und zwar sowohl auf dem Festlande von Australien , als auch auf einzelnen Inselgruppen. Von den Australierinnen berichtet Müller", dass sie nicht selten ihre neugeborenen Kinder, namentlich aber die Töchter umbringen, weil es ihnen in ihrer übergrossen Dürftigkeit an Mitteln fehlt, sie zu ernähren. Die Papua- Weiber von Neu - Guinea sollen den Neugeborenen, besonders den Mädchen, sogleich nach der Geburt den Kopf nach vorn überbiegen, so dass dem kleinen Erdenbürger hierdurch das Genick gebrochen wird. Die Noe forezen ersticken bisweilen die neugeborene Tochter dadurch, dass sie ihr den Mund und die Nase mit Asche vollstopfen. Elton schreibt Folgendes von den Salomon - Insulanerinnen : „ Auf der Insel Ugi und bei der Strandbevölkerung von San Christobal ist es eine gewöhnliche Sache, die Kinder bei ihrer Geburt zu tödten, indem man sie in ein Erdloch fern von ihren Wohnungen eingräbt ; die Mutter lässt das Kind in das Loch fallen und deckt dasselbe sofort zu. Sie sagen, dass das Aufziehen eines Kindes zuviel Umstände verursache. Sie ziehen es vor, ein herangewachsenes Kind für einheimisches Geld von der Buschbevölkerung zu kaufen, welche ihre Kinder als den einzigen Gegenstand hat, den sie den Strandleuten verkaufen kann. Auf den anderen Inseln der SalomonGruppe kommt Kindermord nicht vor, einzig nur in dem besonderen Falle, wenn das Kind ein Bastard ist. " Von Neu- Caledonien berichtet Moncelon : „ L'infanticide est commun de la part de la mère sur sa fille , plus rare sur le garçon, parce que le père veille sur lui. Cela tient à ce que la femme se sent trop retenue à la case par les soins maternels et ne peut assez facilement, pendant l'allaitement, courir les pilous et les fêtes. " Auf den Banks- und Fiji - Inseln aber, wo nach Eckardt oft schon eine Beleidigung von Seiten des Mannes, oder der eitle Wunsch, lange Zeit jung zu erscheinen, das Weib veranlasst, ihr Kind umzubringen, hat ein Mädchen stets eine grössere Aussicht am Leben erhalten zu bleiben, weil es als die Stammhalterin der Familie angesehen wird. So treffen wir also eine Verschiedenheit in der Stellung, welche die beiden Geschlechter in der Familie einnehmen, bereits vom Mutterleibe an, und wir finden dieselbe auch in fast allen Fällen bei solchen Völkern wieder, wo keineswegs von einer Ungleichwerthigkeit der beiden Geschlechter gesprochen werden darf. Trotzdem wird der Unterschied des Geschlechtes schon durch die symbolischen Gaben angedeutet, welche der Vater oder die Freunde des Hauses dem Neugeborenen auf sein erstes Lager legen : Waffen dem Knaben, Hausgeräth dem Mädchen. 214 IX. Das Weib während der Zeit der geschlechtlichen Unreife etc. 52. Das Leben des weiblichen Kindes. Wir finden, abgesehen von denjenigen Gebräuchen, welche in den beiden vorhergehenden Abschnitten ihre Besprechung gefunden haben, nur wenig, was in der allerersten Kindheit in dem Leben der Knaben anders verliefe , als in demjenigen der Mädchen. Allerdings behauptet der japanische Geburtshelfer Kangawa : „ In dem Moment, wo das Kind geboren ist und auf die Matte des Fussbodens gelangt, legt sich das männliche Kind auf den Bauch und das weibliche auf den Rücken. " Aber die Kinder der übrigen Nationen pflegen sich dieser Sitte nicht zu fügen. Alle die vielfachen und von Heinrich Ploss in seinem Werke : „ Das Kind in Brauch und Sitte der Völker" ausführlich besprochenen Gebräuche der Lagerung, Salbung, Waschung, Pflege und Ernährung u. s . w. pflegen bei beiden Geschlechtern die gleichen zu sein. Nur aus dem östlichen Australien berichten Turnbull, Hunter und Andere, dass man an der linken Hand der Mädchen bald nach der Geburt eine besondere Operation vornimmt. Durch Abbindung oder wirkliche Amputation trennt man vom kleinen Finger ein oder manchmal auch zwei Glieder ab und wirft sie in das Meer. Das Mädchen soll durch diese Procedur im Fischfang glücklich werden. Auch das Bandagiren und Verunstalten der Füsschen bei den kleinen Chinesinnen müssen wir als eine nur das weibliche Kind betreffende Sitte hier noch einmal in Erinnerung bringen . Im übrigen verläuft wohl bei den beiden Geschlechtern in den ersten Jahren das Leben gleichartig. Aber bei fernerem Heranwachsen macht sich dann bald in dem Kinderspiele die Trennung der Geschlechter in charakteristischer Weise bemerkbar. Denn für gewöhnlich sind die Spiele der Kinder ja nur ein Widerschein von der Thätigkeit der Eltern, und so erscheint es uns ganz natürlich, dass die Knaben mehr das Gebahren der Männer, die Mädchen dagegen mehr die Verrichtungen der Weiber nachzuahmen bestrebt sind. Gewisse mehr oder weniger feierliche Handlungen unterbrechen das einförmige Leben des kleinen Mädchens, z . B. das Stechen der Ohr-, Nasen- und Lippenlöcher, die Tättowirungen und andere in das Gebiet der Körperplastik gehörige Manipulationen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass viele dieser Proceduren sogenannter Verschönerung auch bei den Knaben oft in ganz ähnlicher, manchmal sogar in gleicher Weise vorgenommen werden. Allerdings giebt es aber auch Fälle, in welchen für die Mädchen entweder ein anderer Zeitpunkt der Verschönerungsoperation als für die Knaben, oder eine etwas andere Art der Ausführung oder etwas andere begleitende Gebräuche gewählt zu werden pflegen. So erzählt z. B. Müller von den Maori auf Neu- Seeland : Mit dem achten Jahre wird der Knabe von den beiden Eltern an einen Strom geführt, dort von dem Priester, welcher im Wasser steht und einen Karamu- Ast in der Hand hält, auf den Arm genommen und mit Wasser begossen. Bei dieser Ceremonie sind alle Personen nur mit einem Maro (einem kurzen Gürtel aus Blättern) um die Lenden bekleidet. Während der Priester das Kind mit dem Karamu-Ast bespritzt, singt er ein besonderes Lied. Beim Mädchen wird dieselbe Ceremonie vorgenommen, nur der Gesang, welcher dabei vom Priester angestimmt wird, ist verschieden. Er lautet : 52. Das Leben des weiblichen Kindes. 215 91 Getaucht in das Wasser Tu's, Werde kraftvoll Durch die Kraft Tu's, Zu erwerben Nahrung für dich selbst , Zu machen Kleider, Zu machen Kaitaka- Decken, Zu begrüssen die Gäste, Zusammenzutragen Feuerholz, Zu sammeln Muscheln und Austern; Möge die Kraft Tu's Gegeben werden dieser Tochter ! Dann kommt die Kraft Kiharoa's, Zu fassen mich hin zu den Sandhügeln von Rangaunu, Zu dem Platze, wo die Geister dahingehen in Nacht, Und was weiss ich dann ferner ?" Fig. 60. Frau aus Bangalore, Indien , welcher bei dem Feste des Ohrlochstechens ihrer ältesten Tochter die Nagelglieder des Ring- fingers und des kleinen Fingers amputirt worden sind. (Nach Fawcett. ) Eine eigenthümliche Sitte, zu welcher die Feier des Ohrlochstechens bei der ältesten Tochter die Veranlassung giebt, berichtete Fawcett der anthropologischen Gesellschaft in Bombay: „Die Weiber der zu dem Dra vidischen Stamm von Süd . Indien gehörigen Berulu Kodo' Vokaligaru- Sekte in der Gegend von Bangalore, Provinz Mysore, haben eine besondere Feier, die Bandi Dévurú Ceremonie , welche darin besteht, dass den Müttern derjenigen Kinder, welchen die Ohren und Nasen durchbohrt werden sollen, die Endphalangen des Ringfingers und des kleinen Fingers der rechten Hand amputirt werden. " Es ist ein umständliches Fest, das mit Fasten und der Errichtung kleiner Tempel beginnt . Ein Goldschmidt nimmt unter besonderen Ceremonien die Operation mit einem Meissel vor ; der abgetrennte Finger wird in eine Schlangenhöhle gesteckt , als Opfer für Dháná Dévurú. Als Ursprung dieser Amputationssitte wird eine mystische Geschichte erzählt, dass mehrere Jungfrauen ihres Volkes, um der Ehe mit einem 216 IX. Das Weib während der Zeit der geschlechtlichen Unreife etc. Radjah aus einer niederen Kaste zu entgehen, vor diesem flohen und dass die eine, den einen Ohrring opfernd, das Auseinanderweichen der Wasser eines Flusses bewirkte, während bei Opferung des anderen Ohrringes die Wasser den verfolgenden Radjah mit seinen Leuten verschlangen . Darum müssen alle Frauen dieser Kaste, wenn sie der ältesten Tochter die Ohrlöcher stechen lassen, zum Zeichen ihrer Keuschheit und der Hochhaltung der Kastenehre die betreffenden Fingerglieder amputiren lassen. (Das ist wohl ein sicherer Beweis , dass die Leute jetzt selbst nicht mehr den Ursprung dieser Sitte kennen . ) Mit dem ferneren Heranwachsen der kleinen Mädchen kommt dann aber allmählich der Ernst des Lebens an sie heran ; immer mehr und mehr werden sie von der Mutter oder von den anderen Weibern des Stammes für ihren späteren Beruf herangebildet in Haus- und Feldarbeit und in den weiblichen Künsten. Auf Neu- Britannien müssen sie sich dann noch einer sich über mehrere Jahre ausdehnenden Absperrung unterwerfen , worüber uns Danks einige Berichte zusammengestellt hat. Es geht dieser Absperrung eine Festlichkeit vorher, welche der Rev. Rooney in einem Briefe an den Generalsecretär der äusseren Mission mit folgenden Worten beschrieben hat: „Ich war gerade zu rechter Zeit da, um Zeuge der Käfig-Feier ( ceremony of caging) eines der Mädchen zu sein. Das arme kleine Ding, beladen mit Halsbändern und Gürteln von rothen, weissen und blauen Perlen, sah sehr erschrocken ( frightened) aus. Am Morgen wurde sie auf Neu - Irländische Art tättowirt, d. h. allerlei Muster wurden in ihren Körper geschnitten. Ein Theil der Ceremonie bestand in einem Gefechte zwischen den Weibern der Maramara- und der Pikalaba- Gruppe [ die beiden Gruppen in die die Bevölkerung sich theilt] scheinbar um den Besitz der Wächterschaft für die Gefangene. Nachdem sie tüchtig mit allem geworfen hatten, was ihnen in die Hände kam, wurde von den siegreichen Amazonen ein (rush) Sturmlauf (?) vor das Haus gemacht, wo das Mädchen eingesperrt war. Ein allgemeiner Streit entspann sich bei dem engen Eingange des Hauses. Das Gedränge war fürchterlich, aber es wurden keine Knochen zerbrochen . Die Damen zeigten sich von keiner vortheilhaften Seite in diesem Melée. " Der Rev. Brown hat Gelegenheit gehabt, solche kleine Neu- Britannierinnen in ihrem Gefängniss zu besuchen. Allerdings hatte er zuvor einen grossen Widerstand bei dem Häuptling, nächstdem bei der als Wächterin der Kleinen bestellten alten Frau und endlich auch bei den Mädchen selber zu überwinden, weil diese im Walde versteckten Hütten für Männer, auch selbst für die Angehörigen der Eingesperrten, absolut tabu sein sollen . Er schreibt : ,,Dieser Bau war ungefähr 25 Fuss lang, und stand in einer Rohr- und BambusUmzäunung, über deren Eingang ein Bündel von trockenem Grase aufgehängt war, um anzuzeigen, dass es vollständig tabu sei. Innen bestand das Haus aus drei kegelförmigen Bauten von ungefähr 7 oder 8 Fuss Höhe und 10 bis 12 Fuss im Umfange an der Grundfläche, und ungefähr 4 Fuss von dem Erdboden entfernt, von wo an es sich bis zum obersten Ende zu einer Spitze verschmälerte. Diese Käfige waren aus der breiten Rinde der Pandanusbäume hergestellt, und waren so fest zusammengenäht , dass kein Licht und wenig oder gar keine Luft eindringen konnte. An der einen Seite eines jeden befand sich eine Oeffnung, welche von einer doppelten Thür von geflochtener Cocosbaum- und Pandanusbaumrinde hergestellt war. Ungefähr drei Fuss vom Boden ist ein Fussboden von Bambus, der die Diele bildet . In jedem dieser Käfige war, wie mir erzählt wurde, ein junges Frauenzimmer eingesperrt, von denen jede mindestens 4 bis 5 Jahre darin bleiben musste, ohne dass ihr jemals erlaubt wurde, aus dem Hause zu gehen. “ Brown hatte es durchgesetzt, dass die alte Wärterin die Käfige öffnete und dass die Mädchen herausguckten und ihre Hände herausstreckten, um die von ihm als Geschenk mitgebrachten Perlen in Empfang zu nehmen. 53. Das kleine Mädchen in anthropologischer Beziehung. 217 Er blieb aber in einer kleinen Entfernung stehen, so dass die Gefangenen, wenn sie die Perlen abnehmen wollten, nothwendiger Weise aus dem Gefängniss heraus kriechen mussten. „Die Begierde nach meiner Gabe verursachte eine neue Schwierigkeit, da es diesen Mädchen nicht gestattet ist, ihre Füsse auf die Erde zu setzen, während der ganzen Zeit, wo sie an diesem Platze eingeschlossen sind . Jedoch sie wünschten die Perlen zu bekommen und so ging die alte Frau heraus und sammelte einen Theil Holz- und Bambusstücke, die sie auf den Erdboden legte, und dann ging sie zu einem der Mädchen, half ihr heraus und hielt ihre Hand, als sie von einem Stück Holz auf das andere trat, bis sie mir nahe genug gekommen war, um die ihr hingehaltenen Perlen zu nehmen. Ich ging dann heran, um das Innere des Käfigs , aus dem sie herausgekommen war, zu besichtigen, aber ich konnte kaum meinen Kopf hineinstecken, so heiss und dick war die Atmosphäre. Er war rein und enthielt gar nichts, als nur ein Paar kurze Stücke Bambus als Wasserbehälter. Es war nur Raum für das Mädchen zu sitzen, oder in zusammengekrümmter Stellung auf dem Fussboden zu liegen, und wenn die Thür geschlossen war, musste es beinahe oder vollständig dunkel darin sein. Es ist ihr niemals gestattet, herauszukommen, bis auf einmal am Tage, wo sie in einer Schüssel oder hölzernen Wanne, welche dicht neben jedem Käfig steht , badet. Man sagt, dass sie stark schwitzen (perspire profusely) . werden in diesen festen Käfig gesetzt, wenn sie ganz jung sind , und sie müssen darin bleiben, bis sie junge Frauen sind (young women), wo sie dann herausgelassen werden und dann jede ein grosses Hochzeitsfest hält, das für sie bereitet wird. Eine von ihnen war ungefähr 14 bis 15 Jahre alt, und der Häuptling theilte mir mit, dass sie vor 5 Jahren hierhergebracht war, jetzt aber herausgelassen werden würde. Die beiden Anderen waren ungefähr 8 und 10 Jahre alt und sie hatten hier noch mehrere Jahre länger zu verbleiben. Ich fragte, ob sie niemals stürben, aber sie sagten nein. Auch wenn sie krank sind, müssen sie ruhig dort bleiben . Manche anderen Mädchen sahen wir draussen mit über Brust und Rücken gekreuzten Franzen. Soviel ich erfahren konnte, mussten sie diese Tracht in einem gewissen Alter oder in einem gewissen Wachsthumsstadium anlegen und beibehalten, bis sie heirathsfähig sind . Der letztere Gebrauch scheint bei denen angewendet zu werden, deren Eltern nicht im Stande oder nicht Willens sind , die Kosten für die mit der anderen grausamen Sitte verbundenen Feste aufzubringen . Unsere Leute erzählten uns, dass derselbe Gebrauch in modificirter Form auch auf der Westseite Neu- Irlands herrsche. Dort baut man indessen nur zeitweise Hütten aus Cocosrinde im Walde, in welchen die Mädchen bleiben. " Danks selber hat trotz eines zehnjährigen Aufenthaltes in NeuBritannien niemals einen solchen Käfig zu Gesicht bekommen. Gewisse vorzeitige Erscheinungen des geschlechtlichen Lebens, die Kinderverlobungen und Kinderhochzeiten, die Frühreife und der geschlechtliche Umgang mit Kindern werden uns in den späteren Kapiteln dieser Abhandlung noch weiter entgegentreten. Und so können wir an dieser Stelle das kleine Mädchen verlassen, um dasselbe in dem nächsten Kapitel als Jungfrau wiederzufinden. Zuvor aber müssen wir uns noch mit den anthropologischen Verhältnissen der kleinen Mädchen etwas eingehender beschäftigen. 53. Das kleine Mädchen in anthropologischer Beziehung. Wenn das Kind den Leib der Mutter verlassen hat, dann bietet es in seinen Körperproportionen ein erheblich anderes Bild dar, als wir später bei dem Erwachsenen wiederfinden. Der Kopf, namentlich in seiner Hinterhauptsregion, ist länger und grösser, die Extremitäten haben gegenüber dem Rumpfe eine beträchtlichere Länge und der Rumpf erscheint verhältnissmässig nicht nur kürzer, sondern auch schmaler als später, wenigstens in seinen dem Brustkorbe angehörenden Abtheilungen. Die die Ausdehnung * 218 IX. Das Weib während der Zeit der geschlechtlichen Unreife etc. der Brust übertreffende Dicke des Leibes hat ihre Ursache einerseits in der unverhältnissmässigen Grösse der Leber und andererseits in der bisherigen Unthätigkeit und Funktionslosigkeit der Respirationsorgane, welche natürlicherweise erst nach der Geburt die ihnen zukommende Arbeit zu übernehmen vermögen. Dann aber fängt sehr bald der Brustkorb an sich zu dehnen und zu wachsen, wodurch die obere Abtheilung des Rumpfes eine gewölbtere Form erhält. Das Alles jedoch sind körperliche Eigenthümlichkeiten, welche für das männliche Geschlecht ganz die gleiche Gültigkeit haben, wie für das weibliche. Fig. 61. Kleines Mädchen von Celebes ( Prinzessin von Wadjo) nach der Pe- riode der ersten Streckung. (Nach Photographie. ) Es ist nun auch bekanntermaassen in den ersten Lebensjahren nicht gut möglich, an dem allgemeinen Habitus die weiblichen Kinder von den männlichen zu unterscheiden. Man wird in dieser Zeit wohl ebenso häufig ein Mädchen für einen Knaben, wie umgekehrt einen Knaben für ein Mädchen ansehen. Dieser Zustand der Neutralität, der Geschlechtslosigkeit, wie man ihn bezeichnen könnte, hält nun selbst bei unseren eigenen Stammesgenossen nicht immer eine gleich lange Zeit hindurch an; er erstreckt sich aber immerhin auf einen Zeitraum von mehreren Jahren, wie jeder zugeben wird, der solche kindlichen Körper häufiger unbekleidet zu sehen die Gelegenheit hat. Denn es braucht nicht erst bemerkt zu werden, dass hier die durch die Kleidung, den Schmuck und die Haartracht markirten Geschlechtsnatürlicherweise ausser Acht gelassen werden müssen. Der Zeitpunkt, in welchem man zuerst mit etwas grösserer Deutlichkeit in den Formverhältnissen des kindlichen Körpers die sekundären Geschlechtscharaktere, und besonders die Differenzirung in den weiblichen Geschlechtstypus zu erkennen im Stande ist, pflegt keineswegs genau fixirt zu sein und vermag innerhalb ziemlich bedeutender Grenzen zu schwanken. Im Grossen und Allgemeinen fällt er aber ungefähr mit der Zeit des ersten Zahnwechsels zusammen ; er ist somit in das sechste bis achte Lebensjahr zu setzen. unterschiede Es hat sich bereits in viel früherer Zeit bei beiden Geschlechtern eine sehr erhebliche Veränderung in den allgemeinen Formverhältnissen des Körpers vollzogen. Die in den ersten Lebensjahren unter gesunden, normalen Verhältnissen runden, vollen, fetten Kinder, als deren Typus man die bekannten Putti in der italienischen Kunst bezeichnen kann, bekommen nach vollendetem dritten bis vierten Jahre plötzlich einen Schuss, wie der Volksmund sagt, d. h. sie zeigen eine in kurzem Zeitraume sich vollziehende Wachsthumszunahme. Gleichzeitig aber tritt eine recht erhebliche Abmagerung ein, welche nicht nur den Rumpf, sondern namentlich auch das Gesicht und die Extremitäten betrifft, so dass die bis dahin runden und blühenden Kinder zum grössten Entsetzen der besorgten Mütter trotz aller guten Nahrung Fig. 62 . ક Kleines Mädchen von Serang (Ceram) in der Periode der zweiten Streckung. (Nach Photographie. ) 54. Der Backfisch in anthropologischer Beziehung. 219 und sorgsamen Pflege dennoch blass und welk und dürr erscheinen . Wenn dann die Zeit des Zahnwechsels erreicht ist, gemeinhin mit dem siebenten oder achten Jahre, pflegen die kindlichen Körper sich allmählich wieder mehr zu runden und an Turgor zu gewinnen, so dass die Kleinen wieder mehr den Eindruck der Frische und Wohlgenährtheit hervorrufen. Jetzt kann man garnicht selten schon mit ziemlicher Deut- lichkeit unzweifelhafte Geschlechtsunterschiede sich entwickeln sehen, welche sich bei den kleinen Mädchen namentlich durch eine starke Ausbildung der Gesässpartien und durch eine grössere Dicke der Oberschenkel, besonders in ihren lateralen Theilen, bemerklich machen. Auch die Kniee und die Waden, sowie die Arme, die Schultern und die obere Abtheilung des Brustkorbes zeigen einen höheren Grad von Rundlichkeit, als bei den Knaben des gleichen Alters. Aber auch an den Gesichtern vermag man nun bereits in vielen Fällen das Geschlecht zu erkennen. Hier ist es nicht nur das Abgerundetere in allen Linien und Zügen, sondern in noch viel höherem Maasse der Gesammtausdruck, welcher der Physiognomie aufgeprägt ist. Es ist nicht möglich, denselben näher zu präcisiren ; man kann nur sagen, dass ein gewisser Grad von Verschämtheit und Schüchternheit sich auf den kleinen Gesichtern abspiegelt. Man pflegt hierfür, wie ja allgemein bekannt ist, die Bezeichnung 2. Stehend : ein fast reifes Mädchen mit fertig des mädchenhaften Gesichtsausdrucks in Anwendung zu bringen. Fig. 63. Ahuse - Mädchen von demVoltaRiver, Goldküste ( West- Afrika). 1. Auf der Erde sitzend: ein Kind aus der Periode der zweiten Streckung mit noch puerilen Brüsten. entwickelter Primär-Mamma und halbkugelför- migen Brustwarzenhöfen. 3. Auf dem Stuhle sitzend : ein älteres, erwachsenes Mädchen mit reifer, völlig ausgebildeter Mamma. (Nach Photographie. ) Zwischen dem 8. und dem 10. bis 11. Jabre pflegt dann von Neuem eine Periode des relativ schnellen Wachsthums, ein erneuter Schuss, sich einzustellen. Auch hierbei tritt in den meisten Fällen eine recht merkliche Abmagerung ein, und namentlich werden dabei die Arme und die Beine lang und knochig. Aber der mädchenhafte Gesichtsausdruck geht dabei nicht verloren, sondern er wird sogar noch deutlicher als vorher, und trotz allen Dürrewerdens der Gliedmaassen nimmt doch der Querdurchmesser des Beckens an Ausdehnung zu. Von jetzt ab treten dann körperliche Veränderungen ein , welche das Mädchen allmählich der Pubertät entgegenführen. Wir werden dieselben in dem nächsten Abschnitte einer genaueren Besprechung unterziehen. 54. Der Backfisch in anthropologischer Beziehung. Mit ungefähr dem 11. bis 13. , in manchen Fällen allerdings auch erst mit dem 14. Jahre sind die kleinen Mädchen unserer Rasse in diejenige 220 IX. Das Weib während der Zeit der geschlechtlichen Unreife etc. Periode ihres Lebens eingetreten, welche man als das beginnende Backfischalter zu bezeichnen pflegt. Das Wachsthum dauert an. der Körper und auch das Gesicht gewinnen an Rundung und Fülle, die Stimme verliert den scharfen Beiklang des kindlichen Organes und wird sanfter und volltönender. Auch der Ausdruck der Augen verändert sich, und damit ist der ganzen Physiognomie ein gegen früher veränderter Charakter aufgeprägt. Der Brustkorb weitet sich aus, namentlich in seinen oberen Partien, so dass die Schulterbreite nicht nur eine absolut, sondern auch eine relativ grössere ist, als vorher. Bisweilen nimmt jetzt auch das die grossen Brustmuskeln bedeckende Fettpolster stetig und beträchtlich an Ausdehnung zu, namentlich gegen die Brustwarzen hin, welche letzteren aber. ebenso wie ihr Warzenhof, noch längere Zeit hindurch die kindliche Form und Grösse bewahren. Die auffallendste Breitenzunahme macht sich aber an der Beckengegend bemerkbar, und auch die Hinterbacken nehmen an Dicke und Völle nicht unerheblich zu. Mit dieser stärkeren Entwickelung der Gesäss- und Beckengegend hält sehr häufig diejenige der Unterschenkel und namentlich der Waden nicht gleichen Schritt, und so kommt es dann, dass trotz der an erwachsene Zustände erinnernden Breite des Mittelkörpers doch die aus den kurzen Kleidern hervor . sehenden Beine ein noch ganz kindliches Aussehen darbieten. Fig. 64. Neger- Mad- chen von der LoangoKüste (West- Afrika) im Backtischalter, in dem Stadium des Ueberganges von der puerilen zur Halbkugelform der Brustwarzenhöfe. (Nach Photographie ) Jetzt beginnt nun auch die allmähliche Ausbildung der weiblichen Brüste. Wenn hier unsere Schilderungen sich auch in erster Linie wiederum auf die Mädchen der norddeutschen Bevölkerung beziehen, so lehrt doch das Studium der dem Herausgeber zugänglichen photographischen Abbildungen fremder Völker, dass auch bei diesen die wichtigsten dieser Entwickelungsphasen beobachtet werden können. Und da ein entsprechendes photographisches Material von deutschen Mädchen nicht existirt, so sind zur besseren Erläuterung die geschilderten Verhältnisse an Mädchen fremder Rassen zur Darstellung gebracht worden. Die bis dahin neutrale oder puerile, d. h. mit den betreffenden Formen bei den Knaben übereinstimmende Brustwarze (man sehe die Figuren 61 bis 63) fängt an, sich in bemerkenswerther Weise aus dem Niveau der benachbarten Hautoberfläche herauszuwölben. Aus der Vorderfläche des Brustkorbes erhebt sich dann jederseits eine kleine halbkugelige Erhöhung, deren Grundfläche ungefähr 2,5 bis 3 Centimeter beträgt, während ihre Höhe 1,5 bis 2 Centimeter erreicht. Sie wird gebildet durch die sich entFig. 65. Australierin (Nord- Queensland ) im Backfischalter , im Stadium der Halbkugelform der Brustwarzenhöfe vor Entwickelung der Primär-Mamma. (Nach Photographie. ) 54. Der Backfisch in anthropologischer Beziehung. 221 wickelnde Milchdrüse. Sie fühlt sich derb- elastisch an, ungefähr wie eine reife Kirsche. Fast ihre gesammte convexe Oberfläche wird durch den Warzenhofeingenommen, und die Brust- warze selber ist dermaassen convexflächenhaft ausgezerrt, dass sie fast vollständig verstrichen ist und dass sie sich fast garnicht aus der Oberfläche der halbkugeligen Erhöhung heraushebt, deren oberste Kuppe von ihr gebildet wird. Ein paar Mal ist es dem Herausgeber begegnet, dass er von beängstigten Eltern gerufen wurde, um diese Zustände bei ihrer Tochter zu begutachten ; sie waren in Sorge, dass etwas Krankhaftes zur Entwickelung käme und sie wurden in dieser Furcht dadurch bestärkt , dass mit diesen Wachsthumsverhältnissen der Brustdrüse bisweilen abnorme Empfindungen verbunden sind, namentlich eine Hyperästhesie der Hautnerven, so dass in manchen Fällen selbst die einfache Berührung des Hemdes bereits schmerzhafte Empfindungen hervorrufen kann. Dem soeben geschilderten Stadium folgt dann sehr bald eine stärkere Anbildung von Unterhautfettgewebe in der Umgebung der sich entwickelnden Brustdrüse, und hierdurch kommen nun all- Fig. 66. Kaffer- Mädchen aus Natal im mählich die eigentlichen Mammahügel Backfischalter, im Stadium der stark ausgebildeten zu Stande. Meistentheils sind dieselben Halbkugelform der Brustwarzenhöfe vor Ent- wickelung der Primär-Mamma. zuerst halbkugelig , wie ein kleiner (Nach Photographie. ) halber Apfel, und die vorhergeschilderte halbkugelige, vom Warzenhofe und der Warze überdeckte Drüsenpartie sitzt längere Zeit hindurch noch der Mitte dieser Halbkugel auf. Auf diese Weise. kommt eine Form der weiblichen Brüste zu Stande, wie sie sich bei einigen Völkerschaften in Afrika und Oceanien als typisch vorfindet, d. h. Brüste mit halbkugelig aufsitzendem Warzenhofe. Bei den norddeutschen Mädchen (über diejenigen anderer Abstammung fehlt dem Herausgeber die persönliche Erfahrung), geht dieses Stadium der Entwickelung ziemlich rasch vorüber ; der Warzenhof ebnet sich und liegt dann scheibenförmig dem Hügel der Brüste auf und die Brustwarze tritt dann wie ein flacher Knopf aus der Ebene des Warzenhofes heraus. Das geht für gewöhnlich auf beiden Körperhälften gleichzeitig vor sich; bisweilen allerdings dauert auf der einen Seite die Halbkugelform des Warzenhofes um einige Zeit länger an, als auf der anderen. Ist nun der Warzenhof mit seiner darunterliegenden Milchdrüse in das Bereich des Mammahügels mit hineingezogen, so treten sehr bald schon die individuellen Formverschiedenheiten auf, wie sie auch bei den Erwachsenen sich finden. Bei dem einen Mädchen erhält sich die Halbkugelform der Brüste ; bei einem anderen werden dieselben scheibenförmig ; bei noch einem anderen halbcitronenförmig, pyriform u. s . w. Jetzt pflegen noch auf einige Zeit, bisweilen selbst über mehrere Jahre hin, 222 IX . Das Weib während der Zeit der geschlechtlichen Unreife etc. Schwankungen und Veränderungen in den Grössenverhältnissen der Brüste sich zu zeigen. Oft nehmen dieselben schnell an Umfang zu, fast bis zu übermässiger Fülle sich ausdehnend ; bald darauf werden sie wieder um Fig. 67. Andamanen- Insulanerin im Backfischalter, im Stadium der stark ausgebildeten Halbkugelform der Brustwarzenhöfe vor der Entwickelung der primären Mamma. (Nach Photographie. ) Vieles magerer und kleiner, um dann kurz hinterher von Neuem an Umfang zu gewinnen, ohne jedoch in vielen Fällen die vorige Fülle zu erreichen, sondern auf einem Stadium zierlicher Abrundung stehen bleibend. Wir können also, um es in Kürze zu wiederholen, an der weiblichen Brust die folgenden Stadien der fortschreitenden Entwickelung unterscheiden : 1. Die neutrale oder puerile Brustwarze mit scheibenförmigem Warzenhof. 2. Die Halbkugelform des Warzenhofes und der Brustwarze, welch letztere convex-flächenhaft ausgezerrt die Kuppe der Halbkugel bildet , bei gleichzeitigem Mangel der Mamma. Für dieses Stadium könnte man wohl der grösseren Bequemlichkeit wegendenAusdruck gebrauchen: Halbkugelwarze ohne (primäre) Mamma. 3. Die primäre Mamma mit noch erhaltener Halbkugelform des Warzenhofes und der Brustwarze, 4. Die primäre Mamma mit scheibenförmigem Warzenhofe und prominirender Brustwarze. Man könnte für dieses Stadium auch wohl die Bezeichnung einführen, die fertige Backfisch- Mamma; es ist jedoch der erstere Name wohl vorzuziehen, da er nicht minder deutlich und ebenso kurz ist. Wir vermögen bei allen Mädchen unseres Stammes nach und nach alle diese vier Entwickelungsstufen zu beobachten, und unter allen Umständen ist die Reihenfolge der Ausbildung ohne jegliche Ausnahme die gleiche. Stets entwickelt sich aus der puerilen Warze die Halbkugelwarze ohne primäre Mamma, dann tritt Fig. 68. Magungo - Mädchen ( Ost- Afrika) im Backfischalter, im Stadium der ersten Entwickelung der Primär- Mamma mit stark ausgebildeten Brustwarzenhöfen in Halbkugel- form . (Nach Photographie. ) 54. Der Backfisch in anthropologischer Beziehung. 223 die primäre Mamma auf, während die Halbkugelwarze noch bestehen bleibt, und endlich verstreicht die letztere, es bildet sich der scheibenförmige Warzenhof mit prominenter Brustwarze aus und hiermit ist die Backfischaus land ( Süd- Afrika ) im Backfischalter, im Stadium Mamma zu ihrer vollkommenen Ausbildung gelangt. In Bezug auf die Zeitdauer dieser einzelnen Stadien müssen wir aber die allererheblichsten Verschiedenheiten und Schwankungen verzeichnen, und wie bereits weiter oben gesagt worden ist, so kommt es sogar durchaus nicht selten vor, dass selbst bei dem gleichen Individuum die Brust der einen Körperhälfte für die einzelnen Entwickelungsstadien eine andere Zeit innehält als diejenige der anderen Seite . Bisweilen, aber allerdings nur in seltenen Fällen, vermag man sogar auch noch bei reifen jungen Mädchen mit schon vollständig jungfräulich ausgebildeter Mamma einen leichten Grad der Kugelform des Warzenhofes mit Deutlichkeit zu erkennen. Wir müssen dieses Verhalten als eine Art von Hemmungsbildung auffassen. Die in den Figuren 61 bis 75 nach photographischen Aufnahmen zur Darstellung gebrachten jungen Mädchen, welche aus allen Welttheilen stammen und den verschiedenartigsten Rassen angehören, sollen dem Leser die in den beiden letzten Abschnitten geschilderten. anatomischen Veränderungen und Umbildungen an dem jugendlichen weiblichen Körper zur Anschauung bringen. Man kann sich leicht davon überzeugen, dass alle die Fig. 69. Kaffer - Mädchen geschilderten Phasen Britisch - Kaffer- der Entwickelung unserer weiblichen norddeutschen Jugend sich auch bei denjungen MädchenfremderVolksder beginnenden Entwickelung der Primär - Mamma mithalbkugelförmigen Brust- warzenhöfen. (Nach Photographie.) stämme nachweisen lassen. Und wenn wir manche der erwähnten Formen hier bisweilen sogar in besonders starker Ausprägung und mit kleinen Variationen vorfinden, so dürfen. wir nicht vergessen, dass ein solches Verhalten in gewissen Formeigenthümlichkeiten der Brüste bei der betreffenden Rasse seine natürliche Erklärung findet. Wir sehen die noch neutrale oder puerile Brustwarze bei der kleinen Prinzessin von Celebes , Fig. 61, sowie auch bei der kleinen Serang- Insulanerin , Fig. 62, und bei dem aufder Erde sitzenden Ahuse- Mädchen, Fig. 63. Den Uebergang von der puerilen in die Halbkugelform der Brustwarzenhöfe zeigt das Loango- Neger - Mädchen, Fig. 64, während bei der kleinen Australierin aus Fig. 70. Kaffer- Mädchen aus Britisch- Kafferland im Backfischalter, im Stadium der entwickelten Primär- Mamma mit halbkugelförmigen Brustwarzenhöfen. (Nach Photographie. ) 224 IX. Das Weib während der Zeit der geschlechtlichen Unreife etc. Wir Nord-Queensland, Fig. 65, bei dem Kaffer - Mädchen aus Natal . Fig. 66, und bei dem Mädchen von den Andamanen- Inseln , Fig. 67. diese Form schon ihre volle Ausbildung erlangt hat. Von einer eigentlichen Mamma, der, wie ich sie genannt habe, primären Mamma, vermag man aber noch keine Spur zu entdecken. Die überaus starke Ausbildung der Halbkugelform der Brustwarzenhöfe, wie sie uns die junge Person aus Natal in Fig. 66 darbietet, findet ihre Erklärung durch eine besondere Rasseneigenthümlichkeit der Brüste bei diesem Volksstamm. haben davon in Fig. 49 ein sehr charakteristisches Beispiel abgebildet. BeiVolksstämmen, deren Brüste zu der Ziegenbrustform hinneigen und daher gewöhnlich in ausserordentlich früher Zeit schon herabzuhängen pflegen, sind wir bisweilen in der Lage, sogar schon bei dieser Halbkugelform der Brustwarzenhöfe vor dem Auftreten der primären Mamma ein Hängendwerden zu beobachten. diese eigenthümliche Erscheinung bei den beiden jungen Negerinnen von der Loango - Küste, Fig. 72 und 73, bei der einen in geringerem und bei der anderen in stärkerem Grade. Hier müssen wir also sagen, so paradox dieses auch klingen mag, es können bei diesem Volke die Brüste bereits hängend werden, bevor sie sich noch entwickelt haben. Fig. 71. Fjeld - Lappen- Mädchen vom Altenfjord ( Norwegen) im Backfischalter ( 15 Jahre alt) , mit fertig entwickelter Primär- Mamma und scheibenförmigen Brustwarzenhöfen mit prominenten Brustwarzen. (Nach Photographie. ) Wir sehen Nun schliesst sich das Magungo- Mädchen, Fig. 68, an, bei welchem die Primär-Mamma in der ersten Entwickelung begriffen, die Halbkugelform der Brustwarzenhöfe aber noch vollständig erhalten ist. Aehnlich verhält es sich mit dem Kaffer- Mädchen, Fig. 69, nur ist die Entwickelung der Primär- Mamma hier schon etwas weiter vorgeschritten. Auch das Mädchen aus Fig. 72. Neger - Mäd- chen von der LoangoBritisch- Kafferland, Fig. 70, und das Ahuse- Küste (WestMädchen, Fig. 63, zeigen diesen Zustand, jedoch Afrika) im Backtischist bei ihnen die Primär-Mamma schon stärker ausgebildet. Die fertig entwickelte Backfischbrust endlich, d . h. also die vollständige Primär- Mamma mit scheibenförmigen Brustwarzenhöfen und prominenten Brustwarzen, finden wir bei dem in der Fig. 75 abgebildeten AkkaMädchen, und bei dem Lappen- Mädchen vom Altenfjord, Fig. 71 . alter, im Stadium der stark ausgebildeten Halb- kugelform der Brustwarzenhöfe, welche bereits vor Entwickelung der Primär- Mamma eine Neigung zum Leberhängen zeigen. (Nach Photographie.) 54. Der Backfisch in anthropologischer Beziehung. 225 Dass nun auch die fertig ausgebildete Backfischbrust ein Hängendwerden zeigen kann, wenn bei dem betreffenden Volksstamme das Hängen. der Brüste überhaupt als die normale und gewöhnliche Erscheinung betrachtet werden muss, das kann uns natürlicherweise nicht überraschen. Wir finden dieses bei dem Neger - Mädchen aus Chinchoxo an der Loango- Küste , Fig. 74. Gerade bei den zwei jungen Mädchen dieses Volkes, Fig. 72 und 73, hatten wir ja sogar ein Ueberhängen der eben erst halbkugelförmig entwickelten Brustwarzenhöfe constatiren können. Während nun die geschilderten Umformungen im Bereiche des Brustkorbes sich vollziehen, der Durchmesser des Beckens grösser und die Gesässgegend dicker und voller wird, treten auch an den Geschlechtstheilen und besonders am Mons Veneris bemerkenswerthe Veränderungen ein. An den Geschlechtstheilen sind es namentlich die grossen Schamlippen, welche an Länge, Dicke und Rundung dadurch zunehmen, dass ihr Fettpolster sich vergrössert. Auch an dem Schamberg nimmt das Unterhautfettgewebe an Menge und Ausdehnung zu, und hierdurch wird der erstere voller, abgerundeter und mehr über das Niveau der untersten Abtheilung des Hypogastrium hervortretend. Nun tritt genau in der Mittellinie des Mons Veneris die erste Schambehaarung auf. Auf der rechten Körperhälfte sowohl als auch auf der linken sprossen von der Mittellinie aus kurze, pigmentirte Härchen hervor, eines immer etwas höher entspringend als das vorhergehende, aber jederseits nur einen einzigen, der Medianlinie dicht anliegenden Haarstrich bildend ; denn erst etwas später entwickeln sich auch lateral von ihnen neue Härchen. Die Haare sind zuerst kurz, schlicht, von der Medianlinie nach oben und lateralwärts verlaufend und der Oberfläche der Haut dicht aufliegend, ähnlich wie in den gewöhnlichen Fällen die Augenbrauen dieses thun. An der oberen Commissur der Rima pudendi pflegen die allerersten Haare hervorzubrechen. Jetzt ist der Zustand er- reicht, von welchem es in einem Sanskritverse Fig. 73. Neger-Mädchen heisst : „ Der Busen da hat bereits einen grossen Umfang, ist aber noch nicht zu der ihm angemessenen Höhe gelangt ; die drei Falten sind schon durch Linien bezeichnet, aber die Vertiefungen und Erhöhungen treten noch nicht deutlich hervor ; auf der Mitte ihres Leibes ist eine gerade, lange, ins Braune fallende Härchenreihe schon da : wir sehen das reizende Alter, ein Gemisch von Kindheit und Jungfräulichkeit, vor uns." (Böthlingk.) LL von der Loango- Küste (West- Afrika) im Backfischalter, im Stadium der sehr stark ausgebildeten Halbkugelform der Brustwarzenhöfe, welche bereits vor Entwickelung der Primär-Mamma eine erhebliche Neigung zum Ueberhängen zeigen. (Nach Photographie. ) Sehr bald wachsen dann aber lateralwärts von den soeben besprochenen Haaren neue Haare in analoger Weise hervor, und auch der äussere freie, die Schamspalte begrenzende Rand der grossen Schamlippen bedeckt sich in gleicher Weise mit kurzen Härchen. Allmählich werden alle diese Haare dicker, dunkler pigmentirt und länger und heben sich aus dem Niveau der Hautoberfläche heraus, wodurch dann leicht der Eindruck des Krausen Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 15 226 IX. Das Weib während der Zeit der geschlechtlichen Unreife etc. und Buschigen der Schambehaarung hervorgerufen wird. Aber noch eine ziemlich lange Zeit hindurch bleiben die seitlichen Abtheilungen des Mons Veneris von dem Haarwuchs vollständig frei ; das Haarfeld nimmt für gewöhnlich in dieser Zeit nur auf ungefähr zwei Querfinger Breite die Mittelzone des Schambergs ein. Die Behaarung der Seitenpartien des Mons Veneris pflegt dann erst nach vollendeter Pubertät zu Stande zu kommen. Auch in den Achselhöhlen vollzieht sich in diesen Jahren insofern eine Veränderung, als hier die Ausbildung der Schweissdrüsen sich steigert und damit auch die Schweisssecretion vermehrt wird. Dass auch die Haut der Achselhöhle allmählich sich mit Haaren bekleidet, ist ja allgemein bekannt. Es ist gerade ungefähr der Mittelpunkt der Achselhöhle, also deren tiefste oder (wenn man sie von unten her betrachtet denkt) deren höchste, geFig. 74. an wölbteste Stelle , an welcher die ersten ganz kurzen, vereinzelt stehenden Haare sichtbar werden. Sie zeigen im Anfange gewöhnlich eine weniger intensive Pigmentirung, als die Schamhaare, und auch ihr Wachsthum geht viel langsamer von Statten. Von dem erwähnten Mittelpunkte aus überkleidet sich zuerst theils gegen den Oberarm hin, theils dem Brustkorbe zulaufend ein ungefähr fingerbreiter Strich, durch welchen die Achselhöhle in eine vordere und eine hintere Abtheilung geschieden wird. Es dauert dann aber noch eine ziemlich lange Zeit, bis auch die etwas mehr seitlichen Abtheilungen der Achselhöhle sich mit Haaren bekleidet haben. Gesellt sich nun zu allen diesen körperlichen Veränderungen auch noch die erste Menstruation hinzu, so gilt im Allgemeinen die Pubertät für erreicht und das sogenannte Backfischalter für abgeschlossen. Wie bereits weiter oben gesagt worden ist, beziehen sich die bisher gemachten Schilderungen der körperlichen Entwickelung nur auf die dem Neger - Mädchen aus Chinchoxo Herausgeber allein bekannte nordder Loango - Küste ( West - Afrika) im deutsche Jugend. Es ist nun allerBacktischalter, im Stadium der fertig entwickelten, dings in hohem Grade wahrschein- und bereits überhängenden Primär- Mamma mit lich, dass nicht allein bei den übrigen scheibenförmigen Brustwarzenhöfen und promi- nenten Brustwarzen. (Nach Photographie.) deutschen Stämmen, sondern auch bei dem gesammten Menschengeschlechte die physische Umbildung von dem Kinde zur Jungfrau in ganz analoger Weise sich vollzieht und manche der uns zugänglichen Photographien scheint diese Annahme zu bestätigen, aber ein strikter Beweis dafür ist noch nicht geliefert worden ; es fehlt eben leider bisher noch an genauen Angaben. Sind doch selbst über die Mädchen unseres deutschen Volkes — 54. Der Backfisch in anthropologischer Beziehung. 227 die Berichte noch vollständig fehlend ; und doch giebt es hier so viele höchst interessante Fragen, durch deren Lösung unsere Kenntniss der Anthropologie ganz erheblich gefördert werden würde. Auch bei den norddeutschen Mädchen nämlich ist die Reihenfolge, in welcher die geschilderten Umbildungen am Körper vor sich gehen, nicht in allen Fällen die gleiche, typische, sondern man hat bisweilen die Gelegenheit, recht erhebliche Schwankungen zu beobachten. Der gewöhnliche Verlauf ist folgender. Es tritt zuerst die halbkugelige Hervorwölbung der Brustwarzengegend auf; dann folgt das erste Hervorsprossen der Schamhaare; darauf beginnen sich die Hügel der Brust zu wölben; nächstdem breiten sich die Schamhaare seitwärts aus und nun erst pflegt zum ersten Male die Menstruation sich einzustellen. Ganz zuletzt kleidet sich dann auch die Achselhöhle mit Haaren aus. Von dieser Regel giebt es nun aber recht häufige Abweichungen. So geht bisweilen die Behaarung des Mons Veneris der ersten Ausbildung der Brüste voran, und manchmal zeigt sich die erste Menstrualblutung bereits, während an der Brust und an dem Schamberge noch vollständig kindliche Zustände herrschen. Nur Eines scheint constant zu sein, nämlich dass die Behaarung der Achselhöhle sich stets am allerspätesten vollzieht. Es ist im höchsten Grade zu bedauern, dass über diese so unschwer zu erforschenden Dinge noch gar kein wissenschaftliches Material vorhanden ist. Wennjeder Arzt in seinem Beobachtungskreise sich jedesmal auch nur ganz kurze Notizen machen würde, so wären wir der Lösung der sich uns jetzt sofort aufdrängenden Fragen schon ganz erheblich näher gerückt. Denn worin liegt die Ursache für die erwähnten Schwankungen in der Reihenfolge? Sollte hier nicht vielleicht in der sogenannten hellen oder dunklen Complexion der hauptsächlichste Grund zu suchen sein, d. h. in dem Umstande, ob die jungen Mädchen dem hellen oder dem dunklen Typus angehören, ob sie helläugig und blondhaarig oder dunkeläugig und dunkelhaarig sind ? Bis jetzt kann dieses nur als eine Vermuthung ausgesprochen werden. Es liegen zu der sicheren Entscheidung dieser Frage auch noch nicht einmal die ersten Anfangsgründe der Untersuchung vor. Erwähnt mag übrigens noch werden, dass man bisweilen schon ganz voll und üppig, vollkommen schon zur Jungfrau ausgebildete Mädchen findet, bei welchen trotz der schon weit vorgeschrittenen körperlichen Entwickelung doch noch die Menstruation lange Monate auf sich warten lässt. Fig. 75. Akka- Mädchen ( Ost - Afrika) im Backfischalter, im Stadium der fertig entwickelten Primär-Mamma mit scheibenförmigen Brustwarzenhöfen und prominenten Brustwarzen. (Nach Photographie.) 15* X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. 55. Das erste Auftreten der Menstruation. Das Wunder hat sich vollzogen ! Aus dem Kinde ist eine Jungfrau geworden: Der Ausdruck der Augen hat sich verändert, er ist sinniger und ernster, der Klang der Stimme ist volltönender und melodischer geworden , die Formen des Körpers haben an Fülle und Rundung gewonnen. Als Zeichen der Geschlechtsreife des Mädchens gelten uns der Eintritt der monatlichen Reinigung, die Ausbildung der Brüste und der äusseren Genitalien und das Hervorwachsen von Haaren am Schamberg und in der Achselhöhle. Diese äusseren Merkmale wurden von jeher als diejenigen der Pubertät aufgefasst. So heisst es in der Bibel bei Ezechiel 16, 7 : Dein Busen ist bereits gewölbt und dein Haar hervorsprossend . Der altindische Arzt Susruta aber sagt nur, dass sich die Geschlechtsreife durch die Menstruation äussert, welche regelmässig mit Ablauf eines Monats wiederkehrt. Als Zeichen der Menstruation giebt er an, dass das Gesicht der Frauen gedunsen und heiter sei , der Mund und die Zähne nass , dass sie mannssüchtig seien. und liebkosen, dass der Unterleib, die Augen und die Haare schlaff seien, die Arme dagegen, die Brüste, die Schenkel, der Nabel, die Hüften, der Schamberg und die Hinterbacken strotzen, dass sie voll Freude und Verlangen seien. Zendavesta sagt von einer menstruirenden Frau : „ Sie hat ihre Merkmale und Blut. " Was die chinesischen Aerzte von der Menstruation und ihrer Physiologie wissen und in ihren gelehrten Werken darüber geschrieben haben, ist Folgendes : Vom 14. -15. Jahre an tritt bei jeder Frau ein monatlicher Blutabfluss (King-hiue) aus den weiblichen Geschlechtstheilen (yn- hou) ein ; er dauert gewöhnlich 21 , 3-4 Tage und regelt sich nach 30 tägigen Perioden. Wenn er 2 Tage zu früh eintritt, so heisst diese krankhafte Affection kan-tsien, wenn er 1-2 Tage zu spät eintritt, so heisst dies tsieou- heou. Wenn der Ausfluss nicht lange Zeit nach der eigentlichen Periode eintritt. so ist die Frau zwei Krankheiten ausgesetzt, entweder dem Hiue- tche oder Hiue-kou. Die Schmerzen, welche bisweilen vor der Menstruation eintreten, heissen king-sien, die nach der Menstruation Hng-heou. Der Blutausfluss kann fünf verschiedene Farben haben : die hellrothe ist gesund, die weisse deutet auf Schwäche und entsteht durch innere Erkältung ; die schwarze deutet auf starke Erhitzung des Blutes ; die gelbe auf zu reichliche Gallenabsonderung ; die blaue entsteht, wenn die Frau durch Luft- 56. Der Einfluss des Klimas auf das erste Eintreten der Menstruation. 229 zug erkältet ist . In ähnlicher Weise verbreiten sich die chinesischen Aerzte über den zu reichlichen und den ungenügenden Blutausfluss. (Dabry.) Die talmudischen Aerzte bezeichneten als Symptom der Reife, dass die Haare an den Genitalien zu wachsen begonnen haben ; an einer Stelle des Talmud wird auch als Kennzeichen nicht bloss die merkliche Wölbung des Busens, so dass sich unter demselben eine Falte bildet, sondern auch noch als höherer Grad der Reife angegeben, dass die Brustwarzen elastisch werden. Andere Talmudisten bezeichnen ferner das Erscheinen der dunkelbraunen Farbe an dem Cirkel um die Warze, endlich auch das Lockerwerden des Schamhügels als Merkmal der Reife. Die Naturvölker achten im Allgemeinen ziemlich genau auf den Eintritt des für sie allein gültigen Zeichens der Pubertät, auf das erste Erscheinen des Blutausflusses ; denn dieser ist es, welcher bei vielen die Veranlassung giebt, mit dem jungen Mädchen ein besonderes, ceremonielles EinweihungsVerfahren vorzunehmen, nicht selten aber auch dasselbe abzusondern, sobald bei ihnen sich der Begriff des Unreinseins an die Menstruation überhaupt knüpft. Bestimmte Tracht oder Symbole tragen bei einzelnen Völkern die eben reif gewordenen Mädchen als Zeichen des jungfräulichen Standes. Es soll hiermit angedeutet werden, dass die junge Person nunmehr die Reife zum Heirathen erlangt hat. Wir werden hierauf später noch in ausführlicher Weise zurückzukommen haben. Man nimmt allgemein an, dass mit dem Eintritt der Menstruation das weibliche Individuum das Pubertäts- Alter erreicht hat, d. h. dass das Zeichen eines Blutaustritts dasselbe als mannbar erscheinen lässt. Inwieweit diese Annahme gerechtfertigt ist, bleibt fernerer Erörterung überlassen. An dieser Stelle beschäftigt uns nur die Frage, welche Einflüsse es sind, die vorzugsweise das frühere oder spätere Eintreten der Menstrualblutung beherrschen : Rasse, Klima, Lebensweise, Lebensstellung u. s. w. 56. Der Einfluss des Klimas auf das erste Eintreten der Menstruation . Die ältesten Angaben scheinen schon darauf hinzudeuten, dass die Differenzen in der Zeit des Menstrual- Eintritts durch klimatische Unterschiede bedingt würden. Nach dem Ausspruche des altindischen Arztes Susruta (in Ayurveda) pflegt die Menstruation mit dem 12. Jahre (bei den Mädchen in Indien) , nach den Rabbinern des Talmud (also bei den Jüdinnen in Kleinasien) in den meisten Fällen im 13. Jahre, und nach Soranus aus Ephesus zu Rom im 14. Jahre einzutreten. Diejenigen Schriftsteller hingegen, welche in Europa vor dem 15. Jahrh. lebten, wie der seiner Zeit so berühmte Michaelis Scotus und der nicht minder geschätzte Albertus Magnus, bezeichnen das 12. Lebensjahr als dasjenige, in welchem der weibliche Körper diesen Grad der Entwickelung erreicht habe. Derselben Ansicht ist auch Albrecht v . Haller ; nach ihm erscheinen die Menses in der Schweiz , in Deutschland, in Britannien und in anderen gemässigten Himmelsstrichen im Alter von 12 bis 13 Jahren, aber später, je weiter wir nach Norden kommen; in den warmen Gegenden Asiens u. s. w. sollen sie schon im 8. -10. Jahre eintreten. Diese Ansicht Haller's galt lange Zeit hindurch unbedingt als die richtige. Der Einfluss des Klimas wurde namentlich von Haller besprochen, und wenn wir nun nach dem heute vorliegenden Materiale die Frage erörtern , welche besonderen Be- 230 X. Die Reife des Weibes ( die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. dingungen und Ursachen auf die frühere oder spätere Eintrittszeit der Menses einwirken, so tritt uns zunächst die Thatsache entgegen, dass man sehr häufig das Klima, insbesondere aber die durchschnittliche Jahrestemperatur als das einflussreichste Moment betrachtet. In der That hat man durch Vergleiche zahlengemäss nachzuweisen vermocht (Raciborski, Boudin u. A.) , dass die herrschende Temperatur des Wohnorts sehr einflussreich auf die zeitigere oder spätere Entwickelung des weiblichen Körpers in sexueller Hinsicht ist. Diese Resultate, welche sich aus umfänglichen Forschungen gewinnen liessen, stellte Marc d'Espine in folgenden Sätzen zusammen: 1. In den gemässigten Zonen tritt die Mannbarkeit bei dem Weibe zwischen dem 9. und 24. Jahre ein. Das Alter aber, wo der Eintritt am häufigsten Statt hat, ist das 14. oder 15. Jahr. 2. Das mittlere Alter der Mannbarkeit erleidet sehr merkliche Variationen je nach der geographischen Breite, in welcher man sie in dieser gemässigten Zone beobachtet ; und im Allgemeinen kann man sagen, dass der Eintritt um so früher erfolgt, je mehr man sich dem Aequator nähert. 3. Das Klima (wenn man darunter die mittlere Jahrestemperatur versteht) ist bei der Betrachtung wichtiger, als die geographische Breite, so dass das Gesetz hinsichtlich der geographischen Breite nur wahr ist, insofern das Klima mit der Breite im Verhältniss bleibt. 4. In den Fällen, wo alle wahrnehmbaren Umstände gleich sind und wo das Klima variirt, sind die Verschiedenheiten, welche man in den mittleren Altern der Mannbarkeit bemerkt, in einer geometrischen Beziehung fast gleich denjenigen der mittleren Temperaturen. Allein dass auch noch andere Lebensbedingungen dabei zur Einwirkung gelangen, ging ebenfalls schon mit grosser Sicherheit aus den Ergebnissen Marc d'Espine's hervor, auf welche wir später noch zurückkommen müssen. Weiterhin bestätigte auch der englische Frauenarzt Tilt den Einfluss des Klimas, indem er bei einer Vergleichung der Zahlen verschiedener Beobachter fand, dass in heissen Klimaten die mittlere Zeit der ersten Menstruation : 13 Jahre 16 Tage, in gemässigten : 14 Jahre 4 Monate 4 Tage, in kalten : 15 Jahre 10 Monate 5 Tage betrug. Allein auch Tilt erkennt noch andere Factoren als nicht ohne Einfluss an, von welchen weiter unten noch zu sprechen sein wird. Eine weit eingehendere Zusammenstellung der Thatsachen auf einer Tabelle , welche gleichzeitig die mittlere Jahrestemperatur, die geographische Lage, die Rasse oder den Volksstamm rubricirt, verdanken wir dem Berliner Arzt Krieger. Aus dieser Statistik ergiebt sich allerdings eine entschiedene Einwirkung des Klimas. Führt man die Orte der Beobachtung in einer Reihenfolge je nach der steigenden mittleren Jahrestemperatur an, so zeigen sich folgende mittlere Durchschnittsalter bei der ersten Menstruation nach Jahr, Monat und Tag: Schwedisch- Lappland 18 J.; Christiania 16 J. 9 M. 25 T.; Skeen (Norwegen) 15 J. 5 M. 14 T.; Stockholm 15 J. 6 M. 22 T.; Kopenhagen 16 J. 9 M. 12 T.; Göttingen 16 J. 2 M. 2 T.; Berlin 15 J. 7 M. 6 T.; München 16 J. 5 M. 11 T.; Wien 15 J. 8 M. 15 T.; Warschau 15 J. 1 M.; Manchester 15 J. 6 M. 23 T.; London nach verschiedenen Zählungen zwischen 15 J. 1. M. 4 T. und 14 J. 9 M. 9 T.; Paris nach verschiedenen Zählungen zwischen 15 J. 4 M. 18 T. und 14 J. 5 M. 17 T.; Sables d'Olonne 14 J. 8 M. 23 T.; Lyon 14 J. 5 M. 29 T.; Toulon 14 J. 4 M. 5 T.; Nimes 14 J. 3 M. 2 T.; Montpellier 14 J. 2 M. 1 T.; Marseille 13 J. 11 M. 11 T.; Corfu 14 J.; Madeira 14 J. 3 M. (nach anderer Angabe 15 J. 5 M. 10 T.) ; Dekhan 13 J. 3 M.; Calcutta 12 J. 6 M.; Loheia 11 J.; Achmim (Aegypten) 10 J. und Sierra Leone 10 J. 56. Der Einfluss des Klimas auf das erste Eintreten der Menstruation. 231 Es ist hiermit unzweifelhaft gezeigt, dass die klimatischen Verhältnisse einen zeitigenden oder verzögernden Einfluss ausüben. Wenn nun dagegen Zweifel durch einzelne Beobachtungen ausgesprochen wurden, so erklären sich dieselben dadurch, dass es doch noch andere Einflüsse daneben giebt. Andere Male können aber auch Erscheinungen, welche einen Klima- Einfluss nicht wahrnehmen lassen, doch unbeschadet der constatirten Thatsache ihre Erklärung finden. So gelangte Weber , welcher aus verschiedenen Ortschaften Russlands nach St. Petersburg eingewanderte weibliche Individuen verglich, zu dem Schluss : „ Im Ganzen scheint das Klima, soweit es unser Material betrifft, keinen eingreifenden Einfluss auf den Eintritt der Menses zu haben, und die Schwankungen, die dennoch vorkommen, mehr den Nationalitäten und Rassen zuzuschreiben zu sein. " Allein Weber giebt zu, dass er es doch mit nach Norden verschlagenen Kindern des Südens zu thun hatte, demnach die Beobachtung keine rechten Anhaltepunkte darbietet. Wir sind in den Stand gesetzt , die Tabellen Marc d'Espine's, Tilt's, Krieger's und Topinard's durch zahlreiche neuere Daten zu vervollständigen. Allein es kommt uns hier vorzugsweise darauf an , zu untersuchen, inwieweit Krieger's aus der tabellarischen Uebersicht gezogene Schlüsse bezüglich des Klima- Einflusses richtig sind. Nachdem Krieger nämlich die Verschiedenheiten der Lebensweise als weniger einflussreich für den Menstruationseintritt erklärt hat, als die verschiedene Höhe des Wohnortes über dem Meeresspiegel, gelangt er zu dem Resultat, dass ein wesentlicher Unterschied in dem mittleren Alter der ersten Menstruation besteht, je nach dem Himmelsstriche, unter welchem die Menschen leben. Er beruft sich dabei mit Recht auf Dubois und Pajot, welche in einer Tabelle den Eintritt der ersten Regel bei je 600 Frauen im südlichen Asien , in Frankreich und im nördlichen Russland verzeichnen. Aus deren Tabelle liess sich berechnen, dass in der heissen Zone die grösste Zahl der Frauen zwischen dem 11. und 14. Jahre, in der gemässigten Zone zwischen dem 13. und 16. Jahre, in der kalten Zone zwischen dem 15. und 18. Jahre menstruirt wird. Krieger selbst sagt nun : ,, Als die hauptsächlichste Ursache dieses Unterschiedes muss daher allerdings das Klima angesehen werden und nur innerhalb dieses Einflusses, den das Klima ausübt, oder als constituirenden Factoren des Klimas wird der mittleren Jahrestemperatur , der geographischen Länge und Breite, der Höhe über dem Meeresspiegel, der Nähe des Meeres und zum Theil auch dem städtischen oder ländlichen Wohnsitze einiges Gewicht beizulegen sein. In welchem Maasse aber jeder einzelne dieser Factoren ein vorwiegendes Interesse in Anspruch nehmen darf, ist zur Zeit wohl kaum zu entscheiden. Der Rasse endlich wird sich nicht jeder Einfluss auf den Menstruations - Eintritt absprechen lassen , doch möchte es schwierig sein, denselben zu definiren . " Dann aber entscheidet sich Krieger auf Grund der von ihm aufgestellten Tabelle dahin, dass es nicht die Rasse, sondern vielmehr das Klima ist , wodurch der Unterschied in dem Alter der ersten Menstruation bedingt wird, " indem er weiterhin behauptet, dass die Wärme der Luft im geraden Verhältnisse zu der frühen Entwickelung der weiblichen Geschlechtsreife zu stehen scheint." 232 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. 57. Der Einfluss der Rasse auf das erste Eintreten der Menstruation. Während die bisher angeführten Gelehrten für die Verschiedenheiten in dem ersten Auftreten der Menstruation in erster Linie das Klima verantwortlich zu machen bemüht sind, haben namentlich Alexander von Humboldt und Roberton den Einfluss der Rassenangehörigkeit und innerhalb derselben der Nationalität nachzuweisen gesucht. Auch Tilt hält diese genannten Factoren nicht für wirkungslos, und wir müssen besonders hervorheben, dass einige Beobachter, freilich ohne genauere numerische Verhältnisse anzugeben, z . B. Polak u. A., diesen Einfluss nicht gering anschlagen . Letzterer sagt: Ueberhaupt scheint das frühere oder spätere Eintreten und Erlöschen der Menstruation mehr von der Rasse als vom Klima abzuhängen, und obwohl sie durch ein kaltes, nördliches Klima verzögert wird, so verwischt sich doch in allen folgenden Generationen nicht der Einfluss der Rasse. Als Beleg hierfür dienen die Jüdinnen in Europa und die Negerinnen in Persien und den amerikanischen Colonien. " 99 Auch Oppenheim glaubte aus seinen Beobachtungen an bulgarischen , türkischen, armenischen und jüdischen Mädchen auf eine RassenDifferenz bezüglich der früheren Entwickelung der Menses schliessen zu dürfen. Dann hatte Lebrun die Menstruationszeit von je 100 Frauen jüdischer und slavischer Herkunft (in slavischer Bevölkerung) verglichen (Corre), wobei er fand, dass eine grössere Anzahl der Jüdinnen schon im 13. Jahre ihre Menses bekamen, in welchem nur eine Slavin menstruirte. Allein wir müssen doch auch darauf hinweisen, dass die ganze Lebensweise mit in Betracht zu ziehen ist . Eine so völlige Zurückweisung der Rassen- Differenz, wie wir bei Krieger und Topinard finden, ist gewiss noch nicht gerechtfertigt, so lange nicht genauere Forschungen angestellt sind. Weiterhin hat Weber in St. Petersburg den Beziehungen des Menses Eintritts zur Nationalität nachgeforscht. Interessant sind seine Resultate : Bezeichnet man als frühzeitigen" Eintritt den von 15, als ,,späten" Eintritt den nach 17 Jahren, so bekommen wir für 5 Nationalitäten: Deutsche. Polin. Finnin. 47,1 %- 52,7 %. 19 % 2,9 %. 19,25 % - Früher Eintritt : Später Eintritt : 99 Russin. Jüdin. 48,5 %- 6,360 54,5 %- 3,7 %- 2,9 %. 0° Nehmen wir nun noch die Verhältnisse für „,vorzeitig“ bis 12, und ,,verspätet“ nach 18 Jahren, so kommen: Vorzeitig : Verspätet: Russin. Jüdin. Deutsche. 10,6 %- 12,5 %- 8,2 %. Polin. Finnin. 11,7 %- 2,75 %- 2,86 %- 1,2 %- 3,8 %- 2,9 %- 0,0 % Man vermag hieraus zu ersehen, dass bei den Finninnen , trotzdem im Ganzen die Menstruation erst spät eintritt, doch Verspätungen zu den grössten Seltenheiten gehören ; dasselbe kann man fast auch von dem vorzeitigen Eintritt sagen ; wogegen bei den Jüdinnen und den slavischen Völkern der unzeitige Eintritt, und zwar besonders der vorzeitige, recht häufig vorkommt. Dass sich bei verschiedenen Nationen , die in einem Lande zusammen wohnen, grosse Differenzen zeigen, geht aus den in Ungarn angestellten Untersuchungen Joachim's hervor. Es menstruirten dort zum ersten Male : Magyarische Bauernmädchen im 15. -16 . Jahre, Israelitinnen . Raizitische Mädchen Slovakische "" 77 14.- 15. 27 13.-14 . 22 16.-17. 58. Der Einfluss d. Standes u. d. Lebensweise auf das erste Eintreten d. Menstruation. 233 In Strassburg jedoch fanden Stöber und Tourdes bei 29 Judenmädchen , dass sich der Menstruationseintritt durchschnittlich ebenso verhielt, wie bei den Mädchen der übrigen Bevölkerung ; er war in keinem Falle vor dem 12. Jahre, das Maximum war zwischen dem 14. und 17. Jahre, Freilich sind 29 Individuen zu wenig! 58. Der Einfluss des Standes und der Lebensweise auf das erste Eintreten der Menstruation. Wir müssen ferner als einen das erste Eintreten der Menstruation bedingenden Einfluss die Standesunterschiede und die dadurch bedingten Verschiedenheiten in der Lebensweise, sowie das Aufwachsen auf dem Lande, gegenüber demjenigen in den Städten hervorheben. Das hat in recht eingehender Weise Bensenger erörtert, welcher an 5611 weiblichen Individuen, die während 10 Jahren in Moskau lebten, den Eintritt der Menstruation feststellte . Es liess sich bezüglich des ersten Auftretens der Menses unterscheiden eine frühe Periode von 9 bis 12 Jahren , eine mittlere von 13 bis 16 Jahren und eine spätere von 17 bis 22 Jahren. In Moskau hat sich nun mit Berücksichtigung der Stände Folgendes ergeben : Das Maximum der frühen Periode ( 9 bis 12 Jahre) fällt auf den Adel und die Ausländer (es werden keine Nationalitäten genannt) ; für die zweite, die mittlere, Periode fällt das Maximum auf die Geistlichkeit und den Kaufmannsstand ; für die dritte Periode fällt das Maximum auf die Bauern. Es scheint hiernach also nicht das Klima einen vorwiegenden Einfluss zu haben, sondern vielmehr die physische Erziehung , und wahrscheinlich die Nahrung, wobei jedoch dem durch Erblichkeit sich fortpflanzenden Einfluss der physischen Erziehung auf das Nervensystem gewiss auch Rechnung zu tragen ist . Dass Stand und Beruf sehr maassgebend sind, hat besonders Weber nachgewiesen. Nach seinen in St. Petersburg angestellten Erörterungen kommt das Maximum des ersten Menstruations- Eintritts auf das Jahr 14 bei Hausfrauen, Näherinnen, Wäscherinnen, Ladenmädchen, Schuhmacherinnen , Hebammen, Kindermägden, Wartefrauen ; auf das Jahr 15 bei Köchinnen, Schneiderinnen , Händlerinnen , Ammen, Schauspielerinnen, Feldarbeiterinnen ; auf das Jahr 16 bei Stubenmägden, Prostituirten, Lehrerinnen, Wartefrauen ; auf das Jahr 13 bei Lehrerinnen, Sängerinnen, Studentinnen und Modistinnen (allerdings ist diese Rubrik zu gering an Zahl ). Wir können nicht verhehlen, dass hierdurch doch immerhin nur ein approximativer Rückschluss auf die Einwirkung der Lebensstellung zulässig ist. Denn alle die in der obigen Liste aufgeführten Personen haben doch natürlicherweise um vieles später ihren Lebensberuf ergriffen, als sich die erste Menstruation bei ihnen gezeigt hat . Im Ganzen, so schliesst Weber, können wir vom Einfluss der Beschäftigung und Lebensweise sagen, dass bei unseren Städterinnen die Menstruation in den besseren Kreisen , in regelmässigen Verhältnissen, wo das Weib seiner Bestimmung nachzukommen vorbereitet wird und sie schliesslich in den Stand der Hausfrauen tritt, die Menstruation zeitiger eintritt ; wogegen bei den Proletariern, Feldarbeiterinnen , bei Mädchen, die schon von Kindesbeinen an zu schweren Arbeiten angehalten worden, die Menstruation später eintritt. Auffallend früh tritt dieselbe bei Mädchen ein, die sich dem Studium und überhaupt den geistigen Arbeiten widmen, also bei Studentinnen, Lehrerinnen, Schauspielerinnen, Sängerinnen und dergleichen. Auch den Einfluss des Standesunterschiedes hinsichtlich des elterlichen Berufes studirte Weber : beim Bauernstand im Mittel 14,8 Jahre, im Maximum 15-16, im Minimum 10-11 Jahre ; dagegen, wenn man das begonnene Jahr als voll nimmt, bekommen wir 16 Jahre als mittleren Menstruationseintritt ; beim Bürgerstand im Mittel 14,6 Jahre, Maximum 14-15 Jahre ; beim Kaufmannsstand im Mittel 14,1 Jahre, im Maximum 14 bis 15 Jahre ; bei Adligen und Officieren im Mittel 14,1 , im Maximum 14-15 Jahre ; beim Beamten- und Gelehrtenstande im Mittel 14,29 Jahre, im Maximum 14-15 Jahre ; beim Soldatenstand im Mittel 14,8 Jahre, im Maximum 16-17 Jahre ; beim geistlichen Stande waren die Zahlen zu klein , um sicher die Zahl 13,9 Jahre als Mittel bezeichnen zu können. 234 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. Der bedeutende Einfluss, welchen die Lebensweise äussert, ergiebt sich aus Brierre de Boismont's Berechnungen in Paris ; er fand, dass durch luxuriöse und bequeme Lebensweise sowie durch die verweichlichende Erziehung der Menstruationseintritt gezeitigt wird. In Paris ist nach ihm das durchschnittliche Alter des Pubertätseintritts : Bei Frauen der mittleren Bürgerklassen 15 Jahre Mon. 97 Handarbeiterinnen 99 Mägden 99 Tagelöhnerinnen י 15 10 27 16 " 2 29 1½ „ Für Paris im Mittel 16 " 14 Jahre 4 Mon. In Wien fand Szukits das mittlere Menstruations-Alter 15 Jahre und 8 Monate ; hingegen auf dem Lande in Oesterreich 16 Jahre und 22 Monate. Dass Mare d'Espine Aehnliches gefunden hatte, das haben wir bereits oben gesehen. Für Strassburg und das Département BasRhin (Elsass) fanden Stöber und Tourdes, dass die Menstruation in der Stadt meist im Alter von 13 Jahren eintritt und nicht selten auch schon im 11. und 12. Jahre ; auf dem Lande scheint das Alter zwischen 15 bis 16 Jahren das gewöhnlichere zu sein, und oft erscheint sie hier noch viel später. Schon Hippolitus Guarinonius, der in Hall bei Innsbruck als Arzt lebte und dessen berühmtes Buch „ Die Grewel der Verwüstung menschlichen Geschlechts " im Jahre 1610 erschienen ist, hatte die Beobachtung gemacht, dass der Eintritt der Geschlechtsreife bei den Bäuerinnen und den Städterinnen nicht zu gleicher Zeit erfolge. Es heisst bei ihm : ,,Zu guter Kundschafft sehen wir, dass die Bawren Mägdlein in hiesiger Landtschafft, wie auch allenthalben, vil langsamber, als die Bürgers, oder Edelleuth Töchter, und selten vor dem 17 oder 18 oder auch 20igistem Jar, zeitigen, darumben auch dise umb vil länger als die Burger und Edelleuth Kinder leben, und nit sobald als dieselben veralten . Item wir spüren fein klar, und ohne vil Nachsinnen , dass in gemein, wann der Bawren Mägden kaum zeitigen, die Burgerlichen schon etlich Kinder getragen haben. Ursach, dass die Innwohner der Stätten, mehreres den gaylen Speisen und Trank ergeben, darnach auch jhre Leiber zart, weich und gayl, und gar zu bald zeitig werden, nicht anderst als ein Baum, welchen man zu fast begeust, sein Frucht zwar bälder als die andern zeitigt, aber nit so vollkommen, und veraltet auch desto bälder. “ Auch Marc d'Espine hatte durch seine vergleichenden Untersuchungen herausbekommen, dass Frauen , welche in Städten geboren sind oder daselbst ihre Kindheit zubringen, eine frühzeitigere Mannbarkeit zeigen, als diejenigen, welche auf dem Lande in Dörfern geboren sind und ihre Kindheit verlebt haben. Der Unterschied in den mittleren Mannbarkeitsjahren möchte. jedoch nicht mehr als ein Jahr betragen. Die grossen Städte haben, im Verhältniss zu den gewöhnlichen Städten, die Eigenschaft, die Mannbarkeit noch früher zu zeitigen. Schon die Aerzte des Talmud wussten, dass die Lebensweise des Mädchens grossen Einfluss auf die Eintrittszeit ihrer Pubertät ausübt. So behauptet Rabbi Simon ben Gamiel von den Mädchen, welche in Städten wohnen und dort Gelegenheit haben, öfter Bäder zu benutzen, dass bei ihnen das Behaartwerden der Körpertheile sich weit früher einstelle , als dieses bei den Dorfbewohnerinnen der Fall sei, wogegen bei letzteren die frühere Wölbung des Busens vorkommt in Folge ihrer anstrengenden körperlichen Arbeiten (Wunderbar). 60. Anderweitige Einflüsse auf das erste Eintreten der Menstruation. 235 59. Der Einfluss des vorzeitigen Geschlechtsgenusses auf das erste Eintreten der Menstruation. In engem Zusammenhange mit dem Einfluss, welchen die Lebensweise im Allgemeinen auf das frühere oder spätere Auftreten der Menstruation ausübt, steht derjenige, welcher durch einen verfrühten Geschlechtsgenuss hervorgerufen wird. Es scheinen für eine derartige prädisponirende Einwirkung mancherlei wichtige Thatsachen zu sprechen. Bei den Esthinnen stellt sich die Menstruation trotz des rauhen Klimas, trotz der abhärtenden und den Eintritt der Menses verzögernden Lebensweise, trotz der durchgängig torpiden Constitution, wenn auch selten, schon im 15., selbst im 14. Jahre ein. Holst giebt dies der Unkeuschheit der Mädchen schuld, indem hierdurch die Genitalien in ihrer Entwickelung der des übrigen Körpers vorangingen. Die Schwierigkeit des Beweises zeigt sich aber in Folgendem. Viele und unter ihnen vorzugsweise Roberton betrachten das frühe Verheirathen der Mädchen bei den Hindu als Veranlassung zum frühzeitigen Menstruationseintritt ; denn nach Manu durfte sich ein Mädchen schon mit dem 8. Jahre verheirathen, und in der That betrachten es dort viele Eltern für eine Schande, wenn ihre Tochter nicht jung heirathet ; man sieht sogar eine Ehe nach dem Eintritt der Regel für sündig an. Diese indische Sitte könnte allerdings durch die frühe geschlechtliche Erregung auf einen zeitigen Eintritt der Pubertät von Einfluss sein, doch ist immerhin der Eintritt der letzteren im 12. Jahre, wie man angegeben hat, keine andere Erscheinung, als man auch bei anderen Orientalen findet. Es erscheint nach Chervin beim Hindu- Mädchen die Regel dadurch, dass es durch den Coitus geschlechtlich erregt wird, keineswegs früher, als bei europäischen Mädchen, die unter gleichen klimatischen Verhältnissen leben ; aber die Dauer der Menopause ist beim Hindu- Weibe länger, als bei Europäerinnen , der Fluss der Menses dauert ebenso lange, wie in unserem Klima, 3-5 Tage ; die Zwischenzeit zwischen den Perioden beträgt aber 25-28 Tage. Die geschlechtliche Reife pflegt sich bei den Nayer- Mädchen (Kaste in Indien) zwischen dem 13. und 15. Jahre einzustellen, nur ausnahmsweise vor dem 12. Speerschneider, der in Trovancore lebt, kennt Mädchen der Illuvar- und anderer schlecht genährter Kasten Süd - Indiens, die im 16. Jahre noch nicht geschlechtsreif waren und noch unentwickelte Brüste hatten. Viele Mädchen der Nayer- Kaste leben aber schon vom 11. Jahre an mit Männern. (Jagor. Meyer¹.) Auch auf den Sandwichs- Inseln heirathen die Mädchen vor dem Eintritt der Pubertät, und nach Dumas hält man daselbst die Menstruation für die Folge des Coitus, und ihr Erscheinen bei einem unverheiratheten jungen Mädchen für ein Zeichen übler Aufführung. 60. Anderweitige Einflüsse auf das erste Eintreten der Menstruation. Also nicht nur durch das Klima, sondern auch durch manche anderen Verhältnisse, z . B. durch Rasse und Nationalität, Lebensweise, Beschäftigung, Erziehung, Nahrung, Wohnung, Kleidung, Sitten und Gewohnheiten wird der Menstruationseintritt bestimmt. Auch wurde schon von Roberton darauf hingewiesen , dass die Indianermädchen allerdings schon sehr früh 236 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. menstruiren, die Negermädchen aber, die in ebenso heissen Zonen wohnen . durchschnittlich in etwas späterem Alter reif werden ; Roberton sucht dies dadurch zu erklären, dass die Indianermädchen mehr als die Negermädchen vorzeitiger geschlechtlicher Reizung ausgesetzt werden, denn viele Indianerinnen werden schon im 10. Jahre Mütter. Ebenso behauptet Lacepède, dass in denselben Breiten und Klimaten die Pubertätszeit der Neger und Mongolen früher als bei Europäern eintrete. Hierbei wird wohl auf die Thatsache zu verweisen sein, dass die angestammten Eigenthümlichkeiten sich nur langsam und im Verlaufe zahlreicher Generationen verändern können. Eigenthümlicher Weise sollen, wie man allgemein angiebt, trotz des kalten Klimas bei den Mongolen, Kalmücken , Samojeden , Lappen, Kamtschadalen, Jakuten, Ostjaken u. a. die Mädchen schon im 12.-13 . Jahre menstruiren. Mag diese Behauptung im Allgemeinen wahr sein (für die Lappen hat sie sich als unrichtig erwiesen), so würde aus einer solchen Thatsache weder die Einflusslosigkeit des Klimas, noch auch der alleinige Einfluss der Rasse resultiren, sondern man könnte die Erscheinung aus der Lebensweise, insbesondere der animalischen Nahrung und jener Gewohnheit dieser Völker erklären, in ihren Hütten fortwährend eine bedeutende Hitze zu unterhalten. So weisst auch schon Krieger die Argumentation Walker's zurück, der das frühe Erscheinen der Menses bei den Mongolen als Eigenthümlichkeit der Rasse bezeichnet. Es sind aber ganz unbedingt noch einige andere Factoren nicht ausser Acht zu lassen, welche auf das frühere oder spätere Auftreten der ersten Menstruation nicht weniger als die bisher genannten von bedingendem Einflusse sein können. Dahin gehört in erster Linie die Erblichkeit. Wir meinen hiermit nicht die einfache Vererbung der Nationalität, sondern die oft so überraschende Uebertragung individueller Eigenschaften auf die nachfolgenden Generationen . So erfährt man wenigstens bei unserer Bevölkerung durchaus nicht selten, dass die Töchter ganz genau in dem gleichen Lebensalter zum ersten Male ihre Menstruation bekamen, in dem sie auch bei der Mutter und der Grossmutter eingetreten war, und diese Uebereinstimmung erstreckt sich sehr oft selbst auf die Dauer und auf die Quantität der blutigen Ausscheidungen. Auch dasjenige, was man früher gewöhnlich als das Temperament bezeichnete, ist zu berücksichtigen, d. h. die Eigenthümlichkeiten der körperlichen Entwickelung und die Färbung der Haut, der Haare und der Augen. So sagte auch bereits Marc d'Espine: Die Bedingungen, welche von Seiten des Temperaments am meisten auf frühzeitige Entwickelung der Pubertät in unseren Klimaten von Einfluss zu sein scheinen, sind : schwarze Haare, graue Augen, eine feine weisse Haut und ein starker Körperbau. Die Bedingungen, welche dagegen mit am meisten verzögerter Mannbarkeit zusammentreffen, waren : kastanienbraune Haare, grünliche Augen, eine rauhe gefärbte Haut und ein schwacher, zarter Körperbau. Wir kommen hiermit aber doch vielleicht wiederum mit dem bereits oben besprochenen Rasseneinfluss in Berührung. Dass endlich auch der höhere oder geringere Grad der Gesundheit des einzelnen Individuums nicht ohne bestimmenden Einfluss sein kann, das bedarf wohl kaum einer weiteren Erörterung. Alle dem zuletzt Erwähnten entsprechen auch die verschiedenartigen Resultate, welche Sullies in Königsberg bei der Untersuchung von 3000 Frauen herausbekam. Er vermochte nachzuweisen, dass im Durchschnitte die erste Menstruation mit 16 Jahren auftrat, dass Krankheiten und das Leben auf dem Lande sie später eintreten liessen, dass die Grossen 61. Das Lebensalter des Menstruations- Eintritts bei den verschiedenen Völkern. 237 früher als die Kleinen und diese früher als die Mittelgrossen, die Schwachen. früher als die Kräftigen, die Blonden früher als die Brünetten menstruirt wurden. Zuerst wurden die grossen, schwachen Blonden, zuletzt die kleinen, mittelkräftigen Brünetten menstruirt. 61. Das Lebensalter des Menstruations- Eintritts bei den verschiedenen Völkern. Nach diesen Erörterungen wollen wir die Erde durchwandern, um die Zeit des ersten Eintretens der Menstruation bei den verschiedenen Nationen kennen zu lernen. Es ist begreiflicher Weise nicht leicht, bei fremden, und insbesondere bei uncivilisirten Völkern in dieser Angelegenheit sichere Beobachtungen anzustellen, wie namentlich Falkenstein bezeugt. Bei einigen, z . B. bei den Neger völkern der Loango - Küste , könnten nach Ausspruch Pechuel- Loesche's vielleicht gewisse Ceremonien einen Anhalı dort gewähren, wo die Mütter das Alter ihrer Kinder auf einem Kerbholz markiren. Solche volksgebräuchliche Ceremonien, von denen wir noch weiterhin sprechen werden, werden unter Anderen bei den Hindus nie unterlassen und dort signalisiren die Mütter den Zeitpunkt genau. Allein gerade bei den Hindus liegt der Fall vor, dass die Aerzte ihrer Vorfahren, der alten Inder , den Menstruations- Eintritt in sehr früher Zeit annehmen; Susruta verlegt ihn auf das 12. Jahr. Wenn wir demnach die Angaben von Reisenden, welche nur auf wenig zuverlässige Aussagen der Eingeborenen sich gründen, mit grosser Reserve aufnehmen, können wir nur diejenigen Mittheilungen als authentische Beobachtungen betrachten, die sich auf eine genaue Zählung einer bestimmten Menge von Fällen und auf eine proportionale Berechnung stützen. Trotzdem dürfen wir in Ermangelung exacter Untersuchungen das vorliegende, durch Abschätzung gewonnene Material nicht ganz unbeachtet lassen. Denn wir sind auf ein nicht völlig zweifelfreies Material bezüglich einer grossen Reihe von Völkern beschränkt, welche vor Allem bei der Frage über die klimatischen Einflüsse zur Berücksichtigung gelangen müssen ; dabei ist stets aus Vorsicht hinter jeder Zahlen- Angabe ein Fragezeichen zu denken, wenn wir in Ermangelung sicheren Materials den Mittheilungen der Reisenden in Folgendem Beachtung schenken. Schon bei den in der heissen Zone wohnenden Negervölkern treten uns Angaben entgegen, welche keineswegs die Annahme eines besonders frühen Eintretens der Menses in warmen Klimaten bestätigen ; mindestens lassen die folgenden Daten wenig Uebereinstimmung wahrnehmen. Die Negerin wird im Allgemeinen nach Roberton nicht sehr früh, d. h. zwischen dem 13. und 17. Jahre, durchschnittlich mit dem 15. Jahre menstruirt, doch kommen nach ihm auch Fälle mit dem 11. Jahre vor. Bei den Woloffen- Mädchen am Senegal glaubt de Rochebrune die Reife zwischen dem 11 . und 12. Jahre annehmen zu dürfen. In der Bai von Biaffra fand Daniell das 11. bis 12. Jahr, bei Negerinnen in Aegypten Pruner den Zeitraum vom 10.-13. Jahr, Rigler daselbst vom 9. -10. Jahr ; die Mädchen sollen zu Mensa nach Brehm im 13., zu Bogos nach Munzinger erst im 16. , die Szuaheli - Mädchen in Zanzibar gewöhnlich im 12. oder 13. Jahre reif werden, die Mädchen der Wanjamuesi nach Reichard mit dem 10. -13. Jahre. Die Mädchen der Berâbra ( Ha miten) entwickeln sich nach Hartmann nicht so früh wie die ägyptischen; sie gewinnen ihre Blüthezeit zwischen 15 und 19 Jahren, die Somali- Mädchen nach Haggemacher erst im 16. Jahre. Aus diesen, offenbar nur durch Abschätzung gewonnenen Angaben ersehen wir, wie mannigfach und von einander abweichend unter den Völkern Afrikas die Verhältnisse angenommen werden. Der Zukunft bleibt die Richtigstellung vorbehalten ; und Falkenstein' sagt gewiss mit Recht : „ Ich bin nun weit entfernt davon, zu negiren, dass unter den Tropen der Eintritt oft bei 12 Jahren und auch früher beobachtet wird, ich muss aber anführen, dass mir in mindestens eben so viel Fällen die Mädchen (der Neger an der Loango- Küste) ein Alter von 14-15 Jahren zu haben scheinen . Ich glaube also, dass die Grenzen für das Auftreten bei den verschiedensten Völkern näher liegen , als 238 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. man annimmt, und möchte davor warnen, das Alter nach dieser Erscheinung in Einklang mit den bisherigen Annahmen schätzen zu wollen , ohne zugleich die ganze Körperbeschaffenheit des Individuums mit in Betracht zu ziehen. " Diese Meinung stimmt im Allgemeinen mit dem Ausspruche Nachtigal's überein. Denn dass in Fezzan die Pubertät so aussergewöhnlich früh eintrete, wie manche Reisende berichten, konnte Nachtigal, der dort bekanntlich als Arzt prakticirte, nicht bestätigen. Er sah ebenso viele Mädchen, die mit 15 Jahren nicht menstruirt waren, als solche, die das Zeichen der Reife mit 12 Jahren darboten. Aus den heissen Districten Süd - Amerikas wird angegeben, dass bei den Indianerinnen in Niederländisch - Guyana (Surin a m) die Menses im 12. Jahre und darunter (nach Stedmann) , bei den Campas oder Antis am Amazonenstrom im 12. Jahre (nach Grandidier), bei den Pampas - Indianerinnen im 10. -12 . Jahre (nach Mantegazza) , bei den Indianerinnen in Chile im 11. oder 12. Jahre (nach Rollin) eintreten. Bei den Indianerinnen in Peru sind die Menses sehr schwach, und sie stellen sich, wie behauptet wird, bei ihnen viel später ein, als bei den übrigen Rassen, gewöhnlich erst im 14. Jahre, wenigstens bei den Gebirgs - Indianerinnen , während sie bei den weissen Creolinnen oft schon im 9. Jahre erscheinen sollen ; auch hören sie bei den Indianerinnen Perus im 40. Jahre wieder auf, oft sogar noch viel früher. (Mayer- Ahrens³. ) Die Payagua - Mädchen in Paragua y menstruiren nach Rengger schon im 11. Jahre. Die in gemässigteren Klimaten Nord - Amerikas wohnenden Indianervölker zeigen auffallende Verschiedenheiten ; nach Rusch menstruiren ihre Frauen im Allgemeinen selten vor dem 18. oder 20. Jahre, und sie sollen schon, ehe sie 40 Jahre alt sind, die Menses verlieren. Dagegen treten bei ihnen nach Edwin James schon gegen das 12. oder 13. Jahr die Menses ein, doch fügt James hinzu, dass die Angaben der Indianerinnen über ihr eigenes Alter sehr zweifelhaft sind . Nach Keating beginnt die Menstruation der Potowatomi am Michigan - See gewöhnlich im 14. Jahre und dauert bis zum 50. , ja sogar bis zum 60. Jahre ; dies erfuhr Keating von einem Häuptlinge des Stammes. Bei anderen Indianerstämmen , den Dacotas und den Sioux , erscheint nach demselben Autor die Menstruation selten vor dem 15. oder 16. Jahre ; er erklärt diesen Unterschied durch das rauhere Klima, in welchem diese Stämme wohnen, und durch ihre grösseren Entbehrungen. Nach Dougherty menstruiren die jungen Omaha- Mädchen und erhalten die Fähigkeit, Kinder zu zeugen, mit dem 12. oder 13. Jahre. Bei 82 Indianerinnen trat nach Roberton die erste Menstruation ein : im 8. Lebensj . bei 1 Ind. im 13. Lebensj. bei 9 Ind. " 19 "ኃ 9. " 5 27 "" 14. "" 22 8 77 22 10. 27 9 27 22 15. 7 11. 27 16 22 "" "" 12. 22 27 99 16. und höheren Lebensjahren bei keiner. In den nördlichen kalten Gegenden Amerikas ist ein späterer Menstruations- Eintritt bemerkbar. In Alaska tritt bei den Indianerinnen die Pubertät zwischen dem 14. und 17. Jahre ein , und auch die Eskimo - Weiber menstruiren nach Roberton nicht vor dem 14. Jahre. Diese Nachricht stammt aus einem Berichte des Missionär Lundberg, welcher in Labrador freilich nur 21 Fälle sammelte ; bei 5 derselben, bei welchen das Mädchen 14 Jahre oder jünger war, hatte dasselbe noch nicht menstruirt ; von den übrigen 16 waren die ersten Menses erschienen bei je 4 im Alter von 14 und 15 Jahren, bei je 3 im Alter von 16 und 17 Jahren, bei 2 nach vollendetem 20. Jahre. Das mittlere Alter beträgt also etwa 16 Jahre. Mac Diarmid, welcher die NordpolExpedition unter John Ross als Arzt begleitete, theilt mit, dass die Menses bei den Eskimos oft erst mit 23 Jahren eintreten und auch dann sich nur Spuren davon während der Sommermonate zeigen. *) Von 100 Grönländerinnen bekamen 88 die erste Menstruation zwischen 15-17 Jahren, 5 vor und 7 nach diesem Alter. ( von Haven. ) Von

  • ) Krieger bemerkt, dass keineswegs das Frühjahr es ist , in welchem die weissen

Frauen ihre ersten Menses bekommen, und ebenso wenig der Sommer, sondern vielmehr der Herbst ; es waren weit mehr als die Hälfte der von ihm befragten Frauen zuerst im September, October oder November menstruirt. 61. Das Lebensalter des Menstruations-Eintritts bei den verschiedenen Völkern. 239 den Cumberland - Eskimos sagt Schliephake : „ Die Geschlechtsreife tritt früh auf; soviel sich bei einem Volksstamme, bei welchem Niemand sein eigenes Alter kennt, erfahren lässt, beim weiblichen Geschlecht schon mit 13 bis 14 Jahren. " Bei den australischen Schwarzen am Finke- Creek tritt die Menstruationsfähigkeit gewöhnlich wohl schon mit dem 8. , spätestens aber im 12. Lebensjahre (nach Missionär Kempe) ein. 29 In Neuholland werden nach Macgregor die Mädchen mit dem 10. - 12. Jahre mannbar, in Neu - Caledonien nach Bourgarel im 12. Jahre, nach Vinson im 12. -15 . Jahre und später , nach Victor de Rochas im 12. - 13 . Jahre ; auf den Fiji - Inseln nach Wilkes erst mit dem 14. Jahre. Ueber dieselbe Inselgruppe berichtet Blyth : Wie in allen tropischen Gegenden, so tritt auch in Fiji die Pubertät in frühem Alter ein ; die Fiji - Mädchen beginnen im Durchschnitt mit zehn Jahren zu menstruiren. Das Auf- treten der Pubertät wird dann als ein Anzeichen für das Aufhören des Wachsthums betrachtet. Fälle von verzögerter Menstruation sind nicht unbekannt bei zur Mannbarkeit herangewachsenen Fiji - Mädchen. " Die Maori - Mädchen auf Neu- Seeland menstruiren nach Brown schon im 12. Jahre, nach Thomson jedoch erst im 13. -16. Jahre. Auf den Samoa- Inseln stellt sich bei den weiblichen Eingeborenen die Menstruation im 12. -13 . Jahre, seltener schon im 10. Jahre ein. Dafür werden sie schon im 30. Jahre alt und hässlich. (Graeffe.) Nach der Schätzung der Entwickelungsverhältnisse überhaupt tritt bei den Negritos der Philippinen die Pubertät ungefähr mit dem 10. Jahre ein . (Schadenberg. ) Montano sagt darüber : „ Il n'est pas possible d'avoir des renseignements sur l'époque de la menstruation ; les Négritos ne ténant aucun compte de leur âge. " Als das Alter des Pubertäts- Eintritts auf den Salomon- Inseln bezeichnet Elton das 15. Jahr. Die Mädchen auf der Insel Vaté ( Neue Hebriden), die freilich zumeist ihr eigenes Alter nicht kennen, menstruiren nach der Schätzung des Missionär Macdonald ungefähr im 13. Jahre. Auf den Inseln des ostindischen Archipels sind die Mehrzahl der Frauen nach Epp schon im 14. Jahre menstruirt ; doch soll man auch einige treffen, bei denen die monatliche Reinigung erst im 16. - 18 . Jahre eintritt. Auf dem Aaru- Archipel (Niederländisch- Ostindien) treten die Menses aber gewöhnlich vor dem 10. Jahre ein. (Riedel . ) Auf den Ambon- und Uliase- Inseln, ebenso auf den Tanembar- und Timorlao - Inseln , sowie in dem Babar- Archipel ist nach Riedel¹ die Zeit zwischen dem 9. und 11. Jahre der gewöhnliche Termin für den Eintritt der ersten Regel, während man bei den Töchtern des Seranglao- und Gorong - Archipels das 9. Jahr als das allgemein gültige annehmen muss. Auf den Watubela- Inseln schwankt der Zeitpunkt zwischen dem 9. und 12. Jahre und auf der Luang- und Sermata - Gruppe zwischen dem 10. und 12. Jahre. Nach Modigliani tritt die Pubertät auf Nias erst mit 15 bis 16 Jahren ein, während in Sumatra schon mit 11 bis 12 Jahren die erste Menstruation sich zeigt. Ueber die Andamanesinnen erfahren wir von Man, dass sie nicht vor dem 15. Jahre ihre erste Regel bekommen und dass sie nicht vor 16 Jahren und nicht mehr nach 35 Jahren Kinder gebären. Das Maximum ihrer Grösse und Körperausdehnung erreichen sie erst zwei bis drei Jahre nach dem Eintritt ihrer ersten Menstruation. Aus dem warmen Orient wird im Allgemeinen gemeldet, dass die Pubertät recht früh eintritt : In Palästina nach Tobler im 13. , seltener im 12. Jahre, sehr selten noch früher; in Smyrna nach Rigler im 11.-12. Jahre, in der Türkei nach Oppenheim schon im 10. Jahre, in Persien nach Chardin zwischen dem 9. und 10. Jahre ; allein auch hier giebt es Unterschiede in einem und demselben Lande bezüglich der geographischen Lage: In Nord - Persien , tritt nach Polak die Menstruation gegen das 13. , in SüdPersien hingegen schon gegen das 9. oder 10. Jahr ein ; auch nach Angabe Häntzsche's reifen in Nord- Persien, hauptsächlich in der caspischen Seeprovinz Gilan , trotz des (im Sommer wenigstens) heissen Klimas die Mädchen im Allgemeinen nicht vor dem 14. Lebensjahre. Auch hat nach Angabe des Missionär Robson Syrien fast dasselbe Pubertäts- alter wie Irland. In Algier fällt die Pubertätszeit der Araberin ( „ elle est nubile") nach Bertherand auf das Alter von 9-10 Jahren. In Asien haben wir ausserdem für diese Zone insbesondere Arabien, Indien und Siam zu berücksichtigen. Die Araberin beginnt nach Niebuhr im Alter von 10 Jahren 240 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. zu menstruiren. In Hindostan (Calcutta) hatte nach dieser Richtung hin zuerst Roberton Studien gemacht; von 90 beobachteten Fällen kam hier die Mehrzahl auf das durchschnittliche Alter von 12 Jahren und 4 Monaten. Nach einem Berichte , den Roberton aus Bangalore , District Mysore , 10 Grad südlicher wie Calcutta , erhielt , traten dort die Menses durchschnittlich mit 13 Jahren 2 Monaten ein. In Dekhan, District Bombay, fanden Leith und Andere unter Benutzung von 301 Fällen 13 Jahre und 3 Monate als mittleres Alter. Goodeve, Professor der Entbindungskunde in Calcutta , ermittelte auf Grund von 239 Beobachtungen das durchschnittliche Alter für den Men- struations- Eintritt bei eingeborenen Frauen auf 12 J. 6 Mon.; ähnlich Stewart aus nur 37 Fällen für den District Bragelen auf 12 J. 3 Mon. Nach Aussage des Professors der Anatomie zu Calcutta , Allan Webb, tritt bei den Hindu - Mädchen die Menstruation selten vor dem 12. Jahre ein ; unter 127 Hindu- Mädchen waren nur 6 früher menstruirt ; dagegen kommen die Menses oft erst im 16. - 18. Jahre. Webb meint, dass die physiologischen Verhältnisse bei den Hindu Weibern dieselben seien, wie bei den Europäerinnen , dass sie weder durch die Nationalität noch durch das Klima beeinflusst würden. OstIndien aber zeigt in dieser Beziehung grosse Unterschiede : Bei 27,6 % traten die Menses nach Roberton's Berichten in Bengalen im 12., in Dekhan und Mysore bei 28,1 % im 13. Jahre ein. Hier kommt allerdings die grosse Verschiedenheit der Lebensweise in den genannten Districten in Betracht ; doch meint Krieger, dass diese weniger von Einfluss ist, als die verschiedene Höhe über dem Meeresspiegel in den bezeichneten Orten ; es kann nicht auffallen , dass die Bewohnerinnen des südlicher gelegenen Dekhan , da dieses wegen seiner grösseren Elevation dennoch weniger heiss ist , wie Calcutta , die ersten Menses später bekommen, als die Bewohnerinnen dieser Stadt. Schliesslich hat man die von Goodeve, Leith , Roberton und Webb in Calcutta und Bombay aufgesammelten Daten zusammengestellt und bei diesen 1035 Fällen gefunden. dass bei den Hindu - Mädchen die Pubertät zumeist im 12. und 13. Jahre eintritt. In Cochinchina , das zwischen dem 11. und 19. ° liegt , hat Mondière 980 annamitische Frauen untersucht ; hier fiel die erste Menstruation sehr spät, im Durchschnitt auf 16 Jahre 8 Monate ; am höchsten standen das 15. (mit 23,48 % ) , das 16. ( mit 22,93 %) und das 17. (mit 23,26 %) Jahr. Unter den vier Rassen von Cochinchina ist nach demselben Autor die Annamitin am frühesten menstruirt, mit 16 Jahren und 4 Monaten ; nächstdem folgt die Chinesin mit 16 Jahren und 6 Monaten ; dieser schliesst sich die Mischrasse der Minh- huong an mit 16 Jahren und 9 Monaten, und am spätesten tritt die Regel bei den Cambodjerinnen auf, nämlich mit 16 Jahren und 10 Monaten. In Siam tritt nach Campbell das junge Mädchen nur äusserst selten früher als im 12. Jahr und 5 Monat in das Pubertätsalter, meist erst später im 14. -18. Jahre, so dass im Allgemeinen die Menstruation hier verhältnissmässig spät eintritt. Campbell selbst beobachtete keinen Fall, in welchem sich die Menses vor 12 Jahren 5 Monaten zeigten ; von 30 Mädchen menstruirten 5 nach zurückgelegtem zwölften, 8 nach dem dreizehnten , 8 nach dem vierzehnten , 16 nach dem fünfzehnten, 2 nach dem sechzehnten, 1 nach dem siebzehnten Jahre. Demnach tritt in Siam die Menstruation meist nach zurückgelegtem 13. -16. Jahre ein. Die Mädchen der Singhalesen auf Ceylon menstruiren nach Schmarda zuerst zwischen dem 13. und 14. Jahre. Auch die Weiber der ostasiatischen gelben Rasse , der Mongolen Cuvier's (Chinesen , Mongolen etc. ) , sollen nach Hureau de Villeneuve ziemlich frühzeitig menstruiren ; er sagt, dass das Mittel zwischen dem 12. und 13. Jahre zu liegen scheine. Allein die Angaben differiren auch hier : während Scherzer das Pubertätsalter für China im 15. - 16. Jahre angiebt , tritt nach Aussage des französischen Arztes Morache bei den Chinesinnen zu Peking die Menstruation im 13. bis 14. Jahre ein. In Japan erfolgt nach dem Bericht eines russischen Arztes der MenstruationsEintritt gewöhnlich im 14. Jahre, zuweilen schon im 13.; fünfzehnjährige Mütter gehören nicht zu den Seltenheiten . Auch Wernich giebt an, dass in Japan die Menses im 14. und 15. Lebensjahre eintreten . Seltener, als sehr früh menstruirte Personen, sind später menstruirte ; doch gehört ein Anfang der Periode vor dem 12. Lebensjahre schon zu den auffallenderen Erscheinungen. Die Mädchen , bei welchen die Menstruation sehr lange (bis ins 18. Lebensjahr) auf sich warten lässt, sind gewöhnlich nicht krank, am seltensten bleichsüchtig in unserem Sinne, sondern sie sind in der Entwickelung einfach zurück ge- 61. Das Lebensalter des Menstruations- Eintritts bei den verschiedenen Völkern. 241 blieben und bleiben auch geistig Kinder. Wernich, der dies nach seinen Beobachtungen in Yeddo mittheilt, berichtet eine Aeusserung seines Dolmetschers über solche Mädchen, deren Menstruations- Eintritt sich verzögerte : „ Sie bekümmern sich nicht um Haarnadeln und künstliches Auftoupiren des Haares, sie pudern sich nicht den Hals und legen nicht den Gürtel des erwachsenen Mädchens an, sondern kleiden und geberden sich wie Kinder, spielen mit den Knaben auf der Strasse u. s. w. " Ihre körperliche und geistige Entwickelung hat etwas Abweichendes ; sie bleiben eckig, während sonst die entwickelte Japanerin mit der ersten Menstruation sehr starke Formen bekommt und besonders an den Brüsten und Hüften ausserordentlich in die Breite geht. Veranlasst durch Generalarzt T. Ishiguro hat Moriyasu mit seinen Collegen eine Tabelle über den Eintritt der ersten Menstruation bei Japanerinnen zusammengestellt, welche sich auf 584 Frauen in Tokio bezieht. Die Menstruation trat ein : im 11 Jahre bei 2, 19 12 77 99 2, 99 13 "2 "" 26, 22 14 27 27 78, 97 15 "" 97 224, 19 16 "" 228, 99 17 19 99 68, 29 18 27 12 44, 37 19 29 99 10, 20 2. 29 29 99 Aus dem Süden Europas hat Tariziano berichtet, dass in Corfu das 14. Jahr als das mittlere Alter für den Beginn der Menstruation zu betrachten sei ; dieses Alter erscheint auffallend spät, doch muss einerseits bemerkt werden, dass Tariziano diesen Ausspruch nur auf Grund von 33 Beobachtungen gethan hat, und dass vielleicht ein Theil der letzteren sich auf Bergbewohnerinnen bezogen hat , wie Krieger hervorhebt . Für Spanien und Italien wird das Alter von 12 Jahren als das durchschnittliche für die erste Menstruation bezeichnet ( Virey) ; in Minorka tritt sie nach Cleghorn meist vor dem 14. Jahre und oft schon im 11. Jahre ein. In Rom werden die Mädchen schon von Alters her mit 12 Jahren für heirathsfähig gehalten, doch schon Zacchias, der dort als Arzt prakticirte, erklärte nach Tilt's Angaben, dass kaum der zwölfte Theil der römischen Mädchen mit 12 Jahren schon menstruirt sei , ja viele sogar noch nicht mit 14 Jahren, obgleich er auch solche gekannt hätte, deren Menses schon im 9. Jahre eingetreten gewesen seien. Derselben Autorität zufolge hat Ross, der lange in Madeira lebte, aus 240 Fällen das mittlere Alter, in welchem die eingeborenen Mädchen dort menstruiren, auf 14 Jahre und 8 Monate berechnet, während Dyster bei den meisten der von ihm gesammelten 228 Fälle , nämlich bei 67, den ersten Eintritt erst im 16. Jahre fand und als Durchschnittsalter 15 Jahre 53 Monate angiebt. = -- = = mit 19 % mit 3,1 % mit Ueber die Menstruationsverhältnisse der Frauen in St. Petersburg haben besonders die Arbeiten Horwitz's , Lieven's , Tarnowsky's , Enko's, Rodzewitsch's und Weber's wichtiges Material beigebracht. Aus seiner Privatpraxis hat Weber³ 2375 Frauen und Mädchen bezüglich des Auftretens der ersten Menstruation untersucht , wobei er fand , dass von ihnen 10 : 0,4 % mit 10 Jahren, 70 = 3,0 % mit 11 Jahren, 171 = 7,2 % 12 Jahren, 415 17,5 % mit 13 Jahren , 556 = 23,4 % mit 14 Jahren, 453 15 Jahren, 348 = 14,6 % mit 16 Jahren, 200 = 8,4 % mit 17 Jahren , 77 18 Jahren, 401,7 % mit 19 Jahren, 160,75 % mit 20 Jahren, 8 = 0,37 % mit 21 Jahren, 5: 0,2 % mit 22 Jahren, 2 = 0,07 % mit 24 Jahren zum ersten Male menstruirt waren. Dieses Material umfasst allerdings zum Theil Patientinnen, so dass wohl anzunehmen ist , dass bei nicht Wenigen auch Menstruations- Anomalien vorliegen. Dasselbe umfasst aber nicht bloss Städterinnen, sondern auch Bäuerinnen aus der Umgegend von St. Petersburg , und Weber³ meint, dass die Zahlen nicht nur für die Frauen St. Petersburgs maassgebend sind , sondern auch allgemeine Bedeutung für in Russland lebende Frauen haben ; denn fast die Hälfte aller Frauen war noch nicht lange in St. Petersburg ansässig, und die Vergleichung dieser letzteren mit den ursprünglich in St. Petersburg Ansässigen ergab nur geringe Unterschiede. = Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 16 242 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. Somit fiel bei den von Weber beobachteten Fällen der Menstruationseintritt auf 142 Jahre. Dieses Resultat stimmt nun mit den Beobachtungen der übrigen Autoren für St. Petersburg überein ; so hat Kieter die Durchschnittszahl von 15,6 (nach Berichtigung), Horwitz 17,53 Jahren nach seiner Privatpraxis, und 15,55 nach den Beobachtungen bei den Besuchern der Ambulanz im Marien - Gebärhause (letztere waren zumeist eingeborene Städterinnen, jene hingegen zu / Dorfbewohnerinnen, bei welchen die Menses weit später eintreten sollen) . Lieven hat für die mittlere Zeit des MensesEintritts daselbt 16,44 Jahre festgesetzt ( Patientinnen des Hebammeninstituts) . Tarnowsky hatte bei 5000 Patientinnen eines Petersburger Gebärhauses die Mittelzahl 16,54 Jahre. Enko fand in der Lehranstalt des Alexander- Mädcheninstituts, also bei wohlhabenden Residenzlerinnen, als Resultat 14,75 Jahre. Wir vergleichen diese Thatsachen mit solchen aus anderen nordischen Ländern . In Kopenhagen fanden Raven und Lewy bei 3840 Fällen das mittlere Alter zu 16 Jahren 9 Monaten 12 Tagen, in Christiania Frugel bei 157 Fällen 13 Tage mehr ; Vogt bei 1821 Norwegerinnen 16,12 Jahre ; in Stockholm Faye bei 548 Fällen 16,6 Jahre, derselbe in Skien bei 100 Fällen 15 Jahre 5 Monate 14 Tage. Wretholm gab für das schwedische Lappland 18 Jahre, Vogt für die Quänen in Finnland 15,2 Jahre, Berg für die Faröer- Inseln bei 122 Fällen 16,13 Jahre, Heinricius für Finnland bei 3500 Fällen (der geburtsh. Klinik zu Helsingfors) 15 Jahre 9 Monate 25 Tage an. Zahlreiche Berichte , die sich auf gleich grosse Zahlen von Fällen stützen , liegen aus Grossbritannien vor. Allein es ist keineswegs thunlich , für das ganze Land ein mittleres Alter des Pubertäts- Eintritts berechnen zu wollen. In London fand Guy bei 1498 Fällen die Mehrzahl im 15. ( 17,8 % ) , im 16. ( 19,4 % ) und im 17. ( 14,6 % ) Jahre zum ersten Mal menstruirt; Krieger berechnet hieraus das mittlere Alter zu 15 Jahren 1 Monat 4 Tagen. Tilt berechnete daselbst aus 1551 Fällen das Alter von 15,06 Jahren. Wir übergehen die Angaben von Lee und Murphy sowie West, und führen nur noch die von Walter Rigden aus 2696 Fällen zu London berechnete Zahl von durchschnittlich 14,96 Jahren an. Für Manchester liegen die Zählungen von Whitehead vor, der in 4000 Fällen als Mittel 15 Jahre 6 Monate 23 Tage berechnete, während Roberton sich für Manchester auf zu kleine Zahlen beschränkte und bei seinen weiteren Angaben über die Engländerinnen unterliess , anzuführen, aus welchen Gegenden sie stammten. Ueber Frankreich hat Brierre de Boismont eine der ersten Arbeiten geliefert ; er fand unter 1111 Fällen einen, wo die Regeln im 6. , einen zweiten , wo sie im 8. Jahre begannen, im 10. Jahre schon 10, im 11. 29, im 12. 93 , die grösste Zahl : 190 oder 17,1 % , menstruirte aber erst im 16. Jahre, und auch im 18. sind immer noch 127 verzeichnet. Als das durchschnittliche Alter lassen sich hieraus für Paris nach dem Verfasser 14 Jahre 6 Monate 4 Tage berechnen. Aran giebt dagegen 15 Jahre 4 Monate und 8 Tage als mittleres Menstruationsalter für Paris an. Man ersieht hieraus so recht , was für falsche Bilder die Berechnungen eines sogenannten durchschnittlichen Alters zu geben im Stande sind. Wenn für Lyon Pétrequin aus 432 Fällen das durchschnittliche Alter auf 15 Jahre 6 Monate berechnete, so macht schon Krieger darauf aufmerksam, dass hier wohl ein Rechnungsfehler zu Grunde liegt, da andere Beobachter sehr abweichende Resultate hatten ; denn Bouchacourt giebt den Menstruationsanfang für Lyon auf 14 Jahre 5 Monate 29 Tage, für Marseille und Toulon auf 13 Jahre 10 Monate, und Marc d'Espine für Paris auf 14 Jahre 11 Monate 20 Tage, für Toulon auf 14 Jahre 4 Monate 29 Tage, für Marseille auf 13 Jahre 11 Monate 11 Tage an. Diesen Beobachtern standen jedoch viel zu kleine Zahlen zu Gebote, um aus ihnen statistisch sichere Resultate zu gewinnen ; Bouchacourt nämlich benutzte nur 160, Marc d'Espine für Toulon 43, für Marseille sogar nur 24 Fälle. Der österreichisch - ungarische Staat wird von so verschiedenartigen Volksstämmen bewohnt, dass die interessante Arbeit von Szukits, den Menstruations-Eintritt für jeden Theil dieses Landes zu berechnen, höchst dankenswerth ist. Seine Untersuchungen umfassen 2275 Fälle, und er dehnte seine Untersuchungen auch auf eine Vergleichung der Verhältnisse in Stadt und Land aus . Die jüngsten zwei Individuen waren beim Menstruationseintritt 10, die ältesten 25 Jahre alt . In den einzelnen Provinzen war das Alter des Menstruations- Eintritts in: 61. Das Lebensalter des Menstruations- Eintritts bei den verschiedenen Völkern. 243 Ungarn Schlesien aus 118 Fällen im Mittel 15 J. 16 1 M. 15 T. Böhmen Ober- und Niederösterreich Mähren aus Bayern Gesammtstaat Oesterreich 63 430 99 603 273 66 ་ . 16 "7 2 16 27 3 16 97 3 16 10 "" 99 15 J. 72 M. 23 Unter 665 in Wien geborenen Frauen fand Szukits die Zahl der nach dem 16. Jahr Menstruirten (303) viel grösser als die der vor dieser Zeit Menstruirten (152) ; bei den 1610 Frauen vom Lande war dieses Missverhältniss noch grösser, indem 888 nach und nur 304 vor dem 16. Jahre menstruirt waren. Aus Italien besitzen wir eine Liste , welche ihren Werth durch Trennung des Landes in einen nördlichen , mittleren und südlichen Theil hat und sich auf 2652 Fälle erstreckt. Im nördlichen und mittleren Italien fällt die Mehrzahl der Fälle auf das 14. Jahr (20,10 und 19,50 ° ), im südlichen hingegen auf das 13. Jahr ( 16,75 %) , doch fallen auch im südlichen Italien verhältnissmässig noch hohe Procentzahlen auf die späteren Lebensjahre, so dass selbst noch vom 15. - 20. Jahre sehr viele Mädchen zum ersten Male menstruiren. Bis zum 16. Jahre ist im mittleren Theile des Landes eine weit grössere Zahl von Mädchen reif, als im südlichen. Wenden wir unsere Blicke auf Deutschland , so finden wir, dass aus mehreren Städten des Reichs zahlengemässe Erhebungen vorliegen . Die umfassendsten Untersuchungen stellten Krieger und Louis Mayer in Berlin an, indem dieser 6000 , jener 5500 Fälle benutzte. Aus ihrer Tabelle ist ersichtlich, dass der Beginn der Menstruation am häufigsten im 15. Jahre erfolgte ( 18,931 % der Fälle), diesem steht das 14. Jahr am nächsten ( 18,213 % ) ; bei den übrigen sind die späteren Lebensjahre weit reichlicher vertreten, als die früheren. Während ein grosser Theil der hier zur Untersuchung herbeigezogenen Fälle der Privatpraxis entstammt, viele derselben aber einer erst nach Berlin verzogenen Reihe von Individuen anzugehören scheinen , wurden von Marcuse 3030 Fälle der gynäkologischen Klinik in Berlin zu einer statistischen Untersuchung benutzt, die sich demnach auf die niederen Stände beschränkte ; hier fand der durchschnittliche Eintritt der Menses im 16,18 . Lebensjahr statt. Ueber den Eintritt der Menses bei der Münchener Bevölkerung, soweit solche durch die in der Gebäranstalt und geburtshilflichen Poliklinik überhaupt repräsentirten Bevölkerungsschichten vertreten werden kann, hat Hecker an 3114 Fällen Untersuchungen angestellt. Hier sind das 16. ( 16,92 %), 17. ( 16,44 % ) und 18. ( 15,61 % ) Jahr in absteigender Folge die häufigsten Termine für den Eintritt der Menstruation, dann folgt das 15. ( 15,32 %) , 19. ( 10,37 % ), 14. ( 8,89 %), 20. ( 7,51 % ) Jahr u. s. w. In den drei genannten Jahren menstruirten zum ersten Male im Ganzen 48,97 %, vor dieser Zeit 29,37 %, nach derselben 21,62 % Hecker hat aber auch die Stadt- und LandBevölkerung besonders untersucht, indem er die Fälle aus der Stadt allein zusammenzählte, während die übrigen Fälle zumeist aus Oberbayern stammen . Er gelangte zu dem Resultate : München verhält sich bezüglich des Menstruations- Eintritts ziemlich eben so , wie Oberbayern; hier wie dort tritt die erste Menstruation durchschnittlich ziemlich spät ein. " Später hat Schlichting die Sache an 8881 Fällen der Münchener Klinik und Poliklinik weiter verfolgt und ebenfalls das 16. Jahr als das höchstbelastete (mit 18,534 %) gefunden ; auch er findet ziemliche Uebereinstimmung zwischen Stadt und Land; die Mehrbelastung des 16. Jahres bei den Städterinnen erklärt er daraus, dass die die Gebäranstalt besuchenden Städterinnen mehr der niederen Klasse angehören , während die Auswärtigen zum Theil auch aus den besitzenden, zum anderen Theile aus den armeren Ständen stammen. Vergleicht man nun München mit Berlin , so findet man auffallende Unterschiede zu Gunsten der Berlinerinnen : In Berlin ist das 14. Jahr mit 18 % und das 15. ungefähr mit 19 % vertreten, während die höchsten Procente in München das 15. mit 172 % und das 16. mit 1834 % giebt. Schlichting macht darauf aufmerksam, dass Berlin ungefähr 42 nördlicher liegt, als München, dafür aber fast um 500 Meter niedriger. Diese 500 Meter scheinen nicht nur die 42° Unterschied zu compensiren, sondern lassen sogar die Jungfrauen Berlins um ein volles Jahr früher ihre Menses 16 * 244 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. zeitigen, als die Münchnerinnen. Er schliesst mit den Worten : „Aus dem Ganzen möchte hervorgehen, dass die klimatischen Einflüsse auf den Eintritt der ersten Menstruation sehr bestimmend wirken. " Allein wir fragen, ob nicht auch die differente Lebensweise mit in Anschlag zu bringen ist ? Es scheint, dass in Bayern auf dem Lande der Menstruationseintritt überhaupt ziemlich spät fällt, denn Flügel berechnete im Frankenwalde die mittlere Zeit des normalen Eintritts auf 17 Jahre und 52 Monat. In Strassburg traf bei 600 in der Maternité aufgenommenen Frauen nach Stolz's Beobachtung die grösste Zahl auf das Alter von 14-18 Jahren, das Maximum auf das 18. Jahr. In einer Strassburger Tabaksfabrik ermittelte Levy bei 649 Frauen als mittleres Alter der Arbeiterinnen 15 Jahre (20 %) ; dann kam das 14. ( 19,63 %) und das 16. Jahr ( 19,17 % ) ; im Alter von 18 Jahren traten die Menses bei 10,78 % ein. 62. Die Frühreife. Wir können diese Besprechungen über den Zeitpunkt, zu welchem bei dem heranwachsenden Mädchen die Menstruation zum ersten Male eintritt , nicht verlassen, ohne gewisser Zustände zu gedenken, die allerdings sehr selten sind und auch als im Allgemeinen pathologisch bezeichnet werden müssen, welche aber doch noch einer eingehenderen Untersuchung harren . Man hat diese Dinge unter dem gemeinsamen Namen der Frühreife zusammengefasst. Wir werden aber gleich sehen, dass hiermit sehr verschiedenartige Processe bezeichnet worden sind. Unter Frühreife im physischen Sinne und bei dem uns hier ja nur allein interessirenden weiblichen Geschlechte versteht man das Eintreten der Menstruation und die Entwickelung der Brüste nebst dem Hervorsprossen der Scham- und Achselbehaarung in einem Lebensalter, welches erheblich vor demjenigen liegt, in welchem unter normalen Verhältnissen allerfrühestens zum ersten Male diese Dinge sich zu zeigen pflegen. Man hat das Ausfliessen von Blut aus der Vagina bei noch ausserordentlich jungen Mädchen, selbst noch vor dem Ablaufe des ersten Lebensjahres, beobachtet und als Beispiele von Frühreife beschrieben, auch wenn eine solche Blutung aus der Scheide auch nur ein einziges Mal sich gezeigt hatte. Solche Fälle muss man natürlicherweise überhaupt vollständig ausschliessen. Denn ob eine solche Blutung analoge Bedeutung wie eine wirkliche Menstruationsblutung besitzt, das ist doch als ausserordentlich fraglich zu betrachten. Sollen derartige Blutabgänge wirklich als Menstruationsblutflüsse angesehen werden, so muss man allermindestens doch verlangen, dass sie mit einer gewissen Periodicität sich wiederholen. Bei manchen Kindern bestand die Frühreife nun allein in dem Auftreten von nur als Menstruation zu deutenden Blutungen, während die Fälle von Frühreife im eigentlichen Sinne des Wortes auch noch andere, recht in die Augen fallende Merkmale darboten. Die Brüste wuchsen und nahmen Formen an, wie wir sie sonst nur bei reifen Jungfrauen zu sehen gewohnt sind, die übrigen Körpertheile wurden rund und voll und an den Genitalien sprosste ein mehr oder weniger reicher Haarwuchs hervor. einigen Fällen, welche angeblich schon ganz ausserordentlich früh, selbst schon mit einem Jahre menstruirt waren, soll die Behaarung der Geschlechtstheile sogar bereits angeboren gewesen sein. In Sehr lehrreich ist eine Beobachtung, in welcher die Obduction ausgeführt werden konnte, die die Gebärmutter, die Eierstöcke und die Scheide wie bei einer Erwachsenen ausgebildet nachzuweisen vermochte. Durch 62. Die Frühreife. 245 diesen Umstand werden uns auch solche Fälle verständlich, in welchen in sehr frühem Lebensalter, im 13., 12., 11., ja selbst ein paar Mal schon im 9. Lebensjahre eine Schwangerschaft eingetreten und das Kind sogar ausgetragen worden war. Wie weit bei diesen vorzeitig entwickelten Kindern die Heterochronie ihrer Entwickelung von speciellen pathologischen Vorgängen abgeleitet werden muss, das ist für uns nicht gut möglich zu entscheiden. Jedenfalls aber fanden sich bei mehreren solchen frühreifen Kindern, die gestorben waren, bei der Obduction recht bedeutende Abnormitäten der inneren Organe vor, nämlich einige Male Sarkom- und Hydatidenbildung in den Ovarien, einige Male Hydrocephalus, und ausserdem wird bei einigen Kindern das Bestehen einer Rhachitis besonders hervorgehoben. Auch Fettsucht wurde in einem Falle verzeichnet. Besondere Bedingungen, wie die Lebensweise der Mutter oder sonstige individuelle Lebensverhältnisse, vermochte man für die Frühreife nicht, auch nicht Erblichkeit, als besondere oder gemeinschaftliche Gelegenheitsursache nachzuweisen, obgleich sich eine ganze Reihe von Autoren mit dieser Angelegenheit beschäftigt hat. *) Eine eingehende Kritik ist bei der Kürze der von den Beobachtern gemachten Angaben für die Mehrzahl der Fälle überhaupt nicht auszuüben, und müssen wir daher das Verständniss für die Aetiologie dieser Zustände auf eine spätere Zeit vertagen. Es mögen jetzt in aller Kürze hier die einschlägigen Beobachtungen ihre Stelle finden : 1. X. aus Königsberg , im 9. Jahre menstr. (Mayer.) 2. Therese Fischer aus Regensburg , geb. 1807 , im 6. Jahre menstr. , litt an Hydrocephalus. ( Wetzler. ) 3. Louise Flux, geb. 1802, gest. 1809, menstr. im 4. Lebensj .; war bärtig ; litt , wie sich bei der Section ergab, an Hydrocephalus internus. (Cooke. ) 4. X. aus Werdorf, am Schluss des 1. Jahres menstr. , litt an Rhachitis. ( Susewind.) 5. Barbara Eckhofer, geb. 1806 , im 9. Monat menstr. (d'Outrepont. ) 6. X., Blutabgang mit 9 , 11 , 14 und 18 Monaten. (Dieffenbach. ' ) 7. S. , mit 2 Jahren 9 Monaten menstr. (Lieber. ) 8. X., mit 6 Monaten menstr. , litt ebenfalls an Rhachitis . (Cesarano. ) 9. X., mit 3 Monaten menstr. , litt an Rhachitis. (Comarmond.) 10. X., mit 2 Monaten menstr. (Zeller. ) 11. Josefine X. , geb. d. 15. März 1871 , Zwillingsmädchen, deren Schwester als 7jähr. Mädchen keine derartige Abnormität zeigt . Sogleich bei der Geburt war die unverhältnissmässige Grösse des Kindes aufgefallen im Vergleich zur Schwester ; schon nach dem ersten Halbjahr begannen die Brüste zu wachsen ; im 7. oder 8. Monat bekam sie wie die Schwester die ersten Zähne. Als sie ca. 1 Jahr alt war, zeigte sich Blutspur, zum zweiten Male Anfang Mai 1874 , wo die Blutung stärker war; Blutabgang dauert

  • ) A. Kussmaul, Ueber geschlechtliche Frühreife in der Würzburger medic. Zeitschr.

1862. III. S. 346. Bulletin de l'Acad. roy. de médecine de Belgique 1878. XII. W. Stricker, Weitere Mittheilungen zur Lehre von der Menstruation ; Virchow's Archiv. 88. Band. 1882. S. 379. Aeltere Beispiele von vorzeitiger Menstruation im 6. , 5. , 4. , 3. , 2. und 1. Jahre , ja sogar bei Neugeborenen führt Mart. Schurig in seiner Parthenologia historico-medica an (Dresdae et Lips. 1729 pag. 132 138) . Diese älteren Fälle, sowie die folgenden, sind wohl nicht sicher bezeugt : Treutling's Fall in : Act. natur. curios . Vol. V, p. 442 ; obs . 131. G. T. Turt's Fall in : Ephem. natur. cur. Dec. III. a VII et VIII. pag. 267; obs. 149. Pechlin's Fall : Observ. phys. med. Lib. I. 34. p. 81 . Stalpart van der Wiel, Observ. rarior. centur. prior. Lugd. Batav. 8. 1687, p. 336. Dagegen wären wohl noch zu berücksichtigen die Fälle von Plieninger, Camerer, Witz und Müller im Württemberger Corresp. - Blatte 1834 , 1835 und 1839 ; dann Flügel's Fall im Bair. Intellig. Blatte 1871 ; und Horwitz's Fall in St. Petersburger med. Zeitschr. XIII. S. 225. - 246 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. 3 Tage; von da ab regelmässig menstr. alle 4 Wochen ohne alle Beschwerde. Vom 5. Lebensj. an wurde die Periode sogar sehr reichlich ; seit dieser Zeit klagte das Mädchen 3 Tage vor Eintritt der Menses über zeitweilige Schmerzen im Bauch. Sie ist dunkelblond mit blauen Augen ; man würde sie bei ihrer körperlichen Ausbildung für 12jährig, statt für 7jährig halten. Interessant ist der Vergleich mit der Zwillings- schwester : sie wiegt 34,75 kg, ihre Schwester 20,0 kg; ihre Grösse 139 cm, die der Schwester 121 cm; Umfang der Warze 77 cm, der der Schwester 61 cm ; Umfang des Bauchs am Nabel 73 cm, der der Schwester 62 cm. (Stocker. ) 12. Elisabeth Klinck, geb. 31. Oct. 1875 in Bornheim ; mit 9 Monaten menstr. , die Menses im 2. Lebensj . geregelt ; bei der im Febr. 1882 stattfindenden Untersuchung ergab sich reichlicher dunkler Haarwuchs an den Geschlechtsth. und gute Entwickelung der Brüste; sie wog 47 Pfund mit 6 Jahren 4 Monaten und war 120 cm gross. (Lorey. ) 13. Charlotte L., mit 7 Jahren menstr., flaumartiges Haar an den Geschlechtsth. , starke Entwickelung der Brust ; litt an Steatom und Hydatiden der Ovarien nach Ergebniss der Section. (Gedicke. ) 14. Mary Anna G., geb. im März 1845 ; Blutung im 5. Lebensmonat mit 5 monatl. , dann 3 monatl. , dann 7 monatl. Typus bis zum 6. Lebensjahre, mit schwarzen Haaren an den Geschlechtstheilen und bei der Geburt hühnereigrossen Brüsten. ( Wilson . ) 15. Jane Jones, seit dem 5. Jahre alle 3-4 Wochen 2 Tage lang menstr. , mit 3 Jahren Entwickelung der Brüste. (Peacock. ) 16. Nelly O., geb. 27. Jan. 1872 in London, vom 22. Lebensmonat an menstruirt, zeigte schon von ihrer Geburt an sehr entwickelte Brüste ; Menses erscheinen alle vier Wochen; bevor sie eintreten, befindet sich das Kind jedesmal etwas unwohl. Im Alter von 4 Jahren 2 Monaten fand man die Brüste vollständig ausgebildet, die Warzen so gross wie das Daumenglied eines Mannes, Hof rosig gefärbt, etwas hervorragend ; bei jeder Menstr. nehmen die Brüste an Umfang zu. Der ganze Körper trägt mit seinen runden Formen alle Zeichen früher Reife und wiegt 55 Pfund englisch ; Wesen und Charakter ernster als gewöhnlich in diesem Alter. (Bouchut. ) 17. X., zeigte schon als zwei Wochen altes Kind einen blutigen Ausfluss, der 2 bis 3 Tage anhielt und seitdem fast genau jeden Monat wiederkehrte ; das Kind wird als kleines fettes Wesen beschrieben, dessen Brüste bereits so entwickelt waren , wie bei einer 16 bis 17jähr. Jungfrau ; nach Aussage der Mutter werden die Brüste zeitweilig härter und turgescirend; die Warzen waren bei der Untersuchung im 4. Jahr über 5 cm lang und ebenso wie die 2 cm breite Areola dunkel pigmentirt. Die äusseren Genitalien gut entwickelt, die Labia minora stark hervortretend, dagegen fehlte die Behaarung der Schamgegend. Das Kind war rhachitisch und hatte bereits Genu valgum. Die geistige Entwickelung war dem Alter entsprechend. (Drummond. ) 18. Anna Strobel, geb. 1876 bei St. Louis , menstr. mit 16 Mon. , hatte mit 4 Jahren 9 Mon. stark entwickelte Brüste. (Bernays. ) (Fig. 76. ) 19. Ein 312jährig. Mädchen wurde den Fig. 76. Frühreifes Mädchen, 43 , Jahr alt. 15. Oct. 1883 der geburtsh. Gesellschaft zu Leipzig vorgestellt ; ihr Aussehen war das eines Mädchens von 6-7 Jahren. Brüste, (Nach Bernays. ) Schamhaare, Schamlippen sehr entwickelt, seit Weihnachten 1881 war bei ihr Menstruation mit vierwöchentlichem Typus eingetreten. 20. Theodora Possassi war mit 32 Jahren menstruirt, zeigte an den Geschlechtstheilen starke, schwarze Haare, ihre Brüste waren sehr stark entwickelt. Bei der Section zeigte sich Sarkom der Eierstöcke. (Bevern. ) 62. Die Frühreife. 247 UNIV CA 21. X., mit 3 Jahren menstr.; gleichzeitig behaarten sich die Geschlechtstheile und entwickelte sich die Brust. 22. Eva Christine Fischer aus Eisenach, geb. 1750, gest. 18. Mai 1753, war wie ein 20jähriges Mädchen entwickelt und wurde 1753 auf der Leipziger Ostermesse zur Schau gestellt. Sie wog 82 Pfund (Leipziger Fleischergewicht) und ist in der Anatomie zu Leipzig abgebildet . 23. X., 3 Jahre alt, menstruirt alle 3-4 Wochen 3-4 Tage lang ohne besonderes Leiden, besitzt eine ihr Lebensalter erheblich überschreitende Schwere und Länge ; beide Brüste halbkugelförmig, Warzen prominirend, Warzenhof blassroth : Schamlippen wie bei Erwachsenen entwickelt. ( Wachs.) 24. Johanna Friederike Gloch aus Köthen , geb. 28. April 1799, gest. 1803, hatte an den Geschlechtstheilen starke , dunkle, krause Haare ; Hängebrüste, litt an Hydrocephalus und Fettsucht. Bei der Section fanden sich Uterus, Ovarien und Vagina wie bei einer Erwachsenen. (Tilesius. ) 25. Mathilde H. aus Louisiana , geb. 30. Sept. 1827, mit 3 Jahren menstr. , von da an regelmässig jeden Monat jedesmal 4 Tage lang ; schon bei der Geburt behaarte Geschlechtsth. (Le Beau. ) 26. X., geb. im Febr. 1880, Nordamerika ; van Derweer sah das Kind im Sept. 1882, wo es 2 Jahre 7 Monate alt war. Das Mädchen begann, als es 4 Monate alt war, alle 28 Tage zu menstruiren ; die Menses flossen 4-5 Tage. Das Kind ist ungemein gut entwickelt, 49 Pfund schwer, und es sieht aus wie ein zehn- bis zwölfjähriges. Im Dec. 1882, Januar und Febr. 1883 blieben die Menses aus. Ein ähnlicher Fall kam nicht in der Familie vor. 27. Marie Augustine Coquelin geb. Michel in Paris , menstruirte von 22 Jahren an regelmässig, hatte im 8. Jahre stark entwickelte Brüste, heirathete im 27. Jahre. ( Descuret.) 28. X., mit 7 Monaten (am 4. April 1878 ) trat 3 Tage lang Blut aus der Vulva ; im folgenden Monat kehrte die Blutung wieder und währte gleichfalls 3 Tage ; und so allmählich weiter bis zum März 1879. Um diese Zeit, als schon das Kind 18 Monate alt geworden, trat statt der Blutung eine sehr reichliche Leukorrhöe auf, die bis Mitte Januar 1880 anhielt . Hierauf zeigte sich nach einer heftigen Kolik Menorrhagie von neuem. Die Menge des Blutes, die jedesmal abging, betrug bei 45 Gramm. Das Kind hatte im Alter von 28 Monaten in Bezug auf seine runden Formen, sowie 75 cm breite Taille, ganz das Aussehen einer im Wachsthum stark zurückgebliebenen Frau. Die Brüste sind kräftig , über citronengross, elastisch und turgescent, wie bei einem 16 bis 17jährigen Mädchen, mit prominirenden Warzen und sehr breitem Hof. Die äusseren Genitalien sehr gut entwickelt, die Vulva- Oeffnung ist sehr gross, die Labien sind dick und der Schamberg mit ziemlich langem, rothem Haar besetzt . In moralischer und physischer Hinsicht entspricht das Kind den Verhältnissen der ersten Kindheit. ( Cortejanera. ) 29. Anna S. in Altenburg , geb. 1860, mit 1 Jahr 7 Mon. menstr. , Geschlechtsth. mit Zoll langen Haaren, Brustdrüsen wie bei einer Frau ; bei der Section fand sich Sarkom der Ovarien. (Geinitz. ) 30. Christine Therese A., geb. 27. Januar 1838 ; im 2. Jahre menstr. , zeigte bei der Untersuchung im Dec. 1841 dunkle Haare an den Geschlechtstheilen und Brüste wie bei einem 16jähr. Mädchen. (Carus. ) 31. X. , mit 9 Monaten menstr. , zeigte im 2. Jahre Behaarung der Geschlechtsth . , und mit 12 Jahren Entwickelung der Brüste. ( Wall.) 32. Louise R. aus R. , geb. 1840 ; mit 15 Monaten menstr. , gleichzeitige Entwickelung der Brüste. (Reuter. ) 33. Isabella, Negerkind, geb. 6. Juli 1821 in der Havanna , Ende des 1. Jahres menstr. , bei der Geburt schon entwickelte Behaarung und Brüste. (Ramon de la Sagra.) 34. X., im 19. Monat menstr. , Behaarung und Brüste mit 2 Jahren völlig ent- wickelt. (Lenhossek. ) 35. J. B., geb. im März 1863, am 15. Febr. 1876 entbunden. (Kebbell.) 36. M. R., aus P. , wurde im 13. Jahre geschwängert. (d'Outrepont.) 37. X., geb. 1867, kommt im Alter von 12 Jahren und 1 Monat mit lebendem Kinde nieder. 248 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. 38. Elisabeth Drayton in Taunton (Massach. ) , geb. am 25. März 1847, vollzog den Coitus am 1. Mai 1857, kam nieder am 1. Febr. 1858. 39. Sally Deweese in Kentucky, geb. 1824, mit einem Jahr menstr. , gebar im 10. Jahre. (Montgomery.) 40. A. M. aus P. , im 9. Jahr menstr. , kurz nachher geschwängert, starb 14 Monate nach der Geburt an Phthisis. (d'Outrepont.) 41. Anna Mummenthaler aus Trachselwald (im Canton Bern) , geb. 1751 , gest. 1826, war mit 2 Jahren menstruirt ; bei der Geburt waren die Geschlechtstheile behaart und die Brustdrüsen entwickelt ; im 9. Lebensjahre geschwängert ; blieb bis zum 52. Jahre menstruirt. (v. Haller.) 42. X. aus Ober- Pallen in Niederl. -Luxemburg , geb. 27. Oct. 1868, zeigte sogleich bei der Geburt kräftigen Körperbau, die Schamgegend war mit Haaren besetzt ; menstruirte mit 4 Jahren ; seit dem 8. Jahre treten die Menses regelmässig ein ; mit 8 Jahren war sie 133 cm hoch, von kräftigem Körperbau ; der Blick war kühn ; die Brüste gut entwickelt, Geschlechtsth. mit dichtem Haarwuchs bedeckt. Sie hatte schon mit 8 Jahren häufigen geschlechtlichen Umgang mit einem 32jähr. Manne gepflogen ; sie klagte über Uebelkeit und war leicht icterisch . Seit 3 Monaten war die Menstr. ausgeblieben, während 2 Mon. erfolgten Blutungen, dann wurde am 27. Juli 1877 eine Hydatidenmole nebst einem Embryo ausgestossen ; das Kind genass vollständig . (Molitor. ) Bei fremden Rassen und zwar ebensowohl bei solchen, die in heissen, als auch bei solchen, welche in sehr kalten Klimaten wohnen, werden wir in einem späteren Abschnitte sehen, dass Schwangerschaften in einem Lebensalter, in welchem wir das Weib noch als ein Kind zu betrachten gewohnt sind, durchaus nicht zu den Seltenheiten zu zählen sind. 63. Die Quantität des Menstruationsblutes. Eine Bestimmung der Menge des Blutes, welches während der Menstruation aus dem Körper ausgeschieden wird, hat selbstverständlich ihre erheblichen Schwierigkeiten, und wird man gut thun, die bisher vorliegenden Angaben, welche übrigens ganz ausserordentlich spärlich sind, nur als approximative Schätzungen zu betrachten . So hören wir von dem Physiologen Burdach, dass das Gewicht dieses Blutes in kälteren Gegenden ( England und Norddeutschland) 90 Gramm, in gemässigten 150-180, in südlichen (Italien und Spanien) 360 und in den tropischen Gegenden 600 Gramm betrage. Ganz treffend sagt der bekannte Physiolog Ludwig : „ Zahlenangaben . wie die von Burdach, müssen mit einem Fragezeichen aufgenommen werden. " Demgemäss geben mit grosser Vorsicht Wundt und andere Verfasser von Lehrbüchern der Physiologie auch eine ganz runde, noch dazu in weiten Grenzen schwankende Zahl an, indem sie von einer 100-200 Gramm betragenden Quantität sprechen ; und ebenso vorsichtig äusserte sich Funke: ,,Man schätzt die mittlere Menge zu 4-5 Unzen ; bei manchen Frauen reducirt sich dieselbe zu einem sehr geringen Quantum, bei anderen dagegen ist die Blutung profus. " So sind denn auch alle Vermuthungen über den Einfluss des Klimas oder der Rasse auf die Menge des ausgeschiedenen Menstrualblutes kaum benutzbar ; es schwanken ja auch die Schätzungen der verschiedenen Beobachter gar nicht unbedeutend : Von England und den Gegenden Oberdeutschlands besitzen wir die folgenden Angaben : drei Unzen nach Dehaen, vier Unzen nach Smellie und Dobson, fünf Unzen nach Pasta u. s. w. 64. Normale und anomale Menstruation. 249 Und wenn Emett und Fitzgerald den Blutausfluss in Spanien bis zu einem Pfunde steigen fanden. wenn Snellen unter dem Wendekreis sogar zwei und drei Pfund gefunden haben will, so kann man ja wohl auf die individuellen Verschiedenheiten, wie sie bei uns und gewiss überall in diesen Dingen vorkommen, hinweisen, um den Werth von dergleichen Ermittelungen zu beurtheilen. Bei 150 Woloffen - Negerinnen fand de Rochebrune den Blutverlust zu 95 Gramm. Riedel¹ bezeichnet die Menstruation bei den Weibern der Ambon- und Ulia se - Inseln als spärlich, ebenso auf den Tanembarund Timor lao - Inseln . Dass aber durch einen Wechsel des Klimas recht erhebliche Veränderungen in der Menge des Menstrualblutes hervorgerufen werden können , das ist seit langer Zeit bekannt. Schon Blumenbach giebt an, dass die Mehrzahl der Europäerinnen, welche nach Guinea übersiedeln, sofort Menorrhagien bekommen. Wenn Europäerinnen, welche in ein heisses Klima ziehen, an allzu reichlichem Blutabgang bei den Menses leiden, so wird vielleicht nicht selten die Ursache dieser Metrorrhagien darin beruhen, dass sie in Folge einer Infection durch Malaria anämisch geworden und hierdurch zu dergleichen Blutflüssen disponirt worden sind. Dies wollen französische Aerzte, z. B. Bestion, namentlich in ungesunden Gegenden Afrikas beobachtet haben. Einen solchen Grund hat vielleicht auch die von Stormont berichtete Erscheinung, dass die Negerinnen zu Sierra Leone beim Eintritt der ersten Menstruation an einem ephemeren Fieber leiden. Dagegen hat Saint Vel auf Martinique durch das Klima keine Vermehrung des Menstrual- flusses wahrgenommen. Das vermag nun aber die Beobachtungen anderer Autoren natürlicherweise nicht umzustossen. So wird von Alleyne in Demara das dort herrschende Tertianfieber als Ursache der Dysmenorrhöe beschuldigt, und Dundas berichtet, dass in Bahia die Frauen durch das heisse Klima stärker deprimirt werden, als die Männer, weil jene sich in weit stärkerem Maasse einem unthätigen Leben hingeben. (Tilt.) In St. Petersburg hatte Weber Gelegenheit, Folgendes festzustellen : Im Ganzen scheint der Eintritt der Menstruation, ob früher oder später, nur von untergeordneter Bedeutung für die Menstrualmasse zu sein ; hingegen spielen Körperconstitution und Haarfarbe hierbei eine grosse Rolle ; doch trifft die allgemeine Annahme, dass bei Brünetten die Quantität der Menses bedeutender ist, wie bei den übrigen Frauen, nicht zu, da die profusen Menses sehr häufig bei Blonden, besonders bei Rothblonden, angetroffen werden. 64. Normale und anomale Menstruation. Bei manchen Völkerschaften scheinen gewisse Lebensverhältnisse eine Neigung zu besonderen Menstruationsstörungen herbeizuführen. Von Velpeau und Gardieu wurde angegeben, dass Grönländerinnen nur alle 3 Monate oder selbst nur 2-3 Mal im Jahre menstruirt werden. Es ist nicht mitgetheilt, woher diese beiden französischen Geburtshelfer ihre Notiz haben. Nach Guérald soll bei den Eskimos die Menstruation während der Zeit des Winters und des Mangels an Nahrung ausbleiben. 250 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. Als ein verkümmerter, durch ungenügende Ernährung herabgekommener. der chilenischen Völkerfamilie angehörender Indianerstamm muss das Volk der Feuerländer betrachtet werden. Hier ist nun die Thatsache sehr interessant, dass bei den in Europa umherreisenden, von Bischoff näher untersuchten Feuerländerinnen während mindestens sechs Monaten keine Menstruation, d. h. keine bemerkbare stärkere Blutung aus den Genitalien wahrgenommen wurde, obgleich sie auf dem Schiffe noch ganz nackt gingen ; ihr Führer dagegen fand zuweilen geringe Blutspuren, ohne in Beziehung auf den Typus etwas aussagen zu können. Es war die Frage, ob die sonst in vierwöchentlichen Perioden (nach Bischoff") erfolgende Lösung eines reifen Eies vom Eierstock bei den Frauen dieser Völkerschaften in der That nur halbjährlich erfolge, oder ob sie zwar vierwöchentlich stattfinde, aber, wie bei den meisten höheren Säugethieren. ohne von einer Blutung begleitet zu sein. Nun starben auf der Reise zwei dieser Frauen ; die Eierstöcke zeigten bei der Section keine Spur von Eiern, welche der Reife nahe gewesen wären. Dadurch wird es wahrscheinlich, dass die Menstrualblutung regelmässig nur in langen, bis halbjährlichen Zwischenpausen eintritt. Hier ist also die Annahme nicht abzuweisen, dass die physische Verkümmerung sich auch in den Organen ausspricht, welche den sexuellen Zwecken dienen. Auch im Mémoire sur les Samojedes et les Lappons vom Jahre 1762 heisst es Ceux, qui ont prétendu, que les femmes des Samojedes ne sont point sujettes aux évacuations périodiques, se sont trompés ; cependant il est vrai , qu'elles ne les ont que très-faiblement et en petite quantité. Die zurückgezogene, die Entwickelung mannigfach hemmende Lebensweise der Orientalinnen giebt nach Rigler oft zur Störung der Menstruation Veranlassung, insbesondere zu Amenorrhöe, Dysmenorrhöe, Metrorrhagie etc. In Sierra Leone kommen, wie der dort beschäftigte Chirurg Robert Clarke fand, Amenorrhöe, Dysmenorrhöe, Leukorrhöe und profuse Menstruation bei den Negerinnen gleich häufig vor, wie bei den Engländerinnen. Die durchschnittliche Dauer der Menstruation scheint überall gleich zu sein. Bei den Negerinnen der Küste von Old- Calabar dauert die Periode 3-4 Tage (Hewan). Bei den Woloff- Negerinnen ist nach de Rochebrune die Dauer der Menses kurz, der Blutverlust schwach. Während der Menstruation der Negerin an der Loango - Küste glaubt man an deren Haut constatirt zu haben, dass dieselbe für mehrere Tage um eine Schattirung dunkelte. Die Frauen der Eingeborenen in Algier besitzen zahlreiche Recepte, um ihre Menstruation zu fördern . Die Einen werfen Nchader (d. i. Ammoniaksalz) auf das Feuer und setzen sich unmittelbar über den Dampf; Andere machen die vorschriftsmässig auszuführenden Abwaschungen und setzen dann sofort die Genitalien dem Rauche verschiedener auf das Feuer geworfener Stoffe aus ; wieder Andere stecken Wolle in die Scheide (Meusteja) und pudern zuvor die Wolle mit Schwefelantimon (Koheul) ein . Auch schreibt die Frau auf 4 oder 5 Blätter der Pappel den Namen ihres Vaters, ihrer Mutter u. s. w. , legt diese Blätter in ein kupfernes Schächtelchen und dieses in ein Feuer ; sobald sich dieser Gegenstand mit Rauchwölkchen bedeckt, so glaubt sie, dass sich die Menses bald einstellen werden. Wenn aber die Menses zur rechten Zeit kommen, jedoch zu gering und schwierig sind, dann muss die Frau eine Abkochung der Nigella sativa trinken (Bertherand). Wenn die Menses zu stark fliessen, so bringt man in die 64. Normale und anomale Menstruation. 251 Scheide eine Mischung von Essig und Vitriol, oder von Honig, den man mit Vitriol und Granatrinde versetzt hat. Tritt in Fezzan die Menstruation trotzdem, dass der Körper entwickelt ist. nicht ein, so geniesst die Kranke drei Tage lang eine Paste von Färberröthe und Gerstenmehl mit Butter und Zucker (Nachtigal). In Persien gehören Unregelmässigkeiten der Menstruation zu den Seltenheiten (Polak) ; sie kommen nur bei Frauen vor, die von ihrem Manne vernachlässigt werden. Die eingeborenen Frauen in Indien aber leiden, wie Stewart, Professor der Geburtshülfe in Calcutta , versichert, sehr häufig an Gebärmutterkrankheiten. (Tilt. ) Die Dauer ihrer Menstruation wird bei den Nayers (Jagor ) zu 3 Tagen, bei den Hindu- Weibern (Chervin) zu 3 bis 5 Tagen angegeben. Bei den Chewsuren dauert die Menstruation selten länger als 2 Tage (Radde). Im ostindischen Archipel steht unter den Mitteln, den Eintritt der Menstruation zu befördern, das Kneten bestimmter Theile des Leibes und der Gebrauch Erregung bewirkender Kräuter obenan. Es soll im Archipel allgemein angenommen werden, dass der Mond sehr bedeutenden Einfluss auf die monatliche Reinigung übe, und zwar so, dass junge Mädchen zur Zeit des Neumondes, ältere Frauen aber nach dem Vollmonde menstruiren. Nur ungemein selten kommt es vor, dass Schwangere menstruiren . (Epp.) Bei gesunden Japanerinnen dauert nach Wernich die Menstruation 3-4 Tage; im Krankenhause bei den verschiedenen pathologischen Formen natürlich meist länger. Ein nicht sehr sauberes japanesisches Volkslied, in welchem das Mädchen den Geliebten beklagt, dass er sich während dieser Zeit ohne normalen Genuss behelfen müsse, nimmt die Dauer der Periode auf 7 Tage an. Die Berechnung wird sehr sorgfältig geführt, da sowohl die Verkürzung der Menstruationstage als auch des freien Intervalls für ein Krankheitssymptom gilt . Als noch zur physiologischen Menstruation gehörig betrachtet man in Japan leichte wehenartige Schmerzen im Unterleibe und einen geringen Druck in der Schläfengegend. Schmerz und Kältegefühl im Kreuz, Ziehen an den Schenkeln, Schmerzen im Hinterhaupte und in der Stirn sind als pathologische Symptome wohlbekannt. In Japan gilt als menstruationstreibendes Mittel besonders die Abkochung der Wurzel von Rubia cordiflora, welche die Frauen selbst Shenkong Akane nennen. Doch sind neuerdings Eisen- und Chinin-Präparate, Fussbäder und Senfteige bereits populär geworden ; zuweilen kommen auch Capsicum und Senf innerlich zur Anwendung. Auch gebraucht man dort nach Williams als Mittel gegen Amenorrhöe Key-tu- sing, das ist die Tinctur aus den Blättern eines Baumes aus der Klasse der Ternstromaceae ; man nimmt dieselbe zur Zeit des Vollmondes unter kabbalistischen Ceremonien. Die chinesischen Aerzte glauben bei den Weibern die Menstruationsstörungen am Pulse erkennen zu können. Sie setzen bekanntlich drei Finger auf drei verschiedene Punkte der Arterien auf, und diese drei Punkte nennen sie tsuen, tsche und koun. Ist der Puls beim Punkte tsche voll und kräftiger am rechten Arme, als am linken, so erklären sie die Frau für gesund ; ist er klein, hart und oberflächlich, so vermuthen sie eine Menstruationsstörung ; ist er schwer füllbar und schwach am Punkte tsche, so sind die Regeln zu reichlich ; ist er schwer fühlbar, schnell und hart, so sind sie zu früh eingetreten ; ist er schwer fühlbar und langsam, so sind sie verzögert ; ist er klein, hart und oberflächlich, so sind sie ungenügend ; ist er schwer fühlbar und schwach, so sind sie unterdrückt (de Villeneuve). Eine Menstruations- 252 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. störung wollen die chinesischen Aerzte nach anderer Angabe erkennen (Dabry), wenn der Nieren- Puls klein, spröde, oberflächlich, wenn der LeberPuls spröde, übereilt ist . Zu reichliche Menstruation soll sich nach ihnen durch einen tiefen und schwachen Puls kund geben. Wenn die Menses vorzeitig eintreten, soll er tief und langsam sein ; wenn sie ungenügend sind. soll der Puls klein, spröde, oberflächlich sein ; bei Unterdrückung der Menses soll er tief und gedehnt oder tief und schwach sein. Bei Menstruationsstörungen benutzen die Chinesen sehr verschiedene Arzneien. Beim Ausbleiben des Monatsflusses wird Ning-kuen- tschi-pao-tan zugleich mit Knabenharn und altem Wein eingenommen. Bei Schmerz in der Herzgegend kurz vor den Eintritt der Menses wird es mit Absud von Cyperngraswurzeln und von alten Citronen gegeben ; ist der Monatsfluss dunkelblau oder schwarz, mit Absud von Schwarzwurzel, Päonienrinde, Safran und grünen Citronen ; bei übermässigem Monatsfluss mit Absud von Seekohl und weisser Bergdistel (Schwarz). Von den Viti - Insulanerinnen berichtet Blyth: Menstrualanomalien sind nicht unbekannt, was nicht zu verwundern ist , da sie sehr unvorsichtig während der Menstruation in den Flüssen baden, oder in der See herumwaten, um zu fischen . Als Mittel gegen die Suppressio mensium wird die Rinde von der Vesi Ndina (a tree of the greenheart species) geschabt und davon ein Infus gemacht. Das hilft in manchen Fällen, und wenn es fehlschlägt, so hilft auch nichts Anderes. Die Hebammen behaupten, dass sie auch Todesfälle nach Suppressio mensium kennen, aber damit ist wahrscheinlich gemeint, dass Krankheiten, welche zu Cessation der Menses Veranlassung geben, oder mit ihr einhergehen, in Fiji vorkommen. Auch schmerzhafte Menstruationen werden beobachtet (,, Dravutu" genannt) und von den Hebammen mit einem Infus von dem geschabten Stamm und den Blättern eines Weinstockes (Wa Ndamu) behandelt. Für die Hebamme wird dann, bevor sie fortgeht, ein Mahl bereitet, nach dessen Einnahme sie zu ihrer gewohnten Beschäftigung zurückkehrt, mit der Weisung, dass wenn die Kranke nicht in vier Tagen vollständig wohl ist , man sie wieder rufen solle, wobei dann die gleiche Behandlung wiederholt wird. Die Weiber der nordamerikanischen Völkerstämme haben nach Rush die Katamenien in geringer Menge, aber in regelmässigen Zwischenräumen. Keating erfuhr von einem Potowatomi- Häuptling, dass unter den Frauen seines Stammes Unregelmässigkeiten im Monatsflusse nicht selten seien, ebenso wenig als Verhaltungen; allein er schien sich hierüber nur mit Zurückhaltung auszusprechen . Die Menstruation der Omaha- Indianerinnen dauert 3 bis 4 Tage. Die Mexikanerinnen leiden häufig an Unordnungen in der Menstruation. (Sachs. ¹ ) Die Menge des periodischen Ausflusses ist auch bei verschiedenen Individuen der Indianerinnen in Chile und Californien verschieden je nach der Constitution und der Lebensweise ; wenn kein Zufall den regelmässigen Verlauf stört, so tritt der Ausfluss alle Monate ein und dauert 3-8 Tage: überhaupt treten diese Erscheinungen nach Rollin, Wundarzt bei La Pérouse's Expedition, ganz wie bei den Europäerinnen auf. Dahingegen sind nach Azara die Weiber der Charcuas , Guaranis und der anderen Indianerstämme Paraguays merkwürdig wegen der Spärlichkeit der monatlichen Reinigung und der Seltenheit ihrer Wiederkehr. In Guatemala sind nach Bernoulli Menstruations-Anomalien eine sehr häufige Erscheinung. Die Frauen der Lappländer haben nach Linné im Allgemeinen spärlichere Katamenien, als die Schwedinnen ; unter jenen ist das Aus- 64. Normale und anomale Menstruation. 253 bleiben des Monatsflusses sehr selten mit Ausnahme derer, die im Dienste der Colonisten leben ; diese leiden mitunter an Menstrualstörungen. Die bei den esthnischen Mädchen zur Zeit der Pubertätsentwickelung eintretenden Störungen müssen zum Theil davon abgeleitet werden, dass den jugendlichen Körpern zu gewaltige Anstrengungen zugemuthet werden, die um so eher als Krankheitsursachen wirken, als diesem starken Verbrauch in dem noch nicht erwachsenen Körper und Alter oft nicht die solchem Consum entsprechende Nahrung geboten wird. Beachten wir nun noch die grosse Unkeuschheit der Esthenmädchen, so haben wir ein drittes krankmachendes Moment, welches die Bleichsucht, die Menstruationsstörungen und selbst Uterusleiden entstehen lässt (Holst) . Suppressio mensium kommt nach Ravn vielleicht nirgends so häufig vor, als auf den Faröer. Die Weiber gehen dort ohne Schuhe und tragen nur ein Fell um die Füsse, so dass diese immer der feuchten Kälte ausgesetzt sind. Von Nord- Island schreibt Olaffen : „ Das Frauenzimmer hat bey Weitem keine so gute Gesundheit ; indem Obstructio mensium, insbesondere beym unverheiratheten Frauenzimmer, hier so wie in ganz Island sehr allgemein ist. Ihre gar zu stille Lebensart scheint vornehmlich Schuld daran zu seyn : denn ausserdem, dass sie wenige Belustigungen haben, wodurch sie schon gezwungen, stillschweigend und schwermüthig in ihrem Umgange und ihrer Aufführung werden , trägt es auch vieles dazu bey, dass sie, wenige Tage im Sommer ausgenommen, stets bey ihrer Haus- und Wollarbeit sitzen, ohne in die freye Luft zu kommen. Hierzu kömmt, dass sie bei ihrer Arbeit nicht auf Stühlen oder Bänken, sondern mit untergeschlagenen Beinen auf dem Fussboden , auf einer Matte, einem Kissen oder einem Schaffelle sitzen. Vielleicht giebt es noch viele andere Ursachen zu der schlechten Gesundheit dieses Geschlechtes, die Niemand achtet oder zu achten werth hält. Die angeführten sind aber wohl die Hauptursachen . " 66 In Kleinrussland gebraucht man als die Menstruation fördernde Mittel den Aufguss von Lathraea squamaria mit Wasser oder Branntwein zu einigen Spitzgläsern täglich. In Sibirien den gesättigten Aufguss von Geranium pratense. Im Nowgorodschen Gouvernement nimmt man Bierhefe und frischgemolkene Milch zu einem halben Bierglase des Morgens nüchtern. Ausserdem wird noch in den südlichen Gouvernements Russlands sowohl bei zu geringer, als auch bei ausbleibender Menstruation der Splint des Kirschbaumes benutzt. Bei der ersteren schabt man mit einem Messer nach aufwärts den Bast ab, bei der letzteren von oben nach unten. Auch trinkt man in Russland den Thee von Tanacetum vulgare und gebraucht innerlich seit den ältesten Zeiten Ol. Terebinthinae zu 12-15 Tropfen, Morgens und Abends, mit einem starken Aufguss von Artemisia (Krebel). Die Volksmedicin bei europäischen Völkern beschäftigt sich mehrfach mit den Frauenkrankheiten, soweit sie mit Störungen des Blutflusses verbunden sind. Unter den Serben müssen Weiber, die an Menstruationsbeschwerden leiden, den Saft rother Blüthen trinken . Wenn es dagegen einer Frau lästig ist, jeden Monat von der monatlichen Reinigung heimgesucht zu werden, dann soll sie sich bei dem Eintreten derselben waschen und mit dem Abwaschwasser eine rothe Rose begiessen (Petrowitsch) . In Ungarn leiden nach Joachim die Jüdinnen sehr oft an profuser, die Ungarinnen häufiger an retrahirter Menstruation. In den Provinzen Treviso und Belluno in Italien wird das Ausbleiben der Regel mit Malven und 254 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung. Venushaar behandelt (Bastanzi) . Gegen Gebärmutterblutungen benutzt man in der Provinz Bari die Stricke, welche zum Zubinden der Schläuche gebraucht werden. Man umbindet damit die Tailie, die Handgelenke und die Fussgelenke der Kranken, und wenn das nicht ausreicht, so bindet man noch Fäden von schwarzer Wolle um jeden Finger und um jede Zehe : dann steht die Blutung (Karusio). Auf der Insel Minorca erscheint nach Cleghorn die Menstruation bei jungen Mädchen zweimal in einem Monat, bei anderen alle 3 Wochen. Gegen des Ausbleiben der Menstruation hilft, wie es in der Mark Brandenburg (in einer alten Handschrift) heisst, ein Stück von einem Fischernetz und ein Zipfel von einem Mannshemde zu Pulver gebrannt und eingegeben. Im Frankenwalde (Flügel) ist unter den Hausmitteln gegen mangelhafte Menstruation wohl Safran mit Wein das gewöhnlichste. In Schwaben giebt man Melisse oder Mutterkraut bei schwachem Geblüt, auch Raute treibt dort die Menstruation , ebenso Sabina , auch Geissenharn (Buck) ; ferner wird Akelei als weiberzeittreibendes Mittel benutzt. Gegen zu reichliche Menstruation gebraucht man daselbst frische Muttermilch , ebenso Katzendreck und Rosenöl. Bei Mutterblutfluss giebt man Hirtentäschlein mit Wein und Wasser gesotten. Dort glaubt man auch, dass bittere Mandeln die Menstruation aufhören machen. In der Pfalz gebrauchen die Frauen auf dem Land bei Menstruationsstörungen Getränke aus gemeiner und auch römischer Camille, Mutterkraut (Matricaria Parthenium) , Stabkraut (Artemisia Abrotanum) , Melisse , Pfefferminze, Quendel. Schafgarbe und Rosmarin werden zu diesem Zwecke schon seltener benutzt, wenn sie gleich minder schädlich sind, als beispielsweise Zwetschenbranntwein, allein oder mit Safran oder Aloë, Lohröl" (Lorbeeröl), wovon die Bäuerinnen gern Gebrauch machen, wenn ihre Periode ganz zurückbleibt. Sie lassen wohl auch bei Amenorrhöe einen Aderlass am Fuss vornehmen, nehmen auch Thee vom Sevenbaum, besonders dann, wenn sie eine vermuthete Schwangerschaft beseitigen wollen (Pauli). "" Einige Mittel zur Hervorrufung der Regel im bayerischen Franken , bei welchem Menstruationsblut die Hauptrolle spielt, haben wir bereits kennen gelernt. In Schwaben thut es das Trinken von Geisharn. Auch Regenwasser oder Stutenmilch soll sehr wirksam sein. Zu reichliche Menstruation hemmen sie durch den Genuss von bitteren Mandeln. (Lammert. ) Auf die Dauer des Blutflusses bei der Menstruation vermag nach dem Glauben der Bayerischen Bevölkerung die Weibsperson selber, oder deren Mutter oder Verwandte einen ganz erheblichen Einfluss auszuüben. „ So viele Finger die Mutter bei der Wäsche des vom erstmaligen Monatsblute befleckten Hemdes in das Wasser taucht, so viele Tage wird künftighin die Menstruation ihrer Tochter andauern. " Mit diesem Waschwasser muss dann ein Rosenstock begossen werden , dann wird der Monatsfluss immer mit Regelmässigkeit von Statten gehen. Soll zu reichliche Menstruationsblutung beseitigt werden, so muss man die Ohrfinger beider Hände mit carmoisinrothen Seidenfäden umwickeln. So oftmal man den Faden umgewickelt hat, so viele Tage bleibt die Regel aus. (Lammert. ) Eine durchaus nicht eigenthümliche , vielmehr zum Theil den alten. Griechen entlehnte Behandlungsweise mit Räucherungen, Myrrhen u. s. w. hatten bei Menstruationsstörungen die Deutschen im Mittelalter. So kommt in dem von Pfeiffer herausgegebenen, im XIII. Jahrh. von Bartho- lomäus Anglicus verfassten Arzneibuche folgende Stelle vor : 64. Normale und anomale Menstruation. 255 Swelh wip ir siechtuomes (siechtum der wîbe i . e. menstrua) niht haben muge, diu neme myrren unde temper si mit dem sûge ( Safte) artemysien, unde sô diu temperunge danne getruchne, sô sol si vîgelen (schaben, feilen) ein hirzes horn (Hirschhorn) unde mische diu zusamme unde behulle si vlizechlich unde mach einen rouch dar ûz unde setze den under diu bein : an der wîle sô gewinnet si ir wipheit. Ze gelicher wis sol si rûten ( Raute) ezzen unde den souch (Saft) vaste ( stark) trinchen unde sol die wurzenschîben zwischen diu bein haben : sô ledigen sich diu menstrua. Ez ergêt vil dicke (es geschieht sehr oft ) , daz diu matrix ersticket , dâ daz chint inne lît, eintweder von dem smerwe oder von dem foulen pluote, daz si sich nicht erfurben ( reinigen) mach. Des sol man sus buozen ( bessern) . Daz wîp sol nemen gruone rûten, unde rîbe di wol vast unde stôze die an die stat. Ze gelîcher wîs dû sold nemen swebel unde temper den mit starchem ezziche und habe die temperunge lange für die nase unde stôz ir ein teil an die teugen (geheime) stat, so wird dir baz . Swenne daz wip den siechtuom hat, sô geswillet sie ein teil umbe den nabel unde walget (rollet) ir daz geliberte bluot unter den rippen also diu eiger unde beginnet fir diu âder swellen unde gêt ir der toum in daz houbet als der dicke rouch . Wil dû des siechtuomes schiere (sogleich) buozen, sô nim rûten unde temper die mit guotem honege unde salbe dich dâ mit al umbe die tougen stat. Wellest dû aver schiere gesunt werden, sô nim linse und beize die mit wêne, dâ náh temper siu mit honege unde neuz die erzenie alle tage : dû wirdes schiere gesunt. Bei einem Blicke auf die Gynäkologie des Alterthums (Kleinwaechter) finden wir, dass die altgriechischen Aerzte sich eine ganz besondere Ansicht über die Menstruation und ihre Störungen zurechtlegten. Nach Hippokrates sind Weiber, die nie schwanger waren, menstrualen Leiden viel mehr ausgesetzt, als jene, die geboren haben, denn der Lochienfluss (der Ausfluss im Wochenbett) wirkt auf die Circulation wohlthätig ein. Durch die Schwangerschaft, so stellte er sich vor, werden die Blutgefässe der Baucheingeweide, des Uterus sowie der Brüste gehörig erweitert, so dass späterhin nach überstandener Geburt der Blutabgang leichter stattfindet. Bei jenen dagegen, die nie geboren haben, sind die Blutgefässe nicht gewöhnt, sich auszudehnen, und kann daher das menstruale Blut nicht so leicht abfliessen. Die Gewebe des Weibes sind zarter und erhitzen sich mehr. Dadurch entstehen Beschwerden, die durch die Ausdehnung der Blutgefässe gemildert werden. Deshalb ist auch die Wärme des Weibes eine höhere, als die des Mannes. Durch den monatlichen Blutfluss wird ein zu hohes Ansteigen der Körperwärme verhindert. Es folgt nun bei Hippokrates die Besprechung der Ursachen, der Erscheinungen , sowie der Behandlung einer Stockung und eines zu reichlichen Flusses der Menses ; seine Darstellung gründet sich nicht auf genaue anatomische Untersuchung, die man ja auch noch bei seinen Nachfolgern vermisst. Paulus von Aegina empfiehlt beim Ausbleiben des Blutflusses durch Uterusleiden Blutentziehung, Ligaturen an den unteren Extremitäten 3-4 Tage lang, indem man die Binde kurz vor der zu erwartenden Menstruation abnimmt , einen Trank von Myrrhen, Räucherungen u. s. W. Galenus entwickelte wiederum andere Ansichten. Die arabischen Schriftsteller behandeln die Menstrualstörungen ziemlich gleichartig : Avicenna empfiehlt ebenso wie Serapion Ligaturen um die Oberschenkel, ferner den Aderlass, und als menstruationstreibende Mittel Moschus. Castoreum und Myrrhen. XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. 65. Gebräuche bei dem Eintritt der Menstruation. Das zum ersten Male menstruirende Mädchen tritt in eine neue Entwickelungsepoche des Lebens ein : sie ist reif geworden, einen eigenen Hausstand zu gründen, zur Vermehrung des Stammes auch ihrerseits beizutragen; mit einem Worte, sie ist mannbar geworden. Mit dem Erreichen der Pubertät verbindet sich aber in dem Volksglauben sehr vieler Nationalitäten die Ansicht, dass das weibliche Wesen mit dieser erstmaligen Blutausscheidung zunächst in einem Zustand temporärer Unreinheit versetzt wird, in der sie abgesondert werden muss, um nicht Andere zu verunreinigen , und ferner auch, dass es nothwendig ist, das arme Geschöpf durch die Auferlegung von Leiden und Weh eine Art von Prüfung durchmachen zu lassen, durch deren Ablegung sie sich erst der Stammesgenossinnen für würdig be- weisen muss. Eine solche Anschauung wiederholt sich bei einer recht grossen Anzahl von Natur- und halbcivilisirten Völkern ; erst eine Läuterung durch höhere Cultur giebt der sexuellen Entwickelung des Mädchens zur Jungfrau eine andere, eine geistigere Bedeutung. Die Formen, in welchen die Erklärung, dass das Mädchen nun vom Kinde zur Jungfrau herangereift ist , auftritt, sind bei verschiedenen Völkern ausserordentlich mannigfach. Unter den rohesten Wilden kommen dabei widerwärtige, jedenfalls aber uralte Sitten zum Vorschein, schlimme Peinigungen, die vielleicht nicht immer allein den Endzweck haben, die Standhaftigkeit des armen Wesens zu prüfen, sondern wohl auch dazu dienen sollen, den vermeintlichen Dämon der Unreinheit auszutreiben. Bei anderen Völkern wird dagegen eine Ceremonie vorgenommen, bei der das Mädchen ein Symbol, z . B. einen besonderen Haarschmuck, eine besondere Kleidung, eine eigene Tättowirung oder Aehnliches erhält. Bei mehreren australischen Stämmen werden sowohl bei den Mädchen als auch bei den Knaben als Einführung in die Mannbarkeit unter grossen Ceremonien zwei Zähne ausgeschlagen, z. B. im Seengebiet, wo diese Operation Tschirrintschirri genannt wird : Zwei Stäbe von Holz, die keilförmig zugeschärft sind, werden zu beiden Seiten eines Zahnes eingetrieben ; auf den Zahn legt man ein Stück Fell und setzt darauf ein scharfes, etwa 60 cm langes Holz ; ein bis zwei Schläge mit einem schweren Stein auf dieses Holz genügen in der Regel, um den Zahn so zu lösen, dass er mit der Hand herausgenommen werden kann. In gleicher Weise wird der zweite Zahn entfernt, und dann feuchter Thon auf die Wunde gedrückt, um die Blutung zu stillen. Die Kinder verrathen kaum durch ein Zucken des Gesichts, dass sie Schmerz empfinden. Drei Tage nach der Operation muss das Kind sich wohl hüten, den Rücken von irgend Jemand zu sehen, sonst wächst 65. Gebräuche bei dem Eintritt der Menstruation. 257 sein Mund zu und es muss Hungers sterben. Die ausgezogenen Zähne bewahrt man in abergläubischer Weise ein Jahr lang in Emu- Federn gehüllt auf, damit die Adler sie nicht finden und dem Kinde an Stelle der ausgezogenen grössere wachsen, welche sich in die Höhe krümmen und unter grossen Schmerzen den Tod verursachen würden. Auf Tahiti tättowirt man die geschlechtsreifen Mädchen ; diese harren dieses Momentes sehnsüchtig, denn nicht mannbar zu sein gilt für sie als eine Schande. (Forster. ) Auf Tonga veranstaltet man ihnen ein Fest und beschenkt sie. ( Turner.) Wird in Neu- Irland ein Mädchen mannbar, so steckt man sie auf etwa 4 Wochen in eine Art Käfig innerhalb des Hauses, welches sie bewohnt. Kränze aus wohlriechenden Pflanzen werden um ihre Taille und um ihren Hals gebunden. Der Käfig wird gewöhnlich zweistöckig gebaut; oben wohnt die junge Dame, unten entweder ein altes Weib oder ein kleines Kind. Der Raum, in dem das Mädchen verweilt, ist so klein, dass sie nicht aufrecht stehen, sondern nur liegen oder sitzen kann. Nur bei Nacht darf sie diesen unbequemen Aufenthaltsort verlassen. (Powell. ) Auf Yap, einer der Carolinen- Inseln, wird das Mädchen isolirt ; es lebt 2-3 Monate in einer Hütte, die unweit des Dorfes nur zu diesem Zwecke dient. (v. Miklucho-Maclay.) Bei den Malayen des ostindischen Archipels hat sich die Sitte überall verbreitet, dass bei eingetretener Pubertät bei beiden Geschlechtern die Zähne um ein Viertel ihrer Länge abgefeilt und schwarz gefärbt werden, wozu oft noch das Auslegen derselben mit kleinen Goldplättchen kommt. Die grossen Festlichkeiten, die beim Zahnabfeilen einer Prinzessin in Baren auf Celebes stattfanden, beschreibt uns Ida Pfeifer : Das auf einer Matratze liegende Mädchen wurde von einem alten Manne mit drei Feilen an ihren Zähnen so behandelt, dass die obere Zahnreihe erst mit der gröberen, dann mit einer feineren, schliesslich mit der kleinsten und feinsten Feile abgeraspelt wurde, wobei der Operateur im Allgemeinen geschickt verfuhr und die Prinzessin keinen Laut von sich gab. Der Operateur erhielt dafür ein Huhn, welchem er ein kleines Stück des Kammes abriss und hierauf das herausspritzende Blut auf die Zähne und Lippen der Prinzessin brachte. Hierauf wurde auch dieselbe Operation an sechs jungen Mädchen des Hofstaates vollzogen, aber mit weniger Umständen, worauf ein grosses Gastmahl die Festlichkeit beschloss . Ist das Feilen der Zähne auf Timorlao bei einem reif gewordenen Mädchen versäumt worden, so muss die Operation während der Schwangerschaft nachgeholt werden. (Riedel. ) Wenn bei den Mädchen auf den Sawu- oder Haawu- Inseln ( Niederländisch Indien) die Pubertät eintritt, so wird es der Operation des Zähnefeilens unterworfen ; ausserdem wird, wie erwähnt, ihm ein zusammengerolltes Koli- Blatt in die Vagina eingeschoben und ihre Brüste werden geknetet. (Riedel. ') Ein Frau Antonie Herf erzählt von Java : „ So sah ich jüngst einen Aufzug, über dessen Bedeutung ich, so lange ich ihn sah, mich in völliger Unklarheit befand. Voran zogen ungefähr zwölf junge unbekleidete Javanesen. Alle waren gelb gepudert, wodurch ihre Körper wie in knapp anschliessenden Tricot gekleidet erschienen. Sie trugen die verschiedensten Toilettengegenstände ; der eine einen kostbaren, zierlichen Spiegel_in glänzendem Rahmen, welcher mit in der Sonne funkelnden Steinen besetzt war. anderer hatte einen grossen, sehr schönen Fächer in der Hand, ein dritter Kamm und Bürste in offenem, beschnitztem Elfenbeinkasten, der mit rothem Sammet ausgeschlagen war; der nächste trug auf goldenem Teller zwei Säckchen von dünnem, durchsichtigem Gewebe, von welchen das eine den hier allgemein üblichen Schönheitspuder, aus dem Samen einer seltenen einheimischen Pflanze bereitet, das andere Curcuma enthielt , ein Färbungsmittel, das ich schon früher einmal erwähnt habe. Verschiedene andere Gegenstände, die noch weiter von den gelben Jünglingen vorübergetragen wurden, waren mir theils unerkennbar, theils überhaupt unbekannt. Ein Musikcorps folgte. Hinter demselben wurden lange, breite Bretter getragen, welche von weissen, mit Blumen und Bändern geschmückten Tüchern bedeckt waren. Prächtige, riesige Blumensträusse prangten auf denselben ; verschiedene reich verzierte Gerichte, Kuchen und Früchte kennzeichneten sie als ambulante Festtafel. Dieser folgten wiederum Javanesenjünglinge , welche Haushaltungsgegenstände in idealisirter Form und verschwenderischer Ausschmückung trugen. In der Mitte des Zuges bewegte sich langsam ein phantastisch ausstaffirter, mit farbigen Tüchern drapirter offener Wagen, welcher von vier blumenbekränzten und bewimpelten Schimmeln gezogen wurde. In demselben sass ein drollig herausgeputztes braunes Ploss, Das Weib. 1. 3. Aufl. 17 258 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. Javanenkind, etwa zehn Jahre alt und recht unglücklich dreinschauend. Ihm folgte wiederum eine Schaar Javanen in den denkbar buntesten Sarongs und Kabayen, und ein zweites Musikcorps machte den Beschluss. Und was bedeutet diese wunderliche Komödie ? Den Triumphzug eines zur Jungfrau herangereiften Kindes, welches nunmehr feierlich als heirathsfähig proclamirt war !" Bei den Hill Arrians in Travancore werden nach Painter, wenn ein Mädchen ihre Reife erreicht, die Freunde und Verwandten zu einer Ceremonie zusammengerufen, bei welcher das junge Mädchen auf ein Brett von dem für heilig angesehenem Jack- Holz treten muss. Dann bindet ihr die Schwester ihres Vaters einen Faden um den Hals und damit ist die Feierlichkeit beendet. Den Eintritt der ersten Menses zeigt das Nayer- Mädchen in Malabar durch ihre Mutter ihrer Schwiegermutter, d. h. der Mutter ihres zur Zeit begünstigten Liebhabers an, der ihr einen Krug Wasser über den Kopf giesst. (Jagor.4) In Birma ist für das Mädchen das, was für den Knaben das Tättowiren, bei der Mannbarkeits- Erklärung das Ohrloch- Stechen. Das Läppchen des Ohres wird mit einer silbernen Nadel durchstochen. In die gemachte Oeffnung werden so viele Stengel eines bestimmten Grases gesteckt, als sie fasst. Dann wird durch Schrauben- Ohrringe das Loch erweitert, in welches später mächtige Ohrscheiben gesteckt werden. In Siam werden nach den uns zugegangenen Berichten des verstorbenen Schomburgk dem Mädchen beim Eintritt der Menses die Haare abgeschoren und manchmal 5 bis 6 Tage lang Feierlichkeiten abgehalten, die besonders bei königlichen Prinzessinnen gross sind. Bei den Chinesen schmückt man das herangereifte Mädchen mit der Haarnadel, dem Kopfputz der Frauen. Fig. 77. Krobo- Mädchen von der Goldküste (West- Afrika) in der Tracht der beginnenden Mannbarkeit. (Nach Photographie. ) Als Zeichen der eingetretenen Jungfrauschaft erhält in Abyssinien das junge Mädchen einen besonderen Schmuck : sie trägt mitten auf der Stirn eine runde Elfenbeinplatte, welche mittelst eines Stirnbandes festgehalten wird. (Stecker.) Bei unseren Begriffen von Schamhaftigkeit und weiblicher Tugend ist es uns ganz unverständlich , dass bei den Negervölkern der Loango- Küste Jungfrauen, welche sich bei dem Eintritt der Menses plötzlich ihres dereinstigen Berufes bewusst werden, ihr Geheimniss der ganzen Männerwelt verkündet sehen ; und doch ist es dort Sitte, die Betreffenden nicht nur im Dorfe durch Gesang und Tanz zu feiern, sondern sie auch unter Begleitung der Jugend beiderlei Geschlechts den Europäern vorzuführen. Eine solche Procession giebt sich schon von Weitem durch ihren ausgelassenen Jubel kund, und führt die völlig Vermummte in die Mitte des Hofes, wo sie auf einer Kiste unter einem Schirm Platz nimmt und von ihren Gespielen in höchst deutlicher Weise ihre Aussichten für die Zukunft besingen hört. Für ein Glas Rum entschleiert sie gern ihr Gesicht und bietet höchstens den Ausdruck des befriedigten Stolzes, nun zu den Erwachsenen zu rechnen, niemals aber den der Scham. (Falkenstein. ) Ebenso führen die Neger der Gold- küste das zum ersten Male menstruirende Mädchen im grössten Putze durch die Strassen, dabei werden Loblieder auf ihre Jungfräulichkeit gesungen (Brodie, Cruikshank). Die Krobo - Mädchen an der Goldküste müssen sich bei dem Eintritt der 65. Gebräuche bei dem Eintritt der Menstruation. 259 Mannbarkeit auf lange Zeit in den Wald zurückziehen. Sie haben dabei eine besondere Tracht, welche in Fig. 77 dargestellt ist. Von den Wanjamuesi sagt Reichard in Bezug auf die erste Menstruation Dies Ereigniss giebt Anlass zu grosser Festlichkeit, Tanz, Gesang und Biergelage der Weiber. Das nunmehr mannbare Mädchen, dessen Jungfräulichkeit jedoch immer schon verloren ist, wird nun im Kreise der Waganga (Fetischweiber) mit Kräuterabsuden gewaschen, mit Oel eingerieben und zuletzt über und über mit Mehlwasser aus dem Munde des Fetischweibes bespritzt und muss dann vor allen Weibern eine Probe in der Fertigkeit gewisser Bewegungen in verschiedenen Stellungen ablegen. Männer haben dabei keinen Zutritt. In Afrika besteht bei vielen Volksstämmen, wie wir gesehen haben, die Sitte , bei dem Eintritt der Pubertät die Beschneidung und Vernähung vorzunehmen. Die Nama-Hottentotten bekleiden das mannbare Mädchen mit einem reichgeschmückten Kaross, der sie als heirathsfähig bezeichnet (bis dahin geht sie nackt einher). Nach dieser Einkleidung sitzt sie drei Tage lang dem Eingange der Hütte gegenüber an der Seite, wo das Hausgeräthe sich befindet , in einem von fusshohen Stäben eingeschlossenen 22 bis 3 Fuss im Durchmesser weiten Kreise mit untergeschlagenen Beinen, den Mund zum Zeichen ihres Hochgefühls und Stolzes fischmaulartig vorgestreckt und zuweilen mit dem Kopfe herausfordernd nickend . Am dritten Tage wird eine fette Ferse geschlachtet. Der nächste Anverwandte, gewöhnlich ein älterer Vetter, erscheint mit der Nachbarschaft zur Gratulation und zum Schmaus. Indem er ihr das Magenfell des Rindes über den Kopf hängt, wünscht er ihr, so fruchtbar zu sein wie eine junge Kuh. Dann kommen die Freunde und Freundinnen mit ähnlichen Glückwünschen , worauf der Festschmaus mit Gesang und Tanz beginnt, der mit einem Zechgelage endigt. ( Hahn.²) Die Makalaka haben nach Mauch die Sitte , dass die alten Frauen das junge Mädchen zur Pubertätszeit tättowiren, wobei unter grossem Schmerz dem armen Wesen etwa 4000 Schnittchen in die Haut gemacht werden ; dann reibt man eine ätzende, durch Kohlenpulver geschwärzte Salbe ein. Bei den Zulu- Kaffern werden nach Döhne die Mädchen zum Zeichen der Reife mit rother Erde bestrichen. Kropf berichtet von den Xosa - Kaffern, unter denen er seit Jahrzehnten als Missionar lebt : „ Der Beschneidung der Jünglinge entspricht das intenjane der Mädchen, wodurch sie zur Zeit ihrer Pubertät unter die heirathsfähigen Jungfrauen eingeführt werden. Das Erscheinen der Pubertät nennt der Kaffer in seiner bilderreichen Sprache „ Das Aufknospen der Blume" . Sobald dies eintritt, muss es sich hinter einer von Matten im Hause gebildeten Scheidewand verborgen aufhalten, wo sie der Obhut einiger Mädchen und Frauen (gefallene oder von ihren Männern getrennte) anvertraut ist . Die Speise für sie und ihre Umgebung haben ihre Eltern zu besorgen. Der Vater des Mädchens ladet alle jungen Mädchen, Frauen und Männer der Nachbarschaft ein. Nachdem am Vormittage die Kühe gemolken und die Milch aus dem Milchsack getrunken ist, beginnen die Mädchen den Tanz. Sie kommen aus der Hütte des Mädchens , um dessentwillen das Fest angerichtet ist, das aber in der Hütte bleiben muss , im Gänsemarsch und begeben sich in feierlicher Procession zu dem Platz ausserhalb des Viehkraals, jedes einen Spiess in der Hand, um den nackten Leib einen mit messingenen Ringen besetzten Riemen und ein rothes Taschentuch . Angekommen beim Viehkraal schliessen sie einen Kreis , sich bald nach links , bald nach rechts bewegend , mit den Füssen stampfend und hoha hoch" joblend. Bald darauf kommen auch die an einem besonderen Orte sitzenden Frauen , in ihre Decken und Mäntel gehüllt, einen rothen Turban um den Kopf, herbei , um in einem weiteren Kreise um die Mädchen herzutanzen, mit diesen um die Wette stampfend und johlend. Sind die Frauen müde, so werden sie von den Männern abgelöst, die bei ihrem Stampfen, Springen und Gliederverdrehen jede Muskel in zitternde Bewegung versetzen. Ein Ochse wird vom Vater des Mädchens geschlachtet, worauf, wenn er aufgezehrt ist , das Tanzen aufs Neue beginnt. Junge Männer, ja selbst Knaben kommen von verschiedenen Orten, um den greulichen Tanz umtshotsho in der Hütte der Gefeierten mit den 17* 260 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. Mädchen zu vollführen . Die Tänze werden nackt aufgeführt, ohne jegliche Scham , und viel Schmutziges dabei geredet. Den jungen Leuten ist gegen Bezahlung erlaubt, mit unverheiratheten Weibern und Wittwen zusammen zu kommen und in Bezug auf die alten Männer muss der von ihnen erwählte Aufpasser dafür sorgen, dass sie mit jungen Mädchen versehen werden. Auch ein ordentliches Mädchen kann dabei mit Gewalt missbraucht werden, wenn sie so leichtsinnig war, sich zu solchem Feste zu begeben. Oft entstehen dabei unter den jungen Männern Schlägereien um ein Mädchen. Solche Feier bringt manchen Vater in Armuth, denn hätte er auch nur eine einzige Kuh, so muss sie geschlachtet werden. Sieht der Vater, dass es mit der Speise zu Ende geht, so lässt er wissen, die Feier solle aufhören. Wenn der Schluss nahe ist, manchmal nach 3 Tagen, manchmal nach 4 bis 8 Wochen, dann kommen die Leute der benachbarten Plätze mit ihren Ochsen, um die Feier durch eine Ochsenschau und Ochsenwettrennen zu verherrlichen. Die Ochsen, die zu einem bestimmten Kraal gehören, werden gewöhnlich zu ein oder zwei von den jungen Männern nach einander in die Mitte des Kraals getrieben, worauf ein Tanz beginnt. Hat jede Abtheilung dies gethan, so beginnt der grosse Tanz der verschiedenen Kraale unter ihren Vorstehern und Häuptlingen. Das Ochsenwettrennen macht den Schluss. Zwei oder drei Tage darauf gehen alle Mädchen, die der Gefeierten aufgewartet hatten, nach dem Walde und holen Feuerholz, das sie zu der Hütte ihrer Mutter bringen. worauf sie sich nach Hause begeben. Manchmal, doch sehr selten, werden Mädchen verheirathet, bei deren Pubertät diese Feier unterlassen wurde ; solche müssen aber zu ihren Kraalen zurückkehren und das Versäumte nachholen. " Bei den Basuthos werden die Mädchen (nach Endemann) dem „ Pollo " unterworfen Sie ziehen in Begleitung einer Aufseherin nach einer Stelle am Wasser, wo es tief genug ist zum Untertauchen. Dort müssen sie einen in das Wasser geworfenen Armring tauchend herausholen. Des Tags über treiben sie sich im Felde umher, um für den weiblichen Beruf geschult zu werden, daneben zu tanzen und zu singen. Aber Nachts brauchen sie nicht im Felde zu bleiben : doch leben sie abgesondert. Sie beschmieren sich mit Asche. In dieser Zeit ist das Weibervolk wie unsinnig ; sie verkleiden sich und treiben viel Muthwillen. Die Mädchen des Pollo müssen verschiedene Waschungen vornehmen. Zu Ende des Pollo giebt es ein Fest, zu dem die zulezt beschnittenen Knaben eingeladen werden ; da giebt es Schmaus, Tanz und Unzucht. Merensky berichtet ebenfalls von den Basutho. Koma ist der Inbegriff der Proceduren, denen Knaben wie Mädchen sich unterwerfen müssen, um in die Reihe der Männer und Frauen aufgenommen zu werden. Von diesen Dingen darf kein Uneingeweihter je etwas erfahren. „ Du verräthst die KomaGebräuche" ist eine Art Fluch oder Schimpfwort, welches schwer wiegt. Freiwillig schliessen sich die Kinder dem Zuge an, der sie in irgend welche Waldkluft führt. Toben und wüstes Singen, echter rechter Heidenlärm, tönt aus dieser Kluft fast ohne Unterbrechung bei Tag und Nacht. Monatelang dauert das wüste Wesen, im Jahre darauf folgt noch ein Nachspiel. . . . Figuren, welche unter wunderlichen Namen gezeigt werden, erinnern daran, dass früher Einweihung in götzendienerisches Wissen dabei stattgefunden hat. Daran erinnert auch, dass in Nord - Transvaal die Mädchen bei der Koma um eine aus Lehm gebildete Schlange tanzen. Die Mädchen werden von Frauen unterrichtet. Sie müssen Feuer anblasen, in der Kälte des frühesten Morgens baden , eine mit Dornen gespickte Lehmfigur als Kind auf dem Rücken im Tragetuch wiegen, und erhalten dabei allerhand Lehren. Unter anderem wird dem Mädchen gesagt : „Ein Weib darf nicht lügen , lüget nie. " Wenn ein junger Mensch ein Kind zeugt, der noch nicht die Koma durchmachte, oder ein Mädchen , welches in ebendemselben Fall ist , ein Kind gebiert, so müssen die betheiligten Personen unerbittlich sterben , wie auch das Kind. " Die Bawenda der Station Ha Tschewasse (Nord - Transvaal) haben neuerdings von den Basutho das Beschneidungsfest der Frauen aufgenommen. (Berliner Missionsberichte 1890.) „ Die Frauen machten einen sonderbaren Aufzug hier in der Nähe im freien Felde, indem sie den Tag über die Trommeln schlugen und wunderliche ganz alberne Aufzüge hielten, wobei sich einige Frauen mit weisser Erde beschmierten und ins Feld liefen, als ob sie wahnsinnig seien ; andere nicht geweisste und wahnsinnige Frauen waren ihnen 65. Gebräuche bei dem Eintritt der Menstruation. 261 als Begleiter und Führer beigegeben. Nachdem man einige Tage lang diese Possen hier in der Nähe betrieben, zog man etwas weiter ins Feld, wo sie noch gegenwärtig ihr Wesen haben. " Auch bei den Marolong (Betschuanen - Stamm) werden die Mädchen, sobald sie mannbar sind, 2-3 Monate lang unter strenger Censur in den Pflichten der Hausfrauen unterrichtet . Sobald die Menses vorbei sind , werden sie gewaschen, ihr Kopf wird bis auf eine kleine Stelle rasirt und statt des Perlengürtels erhalten sie ein kleines Schürzchen, dann sind sie heirathsfähig. (Joest. ) Im nördlichen Transvaal heisst das Mannbarkeitsfest der Mädchen, wie schon berichtet, Koma. Es wird dazu eine besondere lange, mehrtönige Pfeife gebraucht, die sie aber geheim zu halten scheinen. ( Wangemann. ) Den Eintritt der Menses feiern die Bewohner des Tana- Gebietes (äquatoriales Ost - Afrika), die Pokomo, zehn Abende und Nächte hindurch mit Tanz und Festessen. (Dehnhardt. ) Die Indianer Süd - Amerikas begehen die Einweihung des Mädchens zur Jungfrau mit zumeist recht peinigendem Verfahren. Einer milderen Procedur wird es bei den Warrau- Indianern in Britisch- Guiana unterworfen : man beraubt es seines langen Haares, tanzt und schmückt das Mädchen mit Perlen und weichen Vogel- Daunen , die man mit Gummi auf den geschorenen Kopf, an Arme und Schenkel klebt. (Schomburgk.) Andere Caraibenvölker in Britisch- Guiana verfahren qualvoller, indem sie das Haar des Mädchens abbrennen, worauf es von einem Zauberer mit den Nagezähnen des Aguti (Dasyprocta) quer über den Rücken zwei tiefe Einschnitte erhält, in welche Pfeffer eingerieben wird ; Schmerz darf die Gepeinigte nicht äussern. So wird sie mit an den Körper gebundenen Armen in eine Hängematte gelegt und ihr ein Amulet von Zähnen ungehangen. Nachdem sie so 3 Tage ohne Speise und Trank und ohne ein Wort zu sprechen zugebracht hat, wird sie von den Banden , welche die Arme an den Körper befestigen, befreit und in eine Hängematte gelegt , die sie nun einen Monat lang hüten muss, ohne Anderes zu geniessen, als ungekochte Wurzeln, Cassadabrod und Wasser. Am Ende des Monats wiederholen sich diese Operationen, und erst nach Ablauf des dritten Monats ist die Prüfung überstanden. (Schomburgk. ) Bei den in demselben Lande lebenden Macusis - Indianern , auf welche wir später noch zurückkommen, muss nach Power das Mädchen, wenn es nach Beendigung der ersten Menstruation vom Bade zurückkehrt, sich auf einen Stuhl oder Stein stellen, wo es von der Mutter mit dünnen Ruthen gepeitscht wird, ohne einen Schmerzensschrei ausstossen zu dürfen. Bei der zweiten Periode der Menstruation finden diese Geisselungen wieder statt, sonst nicht mehr. Von da an ist das Mädchen sofort heirathsfähig . In Peru begehen die am Ucayale - Strom hausenden Conibos bei solcher Gelegenheit das sogenannte Chenianabiqui- Fest, wobei mit Flöten gespielt und von beiden Geschlechtern getanzt wird ; die jungen Mädchen müssen sich toll und voll trinken und werden einen Tag und eine Nacht lang von den alten Frauen im Tanze herumgedreht, bis sie niedersinken und wie Leichen am Boden liegen. (Marcey. ) Bei den Uaupés haben die Mädchen bei Eintritt der Pubertät, auf kärgliche Kost beschränkt und im oberen Theile der Hütte zurückgehalten, eine Emancipationsprüfung durch schwere Streiche mit schmiegsamen Ranken zu überstehen ; sie empfangen von jedem Familiengliede und Freunde mehrere Hiebe über den ganzen nackten Leib, oft bis zur Ohnmacht, ja bis zum Tode. Diese Operation wird in sechsstündigen Zwischenräumen viermal wiederholt, während sich die Angehörigen dem reichlichen Genusse von Speisen und Getränken überlassen, die zu Prüfende aber nur an den in die Schüsseln getauchten Züchtigungsinstrumenten lecken darf. Hat sie die Prüfungen überstanden, so darf sie alles essen und wird für mannbar erklärt . Das Einwickeln, die Hautverwundungen und das Bemalen der Mädchen bei der Mannbarkeitserklärung kommen bei den Manaos und ihren Stammverwandten, wie auch bei den Tamayos in Süd - Brasilien vor. Unter den Passés übersteht die angehende Jungfrau, in den oberen Raum der Hütte auf die Hängematte verwiesen, ein Monate langes Fasten . Auch die zahmen Tucunas am Amazonas verweisen ebenso wie die Collina und Mauhé die Mädchen in den Rauchfang der Hütte und setzen sie einen Monat lang auf magere Kost ; Bates erfuhr, dass diese Misshandlung in einem Falle den Tod des Opfers herbeiführte. In Paraguay pflegen die Lenguas , die Payaguas und andere Stämme das junge, mannbar werdende Mädchen zu tättowiren, namentlich im Gesicht; auch berichteten 262 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung . Demersay und Dobrizhoffer Gleiches von den Abiponern. (v. Azara.) Die Patagonier feiern den Pubertätseintritt durch Pferdeopfer ( Musters) . Die Chibchas (auch Muistas oder Mozcas) , ein fast ganz untergegangener Volksstamm, der in Neugranada lebte, begingen zu dieser Gelegenheit ein grosses Fest. ( Waitz. ) Unter den Apache- Indianern ist es ein wichtiges Familienfest, zu dem alle Familienglieder eingeladen werden, das beim Eintreten der Mannbarkeit eines Mädchens gefeiert wird. (Spring.) Einige californische Indianer - Stämme, z. B. die Hupa , feiern auch den Reifeeintritt als Fest . Fühlt ein junges Mädchen den Zeitpunkt nahen, so muss sie, wo immer sie sich auch befindet, den väterlichen Wigwam aufsuchen ; bleibt sie diesem fern, so wird sie ausgestossen und gilt fortan als Fremde. Es folgt dem Eintritt der Reife ein langes Fest, der Kin- Alktha oder Jungferntanz : Neun Tage kommen die Männer des Abends zum Tanze zusammen, von dem die Weiber ausgeschlossen sind. Das Mädchen darf unterdessen kein Fleisch essen und sich vor keinem Manne sehen lassen. In der 10. Nacht versteckt es sich in einen Winkel der Hütte. Dann kommen zwei junge Männer und zwei alte Weiber aus ihrer Verwandtschaft, um die Jungfrau zu suchen und abzuholen . Die jungen Burschen stülpen sich eine Maske aus Leder oder Schilf über den Kopf, die an den Seelöwen erinnert, und nehmen das Mädchen in die Mitte ; rechts und links von ihnen stellen sich die alten Frauen auf. So treten die Fünf unter die Versammlung. Das Mädchen schreitet zehn Mal vorwärts und rückwärts, erhebt die Hände zu den Schultern und singt. Das letzte Vorwärtsschreiten endigt mit dem Hochsprung. Darauf begrüsst die Versammlung das junge Geschöpf durch laute Zurufe und die Ceremonie ist beendigt. (Powers. ) -- Die Wintun- Indianer, ein anderer californischer Stamm, veranstalten bei dem Eintritt der Geschlechtsreife eines Mädchens gleichfalls einen „ Reifheitstanz “ , zu welchem die Bewohner der nächsten Dörfer geladen werden. Schon drei Tage vor diesem Feste muss sich das Mädchen jeder animalischen Kost enthalten, sie darf nur Eichelbrei geniessen. Während dieser Fastenzeit ist die Aermste aus dem Lager verbannt in eine entfernt gelegene Hütte. Todesstrafe wird über denjenigen verhängt, der sie während dieser Zeit berührt oder es wagt, sich ihr zu nähern. Nach Ablauf dieser Vorbereitungsfrist nimmt sie eine geweihte Suppe zu sich, die von den Früchten der Buckeye californica bereitet wird, indem aus denselben zuvor durch Einweichen in Wasser das Gift entfernt wurde. Durch das Verzehren dieser Masse macht sich das Mädchen würdig, an dem bevorstehenden Tanze theilzunehmen, sowie die Pflichten einer Frau zu übernehmen. Nunmehr erscheinen die eingeladenen Stämme, indem sie in langen Reihen herbeiziehen und um den Lagerplatz feurige, sinnliche Lieder singen. Sind alle Stämme oder Deputationen derselben versammelt, was 2 bis 3 Tage in Anspruch nimmt, so vereinigen sich Alle zu einem grossen Tanze, der in einem Rundmarsch um das Dorf besteht , während ununterbrochen Chorgesänge erschallen. Zum Schluss der Ceremonie nimmt der Häuptling das Mädchen bei der Hand und tanzt mit ihm die ganze Linie entlang, während die Gäste improvisirte Gesänge anstimmen. Nicht immer sind letztere keusch und unschuldig, bisweilen obscön. Dann kommen auch Gesänge, in welchen jeder Indianer seine eigenen Gefühle ausdrückt, wobei sie seltsamer Weise vollkommen Tact mit einander halten. Die Frauen drücken bei solchen Gelegenheiten keine unkeuschen Gefühle aus. (Powers. ) Bei den alten Mexikanern gab der Vater in wohlgesetzter Rede den jungen Mädchen Ermahnungen auf ihren Lebenspfad mit ; die Sprüche, die hierbei der Ueberlieferung gemäss gesagt wurden, sind höchst beachtenswerth. Dann wurde das Mädchen in einer Tempelschule unterrichtet und aus dieser erst entlassen, wenn es sich verheirathen wollte. Wir sehen hier, wie von dem einfachen Freudenfeste an allmählich die Anschauung sich Bahn bricht, dass das junge Mädchen nun in ihre späteren Frauenpflichten eingeführt und durch besondere Ceremonien eingeweiht werden muss (Süd - Afrikaner u. s. w. ), bis schliesslich bei den Mexikanern, ähnlich wie bei den heutigen civilisirten Völkern, der Zeitpunkt der eingetretenen Reife allerdings auch eine festliche Stimmung veranlasst, welche aber bereits als eine mehr geistige, an die christliche Einsegnung erinnernde, aufgefasst worden ist. 66. Die Menstruirende gilt für unrein. 263 66. Die Menstruirende gilt für unrein. Der regelmässig wiederkehrende Ausfluss von Blut aus den weiblichen Geschlechtstheilen hatte und hat noch jetzt für alle Urvölker nicht allein viel Räthselhaftes, weshalb sich damit in ihrer Vorstellung eine Menge von Irrthümern über das Wesen, den Zweck und die Wirkung dieser natürlichen Function verknüpft, sondern sie legen sich auch in Bezug auf dieselbe, wie wir sehen werden , eine primitive Hygieine zurecht. Das Auffallendste dabei ist die merkwürdige Uebereinstimmung, welche man in letzterer Beziehung unter den Völkern von ganz verschiedener Rasse vorfindet. Diese grosse Uebereinstimmung der Vorstellungen und die strenge Durchführung der von den Urvölkern ziemlich gleichmässig eingeführten hygieinischen Maassregeln könnte wohl zu der Vermuthung Veranlassung geben, dass sich in ihnen die Wirkung des Instincts ausspricht. Die unwillkürliche Zurückhaltung gegen die Menstruirende, die Scheu vor ihr als einer Unreinen", deren Berührung einen Jeden zu beflecken im Stande ist, wird in der That von Manchen als instinctiv gedeutet. Und auch hier sagt man wieder, dass der Instinct ganz richtig und zweckmässig leite, weil man glaubt, dass wirklich die Berührung, insbesondere die Ausübung des Coitus mit einer menstruirenden Frau, einen Nachtheil für die Gesundheit des Mannes habe. Sonderbar genug soll hiernach die Menstruation , welche nach Annahme der meisten Physiologen ziemlich gleichbedeutend mit der Brunst der Thiere ist , eine abstossende Wirkung auf das männliche Geschlecht ausüben, während doch das brünstige Blutaustreten aus den Geschlechtstheilen des weiblichen Thieres eine besondere Anziehungskraft auf das Männchen hat, indem letzteres durch dasselbe herbeigelockt und sexuell aufgeregt wird. Ich möchte im Gegentheil in der Zurückhaltung, die der Mann bei Urvölkern sich freiwillig gegen die menstruirende Frau auferlegt, eine schon mit vollem Bewusstsein , durch gewisse Erfahrungen unterstützte und in Folge einer , wenn auch einfachen Reflexion frei gewählte Handlung erblicken, die in ihrer entschiedenen Durchführung, d. h. in der Ausdehnung, welche ihr viele Nationen geben (indem sie die Frauen noch längere Zeit nach der Menstruation absondern), mindestens keinen Vortheil für die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes mit sich bringt. Dazu kommt noch, dass auch die Frau bei den Naturvölkern zur Zeit der Menstruation eine gewisse Zurückhaltung zu äussern scheint, während das weibliche Thier zur Brunstzeit sich im Gegentheil gerade sehr willig bezeigt. Nach der Meinung vieler Nationen ist es aber nicht allein die Menstruation, sondern auch die Wochenbetts- und die ganze Säugungszeit, also die eigentlichen sexualen Functionen, welche das Weib "unrein" machen. Bei einigen Völkerschaften herrscht sogar der Glaube , dass der Umgang der beiden Geschlechter während der Menstruations- und Wochenbettszeit etwas Giftiges erzeuge. Hiermit ist also gewissermaassen in der Zurückhaltung, die sich in Folge dessen der Mann und manchmal auch die gesammte Umgebung des Weibes auferlegt, eine Erscheinung primitiver Hygieine zur Geltung gekommen. Der Grad der Unreinheit , in welchem sich die Frau während ihrer Periode befindet, ist allerdings je nach der Ansicht der Völker immerhin ein sehr verschiedener. Bei sehr vielen Stämmen Afrikas ist der Glaube an diese Unreinheit verbreitet, jedoch hier gilt sehr häufig der Begriff des Unreinseins nur für den Mann hinsichtlich des Coitus, nicht für Andere hinsichtlich des socialen Umganges. Allein bei vielen anderen Völkern, namentlich 264 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. in Asien , und zwar hier schon in sehr alter Zeit nach religiösen Gesetzen, werden die menstruirenden Frauen abgesondert von aller Welt, man hält sie für allgemein schädlich, man fürchtet gewissermaassen eine Uebertragung des Unreinseins , eine Ansteckung. Wir finden solche strenge Maassregeln, in welchen sich Hygieine und Religion gleichsam begegnen, insbesondere bei den indogermanischen Völkern, den Iranern , ebenso wie bei Semiten, den Juden und Arabern. Dagegen wird ohne irgend welchen Einfluss religiöser Art, nur unter dem Gebote eines alten Volksbrauchs , unter den mongolischen Völkern sowohl die Kalmückin (Sammlung), als auch die Samojedin ( Pallas) für unrein betrachtet und in Absonderung gehalten, wenn sie menstruirt. Dort, wo die Menstruirende nicht eben in einer Art von Haft gehalten wird, ist mitunter wenigstens gebräuchlich, dass sie ein auf ihren Zustand deutendes Abzeichen trägt ; so tragen die Frauen in Angola, so lange ihre Monatszeit dauert , eine Binde um ihr Haupt. Die Woloff- Negerinnen tragen während der Menstruation stets über dem Bubu als Abzeichen ein Schnupftuch oder einen Foulard in schreienden Farben , dreieckig zusammengelegt und leicht über dem Vordertheil der Brust zusammengeknüpft. Dies ist das Merkmal ihres physiologischen Zustandes. (de Rochebrune.) Dagegen gilt jede menstruirende Frau in charakteristischer Weise für tabu , d. h. überhaupt für unberührbar beispielsweise in Neu- Caledonien , und jedes Dorf hat eine eigene Hütte , wo die Weiber ihre Zeit getrennt von jedem Umgange abwarten müssen (de Rochas), eine Absonderung, wie wir sie auch noch bei manchen anderen Völkern finden werden , und ebenso sind, wie wir sehen werden, auf mehreren polynesischen Inseln die Weiber während der Periode 99unrein" und von den Männern getrennt. Bei manchen Völkern ist aber auch die Meinung verbreitet, dass die Menstruationszeit für die Frau selbst gewisse Gefahren hat, zu deren Vorbeugung ihr ein besonderes diätetisches Regime auferlegt wird. Bei einzelnen Völkern wird sie nicht nur abgesondert, sondern auch zu fleissigem Baden angehalten. Durch das Herrschen derartiger Anschauungen wird es für uns wohl verständlich, warum wir bei manchen Stämmen gerade bei dem ersten Eintreten der Menstruation Gebräuche finden, welche uns die Meinung errathen lassen, dass dieselbe in ganz hervorragender Weise verunreinige . Wir sehen daher, wie hier das soeben reif gewordene Mädchen gleichsam ausgestossen wird aus der menschlichen Gesellschaft und wie demselben oft erst nach einem sehr erheblich langen Zeitraume, welcher zu einer selbst extra lang bemessenen Menstruationsperiode in gar keinem Verhältnisse steht, die Rückkehr in die Stammesgemeinschaft gestattet wird , jedoch nur nachdem es eine besonders feierliche Ceremonie der Reinigung hat durchmachen müssen . 99 Ein gutes Beispiel hierfür sind die Mädchen in Cambodja. Von dem Tage an, wo das erste Zeichen ihrer Mannbarkeit erscheint , müssen sie in den Schatten" eintreten . An demselben Abende noch befestigen die Eltern Baumwollfäden um das Handgelenk und bereiten ein vollständiges Opfer für die Ahnen, bestehend in Speisen, Kerzen und Räucherwerk. Das Ereigniss wird den Verstorbenen förmlich kund gethan : „ Unsere Tochter wird mannbar : wir lassen sie in den Schatten eintreten ; schenkt ihr Eure Gunst. " An demselben Tage pflanzen sie eine Banane, deren Früchte nur für das junge Mädchen bestimmt sind, oder von ihr an die Bonzen geschickt werden. Die von den Eltern dem Mädchen für die Zeit der Zurückgezogenheit gegebenen Regeln lauten : Lass Dich vor keinem fremden Manne sehen; schau keinen Mann, selbst nicht verstohlener Weise an; nimm ebenso, wie die Bonzen, Deine Nahrung nur zwischen Sonnenaufgang und Mittag; iss nur Reis, Salz , Kokosnuss, Erbsen, Sesam und Früchte ; enthalte Dich von Fisch und jeglichem .. 66. Die Menstruirende gilt für unrein. 265 Fleisch. Bade Dich nur, wenn die Nacht eingetreten ist , zu einer Stunde, wenn man die Menschen nicht mehr erkennt, damit Du von keinem lebenden Wesen gesehen wirst. " Ueberhaupt darf das Mädchen nicht allein baden, sie wird von ihren Schwestern oder anderen Verwandten begleitet. Sie arbeitet nur im Hause und geht nirgendwo hin, nicht einmal nach der Pagode. Je nach der Lebensstellung und dem Vermögen der Familie ist diese Zurückgezogenheit von längerer oder kürzerer Dauer, sie währt einige Monate bis zu mehreren Jahren; arme Leute beachten sie wenigstens 3 bis 5 Tage lang. Diese Zurückgezogenheit wird während der Finsterniss unterbrochen ; dann steckt das junge, im Schatten" befindliche Mädchen ebenso wie die schwangere Frau ein Betelmesser und den Behälter für den zum Betelkauen nöthigen Kalk in die von den Falten des Langati ( Schurz) gebildete Tasche ; es zündet Lichter und Räucherkerzen an und geht weg, um Rahn (das Ungeheuer, welches die Finsterniss entstehen lässt, indem es die Sterne zwischen den Zähnen schüttelt) anzubeten, auf dass es sein Flehen um Glück erhöre. Darauf kehrt es wieder „ in den Schatten" zurück. Arme Leute, welche keine Mittel zur Anschaffung von Kerzen und Räucherwerk besitzen, lassen das Mädchen , welches hingeht, um Rahn zu verehren, wenigstens die schönsten Kleider anlegen und benutzen die Gelegenheit, um die Tochter, welche gewissermaassen Rahn zum Herrn annimmt, aus der Zurückgezogenheit hervortreten zu lassen. Wohlgestellte Leute erwarten eine günstige Gelegenheit besonders im Januar, Februar oder Mai, um die Ceremonie des Austritts aus dem Schatten zu begehen. Die Bonzen werden gebeten zu erscheinen und ihre Gebete zu wiederholen : das junge Mädchen muss sich vor ihnen in den Staub werfen. Nachbarn und Freunde werden gebeten, dem Feste beizuwohnen. Manchmal werden auch die Zähne des Mädchens dabei gefärbt, anstatt bis zur Heirath damit zu warten. Ebenso wird bei den jungen Männern diese Ceremonie bei der Aufnahme in die Religionsgemeinschaft oder bei der Heirath vorgenommen. Das Verfahren, welches hinsichtlich des jungen Mädchens beobachtet wird, ist folgendes : Ein Achar (ein weiser Mann) breitet ein Stück weissen Baumwollenzeuges aus, legt acht Strohhalme in der Richtung der Himmelsgegenden auf dasselbe , nimmt einen aus Kokosnuss verfertigten Napf und ein Weberschiffchen. Dann geht er in die Scheuer, nimmt dort eben so viel mal Paddie (oder ungedroschenen Reis) , als das Mädchen Jahre zählt, und schüttet denselben auf das Zeug ; wenn das Mädchen also 15 Jahre zählt, füllt er 15 mal den Napf und 15 mal das Schiffchen . In diesen Haufen Paddie versteckt er den Napf, das Schiffchen , einen Bronzebecher und ein kleines Metallschiff ; darüber hin macht er den Paddie gleich und bedeckt ihn mit den Zipfeln des weissen Baumwollenzeuges. Alles dies muss in Abwesenheit des jungen Mädchens geschehen , das danach eingeladen wird, auf diesem gleichgemachten Paddie während der weiteren Dauer der Feierlichkeit Platz zu nehmen. Der Achar murmelt nun Formeln, die den Zähnen Glück bringen sollen . Ein altes Paar, am liebsten Mann und Frau, stampft Lack in einem Mörser, während 7 Knaben, welche Bananenzweige mit Früchten in der Hand halten, mit denen sie das Stampfen im Mörser nachahmen, dabei folgende Worte singen : „Grossvater Kuhê, Grossmutter Kuhê stampft den Lack gut, damit er an den Zähnen hängen bleibt. " Jedesmal wenn das Wort bok = stampfen, gesungen wird, lassen der Mann und die Frau die Stampfer im Takt niederfallen. Wenn der Gesang so oft, wie die Sitte es will , wiederholt ist , hören die Knaben auf, während die alten Leute mit Stampfen fortfahren. Endlich wird der Lack durch ein Stück Musselin geseiht, um nur das feinste Pulver zu gebrauchen. Man schneidet ein Blatt der Kokos- Palme nach der Form des menschlichen Gebisses und umgiebt dieses Blatt mit ein wenig ausgefasertem Baumwollenzeug, welches vorher in den Lack eingetaucht ist . Der Ta Kuhê bietet dieses Packet dem jungen Mädchen an, welches es auf die Zähne legt und bis zum Morgen auf denselben liegen lässt . Es darf nur in Pisang- Blätter spucken, welche in Form eines Spucknapfes zusammengenäht sind. Hierauf fangen die sieben Knaben ihren Umzug aufs Neue an. Um Mitternacht folgt dann die Beschwörung der Waldgeister. Bei dem Hahnenschrei gehen die 7 Theilnehmer an der Procession, welche jetzt mit dem Beinamen Sêh (Pferde) bezeichnet werden, nachdem sie vorher noch einige vom Ta Kuhê hergesagte Poesien angehört haben, in die Nachbarschaft, um Jagd auf die Hühner und Enten der Eingeladenen zu machen. Bei Tagesanbruch geht das junge Mädchen aus dem Hause und betet die aufgehende Sonne an, 266 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. indem es sich dreimal in den Staub wirft. Nach langer und sorgfältiger Vorbereitung macht der Ta Kuhê die Bewegung, als ob er ihr die Zähne mit Hammerschlägen entfernen wollte, und bestreicht sie mit einem an Ort und Stelle bereiteten Russ. Das Mädchen wirft sich dreimal vor einem kleinen Altar nieder, auf welchem die bei häuslichen Festlichkeiten gewöhnlich gebrauchten Gegenstände aufgestellt sind, und kehrt dann in das Haus zurück. Bei allen diesen Festlichkeiten muss es mit einem Haarwulst geschmückt sein, und wenn es aus irgend einem Grunde ( Neuralgie etc. ) kurzes Haar trägt, wie dies in Cambodja gebräuchlich , so muss es sich mit falschen Zöpfen schmücken. (Aymonier. ) Wenn bei den Vedas , einer südindischen Sclavenkaste , sich bei einem jungen Weibe die Menses zum ersten Male einstellen, so wird dasselbe in einer für diesen Zweck erbauten besonderen Hütte untergebracht, in welcher es 5 Tage weilt ; nach Ablauf dieser Frist bezieht es eine andere, halbwegs zwischen jener und der Wohnstätte ihres Mannes belegene Hütte, in der es abermals 5 Tage zubringt. Täglich geht das junge Weib aus, um sich zu waschen. Am 10. Tage aber wird sie von ihrer und ihres Mannes Schwester an das Wasser geführt, sie badet, wäscht ihre Kleider, reibt sich mit Turmeric ein , badet abermals, ölt ihren Körper und kehrt dann (am 10. Tage) mit ihren Begleiterinnen in ihre Wohnung zurück. Dort angekommen , kochen die drei Frauen Reis und verzehren ihn gemeinschaftlich. Während jener Tage der Absonderung darf der Mann in seiner Hütte nur Wurzeln essen, keinen Reis, aus Furcht, vom Teufel umgebracht zu werden; am 9. Tage aber findet ein Fest statt. Der Boden der Hütte wird mit Palmbranntwein besprengt, man ladet Freunde ein und bewirthet sie mit Reis und Branntwein. Die Frau hält sich noch abgesondert in der zweiten Hütte. Am 10. Tage aber muss sich der Gatte aus seiner Wohnung entfernen und darf sie erst wieder betreten, nachdem die Weiber den Reis aufgezehrt haben . Während der nächsten 4 Tage darf der Mann weder Reis im eigenen Hause essen, noch Umgang mit seiner Frau pflegen. Jedes Versehen in dem vorgeschriebenen Ceremoniell wird von den Tschauus (den zu Teufeln gewordenen Geistern gestorbener Vorfahren) streng geahndet ! (Schlagintweit.) Auch bei den Kaders in den Anamally - Bergen in Indien und bei den Badagas im Nilgiri - Gebirge werden die zum ersten Male menstruirenden Mädchen in eine besondere, nur den Weibern zugängliche Hütte verbannt. Bei den letzteren dauert diese Absperrung aber nur drei Tage und findet später nicht mehr statt. Im Anschlusse daran werden die Mädchen tättowirt. (Jagor.) Das zum ersten Male menstruirende Mädchen wird auf der Insel Vaté (Neue Hebriden) abgesondert, weil sie für unrein gilt . In einigen Gegenden der Insel muss sie in einem besonderen Hause verweilen. Ein Mann, der mit einer solchen unreinen Person verkehrt, muss sich wegen der Verunreinigung ceremoniellen Waschungen unterwerfen; thut er es nicht, so werden seine Yams, wie man glaubt, faulig. Die Koljuschen an der Küste der Bering - Strasse haben ebenfalls den Gebrauch der Absperrung der Mädchen zur Zeit der Menstruation, und zu der gleichen Zeit wird die Durchstechung der Unterlippe vorgenommen, um den als Schmuck dienenden Holzklotz in dieselbe einzusetzen. Nach Erman werden sie in Hütten oder 6-8 Fuss hohe, nur mit einem vergitterten Lichtloch versehene Käfige verbannt , nachdem ihre Gesichter mit Russ geschwärzt worden. In jedem dieser Ställe steckt ein Mädchen. Wenjamow giebt an, dass die erste solcher Einsperrungen, die ein Mädchen erlebte, nach altem Gebrauche ein Jahr gedauert habe, und dass sie von der Durchschneidung der Unterlippe und dem mit dieser verbundenen Feste unmittelbar gefolgt wurde. Bei den Sitchaer Koljuschen sei diese Zeit zwar auf 3-6 Monate heruntergesetzt, die sonstigen Ge- bräuche während derselben aber beibehalten. So werde namentlich dem Mädchen während dieser Zeit ein Hut mit sehr breiter Krempe aufgesetzt, damit sie nicht durch ihre Blicke den Himmel verunreinige. Dieselben Vorsichtsmaassregeln werden auf den aleutischen Inseln ebenso streng befolgt, wie auf Sitcha. Bei den Ureinwohnern der Landenge Darien durften die jungen Mädchen (nach Wafer) bei Eintritt der Geschlechtsreife das Haus nicht verlassen und sich keinem Fremden zeigen. Die Absonderung des jungen Mädchens bei dem Eintritt der Reife dauert unter den Indianern der Nordwestküste Amerikas 30 Tage; während dieser Zeit muss es, in einen kleinen Raum des elterlichen Hauses gesperrt, verweilen und erhält von irgend einer weiblichen Verwandten eine nur spärliche Nahrung. Wenn es sich nieder- 66. Die Menstruirende gilt für unrein. 267 legt, so muss ihr der Kopf nach Süden gerichtet sein. Nach Beendigung der Abgeschlossenheit darf sie wieder wie gewöhnlich im Hause wohnen und erhält ein neues Kleid und andere festliche Geschenke von ihrem Vater oder von dem nächsten Verwandten. Gewöhnlich wird sie bald danach verheirathet und bekommt dann ebenfalls von den Eltern Geschenke. (Jacobsen.) Bei den Thlinkiten wurden früher die Mädchen bei beginnender Pubertät in einer Zweig- oder Schneehütte längere Zeit abgesondert, als jetzt, wo die Absperrung selten länger als 3 Monate dauert ; ehemals erstreckte sie sich auf ein Jahr. Nach Ablauf dieser Frist werden die alten Kleider verbrannt, das Mädchen wird von Neuem geschmückt und ein grosses Fest gegeben. Dabei wird ihre Unterlippe durchstochen und in diese Oeffnung anfänglich ein dicker Draht (gegenwärtig ein Silberdraht) oder ein hölzerner Doppelknopf gebracht. Allmählich wird diese Oeffnung nach mehreren Monaten und Jahren immer grösser geschlitzt und die Lippe durch ein in sie gebrachtes ovales oder elliptisches Brettchen oder Schüsselchen immer weiter ausgedehnt, wodurch jede Frau das Ansehen gewinnt, als wenn ein grosser, flacher, hölzerner Suppenlöffel in das Fleisch der Unterlippe eingewachsen wäre. Der äussere Rand dieses Tellerchens ist mit einer Rinne versehen, damit die beträchtlich ausgedehnte Unterlippe desto fester um dieselbe anliegt . Der Teller ist meist 2-3 Zoll breit und höchstens ½ Zoll dick ; bei vornehmen Damen ist er jedoch grösser und Langsdorff sah einen solchen , der 5 Zoll lang und 3 Zoll breit war. (Krause. ) Die Macusis - Indianer in Britisch - Guiana sondern das Mädchen als unrein ab, indem sie seine Hängematte in die Kuppelspitze der Hütte hängen, wo sie dem quälenden Rauche ausgesetzt ist. Dort bleibt das Mädchen mehrere Tage und darf nur Nachts herabkommen ; während der ganzen Zeit des Menstrualflusses muss es streng fasten. Alsdann darf es herabsteigen, muss sich jedoch noch in einen dunklen Platz der Hütte zurückziehen und ihren Cassada-Mehlbrei an einem besonderen Feuer kochen ; nach 10 Tagen wird es selbst , sowie alle von ihm berührten Sachen, von einem Piay ( Zauberer) entzaubert ; die von ihm benutzten Töpfe werden zertrümmert, die Scherben vergraben. In Brasilien sondern die Coroades die jungen Mädchen während der ersten Menstruation von allem Verkehr ab, indem sie diese Zeit in einem von Baumrinde geflochtenen Behälter verbringen müssen. (Burmeister.) An der Loango - Küste bringen die Bafiote - Neger das junge Mädchen in eine abgesonderte Hütte ; dasselbe heisst von diesem Tage an bis zur Hingabe an einen Mann ukumbi oder tschikumbi ; die Töchter weniger bemittelter Leute bewohnen eine gemeinschaftliche Hütte. Hier werden die Jungfrauen von einer Frau, die von den Eltern als Vertrauensperson gewählt worden, unterrichtet ; vielleicht bezieht sich dieser Unterricht auf zukünftige Pflichten ; hier ist übrigens das Mädchen als unrein betrachtet und wird schliesslich gebadet. (Pechuel- Loesche. ) Die Makololo und andere Stämme im Marudse - Mambunda- Reiche am ZambesiSee benachrichtigen, sobald ein Mädchen reif wird, deren Freundinnen, die nun jeden Abend 8 Tage lang zu ihr kommen und sie bis tief in die Nacht hinein mit Tanz unter Castagnetten- Begleitung unterhalten. Ist die Tochter eines Königs zu dieser Zeit schon verlobt , so wird sie von einer weiblichen Verwandten in ein Dickicht geführt, wo sie eine Woche lang von einer Sclavin bedient, ein abgeschiedenes Leben führt ; doch wird sie auch hier von ihren Genossinnen des Abends aufgesucht , die ihr Nahrung hinstellen , ihren Kopf mit Parfüm einreiben und sie mit Ermahnungen und Zureden für den ehelichen Stand vorbereiten , um nach Ablauf der Frist sie ihrem Gemahl zu übergeben. (Holub. ) Der Eintritt der Reife des Mädchens wird im Kuango- Gebiete nach Wolff³ mit grösseren Ceremonien gefeiert, wie an der Meeresküste, zumal in Kabinda. Dort kommt das Mädchen nach ihrer ersten Menstruation in ein kleines Häuschen, das innen vollständig mit roth gefärbtem Zeug ausgeschlagen resp . mit rother Farbe angestrichen ist. Die rothe Farbe macht das Mädchen gewöhnlich selbst, indem sie Rothholz auf einem Stein zerreibt. Sie selbst ist ebenfalls roth bemalt und trägt roth gefärbte Kleider. Das Essen wird ihr von den Anverwandten in die Hütte gebracht. Sie bleibt nun so lange in dem Farbenhaus, bis sie entweder herausgeheirathet wird, oder von den Anverwandten nur das jus primae noctis abgekauft ist ; in diesem Falle bleibt sie dann Mädchen. Man sieht hier auch bisweilen schon längst verheirathete Weiber sich theilweise roth färben, jedenfalls 268 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. um ihren Ehegemahl an die Zeit der ersten Liebe zu erinnern und dadurch in neues Entzücken zu versetzen. Bei den Mádi in Mittel - Afrika ( zwischen Dufilé und Fatiko ) herrscht die Sitte, dass die Mädchen zur Pubertätszeit in abgesonderten Bauten mit ovalen Eingangsöffnungen verharren ; zu ihnen gesellen sich zwanglos alle mannbaren Knaben. Wird ein Mädchen schwanger, so ist ihr bisheriger Gefährte verpflichtet, sie zu heirathen und ihr den üblichen Brautpreis zu erlegen. (Emin Bey.¹) Aehnliches soll Burton von den südlich vom Aequator wohnenden Stämmen berichtet haben. Den alten Griechen sind nach dem Vorgange des Hippokrates die Katamenien nur eine Reinigung (zá apois) , welche um so leichter von statten geht, wenn die Frau geboren hat, weil dann die Venen leichter fliessen. Im heutigen Griechenland wird jede Menstruirende für unrein gehalten. Unter den Christen ist ihr daselbst das Communiciren verboten und sie darf sich nicht erlauben, die Bilder in der Kirche zu küssen. So darf auch eine Israelitin sich während ihrer Menstruation nicht mit Andern an einen Tisch zum Speisen setzen, nicht in die Küche gehen und kein Wasser aus dem Glase trinken , das jemand Anderes benutzen soll . (Damian Georg.) Den israelitischen Frauen hatte Moses während der Menstruation besondere Vorschriften gegeben. Sie mussten sich während ihrer Reinigung sieben Tage entfernt halten, in ihren Gemächern verweilen, weil sie „ tame “ , d . h. unrein waren. Dann mussten sie noch sieben Tage hinzurechnen und hierauf ihre Reinigungsopfer bringen. Der Mann durfte sich während dieser Zeit weder ihrem Bette nähern, noch sie mit der Hand berühren, ohne sich nachher zu waschen ; er wurde für unrein erklärt. Ja sogar ein Jeder, welcher etwas der menstruirenden Frau Angehöriges berührte, wurde dadurch unrein. Auf den ehelichen Umgang aber mit einem Weibe zur Zeit ihrer Reinigung stand Todesstrafe für beide Theile. Nach Beendigung ihrer monatlichen Reinigung mussten die israelitischen Frauen zwei Turteltauben als Opfer darbringen. Später nahmen die Anhänger der Hillel'schen Schule an, dass die Zeit der Verunreinigung einige] Tage vor dem Eintritt der Menstruation beginne, die Anhänger der Schule des Schamai aber mit dem Eintritt der Menstruation, die Rabbinen hingegen bestimmten die Zeit des Beginnens der Verunreinigung 24 Stunden vor dem Eintritt der Menses. Auf Grundlage des mosaischen Religionsgesetzes und der Tradition in Bezug auf die Reinigung der Menstruirten und der Wöchnerinnen besteht die talmudische Vorschrift, dass dieselben zur betreffenden Zeit nach vorherigem Waschen des Körpers ein Tauchbad zu nehmen haben. Dieses kann entweder in Seen, Flüssen oder Quellen, oder auch (was am gewöhnlichsten geschieht) in einem Wasserbehältnisse vorgenommen werden, welches mindestens eine Wassermenge von 40 Sea enthalten muss. Doch darf solches Wasser kein geschöpftes , sondern muss entweder unmittelbar aus der Erde quellendes oder durch Regen angesammeltes Wasser sein. Bei Weill heisst es nach Weissbrodt's Uebersetzung : „ Während der Reinigungszeit trug das jüdische Weib eine besondere Kleidung und nach Ablauf derselben musste es in Gegenwart zweier Weiber, die gewöhnlich von der Gemeinde eigens für dieses Amt bestellt und besoldet wurden, ein Quellwasserbad nehmen, gleichgültig ob es eben Sommer oder Winter war. Die Gereinigte musste dreimal untertauchen, so dass kein Haar trocken blieb. Auch die kleinste Judengemeinde hatte einen Mikwa , d. h. ein Quellbad, welches so eingerichtet war, dass das Wasser zur Winterzeit erwärmt werden konnte. Die Kosten dieses Bades trugen für unbemittelte Frauen die wohlhabenderen Gemeindeglieder. Nachdem das Weib dieses Bad genommen und danach ihre gewöhnliche Kleidung wieder angelegt hatte, erkannte es der Gatte als gereinigt an. " Bis noch vor wenigen Decennien befanden sich diese Frauenbäder sowohl im Auslande als auch bei uns in sehr vielen Gemeinden in einem höchst gesundheitswidrigen Zustande. In grösseren Städten waren sie in den Kellern der Synagoge, in kleineren Orten in Privatkellern, sehr schmutzig, in einem feuchten Loche gelegen, und sie wurden von vielen Frauen benutzt, so dass sich allmählich ein ekelhafter Schlamm am Boden des Wassers ansammelte. Metzger, Friedrich, Drusen, Wunderbar besprachen die sanitätspolizeiliche Seite dieses Gegenstandes. (Picard. ) 66. Die Menstruirende gilt für unrein. 269 99 Unter den Mohamedanern gelten ähnliche religiöse Bräuche in Bezug auf die Menstruation. Im Koran ( Wahl) heisst es : , Trennt Euch von den Weibern zur Zeit der monatlichen Reinigung und nähert Euch ihnen nicht, als bis sie rein sind . " So betrachten denn alle mohamedanischen Völker die Frau während der Menstruation für unrein : in Arabien , Massaua , Aegypten und viele Völker in Ost- und West- Afrika. Ebenso wird in Persien unter den Mohamedanern die Menstruirende für unrein gehalten, allein abgesondert wird sie nicht, wie mir Häntzsche schreibt. Im Orient, insbesondere in der Türkei und Persien , müssen sich die Frauen während der Menstruation sogar dreimal täglich baden. Das Erscheinen der Menses nöthigt die Frau, indem sie dieselbe unrein machen, sich aller religiösen Pflichten zu enthalten. Die Vorstellung, dass jede menstruirende Frau unrein ist , findet sich schon bei den Iranern im grauen Alterthume. Die alten Meder , Baktrer und Perser hatten in dieser Beziehung sehr strenge religiöse Vorschriften. Sobald ein Mädchen oder eine Frau die eintretende Menstruation bemerkte, musste sie sich an einen einsamen, von aller menschlichen Gesellschaft entfernten Ort begeben, wie es auch bis auf diesen Tag Sitte ist unter den Urbewohnern des asiatischen Hochgebirges zwischen Tibet und Indien. Im Zendavesta heisst es, das Mädchen werde unrein durch ihre Zeiten, durch „ Merkmale und Blut". Die Menstruation galt den Iranern als eine Schöpfung der bösen Geister. Es sind also die Frauen während ihrer Regel gewissermaassen in der Gewalt des Bösen; sie sind unrein und wirken verunreinigend auf ihre Umgebung. Darum wurden sie nach Avesta auf einen eigenen Platz gebracht und dort völlig abgeschlossen. Dieser Platz soll mit trockenem Staube beschüttet und von Pflanzen und Kräutern gereinigt werden (noch heute glaubt man in Deutschland , dass eine Menstruirende im Krautfelde das Wachsthum der Pflanzen verderbe) ; er soll höher liegen als das Haus, damit das Auge des Weibes nicht auf das Herdfeuer falle und es verunreinige. Fünfzehn Schritte muss der Ort entfernt sein von den heiligen Elementen Wasser und Feuer, sowie von den zum Opfern gebrauchten Geräthen. Die Männer und alle frommen Menschen durften sich nur auf drei Schritte nähern. Noch jetzt besteht in jedem Perserhause eine solche Aufenthaltsstätte für unreine Frauen. Als normale Zeitdauer der Menses gelten 3 Tage, als äusserste Grenze der neunte Tag ; die Isolirung währt unter gewöhnlichen Verhältnissen 4 Tage. Zeigt sich sogar noch nach 9 Tagen Blut, so wirkten nach der Vorstellung der Iraner böse Geister auf die Frau ein. Sie wurde dann sogar mit 400 Schlägen bestraft und allerlei Reinigungs- Ceremonien mit Wasser und Kuhharn in ihrer Umgebung vorgenommen. Auch mussten zur weiteren Sühnung Ameisen und andere schädliche Thiere erlegt werden. Avesta verbietet ausdrücklich den Männern den ehelichen Verkehr mit menstruirenden Weibern. Erst nach entsprechenden Waschungen durfte die Frau wieder mit Menschen zusammenkommen. (Geiger. ) Pflegt sie während dieser Zeit Umgang mit einem Manne, so bekommt sie 20 Riemenstreiche ; begeht sie dieses Verbrechen zum zweiten Male, so erhält sie 20 Streiche mehr. Der Mann, welcher an diesem Orte mit ihr sich eingelassen, begeht nach Zoroaster ein Verbrechen, für welches es keine Aussöhnung giebt ; er muss dafür bis zur Auferstehung der Todten in der Hölle büssen. Hatte ein Mann mit seiner eigenen Frau den Coitus vollzogen, so wurde er „ Tanafur“ , bekam 200 Riemenstreiche oder musste statt derselben 200 Derecus zahlen . (Alt. ) Die Vorschriften für die Behandlung menstruirender Weiber stimmen bei Zoroaster und Moses fast ganz überein. Das Weib wird an einen abgesonderten Ort gebracht, Alles, was sie berührt, ist unrein. Nach Zoroaster muss sie an diesem Orte 4 Nächte bleiben, dann muss sie sich untersuchen, und wenn sie dann findet, dass die Menstruation noch vorhanden ist, noch 5 Nächte an dem Orte zubringen. Darauf zählt sie noch 9 Tage hinzu, wo sie an dem Orte bleiben muss, lässt sich darauf nach Vorschrift reinigen und darf dann ihre Einsiedelei verlassen und sich in die menschliche Gesellschaft begeben. Die Zahl 9 ist bei Moses auf 7 herabgesetzt. An diesen altpersischen Sitten halten auch noch diejenigen Anhänger Zoroaster's fest, welche einst ( 632) durch die Araber aus Persien vertrieben wurden und sich dann in Indien , namentlich in Bombay, niederliessen : die Parsen. Auch bei ihnen muss sich die menstruirende Frau, weil sie unrein ist, an einen abgesonderten Ort des Hauses begeben: man nennt denselben Daschtan- satan, und legt ihn so an, dass die Sonnenstrahlen keinen Zutritt haben, und Wasser, wie Feuer und Alles, was zum Leben gehört, fern 270 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. bleibt . Ehemals soll es öffentliche Daschtan- satan's gegeben haben ; doch im Laufe der Zeit verminderte sich auch bei dem Volke der Perser diese Barbarei. Während die armen Menstruirenden in ihren Gefängnissen sitzen, dürfen sie mit Niemandem sprechen. Niemand darf ihnen nahe kommen ; das Essen wird ihnen von weitem zugeschoben. Erst zwei Tage nach Ablauf der monatlichen Reinigung ist dem Manne der Verkehr mit dem Weibe wieder gestattet. (Du Perron.) Wie die alten Inder , so pflegen noch heute mehrere Völker Ostindiens die Menstruirenden streng abzusondern ; dies gilt nicht nur bei den noch immer den Geboten Zoroaster's folgenden Völkern, sondern auch von anderen. Aeltere Berichte darüber lauten : „In Ostindien ist es Sitte, dass jedes Mädchen ihren periodischen Blutabgang durch ein mit ihrem Blute gefärbtes Läppchen Leinwand, das am Halse befestigt wird, bekannt macht. " ( Wolf. ) „ So lange die Frauen in Ostindien ihre Reinigung haben, erlaubt man ihnen kaum einen Platz im Hause ; sie halten sich gemeiniglich in einer besonderen , vor dem Hause angebauten Gallerie auf, wohin man ihnen auch das Essen bringt. " (Gentil.) Bei den verschiedenen Kasten scheinen die Vorschriften der Sitten mehr oder weniger streng zu sein. Bei den Nayers in Malabar ist die Menstruirende während der ersten 3 Tage unrein: sie muss in einem besonderen Raume des Hauses weilen und darf kein Koch- oder Speisegeräth berühren. Am 4. Tage badet sie und ist dann bis zum 7. Tage einschliesslich halbrein, darf das Zimmer verlassen, aber noch nicht den Tempel betreten. Die Nayer- Frau sagt in solchen Fällen viitii- durum (fern vom Hause). Verlangt man dann einen Trunk Wasser von ihr, so antwortet sie : ich bin nicht zu Hause. Bei Erbauung eines Nayer- Hauses wird ein besonderer Raum für Wöchnerinnen und menstruirende Frauen bestimmt . In Travancore ist für Ranis (Prinzessinnen) in solchen Umständen ein eigener Palast vorhanden. (Jagor.²) Besondere Formalitäten beobachten bei diesen Gelegenheiten die Hindus , wie aus den Schriften Nittia carma und Padmapurana hervorgeht : „ Sobald eine Frau ihre Regeln bekommt, so wird sie in ein abgesondertes Local gebracht und es darf 3 Tage lang Niemand mit ihr verkehren. Am ersten Tage betrachtet sie sich als eine Paria ( der Autor nimmt an, die Frau sei von höherer Kaste) . Am zweiten Tage hält sie sich in gleicher Weise für unrein, als ob sie einen Brahma getödtet hätte. Am dritten Tage befindet sie sich in einem Zustande , der die Mitte zwischen beiden vorausgegangenen Tagen hat. Am vierten Tage reinigt sie sich durch Abwaschungen und alle die für diese Gelegenheit vorgeschriebenen Ceremonien. Bevor dies geschehen ist, darf sie weder baden, noch irgend einen Theil des Körpers waschen , noch auch weinen. Sie muss sich hüten, Insecten oder irgend ein lebendes Wesen zu tödten. Es ist ihr verboten, ein Pferd oder einen Ochsen oder Elephanten zu besteigen, sich im Palankin tragen zu lassen oder im Wagen zu fahren, ihren Kopf mit Oel zu salben, ein Spiel zu spielen, Wohlgerüche, wie Moschus u. s. w. , an sich zu bringen , auf einem Bett zu liegen , am Tage zu schlafen , die Zähne zu reiben und den Mund auszuspülen. Schon der Wunsch, mit ihrem Ehemanne zu cohabitiren, ist eine grosse Sünde. Sie darf nicht denken an Gott, noch an die Sonne, an die Opfer und Gebete, zu welchen sie verpflichtet ist . Sie soll Personen höheren Ranges nicht begrüssen. Wenn sich mehrere Frauen, die ihre Regel haben, zugleich in einem Gemach befinden, so dürfen sie kein Wort mit einander wechseln, noch sich unter einander berühren. Eine Frau in diesem Zustande kann sich nicht einmal ihren Kindern nähern, es ist ihr versagt, sie anzufassen oder mit ihnen zu spielen. Hat die Frau demgemäss drei Tage zugebracht, so verlässt sie am vierten das Gemach , in dem sie abgeschlossen war, und man übergiebt sie den Wäscherinnen zur Reinigung ; sie zieht ein reines Hemd an, und darüber noch ein zweites, und so führt man sie zum Flusse, um ein Bad zu nehmen . " (Dubois.) Die im Norden Indiens wohnenden Stämme von Ureinwohnern befolgen zum Theil gleichfalls den Brauch der Frauen- Absonderung. Bei den Gauri , einem sanskritsprechenden, nicht dem Zoroaster anhängenden Volke in Bengalen , existirt folgende eigenthümliche Sitte . „ Es begiebt sich jedes Mädchen und jede Frau , sobald sie ihre Zeit bemerkt , schleunigst aus ihrer Wohnung und geht nach einer kleinen auf dem Felde besonders stehenden Hütte, so von Baumästen als ein Korb geflochten ist und vor welcher vorwärts ein langes leinenes Tuch herabhängt, welches als Thür dient. So lange als ihre Menstruation währt, wird ihr alle Tage zu essen gegeben. Wenn die Zeit ver- 66. Die Menstruirende gilt für unrein . 271 flossen ist , schickt sie je nach Umständen dem Priester eine Ziege, ein junges Huhn oder Taube zum Opfer. Nachher geht sie in das Bad und ladet ihre Verwandten zu einem Mahle ein. " ( Tavernier.) Weiterhin in den Gebirgen und Thälern des Hindu - Kush wohnen die KafirStämme, welche die Frauen ebenfalls bei jeder Menstruation in ein besonderes vom Dorfe entfernt stehendes Gebäude sich zurückziehen lassen, weil sie dieselben für unrein halten. Auch hier müssen sich die Weiber zum Schlusse einem religiösen Reinigungsverfahren unterwerfen. Dagegen findet bei den Badag as im Nilgiri - Gebirge die Absonderung der Mädchen nur für das erste Mal des Menstruations- Eintritts statt. (Jagor.) In Siam gilt die Frau zur Zeit der Menstruation für unrein ( nach mündlichen Mittheilungen Schomburgk's). Die menstruirenden Mädchen und Frauen müssen bei den Chewsuren ( im Kaukasus) in entlegenen Hütten als „ unrein“ gesondert leben ; solche aus Schieferplatten hergestellte Häuschen sieht man stets in der Nähe der Chewsurendörfer. Während dieser Zeit müssen die Weiber alte Kleider anziehen . Ist schönes Wetter, so sitzen die Weiber auf dem Dache, und im Sommer leisten sie in der Vertilgung von allerlei wilden Kräutern das Unglaubliche. Abends aber müssen diese „unreinen" Wesen doch die Kühe besorgen, und dann begeben sie sich zur Nacht wieder an den abgesonderten Ort. Der Process der Menses verläuft in normaler Weise, länger als zwei Tage sitzt selten ein ChewsurenWeib in der Samrewlo- Hütte" . ( Radde.) Bevor die Frau wieder ins Dorf kommt, muss sie sich am ganzen Körper waschen. In China tragen die Frauen während ihrer Menses ein als Enveloppe zusammengefaltetes Papier vor den Geschlechtstheilen zwischen den Schenkeln und fangen in dieser Papierdüte das Mentrualblut auf; dabei befestigen sie an einem Gürtel ein Tuch , das zwichen den Schenkeln hindurchgezogen wird und durch welches die Papierdüte an ihrem Platze gehalten wird. Unsere europäischen Damen sind gewöhnt , einfach ein Tuch zwischen den Schenkeln während ihrer Menses zu tragen, allein in China verweigern die eingeborenen Dienerinnen ein solches mit Menstrualblut verunreinigtes Tuch zu waschen ; daher sehen sich die europäischen Frauen in China genöthigt, ebenfalls jene Papierdüte bei der Menstruation zu tragen. (Kailler.) In Japan bestehen ähnliche Vorrichtungen, welche die Frau während der Menstruation benutzt, und an denen sie selbst einen ziemlich genauen Anhaltspunkt über die Menge des Menstrualblutes besitzt . Hierüber konnte Wernich Näheres erfahren . Zunächst wird nämlich statt des gewöhnlich um die Hüfte geschlungenen Tuches eine wohlconstruirte T-Binde angelegt, welche Kama ( „ Pferdchen“) genannt wird. Doch soll dieselbe keineswegs dazu dienen , die Flüssigkeit aufzufangen. Dies geschieht vielmehr auf andere Weise. Die sich der Reinlichkeit befleissigenden orientalischen Völker betrachten bekanntlich jede Verunreinigung mit einem Körpersecret ( Blut-, Eiter- , Nasen- und Bronchialschleim) als eine so starke, dass sie ein derartiges beschmutztes Kleidungs- oder Wäschestück in der Regel nicht mehr an den Leib bringen. Vielfach erwähnt wird die Thatsache bei der Beschreibung der papierenen japanesischen und chinesischen Schnupftücher. In noch höherem Grade gilt das Menstrualexcret als ein unreines, und auch zu seiner Aufsaugung wird Papier verwandt. Die Frauen kneten aus einem der stets (zu verschiedenen Zwecken) in grösserem Vorrath mitgeführten Papierblätter eine etwa knackmandelbis wallnussgrosse Kugel und stopfen sich diese je nach Bedürfniss in die Vagina. Eine Frau, die während der Periode z. B. das Theater besucht, nimmt diese Procedur auf dem Abtritt mehrere Male vor. Sie weiss ziemlich genau, wenn die eingeführte Kugel von Blut durchtränkt ist , und knetet dann eine neue. Auch bei starkem Fluor albus hat Wernich solche Papierkugeln in der Vagina gefunden. Aus der Zahl neun, die während eines Menstrualtages verbraucht wird ( 6 bis 12 Stück), machen die Frauen einen Schluss auf den guten Ablauf der Periode und auf die Reichlichkeit derselben . Diese letztere und eine kurze Dauer gilt vornehmlich für ein Zeichen guter Gesundheit ; weit weniger Gewicht wird auf Consistenz , Farbe und etwaige Beimengungen gelegt. Bezüglich des Verhaltens der Japanerinnen während ihrer Periode gelten, nach Angabe Wernich's, der hierüber Angaben sammelte, als ganz allgemein die Verbote des Badens, des Coitus und anstrengender Arbeit. Auch fürchten sie sehr etwaige Erkältungen, welche sie ganz charakteristisch Shimokase (Wind von unten) nennen. In einzelnen Pro- 272 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. vinzen des Inneren von Japan , speciell in Hida , ist den Frauen während dieser Zeit der Tempelbesuch und das Beten zu den Göttern oder guten Geistern auf das Strengste untersagt ; in anderen müssen sie sogar die ganze Zeit in abgesonderten Gemächern zubringen und dürfen nicht mit ihren Familien zusammen essen. Bemerkt eine Frau das Aufhören des Blutflusses, so nimmt sie ein Bad, zieht andere Kleider an und legt die T- Binde ab. Mit diesen Regeln, sowie mit der Auffassung des ganzen Vorganges werden die jungen Mädchen frühzeitig bekannt, indem sie den Gesprächen der etwas älteren Mädchen und der erwachsenen Frauen zuhören. Wernich glaubt, aus der Erklärung und Ableitung der sämmtlichen Ausdrücke für „ Menstruation" einer Reihe ganz verständiger anderweitiger Auffassungen, aber nirgends der bei uns immer populären zu begegnen, dass die Menstruation ein Reinigungsact sei . So betrachtet also die Japanerin das ausgeflossene Blut als ein höchst unreines vielleicht das unreinste Excret , verräth aber in keinem der geläufigsten Ausdrücke, dass ihr Körper dabei oder dadurch gereinigt werde. Unter den Samojeden gilt das Weib überhaupt als unreines Wesen, wird aber zur Zeit der monatlichen Reinigung am meisten verachtet ; da muss sie gar oft über das Feuer schreiten und mit den Dämpfen von Rennthierhaaren oder Bibergeil sich räuchern : da darf sie keine Speise für Männer bereiten und ihnen gar nichts darreichen . (Pallas.) Auf den aleutischen Inseln dauert die Absperrung für Frauen und Mädchen jedesmal 7 Tage ; sie ist dort durch das Eindringen des Christenthums ziemlich abge- schafft. Bei den Ttynai sah Capitän Sagoskin im Jahre 1842 die menstruirenden Weiber mit schwarzbemalten Gesichtern unter einer ledernen Zeltdecke abgesperrt. Die Koljuschen auf Sitcha sperren nach Erman die Mädchen und die Frauen drei Tage lang ab. Aehnliches finden wir bei den Urvölkern Amerikas sowohl im Süden, als auch im hohen Norden. Die Guayquiries am Orinoco glauben, dass die Menstruation für andere eine vergiftende Wirkung besitze und sie fasten deshalb 40 Tage, damit sie kein Gift mehr enthalten, sondern dies vollständig eintrockne und vergehe. (Gumilla. ) Schon Gili hatte im vorigen Jahrhundert berichtet, dass die Frauen der Indianer am Orinoco während jeder Menstruation fasten müssen. Auch die Frauen anderer Indianervölker Süd - Amerikas , z. B. der Maya's nach v. Azara, sowie der Payagua nach Rengger. müssen bei der Menstruation eine besondere Diät beobachten ; die verheiratheten Frauen der ersteren dürfen überhaupt niemals Fleisch von Kühen und Ochsen geniessen ; während der Menses ernähren sie sich lediglich von Gemüsen und Obst, sie vermeiden zu dieser Zeit Alles was fett ist, denn sie meinen, dass nach dem Genuss von Fett in dieser kritischen Zeit Hörner aus ihrer Stirn wachsen würden. Manche Stämme Süd- Amerikas sondern die Menstruirende ängstlich ab ; es werden ihr besondere Cacanen angewiesen und sie dürfen sich nicht erlauben, irgend etwas anzurühren, was noch gebraucht werden könnte. (La Potherie.) Die Frauen der Indianer Nord - Amerikas beobachten zur Zeit ihrer Menstruation sehr grossen Anstand. In jedem Wohnorte oder Lagerplatze befand sich ein Gebäude, wo sowohl Mädchen als Frauen während jener Periode verweilten und von der übrigen Gesellschaft auf das Strengste gesondert waren. Die Männer vermieden unterdessen alle Berührung mit ihren Weibern; und bei den Nodowessiern hätte man es unter keiner Bedingung gestattet, irgend welche Gegenstände aus dem Orte des Aufenthaltes der menstruirenden Frauen zu holen. (Carver.) Auch die Weiber der CrihIndianer dürfen sich während der monatlichen Reinigung nicht mit den Männern geschlechtlich vermischen. ( Richardson. ) Der Maler Kane, welcher die Ojibeways am Huron - See besuchte, schreibt : „ Zu gewissen bestimmten Zeiten ist den Frauen nicht der geringste Verkehr mit dem übrigen Stamme gestattet, sondern sie müssen eine Hütte nicht weit vom Lager bauen, in der sie bis zu ihrer Genesung völlig abgeschieden leben. " Aehnliche Erscheinungen in Brauch und Sitte gehen durch den ganzen hohen Norden des amerikanischen Continents. Die Indianer am Stuarts - Lake und Fraser- River in Britisch - Amerika scheiden ihre Frauen während ihrer Katamenien vom Stamme ab und legen ihnen auch Speisegebote auf. (Hamilton. ) Und bei den Eingeborenen im Westen der Hudsonsbay, den Athapasken , den Hundsrippen- und Kupfer- Indianern , dürfen die Weiber während dieser Zeit nicht in einem Zelte mit ihren Männern 66. Die Menstruirende gilt für unrein . 273 bleiben, sondern sie kriechen in kleine elende Hütten in einiger Entfernung vom Lager der Horde. Die Weiber benutzen zuweilen diesen Gebrauch, um sich auf einige Zeit der üblen Laune ihres Eheherrn zu entziehen. Unter den Omahas und Ponkas macht die Frau auf vier Tage ein abgesondertes Feuer in einem kleinen Raume, und wohnt getrennt vom übrigen Haushalte. Sie kocht und isst allein und sagt Niemandem etwas von ihrem Unwohlsein, nicht einmal ihrem Ehegatten. Am vierten oder fünften Tage badet sie sich und wäscht ihr Geschirr u. s. w. Dann darf sie in ihren Haushalt zurückkehren. Eine andere, ebenfalls menstruirende Frau darf mit ihr zusammenwohnen. Während der Regel wollen die Männer mit ihren Frauen weder zusammen liegen, noch essen, und sie wollen nicht dieselbe Schüssel, Napf oder Löffel benutzen. Seit über 10 Jahren, wo die Leute mehr mit den Weissen in Berührung kommen, ist die Sitte, nicht von derselben Schüssel zu essen, abgekommen. Auch bei den Eskimos der Nordwestküste Amerikas gelten die Mädchen und Frauen für unrein ; sie dürfen nicht mit den übrigen Hausbewohnern gemeinsam dieselben Speise- und Trinkgefässe benutzen und bedienen sich während dieser Tage besonderer Geschirre. (Jacobsen. ) Der Brauch der Absonderung der Menstruirenden als einer „Unreinen" geht auch durch ganz Afrika. Auf der Westküste verbieten die Ibu- Neger in Old - Calabar der Frau, das Haus zu verlassen ; dieselbe muss auf einer Art Nachtstuhl mit untergestelltem Gefäss sitzen. (Hewan.) Bei den Negern an der Guinea- Küste , sowie an der Zahn- und Elfenbein- Küste (in Issini) hat jedes Dorf eine abgesonderte, an hundert Schritt von der Wohnung entfernte Hütte, „ Burnamon" genannt, in welche sich alle Weiber und Mädchen begeben und sich des Umgangs mit anderen Menschen enthalten müssen, bis die Zeit der Reinigung verflossen ist ; während dieser Zeit wird ihnen der Lebensunterhalt dorthin gebracht. (Loyer. ) Bei den Congo- Negern müssen Menstruirende volle sechs Tage in Abgeschlossenheit leben und dürfen vor Niemandem sich blicken lassen; geschieht hierin ein Versehen, so fangen die sechs Tage von neuem an. Nach Ablauf dieser Zeit muss die Frau mit rother Erde und alsdann durch ein Bad sich reinigen. (Degrandpré.) Unter den Negern der Loango- Küste ( Bafiote) bleibt das menstruirende Weib den Hütten fern , in welchen Männer hausen ; die Frau gilt also während dieser Zeit für unrein. (Pechuel- Loesche. ) Hier wird ein Stoff ( genannt Takulla), welchen ein im Majombe- Gebiet wachsender Baum liefert, zu Pulver verarbeitet und dazu von den Weibern benutzt, sich zur Zeit der Periode roth zu bemalen. Während der Menstruation wird die Reinlichkeit, welche die Bafiote - Neger an der LoangoKüste überhaupt auszeichnet , nicht vernachlässigt ; man wäscht und badet sich ohne Rücksicht zu nehmen auf den jeweiligen Zustand, welcher überhaupt die Betreffenden wenig zu alteriren scheint. (Pechuel- Loesche. ) Auch bei den Aschanti in WestAfrika sondern sich die menstruirenden Weiber von anderen ab. (Bowditsch. ) Dasselbe geschieht unter den weiter im Inneren wohnenden Kalunda- Negern in der südlichen Hälfte des Congo - Beckens ; die Frau des gemeinen Negers wohnt alsdann hier allein in einer besonderen Hütte und darf nicht für Andere Wasser holen oder Speisen bereiten ; die vornehmen Weiber verlassen mit ihrer nächsten Sclaven-Umgebung ihre gewöhnlichen Wohnungen, um in entfernten, einsam gelegenen Wohnungen die Zeit ihrer Reinigung abzuwarten. (Poyge. ) Dieselben Sitten behielten die Neger, welche als Sclaven nach Süd- Amerika übergeführt wurden, und dann wieder ihre Freiheit erhielten , fast unverändert bei. Bei den freien Negern in Surinam müssen die Frauenspersonen während der Dauer ihrer monatlichen Reinigung in einem besonders dazu eingerichteten Hause verweilen. Auf dem Wege in dieses Quarantäne- Haus muss die Frau sich sorgfältig hüten, dass sie keiner ihr etwa begegnenden Mannsperson den Rücken zukehrt, noch weniger darf sie Jemand hinter sich gehen lassen, sondern sie muss, sobald ihr Jemand näher kommt, so lange stehen bleiben, bis die Person vorüber ist . Ereignet es sich, dass ihr auf diesem Wege ein Mann oder eine Frau entgegenkommt, so bleibt sie sogleich stehen und ruft der Person mit ängstlicher Stimme entgegen: mi kay ! mi kay ! ( ich bin unrein ! ) Ihres Mannes Wohnung darf sie nicht eher wieder betreten, als bis Alles vorüber ist. Wenn sie während dieser Zeit aus ihrer Wohnung etwas nöthig oder bei einem Nachbar eine Verrichtung hat, so muss sie an der Hausthür stehen bleiben und das Benöthigte sich herPloss , Das Weib. I. 3. Aufl . 18 274 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. auslangen lassen und sofort wieder vorsichtig nach ihrer Herberge eilen , wie sie denn auch während dieser Zeit mit keiner anderen Frau Umgang haben darf. (Riemer.) Die Mehrzahl der Volksstämme Süd - Afrikas , die Kaffern , Hottentotten und Gonaquas übten, wie Le Vaillant fand, ähnlichen Brauch; derselbe berichtet : „ Wenn bei diesen Völkern eine Frau oder ein Mädchen die Vorboten der Menstruation spürt, so verlässt sie sogleich die Hütte ihres Mannes oder ihrer Eltern und bleibt in einer gewissen Entfernung von dem Wohnplatze der Horde, mit welcher sie alsdann keine weitere Gemeinschaft hat. Gewöhnlich errichtet sie für sich eine Hütte, in welcher sie sich so lange verschlossen hält, bis die Menstruation vorüber und sie durch Bäder gereinigt ist . “ Le Vaillant macht bezüglich des zu dieser Zeit hervortretenden Schamgefühls folgende Bemerkung : „ Da zu solcher Zeit die Kleidung dieser wilden Frau ihren Zustand nur sehr unvollkommen verbergen kann, so würde ein solches Weib dem Spotte der übrigen ausgesetzt sein, wenn man äusserlich die geringste Spur ihrer Krankheit entdeckte : ein dergleichen verspottetes Weib würde alsdann die Zuneigung ihres Mannes oder Liebhabers sogleich verlieren . Man sieht also , dass diese natürliche Schamhaftigkeit lediglich in dem Bewusstsein ihrer Unvollkommenheit und der Furcht zu missfallen gegründet ist. " Le Vaillant hebt schliesslich ausdrücklich hervor, dass in diesem Gebrauche die Bedeutung einer religiösen Ceremonie nicht liege und dass es bloss der Reinlichkeit und des Anstandes wegen eingeführt sei. Von den Kaffern sagte Alberti nur, dass ihre Weiber während der Menstruation von den Männern getrennt bleiben. Von den Hottentottinnen wird auch von mehreren Seiten bestätigt, dass sie sich während ihrer Menses in eine abgesonderte Hütte zurückziehen, und dass sich bei einigen Stämmen die Weiber obendrein ihr Gesicht mit einem brillenförmigen Zeichen zu bemalen pflegen. (Novara. ) An der Ostküste Afrikas bleibt bei den Szuaheli nach Kersten das Mädchen nach der ersten Menstruation 40 Tage lang im Hause; es ist mir nicht bekannt, ob beim weiteren Menstruationseintritt ähnliche Vorkehrungen getroffen werden. Bei den Makololo und anderen Stämmen des MarutseMambunda- Reiches am Zambesi in Afrika wird die verheirathete Frau während der Zeit ihrer Menstruation für unrein gehalten und muss durch 7 Tage ihren Mann meiden ; gewöhnlich muss sie sich in einer Nebenhütte installiren, und dazu dienen namentlich die backofenförmigen Häuser in der Hofumfriedigung der königlichen Weiber. (Holub. ) Die Völker der Südsee glauben ebenfalls an das Unreinsein der Menstruirenden. Auf den Marianen- , Carolinen- , Marshall- und Gilbert - Inseln gelten nach Mertens' Bericht Menstruirende für unrein. Wilson, Nicholas und Andere bestätigen. dass auf fast allen Inseln Polynesiens die Weiber während ihrer Periode unrein und von den Männern getrennt sind. Auf Yap, einer der westlichen Carolinen - Inseln, wird jede Frau während der Menses abgesondert ; sie lebt dann in einer Hütte, die entfernt vom Dorfe ist, einem „ Asyl für Frauen “ ; sie gilt für unrein und darf sich nicht im Dorfe sehen lassen ; dieselbe Hütte wird auch von den Frauen nach der Entbindung als Wohnung für ihre Isolirung benutzt. Dies fand daselbst v. Miklucho- Maclay². Auf der Insel Serang schicken, wie er hörte, die Bergbewohner, die sogenannten Halifuru , ihre Frauen in gleicher Art während dieser Epoche in den Wald. Dagegen berichtet Capitän Schulze: ,.In Ceram befindet sich in jedem Dorfe ein apartes Menstruationshaus, worin alle Frauen die ganze Zeit der Reinigung zubringen und mit den Männern und selbst mit den grösseren Kindern in keine Berührung kommen. “ Auf mehreren Inseln des alfurischen Archipels wird das Menstruationsblut als sehr unrein betrachtet. Die Mädchen und Frauen stecken sich in dieser Zeit Tampons aus weich geklopftem Baumbast in die Scheide, und sie werden während der Regel von den Männern nicht geschlechtlich berührt, auf den Seranglao - Inseln sogar von den Männern gemieden. Sie dürfen kein Feld und keinen Garten besuchen, kein Garn färben und beim Fischen nicht gegenwärtig sein. Auf den Aaru- Inseln dürfen sie nichts pflanzen, kochen oder zubereiten , auch nicht baden oder sich waschen. Von ihren Männern sondern sie sich ab. In Tahiti reibt man die Frauen während der Periode mit Kurkuma ein , das dort als Präservativ gilt . (Mariner. ) In Neuholland gelten bei den Eingeborenen die Weiber während der Periode 7 Tage lang für unrein, und so lange enthalten sich ihrer die Männer; sie wohnen dann in einer abgesonderten Hütte für sich. ( Schürmann. ) 67. Das Unheil, welches die Menstruirende anrichtet. 275 67. Das Unheil, welches die Menstruirende anrichtet. Wir haben soeben kennen gelernt, wie ungemein weite Verbreitung der Glaube gefunden hat, dass die Menstruirende verunreinigt sei und dass sie auch auf andere verunreinigend wirke. Diese Anschauung allein genügte dem Volksglauben aber nicht, sondern derselbe musste zu seiner vollen Befriedigung auch noch über directe Thatsachen verfügen. Und so entwickelte sich allmählich ein reichhaltiges Register von allerhand Schaden und Unheil, von Zauberhaftem und Uebernatürlichem, welches die Menstruirende und namentlich ihr Blut auf Lebende sowohl, als auch auf leblose Gegenstände ausüben sollte. Wir begegnen derartigen Auffassungen vom Alterthum an bis in unsere Tage, und nicht allein rohe und uncivilisirte Völker sind es, die derartiges glauben, sondern auch bei den verschiedensten Nationen Europas hat dieser Glauben Wurzel geschlagen und ist auch heute noch nicht ausgerottet. Von allerlei Unheil berichtet auch Plinius: Rasirmesser rosten nach solcher Berührung, und trächtige Thiere abortiren durch den blossen Anblick einer Menstruirenden. Der Hund, welcher Menstrualblut leckt , soll toll werden, die Früchte sollen verderben und die Pfropfreiser absterben, sobald eine Menstruirende sie berührt ; die Früchte sollen von dem Baume fallen, unter welchen sich eine solche Frau setzt , das Pech soll an einem in Menstrualblut getauchten Faden nicht kleben und der Spiegel soll matt werden . in den eine Menstruirende geblickt hat. Der Most soll sauer werden, wenn sich eine Menstruirende in der Nähe befindet ; ja noch heute glaubt man, wie wir sehen werden, Aehnliches. Im Sidi- Khelil , einem Gesetzbuche der Mohammed aner , heisst es : Derjenige, welcher mit der Absicht, seine Wollust zu befriedigen, seine Frau, während sie ihre Menstruation hat, berührt, verliert die Kraft der geistigen Ruhe. Die Etar - Insulaner vermeiden sorgfältig die Nähe der Hütten , in welchen die Mädchen sich während der Menstruation aufhalten müssen. Denn wer zufällig auf Menstrualblut tritt , der wird im Kriege und in anderen Unternehmungen unglücklich und in jeder Beziehung kraftlos . Auch auf den Watubela- Inseln bringt das Menstrualblut den Männern Unglück. (Riedel ' .) Wie weit rohe Völker in dem Glauben gehen, dass das menstruirende Weib " giftig" sei, zeigt folgendes Beispiel : „ Im Jahre 1870 tödtete ein Australier in der Nähe von Townsville sein Weib, weil es sich zur Zeit der Menstruation in die Decke des Mannes gehüllt hatte und so diesem Schaden brachte. " (Armit.) Bei den Guayquiries am Orinoco herrscht, wie Gumilla berichtet, der Glaube, dass überall da eine Dürre entstehe, wo die menstruirende Frau ihr Wasser hinlässt. Wenn dann ein Mann auf derselben Stelle urinirt, so bekommt er Anschwellungen der Schenkel. Auch die Omahaund Ponka- Indianerinnen richten während ihrer Menstruation Unheil an. Erwachsene Leute fürchten sie nicht , aber Kinder haben Ursache, den Geruch zu fürchten, welchen sie verbreitet . Wenn eins mit ihr isst, bekommt es eine auszehrende Brustkrankheit und seine Lippen verdorren im Umkreise von zwei Zoll . Sein Blut wird schwarz und das Kind muss brechen. Auch in Italien richtet die Menstruirende allerlei Unheil an. In der Provinz Bari in Unteritalien darf sie nicht unter einem Kirschbaum pökeln, weil dieser sonst ausgeht ; ist sie in dem Hause, dann gerinnt die Milch nicht, deshalb schicken sie die Hirten hinaus ; sitzt sie auf einem Wagen, so können denselben die Thiere nicht ziehen , wenn sie nicht 3 Steinchen auf dem Rücken trägt. ( Karusio . ) In den Provinzen Belluno und Treviso lässt sie das Gras verdorren, wo sie hintritt, und vernichtet auch für später jegliche Vegetation, und wenn ein Mann neben ihr schläft, 18* 276 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. so wird er von Kreuzschmerzen befallen, ebenso auch wenn im Waschbottich das Hemd, das er anzieht, gerade unter einem durch Menstruationsblut verunreinigten Wäschestück gelegen hat ; darum packt man die letzteren sorgfältig zu unterst. (Bastanzi. ) Im Mündungsgebiete des Po darf die Menstruirende zu keiner säugenden Frau, weil dieser sonst die Nahrung vergehen würde. (Mazzuchi. ) Die Ansicht, dass die mit ihrem Monatsfluss behaftete Frauensperson schadenbringend sei, finden wir auch in Deutschland weit verbreitet. Schon die heilige Hildegard gab an, dass durch die Anwesenheit solcher Menstruirenden die Pflanzen verwelken, der Wein und Essig umschlage und die eingekochten Früchte und Gemüse schlecht werden. In des getreuen Eckarths unvorsichtiger Hebamme", die im Anfange des 18. Jahrhunderts erschien, steht geschrieben : Dieses ausgeworfene monatliche Blut ist nicht, wie einige vorgeben, ein so gutes Blut, wie es aus denen Adern gelassen wird, oder aus der Nase und Hals gehet, sondern ein scharfes, unreines und gleichsam durch den ganzen Leib ausgesondertes Geblüt, welches durch dergleichen Abstösse, gleich einem Gifft, sowohl Menschen als Vieh und andern Sachen schaden kann. Wo dergleichen Geblüt hinfället, ist es als ein Scheide-Wasser, und lässt in denen Tüchern , auch nach dem genauesten Auswaschen (welches ein ander Blut nicht thut) , einen röthlichen Flecken nach sich , man erfähret , dass ein Spiegel , in welchem eine dergleichen Frauensperson und Jungfer sich bespiegelt, gleich denen Augen runde Circkel- formige Flecke bekommt, welche nicht wieder können abgebracht werden, vornehmlich die von schönem Glase, und mit Zinn und Quecksilber beleget sind . Zuweilen wird man auch auf dem feinen Zinn gleiche Merckmal finden, so will man auch vorgeben, ob solten die Weine, die zu der Zeit von einem Weibsbilde traktirt würden , verfallen und ihre Krafft verliehren. Einige wollen behaupten, dass wenn man ein Haar einem Frauenzimmer zur Zeit dieses Auswurffs ausziehet und in den Mist vergräbet , eine Schlange draus werden soll . Dieses ist gewiss, wann ein dergleichen Mensch eine Wunde beschauet, dieselbe nicht wohl zu heilen ist, und wofern sie im Zorn einen Menschen beisset , und mit denen Zähnen verwundet, gar gefährliche und unheilsame Wunden entstehen. In Candia und Cypern sollen solche Bisse so übel gerathen, dass die Gebissenen ( gleich von tollen Hunden geschehen ) in eine Raserey gerathen, und daran sterben, wie gemeldete Personen denen armen Kindern schaden (welches man das Beschreyen nennt) , ist bekannt , sehen sie darzu in Monden, und beschauen einen Menschen, ist es weit ärger. " (Eckarth. ) Guarinonius giebt den Weibern folgende Verhaltungsregeln während der Menstruation : Die Töchter lass nicht unter d'Leut, noch Hochzeit noch Tantz, Die verehelichten mercken besonders auff ihre Schantz, Damit sie zu wehrender Blumens Zeit Von ihren Männern sich schrauffen weit, Nicht greinen, nicht zürnen, nicht schlagen umb, Sonst schlägt das Gifft in d'Glieder, und werden krumb, Die jungen Kinder nicht viel küssen noch berühren , In der Kuchel die Speiss nicht selbst anrühren, Nicht in die Keller, noch zum Weinfass gehen, In Gärten umb die jungen Bäumblein auch nicht stehen, In keinen reinen Spiegel hinein sehen , Daheymbs still sitzen, dafür nehen, Sich sonsten auch gar wol verwahren, Das leinen Tuch hierinn nicht zu fast sparen, Damit nicht das unwissend Haussgesinde Das Gspor der Kranckheit auf dem Boden finde . In dem Volke sind derartige Anschauungen aber auch heute noch erhalten und zwar gar nicht selten sogar bei den sogenannten gebildeten Ständen. Es darf die Menstruirende nicht in den Keller, weil man glaubt , durch ihre Ausdünstung verderbe der Wein. Betritt im Meininger Oberlande eine menstruirende Frau eine Brauerei, so schlägt das Gebräu um ; von einer solchen Frau Eingemachtes hält sich nicht ; Wein, Essig, Bier, das sie abzieht, verdirbt. (Schleicher. ) Ein solches Weib darf nicht pflanzen 68. Das Menstrualblut als Arznei- und Zaubermittel. 277 und nichts Gepflanztes berühren , sonst geht es ein , wie man in Schlesien meint. (Wuttke. ) Demgemäss irrt Krieger, wenn er sagt: „ Wir begegnen jetzt nicht mehr dem Glauben, dass eine menstruirende Frau durch ihre blosse Gegenwart das Verderben der in Keller oder Vorrathskammern aufbewahrten Milch, des Weins u. s. w. bewirken könne. " Dieser Aberglaube besteht im Gegentheil bei einem nicht geringen Theile des Volkes noch immer. In Schwaben gilt Menstrualblut für Gift. Weiber sollen damit schon öfter ihre Männer vergiftet haben; wo das Blut hinfällt, wächst kein Gras mehr ; der Coitus mit einer Menstruirenden soll Tripper erzeugen. In Schwaben glaubt man aber auch, dass der Schlossbrunnen auf der Dietenburg (bei Erisburg) unreine Weiber reinige, wenn sie sich ihm nahen ; jedesmal überziehe er sich dann auf einige Zeit mit einer rothen Haut. (Buck. ) In der Gegend von Königsberg i . Pr. heisst es nach den Mittheilungen des verstorbenen Hildebrandt, dass, wenn ein Mädchen an ihrem Verlobungstage menstruirt, dies ihr für das ganze Leben Unglück bringt. Die Giftigkeit des Menstrualblutes wurde vor noch nicht so übermässig langer Zeit selbst von den Aerzten vertheidigt. Der Leibarzt des grossen Kurfürsten Baldassar Timaeus von Güldenklee schrieb ein dickes Werk, das von Coschwitz im Jahre 1704 unter dem Titel Timaeanisches ZeugHaus der Gesundheit herausgegeben wurde. Darin heisst es von dem ,,weiblichen Monat- Blut" : Dieses, so es in den Leib genommen wird, machet den Menschen vergessen, stumpffsinnig, Melancholisch, unterweilen gar rasend und unsinnig oder aussätzig. Zum Glück erfahren wir aber auch, wie solch ein schwerer Schaden wieder gut gemacht werden kann : Hiervor gebrauchet man 1 Quintlein Perlen - Pulver in Melissen - Wasser , oder 2 Scrupel von den Trochiscis de vipera , item Bezoar, Theriak. Der Krancke soll offt baden, schwitzen und Melissen- Wein trincken. 68. Das Menstrualblut als Arznei- und Zaubermittel. Von der Anschauung, dass das bei der Menstruation aus den Geschlechtstheilen ausfliessende Blut auf alle möglichen Dinge eine schädliche oder sogar eine giftige Wirkung auszuüben im Stande sei, war es naturgemäss nur ein Schritt zu dem Versuche, ob diese Verderben und Untergang bringende Giftigkeit sich nicht auch an dem Feinde der Menschheit, an der Krankheit, bestätigen würde. Man kam also dazu, das Menstrualblut als Medicament zu benutzen. Es handelte sich hier aber keineswegs allein um Arzneimittel, welche vom Volke nach eigener Initiative heimlich und hinter dem Rücken der Aerzte angeordnet wurden, sondern diese letzteren selbst verordneten es, wie wir in älteren medicinischen Werken finden können. Dem Menstrualblute traute man nach Plinius folgende Heilkräfte zu : durch Bestreichen mit demselben glaubte man Podagra, Kropf, Speicheldrüsenentzündung, Rose, Furunkeln, Wochenbettfieber, den Biss toller Hunde, Epilepsie, Kopfschmerz etc. beseitigen zu können (Abt) . Da aber das Ungewöhnliche, das Absonderliche sich von jeher unter den vom Volke geschätzten Heilmitteln eine hervorragende Stellung erobert hat, so ist es auch in unserem Falle sehr häufig nicht jedes Menstrualblut, dem die heilende Kraft innewohnt, sondern es muss dasjenige sein, welches ein Mädchen als das erste Zeichen ihrer eingetretenen Geschlechtsreife von sich giebt. Die durch dasselbe gefärbte Wäsche getrocknet und mit Rheinwein oder Acetum scilliticum extrahirt , giebt nach Velsch ein Medicament zu 278 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. verschiedenem Gebrauch. Ettmüller gab es innerlich gegen Epilepsie . So auch Andere. Auch gegen den Morbus comitialis ist es gut. Es wurde ebenfalls auch gegen den Stein und als Emenagogum gebraucht ; als letzteres auch in Brod eingeschlossen, ferner zusammen mit Theriak, gegen Tertianfieber. Wird es Jemandem mit Wein beigebracht, so kann er mondsüchtig oder liebestoll, auch wahnsinnig werden. Auch ist es gut „wider das Verschlagen (contractura) der Pferde". Auch äusserlich wurde es gebraucht gegen Blutungen, Metrorrhagien, Erysipelas, Gicht etc. Ausschläge, Muttermäler, Kropf, Augenkrankheiten, Pest, Biss vom tollen Hunde, Würmer, Brand u. s. w. (Schurig¹ .) Aber nicht allein als Medicin im gewöhnlichen Sinne, sondern auch als Amulet und Zaubermittel ist das erste Menstrualblut einer Jungfrau zu gebrauchen, wovon wir später noch zu reden haben. Auch werden wir noch zu besprechen haben, dass es ein wichtiges Ingredienz für Liebestränke abgiebt. Die heilige Hildegard empfahl als ein unfehlbares Mittel gegen den Aussatz die Anwendung von Vollbädern aus Menstrualblut, ein gewiss nicht gerade leicht in der nothwendigen Menge zu beschaffendes Medicament. Sehr wirksam gegen das Podagra, und vor allen Dingen sehr schmerzstillend, sollen Umschläge mit dem warmen Menstrualblute einer Jungfrau sein. In Steiermark glaubt man, dass Warzen verschwinden, welche mit frischem Menstrualblute bestrichen werden, und auch hier sind nach Fossel gegen die Gicht mit Menstrualblut getränkte Leinwandflecke allbekannte Umschläge". In den Provinzen Belluno und Treviso glaubt man, dass solch ein Lappen die Kreuzschmerzen heilt, auch gilt das Menstrualblut hier ebenfalls als Mittel, um die Warzen zu vertreiben. (Bastanzi.) 99 Von dem bayerischen Volke und zwar von den Franken, erzählt uns Lammert noch einige absonderliche Anwendungsweisen des Menstrualblutes, aus welchen so recht deutlich der in der Volksmedicin so weit verbreitete Glaubenssatz similia similibus erkannt werden kann. Wenn einer Person die Regel ausgeblieben ist und sie wünscht deren Eintritt wieder herbeizuführen, so soll sie ein mit frischem Menstrualblute bekleidetes Hemd anziehen, oder sie soll Wasser trinken, in welchem das bei der ersten Menstruation einer unbefleckten Jungfrau geflossene Blut aufgelöst worden ist. Ja sogar schon ein Stückchen Brod in den Mund genommen, das eine gerade menstruirende Frau gekaut hat, soll sofort den Monatsfluss wieder herbeiführen . Das leitet uns schon hinüber zu den Zauberwirkungen, welche die Menstruirenden auszuüben vermögen. Wir werden dieselben im nächstfolgenden Abschnitte näher kennen lernen . 69. Die Menstruation im Volksglauben und im Volksmunde. Ueber den ersten Ursprung der Menstruation begegnen wir bei einigen Völkern sehr eigenthümlichen Anschauungen und Glaubenssätzen , durch welche dieselbe bisweilen mit Gottheiten und Dämonen und mit übernatürlichen Gewalten in Verbindung gebracht wird. So wird z. B. bei den Omaha- Indianern die Menstruation als zu Wakanda gehörig" betrachtet. In der Mythe vom Kaninchen und dem schwarzen Bären warf Mactcinge, das Kaninchen, ein Stück vom schwarzen Bären- Häuptling gegen seine Grossmutter, verwundete sie und veranlasste hierdurch, dass sie die Katamenien bekam. Seit dieser Zeit sind die Weiber damit behaftet. 69. Die Menstruation im Volksglauben und im Volksmunde. 279 Die Iraner hatten die Legende, dass es ursprünglich Dschahi, die Dämonin der Unzucht gewesen sei, an welcher Angra Manja zuerst die Menstruation hervorgerufen habe. Es liegt wohl im Bereiche der Möglichkeit, dass hierfür die Beobachtung nicht ohne Einfluss gewesen ist, dass bei frühzeitigem geschlechtlichem Verkehr vor fertig erlangter Reife die Menstrualblutungen sich früher einzustellen pflegen. Dass auch die Neu- Britannier mit dem Auftreten der Menstruation übernatürliche Gewalten in Verbindung bringen, das beweist eine ihrer phantastischen Holzschnitzereien, die das kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin besitzt. Dieselbe wurde von der Südsee - Expedition der Gazelle mitgebracht. (Fig. 78. ) Eine grotesk geschnitzte weibliche Figur mit deutlich markirtem Munde, breiter, gebogener Nase und sehr grossem Auge, trägt über dem wolligen Haare eine grosse Kopfbedeckung in Form einer Schnecke, deren Windungsspitze die Spitze dieses absonderlichen Hutes bildet. Das sehr grosse Ohr reicht vom äusseren Augenwinkel bis zum unteren Rande des Unterkiefers herab, entwickelt dann aber noch ein grosses Ohrläppchen von der Form eines spitzwinkligen Dreiecks, dessen Spitze die Schulter erreicht. Dasselbe besitzt eine grosse Durchbohrung von ebenfalls dreieckiger Form, welche dem äusseren Umfange des Ohrläppchens congruent ist. Holzgeschnitzte Die Person liegt auf dem Rücken, hat die Arme im Ellenbogengelenke rechtwinklig gebeugt und die Hände umfassen das untere Ende je einer Mamma, welche schmal, lang und in einer stumpfen Spitze auslaufend, in der Form an Gurken erinnernd, von dem Brustkorbe bis zur Grenze des Epigastrium und Mesogastrium herabreichen. Der Bauch tritt spitzig hervor und besitzt einen grossen, convexen Nabel. Die Beine sind in den Hüft- und Kniegelenken leicht gebeugt. Aus den Geschlechtstheilen ragt, die Schamspalte vollständig ausfüllend, ein rothgefärbtes Gebilde hervor, welches man in seiner Form am besten mit einem Apfelsinensegmente vergleichen kann. Dieses Gebilde packt ein Vogel mit seinem grossen, gebogenen Schnabel, als wenn er es aus den Schamtheilen herauszerren wollte. Auf seinen halb vom Körper abgehobenen Flügeln ruhen die Füsse der Frau. Bei diesem Vogel lässt die Form des Kopfes und namentlich eine charakteristische Verdickung auf der Oberseite des Schnabels keinen Zweifel darüber bestehen, dass hier der Künstler den Nashornvogel hat darstellen wollen, welcher in den mystischen Anschauungen der Neu- Britannier eine so hervorragende Rolle spielt. Er ist es hier, der aus den Genitalien des Weibes das Menstruationsblut mit seinem Schnabel herausholt. Die ganze Gruppe ist in der auf Neu- Britannien gebräuchlichen Weise Fig. 78. weibliche Figur aus Neu- Britannien , welcher ein Vogel etwas aus den Ge- schlechtstheilen zieht. (Museum für Völkerkunde in Berlin. ) (Nach Photographie. ) 280 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. Fig. 79. Holzgeschnitzte weibliche Figur auf einer Planke aus NeuGuinea. Ein ( nicht vollständig dargestelltes) Kroko- dil packt den Kopf der weiblichen Figur, währendein zweites Krokodil mit dem Maule etwas aus ihren Geschlechtstheilen zieht. (Museum für Völkerkunde in Berlin. ) ( Nach Photographie. ) weiss, roth und schwarz bemalt ; sie ist von leichtem Holze gefertigt und besitzt eine Länge von ungefähr einem Meter. 99 Von der Neu- Guinea - Compagnie sind dem kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin einige lange Planken mit Holzschnitzereien käuflich überlassen worden, welche aus der Dorfschaft Suam in der Umgebung von Finsch - Hafen auf Neu- Guinea stammen. Sie waren in horizontaler Richtung an einem Hause als Verzierung angebracht, ungefähr 12 m von dem Erdboden entfernt. Dieses Haus diente nach der brieflichen Angabe des Stationsvorstehers Mentzel einem ganz besonderen Zwecke. Es wurden darin junge Mädchen im Alter von 8 bis 12 Jahren von einer Alten bewacht, und war der Eintritt mir wie auch den unverheiratheten Eingeborenen verwehrt. Möglich, dass man es hier mit einer Herberge für Jungfrauen ante menses zu thun hat. Darauf deuten auch die Schnitzereien hin. " Die eine der Planken (VI. 10521) zeigt links ein grosses, fast voll ausgeschnitztes Krokodil, in dessen Schwanz ein flacher, breiter Fisch sich festgebissen hat. Das Krokodil packt mit seinem Maule von oben her den viereckigen, seitlich mit Federn geschmückten Hut einer grotesk geschnitzten kleinen Weibsperson. ( Fig. 79.) Dieselbe hat ein grosses Gesicht mit lang ausgezogenem spitzem Kinn, welches fast bis zu der Magengrube herabreicht. Die Schultern sind hochgezogen und reichen weit an dem Gesichte herauf. An jeder der- selben ist an der Vorderfläche ein kleines Kreisornament angebracht, durch welches ohne Zweifel die Brustwarzen angedeutet werden sollen. Ein etwas grösserer Kreis markirt den Nabel. Die Hände liegen in der Leistengegend, als wollten sie die Schamlippen auseinanderziehen, um die rima pudendi zum Klaffen zu bringen. Die kurzen Beine sind leicht gespreizt und lassen die fingerbreit klaffende Vulva deutlich übersehen. Von rechts her kommt ein zweites Krokodil, an Grösse dem ersten gleich, mit langgestreckter schmaler Schnauze, deren Spitze es in die Vulva der Frau gesteckt hat. Dass dieses wirklich die Schnauze und nicht, wie man bei der Rohheit der Ausführung glauben könnte, der Schwanz des Thieres ist, das wird durch zwei seitlich angebrachte kleine Kreise bewiesen, welche sicherlich die Augen des Thieres vorstellen sollen. Alle Figuren sind weiss, roth und schwarz gefärbt. Das Brett VI. 10523 a, b zeigt eine in Hochrelief geschnitzte, groteske menschliche Figur. Dieselbe hat auf dem Kopfe einen fast quadratischen Hut, von dessen Seiten kurze Federn abgehen. Von der Oberfläche des Hutes aus entwickelt sich nach 69. Die Menstruation im Volksglauben und im Volksmunde. 281 dem Ende der Planke zu ein ganz flach geschnittener sehr hoher Aufsatz, der in seiner Form an einen Fisch mit breitem Schwanze erinnert. Die kurzen Beine der menschlichen Figur sind im Knie leicht gekrümmt und so gestellt, dass man die Genitalien übersehen kann. Die Hände liegen in der Leistengegend, als wollten sie die Besichtigung der Genitalien erleichtern. Letztere sind weiblich, die Schamspalte ist gross und klaffend und aus ihrer der hinteren Commissur benachbarten Abtheilung kriecht ein Thier hervor mit schmalem, rundlichem Leibe , wie derjenige einer Schlange, und mit grossem, breitem, rautenförmigem Kopfe. Von diesem sowohl, wie auch von den oberen Abtheilungen des Schlangenleibes gehen flache, seitliche Fortsätze aus, welche an Federn oder an Fischflossen erinnern. (Fig. 80.) Während dieses alles in der Längsrichtung der Planke liegt, wird die Mitte derselben durch eine quergestellte kleine ebenfalls weibliche Figur einge- nommen. Dieselbe hat die in der Hüfte und im Knie ad maximum flactirten Beine vollständig nach den Seiten gekehrt, so dass die Fusssohlen mit dem Sitzknorren in gleicher Linie liegen und dass der Kopf sich zwischen den Knieen befindet. Die Vulva ist klaffend dargestellt und aus derselben kommt ein roth gefärbter Gegenstand von rhombischer Gestalt hervor. Der andere Seitentheil der Planke wird von einer wieder in der Längsrichtung angebrachten Reliefdarstellung eingenommen, welche fast vollständig das Gegenbild der auf der ersten Hälfte befindlichen ist. Es ist eine weibliche Gestalt mit klaffender Vulva, aus welcher gegen die Mitte der Planke hin ein schlangenartiges Wesen mit grossem rhombischen Kopfe kriecht. Die Hände der Frau ruhen auf der obersten Abtheilung der vorderen Oberschenkelfläche ; der Kopf trägt den quadratischen Hut und von diesem aus entwickelt sich der hohe, flache Aufsatz, der an einen grossen Fisch mit breiter Schwanzflosse erinnert. Auf dem Brett VI. 10522 befindet sich links. ein grosser flach geschnittener Fischleib, wie wir ihn auf der vorigen Planke auf den quadratischen Hüten sahen. Er entspringt hier aber nicht von solchem Hut, sondern er steht in der Concavität eines grossen Halbmondes, an dessen Convexität zwei Menschenköpfe neben einander hängen. Die Mitte der Planke Fig. 80. Holzgeschnitzte nimmt ein kleiner, in hohem Relief geschnittener Mensch ein, mit breitem Kopf und langausgezogenem Untergesicht. Von dem Kopfe stehen seitlich radiär kleine Federn ab und von dem Scheitel gehen zwei sehr grosse Federn (ähnlich den Schwanzfedern des Leiervogels) gerade nach oben mit leicht eingerollter weibliche Figur auf einer Planke aus Neu- Guinea. Aus den Geschlechtstheilen einer Frau kriecht eine Schlange hervor. (Museum für Völkerkunde in Berlin. ) (Nach Photographie ) 282 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. Spitze. Einen Körper besitzt diese kleine Menschengestalt eigentlich überhaupt nicht, die Beine sitzen gleich am Kopfe ; sie stehen aus einander, aber von den Genitalien findet sich keine Andeutung. An der Stelle, wo diese sitzen müssten, kriecht aus der Vereinigungsstelle der Oberschenkel in der Mittellinie eine kleine rundliche Schlange mit abgesetztem, schmalem Kopfe hervor. Oberflächlich betrachtet, könnte man diese auch für einen Penis ansehen. Da jedoch ein Hodensack fehlt und da bei den anderen menschlichen Gestalten an der analogen Stelle Schlangen aus dem Leibe hervorkriechen, die in ähnlicher Weise dargestellt sind, so muss auch mit grösster Wahrscheinlichkeit dieses Gebilde als Schlange und nicht als Penis geFig. 81. 解 Holzgeschnitzte weibliche Figur. Relief von einer Planke aus der Gegend von Finsch - Hafen , Neu - Guinea. (Museum für Völkerkunde in Berlin. ) (Nach Photographie.) deutet werden. Der rechte Theil der Planke wird wieder durch eine ganz ähnliche Darstellung eingenommen, wie wir sie bereits auf den beiden Seitentheilen der vorigen Planke kennen gelernt haben. Eine groteske, in hohem Relief geschnitzte Frau hat auf ihrem nach dem lateralen Ende hingerichteten Kopfe einen quadratischen Hut mit seitlich abgehenden Federn. Auf dem letzteren befindet sich wiederum der grosse, flach geschnitzte Aufsatz in Gestalt eines Fischleibes. Die Hände der Frau liegen oben auf den etwas auseinanderstehenden Schenkeln, zwischen denen sich eine grosse, klaffende Vulva befindet. Aus dieser und zwar aus ihrer hintersten Abtheilung kriecht eine Schlange hervor mit schmalem, rundlichem Leibe und breitem, rautenförmigem Kopfe, von dem seitlich ganz flach geschnitzte federartige Gebilde abgehen. Innerhalb der Vulva scheint vom Schlangenleibe noch nach oben etwas in die Höhe zu gehen, so dass diese Stelle auch an eine Haifischschwanzflosse erinnert. Die für das junge Mädchen oft zuerst so überraschende und beängstigende Menstrualblutung, welche auch später immer noch das Schamgefühl wachruft, hat im Laufe der Zeiten und bei verschiedenen Volksstämmen mancherlei umschreibende Bezeichnungen hervorgerufen. Bei den Nagers in Malabar heisst das von einer Prinzessin während dieser Zeit ausgeschiedene Blut tirrapickerdu, das bedeutet heilige Blüthen. Bei den Japanerinnen sind mehrere Ausdrücke für die Menstruation in Gebrauch: 69. Die Menstruation im Volksglauben und im Volksmunde. 283 Der gewöhnlichste ist „ Gek-ke", was einfach monatliche Regel bedeutet. „ Mengori" oder „ Megori“ , das demnächst gebräuchlichste, etwas feinere Wort ist wörtlich Cirkeltour oder dasjenige, was regelmässig wiederkehrt. „ Akane Son-ke" (ein etwas ordinärer, vielfach in Volksliedern und Witzen gebrauchter Ausdruck) heisst „ Rothfärbung" ; „ Geschin" heisst monatliche Botschaft oder Verkündigung, und „ Jakh " heisst einfach : Pflicht. Die beiden letzten sind schon etwas ungebräuchlichere Bezeichnungen. Das erste Eintreten der Menstruation wird, wie wir schon sahen, von den Xosa- Kaffern als das Aufknospen der Blume bezeichnet. (Kropf.) Der Serbe nennt sie die weibliche Blüthe. Bei unseren Landsmänninnen ist der gebräuchlichste Ausdruck die Regel. Aber auch das Unwohlsein , die Periode , das Blut , die monatliche Reinigung hört man die Menstruation sehr häufig bezeichnen. Die Bibel spricht an verschiedenen Stellen von der Weiber Weise , der Weiber gewöhnliche Zeit , der Weiber Absonderung und der Weiber Krankheit, Die Steyermärkerinnen bezeichnen , wie Fossel angiebt, die Menstruation mit den Namen Monat , Zeit, G'schicht , Sach ' , Periode , rother König. Der letztere Ausdruck ist bekanntlich auch in Norddeutschland gebräuchlich, aber nur in den allerniedrigsten Schichten der Bevölkerung. Die Ausdrücke Periode , Sache, Geschichte , Zeit benutzen nach Lammert auch die Leute in Bayern. Sehr erfinderisch in poetischen Umschreibungen war man in den früheren Jahrhunderten in Deutschland: Die Blume , die monatliche Blume, oder Blüthe , die monatliche weibliche Blödigkeit sind. Ausdrücke, denen man in älteren Schriften öfter begegnet. Guarinonius sagt auch, das Mägdlein zeitigt. Velsch nannte das erste Menstrualblut einer Jungfrau den Zenith. Der getreue Eckarth spricht von der Rosenblüt oder von den rothen Amaranthen, Schurig in seiner Parthenologia vom Rosenkrantz. Der Letztere führt als volksthümliche Bezeichnungen auch ferner noch an die böse Sieben oder ich habe Briefe erhalten, der Vetter oder die Frau Muhme ist gekommen. " Interessant ist ein Aberglauben , welchen die heilige Hildegardis anführt ; danach vermag ein mit dem Menstrualblute beflecktes Hemd, in die Flammen geworfen, eine Feuersbrunst zu löschen , auch macht solch Hemde, auf dem Leibe getragen, unverwundbar gegen Hieb und Stich. In Schwaben gebraucht man noch nach heutigem Aberglauben zum Schmieden allzeit siegreicher Waffen das Menstrualblut einer reinen Jungfrau , sowie das Hemd, in dem sie ihre Periode gehabt hat. Zur Zeit des Plinius glaubte man, dass eine Menstruirende Sturm und Hagel vertreiben könne ; befinde sich eine menstruirende Frau auf einem mit den Wogen und dem Orkan kämpfenden Schiffe, so werde dasselbe gerettet. Alle Insecten sollen von den Bäumen fallen, wenn sich denselben eine Menstruirende entkleidet nähert. So vertrieb man die Canthariden in Kappadocien nach Metrodorus Scepsius, indem eine Frau mit bis an die Lenden aufgehobenen Kleidern, oder auch nur mit blossen Füssen, gelöstem Gürtel und flatterndem Haar durch das Feld ging ; doch musste nach Plinius diese Ceremonie vor Sonnenaufgang geschehen, da sonst die Saat verderben würde, denn auch junge Weinstöcke, Raute und Epheu verkümmern, sobald sie von einer Menstruirenden berührt werden. Daniel Becker erzählt, dass, wenn man im Felde ein mit dem ersten Menstruationsblute beflecktes Tuch an einen Stock heftet, an dieser Stelle die Hasen so zusammenlaufen, dass man sie leicht schiessen und selbst mit den Händen greifen kann. 284 XI. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung. Die in Judäa wachsende fabelhafte Pflanze Barbaras, deren Berührung den Menschen tödtet, kann nur dadurch unschädlich gemacht werden, dass man sie mit der Wurzel ausreisst. Dieses ist aber unmöglich, wenn man sie nicht vorher mit Menstruationsblut oder mit Frauenurin begiesst. (Valentino Andrea Moellenbroccio.) Wir lesen ferner in des getreuen Eckarth's unvorsichtiger Heb- Amme: " So scheinet es doch, als wenn das Menstruum virginis primum vor andern einen Vorzug habe, wiewohl manche es allzuweit in ihren Tugenden exaltiren , und ausbreiten wollen, dannenhero ich allen Eltern rathe, dass sie das erste Geblüte, welches von ihren Töchtern ausgehet, wol in obacht nehmen, denn wofern ein bosshafftiges etwas davon habhafft würde, kan es der Person von der solches gegangen ist, schaden. Die alten Gothen und Finnen , als auch Lappländer , gebrauchten sich desselben entgegen der Zauberey in ihren Schifffahrten , dann wann ein Schiff an seinem Gange durch Zauberey verhindert wurde, nahmen sie ein solch Flecklein, machten es feuchte, und bestrichen damit die obersten Theile der Umgänge, womit die Zauberey wiche. Ein Mägdlein, die von ihrem eigenen Menstruo primo ein beflecktes Stücklein mit ein Wenig Farrenkraut Wurzel in ein Tüchlein eingenehet am Halse träget, wird nicht leichtlich von bösen Leuten angetastet werden. " Es bringt auch, auf dem blossen Leibe getragen, Glück im Spiel, und Sieg im Kampfe, mit warmem Essig heilt es die Rose, es dämpft das Feuer und heilt in das Trinkwasser gethan verschlagene Pferde und Schweine und Hunde, wenn sie finnigt und schäbigt seyn" . Jedoch ist es am wirksamsten , wenn ein Sohn von seiner leiblichen Mutter das primum menstruum zu einem Angehencke haben kann“ . „ In Italien und andern Orten pflegen einige Leute diese mit dem primo menstruo befleckte Tücher zu verkauffen, weil man aber des Vortheils halben, da es wol von andern oder mehren mal kan genommen seyn, des rechten nicht gewiss seyn kan, ist nicht wol zu trauen. Weswegen am besten, dass man von redlichen Leuten solches zu bekommen sich bemühe. Vorsichtige Eltern aber sollen sich wol in acht nehmen und zusehen , wem sie es geben, denn mit selbigem man per magnetismum ihnen grossen Schaden und Unfug zu- richten kan. " "2 Wir können diesen Abschnitt nicht schliessen , ohne noch einer absonderlichen abergläubischen Anschauung zu gedenken , welche wir in fast übereinstimmender Form wiederum bei zwei weit von einander wohnenden Völkerschaften finden . In Portugal nämlich existirt nach Reys Angabe der Glaube, dass die Frauen, wenn sie von ihrer Menstruation befallen sind, von den Eidechsen gebissen werden, und um sich vor dieser Gefahr zu schützen , sollen sie, so lange der betreffende Zustand andauert, Hosen zu tragen pflegen. Ganz etwas Achnliches nun vernehmen wir durch Schomburgk von den Macusis - Indianern in Britisch Guiana. Bei ihnen dürfen die menstruirenden Frauen und Mädchen den Wald nicht betreten, weil sie sonst den verliebten Angriffen der Schlangen ausgesetzt sein würden. Sollte in diesen beiden Fällen nicht eine ursprüngliche, uralte mystische Anschauung zu Grunde liegen, ganz ähnlich derjenigen, welche uns die weiter oben beschriebenen plastischen Darstellungen von Neu- Britannien und Neu- Guinea vorgeführt haben? Dem Herausgeber möchte es scheinen, als ob es sich hier um den Glauben handelt, dass ursprünglich bei dem ersten Weibe die Menstrualblutung durch ein Thier verursacht worden sei, welches dem Mädchen eine Bisswunde an den Geschlechtstheilen beigebracht habe. Nur über die Thierspecies schwanken die Ansichten. In Portugal war es die Eidechse, in Neu- Guinea das Krokodil, in Guiana die Schlange und in Neu- Britannien der Nashornvogel. Dass dieser Biss nicht ein eigentlich feindseliger Angriff war, sondern dass er mehr in erotischer, verliebter Ekstase ausgeführt wurde, das mag vielleicht aus den Besorgnissen der Macusis - Indianerinnen hervorgehen. 69. Die Menstruation im Volksglauben und im Volksmunde. 285 Jedenfalls verdient es aber noch hervorgehoben zu werden, dass wir die Schlange nicht allein bei den Indianern in Guiana als zu der Menstruation in Beziehung stehend vorfinden, denn wir haben ja auch auf den sculptirten Planken aus Neu- Guinea Schlangen aus den Genitalien der Weiber hervorkriechen sehen. Aber auch bei den Basutho in NordTransvaal sahen wir, dass die zu der Koma vereinigten halbreifen Mädchen um eine aus Lehm gebildete Schlange tanzen müssen, und selbst in Deutschland glaubte man im 18. Jahrhundert, wie wir berichtet haben, dass ein der Menstruirenden ausgerissenes und in den Mist vergrabenes Haar sich in eine Schlange umwandele. Warum es immer die Schlange ist, vermögen wir heut noch nicht in befriedigender Weise aufzuklären. XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. 70. Die Beziehungen des Weibes zum männlichen Geschlecht. Je höher ein Volk in der Cultur steht, um so geistiger und sittenreiner ist das Band, welches beide Geschlechter mit einander verknüpft. Bei den rohesten Völkern ist das Verhältniss ein sinnliches und es kommen da fast bloss die Triebe zur Geltung, die auch beim Thiere eine bald länger, bald kürzer dauernde Verbindung zwischen den Geschlechtern herstellen. Dann kann uns aber auch nicht auffallend erscheinen, wenn dergleichen Völker ruhig gestatten, dass schon bei Kindern der kaum erwachende Trieb mit einer Freiheit befriedigt wird, die wir selbst als freche Unzucht bezeichnen, die von den Erwachsenen dort aber als „ Spielen" aufgefasst wird. Eine Zurückhaltung von beiden Seiten gebietet die herrschende Sitte bei Culturvölkern, denen noch nicht durch Uebercultur die Ethik abhanden gekommen ist ; dagegen begegnen sich mit der naivsten Hingebung Knaben und Mädchen unter vielen Naturvölkern. Auf Madagascar stören und hindern nach Audebert die Eltern ihre Kinder nicht ; und bei den Basuthos in Süd- Afrika giebt es nach Missionar Grützner neben der sanctionirten Hurerei eine heimliche, welche die kleinsten Kinder treiben, und wobei die Knaben den Mädchen Perlen, Messingdraht etc. als Hurenlohn geben ; die durch Brauch sanctionirte aber besteht darin, dass ein Bräutigam mit einem Genossen vor Abschluss der Verheirathung im Kraale seiner Braut zwei bis drei Monate lang ein Heidenleben führen darf. Von dieser untersten Sprosse kann man die Stufenleiter bis zu derjenigen Höhe der civilisirten Zustände verfolgen, wo sich zwischen Jüngling und Mädchen, Mann und Frau das reine Gefühl der Liebe und Achtung herstellt, und wo die Würde der Frauen in ihr moralisches Recht eingetreten ist. Bei der culturgeschichtlichen Betrachtung der Verhältnisse, die wir im sittlichen Verhalten der Völker vorfinden, müssen wir uns vor allem frei halten von der Neigung, jede Erscheinung von unserem eigenen Bildungszustande aus in einer Färbung zu betrachten, die unsere Beurtheilung durch falsche Beleuchtung auf Irrwege führen würde. Unser subjectives Gefallen oder Missfallen giebt uns gar zu leicht eine schiefe Stellung zur Sache. Vielmehr ist uns auf dem Gebiete, das wir nunmehr betreten, vorzugsweise eine ganz objective Auffassung geboten . Das geschichtlich Gewordene zunächst festzustellen, und dann der Entwickelung so vieler Erscheinungen im Menschen- und Völkerleben nachzugehen, ist unsere Aufgabe. Hier gilt es zunächst, die Frage aufzuwerfen, ob gewisse Begriffe, die wir uns bei unserem Bildungsgrade vom Weiblichen in ethischer Hinsicht 71. Die Schamhaftigkeit des Weibes. 287 geschaffen haben, eingepflanzt sind schon in das ursprüngliche Gefühl und Denken des Menschen ? Liegen und lagen die Begriffe der Schamhaftigkeit , der Keuschheit und die Werthschätzung der Jungfräulichkeit schon vorgebildet in der Psyche des Menschen, und wie kommen diese Begriffe dort, wo sie oder wenigstens Spuren von ihnen bei Naturvölkern in die Erscheinung treten, in bestimmter Form und Gestalt zum Ausdruck? Wie haben sich solche Begriffe dann mit der Gesittung weiter entwickelt, oder wie sind sie später wieder verwischt worden ? Dies Alles sind Fragen der Ethik und Culturgeschichte, die uns im Folgenden beschäftigen werden. Wie hat sich dann in physisch-ethnologischer Hinsicht das sexuelle Verhältniss des Weibes zum Manne in seinen verschiedenen Nüancen bei den Urvölkern gezeigt ? Sind die Thatsachen, welche man über die Ausübung des Coitus bei den Völkern erörterte, dazu angethan, dass wir annehmen müssen, ein instinctives Gefühl habe überall die Menschen bei so animalen Functionen auf ein bestimmtes Gebahren hingewiesen, oder es habe sich auch hier Sitte und Brauch schon überall der Sache bemächtigt ? Ist ferner das angeborene ethische Gefühl im Menschen mächtig genug, die sogenannten „ Wilden" von geschlechtlichen Verirrungen des Weibes abzuhalten ? Welche Verirrungen kommen in dieser Hinsicht bei den jetzigen Naturvölkern vor ? War die Prostitution , als sie im Leben des Menschen auftrat, sogleich als sittlich-verwerflicher Begriff aufgefasst worden, oder war sie schon längst vorhanden, d. h. gab es einst in den Urzuständen des Menschengeschlechts einen allgemeinen, durch keine ethischen Schranken eingedämmten Hetäris mus? War dieser Hetärismus, mit dem sich die Mutterfolge und das Mutterrecht entwickelte, die Vorstufe zur Ehe? Wie tritt dann der Begriff der Liebe auf, und in welcher Weise übt das Weib bewusst oder unbewusst einen Liebeszauber aus ? Welche Typen des ehelichen Lebens finden wir unter den Völkern der Erde, und welche dieser Typen sind als die primitiven zu betrachten ? Haben sich bei der Ehe gewisse Bräuche, wie das Jus primae noctis , eingestellt und als traditionelle Ueberlieferungen aus der Vorzeit erhalten und welche geschichtlichen Thatsachen liegen solchen Bräuchen zu Grunde? Wie hat die Sitte, das Klima und die Lebensweise das Heirathsalter des Mädchens bei den verschiedenen Völkern beeinflusst ? Welche Begriffe von der Zeugung , Befruchtung und Empfängniss finden wir bei den Völkern vor? Und wie haben schliesslich sociale Zustände und klimatische Verhältnisse auf die Empfängniss des Weibes eingewirkt? Dies Alles sind Fragen, die noch keineswegs definitiv beantwortet werden können, für deren Lösung wir aber einiges Material in Folgendem beizubringen versuchen werden. 71. Die Schamhaftigkeit des Weibes. Ein dunkles Gesammtbewusstsein hat, wie der Psycholog Lotze bemerkt, in der beginnenden sittlichen Ausbildung die verschiedenen Arten der Scham erzeugt, durch die das menschliche Geschlecht überall die Naturbasis seines geistigen Daseins zu verhüllen sucht, und da am meisten, wo sie zu den zartesten und geistigsten Gütern der Liebe und des Lebens die allersinnlichste Vermittelung bildet. " Die Beobachtung der Naturvölker 288 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. hat zuweilen eine rücksichtsvolle Zartheit und Keuschheit des Benehmens, viel öfter aber eine thierische Rückhaltslosigkeit in der Befriedigung aller sinnlichen Bedürfnisse bemerken lassen. Lotze hält es für sehr zweifelhaft, welches von beiden wir als ursprünglich, welches als Ergebniss entweder einer schon begonnenen Cultur oder einer fast vollendeten Verwilderung betrachten, oder ob wir die Unterschiede der Völker in dieser Beziehung überhaupt auf Eigenthümlichkeiten nicht allgemein menschlicher Stammnaturelle zurückführen müssen. Wir meinen, dass das Gefühl der Schamhaftigkeit doch wohl im Allgemeinen als erster Grad sittlicher Regung aufzufassen ist , die in den Menschen erst einzieht , sobald er sich von dem Zustande thierischer Rücksichtslosigkeit zu entfernen beginnt , und sobald sich im socialen Verkehr eine Vorstellung über conventionellen Anstand ethisch entwickelt hat. 99 Der ursprüngliche Keim zur Erzeugung der Sitten ist ein sittliches Gefühl, seine Grundform das der Billigung und des Tadels. So ungefähr hat Lazarus in seinem Leben der Seele" die Entstehung der Sitten bezeichnet, die dort beginnen, wo der Instinct aufhört. Das sittliche Gefühl der Scham ist gewiss ein sehr primitives ; es wird wohl in seiner einfachsten Gestalt (Verbergung gewisser Körpertheile) durch die Voraussetzung eines Tadels und Vorwurfs seitens der Freunde und Verwandten erzeugt , falls man die Theile oder Handlungen den Blicken Anderer aussetzt. - „Die Achtung vor sich selbst, " so sagt gewiss sehr richtig de Quatrefages, „findet wohl den entschiedensten Ausdruck im Gefühle der Schamhaftigkeit und im Ehrgefühle. Auch bei den Wilden finden wir diese beiden Gefühle. Die Schamhaftigkeit tritt jedoch bei den Wilden nicht selten in besonderen Gebräuchen und Handlungen hervor, die das gerade Gegentheil der unsrigen sind, oder überhaupt mit unseren Gebräuchen nichts zu schaffen haben. Dadurch sind Missverständnisse veranlasst worden, und so hat man z. B. ein gewisses Benehmen , wodurch bei manchen Polynesiern nur ein ursprüngliches Schamgefühl zum Ausdruck gelangen soll, als die Aeusserung raffinirter schamloser Sinnlichkeit deuten wollen. " Fragen wir nun , ob es Menschen und Völker ohne alles Schamgefühl giebt und welche Rolle dabei das weibliche Geschlecht spielt. Eine eingehende Betrachtung dieser Angelegenheit finden wir bei Peschel, welcher zu dem Schlusse gelangt: Brauch und Sitte entscheiden über Verstattetes und Anstössiges, und erst nachdem sich eine Ansicht befestigt hat, wird irgend ein Verstoss zu einer verwerflichen Handlung. Das Schamgefühl hat sich noch gar nicht geregt, es herrscht also Nacktheit beider Geschlechter bei den Australiern , bei den Andamanen , bei etlichen Stämmen am weissen Nil , bei den rohen Negern des Sudan und bei den Buschmännern. Durchaus irrig wäre die Annahme, dass sich das Schamgefühl früher beim weiblichen Geschlecht rege , als beim männlichen , denn die Zahl solcher Menschenstämme, bei denen die Männer allein sich bekleiden, ist nicht unbeträchtlich. Am Orinoco versicherten Missionäre unserem Alexander von Humboldt, dass die Weiber weit weniger Schamgefühl zeigten als die Männer. Bei den Obbo - Negern am Albert- See besteht die Bedeckung der Frauen in einem Laubbüschel, während die Männer einen Fellschurz tragen etc." Ueber die verschiedenen Begriffe weiblicher Schamhaftigkeit bei den Völkern muss man sehr vorsichtig urtheilen und man darf vor allen Dingen nicht in den Fehler verfallen, dass man einen Mangel an Bekleidung mit einem Mangel an Schamhaftigkeit identificire. Die völlige oder theilweise Nacktheit vieler Stämme unseres Erdkreises ist sehr wohl mit einem hohen Grade von Decenz vereinbar und thatsächlich damit verbunden ; während 71. Die Schamhaftigkeit des Weibes. 289 andererseits die Bekleidung keine Garantie für das Bestehen einer ausge- -bildeten Schamhaftigkeit abgiebt. In dieser Hinsicht bemerkt Pechuel- -Loesche ganz treffend : Die theilweise Nacktheit der Negerinnen wird gemildert durch die entschieden vortheilhafte dunkle Farbe der Haut, und sie erscheint keineswegs so unzüchtig und wirkt nicht so entsittlichend, wie das Verführerische halbverhüllter Reize. Die wohlerzogene Negerin liebt es den Busen zu bedecken und ist empfindlich gegenüber musternden Männeraugen. Begegnet sie ohne Obergewand dem Europäer, so führt sie instinctiv, wiewohl oft auch nicht ohne Coquetterie, die Bewegung aus, welche an der mediceischen Venus so vielfach beleuchtet wurde. Auch an die verhüllende Wirkung, welche durch eine gut ausgeführte Tättowirung hervorgerufen wird, mag hier noch einmal erinnert werden . Nach dem letzten Tagebuche des verstorbenen Ludwig Wolf traf derselbe in Tschautjo, einem der Hinterländer des Togo- Gebietes , eine herrschende und eine eingeborene beherrschte Bevölkerung an. Von der letzteren gingen nicht nur die Kinder, sondern auch die Männer und die Frauen und die erwachsenen Mädchen vollständig nackend. Von Schamlosigkeiten wird aber nichts berichtet. Auch bei den von Karl von den Steinen in Brasilien besuchten Suyâ- Indianern gehen die Männer sowohl als auch die Frauen vollständig nackend einher. Als erstes Zeichen der weiblichen Schamhaftigkeit kommt bei den allermeisten Völkern das Verhüllen der Schamtheile zum Vorschein. Schon der Name dieser Theile in sehr vielen Sprachen, wie in der Deutschen , so im Lateinischen (pudendum muliebre), auch im Arabischen (Quâmûs) zeigt, dass man dieselben für solche hielt, welche das sittliche Gefühl zu verbergen vorschreibt. Doch zumeist wird bei den rohen Völkern erst zu der Zeit das Verbergen und Verhüllen dieser Theile den jungen Mädchen durch die sittliche Nöthigung vorgeschrieben, wo die Menses eintreten, denn bis dahin gehen dieselben nicht selten ganz unbedeckt und unbekleidet umher. Wenn aber, wie bei den Indianern Süd- Amerikas und bei einigen anderen Völkern, nur die verheiratheten Frauen sich bekleiden, die erwachsenen Mädchen aber nicht, so ist Waitz der Meinung, dass man diese Verhüllung nur auf Rechnung der Eifersucht der Männer zu setzen hat. Ganz neuerdings hat Heinrich Schurtz den Satz aufgestellt : „ Das Schamgefühl ist nicht etwas zufällig und nebenher Entstandenes ; es ist vielmehr eine nothwendige Folge der gesellschaftlichen Entwickelung der Menschheit, und die Kleidertracht ist nichts anderes als die äussere Andeutung eines seelischen Vorgangs : sie geht parallel dem Entstehen eines geschlechtlichen Alleinbesitzes, mit anderen Worten der Ehe. " Mit der Entstehung der Einzelehe bildeten sich fest geregelte Verhältnisse der einzelnen Frau zu dem einzelnen Manne ; dieser wahrte eifersüchtig, während die Unverheiratheten der Bewerbung frei gegeben waren, das mit ihm verbundene Weib für seine Person und hatte das grösste Interesse, dass es andere nicht anlockte ; unter dem Zwange einer solchen Eifersucht entstand die Kleidung, die auch in ihrer primitivsten Art symbolisch ausdrückte, dass die Gattin nur ihrem Gatten angehöre. Am ersten und am stärksten bekleidet erscheint deshalb zuerst auch die verheirathete Frau. Diesen von Karl von den Steinen reproducirten Anschauungen tritt derselbe in einem Artikel des Auslandes entgegen, gestützt auf seine Erfahrungen, welche er unter einer Anzahl von beinahe oder gänzlich nackt gehenden Indianer- Stämmen Brasiliens gesammelt hat. Er ist der Meinung, „ dass der Mensch zu einer Zeit, wo er das physiologische Schamgefühl Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 19 288 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. hat zuweilen eine rücksichtsvolle Zartheit und Keuschheit des Benehmens, viel öfter aber eine thierische Rückhaltslosigkeit in der Befriedigung aller sinnlichen Bedürfnisse bemerken lassen. Lotze hält es für sehr zweifelhaft, welches von beiden wir als ursprünglich, welches als Ergebniss entweder einer schon begonnenen Cultur oder einer fast vollendeten Verwilderung betrachten, oder ob wir die Unterschiede der Völker in dieser Beziehung überhaupt auf Eigenthümlichkeiten nicht allgemein menschlicher Stammnaturelle zurückführen müssen. Wir meinen, dass das Gefühl der Schamhaftigkeit doch wohl im Allgemeinen als erster Grad sittlicher Regung aufzufassen ist , die in den Menschen erst einzieht , sobald er sich von dem Zustande thierischer Rücksichtslosigkeit zu entfernen beginnt , und sobald sich im socialen Verkehr eine Vorstellung über conventionellen Anstand ethisch entwickelt hat. Der ursprüngliche Keim zur Erzeugung der Sitten ist ein sittliches Gefühl, seine Grundform das der Billigung und des Tadels. So ungefähr hat Lazarus in seinem „,, Leben der Seele" die Entstehung der Sitten bezeichnet, die dort beginnen, wo der Instinct aufhört. Das sittliche Gefühl der Scham ist gewiss ein sehr primitives ; es wird wohl in seiner einfachsten Gestalt (Verbergung gewisser Körpertheile) durch die Voraussetzung eines Tadels und Vorwurfs seitens der Freunde und Verwandten erzeugt , falls man die Theile oder Handlungen den Blicken Anderer aussetzt. ,, Die Achtung vor sich selbst, " so sagt gewiss sehr richtig de Quatrefages, „findet wohl den entschiedensten Ausdruck im Gefühle der Schamhaftigkeit und im Ehrgefühle. Auch bei den Wilden finden wir diese beiden Gefühle. Die Schamhaftigkeit tritt jedoch bei den Wilden nicht selten in besonderen Gebräuchen und Handlungen hervor, die das gerade Gegentheil der unsrigen sind, oder überhaupt mit unseren Gebräuchen nichts zu schaffen haben. Dadurch sind Missverständnisse veranlasst worden, und so hat man z. B. ein gewisses Benehmen , wodurch bei manchen Polynesiern nur ein ursprüngliches Schamgefühl zum Ausdruck gelangen soll, als die Aeusserung raffinirter schamloser Sinnlichkeit deuten wollen. " Fragen wir nun , ob es Menschen und Völker ohne alles Schamgefühl giebt und welche Rolle dabei das weibliche Geschlecht spielt. Eine eingehende Betrachtung dieser Angelegenheit finden wir bei Peschel, welcher zu dem Schlusse gelangt : 99 Brauch und Sitte entscheiden über Verstattetes und Anstössiges, und erst nachdem sich eine Ansicht befestigt hat, wird irgend ein Verstoss zu einer verwerflichen Handlung. Das Schamgefühl hat sich noch gar nicht geregt, es herrscht also Nacktheit beider Geschlechter bei den Australiern , bei den Andamanen , bei etlichen Stämmen am weissen Nil , bei den rohen Negern des Sudan und bei den Buschmännern. Durchaus irrig wäre die Annahme, dass sich das Schamgefühl früher beim weiblichen Geschlecht rege , als beim männlichen , denn die Zahl solcher Menschenstämme, bei denen die Männer allein sich bekleiden , ist nicht unbeträchtlich. Am Orinoco versicherten Missionäre unserem Alexander von Humboldt, dass die Weiber weit weniger Schamgefühl zeigten als die Männer. Bei den Obbo - Negern am Albert - See besteht die Bedeckung der Frauen in einem Laubbüschel, während die Männer einen Fellschurz tragen etc. " Ueber die verschiedenen Begriffe weiblicher Schamhaftigkeit bei den Völkern muss man sehr vorsichtig urtheilen und man darf vor allen Dingen nicht in den Fehler verfallen, dass man einen Mangel an Bekleidung mit einem Mangel an Schamhaftigkeit identificire. Die völlige oder theilweise Nacktheit vieler Stämme unseres Erdkreises ist sehr wohl mit einem hohen Grade von Decenz vereinbar und thatsächlich damit verbunden ; während 71. Die Schamhaftigkeit des Weibes. 289 2 andererseits die Bekleidung keine Garantie für das Bestehen einer ausge- -bildeten Schamhaftigkeit abgiebt. In dieser Hinsicht bemerkt Pechuel- -Loesche ganz treffend : Die theilweise Nacktheit der Negerinnen wird gemildert durch die entschieden vortheilhafte dunkle Farbe der Haut, und sie erscheint keineswegs so unzüchtig und wirkt nicht so entsittlichend, wie das Verführerische halbverhüllter Reize. Die wohlerzogene Negerin liebt es den Busen zu bedecken und ist empfindlich gegenüber musternden Männeraugen. Begegnet sie ohne Obergewand dem Europäer, so führt sie instinctiv, wiewohl oft auch nicht ohne Coquetterie, die Bewegung aus, welche an der mediceischen Venus so vielfach beleuchtet wurde. Auch an die verhüllende Wirkung, welche durch eine gut ausgeführte Tättowirung hervorgerufen wird, mag hier noch einmal erinnert werden. Nach dem letzten Tagebuche des verstorbenen Ludwig Wolf traf derselbe in Tschautjo, einem der Hinterländer des Togo- Gebietes , eine herrschende und eine eingeborene beherrschte Bevölkerung an. Von der letzteren gingen nicht nur die Kinder, sondern auch die Männer und die Frauen und die erwachsenen Mädchen vollständig nackend. Von Schamlosigkeiten wird aber nichts berichtet. Auch bei den von Karl von den Steinen in Brasilien besuchten Suyâ- Indianern gehen die Männer sowohl als auch die Frauen vollständig nackend einher. Als erstes Zeichen der weiblichen Schamhaftigkeit kommt bei den allermeisten Völkern das Verhüllen der Schamtheile zum Vorschein. Schon der Name dieser Theile in sehr vielen Sprachen, wie in der Deutschen , so im Lateinischen (pudendum muliebre) , auch im Arabischen (Quâmûs) zeigt, dass man dieselben für solche hielt, welche das sittliche Gefühl zu verbergen vorschreibt. Doch zumeist wird bei den rohen Völkern erst zu der Zeit das Verbergen und Verhüllen dieser Theile den jungen Mädchen durch die sittliche Nöthigung vorgeschrieben, wo die Menses eintreten, denn bis dahin gehen dieselben nicht selten ganz unbedeckt und unbekleidet umher. Wenn aber, wie bei den Indianern Süd - Amerikas und bei einigen anderen Völkern, nur die verheiratheten Frauen sich bekleiden, die erwachsenen Mädchen aber nicht, so ist Waitz der Meinung, dass man diese Verhüllung nur auf Rechnung der Eifersucht der Männer zu setzen hat . Ganz neuerdings hat Heinrich Schurtz den Satz aufgestellt : „ Das Schamgefühl ist nicht etwas zufällig und nebenher Entstandenes ; es ist vielmehr eine nothwendige Folge der gesellschaftlichen Entwickelung der Menschheit, und die Kleidertracht ist nichts anderes als die äussere Andeutung eines seelischen Vorgangs : sie geht parallel dem Entstehen eines geschlechtlichen Alleinbesitzes, mit anderen Worten der Ehe. " Mit der Entstehung der Einzelehe bildeten sich fest geregelte Verhältnisse der einzelnen Frau zu dem einzelnen Manne ; dieser wahrte eifersüchtig, während die Unverheiratheten der Bewerbung frei gegeben waren, das mit ihm verbundene Weib für seine Person und hatte das grösste Interesse, dass es andere nicht anlockte ; unter dem Zwange einer solchen Eifersucht entstand die Kleidung, die auch in ihrer primitivsten Art symbolisch ausdrückte, dass die Gattin nur ihrem Gatten angehöre. Am ersten und am stärksten bekleidet erscheint deshalb zuerst auch die verheirathete Frau. Diesen von Karl von den Steinen reproducirten Anschauungen tritt derselbe in einem Artikel des Auslandes entgegen, gestützt auf seine Erfahrungen, welche er unter einer Anzahl von beinahe oder gänzlich nackt gehenden Indianer- Stämmen Brasiliens gesammelt hat. Er ist der Meinung , „ dass der Mensch zu einer Zeit, wo er das physiologische Schamgefühl Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 19 290 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. schon voll besitzt, wo er den Act versteckt, noch nicht daran zu denken braucht, die Organe zu verbergen, sondern eher als ein anatomisches Schamgefühl ein Interessegefühl für dieselben hat, das theils auf einer bei geringer Volkszahl und niederer Culturstufe noch lebensfähigen ganz gesunden Unbefangenheit, theils auf Nützlichkeitsgründen, theils auf dem Schmuckbedürfniss beruht. Ich beantworte meinerseits also die Frage : haben alle Naturvölker Schamgefühl und Kleidung ? Physiologisches Schamgefühl haben wenigstens die allermeisten und haben es infolge einer einst sehr zweckmässigen, den Fortschritt begründenden Verheimlichung des geschlechtlichen Einzelverkehrs ; zum anatomischen Schamgefühl sind viele noch nicht gekommen, und diese haben „Kleidung" nur in dem Sinn, dass man darunter den Schutz und die Ausschmückung des Sexualapparates versteht, dessen Verheimlichung dem Vorstellungskreis der Naturkinder noch gänzlich fern liegen kann. " Karl von den Steinen fand, dass dieselben Leute, deren Schambekleidung derartig gewählt war, dass sie so recht die Aufmerksamkeit auf die nur unvollständig verhüllten Theile lenken musste, in tiefer Beschämung die Köpfe senkten, als er so schamlos war, in ihrer Gegenwart einen Bissen zu essen, den sie ihm soeben als Geschenk übergeben hatten. Wollen wir die bei den Völkern beobachteten Thatsachen durchmustern, so beginnen wir wohl am besten mit den in der Cultur tief stehenden Rassen ; und hier treffen wir allerdings auf ein recht schwach angedeutetes weibliches Schamgefühl. Die Melanesier sind im Punkte des Schämens wenig zartfühlend . Auf den Salomons- Inseln kennt man eine Kleidung fast gar nicht, selbst nicht bei den Frauen , die allerhöchstens einen kurzen Blätter- oder Zeug- Schurz tragen (Jung) . Doch sind auch bei fast allen anderen Bewohnern der melanesischen Inseln die Weiber wenigstens in soweit schamhaft, dass sie zwar niemals die Brüste, doch einigermaassen den mittleren Theil des Körpers bedecken. Auf Neu- Caledonien tragen die Männer nur einen dünnen Strick um den Leib , die Weiber hingegen einen freilich äusserst schmalen Rock aus Rindenfasern, gelb oder schwarz gefärbt, auch wohl mit Muscheln besetzt (Jung) . Dieses Tragen des Franzengürtels auf Neu- Caledonien ist nach de Rochas den Mädchen untersagt, und nur ein Recht der verheiratheten Frauen. Auf dem Neu- BritannienFig. 82. BotokudenMädchen (Brasilien) nackt auf der Erde sitzend und die Beine zur Verhüllung der Schamtheile benutzend. (Nach Photographie. ) Archipel ist die Bekleidung der Eingeborenen , wie derselbe Autor bezeugt, die allerdürftigste; hier war selbst bei den Frauen davon absolut nichts vorhanden. Vielfältig kommt, wie Jung mir berichtet, bei australischen Schwarzen das Gefühl der Scham zur Geltung. Die Tasmanier hatten eine eigenthümliche Manier, mit auswärts gelegten Beinen zu sitzen ; ihre Weiber aber legten beim Sitzen die Beine so , dass ihre Scham durch den Fuss bedeckt war (Labilladière). Eine ganz analoge Körperhaltung zeigt uns eine von Ehrenreich aufgenommene Photographie eines gänzlich nackten Botokuden - Mädchens (Fig. 82) ; und auch auf der photographischen Aufnahme einer nur mit dem Schamschurz bekleideten TicuñasIndianerin sehen wir das Gleiche. In Polynesien legen die Weiber, wenn ein Schiff die Küste ihrer Insel anläuft , mit der grössten Leichtigkeit ihre Kleider ab, die nur aus zwei Theilen bestehen, einem oberen, Poncho-ähnlichen und einem um die Hüften gewundenen Lendentuch, man sieht sie dann um das Schiff herumschwimmen und an Bord desselben steigen, ohne dem völlig nackten Zustande irgendwie Rechnung zu tragen. Dies fand schon statt, als die 71. Die Schamhaftigkeit des Weibes. 291 ersten Europäer dort landeten, und noch heute besteht solcher Brauch. Die Damen der Sandwich- Inseln begeben sich auf diese Weise auf die europäischen Schiffe , indem sie beim Schwimmen ihre seidene Robe, ihre Schuhe und ihre Sonnenschirme über die Wogen emporhalten (Beechy). Dieses nach unseren Begriffen „ schamlose" Gebahren ist ursprünglich wohl nur das Ergebniss einer naiven Auffassung von Freiheit und Reinheit der Sitten, die von jenen, damals noch wenig verdorbenen Weibern dem entarteten Geschlechte der europäischen Matrosen entgegen gebracht wurde ; allein gar bald machte solche Naivetät bei so unreiner Berührung der schmählichsten Prostitution Platz . Ursprünglich schien nicht das Schamgefühl die Verhüllung der Blösse vorzuschreiben ; auf Tahiti bedeckten sich die Frauen in den unteren Partien nach Cook's Beobachtung lediglich aus Artigkeit" . Wenn die Missionäre auf mehreren Inseln der Südsee die Mädchen veranlassten, sich mit einer wenig anmuthigen Tracht zu bekleiden , so haben dieselben neue Begriffe von Anständigkeit gewonnen, aber zugleich das natürliche Gefühl der „ Artigkeit" verloren. Von den Melanesiern in Neu - Caledonien schreibt Moncelon: Le sentiment de la pudeur existe très- certainement malgré la facilité et le réla- chement des moeurs. On le reconnaît à certains mouvements, certaines exclamations qui se produisent à un moment donné. Ainsi , il m'est arivé de couper brusquement la feuille de bananier servant de tapa (Schamschurz) à des femmes, qui s'enfuyaient immédiatement dans les fourrés voisins en cherchant à s'abriter de leurs mains étendues. Früher waren die Weiber der Mikronesier sehr streng, schamhaft, durchaus taktvoll und zurückhaltend. Auch im freien Verkehr mit den Jünglingen ihres Volkes, welche den Mädchen für ihre Gunst Geschenke geben müssen , herrscht bei aller Freiheit eine gewisse Schamhaftigkeit. ( Waitz- Gerland. ) Grosse Naivetät zeigen dagegen die Chinwan- Weiber auf der Insel Formosa. Joest berichtet : „Schamgefühl ist nicht der Grund ihrer dichten Bekleidung ; die Frauen und Mädchen zeigen, zumal beim Hocken, ohne Scheu ihre Geschlechtstheile und häufig äusserten sie den Wunsch, die meinigen zu besehen oder zu betasten , allein aus Neugierde. “ Ausgebildeter tritt das weibliche Schamgefühl schon bei Afrikanerinnen zu Tage. An der südlichen Guinea- Küste wohnen die Kannibalen- Stämme der Fan; die FrauenBekleidung beschränkt sich auf ein Affenfell rückwärts, ein schmales Stück Zeug oder einen Grasbüschel vorn ; trotz dieser geringfügigen Verhüllung sind die Frauen der Fan weit schamhafter, als die der anderen Stämme. Obwohl die Frauen der Berabra sehr wenig bekleidet einhergehen, und die Mädchen bei ihrer Verheiratbung nur eine sogenannte Rahat (ein den Unterleib umfassender Riemen, von dem nur dünne Riemchen von verschiedener Länge herabhängen) tragen, und auch sonst den Fremden gegenüber sich frei bewegen, sind sie doch von grosser Eingezogenheit und Sittenreinheit . Bei einzelnen Neger völkern bedecken die Weiber den Hinteren ; nimmt man ihnen den Schurz, so werfen sie sich mit dem Rücken auf die Erde, um diesen Theil nicht sehen zu lassen ; sie besitzen also ein perverses Anstandsgefühl. Eine Prinzessin des Stammes der Apingi in Central - Afrika erhielt von Du Chaillu als Geschenk ein schöngefärbtes Hemd, und sofort entkleidete sie sich vor seinen Augen, um dasselbe anzulegen. In der Stadt Lari in Central - Afrika sind alle Frauen völlig unbekleidet (Denham) . Von anderen nacktgehenden Stämmen ist bereits die Rede gewesen. Die Bedeckung der Blössen ist bei den Weibern noch mancher anderen NegerVölker eine äusserst geringe oder nichtige. Emin Bey bemerkte auf seiner Reise vom weissen Nil durch Njambara nach Kedibe , dass im Bezirke Amadi die Laubschürzen der Frauen oft eine pure Formalität , Muster für die Breite individuellen Geschmacks sind ; vom dichten Büschel grün belaubter Zweige, die wirklich Blössen zu decken vermögen, bis zur einfach grünen Ranke, die sich von der Gürtelschnur vorn nach der Gürtelschnur hinten zieht . Emin Bey sagt: „ Das schwächere, hier aber sehr stämmige Geschlecht ist im Bedecken sehr sparsam, und viele der fettglänzenden , eisenbeladenen Schönen hüllen sich absolut nur in ihre Farbe. Im MoruLande gehen die Frauen meist völlig nackt, nur einzelne hängen hinten an die Gürtelschnur ein Laubfragment. Sonderbar dabei ist, dass , wenn man einem Zuge solcher decolletirten Schönen begegnet, die Wasser tragen, sie zunächst mit der freien Hand ihr 19* 292 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. Gesicht verdecken. Nach allem , was man in Afrika sieht , ist Scham doch auch nur ein Erziehungsproduct. " Von den Negerinnen der Westküste sagt Zöllner : „ Das was wir Schamhaftigkeit nennen, ist ganz gewiss auch hier vorhanden, nur weit weniger entwickelt als bei civilisirten Völkern. Die jungen Mädchen nahmen nicht den geringsten Anstand, sich vor den Augen der weissen Männer sowohl wie der schwarzen Männer selbst ihres Shlipses, jenes fingerbreiten zwischen den Schenkeln von vorn nach hinten gezogenen Bändchens, zu entledigen, sich mit einer schwarzen, im Lande verfertigten Seife einzureiben, und dann an der Lagune abzuspülen. " Bei dem Galla - Häuptling Tulu in Gobo im oberen Nilgebiet fand Juan Maria Schuver eine sehr primitive Hoftracht : er bemerkte, dass ein halbes Dutzend gelber wie schwarzer junger Mädchen in völlig nacktem Zustande, ohne Kleidung , ohne irgendwelchen Zierath einhergingen, obwohl manche unter ihnen wohl kurz vor der Heirath standen. Bei dem benachbarten Stamm der Koma- Neger fand er dagegen, dass die Mädchen ein sehr entwickeltes Schamgefühl haben. Bei den in der Cultur schon vorgeschrittenen Völkern kommen Gebräuche vor , die unserer Auffassung von Sittlichkeit widersprechen . Wenn in Japan beide Geschlechter höchst naiv und harmlos in öffentlichen Bädern völlig unbekleidet verkehren, so darf man hier nicht von Schamlosigkeit sprechen ; hier billigt die Sitte solchen Verkehr. Ueber die Schamhaftigkeit der Weiber in Cochinchina äussert Mondière Folgendes : „ La pudeur, ou du moins ce que nous nommons ainsi chez nous, gêne peu la femme d'Annam , et elle vous dit de l'air le plus naturel et sans que la moindre rougeur apparaisse sur son front, l'âge où pour la première fois elle s'est abandonnée. Et ce n'est pas seulement dans les classes inférieures que les choses sont ainsi . J'ai eu l'honneur d'être consulté ou visité par plusieurs dames de ce que l'on appelle la cour de Hué et qui ressemblent beaucoup aux belles et honnêtes dames du sire de Brantôme. Elles m'ont raconté leur débuts amoureux avec la même franchise et la même impudeur que les filles de Dan (lisez Yàn , paysan)." Von den alfurischen Frauen auf Serang sagt Capitän Schulze : Trotz der spärlichen Bekleidung sind sie sehr keusch und züchtig. Unter den Mitua , einem südamerikanischen Volksstamme am Goyabero- Flusse . welche von den benachbarten Indianern als Wilde bezeichnet werden, fand Creveaux die offenbaren Zeichen von natürlicher Schamhaftigkeit der Frauen : die Weiber tragen dort ein sackartiges Gewand; Creveaux kaufte einem Weibe ein solches Gewand ab, und als sie nun das neue mit dem alten vertauschen sollte , so zeigte sich, dass Schamgefühl ihr nicht fremd war, denn sie konnte nur schwer durch ihren Mann zu diesem Wechsel in Gegenwart der Fremden bestimmt werden. Die Begriffe von Schamhaftigkeit bezüglich der Bedeckung der Sexual- Organe durch einen Schurz beginnen bei fast allen im Uebrigen unbekleidet einhergehenden Völkern erst mit dem Eintritt der Reife , der Pubertät ; von diesem Zeitpunkte an werden zumeist die Schamtheile den Blicken des männlichen Geschlechts nach dem Gebote der allgemeinen Volkssitte entzogen ; dem ganz jungen Mädchen wird in dieser Hinsicht meistens noch keine Zurückhaltung befohlen . Und doch giebt es auch recht rohe Völker, bei denen sich schon am jungen Mädchen das Gefühl der Scham bemerken lässt. Die weibliche Schamhaftigkeit macht sich selbst bei so niedrigstehenden, in ihrer Heimath vollständig nackt einhergehenden Frauen wie den Feuerländerinnen geltend, welche v . Bischoff in München bezüglich des Baues ihrer äusseren Geschlechtsorgane unter- suchen und besichtigen wollte. Nur unter Widerstreben konnte er zu einer sehr oberflächlichen Anschauung gelangen; selbst bei den kleinen vier- und dreijährigen Mädchen der Truppe war es ihm unmöglich, sich von dem Verhalten ihrer Geschlechtstheile zu überzeugen, indem ihr eigenes Sträuben auch noch von ihrer Mutter unterstützt wurde, daher Bischoff auch bei diesen Kindern über das Vorhandensein eines Hymen keinen Aufschluss erhalten konnte. Allein gerade in dieser moralischen Unterstützung durch die Mutter liegt mir die Andeutung, dass den Kleinen die Schamhaftigkeit schon anerzogen war, d. h. dass es ihnen schon gewissermaassen als Sitte und Pflicht vorgestellt worden war, dergleichen verbergen zu müssen. 71. Die Schamhaftigkeit des Weibes. 293 Bei manchen Naturvölkern ist aber den jungen Mädchen eine grössere Decenz an- erzogen, als bei sehr civilisirten Völkern. Die Araucanerinnen in Chile sind bedeutend verschämter, als die chilenischen Christinnen ; jene badeten sich nur allein an verborgenen Orten , letztere zeigten weniger Zurückhaltung. (Treutler.) Haben wir soeben gesehen, wie bei vielen Völkern es sehr wohl mit der Schamhaftigkeit verträglich ist, dass die erwachsenen Mädchen und Frauen entweder vollständig, oder doch so gut wie nackend gehen, so finden wir das andere Extrem bei den Mohammedanerinnen, welche, wie ja allgemein bekannt ist, sogar ihr Gesicht unter einem Schleier verbergen müssen. Bodenstedt konnte in Tiflis von seiner Wohnung aus das Frauengemach eines armenischen Kaufmanns überblicken : ,, Da sassen (bei jedem festlichen Anlass) 30-40 armenische Frauen mit gekreuzten Beinen auf einem grossen , das ganze Zimmer ausmessenden Teppich, in buntem Kreise, alle angethan mit schweren kostbaren Stoffen, den Nacken von einem weissen Schleier überwallt, und das Leibchen zwiefach halbmondförmig so weit ausge- schnitten, dass des Busens besserer Theil offen zur Schau lag. Ich kann hier die Bemerkung einschalten, dass im MorgenFig. 84. Fig. 83. Verheirathete Frau der vornehmen Klasse in Tunis im Strassenanzuge , um ins Bad oder zum Besuche zu gehen. (Nach Photographie. ) Maurin aus Algier , verschleiert , aber so fein, dass das ganze Gesicht kenntlich ist. (Nach Photographie. ) lande die Frauen mit ihrem Busen noch viel weniger heimlich thun als bei uns. Dem strengsten Schamgefühl ist dort Genüge gethan mit dem Verhüllen des Gesichts. Alle übrigen Körpertheile werden geringerer Berücksichtigung gewürdigt. Es ist um das Schicklichkeitsund Anstandsgefühl (wie es im Grunde allen Völkern inne wohnt, sich aber auf die verschiedenste Art kundgiebt) ein eigenes Ding. Eine Schottin kann vor lauter Schamhaftigkeit in Ohnmacht fallen, wenn sie einen Mann mit einem Barte sieht, findet es aber ganz ihren Begriffen von Anstand gemäss, dass die Männer ohne Hosen einhergehen, ein Zustand, der den Damen anderer Länder wieder das Blut der Scham in die Wangen treiben würde. Eine badende Europäerin wird, wenn sie sich von Männeraugen erspähet weiss, alles andere eher verhüllen, als ihr Gesicht. Eine Asiatin wird, unter ähnlichen Umständen, fremden Blicken alles andere eher preisgeben als ihr Gesicht. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um darzuthun, wie schwer es ist, in dem, was man Sitte und Anstand nennt, die Scheidelinie zwischen dem Ernsten und 294 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. Komischen, zwischen Weisheit und Thorheit zu ziehen. Der beschränkte Mensch ist immer am meisten geneigt, das zu belächeln , was über seinen engen Gesichtskreis hinausreicht ; je weiter der Blick, desto milder das Urtheil. " In der Art und Weise der Verhüllung des Gesichts durch den Schleier herrschen aber bei den Orientalinnen recht erhebliche Unterschiede, wie wir aus gewissen Photographien entnehmen können. Fig. 83 zeigt uns eine verheirathete Frau der vornehmen Klasse aus Tunis in ihrem Strassenanzuge, im Begriff, das Bad zu besuchen. Hier hat die Verhüllung des Gesichts ihr Maximum erreicht. Bei einer Maurin aus Algier dagegen finden wir den Schleier so dünn und durchsichtig, dass er doch fast das ganze Gesicht erkennen lässt. Komisch wirkt es nun allerdings auf uns, wenn wir von Rittich erfahren, dass die Tschuwaschinnen ( Wolga - Türken) es für unmoralisch halten , ihre nackten Füsse zu zeigen, und dass sie sich sogar mit umwickelten Füssen zu Bett begeben. Als Pendant hierzu erzählt Vambéry, dass die Türkinnen Central - Asiens etwas Aehnliches thun und die Turkomaninnen als lasterhaft verschreien, weil letztere selbst in Gegenwart von Fremden barfüssig einhergehen. So lässt auch die Chinesin schämig nur mit Widerstreben ihren kleinen Fuss nackt sehen , obgleich sie ihn im zierlichen Schuh für eine grosse Schönheit hält . Die Baschkirinnen dagegen halten ebenso wenig wie die Turkomaninnen und Kirgisinnen die Sitte des Verschleierns für ein unbedingtes Erforderniss. Es wäre nun aber ein ausserordentlicher Irrthum, wenn man glauben wollte, dass dasjenige, was man als weibliche Schamhaftigkeit und Züchtigkeit zu bezeichnen pflegt, bei den Culturvölkern Europas bereits zu einem absolut feststehenden Begriffe sich herausgebildet habe. Wie ausserordentlich wechselnd hier noch in den letzten Jahrhunderten die Anschauungen der Damen gewesen sind, selbst in den höchsten und den gebildetsten Kreisen, das lehrt uns einfach ein Blick auf die rhythmischen Schwankungen der Damenmoden. Was den einen Tag als frivol und gemein im höchsten Grade betrachtet wird, das gilt bereits den nächsten Tag in noch gesteigerter Potenz für fein, naturgemäss und wohlanständig. Gilt es heute noch für unschicklich, auch nur das Handgelenk unbedeckt zu zeigen, so trägt man morgen ohne Scheu den ganzen Arm bis zu seinem Ursprung entblösst, und gestattet sogar einen unbeschränkten Einblick in die Achselhöhle. Muss das eine Mal der Hals verhüllt sein bis unter das Kinn, so erregt es Tags darauf keinen Anstoss, die Schultern bis tief hinab zum Rücken und die Brüste fast bis zu ihrer Warze zu präsentiren. Darf eben noch auch nicht einmal die Fussspitze unter dem Gewande hervorblicken, so ist es im nächsten Augenblick erlaubt, das Bein bis über das Knie hinaus den profanen Männerblicken blosszustellen. Muss endlich einmal die gesammte Kleidung so gewählt werden, dass man in ihr selbst bei der blühendsten Phantasie einen menschlichen Körper nicht mehr zu ahnen vermag, so ist es in kurzer Zeit schicklich, dass das Gewand dem Körper sich so knapp anschmiegt, dass man ihn in allen seinen anatomischen Eigenthümlichkeiten sofort zu überblicken im Stande ist. Aber auch abgesehen von diesen Launen der Mode hat die Schamhaftigkeit bei uns recht erhebliche Wandlungen erfahren, und wenn wir uns bemühen, aus unseren Dichtern in dieser Beziehung die Anschauungen der Damen des Mittelalters kennen zu lernen, so begegnen wir dort für unsere heutige Auffassung und Empfindung sehr eigenthümlichen Sitten und Gebräuchen. Lesen wir z. B. den Parzival, so finden wir, dass er irgendwo als Gast aufgenommen, von Jünglingen entkleidet und zu Bett gebracht wird. aber noch bevor er im Bett ist, erscheinen vornehme Jungfrauen, um ihm Erfrischungen zu credenzen. Man darf dabei nicht vergessen, dass man in da- 71. Die Schamhaftigkeit des Weibes. 295 maligerZeit absolut nackend zu schlafen pflegte. An einer anderen Stelle wünscht eine Königin, dass Parzival sie von ihren Feinden befreie. Sie sucht ihn, um diesen Beistand von ihm zu erbitten, Nachts allein in seinem Schafgemach auf ,,nicht zu solcher Lust Gewinn, die aus Mädchen Frauen macht unversehends in einer Nacht", sondern sie suchte Hülf' und Freundes Rath. Sie trug auch wehrlichen Staat : Ein Hemd von weisser Seide fein. Wie könnte streitbarer sein, wenn sie zum Manne geht, ein Weib? Auch schwang die Frau um ihren Leib von Sammet einen Mantel lang : Sie ging, wie sie der Kummer zwang. " Dann kniet sie an seinem Bette nieder, er will das nicht leiden und bietet ihr seinen Platz an. Sie sprach, wollt ihr Euch ehren, mir solche Zucht bewähren, nicht zu rühren meine Glieder, leg ich mich zu Euch nieder. Den Frieden gab er feierlich : Da barg sie in dem Bette sich. " Und nun setzt sie ihm ihr Gesuch aus einander, dem er auch Folge giebt und ihre Stadt befreit, worauf sie sich ihm ergiebt. „Den alten immer neuen Brauch übten da die Beiden auch. " Ueberhaupt erscheint es als Sitte, dass die Ritter für irgend eine ihnen bisher ganz unbekannte Dame kämpfen, deren Feinde besiegen und dann sofort nach erfolgter Reinigung und leiblicher Erquickung mit der Dame zu Bette gehen, ein Kind mit ihr zeugen und dann von dannen ziehen (Wolfram von Eschenbach). Aus dem Ende des 16. Jahrhunderts schildert uns Guarinonius absonderliche Sitten , die in Hall im Innthale in den Badstuben herrschten : „ Der Schlüssel der Jungkfrawschafft, ist die Geschämigkeit, dann eben von der Geschämigkeit wegen, wirdt manche wider ihren eignen Willen, von der Unzucht abgehalten , durch diese Bäder aber, verleurt man allgemach die Geschämigkeit, und ubet sich fein entblösster vor den Männern sehen zu lassen. In dern vilen man auch gar kein Underschied, der abgesonderten Zimmer zu der Entblössung noch zum Baden hat, ja die Badwannen, darin man sitzt zu sonderm Fleiss under einander Mann und Weib spicken , damit eins das ander desto besser und füglicher sehen, und die Schambarkeit gegen ein- ander verlieren lernen. Wie viel mal sihe ich ( ich nenn darumb die Stadt nicht) die Mägdlein von 10. 12. 14. 16 und 18 Jaren gantz entblösst , und allein mit einem kurtzen leinen offt schleussigen und zerrissnen Badmantel, oder wie mans hier zu Land nennt, mit einer Badehr allein vornen bedeckt, und hinden umb den Rucken ! Dieser und Füssen offen, und die ein Hand mit gebür in dem Hindern haltend , von ihrem Hauss auss, uber die lang Gassen bey mitten tag, biss zum Bad lauffen ? Wie viel laufft neben ihnen die gantz entblössten , zehen, zwölff, viertzehen und sechtzehen jährigen Knaben her, und begleit das erbar Gesindel. " Aehnliche Sitten sollen nach du Chaillu noch heute im nördlichen Norwegen und Finnland bestehen. Dass noch zu der Zeit Kaiser Karl's des Fünften bei seinen feierlichen Einzügen die Töchter vornehmer Patrizier es sich zur Ehre anrechneten, vollständig nackt dem Kaiser voranzuschreiten, und dass die Väter willig ihre Töchter dem Kaiser als Concubinen überliessen, das möchte wohl hinreichend bekannt sein. Eine merkwürdige Sitte, die Raupen zu vertreiben, berichtet Bastanzi aus dem Gebiete von Belluno. Sowohl ein Priester als auch ein völlig nacktes junges Mädchen müssen Morgens früh in der Anpflanzung erscheinen . Und wenn sie sich treffen ? 99 Mio Dio, non ci pensiamo! " Einem eigenthümlichen Grade der Gastfreundschaft begegnen wir noch vor wenigen Jahren in Island in der Nähe der Geisire , die uns der den Lord Dufferin begleitende Arzt folgendermaassen schildert : Die erwachsene Tochter der Familie, bei welcher er Unterkunft gefunden hatte, führt ihn des Abends auf sein Schlafzimmer, „ und ich war eben im Begriff mich zu verbeugen und ihr gute Nacht zu wünschen, als sie auf mich zutrat und mit einnehmender Grazie, der nicht zu widerstehen war, darauf bestand, mir den Rock ausziehen zu helfen 296 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. und dann (zu den Extremitäten übergehend) mich auch der Schuhe und Strümpfe zu entledigen. Mit diesem höchst kritischen Theile ihrer Verrichtungen, dacht' ich natürlich, würden ihre Geschäfte enden und ich endlich des Alleinseins theilhaftig werden, das man zu einer solchen Stunde gewöhnlich für schicklich erachtet. Nicht dran zu denken. Ehe ich wusste, wie mir geschah, sass ich da im Hemde und hosenlos, während meine schöne Zofe vollauf beschäftigt war, die geraubten Kleider nett zusammenzufalten und auf den nächsten Stuhl hinzulegen. Mit der grössten Natürlichkeit von der Welt half sie mir ins Bett, steckte die Decke überall hübsch ein, sagte mir noch allerlei hübsche Dinge in Isländisch , gab mir einen herzlichen Kuss und ging. " Morgens wurde er durch einen Kuss wieder aufgeweckt. L Wir schliessen dieses, Kapitel mit dem Hinweise auf den Ausspruch eines ungenannten Anthropologen, dem man gewiss beistimmen darf: „ Mit der Ethik ist es ungeachtet mehrerer achtungswerther Versuche, den Bann zu durchbrechen, noch nicht viel besser bestellt, als mit vielen anderen Gebieten der „ Geisteswissenschaften ", welche ja sämmtlich auf psychologischer Basis beruhen. Die Parole heisst auch hier, selbst bei Vorurtheilslosen, noch immer : Construiren ! Zuerst macht man sich nach eigener Bildung und Neigung, wie nach Gedankenströmung der Zeit einen Begriff von Tugend und Pflicht und sucht dann dessen geschichtliche Krystallisation zu finden und nachzuweisen. Einzig die Anthropologie, die Kenntniss der moralischen Anschauungen der Urvölker , soweit sie zu eruiren sind, dann der noch lebenden Naturvölker , seien sie auch nur Rudera älterer Stämme und Rassen, kann hier therapeutisch und corrigirend wirken. Vom Rechte gilt absolut dasselbe. Der Rechtsbegriff ist biologisch nicht angeboren, nur gesellschaftlich denkbar, wie auch Ihering richtig behauptet. " Auch nach unserer Ueberzeugung ist das Schamgefühl keine Regung, welche dem Menschen angeboren ist ; nur die Anlage dazu ist im Menschen vorhanden, sich einem auf socialer Grundlage entstandenen ethischen Begriffe anzuschliessen und unterzuordnen, und Brauch und Sitte der Völker führen dann zur ferneren Ausbildung dieser Empfindungen. 72. Die Keuschheit des Weibes. Je tiefer eine Völkerschaft auf der Stufenleiter der culturellen Entwickelung ihre Stelle hat, um so freier und ungehinderter ist den Individuen die Befriedigung des sexuellen Bedürfnisses gestattet, so lange das Weib noch unverheirathet ist . Der Begriff der Keuschheit ist wenig gekannt. Aber mit der Verheirathung treten dann nicht selten vollständig andere Anschauungen in Kraft. Bei einigen Nationen hält allerdings die Unkeuschheit der Weiber auch noch nach der Verehelichung an. So führt beispielsweise Eyre die Weiber der Australier als höchst unkeusch an, deren Männer auf ihre Treue keinen Werth legen. Nach seiner Beschreibung ist das Leben der australischen Frau im Grunde nichts, als eine fortgesetzte Prostitution. Von ihrem zehnten Jahre an cohabitirt sie mit jungen Burschen von vierzehn bis fünfzehn Jahren. Später bietet sie sich auch jedem Gaste an, der den Stamm auf eine Nacht besucht. Die Australierin , die verheirathet ist oder vielmehr im Besitz eines Mannes sich befindet, kann auch von diesem verliehen werden. Wenn der Mann abwesend ist, nimmt ein anderer seinen Platz ein. Wenn mehrere Stämme neben einander ihr Lager aufgeschlagen haben, so bringen die Männer des einen Stammes die Nacht über bei den Frauen des benachbarten Stammes zu ; denn die Prostitution der am Murray - Flusse wohnenden Australier ist , ähnlich wie ihre Heirath, exogamisch. Allein hiergegen führt Peschel an, dass die von Eyre beobachteten Stämme am Murray - Flusse schon vielfach in ihren Sitten durch den Verkehr mit europäischen Ansiedlern verwildert sind, und dass andere Australier sich in dieser Hinsicht minder 72. Die Keuschheit des Weibes. 297 verdorben zeigen. Auch versicherte mir Jung, der vielfach noch unverdorbene Stämme Central - Australiens persönlich kennen lernte, dass dieselben keine so üble Nachrede verdienen. Weit reiner als in Australien ist das Leben des Weibes in Melanesien. Denn in Neu- Caledonien , wo nicht bloss die verheiratheten Frauen, ähnlich wie in mehreren Inseln Polynesiens , keusch sind , sondern auch die Mädchen ungemein zurückhaltend sich benehmen, auf den Loyalitäts - Inseln , den Hebriden war es den Matrosen Cook's nicht möglich, geschlechtlichen Umgang mit den eingeborenen Weibern zu pflegen , wie mit den polynesischen. Nur die Franzosen der zweiten Reise d'Urville's fanden auf Isabel , sowie Modera in der Marianenstrasse , dass die Weiber angeboten wurden. (Waitz- Gerland.) Von den Bewohnern der Insel Spiritu Santo (auf den Neuen Hebriden) heisst es : „ Ils ont la réputation de céder leurs femmes, mais assurément ils ne les offrent pas et je n'en ai pas aperçu une seule ; bien plus , quelques officiers étant allés dans un village situé sur une des îles de la baie, l'ont trouvé évacué par les femmes et les enfants. " (Roberjot. ) Auf Neu - Guinea wird Keuschheit nicht so streng wie in Neu- Britannien gehalten, doch herrscht keine Prostitution . (Finsch. ) Jener Ruhm der Neu- Caledonierinnen wird allerdings durch neuere Berichte abgeschwächt ; vielleicht haben europäische Einflüsse hier gewaltet. Dort ist die Keuschheit jetzt wenig geschätzt ; de Rochas nannte die Frauen der Eingeborenen wilde Messalinen , und die alten Frauen führen schon früh das junge Mädchen auf den Pfad des Lasters. Auf den Salomons - Inseln sind nach Guppy die Weiber keusch. Es kommt allerdings vor, dass die Bewohner der benachbarten Inseln Sancta Anna und St. Christobal auf einige Zeit ihre Weiber austauschen, nachher nehmen sie dieselben aber wieder zurück und das wird nicht als Ehebruch angesehen. In Polynesien ist die freie Liebe das bewegende Princip des Lebens. Auf allen Archipelen war die eheliche Verbindung eine äusserst lockere, der Gatte konnte sein Weib verleihen wie ein Eigenthum, die Untreue der Frau aber wurde höchstens als ein geringes Vergehen bestraft. Alle Reisenden stimmen darin überein, dass den europäischen Seeleuten Mädchen und Weiber durch deren Brüder, Väter oder Gatten zum beliebigen Gebrauch für geringes Entgelt angeboten wurden. Die Weiber schwammen nackt zum Schiffe und stiegen an Bord, und ihre Väter oder Brüder instruirten sie über den Preis, für den sie ihre Gunst hingeben sollten . Nur auf Neu- Seeland war, wie Cook bezeugt, die Frau zurückhaltender. Sonst zeigte sich auf allen Inseln kaum eine Idee von Schamgefühl, und derselbe Reisende fand überall in den Hütten der Wilden einen so wenig durch Zurückhaltung gezügelten Verkehr, dass die sexuellen Vereinigungen gleichsam coram populo geschahen. Eine Prinzessin, Namens Oberea, verschmähte es nicht, ein junges Mädchen anzuleiten, dass sie mit einem jungen Menschen öffentlich cohabitire. (Cook.) Aufden Inseln Polynesiens ist es nach Bougainville u. A. gar nichts Seltenes , dass dem besuchenden Gaste eine Tochter oder eine Frau angeboten wird. Auf Tahiti , den Gesellschafts - Inseln u. s . w. wird der Liebesgenuss als der höchste Reiz des Lebens betrachtet ; und die Gesellschaft der Areoïs setzen ihre ganze Lebensaufgabe in die Befriedigung dieses Vergnügens . Wir könnten die Liste dieser zügellosen Sitten noch sehr vergrössern. Die Einführung des Christenthums hat die Zustände allerdings schon sehr geändert. Allein auf den Sandwich - Inseln fanden die Missionäre die grösste Schwierigkeit für ihre christlichen Predigten in dem völlig mangelnden Verständnisse dessen, was wir unter „ Keuschheit" verstehen : „ Die Frauen kannten weder das Wort, noch die Sache. " (De Varigny.) Trotzdem die freie Liebe " unter den Rotenesen allgemein verbreitet zu sein scheint, dürfen sich die jungen Leute nicht damit an die Oeffentlichkeit wagen: denn werden sie erwischt, so ist zur Besänftigung der Eltern eine Busse im Betrage von 25 Gulden, oder einem Büffel fällig. Bisweilen folgt auf solche Entdeckung die Hochzeit, aber nicht immer (Graufland) . Das Leben des weiblichen Geschlechts auf Hawaii fand auch Richard Neuhauss sehr sittenlos ; Mädchen von 12-14 Jahren sind in der Regel nicht mehr jungfräulich ; Unzucht zwischen Vater und Tochter gehört keineswegs zu den Seltenheiten. 298 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. Allein nicht bei allen Völkern der Südsee herrscht eine solche Unbefangenheit. Die Behütung der Keuschheit der Mädchen ist bei den Igorroten auf Luzon (Philippinen) eine geradezu ängstliche , und Fehltritte werden mit schweren körperlichen Züchtigungen, nach Mundt- Lauff sogar mit dem Tode bestraft. Bei den LepantoIgorroten muss der Verführer das Mädchen heirathen oder ihr ein vollständiges Weibergewand und ein belegtes Mutterschwein schenken , und falls das Mädchen niederkommen sollte , das Kind erhalten . Eine Scheidung aber der geschlechtsreifen Jünglinge und Mädchen einer Rancherie in zwei grosse Hütten, wie sie Lillo de Garcia angiebt, besteht nirgends mehr. (Meyer . ) Auf mehreren Inseln des malayischen Archipels herrscht zwischen den jungen Leuten ein ganz unbeanstandeter geschlechtlicher Verkehr. Es ist aber auf das Strengste verboten, doppelsinnige oder gar unzüchtige Ausdrücke im Beisein der Frauen zu gebrauchen. In Asien ist namentlich bei Völkern der mongolischen Rasse die Freiheit der Sitten gross, während doch der Ehemann hier zumeist eine wilde Eifersucht als Besitzer eines Weibes zeigt . Unter den Malayen lebt das Mädchen völlig ungebunden , so lange man sie noch nicht verheirathet hat ; allein in Lambock gilt Ehebruch als Verbrechen ; man wirft den Verbrecher mit der Verbrecherin Rücken an Rücken zusammengebunden den Krokodilen vor. Auch in Cochinchina und Japan hält man auf Treue in der Ehe, allein die Eltern dürfen ihre Töchter ohne Scham verkaufen, sei es an Private, sei es in Prostitutionshäuser. In China kaufen sich reiche Männer junge Mädchen von 14 Jahren für ihren Gebrauch. Nach Turner kann in Tibet jedes junge Mädchen ausserehelichen Umgang pflegen, ohne dass ihr Ruf darunter leidet. Die Bhutia in Indien legen nach Mantegazza¹ kein grosses Gewicht auf die Keuschheit ihrer Weiber, eine Duldsamkeit, von welcher die letzteren in ausgedehntester Weise Gebrauch machen. Eine absolute Keuschheit vor der Ehe ist bei den Limbu in Indien nicht durchaus nöthig und die männlichen Kinder des Mädchens werden vom Vater, die weiblichen von der Mutter unterhalten. Weibliche Keuschheit soll bei den Völkern des westlichen Himalaya , den Garros in Ladak, Spiti und Kulu , wo Polyandrie herrscht, unbekannt sein. Wenn dort einer von mehreren Brüdern eine Frau nimmt, so werden die übrigen ebenfalls ihre Männer ; jede Frau hat das Recht, sich aus einer Reihe von Brüdern einen oder mehrere Männer, nicht Liebhaber, zu wählen. Eine Folge solchen Verkehrs ist , dass den Weibern das Gefühl von Scham keine besonderen Fesseln anlegt : die Frau giebt sich jedem Fremden, der sie dazu veranlasst , ohne Zögern hin ( Rousselot). Einst floh ein Mädchen des Daphla - Volkes (zwischen China und Britisch - Indien) auf indischen Boden und stellte sich unter englischen Schutz gegen ihren Vater, der sie einem in polygamischer Ehe lebenden Nachbar hatte verheirathen wollen. Man verlieh ihr das Niederlassungsrecht ; sofort schmückte sie sich und holte aus einem Versteck ihren Entführer, stellte diesem aber auch als ihre Gatten zwei Männer vor ; es stellte sich heraus, dass unter ihren Landsleuten Vielweiberei die Ausnahme, dagegen unter den Tibetern Vielmännerei die Regel sei . Dabei beschränkt sich die Polyandrie nicht, wie in Tibet , auf Brüder, sondern erfolgt nach freier Wahl ! (Schlagintweit. ) Bei den Berulu Kodo Vokalîgaru in Indien , deren Weiber, wie wir oben durch Fawcett erfahren haben, bei dem Ohrlochstechen der ältesten Tochter sich ein Fingerglied des Ring- und kleinen Fingers amputiren lassen, gilt diese Operation als ein Keuschheitsorakel. Nur eine Frau, die ihrem Manne treu geblieben ist , kann diese Amputation gut ertragen ; dem untreuen Weibe aber würde am Fingerstumpf als Zeichen ihrer Unkeuschheit wieder ein Nagel hervorwachsen. Die nicht civilisirten Weddahs auf Ceylon halten eheliche Treue für selbstverständlich. Von Ehebruch hört man nur da, wo man den Versuch gemacht hat, sie zu civilisiren. Bei den ihnen benachbarten singalesischen Kandiern ist der Ehebruch sehr verbreitet . (Virchow" . ) Die Chewsure n- Mädchen gelten für keusch. Unverheirathet niederzukommen gilt dem Mädchen für eine so grosse Schande, dass sie gewöhnlich nicht überlebt wird . Ent- 72. Die Keuschheit des Weibes. 299 weder erhängt sich das schwangere Mädchen oder es erschiesst sich. Die PschawenMädchen sind minder züchtig (Radde). Die geschlechtliche Moral der Wotjäken weicht von der europäisch- christlichen Sitte ganz erheblich ab. Max Buch sagt darüber : „ Mädchen und Burschen verkehren mit einander durchaus zwanglos und die sogenannte Keuschheit setzt der Liebe keine Schranken. Ja es ist sogar schimpflich für ein Mädchen, wenn sie wenig von den Burschen aufgesucht wird. Charakteristisch ist folgendes Sprichwort der Wotjäken : „ Liebt der Bauer (ein Mädchen) nicht , liebt auch Gott ( es) nicht. " Die hierauf bezüglichen Schilderungen der Autoren sind durchaus in keiner Weise übertrieben ; Ostrowsky erzählt von einem Spiele, das von Mädchen und Burschen gespielt und Heirathsspiel genannt wird. Einige Burschen und Mädchen vertheilen sich paarweis ; jeder Bursche wählt sich ein Mädchen, wobei es selbstverständlich nicht immer ohne Streit abgeht ; jedes Paar versteckt sich dann an einem dunklen Ort, wo das Spiel dann sehr realistisch aufgefasst werden soll ; darauf versammeln sich die „ Familienpaare" alle wieder zur Fortsetzung des Spiels, da es für ein Mädchen schimpflich ist, wenige Besucher zu haben, so ist nur eine logische Folge, dass es für ein Mädchen ehrenvoll ist , Kinder zu haben. Sie bekommt dann einen reicheren Mann und ihr Vater bekommt einen höheren Kalym ( Brautgeld) für sie bezahlt. " Buch bemerkt schliesslich : „ Ein wohlerhaltener Rest jener , communen Ehe' (Lubbock's) ist nun in der sogenannten Sittenlosigkeit der Mädchen zu finden , welche ihren Gefühlen keinen Zwang anthun und dem Bedürfnisse der Liebe in vollem Maasse genügen. Diese Eigenthümlichkeit ist also nicht als die Folge späterer Entsittlichung, sondern als etwas durchaus Natürliches, Ursprüngliches anzusehen. " Eine andere Erscheinung im Völkerleben, die mit unseren Ansichten von weiblicher Keuschheit wenig harmonirt, ist die bei nicht wenigen Völkerschaften herrschende Gewohnheit, dem einkehrenden Gastfreunde die eigene Gattin anzubieten und zu überlassen. Man wird in diesem Punkte wohl gewiss demjenigen beipflichten , was Adalbert von Chamisso hierüber sagt : „ Die Keuschheit ist nur nach unseren Satzungen eine Tugend. In einem der Natur näheren Zustande wird das Weib in dieser Hinsicht erst durch den Willen des Mannes gebunden, dessen Besitzthum es geworden ist. Der Mensch lebt von der Jagd. Der Mann sorgt für seine Waffen und den Fang : das Weib dient und duldet. Er hat gegen den Fremden keine Pflicht ; wo er ihm begegnet, mag er ihn tödten und sein Besitzthum sich aneignen. Schenkt er aber dem Fremdling das Leben, so schuldet er ihm fürder, was zum Leben gehört. Das Mahl ist für alle bereitet und der Mann bedarf eines Weibes. Auf einer höheren Stufe wird die Gastfreundschaft zu einer Tugend und der Hausvater erwartet am Wege den Fremdling und zieht ihn unter sein Zelt oder sein Dach, dass er in seine Wohnung den Segen des Höchsten bringe. Da macht es sich leicht zur Pflicht, ihm sein Weib anzubieten, welches dann zu verschmähen eine Beleidigung sein würde. Das sind reine unverderbte Sitten. " Bei den (sesshaften, angesiedelten) Tschuktschen und Korjä ken, die wir schon oben besprachen, galt es nach Georgi sogar als eine Beleidigung , wenn der Gast die vom Hausherrn angebotene Tochter oder Hausfrau zurückwies. Bei einigen sibirischen Völkern besteht diese Sitte nach Middendorff noch heute. Allein auch hier würden wir irren , wenn wir nun annehmen wollten, dass bei diesen Völkern, deren Frauen so wenig unsere Begriffe von Keuschheit zu theilen im Stande sind, die weibliche Treue vermisst wird ; die Hingebung des Weibes geschieht nur auf Geheiss des Mannes, der über seine Frau ein lediglich mit seiner Genehmigung temporär aufzugebendes Besitzerrecht ausübt. Ueberhaupt ist es noch fraglich, inwieweit diese Sitten ursprünglich sind . Alle älteren Berichte kommen darin überein, dass Korjäken wie Tschuktschen streng auf die Keuschheit ihrer Weiber Fremden gegenüber hielten, dass sie nie ihre Weiber ihren Gästen anboten ; ja es standen schwere Strafen auf die Verletzung ehelicher Treue oder der Keuschheit. Auch v. Nordenskjöld und Bove schildern die Tschuktschinnen als sittlich, doch führt letzterer diese Eigenschaft auf Zwang zurück. Dass sich heutzutage die alte Sittenstrenge bei dem reichlicheren Fremdenverkehre etwas gelockert hat, ist begreiflich. So erzählt Ostatief, dass die Soegstie ihre Weiber und Töchter den Fremden prostituiren, was sie für Pflicht halten. Jedoch fand Erman und Krascheninnikow die Sitte, dem Gastfreunde die Frau zu überlassen, in Kamtschatka , Hall bei den Eskimo , Hearne vor hundert Jahren bei 300 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. den nördlichen Tinné- Indianern , v. Middendorff noch vor ungefähr 10 Jahren bei den Samojeden und Bindulph bei den Bewohnern Hunsas im westlichen Himalaya. Ja selbst aus Europa wird Aehnliches berichtet , denn Murrer sagt: „ Es ist in dem Niderlandt der Bruch, so der Wyrt einen lieben Gast hat, dass er ihm seine Frow zulegt auf guten Glauben. " Mit Recht wird von Peschel- Kirchhoff bemerkt : dass sehr viele Menschenstämme grosse Gleichgültigkeit gegen jugendliche Unkeuschheit zeigen und erst mit der Ehe den Frauen Wandel auflegen. Allein es wird auch mit eben so vielem Rechte der Versuch zurückgewiesen, aus dem Mangel eines sprachlichen Ausdrucks , durch welchen „ Jungfrau“ und „ Frau" unterschieden werden, auf eine Gleichgültigkeit gegen geschlechtliche Reinheit zu schliessen ; denn manche Völker, z. B. die Abiponen , besitzen kein Wort für „ Jungfrau“ , werden aber doch hinsichtlich ihrer Sittenstrenge gerühmt. (Dobrizhoffer.) „ Eher lässt sich , " wie Peschel- Kirchhoff sagt, „ der gleiche sprachliche Mangel ungünstig bei den Comanchen deuten, da sie Gastfreunden ihre Frauen überlassen. (Schoolkraft. ) Diesen schnöden Gebrauch treffen wir in Nord - Amerika noch bei den Aleuten , die auch sonst durch ihre widernatürlichen Ausschweifungen berüchtigt sind , dann bei Eskimos , und endlich erzählt Erman Waitz, dass er in Kamtschatka auf die nämliche Sitte gestossen sei. Die Eskimos sind unter jenen wohl die schamlosesten ; Männer und Frauen liegen nackt dicht an einander während der Nacht unter einem Seehundsfelle ; dem Gaste macht man Platz, indem man, wie Parry fand, nur ein wenig zurückt. Auch bietet man dem Gastfreunde die Weiber zur Benutzung an, die man auch allenfalls verleiht, verschenkt oder verkauft. Nach Parry prostituiren sich aber auch ihrerseits die Weiber in Abwesenheit ihres Eheherrn. Ein Bewohner der AleutenInseln äusserte einst , wie Langsdorff berichtet , zu einem Missionär: „ Mein Volk folgt im Begatten dem Beispiele der Meerottern. " Wenn aber bei den Altajern ein Mädchen verführt wird, was nur höchst selten vorkommt, so versammeln sich alle männlichen Verwandten des Mädchens und versuchen den Verführer zu überreden, jene als seine Frau heimzuführen und dem Vater einen verhältnissmässigen Kalym zu zahlen . Weigert sich derselbe , so fallen sie über ihn her und prügeln ihn so lange, bis er um Gnade bittet. Dann bezahlt er dem Vater ein kleines Strafgeld, giebt ihm eine Flinte und einen Pelz und kann nun unangefochten nach Hause gehen, das Mädchen wird aber in diesem Falle nicht mehr als Tochter betrachtet , sondern muss gemeine Dienste als Magd leisten. ( Radloff. ) Der Indianer folgt in seinen sexuellen Beziehungen lediglich seinem Wohlgefallen, er darf gefahrlos mit einem fremden Weibe, selbst mit dem seines Freundes, sexuell verkehren. Bei den Sioux fand früher alljährlich eine seltsame öffentliche Beichte statt . Die in zwei Reihen gegen einander aufgestellten Jünglinge und Männer liessen sämmtliche Mädchen und Frauen hindurch passiren, und jeder legte die Hand auf diejenige, mit welcher er während des Jahres Umgang gepflogen hatte. Schlimme Folgen hatte dieses Bekenntniss für keinen der beiden Theile ; nur wurde das Weib ein Jahr lang, so oft sich dasselbe ohne Frauenbegleitung ausserhalb des Lagers befand, als Prostituirte behandelt. (Dodge. ) Die Indianerfrauen einiger Stämme besitzen einen Keuschheitsschutz , der bei Männern Ansehen und Geltung hat. Ein Angriff auf ein Cheyenne- Weib, das sich die Füsse mit einem Lariat, einem Stricke umwickelt hat, würde als Nothzucht mit dem Tode geahndet werden; ohne diesen Talisman aber ist dasselbe in Abwesenheit des Eheherrn jedem fremden Menschen wehrlos preisgegeben. (Dodge.) Die Schetímascha - Indianer im südlichen Louisiana lebten in monogamischer Ehe und hielten streng auf Beobachtung der Keuschheit. Liess ein Mädchen sich zu weit mit einem Manne ihrer Bekanntschaft ein, so harrte ihrer zu Hause die Prügelstrafe. (Gatschet. ) Dagegen fand Richard Rhode die Weiber der Bororo - Indianer an den Ufern des Paraguay wenig keusch, denn sie machten ihm sowie seinen Leuten häufig Liebesanträge. Einen Einblick in die im Lande herrschende Keuschheit gestattet der Staatsanzeiger von Surinam , der für das Jahr 1889 eine Zahl von 1935 Geburten angiebt, von denen 300 ehelich waren. (Joest.) 72. Die Keuschheit des Weibes. 301 Im Allgemeinen herrschen in Beziehung auf dasjenige, was wir Keuschheit nennen, auch unter den Völkern Afrikas sehr differente Zustände. In Wadai wie in Darfur leben die Mädchen völlig ungebunden, und es tritt erst dann ein festeres Verhältniss ein , wenn einer der Bewerber einen Vorzug erhält. Bei anderen Völkern, in Akra, am Congo etc. geben Ausschweifungen der Mädchen keinen Anstoss, ebenso wenig bei den Papels , wo jedoch auf Treue des Weibes streng gehalten wird . Dergleichen Thatsachen findet man noch mehrfach bei Waitz, der jedoch auch anführt, dass man dagegen an der Goldküste , in Dahomey u. s. w. die Verführte bestraft, oder den Verführer nöthigt, sie zu heirathen . Bei den Kaffern hat der Verführer eines Mädchens Busse zu zahlen und es ist ihm verboten, die Verführte zu heirathen . (Döhne. ) Von allen Autoren wird (Joest), ausser der Schönheit, die Keuschheit der Zulumädchen gelobt ; das bezieht sich aber doch wohl nur auf ihren Verkehr mit Europäern. Uebrigens würde jedes Mädchen, das bei intimem Verkehr mit einem Weissen überrascht oder das gar einem Weissen ein Kind gebären würde, sofort todtgeschlagen, und da ist die Keuschheit am Ende etwas nicht sehr Verdienst- volles. Die Masai im Inneren von Ost - Afrika sollen dagegen, wie Thomson behauptet, jede weibliche Person, die ausserehelich geschwängert ist, auch wenn sie noch nicht mit einem Manne verheirathet ist , tödten . Bei dem Dinka - Stamm der Agahr muss derjenige, der die Brust eines unverheiratheten Mädchens berührt, den Kaufpreis bezahlen und das Mädchen heirathen ; will er es nicht, so giebt er nur die Kühe und das Mädchen hat bei geringerem Werthe eine andere sich bietende Partie zu erwarten. (Schweinfurth, Ratzel.) Wie soll sich denn auch der Begriff „ Keuschheit" entwickeln in einem Volke, dessen Anschauungen so tief stehen, dass es am Kinde selbst unzüchtiges Wesen zulässt ? Von den Basutho sagt Missionär Grützner : „ Unzucht ist Volkssitte . Nur in dem Fall, dass ein Mädchen dabei geschwängert wird, was übrigens wunderbar genug nicht allzu oft vorkommt (die Mädchen sagen zu den Kerlen, die bei ihnen liegen : verdirb mich nicht ! ) , so heisst es : Bezahle Strafe ! Der Betreffende bezahlt dann an einigen Orten 1-2 Ziegen, anderwärts bis zu 7 Kühen. So lange aber ein Mädchen nicht schwanger ist , so ist sie noch trotz aller Unzucht Xo lokile ( in Ordnung) . Solche Unzucht der Kinder und Halberwachsenen heisst auch nicht anders als : Xo raloka , d . h. spielen . Ein Seotsoa (Hurer) st nur ein solcher Mensch, der überall und mit jedem, sonderlich verheiratheten Weibe sich abgiebt. Alle anderen oben genannten , spielen bloss ,,wie die Hühner“ . “ Auch in Niederländisch - Indien sind schon lange vor der Entwickelungs- Periode die Kinder diesem Genusse ergeben, und der Coitus zwischen Brüdern und Schwestern von 5 bis 6 Jahren ist keine Seltenheit . (van der Burg. ) Bei den Valavé auf Madagascar begatten sich die Kinder, ohne dass die Eltern dagegen einschreiten , schon sehr früh, und (Audebert) ahmen mit wachsender Beweglichkeit immer mehr das Gebahren der Eltern nach, leider auch zum grössten Vergnügen letzterer und unter ihrer Ermunterung die Handlungen sich täglich vor ihren Augen begattender Hausthiere , so dass ein civilisirter Mensch mit Ekel von dem Treiben dieser verthierten Jugend sich abwenden muss. Schon früh hat die religiöse Gesetzgebung ein grosses Gewicht auf ein keusches Leben gelegt. Unschuld der weiblichen Jugend und Keuschheit wird schon im mosaischen Gesetze geboten : Es soll keine Hure sein unter den Töchtern Israels und kein Schandbube unter den Söhnen Israels ; und eines Priesters Tochter, die also thuet, die anfänget, also zu thun, soll mit Feuer verbrannt werden ( 3. Moses 19, 29. 21 , 9. 5. Moses 23 , 17) . Auch verdankt man der christlichen Religion die reine Auffassung keuschen Wesens. Jahrhunderte lang war allerdings das Christenthum nicht im Stande, gewisse Mängel des häuslichen Lebens, insbesondere die Unsitten des asiatischen Hoflebens zu überwinden. Allein die principiell verurtheilende Stellung, die es in Sachen unkeuscher Liebe einnahm, brach mit der Zeit sich Bahn und drängte wenigstens die offenkundige 302 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. Sittenlosigkeit in den Hintergrund. Mit dem Eindringen einer Art von Schein -Christenthum ist jedoch auf der anderen Seite einigen Urvölkern der Sinn für weibliche Keuschheit merkwürdiger Weise verloren gegangen. Die gewiss gute und heilsame Sitte der wilden Alfuren auf der Insel Serang (Joest) , dass die jungen Leute im Baileo schlafen müssen, existirt bei den Christen nicht ; da schläft die ganze Familie in einem Hause, leider aber auch die Töchter mit ihren Geliebten und die Söhne mit ihren Freundinnen, dabei herrscht die ungebundenste free love ; und wenn einmal ein Mädchen heirathet, dann vereinigt sie sich meist mit dem Manne, von dem sie glaubt, schon mehrere Kinder zu haben. Die Sitten der Wilden lockern und verschlechtern sich vielfach in der Berührung mit einer Cultur, für die ihnen das Verständniss fehlt, die ihnen auch nur den altgewohnten Brauch nimmt, ohne ihnen wirklich bessere Gebräuche beizubringen. Zugleich mit der Cultur, welche sich ein Volk erwirbt, stellen sich allerdings wohl auch die höheren und edleren Begriffe über den Werth der Sittsamkeit des Weibes ein ; allein die Art der Ueberwachung der Keuschheit bei halbcivilisirten Völkern zeugt doch wiederum recht oft von einem bemerkenswerthen Grade sittlicher Rohheit. Wenn den polygamischen Völkern des Orients als zuverlässige Wache für die Weiber des Harems nur der Verschnittene (Eunuch) dient, so kann man in solchem Brauche kaum ein ethisches Mittel für einen ethischen Zweck finden . Der Islam aber hat diese Zustände von Völkerschaften der Christenheit adoptirt. Denn es findet sich der Ursprung des Eunuchenwesens nicht bei den Mohammedanern. Hauri sagt sehr richtig : „ Wir brauchen kaum zu sagen, dass der Prophet solche Verhältnisse nicht gewollt hat. Die gute altarabische Sitte ist hauptsächlich durch fremde, persische und byzantinische Einflüsse zerstört worden. " Auch am Hofe von Constantinopel herrschten damals solche Zustände ; so ist z. B. das Eunuchenwesen von dorther bei den Arabern eingedrungen. Ein moslimischer Theologe der ältesten Zeit berichtet : „ Die Sitte des Verschneidens stammt von den Byzantinern , und wunderbar ist es, dass gerade sie Christen sind und vor anderen Völkern der Milde, der Humanität und der Barmherzigkeit sich rühmen. " Die Chalifen von Damascus bezogen ihre Eunuchen ursprünglich aus dem byzantinischen Reiche, und die von Cordova die ihrigen aus Frankreich , besonders aus Verdun , wo die Juden weltberühmte Eunuchenanstalten hatten (Dozy) . Trotzdem fällt ein grosser Theil der Schuld an diesen Verhältnissen auf den Islam. Polygamie und Haremsleben lässt er bestehen, ja er macht sie zur Grundlage des Familienlebens und umgiebt sie mit dem Nimbus göttlicher Gebote. Unsittlichkeit wird die Folge sein, wo das Weib sich in die vom Koran gezogenen Schranken fügt, aber ebenso gut da, wo es nach grösserer Freiheit trachtet ; denn dass es nur durch Uebertretung göttlichen Gesetzes sich eine freiere Stellung in der Gesellschaft erringen kann, führt natürlich zu einer ungesunden, unsittlichen Freiheit. Die Eifersucht der Männer hat es sowohl bei den Naturvölkern als auch bei den sogenannten Vertretern der Civilisation verstanden, mechanische Vorkehrungen zu treffen, welche eine etwaige Untreue der Frauen zu ver- hüten im Stande waren. Es waren Apparate, welche den Zugang zu den weiblichen Geschlechtstheilen verschlossen . Einige afrikanische Völker sollen, wie es heisst, ihre Frauen nicht ausgehen lassen, ohne dass dieselben sich ein Sieb oder eine Rosen- Muschel vor die Geschlechtstheile binden. 72. Die Keuschheit des Weibes. 303 Ein anderes Verfahren, welches die Eifersucht der Ehemänner ersann, ist eine Art der Infibulation , d. h. das Einziehen eines Ringes in die beiderseitigen Schamlippen, wodurch der Introitus vaginae verschlossen wird. Dieses Hülfsmittel soll im Orient sehr gebräuchlich gewesen sein. In Ost- Afrika wird bei vielen Völkern aus dergleichen Gründen sehr jungen Mädchen die operative Verschliessung der Scheide durch Wundmachen und narbiges Zusammenheilen der Schamlippen geübt, wie wir das in einem der vorigen Kapitel ausführlich kennen gelernt haben. وو Bei den Indianern beschreibt Pauw eine Art von Keuschheitsgürtel : Il consiste en une ceinture tressée de fils d'airain et cadenassée, au-dessus des hanches, au moyen d'une serrure composée de cercles mobiles, où l'on a gravé un certain nombre de caractères et de chiffres. Il n'y a qu'une seule combinaison pour comprimer le ressort qui ouvre, et c'est le secret du mari. " Dass auch in Europa im Mittelalter derartige Marterwerkzeuge bisweilen in Gebrauch gewesen sind, das mag wohl den Lesern hinreichend bekannt sein. Wahrscheinlich waren es die Kreuzzüge, welchen diese barbarische Erfindung zu danken ist, durch die der eine oder der andere der zu langer Abwesenheit von Hause gezwungenen Ritter sich der ehelichen Treue seiner Hausfrau unverbrüchlich versichern wollte. Wie absprechend aber bereits die Zeitgenossen über eine solche Grausamkeit aburtheilten, das können wir aus folgenden Thatsachen entnehmen. Fig. 85. Keuschheitsgürtel. (Nach einem anonymen Stich des 16. Jahrhunderts. ) Im Arsenal zu Venedig soll sich ein Instrument befinden, welches man dort aufbewahrt, und das aus einem Process gegen Carrara, einen kaiserlichen Gouverneur in Padua vom J. 1405, herstammt, indem dasselbe als schlimmes Beweismittel für seine Vergehen diente, für die er auf Befehl des Senates eingekerkert wurde : " Ibi sunt serae et varia repagula, quibus turpe illud monstrum pellices suas occludebat " (Misson) . Trotz dieser exemplarischen Bestrafung scheint sich das Instrument nicht nur in Italien , sondern auch in Frankreich verbreitet zu haben. Zuerst wurde der Versuch der Einführung unter König Heinrich II. von einem Geschäftsmanne gemacht, welcher eiserne Keuschheitsgürtel, genannt ,,à la Bergamasque" , auf der Messe zu Saint - Germain ausbot. Du temps du roy Henry, heisst es bei Brantôme, il gent un certain quinquailleur, qui apporta une douzaine de certains engins à la foire de Saint German pour brider le cas des femmes, qui estoient faicts de fer et ceinturoient comme une ceinture , et venoient à prendre par le bas et se fermer à clef, si subtilement faicts qu'il n'estoit pas possible que la femme ce doulx plaisir, n'ayant que quelques petits trous menus pour servir à pisser. Der Erfolg dieses Kaufmannes war ein höchst ungünstiger. Er musste fliehen, denn die Bevölkerung drohte, ihn in die Seine zu werfen. Später 302 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. Sittenlosigkeit in den Hintergrund. Mit dem Eindringen einer Art von Schein -Christenthum ist jedoch auf der anderen Seite einigen Urvölkern der Sinn für weibliche Keuschheit merkwürdiger Weise verloren gegangen. Die gewiss gute und heilsame Sitte der wilden Alfuren auf der Insel Serang (Joest) , dass die jungen Leute im Baileo schlafen müssen, existirt bei den Christen nicht ; da schläft die ganze Familie in einem Hause, leider aber auch die Töchter mit ihren Geliebten und die Söhne mit ihren Freundinnen, dabei herrscht die ungebundenste free love ; und wenn einmal ein Mädchen heirathet, dann vereinigt sie sich meist mit dem Manne, von dem sie glaubt, schon mehrere Kinder zu haben. Die Sitten der Wilden lockern und verschlechtern sich vielfach in der Berührung mit einer Cultur, für die ihnen das Verständniss fehlt, die ihnen auch nur den altgewohnten Brauch nimmt, ohne ihnen wirklich bessere Gebräuche beizubringen. Zugleich mit der Cultur, welche sich ein Volk erwirbt, stellen sich allerdings wohl auch die höheren und edleren Begriffe über den Werth der Sittsamkeit des Weibes ein ; allein die Art der Ueberwachung der Keuschheit bei halbcivilisirten Völkern zeugt doch wiederum recht oft von einem bemerkenswerthen Grade sittlicher Rohheit, Wenn den polygamischen Völkern des Orients als zuverlässige Wache für die Weiber des Harems nur der Verschnittene (Eunuch) dient, so kann man in solchem Brauche kaum ein ethisches Mittel für einen ethischen Zweck finden. Der Islam aber hat diese Zustände von Völkerschaften der Christenheit adoptirt. Denn es findet sich der Ursprung des Eunuchenwesens nicht bei den Mohammedanern. Hauri sagt sehr richtig : „ Wir brauchen kaum zu sagen, dass der Prophet solche Verhältnisse nicht gewollt hat . Die gute altarabische Sitte ist hauptsächlich durch fremde, persische und byzantinische Einflüsse zerstört worden. " Auch am Hofe von Constantinopel herrschten damals solche Zustände ; so ist z . B. das Eunuchenwesen von dorther bei den Arabern eingedrungen. Ein moslimischer Theologe der ältesten Zeit berichtet : „ Die Sitte des Verschneidens stammt von den Byzantinern , und wunderbar ist es, dass gerade sie Christen sind und vor anderen Völkern der Milde, der Humanität und der Barmherzigkeit sich rühmen." Die Chalifen von Damascus bezogen ihre Eunuchen ursprünglich aus dem byzantinischen Reiche, und die von Cordova die ihrigen aus Frankreich , besonders aus Verdun, wo die Juden weltberühmte Eunuchenanstalten hatten (Dozy) . Trotzdem fällt ein grosser Theil der Schuld an diesen Verhältnissen auf den Islam. Polygamie und Haremsleben lässt er bestehen, ja er macht sie zur Grundlage des Familienlebens und umgiebt sie mit dem Nimbus göttlicher Gebote. Unsittlichkeit wird die Folge sein, wo das Weib sich in die vom Koran gezogenen Schranken fügt, aber ebenso gut da, wo es nach grösserer Freiheit trachtet ; denn dass es nur durch Uebertretung göttlichen Gesetzes sich eine freiere Stellung in der Gesellschaft erringen kann, führt natürlich zu einer ungesunden, unsittlichen Freiheit. Die Eifersucht der Männer hat es sowohl bei den Naturvölkern als auch bei den sogenannten Vertretern der Civilisation verstanden, mechanische Vorkehrungen zu treffen, welche eine etwaige Untreue der Frauen zu ver- hüten im Stande waren. Es waren Apparate, welche den Zugang zu den weiblichen Geschlechtstheilen verschlossen. Einige afrikanische Völker sollen, wie es heisst, ihre Frauen nicht ausgehen lassen, ohne dass dieselben sich ein Sieb oder eine Rosen-Muschel vor die Geschlechtstheile binden . 72. Die Keuschheit des Weibes. 303 Ein anderes Verfahren, welches die Eifersucht der Ehemänner ersann, ist eine Art der Infibulation , d. h. das Einziehen eines Ringes in die beiderseitigen Schamlippen, wodurch der Introitus vaginae verschlossen wird. Dieses Hülfsmittel soll im Orient sehr gebräuchlich gewesen sein. In Ost- Afrika wird bei vielen Völkern aus dergleichen Gründen sehr jungen Mädchen die operative Verschliessung der Scheide durch Wundmachen und narbiges Zusammenheilen der Schamlippen geübt, wie wir das in einem der vorigen Kapitel ausführlich kennen gelernt haben. Bei den Indianern beschreibt Pauw eine Art von Keuschheitsgürtel : „ Il consiste en une ceinture tressée de fils d'airain et cadenassée, au-dessus des hanches, au moyen d'une serrure composée de cercles mobiles, où l'on a gravé un certain nombre de caractères et de chiffres. Il n'y a qu'une seule combinaison pour comprimer le ressort qui ouvre, et c'est le secret du mari. " Dass auch in Europa im Mittelalter derartige Marterwerkzeuge bisweilen in Gebrauch gewesen sind, das mag wohl den Lesern hinreichend bekannt sein. Wahrscheinlich waren es die Kreuzzüge, welchen diese barbarische Erfindung zu danken ist, durch die der eine oder der andere der zu langer Abwesenheit von Hause gezwungenen Ritter sich der ehelichen Treue seiner Hausfrau unverbrüchlich versichern wollte. Wie absprechend aber bereits die Zeitgenossen über eine solche Grausamkeit aburtheilten, das können wir aus folgenden Thatsachen entnehmen. Fig. 85. Keuschheitsgürtel. (Nach einem anonymen Stich des 16. Jahrhunderts. ) Im Arsenal zu Venedig soll sich ein Instrument befinden, welches man dort aufbewahrt, und das aus einem Process gegen Carrara, einen kaiserlichen Gouverneur in Padua vom J. 1405, herstammt, indem dasselbe als schlimmes Beweismittel für seine Vergehen diente, für die er auf Befehl des Senates eingekerkert wurde : „, Ibi sunt serae et varia repagula , quibus turpe illud monstrum pellices suas occludebat" ( Misson). Trotz dieser exemplarischen Bestrafung scheint sich das Instrument nicht nur in Italien , sondern auch in Frankreich verbreitet zu haben. Zuerst wurde der Versuch der Einführung unter König Heinrich II. von einem Geschäftsmanne gemacht, welcher eiserne Keuschheitsgürtel, genannt ,,à la Bergamasque", auf der Messe zu Saint - Germain ausbot. Du temps du roy Henry, heisst es bei Brantôme, il gent un certain quinquailleur, qui apporta une douzaine de certains engins à la foire de Saint German pour brider le cas des femmes, qui estoient faicts de fer et ceinturoient comme une ceinture , et venoient à prendre par le bas et se fermer à clef, si subtilement faicts qu'il n'estoit pas possible que la femme ce doulx plaisir, n'ayant que quelques petits trous menus pour servir à pisser. Der Erfolg dieses Kaufmannes war ein höchst ungünstiger. Er musste fliehen, denn die Bevölkerung drohte, ihn in die Seine zu werfen. Später 304 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. freilich mochte man sich wenigstens heimlich mit dem Gebrauche und der Benutzung vertraut gemacht haben, denn im Musée de Cluny zu Paris befindet sich ein solches Instrument, das durch seine Abnutzung es wahrscheinlich macht, dass es vielfältig in Anwendung war. Es besteht aus einer Platte von Elfenbein, befestigt an einem Gürtel von Stahl, der von rothem Roste bedeckt ist und mittelst eines Schlosses zugehalten werden kann. In der berühmten Waffensammlung im Schloss Erbach im Odenwald sah der Herausgeber zwei solche Keuschheitsgürtel aus Eisenblech. Der eine ist mit rothem Sammet überzogen, aber sonst ohne jede Verzierung ; dem anderen fehlt der Stoffüberzug, jedoch hat er früher wohl einen solchen getragen, zu dessen Befestigung die Ränder des Instrumentes in gleichen Abständen von feinen Löchern durchbohrt sind. Die Aussenfläche des letzteren zeigt in ziemlich roher Weise eingeätzte bildliche Darstellungen im Stile der Wende des 16. Jahrhunderts. Von einem dreitheiligen ungefähr nur 1 cm breiten eisernen Leibgurt geht vorn und hinten je ein schmales, der Körperrundung entsprechend gebogenes Eisenblech nach unten ab . Diese beiden Stücke sind mit dem Leibgurt durch ein Charnier verbunden und haben eine breite Basis, nehmen dann aber ungefähr eine Lanzettform an. Die Spitzen dieser beiden Lanzetten treffen sich in der Dammgegend der Frau und sind hier ebenfalls durch ein Charnier mit einander verbunden. Die hintere Platte besitzt dem After entsprechend eine kleeblattförmige Oeffnung von 5,2 cm Breite und 4,5 cm Höhe. Bei dem unverzierten Gürtel ist diese Oeffnung rund und von nur 3,1 cm Durchmesser. Auch der vordere Theil der Gürtel ist mit einer Oeffnung, der Schamspalte entsprechend , versehen. Dieselbe bildet einen schmalen , spindelförmigen Längsspalt von 7 cm Länge und 1 cm grösster Breite. ( Bei dem nicht verzierten Gürtel 7,6 cm und 1,7 cm. ) Bei beiden Gürteln ist dieser Längsspalt mit feinen Zähnen besetzt. Etwas oberhalb dieses Spaltes ist bei dem schöneren Gürtel noch ein Ausschnitt von der Form eines Pique- Ass angebracht, der wohl nur einen ornamentalen Zweck besitzt . Auf der Bauchplatte sowohl, als auch auf der Gesässplatte finden sich flach eingeätzte Verzierungen. Dieselben stellen ein Rankenwerk dar, welches nach oben aus einander weicht, um je eine bildliche Darstellung zu umrahmen. Vorn ist dieses ein Paar, das sich umschlungen hält und sich küsst, wobei die Frau, vielleicht cohabitirend, auf dem Schoosse des Mannes sitzt. Darunter findet sich die Unterschrift : Ach Das sey Eich geklagt Das mir Weiber sein mit der Brüch (Brück ?) geplagt. Etwas tiefer ist im Rankenwerk noch ein kleiner bekleideter Mann zu erkennen. Die Hinterplatte hat als Bild eine im halben Profil sitzende nackte Frau mit ziemlich hängenden Brüsten. Sie ergreift mit der Hand den senkrecht aufstehenden Schwanz eines Fuchses, welch letzterer ihr zwischen den Waden hindurchkriecht. Auch hierunter befindet sich ein Vers: Halt Füxel ich Hab Dich er Wischt Du büst mir Oft dar Durch Gewist. Noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts war eine Frau in Frankreich gegen ihren Ehegatten klagbar geworden, weil er ihr einen derartigen Keuschheitsgürtel angelegt hatte. Die Rede seines Vertheidigers im Parlamente ist uns noch erhalten geblieben. (Freydier.) Die Abbildung eines solchen Gürtels hat uns ein unbekannter Meister des 16. Jahrhunderts erhalten. Dieser Stich ist von Hirth in seinem culturgeschichtlichen Bilderbuche wiedergegeben. Ueber der geschlossenen Dame, die aus der Geldtasche eines Alten mit einer Hand Münzen herausnimmt 74. Ethnographie der Anschauungen über den Werth der Jungfrauschaft. 305 und mit der anderen Hand das Geld einem jungen, einen grossen Schlüssel haltenden Manne giebt, steht auf einem Spruchbande folgender Vers : Es hilft kain shloss für frauwen list kain trew mag sein dar lieb nit ist Darumb am schlüssel der mir gefelt Den wöl ich kauffen umb dein gelt. 73. Jungfrauenzauber und Jungfrauschaftsorakel. Allerlei mystischer Einfluss im günstigen Sinne wird einer keuschen Jungfrau zugeschrieben, bisweilen leider sehr zu deren Schaden. So erscheint über ganz Deutschland der unselige Aberglaube in dem Volke verbreitet, dass kein wirksameres Mittel gegen venerische Erkrankungen aller Art existire, als der Beischlaf mit einer unbefleckten Jungfrau, oder wenigstens die directe Berührung ihrer Geschlechtstheile mit dem erkrankten Penis. Unendliches Unglück ist auf diese Weise verbreitet worden. Auch in den Gebieten von Belluno und Treviso findet sich nach der Angabe von Bastanzi die gleiche schreckliche Ungeheuerlichkeit. Wie das primum menstruum der jungfräulichen Mädchen zu allerhand Zauber und Medicin gebräuchlich ist, das haben wir bereits oben kennen gelernt. Ebenfalls in den Provinzen Belluno und Treviso vermag die Jungfrau die Fruchtbarkeit der Schweine zu vermehren, wenn sie dabei anwesend ist, während der Eber das Bespringen ausführt. (Bastanzi.) Nun ist es aber dann natürlicher Weise auch wünschenswerth, ein sicheres Kennzeichen zu besitzen, um zu wissen, ob das betreffende Mädchen auch ihre Jungfrauschaft noch nicht verloren habe. Auch in dieser Beziehung begegnen wir im Volksaberglauben mancherlei absonderlichen Prüfungsmitteln und Orakeln. Schon nach Ovid zeigte ein Faden, mit welchem man den Halsumfang maass, eine Zunahme des Letzteren an, wenn das Mädchen die Keuschheit verloren hatte. Noch heutigen Tages hat man nach Karusio solch ein Faden- Orakel in der Provinz Bari. Man muss von hinten her über den Nacken und die Lippen messen. Wenn dann der Faden sich nicht über den Kopf des Mädchens abstreifen lässt, so befindet sie sich noch im Besitze ihrer Jungfrauschaft. Auch von dem Landvolke in Bayern führt Lammert solche Keuschheitsprüfungen an. Wenn ein Mädchen einen Topf kochenden Wassers vom Feuer hebt, und derselbe hört auf zu kochen, so hat es seine Jungfernschaft verloren . Weniger ästhetisch ist die folgende Probe: Giebt man einem Mädchen das Pulver von verbrannten Epheuwurzeln ein, so vermag es, wenn es nicht mehr Jungfrau ist, seinen Urin nicht zu halten. 74. Ethnographie der Anschauungen über den Werth der Jungfrauschaft. Der Begriff der Jungfrauschaft ist ein ethischer, der von der Annahme ausgeht, dass die sexuelle Unberührtheit des Mädchens einen ganz besonders hohen sittlichen Werth besitze. In solcher Werthschätzung der weiblichen, intacten Individualität kommt culturgeschichtlich unter den Völkern sowohl ein Naturalismus, als auch ein Idealismus zur Erscheinung, Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl . 20 304 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. freilich mochte man sich wenigstens heimlich mit dem Gebrauche und der Benutzung vertraut gemacht haben, denn im Musée de Cluny zu Paris befindet sich ein solches Instrument, das durch seine Abnutzung es wahrscheinlich macht, dass es vielfältig in Anwendung war. Es besteht aus einer Platte von Elfenbein, befestigt an einem Gürtel von Stahl, der von rothem Roste bedeckt ist und mittelst eines Schlosses zugehalten werden kann. In der berühmten Waffensammlung im Schloss Erbach im Odenwald sah´ der Herausgeber zwei solche Keuschheitsgürtel aus Eisenblech. Der eine ist mit rothem Sammet überzogen, aber sonst ohne jede Verzierung ; dem anderen fehlt der Stoffüberzug, jedoch hat er früher wohl einen solchen getragen, zu dessen Befestigung die Ränder des Instrumentes in gleichen Abständen von feinen Löchern durchbohrt sind. Die Aussenfläche des letzteren zeigt in ziemlich roher Weise eingeätzte bildliche Darstellungen im Stile der Wende des 16. Jahrhunderts. Von einem dreitheiligen ungefähr nur 1 cm breiten eisernen Leibgurt geht vorn und hinten je ein schmales , der Körperrundung entsprechend gebogenes Eisenblech nach unten ab. Diese beiden Stücke sind mit dem Leibgurt durch ein Charnier verbunden und haben eine breite Basis, nehmen dann aber ungefähr eine Lanzettform an. Die Spitzen dieser beiden Lanzetten treffen sich in der Dammgegend der Frau und sind hier ebenfalls durch ein Charnier mit einander verbunden . Die hintere Platte besitzt dem After entsprechend eine kleeblattförmige Oeffnung von 5,2 cm Breite und 4,5 cm Höhe. Bei dem unverzierten Gürtel ist diese Oeffnung rund und von nur 3,1 cm Durchmesser. Auch der vordere Theil der Gürtel ist mit einer Oeffnung, der Schamspalte entsprechend, versehen. Dieselbe bildet einen schmalen, spindelförmigen Längsspalt von 7 cm Länge und 1 cm grösster Breite. ( Bei dem nicht verzierten Gürtel 7,6 cm und 1,7 cm. ) Bei beiden Gürteln ist dieser Längsspalt mit feinen Zähnen besetzt. Etwas oberhalb dieses Spaltes ist bei dem schöneren Gürtel noch ein Ausschnitt von der Form eines Pique- Ass angebracht, der wohl nur einen ornamentalen Zweck besitzt . Auf der Bauchplatte sowohl, als auch auf der Gesässplatte finden sich flach eingeätzte Verzierungen. Dieselben stellen ein Rankenwerk dar, welches nach oben aus einander weicht, um je eine bildliche Darstellung zu umrahmen. Vorn ist dieses ein Paar, das sich umschlungen hält und sich küsst, wobei die Frau, vielleicht cohabitirend , auf dem Schoosse des Mannes sitzt . Darunter findet sich die Unterschrift : Ach Das sey Eich geklagt Das mir Weiber sein mit der Brüch (Brück ? ) geplagt. Etwas tiefer ist im Rankenwerk noch ein kleiner bekleideter Mann zu erkennen. Die Hinterplatte hat als Bild eine im halben Profil sitzende nackte Frau mit ziemlich hängenden Brüsten . Sie ergreift mit der Hand den senkrecht aufstehenden Schwanz eines Fuchses, welch letzterer ihr zwischen den Waden hindurchkriecht. Auch hierunter befindet sich ein Vers : Halt Füxel ich Hab Dich er Wischt Du büst mir Oft dar Durch Gewist. Noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts war eine Frau in Frankreich gegen ihren Ehegatten klagbar geworden, weil er ihr einen derartigen Keuschheitsgürtel angelegt hatte. Die Rede seines Vertheidigers im Parlamente ist uns noch erhalten geblieben. (Freydier.) Die Abbildung eines solchen Gürtels hat uns ein unbekannter Meister des 16. Jahrhunderts erhalten. Dieser Stich ist von Hirth in seinem culturgeschichtlichen Bilderbuche wiedergegeben. Ueber der geschlossenen Dame, die aus der Geldtasche eines Alten mit einer Hand Münzen herausnimmt 74. Ethnographie der Anschauungen über den Werth der Jungfrauschaft. 305 und mit der anderen Hand das Geld einem jungen, einen grossen Schlüssel haltenden Manne giebt, steht auf einem Spruchbande folgender Vers : Es hilft kain shloss für frauwen list kain trew mag sein dar lieb nit ist Darumb am schlüssel der mir gefelt Den wöl ich kauffen umb dein gelt. 73. Jungfrauenzauber und Jungfrauschaftsorakel. Allerlei mystischer Einfluss im günstigen Sinne wird einer keuschen Jungfrau zugeschrieben, bisweilen leider sehr zu deren Schaden. So erscheint über ganz Deutschland der unselige Aberglaube in dem Volke verbreitet, dass kein wirksameres Mittel gegen venerische Erkrankungen aller Art existire, als der Beischlaf mit einer unbefleckten Jungfrau, oder wenigstens die directe Berührung ihrer Geschlechtstheile mit dem erkrankten Penis. Unendliches Unglück ist auf diese Weise verbreitet worden. Auch in den Gebieten von Belluno und Treviso findet sich nach der Angabe von Bastanzi die gleiche schreckliche Ungeheuerlichkeit. Wie das primum menstruum der jungfräulichen Mädchen zu allerhand Zauber und Medicin gebräuchlich ist, das haben wir bereits oben kennen gelernt. Ebenfalls in den Provinzen Belluno und Treviso vermag die Jungfrau die Fruchtbarkeit der Schweine zu vermehren, wenn sie dabei anwesend ist, während der Eber das Bespringen ausführt. (Bastanzi. ) Nun ist es aber dann natürlicher Weise auch wünschenswerth, ein sicheres Kennzeichen zu besitzen, um zu wissen, ob das betreffende Mädchen auch ihre Jungfrauschaft noch nicht verloren habe. Auch in dieser Beziehung begegnen wir im Volksaberglauben mancherlei absonderlichen. Prüfungsmitteln und Orakeln. Schon nach Ovid zeigte ein Faden, mit welchem man den Halsumfang maass, eine Zunahme des Letzteren an, wenn das Mädchen die Keuschheit verloren hatte. Noch heutigen Tages hat man nach Karusio solch ein Faden-Orakel in der Provinz Bari. Man muss von hinten her über den Nacken und die Lippen messen. Wenn dann der Faden sich nicht über den Kopf des Mädchens abstreifen lässt, so befindet sie sich noch im Besitze ihrer Jungfrauschaft. Auch von dem Landvolke in Bayern führt Lammert solche Keuschheitsprüfungen an. Wenn ein Mädchen einen Topf kochenden Wassers vom Feuer hebt, und derselbe hört auf zu kochen, so hat es seine Jungfernschaft verloren . Weniger ästhetisch ist die folgende Probe : Giebt man einem Mädchen das Pulver von verbrannten Epheuwurzeln ein, so vermag es, wenn es nicht mehr Jungfrau ist, seinen Urin nicht zu halten. 74. Ethnographie der Anschauungen über den Werth der Jungfrauschaft. Der Begriff der Jungfrauschaft ist ein ethischer, der von der Annahme ausgeht, dass die sexuelle Unberührtheit des Mädchens einen ganz besonders hohen sittlichen Werth besitze. In solcher Werthschätzung der weiblichen, intacten Individualität kommt culturgeschichtlich unter den Völkern sowohl ein Naturalismus, als auch ein Idealismus zur Erscheinung, Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 20 306 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. und schon auf einer ziemlich niederen Stufe der Cultur finden wir bisweilen als ein untrügliches Zeichen einer ethischen Regung die Achtung und die Werthschätzung der Jungfräulichkeit. Wir selbst haben uns allerdings schon längst gewöhnt, in der Unnahbarkeit und Reinheit des jungfräulichen Zustandes das Ideal schöner und keuscher Weiblichkeit zu verehren. Schon im altgermanischen Rechte wird die Jungfräulichkeit als achtungswerth aufgefasst, und auch die christliche Religion legt bekanntlich von Alters her ein so hohes Gewicht auf ein keusches jungfräuliches Leben, dass manche verehelichte Frauen als Heilige noch heutigen Tages verehrt werden, weil sie auch in dem Ehestande die Jungfrauschaft sich bewahrt haben. Wenn nun auch die Germanen , die sich dem Christenthume zuwandten, dem Weibe deshalb nicht mehr eine hohe Achtung zollten, weil die Geistlichkeit geneigt war, die Frau im Hinblick auf Eva's Sündenfall als ein niedriges und unreines Wesen zu betrachten ( Weinhold), so hat doch die jungfräuliche Reinheit immer unverändert ihre Hochachtung genossen, und in dem Christenthum hat die Verehrung der Mutter Gottes als die unbefleckte Jungfrau Maria dem jungfräulichen Wesen eine ganz besondere Glorie gegeben. Aber auch noch vieles andere hat in unserem Bildungs- und Gesittungsgange dazu beigetragen, die schon unseren Vorfahren geläufige ideale Bedeutung des Begriffes Jungfrau zu befestigen und zu veredlen. Ganz andere ethische Momente hingegen liegen der Werthschätzung jungfräulichen Zustandes bei vielen weniger civilisirten Völkern zu Grunde ; ist es bisweilen hier ein Naturalismus der gröbsten Sorte, der ihre Auffassung leitet, und zugleich in schroffen, unsere Gefühle verletzenden, Formen zu Tage tritt. Nichts Sinniges, vielmehr nur Sinnliches ist dann das Motiv, welches die eifersüchtige Männerwelt bei niedrigem Culturgrade veranlasst, das deflorirte Mädchen zu missachten und vom Ehebette zurückzuweisen. Ein unverletztes Hymen gilt bei den meisten Völkern als einziges Zeichen der Jungfrauschaft. Auch bei uns war das von jeher der Fall, und die grosse Masse des Volkes hält an dieser Signatur noch fest, obgleich die gerichtliche Medicin schon längst über diesen populären Standpunkt hinaus ist. Das Hymen oder das Jungfernhäutchen bildet eine Schleimhautfalte am Scheideneingange, vor dem es in den meisten Fällen halbmondförmig ausgespannt ist . Man glaubte allgemein, dass die an einzelnen Stellen des Scheideneingangs sich erhebenden warzigen Excrescenzen , welche die Anatomen als Carunculae myrtiformes bezeichneten, sich unmittelbar nach der Zerreissung des Hymen beim ersten Coitus ausbildeten . Allein Karl Schröder hat mit Sicherheit nachgewiesen, dass das Hymen bei der Cohabitation nicht selten ziemlich unverändert bleibt, indem es selbst bei oft wiederholtem Coitus sich nur ausdehnt oder eingekerbt erscheint. Durch das Eindringen des Penis wird höchstens der freie Rand des Hymen zerrissen. In der Regel kommen erst in Folge einer Geburt solche Veränderungen zu Stande, als deren Ergebniss sich jene Carunculae myrtiformes darstellen. Demgemäss ist das Vorhandensein des Hymen kein Kriterium dafür, dass die betreffende Person noch nicht cohabitirt hat. Auf der anderen Seite ist aber auch, wenn das Hymen fehlt, die Annahme nicht ohne Weiteres berechtigt, dass schon ein sexueller Verkehr mit einem Manne stattgefunden habe, denn es giebt auch eine Reihe anderer Eingriffe , durch welche das Hymen zerstört werden kann. Hiernach erleidet also die. weitverbreitete Meinung über das Kennzeichen der Defloration sehr erhebliche Einschränkungen und Abänderungen. 74. Ethnographie der Anschauungen über den Werth der Jungfrauschaft. 307 Wir finden, wie bereits gesagt wurde, durchaus nicht bei allen Völkern der Erde die gleiche Auffassung und Werthschätzung der Jungfrauschaft, beziehungsweise eines unverletzten Jungfernhäutchens. Wenn, wie wir soeben gesehen haben, nun auch diese beiden Begriffe sich nicht vollständig decken, so sind wir doch nicht im Stande, sie absolut aus einander zu halten. Und da zeigt es sich, dass man eine ganze Stufenleiter der Achtung oder Nichtachtung aufzustellen vermag, welche diese Zustände in der Meinung der verschiedenen Völker geniessen. Beginnen wir mit denjenigen Nationen, welche der Jungfrauschaft eine vollständige Nichtachtung entgegenbringen, so steht hier obenan die absichtliche Zerstörung des Jungfernhäutchens oft schon von den ersten Lebenstagen an durch die Hand der eigenen Mutter. War es bei den Chinesinnen , bei den Bewohnerinnen von Ambon und den Ulia se- Inseln und bei den Indianern in übertriebener Reinlichkeit ein wiederholtes und ganz energisches Waschen, welches zu der Zerstörung des Hymen führt, waren es bei den soeben reif gewordenen Mädchen des Banda- Archipels wahrscheinlich ebenfalls religiös- hygieinische Ursachen, welche dazu führen , Tampons aus Baumbast in die Scheide zu stecken, wahrscheinlich wohl, damit das in hohem Grade für unrein angesehene Menstruationsblut nicht sichtbar wird und die Schenkel nicht besudeln kann, so ist die Absicht bei den Machacuras - Indianern eine durchaus andere, wenn sie durch ihre bereits oben beschriebenen Manipulationen ihren kleinen Kindern die Jungfernhaut vernichten und die Scheide erweitern . Hier soll das Mädchen für einen recht frühzeitigen Verkehr mit erwachsenen Männern hergerichtet werden. Ganz ähnliche Zwecke verfolgen die onanistischen Reizungen, welche die alten Impotenten auf den Philippinen bei den kleinen Mädchen vornehmen, und auch die ähnlichen Spielereien, wie wir sie bei manchen afrikanischen Völkern die grösseren Mädchen bei den kleineren haben ausführen sehen, mögen halb bewusst, halb unbewusst die gleichen Ziele zu erstreben suchen. Jedenfalls gehört hierhin der oben erwähnte Gebrauch der Sawu - Insulanerinnen , den jungen Mädchen bei der ersten Menstruation ein zusammengerolltes Koli-Blatt in die Vagina zu stecken, um diese zu erweitern . Eine absolute Gleichgültigkeit gegen die Jungfrauschaft müssen wir überall da erkennen, wo wir einen vollkommen unbehinderten geschlechtlichen Verkehr zwischen den unverheiratheten jungen Leuten beiderlei Geschlechts vorfinden. Wir haben hierfür bereits mehrere Beispiele kennen gelernt und brauchen an dieser Stelle dieselben wohl kaum zu wiederholen ( Südsee - Insulaner, Bewohner des malayischen Archipels, Nord - Asien, Japaner, Indische Stämme, Afrikaner u. s. w. ), und eine derartige Unbeschränktheit finden wir bei den Madagassen , den Basu tho u. s. w. sogar schon im kindlichen Alter. Dass hier der Bräutigam bei seiner Auserwählten bei der Verheirathung ein Bestehen der Jungfrauschaft nicht voraussetzen kann, das bedarf wohl keiner weiteren Darlegung. Wenn auch die Bewohner des Haawu- Archipels in niederländisch Indien den jungen Leuten einen ganz ungestörten geschlechtlichen Verkehr gestatten und daher bei der Verehelichung ein Bestehen der Jungfrauschaft nicht durchaus verlangen, so geben sie doch unter allen Umständen einer Virgo intacta den Vorzug. Trotzdem hat es keine Schwierigkeit für den Fremden, für ein Spielzeug oder ein Geschenk mit einem noch unbefleckten Mädchen zu cohabitiren . (Riedel .) Es giebt nun aber auch gewisse Stämme, welche noch einen Schritt weiter gehen, indem sie das Fortbestehen der Jungfrauschaft bei einer Er20* 308 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. wachsenen geradezu für eine Schande betrachten, für einen sicheren Beweis, dass das Mädchen vor keines Mannes Auge Gnade gefunden hat. Aehnliches haben wir weiter oben bei den Wotjäken gesehen. Auch bei den Chibchas (auch Muiscas oder Mozcas) in Neu- Granada , welche jetzt fast ganz untergegangen sind, wurde die Jungfrauschaft als Beweis dafür angesehen, dass das Mädchen unfähig sei, Liebe zu erwerben. Wenn nun auch andere Nationen nicht soweit gegangen sind, etwas Entehrendes in dem Vorhandensein eines Jungfernhäutchens zu erblicken, so sehen sie dasselbe doch als etwas an, das das eheliche Vergnügen hindert und beinträchtigt und welches daher vor dem Eintritt in die Ehe entfernt werden muss. Inwieweit geschlechtliches Unvermögen in geringerem Grade, bedingt durch Ausschweifungen in der Jugend, die erste Veranlassung zu diesen Gebräuchen gegeben haben mag, das werden wir wohl niemals zu entscheiden im Stande sein. Bei den Sakkalaven in Madagascar entjungfern sich die jungen Mädchen selbst vor ihrer Verheirathung, falls ihre Eltern nicht schon früher dafür gesorgt haben, dass diese Präliminar- Operation ausgeführt wurde. (Noël. ) Abscheulich ist die ungemein rohe Art, in welcher australische Stämme am Peak- Flusse, um den geschlechtlichen Verkehr mit sehr jungen Mädchen zu ermöglichen , diesen die Vagina nach und nach bis zu den ge- wünschten Dimensionen erweitern. Dieses Geschäft sollen die älteren Männer der Gesellschaft übernehmen. Wenn des jungen Mädchens Brüste schwellen und sich der Haarwuchs zeigt, so entführt sie eine Anzahl älterer Männer an einen einsamen Ort ; dort wird sie niedergelegt, ein Mann hält ihre Arme, zwei andere die Beine. Der vornehmste Mann führt dann zuerst einen Finger in die Vagina, dann zwei, zuletzt vier. Zurückgekehrt an den Lagerplatz, kann das arme Ding in Folge der Misshandlung 3-4 Tage denselben wegen der heftigen Schmerzen nicht verlassen. Sobald sie kann, geht sie fort, wird aber in jeden Winkel von den Männern verfolgt und muss sich den Coitus von 4-6 derselben gefallen lassen. Dann aber lebt derjenige, mit dem sie als Kind versprochen worden war, mit ihr als Gattin, wobei der Mann zuweilen circa 5mal älter sein kann, als die Neuvermählte. Hill in Sydney berichtet auch, dass die Eingeborenen von Neu - SüdWales vor der Heirath an der Braut, einem meist sehr jungen Mädchen. die Defloration mittelst eines Feuersteinsplitters vornehmen, der Bogenan genannt wird, und mit welchem das Hymen aufgeschlitzt wird. Dies geschieht angeblich, um den Eingang so gross oder so klein herzustellen , wie es dem Gemahl passend schien. Dieses letztere erinnert an die Operationen, welche bei den excidirten und vernähten Mädchen in Afrika vor der Hochzeit nothwendig werden. und bei welchen von Priestern oder von alten Weibern dieses Wiederaufschneiden meistens mit sehr fragwürdigen Instrumenten ausgeführt wird. Die alten Aegypter schnitten das Hymen durch. Bei anderen Völkern wieder begegnen wir der Sitte, dass die Entjungferung der Braut allerdings , lege artis" vor sich geht, d. h. durch die Ausübung eines Beischlafes. Diesen vollführt aber nicht der Bräutigam. sondern irgend ein anderer Mann an seiner Stelle . Wir dürfen diesen Gebrauch aber nicht mit einem ähnlichen verwechseln, welchen wir später bei den verschiedenen Formen der Ehe kennen lernen werden. Ich meine die einmalige Preisgebung des Mädchens an die Stammesgenossen, bevor sie durch die Ehe das ausschliessliche, unantastbare Eigenthum eines Einzelnen wird. Hier liegen, wie wir seiner Zeit erläutern werden, durchaus andere 74. Ethnographie der Anschauungen über den Werth der Jungfrauschaft. 309 Motive zu Grunde. Um nun zu unserem Falle zurückzukehren. so müssen wir in diesem primären Coitus durch einen Stellvertreter doch wiederum einige Unterscheidungen treffen. Nach einem Ausspruche des heiligen Athanasius hielten sich die Phönizier einen besonderen Sclaven, dem das Amt oblag, die Braut zu defloriren. Bei den Viscayern auf den Philippinen existiren nach Blumentritt Individuen, welche die Entjungferung gewerbsmässig betreiben. Aehnliches berichtet auch Moncelon von NeuCaledonien. Er sagt über den Werth, welchen dort die Jungfernschaft besitzt : „On y fait peu attention, car elle la perd en folâtrant dès son bas âge. Chose fort curieuse, j'ai eu la preuve, que, lorsqu'un mari ne peut ou ne veut déflorer sa femme, il se trouvent, en payant, certains individus, qui s'en acquittent à sa place. Ce sont des perceurs attitrés . J'ai pu vérifier qu'au village de Bâ le nommé Théin faisait cette besogne singulière. " Wie einen Fortschritt in der Sittlichkeit müssen wir es daher betrachten, wenn wir sehen, wie diese Entjungferung eine Ehre ist, die nur einem hochgestellten Manne zukommt (jus primae noctis), oder ein Weihgeschenk, welches der Gottheit dargebracht werden muss, und welches daher das Bild der Gottheit selbst oder der Stellvertreter Gottes auf Erden, der Priester. vorzunehmen berufen ist . Ein Beispiel für den ersten Fall finden wir bei den Balanten in Senegambien , einem sehr rohen Negerstamme. Hier hat der Häuptling die Verpflichtung, die Bräute zu defloriren , wozu er sich oft nur gegen ansehnliche Geschenke herbeilässt ; ohne diese Gunstbezeugung des Häuptlings ist es aber keinem Mädchen erlaubt, zu heirathen. (Marche. ) Als Opfergabe an die Gottheit sehen wir die Erstlinge der Jungfernschaft bei verschiedenen Völkern des Alterthums dargebracht, zu denen auch die alten Römer gehörten . Angeblich sollen sich die römischen Bräute auf den Schooss des Gottes Mutunus gesetzt haben, durch dessen Phallus das Hymen zerrissen und die Vagina erweitert wurde. Auch mit dem Lingam- Dienst in Indien sind ähnliche Ceremonien verbunden. Duquesne a vu, berichtet Dulaure, dans les environs de Pondichéry , les jeunes mariées venir faire à cette idole (le Lingam) de bois le sacrifice complet de leur virginité. Dans une partie de l'Inde , appelée Canara , ainsi que dans les environs de Goa, de pareils sacrifices sont en usage. Les jeunes filles , avant d'épouser, offrent et donnent dans le temple de Chiven (Schiwa) les prémices du mariage à une semblable idole dont le Lingam est de fer ; et l'on fait jouer à ce Dieu le rôle de sacrificateur. (van Caerden. ) Die Mühe und Arbeit für das Götterbild übernahmen dann später opferwillig die Priester oder auch die Zauberer. Das letztere wird im 16. Jahrhundert von den Acowaschen und Kumanen Amerikas berichtet, während in Nicaragua der Oberpriester die Bräute entjungferte, und dass auch heute noch in Indien der Bräutigam seine Braut zu einem Brahminen führt, damit dieser ihr die Jungfrauschaft nehme, ist eine oft erzählte Thatsache. Der betreffende Brahmine erhält für seine Bemühung ein Geschenk, das bisweilen eine ganz beträchtliche Höhe erreicht. Für gewisse Brahminen auf Malabar soll dieses Amt sogar ihre einzige Berufspflicht gewesen sein. Für diejenigen Fälle, wo sich die Jungfrau allerdings weder dem Priester noch auch dem Könige, sondern irgend einem Fremden preisgeben muss, wie das in Babylon und Cypern der Fall war, erblickt Rosenbaum die Erklärung in dem Umstande, dass nicht nur das Menstrualblut, sondern auch das bei der Defloration durch die Zerreissung des Hymen fliessende Blut, und somit auch der Act der Entjungferung selber für unrein gehalten wurde. Daher überliess man ihn den Fremden. 310 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. Den grössten Werth legt man auf das angebliche specifische Merkmal der Virginität in Asien und Afrika, und in den meisten Ländern dieser Continente wünscht der Mann regelmässig bei dem Vollzuge der Verheirathung untrügliche Beweise zu erhalten, dass das in seinen Augen allein maassgebende Zeichen der Jungfrauschaft, das Jungfernhäutchen, bei seiner oft für schweres Geld oder Geldeswerth erkauften Braut noch unberührt und unverletzt erhalten sei. Auch hier begegnen wir wieder einer sehr beachtenswerthen Stufenfolge in der Art und Weise, wie sich der Bräutigam die Ueberzeugung von der geschlechtlichen Unberührtheit seiner Braut zu verschaffen suchte. Als ersten Grad in dieser Beziehung können wir die Sitte betrachten, nach welcher, wie Clot-Bey berichet, in Aegypten das Hymen nicht etwa durch den ersten Beischlaf zerrissen wird, sondern der Mann hüllt ein weisses Mousselintuch um den Zeigefinger der rechten Hand und dringt in die Mutterscheide der jungfräulichen Braut ein ; das blutige Tuch nun zeigt er den Angehörigen vor. Unter anderen orientalischen Völkerschaften wird diese Angelegenheit mit noch weniger Delicatesse behandelt. In Nubien wird gegen das 9. Lebensjahr hin das Mädchen verlobt ; der Ehemann deflorirt dasselbe mit seinem Finger und vor Zeugen ; als wirkliche Gattin führt er sie erst nach einem Jahre oder später heim. Bei den Arabern wird die Verlobte, wenn sie nicht Wittwe ist, ebenfalls wie in Aegypten mittelst des von einem leinenen Tuche umhüllten Zeigefingers der rechten Hand entjungfert, doch besorgt dies Geschäft nicht der Mann, sondern eine Matrone, und jene führt dasselbe nur dann aus, wenn die Verlobte gerade menstruirt ; das Tuch wird stets den Eltern gezeigt. Die Kopten verhalten sich in dieser Beziehung ähnlich wie die Araber. Ein Hochzeitsbrauch in Südrussland (Asboth) besteht darin, dass man ganz besondere Vorkehrungen trifft, um vor Zeugen, welche die Bevölkerung vom Ergebniss ihrer Beobachtung sofort benachrichtigen, die Unverletztheit der Jungfrauschaft beim Coitus in der Brautnacht feststellen zu lassen. Es ist sogar Gebrauch, dass die Braut sich zuvor, ehe sie dem Bräutigam überlassen wird, vor Zeugen vollständig entkleiden lassen muss, damit festgestellt werde, ob sie nicht etwa Täuschungsmittel bei sich habe; auch wird dann, wenn der Bräutigam etwa unfähig ist, den Coitus in der Brautnacht auszuüben, ein Anderer an seine Stelle berufen. Die Strafe und die verächtliche Behandlung beim Nachweis des Verlustes der Jungfernschaft sind ebenso erheblich, wie die Freude, wenn die Blutspuren im Hemd vorgefunden werden. Die Neugriechen auf Morea besitzen eine ganz absonderliche Jungfernschaftsprobe. Hier musste die Braut, bevor sie das Brautbett bestieg, auf ein ledernes Sieb steigen. Durchtrat sie hierbei das letztere, so lag ihre Unbeflecktheit klar zu Tage. (Pouqueville. ) Bei der Mehrzahl der orientalischen Völker und auch bei einigen ihrer Nachbarn verlangt der Bräutigam in der Brautnacht nach dem ersten Coitus im Ehebette Blutspuren zu finden zum Zeichen, dass das Hymen von ihm selbst durchrissen, seine Frau also nur erst von ihm selbst entjungfert worden sei. Diese Trophäen seines Sieges und gleichzeitig die Keuschheitsbeweise seiner Braut werden dem Kreise der Freunde und Verwandten im Triumphe vorgezeigt. Bei den Samojeden und Ostjaken ist es nach Pallas sogar gebräuchlich, die Schwiegermutter für die überbrachten Zeichen der Jungfrauschaft zu beschenken. Auch die Bulgaren verlangen nach Bogisie von dem jungen Ehemanne die sichtlichen Beweise dafür, dass seine Braut noch Jungfrau war. 74. Ethnographie der Anschauungen über den Werth der Jungfrauschaft. 311 Aber wehe der Braut, die die Probe nicht besteht. Es giebt keinerlei Entschuldigung für den Mangel des Hymen. In Persien kann, wie Polak berichtet, in einem solchen Falle die Frau auf die einfache Aussage des Mannes hin nach der ersten Nacht verstossen werden. Dieser ungerechte Brauch wird oft benutzt zum Zweck der Gelderpressung von den Schwiegereltern, die den Ruf der Frau nicht beflecken lassen wollen. Doch trägt andererseits dieser Brauch auch dazu bei, dass fast alle Mädchen in voller Virginität zur Ehe gelangen. Auch in Nicaragua durfte der junge Gatte seine Verlobte (nach Squier) ihren Eltern zurückschicken , wenn dieselbe schon früher ihr Hymen eingebüsst hatte. Ebenso streng wurde es mit der Reinheit der Braut nach Acosta's und Anderer Berichten im alten Mexikaner- Reiche genommen. Aehnlich ist es bei einigen anderen orientalischen Völkern, aber auch bei gewissen afrikanischen Stämmen schickt der Bräutigam die Braut den Eltern wieder zurück, wenn er sie in der Brautnacht nicht als Jungfrau erfunden zu haben glaubt. Die Ehe ist damit einfach für ungültig erklärt und aufgelöst. Ist bei den Szuaheli im östlichen Afrika bei der Verheirathung das Jungfernhäutchen zerrissen gefunden, so müssen die Eltern die Hälfte des Brautgeldes an den jungen Ehemann zurückbezahlen. Bei den Bulgaren wird die Schande des Mädchens laut verkündet, wenn bei Vollzug der Ehe die Beweise für ihre bisherige Jungfräulichkeit ungünstig ausgefallen sind, jedoch pflegen in einem solchen Falle ihre Eltern die Bedenken des Schwiegersohnes durch eine entsprechende Vermehrung der Aussteuer zu beschwichtigen. Findet der Gatte bei einer Zulu hochzeit heraus , dass es mit der Jungfräulichkeit der Braut schlecht bestellt war, so zahlt der Bruder oder der Vater derselben an den jungen Gatten einen Ochsen : „to stop the hole", wie der Zulu - Ausdruck im Englischen lautet. (Joest.) Schon die Juden der Bibel hielten nach Moses' Gebot (5, 22) gar streng auf die Jungfernschaft. Wenn ein Mann ein Weib genommen und er sie unter dem Vorgeben, sie sei nicht mehr Jungfrau, deren Eltern zurückgiebt, so soll ihr Vater die Aeltesten der Stadt als Richter anrufen, vor diesen aber sollen die Kleider ausgebreitet werden. Der Mann soll dann für die ungerechte Bezichtigung einer Jungfrau Strafe zahlen und das Weib zur Gattin nehmen. Wird jedoch die Dirne nicht als Jungfrau befunden, so soll sie öffentlich zu Tode gesteinigt werden. Bei so strengen, das Lebensglück oder selbst das Leben des Mädchens bedrohenden Maassregeln, wenn die letztere ihre Keuschheit nicht zu be- wahren gewusst hatte, musste es wohl begreiflich sein, wie sie selbst oder die Ihrigen auf Mittel sannen, die verlorene Jungfernschaft zu entschuldigen, zu bemänteln oder für die Zeit der Prüfung scheinbar wieder- herzustellen. Wir sahen schon, dass die Matronen bei den Arabern die Digitalentjungferung vorsichtiger Weise an dem Ende der Menstruation vornehmen. Hat bei den Persern das Unglück der Defloration bei einem Mädchen stattgefunden, so suchen die Eltern die Schande abzuwenden, indem das Mädchen an einen armen Teufel oder einen jungen Knaben verheirathet und alsbald wieder geschieden wird, damit sie dann einem angesehenen Manne zur Frau gegeben werden kann. Oder es wird am Tage der Entscheidung durch einen im Folgenden beschriebenen operativen Eingriff nachgeholfen, den einige persische Chirurgen kennen. Dieselben pflegen einige Stunden. 310 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. Den grössten Werth legt man auf das angebliche specifische Merkmal der Virginität in Asien und Afrika , und in den meisten Ländern dieser Continente wünscht der Mann regelmässig bei dem Vollzuge der Verheirathung untrügliche Beweise zu erhalten, dass das in seinen Augen allein maassgebende Zeichen der Jungfrauschaft, das Jungfernhäutchen, bei seiner oft für schweres Geld oder Geldeswerth erkauften Braut noch unberührt und unverletzt erhalten sei. Auch hier begegnen wir wieder einer sehr beachtenswerthen Stufenfolge in der Art und Weise, wie sich der Bräutigam die Ueberzeugung von der geschlechtlichen Unberührtheit seiner Braut zu verschaffen suchte. Als ersten Grad in dieser Beziehung können wir die Sitte betrachten, nach welcher, wie Clot-Bey berichet, in Aegypten das Hymen nicht etwa durch den ersten Beischlaf zerrissen wird, sondern der Mann hüllt ein weisses Mousselintuch um den Zeigefinger der rechten Hand und dringt in die Mutterscheide der jungfräulichen Braut ein ; das blutige Tuch nun zeigt er den Angehörigen vor. Unter anderen orientalischen Völkerschaften wird diese Angelegenheit mit noch weniger Delicatesse behandelt. In Nubien wird gegen das 9. Lebensjahr hin das Mädchen verlobt ; der Ehemann deflorirt dasselbe mit seinem Finger und vor Zeugen; als wirkliche Gattin führt er sie erst nach einem Jahre oder später heim. Bei den Arabern wird die Verlobte, wenn sie nicht Wittwe ist, ebenfalls wie in Aegypten mittelst des von einem leinenen Tuche umhüllten Zeigefingers der rechten Hand entjungfert, doch besorgt dies Geschäft nicht der Mann, sondern eine Matrone, und jene führt dasselbe nur dann aus, wenn die Verlobte gerade menstruirt ; das Tuch wird stets den Eltern gezeigt. Die Kopten verhalten sich in dieser Beziehung ähnlich wie die Araber. Ein Hochzeitsbrauch in Südrussland (Asboth) besteht darin, dass man ganz besondere Vorkehrungen trifft, um vor Zeugen, welche die Bevölkerung vom Ergebniss ihrer Beobachtung sofort benachrichtigen, die Unverletztheit der Jungfrauschaft beim Coitus in der Brautnacht feststellen zu lassen. Es ist sogar Gebrauch, dass die Braut sich zuvor, ehe sie dem Bräutigam überlassen wird, vor Zeugen vollständig entkleiden lassen muss, damit festgestellt werde, ob sie nicht etwa Täuschungsmittel bei sich habe ; auch wird dann, wenn der Bräutigam etwa unfähig ist, den Coitus in der Brautnacht auszuüben, ein Anderer an seine Stelle berufen. Die Strafe und die verächtliche Behandlung beim Nachweis des Verlustes der Jungfernschaft sind ebenso erheblich, wie die Freude, wenn die Blutspuren im Hemd vorgefunden werden. Die Neugriechen auf Morea besitzen eine ganz absonderliche Jungfernschaftsprobe. Hier musste die Braut, bevor sie das Brautbett bestieg, auf ein ledernes Sieb steigen. Durchtrat sie hierbei das letztere, so lag ihre Unbeflecktheit klar zu Tage. (Pouqueville.) Bei der Mehrzahl der orientalischen Völker und auch bei einigen. ihrer Nachbarn verlangt der Bräutigam in der Brautnacht nach dem ersten Coitus im Ehebette Blutspuren zu finden zum Zeichen, dass das Hymen von ihm selbst durchrissen, seine Frau also nur erst von ihm selbst entjungfert worden sei. Diese Trophäen seines Sieges und gleichzeitig die Keuschheitsbeweise seiner Braut werden dem Kreise der Freunde und Verwandten im Triumphe vorgezeigt. Bei den Samojeden und Ostjaken ist es nach Pallas sogar gebräuchlich, die Schwiegermutter für die überbrachten Zeichen der Jungfrauschaft zu beschenken. Auch die Bulgaren verlangen nach Bogisic von dem jungen Ehemanne die sichtlichen Beweise dafür, dass seine Braut noch Jungfrau war. 74. Ethnographie der Anschauungen über den Werth der Jungfrauschaft. 311 Aber wehe der Braut, die die Probe nicht besteht. Es giebt keinerlei Entschuldigung für den Mangel des Hymen. In Persien kann, wie Polak berichtet, in einem solchen Falle die Frau auf die einfache Aussage des Mannes hin nach der ersten Nacht verstossen werden. Dieser ungerechte Brauch wird oft benutzt zum Zweck der Gelderpressung von den Schwiegereltern, die den Ruf der Frau nicht beflecken lassen wollen. Doch trägt andererseits dieser Brauch auch dazu bei, dass fast alle Mädchen in voller Virginität zur Ehe gelangen. Auch in Nicaragua durfte der junge Gatte seine Verlobte ( nach Squier) ihren Eltern zurückschicken , wenn dieselbe schon früher ihr Hymen eingebüsst hatte. Ebenso streng wurde es mit der Reinheit der Braut nach Acosta's und Anderer Berichten im alten Mexikaner- Reiche genommen. Aehnlich ist es bei einigen anderen orientalischen Völkern, aber auch bei gewissen afrikanischen Stämmen schickt der Bräutigam die Braut den Eltern wieder zurück, wenn er sie in der Brautnacht nicht als Jungfrau erfunden zu haben glaubt. Die Ehe ist damit einfach für ungültig erklärt und aufgelöst. Ist bei den Szuaheli im östlichen Afrika bei der Verheirathung das Jungfernhäutchen zerrissen gefunden, so müssen die Eltern die Hälfte des Brautgeldes an den jungen Ehemann zurückbezahlen. Bei den Bulgaren wird die Schande des Mädchens laut verkündet, wenn bei Vollzug der Ehe die Beweise für ihre bisherige Jungfräulichkeit ungünstig ausgefallen sind, jedoch pflegen in einem solchen Falle ihre Eltern die Bedenken des Schwiegersohnes durch eine entsprechende Vermehrung der Aussteuer zu beschwichtigen. Findet der Gatte bei einer Zulu hochzeit heraus , dass es mit der Jungfräulichkeit der Braut schlecht bestellt war, so zahlt der Bruder oder der Vater derselben an den jungen Gatten einen Ochsen : „, to stop the hole", wie der Zulu - Ausdruck im Englischen lautet. (Joest.) Schon die Juden der Bibel hielten nach Moses' Gebot (5, 22) gar streng auf die Jungfernschaft. Wenn ein Mann ein Weib genommen und er sie unter dem Vorgeben, sie sei nicht mehr Jungfrau, deren Eltern zurückgiebt, so soll ihr Vater die Aeltesten der Stadt als Richter anrufen, vor diesen aber sollen die Kleider ausgebreitet werden. Der Mann soll dann für die ungerechte Bezichtigung einer Jungfrau Strafe zahlen und das Weib zur Gattin nehmen. Wird jedoch die Dirne nicht als Jungfrau befunden, so soll sie öffentlich zu Tode gesteinigt werden. Bei so strengen, das Lebensglück oder selbst das Leben des Mädchens bedrohenden Maassregeln, wenn die letztere ihre Keuschheit nicht zu bewahren gewusst hatte, musste es wohl begreiflich sein, wie sie selbst oder die Ihrigen auf Mittel sannen , die verlorene Jungfernschaft zu entschuldigen, zu bemänteln oder für die Zeit der Prüfung scheinbar wiederherzustellen. Wir sahen schon, dass die Matronen bei den Arabern die Digitalentjungferung vorsichtiger Weise an dem Ende der Menstruation vornehmen. Hat bei den Persern das Unglück der Defloration bei einem Mädchen stattgefunden, so suchen die Eltern die Schande abzuwenden, indem das Mädchen an einen armen Teufel oder einen jungen Knaben verheirathet und alsbald wieder geschieden wird, damit sie dann einem angesehenen Manne zur Frau gegeben werden kann. Oder es wird am Tage der Entscheidung durch einen im Folgenden beschriebenen operativen Eingriff nachgeholfen, den einige persische Chirurgen kennen. Dieselben pflegen einige Stunden 312 XII. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben. vor der Verheirathung die Schamlippen durch ein Paar eingelegte Nähte zu vereinigen, die dann beim Coitus aufgerissen werden, so dass etwas Blut fliesst, was der Mann für ein Zeichen noch vorhanden gewesener Jungfrauschaft ansieht. Auch ein mit Blut getränktes Schwämmchen soll öfter mit Vortheil in der Brautnacht in die Vagina gesteckt worden sein. 4 In Sibirien geniesst das junge Mädchen, das nicht mehr Jungfrau ist, vor der Brautnacht die gekochten Früchte der Iris sibirica. (Krebel. ) Es ist wohl sehr schwierig, zu entscheiden, ob es sich lediglich um eine eigenthümliche, besonders scrupulöse Art handelt, das Vorhandensein oder Fehlen der Jungfrauschaft zu constatiren, oder ob wir darin eine Art von Analogie für die Institution unserer Trauzeugen erblicken müssen, wenn wir sehen, dass bei manchen Völkern bestimmte Freunde oder Anverwandte bei dem ersten Coitus des jungen Paares zugegen sein und sogar hierbei handgreiflich helfen und assistiren müssen. So erfolgt z. B. bei den katholischen Christen in Aegypten die Entjungferung durch den Beischlaf, welchem die beiden Schwiegermütter, die Mutter des Mannes sowohl als auch diejenige der jungen Frau, beizuwohnen verpflichtet sind, Bei dem ersten Coitus eines Ehepaares assistiren in Abyssinien zwei Zeugen, welche dabei der liegenden Frau die Beine so hinaufhalten, dass der Ehemann zwischen denselben seine Lust befriedigen kann. Diese beiden Zeugen treten von da an zu dem Paare in ein Verhältniss, welches einem verwandtschaftlichen gleicht ; dasselbe ist ähnlich wie bei uns die Pathenschaft. Stecker, welcher mir dies mittheilte , giebt auch an, dass dieses Halten der Beine bei dem ersten Coitus deshalb vorgenommen wird, weil die junge Frau dort wie überhaupt in vielen Ländern Ost- Afrikas eine durch künstlich eingeleitete Verwachsung verschlossene Scheide hat, die jedoch nicht, wie anderwärts durch Schnitt, sondern von dem jungen Ehemanne selbst durch gewaltsames Einschieben des Penis geöffnet wird. Die jungen Leute auf der Insel Dama im malayischen Archipel haben einen sehr absonderlichen Gebrauch, um öffentlich zu documentiren. dass sie eine Ehe geschlossen haben. Wird von einem jungen Mädchen nach einigen Besuchen ihres Bewerbers ein von diesem gebotenes Geschenk, bestehend in einem Sarong und einigen Korallen, angenommen, so ist die Verlobung geschlossen. Der junge Mann bleibt im Hause der Braut ,, coitum cum illa exercet, si fieri possit publice". Dann erheben die Anverwandten der Braut ein grosses Geschrei, schelten ihn aus und verfolgen ihn scheinbar wüthend und bewaffnet bis zu seinem Hause, indem sie den Brautschatz fordern. Die Anverwandten des jungen Mannes kommen dann ebenfalls bewaffnet heraus. Bald aber hat man sich über den Brautschatz geeinigt und in Frieden und Freundschaft geht alles aus einander. Der junge Gatte lebt fortan im Hause der Frau. (Riedel¹.) Eines eigenthümlichen Edictes müssen wir zum Schlusse noch gedenken, welches in Rom der Kaiser Tiberius ergehen liess. Er verbot, dass Jungfrauen hingerichtet würden. Hatten dieselben ihr Leben verwirkt, so war es die Pflicht des Henkers, sie vor der Hinrichtung zu defloriren. (Hyrtl. ) Was für Motive ihn hierzu bewogen haben mögen, das sind wir heute wohl nicht mehr im Stande zu entscheiden. XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. 75. Der Beischlaf. Die Ethnologie darf sich nicht der Betrachtung derjenigen Functionen und Bräuche entziehen, welche über das , was wir selbst unter Sitte verstehen, weit hinausgeht. Die Wissenschaft hat sich daher unter Anderem auch mit Handlungen zu beschäftigen, welche wir selbst gewiss mit Recht als „ discret zu behandelnde" auffassen, die jedoch immerhin für die Culturforschung von nicht unerheblicher Bedeutung sind. Hier kommt das Thier im Menschen zum Vorschein. Die ethischen Momente, welche auf solchem Gebiete zu Tage treten, sind freilich unserem Empfinden wenig sympathisch, denn es müssen dabei sogar recht widerwärtige Erscheinungen besprochen werden ; allein die Psychologie und die Culturgeschichte dürfen sich ebenso wenig wie die Naturgeschichte ihre Stoffe nur nach dem uns mehr oder weniger angenehmen Geschmack und Gefühl auswählen ; sie haben vielmehr die Pflicht der offenen Darlegung, wo es sich darum handelt, sittliche Zustände auf dem Gebiete der Völkerkunde zu charakterisiren, und selbst diejenigen Züge nicht unbeachtet zu lassen, durch welche das brutale Element im Menschen zum Durchbruch kommt. Die Stellung des Weibes in der Familie und in dem Volke, die gegenseitigen Beziehungen zwischen Mann und Frau sind für die Stufe der Sittlichkeit, auf der ein jedes Volk steht, von höchster Bedeutung. Eine wahre Stufenleiter zeigt sich da, von der tiefsten Missachtung an bis zur grössten Hochschätzung, von der schändlichsten Behandlung an bis zu den zartesten Rücksichten. Das rein geschlechtliche Verhältniss tritt eben nur bei den rohesten Völkern in den Vordergrund, spielt aber auch noch bei den halbcivilisirten Nationen eine ganz wesentliche Rolle, während bei hochcivilisirten Zuständen das intellectuelle und moralische Wesen dem weiblichen Geschlechte seinen Werth giebt, die sexuellen Beziehungen aber unter der Herrschaft geläuterter ästhetischer Anschauung in die engsten sittlichen Grenzen eingeschränkt werden. Wo das Weib nichts ist, als der Gegenstand , durch welchen einestheils die viehischen Gelüste befriedigt, anderentheils die anstrengende Arbeit des Mannes verringert werden kann, da wird der Frau auch das Aergste in Bezug auf den sexuellen Verkehr zugemuthet. Dass bei südlichen Völkern nicht überall die Sinnlichkeit des Weibes bei der Ausübung des Coitus zu besonderer Erregung gelangt, ist eine nicht zu bestreitende Thatsache, wenn man den Berichterstattern Glauben schenken darf. Von den Mädchen und Frauen auf Ponapé (Carolinen), welche unendlich kalt und eisig zu sein schienen, erfahren wir von einem derselben 314 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. durch Finsch : „ Drei Mädchen, die ich behufs Constatirung der Beweglichkeit vorzunehmen Gelegenheit fand, blieben bei den einleitenden Manipulationen total indifferent, verhielten sich während der Operation völlig passiv und reagirten selbst im Culminationspunkte kaum wahrnehmbar ; dagegen zeigten sich alle drei Wiederholungen nicht abgeneigt und namentlich für den Nervus rerum sehr empfänglich. Ein unter dem Arme getragener angefeuchteter Schwamm wurde jedesmal nach vollbrachtem Actus mit grosser Behendigkeit zur Aufsaugung der überflüssigen Materie introducirt, wodurch allzu grosser Schlüpfrigkeit bei nachfolgenden Einführungen kunstvoll vorgebeugt wird. " Allerdings hatte es der berichterstattende Experimentator wohl lediglich mit Subjecten zu thun, die gewerbsmässig zum Orden der Venus vulgivaga gehörten. Aber wenn dieses auch nicht der Fall gewesen sein sollte, so ist doch noch nicht ohne Weiteres anzunehmen, dass so, wie sich diese Weiber dem Fremdlinge gegenüber benommen haben, sie sich nun auch im Verkehr mit ihren Stammesgenossen verhalten würden. Sehr lehrreich ist in dieser Beziehung eine Bemerkung, welche Riedel¹ über die Einwohnerinnen der Insel Buru macht : „Die Frauen haben öfter intimen Umgang mit fremden Männern, jedoch verhalten sie sich während der geschlechtlichen Vereinigung sehr passiv und indifferent, aus Furcht, befruchtet zu werden. " Dagegen bezeugt Appun, der lange unter ganz uncivilisirten Indianern von Guiana gelebt hat und selbst nach der Sitte des Landes zeitweilig mit einer Eingeborenen verheirathet war, dass alle Indianerinnen ge- ringere Neigung zu physischer Liebe haben". Auch unter civilisirten Nationen scheint die Frau beim sexuellen Acte nicht überall sinnlich aufgeregt zu sein. Temperament und Reizbarkeit sind jedenfalls in differenter Weise auftretende Rassenmerkmale. Wie aber über Alles, so gebietet doch schliesslich Sitte und Brauch auch über die Art der Ausübung von Functionen, bei denen die Frau meist ein mehr oder weniger passives Verhalten zeigt. Man darf aber dabei nicht vergessen, dass gar nicht selten diese scheinbare Passivität ihren Grund in sexueller Schwäche des Mannes hat, welche der Frau nicht die vollständige Vollendung des Actes gestattet und die hinreichende Befriedigung gewährt. Zwei bei tiefstehenden Völkern als allgemeiner Volksbrauch auftretende Momente sind es, welche ganz besonders in Bezug auf den Coitus und seine Ausübung die bedauernswerthe Geringschätzung des Weibes bezeichnen : Erstens der Coitus vor der weiblichen Geschlechtsreife und zweitens die Ausübung desselben in Gegenwart anderer Individuen. Diese beiden Erscheinungen im Völkerleben bekunden gewiss eine noch tiefere Stufe sittlicher Zustände, als die von vielen Ethnologen als charakteristisch für die Erniedrigung des weiblichen Geschlechts hervorgehobenen Bräuche des Brautkaufs und des Brautraubes. Bei nicht wenigen Völkern kommt es vor, dass, wie wir im Artikel über das Heirathsalter zeigen werden, geschlechtlicher Umgang schon mit Mädchen vor der Geschlechtsreife getrieben wird. So bei den Australiern , wo nach Angabe von Miklucho- Maclay ein zehn- bis elfjähriges Mädchen nicht nur die Frau eines 50jährigen Mannes, sondern auch die Maitresse eines Buggi-Matrosen ist, und wo dergleichen Verkehr oft stattfinden soll. Auch bei den Woloff- Negern am Senegal wird der Coitus gar nicht selten mit jungen Mädchen vor dem Eintritt der Menstruation vollzogen, wie wir auch in einigen Theilen Indiens und bei manchen Indianerstämmen die gleiche Unsitte antreffen. 75. Der Beischlaf. 315 Bei den Malayen der Philippinen wird der Coitus nach Cañamaque angeblich ganz ungenirt auf offener Strasse vollzogen ; derselbe Autor beschuldigt selbst Kinder der Unzucht. (Blumentritt. ) Auch in Tahiti wurde die Begattung, wie Cook's Reisebegleiter sahen, öffentlich vor Aller Augen ausgeführt, unter gutem Rath der Umstehenden, namentlich der Weiber, worunter die Vornehmsten sich befanden ; doch wusste das betheiligte Mädchen (von 11 Jahren) schon allein guten Bescheid. Aehnliches erlebte La Perouse auf Samoa. Tschernischeff sagt : „ Die Oeffentlichkeit der Begattung ist ein Merkmal der urzuständlichen Eheverhältnisse. Wir finden solche bei den Massageten, Mossynoiken, Ausern , bei einigen indischen Stämmen , den Etruskern. Wir deuten noch auf die Petsche- Neger, über welche der arabische Geograph Abu-Dolaf schreibt : „ Sie essen nur Hirse und wohnen den Weibern auf offenem Wege bei. " Dagegen durften auf Neu- Seeland , wie Dieffenbach, Polak u. A. berichten, die Mädchen allerdings ihre Gunst schenken, wem sie wollten , allein sie entzogen sich doch dabei aus Schamhaftigkeit den Blicken der Fremden, wenigstens dort, wo Europäer noch nicht hingekommen waren. Und in diesem Punkte muss allerdings der europäische Einfluss erst einen Zustand grosser Schamlosigkeit herbeigeführt haben ; denn auf Tahiti und anderen Inseln waren früher die Weiber, insbesondere diejenigen der besseren Klassen, wie Ellis, Forster u. A. bezeugen, viel sittenstrenger. Die öffentliche Begattung, die lüderlichste Unzucht haben Bougainville's, Marchand's, Dumont d'Urville's, Laplace's Schiffsleute in den Häfen eingeführt. (Waitz-Gerland. ) Die Frauen der Gebvuka auf der Insel Buru sind in Folge der ihnen aufgebürdeten Arbeiten des Nachts gewöhnlich zu müde, um den Coitus sicut oportet et commode" zu vollziehen. Derselbe wird daher bei Tage unter Bäumen ausgeführt. Bei den Bewohnern der Insel Ambon und der Ulia se - Inseln ist das „ commercium inter sexus satis libidinosum ". Auch die Serang- und die Eetar - Insulaner führen den Coitus im Walde aus. In dem Seranglao- und Gorong- Archipel bestreicht der junge Gatte vor dem ersten Coitus die Pudenda der Frau mit einer Salbe aus Opium, Muscus etc., obgleich er schon seit langer Zeit in dem Bette seiner Braut geschlafen hat. (Riedel¹.) Je niedriger ein Volk steht, um so hässlicher äussert sich die Lüsternheit und thierische Sinnlichkeit. Manches Urvolk bedient sich zur Erregung weiblicher Wollust excessiver Reizmitttel. Auf der Insel Ponapé (westl. Carolinen) gilt es als besondere weibliche Schönheit, dass die kleinen. Schamlippen sehr verlängert werden; und die Verlängerung derselben, wie die der Clitoris, wurde schon, wie wir sahen, bei den kleinen Mädchen künstlich erzeugt. Der Mann erregt die Wollust beim Weibe , indem er mit den Zähnen die verlängerten Schamlippen fasst, um sie länger zu zerren, und einige Männer gehen, wie Kubary versichert, so weit, der Frau ein Stück Fisch in die Vulva zu stecken, um dasselbe nach und nach herauszulecken. Solche widerliche und abscheuliche Experimente werden mit der Hauptfrau, mit welcher der Mann ein Kind zu erzeugen wünscht, so weit getrieben, bis dieselbe zu uriniren anfängt, und hierauf erst wird zum Coitus geschritten. (Finsch¹ ) Auf den Inseln des Aaru- Archipels findet die Beschneidung der Knaben in der Weise statt, dass ihnen das obere Stück der Vorhaut abgeklemmt wird. Diese ganze Operation wird in der ausgesprochenen Absicht 316 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. ausgeführt, der Frau das Wollustgefühl bei der Ausübung des Beischlafs zu erhöhen. Auch die Serang - Insulaner lassen sich in ähnlicher Weise beschneiden, wenn die Schamhaare hervorzusprossen beginnen, und zwar auf Andringen der von ihnen erwählten Mädchen, ut augeant voluptatem in coitu". (Riedel¹ . ) 99 In Abyssinien haben ebenso wie an der Zanzibar- Küste die jungen Mädchen Unterricht in den Rumpfbewegungen, welche sie zur Erhöhung wollüstigen Reizes beim Coitus auszuführen haben ; die Unkenntniss dieses Muskelspiels gilt unter den Jungfrauen als Schande ; hier heisst das rotirende Hin- und Herbewegen Duk- Duk. (Stecker. ) Um dem Weibe den Genuss beim Coitus durch ein starkes Reizmittel zu erhöhen, durchbohren sich viele Dajaks die Glans penis mit einer silbernen Nadel von oben nach unten ; sie lassen diese Nadel so lange darin, bis die durchstochene Stelle als Kanal verheilt ist, um dann in denselben vor dem Coitus einen Apparat einzufügen , welcher fest sitzen bleibt und eine starke Reibung der Vagina bewirkt, hierdurch aber die Geschlechtslust der Frau steigert. Die in diesen Kanal eingebrachten Körper sind verschieden : kleine Stäbchen aus Messing, Elfenbein, Silber, ja aus Bambus. Auch werden complicirtere Instrumente hineingesteckt, die von Silber und mit Oeffnungen an beiden Enden versehen sind ; in diese Oeffnungen werden vor dem Coitus kleine Bündel von Borsten befestigt, so dass der Apparat eine Art kleiner Bürsten darstellt. v. Miklucho-Maclay' sagt : „ Es ist wahrscheinlich, da diese Operation schmerzhaft, ja gefährlich ist, die Folgen derselben aber den Geschlechtsgenuss, besonders der Frauen erhöhen, dass die Sitte sammt allen den Apparaten von Frauen selbst oder nur für die Frauen erfunden ist. Jedenfalls wird dieser Gebrauch durch die nicht nachlassenden Forderungen der Frauen erhalten, indem die Männer ohne diese Accommodation zum Festhalten der Reizapparate von den Frauen zurückgewiesen werden ; die Leute, die mehrere solcher Perforationen sich gefallen lassen und mehrere der Instrumente führen können, werden von den Frauen besonders gesucht und geschätzt. " Der Apparat heisst Ampallang ; die Frau aber giebt dem Manne ihren Wunsch, dass er sich einen solchen anschaffe, auf symbolische Weise zu erkennen : er findet in seiner Reisschüssel ein zusammengerolltes Sirieblatt mit einer hineingesteckten Cigarette, deren Länge das Maass des gewünschten Ampallang darstellt. Auch auf Nord - Celebes unter den Alfuren fand Riedel ähnliche, doch noch complicirtere Apparate, die dort Kambiong oder Kambi hiessen. Und wie man daselbst ausserdem zur Steigerung des Wollustgefühls für die Frau um die Corona der Glans den Augenlidrand eines Bockes mit den Wimperhaaren versehen wie einen borstigen Kragen bindet, so umwickelt man auf Java und bei den Sundanesen vor dem Coitus den Penis mit Streifen von Ziegenfell, doch so, dass die Glans frei bleibt. Dergleichen Sitten sind weit verbreitet. Denn in Hinterindien zu Pegu ( Bengalen) fand schon Linschotten, dass einige am vorderen Theile des Penis Schellen von der Grösse einer welschen Nuss trugen ; und in China umwickeln Wollüstlinge die Corona glandis mit den abgerissenen Fiedern einer Vogelfeder, die beim Coitus bürstenartig sich aufstellen und eine Reibung bewirken. Hagen entdeckte unter den Batta in Sumatra ein von umherziehenden Medicinmännern geübtes operatives Verfahren, wobei unter die Haut des Penis, die eingeschnitten wird, Steinchen (Persimbraon genannt), mitunter sogar 10 Stück derselben, bisweilen auch dreikantige Stückchen von Gold 75. Der Beischlaf. 317 oder Silber eingeschoben werden, damit sie einheilen und den Reiz des Coitus für die Frau erhöhen. Aehnlich wird, wie Meyer¹ mittheilt, von den Malayen auf Borneo der Penis perforirt und ein zusammengedrehter sehr feiner Messingdraht eingefügt, der an den Enden bürstenartig auseinandergezogen ist. Das durch das Bohrloch zu steckende Ende wird wahrscheinlich vor der Einführung in dasselbe zusammengedrückt und erst vor der Ausübung des Beischlafs wieder aus einander gebogen. Bei einzelnen Völkern, z . B. bei den Kaffern , ist der Brauch des Probe- Coitus vor der Verheirathung eingeführt, doch muss der junge Mann sich dabei hüten, eine Schwängerung herbeizuführen, da ihn dieselbe verpflichten würde, das Mädchen als Weib zu behalten. Deshalb befriedigt er seine Geschlechtslust zwischen ihren Schenkeln. Bei anderen Völkern ist die eheliche Beiwohnung in der Brautnacht durch die Sitte verpönt. Bei den Esthen darf in der Hochzeitsnacht weder die fleischliche Vermischung noch auch sonst etwas darauf Hinzielendes stattfinden. In einigen Gegenden Esthlands hütet man sich sogar, dass der Mann selbst den Busen seiner Frau berühre, weil sonst beim späteren Stillen Milchknoten, Entzündung und Abscesse der Brustdrüse folgen würden. (Krebel. ) Auf den Keei - Inseln in dem Banda- Archipel dürfen die Jungvermählten erst nach dem Verlaufe dreier Nächte den Beischlaf ausüben, und um sie mit Sicherheit vor einer Uebertretung dieses Gebotes zu schützen, muss in den ersten drei Nächten ihrer Ehe eine alte Frau oder ein junges Kind zwischen ihnen schlafen. Was ist der Grund für eine so merkwürdige Sitte, die wir bei zwei weit von einander wohnenden und nach Rasse und Lebensverhältnissen gänzlich verschiedenen Volksstämmen antreffen ? Sollte es nicht ein unbewusster Nachklang jener Gebräuche sein, welche wir oben kennen lernten, dass nämlich die erste Nacht nicht dem Gatten gehört, sondern der Gottheit dargebracht werden muss ? Blyth erzählt von den Fiji - Inseln : 22„ Wenn ein Fiji - Insulaner und eine Frau sich geheirathet haben, verbleiben sie drei Tage in strenger Absonderung (strict seclusion) . Am vierten Tage versammeln sich die Weiber desselben Ortes und führen die Neuvermählte zu einem Flusse zum Baden, und der Gatte ist nun verpflichtet, sich längere Zeit dem Geschlechtsgenusse zu enthalten. Diese aus der Zeit der Polygamie stammende Gewohnheit wurde früher so strenge eingehalten, dass Zuwiderhandelnde unfehlbar der Tod erwartete. Jetzt, wo durch den Einfluss der Missionare die Monogamie herrscht, ist der Brauch vergessen. Die Fiji - Insulaner sind der Ansicht, dass ein Beischlaf zur Befruchtung nicht hinreichend sei . Sie haben einen sonderbaren Aberglauben, dass wenn ein junger unverheiratheter Mann einen unerlaubten Verkehr gehabt hat, und denselben nicht wiederholt, er sicher ist, früher oder später von einer zehrenden Krankheit befallen zu werden und schliesslich zu sterben . Hieraus folgt, dass er gezwungen ist, den Beischlaf zu wiederholen, um nicht der unvermeidlichen Krankheit zum Opfer zu fallen . Allgemein wird von den Fiji - Insulanern geglaubt, dass die einer Ehe entspringenden Kinder kräftig und gesund werden, wenn die Ehegatten selten cohabitiren , und wenn ein oder mehrere Kinder schwach und krank werden , so schiebt dieses die Mutter auf geschlechtliche Excesse des Vaters. " Nach Graafland ziehen sich auf der Insel Rote die Neuvermählten von zwei alten Weibern begleitet zurück. Der Gatte muss der Braut einen Gürtel, dessen neun Knöpfe mit Wachs überzogen sind, abknöpfen und zwar nur mit dem Daumen und Zeigefinger der linken Hand. Hierüber wachen die alten Frauen. Bevor der Gürtel nicht völlig gelöst ist, darf der 318 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. Bräutigam nicht in eheliche Gemeinschaft mit seiner Braut treten ; wie man mir erzählte, verginge manchmal ein Monat, ja ein Jahr darüber. Eine sonderbare Vorstellung von der sympathischen Wirkung des Zeugungsgeschäftes auf den Pflanzenwuchs findet sich bei manchen Naturvölkern : so pflegt der Javane Nachts mit seiner Frau in den Reisfeldern der Venus zu opfern, um seine Reispflanzungen durch sein Beispiel zu vermehrter Fruchtbarkeit anzuregen. (van der Burg. ) Dasselbe thun Einwohner der Molukken in ihren Baumpflanzungen in gleicher Absicht. ( van Hoeuvell. ) Wir müssen hier einer eigenthümlichen Sitte Erwähnung thun, welche, wenn auch nicht ein Coitus in dem gewöhnlichen Sinne, doch etwas in das Gebiet der innigen Verbindung der beiden Geschlechter Gehöriges ist . Es wurde oben bereits erwähnt, dass sich die herangewachsenen Knaben der Serang- Insulaner auf das Andringen ihrer Freundinnen nach malayischer Art beschneiden lassen. Direct nach dieser Operatien eilt der Jüngling zu seinem Mädchen : penis vulneratus ut sanetur in ejus vulvam immittitur, und verbleibt zwei Tage in dieser Position. Quando penis, quia praeputium nimis praecisum, non facile in puellae vaginam immitti potest, amicam, quae jam peperit, illa rogat, ut locum suum suppleat, donec desinierit sanguis effluvium. Dieser Dienst darf von der Frau nicht verweigert werden. (Riedel¹ . ) 76. Die Stellung bei dem Coitus. Es mag wohl sonderbar erscheinen, wenn wir der Lage und Stellung , in welcher der Beischlaf ausgeübt wird , eine besondere Betrachtung widmen. Keineswegs ist es die Absicht, nach der Art des Pietro Aretino alle solche Stellungen zu durchmustern, welche raffinirte Sinnlichkeit und Wollust auszudenken vermochte, sondern nur diejenigen Positionen verdienen unser Interesse, welche von bestimmten Völkern gewohnheitsgemäss und der Regel nach ausgeführt werden, aber von der uns als gewöhnlich geltenden Art abweichen. Nicht das erotische, sondern das ethnographisch-anthropologische Interesse ist es also, welches uns diese Angelegenheit hier zu erörtern veranlasst. Denn wir müssen der Sache schon deshalb unsere Aufmerksamkeit zuwenden, weil in Folge der wahrgenommenen Differenzen die Frage aufgeworfen werden muss, wenn sie auch heute noch nicht definitiv beantwortet werden kann, welche Ursachen und Bedingungen denn hier eigentlich im Spiele sind, ob etwa nur die Nachahmung des Gebahrens gewisser Thiere, oder ob besondere Abweichungen von der Körperbildung der übrigen Menschenrassen als die eigentliche Ursache hierfür angesehen werde müssen. Dass der Mensch, wie zu allen physiologischen Functionen, so auch zu den sexuellen, eine solche Stellung und Lage wählt, in welcher ihm das Geschäft am leichtesten und bequemsten, hier auch am genussreichsten vor sich zu gehen scheint, ist leicht begreiflich. Doch auch hier wird der Mensch bestimmt nicht lediglich von den aus der Erfahrung gewonnenen Gewohnheiten, sondern in bevorzugtem Grade von Vorstellungen beherrscht, welche sich in undenklichen Vorzeiten vielleicht zunächst Einzelnen im Volke aufdrängten und die den anderen Stammes- und Volksgenossen als nachahmungswerth erschienen, hiermit aber zur nationalen und traditionell fortgeführten Sitte wurden. 76. Die Stellung bei dem Coitus. 319 Solche Betrachtungen drängen sich uns auch bezüglich des Coitus auf; wir können vorläufig nur sagen, dass der Mensch wohl zumeist die gegenseitige Lage wählen wird, in der die Frau, wie es gewöhnlich bei uns und gewiss auch bei den meisten anderen Völkern geschieht, in Rückenlage mit gespreizten und leicht im Knie und in der Hüfte gebeugten Schenkeln verharrt, während der Mann zwischen den Schenkeln liegt und sich mit Hand und Ellenbogen während der Umarmung stützt. Neben dieser vielleicht als Normalstellung zu bezeichnenden Form des geschlechtlichen Verkehrs sind gleichsam ausnahmsweise bei gewissen Völkern einzelne andere Stellungen gebräuchlich. Bei den Bafiote - Negern an der Loango- Küste wird die Beiwohnung liegend von der Seite ausgeführt. Besondere Gründe hierfür konnte Pechuel- Loesche nicht in Erfahrung bringen ; es liesse sich vielleicht , wie er sagt, die Grösse des Penis als Ursache hierfür anführen . Jedoch haben, wie wir sehen werden, auch andere Völker einen ähnlichen Gebrauch, obgleich ihr Penis die gewöhnlichen Dimensionen nicht überschreitet. Unter den anatomischen Handzeichnungen des Leonardo da Vinci hat sich ein sehr interessantes Blatt erhalten, welches die sogen. Venus obversa als die dem Bau der menschlichen Geschlechtstheile entsprechendste darstellt. Der alte Blumenbach sagt darüber : Besonders lehrreich ist eine Zeichnung, wo ein männlicher und ein weiblicher Körper zusammen in copula, den Vorderleib gegen einander gekehrt, und beide von hinten nach vorn (in sagittaler Richtung, wie wir heute sagen), nämlich vom Rückgrat bis zum Brustbein und der Synchondrose der Schambeine durchschnitten, um die Richtung der männlichen Ruthe zu der Axe der weiblichen Scheide zu zeigen, und die natürlichen Bestimmungen zur Venus obversa zu erweisen, dargestellt werden. " Allein es haben sich vielleicht ursprünglich bei einzelnen Völkern ganz andere bevorzugte Stellungen heimisch gemacht, wie wir sogleich zeigen werden. Dass allerdings unsere Normalstellung schon in den ältesten Zeiten und bei den verschiedensten Völkern die herrschende war, geht aus vielen Zeugnissen hervor. Beispielsweise befinden sich unter den peruanischen Alterthümern , welche das Leipziger Museum für Völkerkunde besitzt, zwei ganz gleiche Doppelvasen, die plastisch ein den Coitus ausübendes Paar darstellen, wobei die Frau auf dem Rücken liegt , während der Mann sich mit ihr Brust an Brust befindet, so dass er mit seinem Munde das Kinn der Frau berührt. Auf dem Rücken der männlichen Figur befindet sich die Oeffnung des Gefässes, aus der man trinken kann. Auch das Berliner Museum für Völkerkunde besitzt ein Paar analoge Stücke. Dagegen bringen andere peruanische Gefässe auch ungewöhnlichere Stellungen zur Anschauung. So hat ebenfalls das Berliner Museum eine der Macedo- Sammlung angehörende Vase, auf deren Deckel eine Frau in der Knie-Ellenbogenlage gelagert ist und sich nach einem kurzbeinigen Manne umsieht, der hinter ihr stehend und seine Hände auf ihre Hüften legend, soeben mit der Immissio penis beschäftigt ist. Die gleiche Stellung findet sich auch noch auf einer anderen Vase dieser Sammlung, das Paar aber bereits in Action, wobei die Frau die Beckenparthie stark in die Höhe hebt. In zwei anderen Fällen nimmt die Frau die Rückenlage ein, während der Mann aufrecht zwischen ihren Schenkeln kniet. In der Sammlung Minas in Cuzco sehen wir ausser 320 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. einigem Aehnlichen auf einer Vase auch das Paar in der Seitenlage, wobei der Mann von dem Rücken her die Cohabitation vollzieht. Da wir hier nun aus dem gleichen Lande so verschiedene Darstellungen kennen lernen, so können wir weder die eine noch die andere als den Ausdruck der damals herrschenden Sitte ansehen. 19 Ebenso wenig können uns die mannigfachen Darstellungen auf diesem Gebiete als Beweise für die Gebräuchlichkeit der einen oder der anderen Stellung dienen, wie sie die japanische und die chinesische Kunst uns darbietet. Bei den japanischen Darstellungen, welche theils in Bilderbogen, theils in Büchern sich finden, kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass sie überhaupt nur aus erotischen Rücksichten zum Zwecke des Sinnenkitzels gefertigt worden sind. Etwas anderes verhält es sich vielleicht mit den chinesischen Figuren. Hier kommt namentlich die bereits weiter oben erwähnte Gruppe von Kunstwerken in Betracht, welche unter dem Namen tsch'un- tsch'e Frühlingstäfelchen " oder pí - hí geheime Spiele" bekannt sind. Sie gleichen in der Form ungefähr unseren Tuschkästchen und haben auf dem Schiebedeckel in farbigem Speckstein eine Gruppe von zwei oder mehreren menschlichen Figuren verschiedenen Geschlechtes, welche meist in harmloser Unterhaltung oder auf der Promenade sich befinden. Zieht man den Deckel auf, so findet man im Inneren des Kästchens ebenfalls eine farbige Reliefdarstellung in Speckstein, welche ein gänzlich oder nahezu vollständig entkleidetes Paar in verschiedenen Stellungen der Begattung zeigen. Das Vorherrschen einer bestimmten Stellung lässt sich dabei nicht erkennen, nur ist es auffallend, wie häufig die Frau die Beine ad maximum in den Knieen und in der Hüfte gebeugt hält. 29 Eugen Pander theilte mir mit, dass diese Frühlingstäfelchen noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts als Geschenk für Bräute benutzt worden wären. Dr. Grube gab mir über dieselben Folgendes an : „ Nach mündlicher, in China ziemlich allgemein verbreiteter Ueberlieferung dienten sie während der Ming-Dynastie (1368-1644) als Wahrzeichen gegen Feuersgefahr. Pander's Mittheilung, dass dergleichen Bilder früher Bräuten vor der Hochzeit geschenkt wurden, beruht, wie mir mein chinesischer Freund, Herr Knei-lin, mittheilt, entschieden auf einem Irrthum. Hingegen soll es vorkommen, dass sie jungen Männern geschenkt werden, die in den Ehestand treten wollen und nicht wissen, ,وwie man es macht". Es ist überhaupt nicht leicht zu sagen, welchen Grad von Beweiskraft man solchen bildlichen Darstellungen beizulegen berechtigt ist. Das Museum für Völkerkunde in Berlin besitzt eine in Holz geschnitzte Gruppe aus dem Benue - Gebiete in West- Afrika , wo das Paar in der gewöhnlichen Stellung, die Frau in vollständiger Rückenlage, der Mann auf ihr liegend gebildet ist. Eine in derselben Sammlung befindliche figurenreiche Gruppe in Messing von der westafrikanischen Sclavenküste zeigt zweimal die Frau in der Rückenlage mit gespreizten Beinen, hochgezogenen Knieen und fast wagerecht gehaltenen Unterschenkeln, während der Mann in beiden Fällen in aufrechter Stellung, aber mit gebeugten Knieen seinen Unterkörper der Erde nähernd die Immissio penis vollzieht. Auf den berühmten prähistorischen Felsenzeichnungen bei Bohuslaen in Schonen finden sich nach den von Brunius gegebenen Nachbildungen zwei Paare, welche die Cohabitirung im Stehen ausführen. Der Coitus wird, wie es scheint, bei der Mehrzahl der Naturvölker in der Rückenlage der Frau vollzogen ; wenigstens würde wohl, wenn dies 76. Die Stellung bei dem Coitus. 321 nicht der Fall wäre, häufiger von Reisenden und Beobachtern das Vorkommen einer anderen Stellung erwähnt werden. Von den Feuerländern , welche 1881 in Europa producirt worden sind, wurde nach Angabe ihrer Führer der Coitus , ab anteriore " vollzogen (v. Bischoff ) ; hiermit ist freilich nicht ausgeschlossen, dass nicht auch andere Stellungen ausnahmsweise gewählt werden. Theils in der hier beschriebenen 99 natürlichen" Lage, theils aber auch so, dass der Mann liegt, während die Frau oben ist und gleichsam auf ihm liegt, wird bei den Szuaheli in Zanzibar (Ost - Afrika) nach den mir von Kersten mündlich gemachten Mittheilungen der Coitus ausgeübt ; dabei macht die Frau eine eigenthümliche mahlende Bewegung mit dem Leibe, Digitischa genannt, welche jedenfalls zur Erhöhung des Genusses für den Mann dienen soll . Diese Bewegungen werden den Mädchen von alten Weibern gelehrt, bei welchen sie vierzig Tage lang in die Schule gehen. Es ist dort beleidigend, wenn man einer Frau sagt, dass sie nicht Digitischa machen könne. Aehnliches findet in Niederländisch - Indien statt. In Ost- Afrika scheinen noch andere Manieren beliebt zu sein . In Abyssinien wird der Coitus auf zweifache Art vollzogen ; zumeist in der halben Seitenlage, dann aber auch so, dass die Frau sich in der Rückenlage befindet, während der Mann die Beine derselben über seine Schultern nimmt. (Stecker. ) Bei den Sudanesen wird der Coitus, wie mir Brehm mittheilte, in ganz eigenthümlicher Weise vollzogen, denn er findet nicht bloss im Liegen, sondern auch im Stehen statt, indem dabei das Weib sich nach vorn beugt, die Hände auf die Kniee stemmt, den Hinteren nach hinten hinausstreckt, während der Mann den Coitus von hinten ausübt. In Italien mag früher Aehnliches vorgekommen sein. Preshun, welcher die Wandgemälde Pompeji's genau studirte und viele derselben copiren liess und publicirte, hat die Beobachtung gemacht, dass auf diesen Bildern stets dort, wo zwischen einem Paare der Coitus zur Darstellung kommt, das Paar die Stellung wie bei solchen Thieren einnimmt, bei denen das Weibchen nach vorn vorgebeugt ist und das Männchen demselben von hinten beikommt. Preshun sprach gegen mich die Vermuthung aus, dass diese Stellung vielleicht zu jener Zeit im südlichen Italien sehr häufig war. Wir dürfen aber nicht ausser Acht lassen, dass raffinirte Wollust im damaligen römischen Reiche sehr verbreitet war, und der Herausgeber konnte sich an Ort und Stelle überzeugen, dass die Wandgemälde Pompeji's auch noch andere höchst unnatürliche Positionen für die Ausübung des Coitus zur Darstellung bringen. Doch auch hoch im Norden giebt es ein Volk, bei dem der Mann sich der Frau gleichfalls von hinten nähert. Nach Bessels vollzieht der Inuit (Eskimo) des Smith- Sunds mit besonderer Vorliebe den Beischlaf nach Art der Vierfüsser ; nach mündlicher Mittheilung eines Freundes erfuhr Bessels, dass dies auch bei den Konjagen der Fall ist. Ein anderer Gebrauch besteht in der Seitenlage : Von den Kamtschadalen sagt Steller : „ Bei ihnen heisst es, wer den Concubitus verrichtet dergestalt, dass er oben aufliegt, begehe eine grosse Sünde. Ein rechtgläubiger Itälmene muss es von der Seite verrichten, aus Ursache, weil es die Fische auch so machen, von denen sie ihre meiste Nahrung haben. " Hier wird also doch ein Grund angeführt : es ist die Nachahmung der Thiere, welche als Modell oder Vorbild dienen. Auch die Tschuktschen und die Namollos haben den gleichen Gebrauch. Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 21 322 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. Sehr wechselnd sind die Gewohnheiten in dieser Beziehung bei den Einwohnern der verschiedenen Inseln des alfurischen Archipels. Die Buru-Insulaner führen den Coitus unter Bäumen aus, wobei die Frau die Rückenlage einnimmt. Auch die Bewohner von Serang cohabitiren im Walde, jedoch wird die Angelegenheit im Stehen abgemacht. Auf die Keei- und Aaru- Insulaner kommen wir noch weiter unten zurück. Der Beischlaf wird nach dem Bericht des Missionär Kempe bei den centralaustralischen Schwarzen am Finke - Creek liegend vollzogen ; diese Beobachtung bezieht sich auf die Umgebung der Missionsstation Hermannsburg nahe der Mac- Donnel- Kette. Bei den Australierinnen am Vincent- Golf (bei Adelaide) sollen. nach Köhler die Schamtheile etwas mehr als bei anderen Völkern zurückstehen, daher die Männer, „ was übrigens bei den meisten Australiern Sitte ist ", die Begattung von hinten vollziehen. Dagegen sind in einigen Gegenden Australiens unter den Stämmen besondere Stellungen beliebt. Eine Coitus- Stellung, welche sich gänzlich von der anderer Völker unterscheidet, ist in West- Australien gebräuchlich ; Fletcher Moore berichtet, dass sie dort mit dem Worte Mu-yang bezeichnet wird. Die Weise ihrer Begattung ist sitzend, Gesicht gegen Gesicht. Auch versicherte mir Oberländer, der sich in Australien längere Zeit aufhielt, dass sich dort die Paare im Sitzen auf der Erde hockend Brust an Brust bei eigenthümlicher Verschränkung der Beine umfassen. Obgleich ich mit ihm die Situation ausführlich besprach, so blieb es doch räthselhaft, wie sie praktisch ausführbar sei, bis hierüber v. Miklucho- Maclay genauere Erkundigungen eingezogen hat. Die Eingeborenen entblöden sich nicht, die Begattung vor Zuschauern am hellen Tage vorzunehmen, wenn man ihnen ein Glas Gin verspricht. Dabei nehmen sie die hockende Stellung ein in einer von Miklucho-Maclay bildlich dargestellten Weise. Die Frau befindet sich zunächst in Rückenlage, der Mann hockt zwischen ihren Schenkeln nieder und zieht die noch immer liegende Frau an sich, bis die Geschlechtstheile an einander treffen. Zuweilen wird der Coitus in dieser Stellung, der Mann hockend, die Frau liegend zum Abschluss gebracht; in den meisten Fällen aber ist dieselbe nur die Präliminar- Stellung für ein weiteres Verfahren, indem der im Niederhocken verharrende Mann, den Oberkörper der Frau vom Boden erhebend und an den seinigen heranziehend, Brust an Brust in engster Umschlingung den Begattungsact vollzieht. Ein zuverlässiger junger Mann, Morton, berichtete als AugenzeugeWeiteres : Eines Abends , als er sich in der Nähe eines Camps von Eingeborenen befand, fiel es ihm ein, einen Eingeborenen, der um ein Gläschen Gin bettelte, aufzufordern, vor ihm den Coitus auszuüben. Der Eingeborene entfernte sich willig, um ein Weib zu rufen, welches auch bald darauf erschien. Ohne irgend welche Zeichen von Verlegenheit zu äussern, nur mit dem Gedanken, sein Gläschen Gin rasch zu verdienen, machte sich der Mann an das Weib, wobei das Paar die vorstehend erwähnte Positur annahm. Die Operation in dieser Stellung ging nach der Meinung des Mannes nicht rasch genug von Statten, weshalb er mit der Bemerkung: „so dauert es zu lange, werde es auf die englische Manier (english fashion) versuchen, " das Weib auf den Rücken sich zu legen nöthigte und selber, auch liegend, den Coitus zu Ende brachte. In Folge von Erzählung von anderen erfahrenen Weissen war die Aufmerksamkeit Morton's nach dem Coitus auf das Weib gerichtet. Er bemerkte daher Folgendes : Nachdem der Mann aufgestanden war und nach dem Gläschen Gin langte, richtete sich 77. Der rituelle Beischlaf. 323 auch die Frau auf, stellte die Beine aus einander, und mit einer schlängelnden Bewegung des Mittelkörpers warf sie mit einem kräftigen Ruck nach vorne ein Convolut von weisslichem Schleim (Sperma ?) auf den Boden, wonach sie sich entfernte. Diese Art, sich des Sperma zu entledigen, welche sogar eine bestimmte Benennung im Dialect der Eingeborenen aufweisen soll, wird, nach den Aussagen der weissen Ansiedler Nord- Australiens, von den eingeborenen Weibern nach dem Coitus gewöhnlich ausgeübt, mit der Absicht, keine weiteren Folgen des Zusammenseins mit einem weissen Manne durchzumachen. Wir müssen freilich die Vermuthung aussprechen, dass solche Schaustellungen die Bevölkerung noch mehr zu corrumpiren im Stande sind, als sie es schon in der Berührung mit dem Auswurf der weissen Rasse geworden ist. Den Coitus in sitzender Stellung führen nach Riedel¹ auch die Bewohner der Keei- Inseln aus, während die Aaru- Insulaner denselben hockend vollziehen, wie die Marege in Nord- Queensland oder wie die Orang-Utang und andere Affenarten. Von Herrn Max Uhle werde ich darauf aufmerksam gemacht, dass die Amsterdamer Ausstellung im Jahre 1883 eine Holzschnitzerei von einem Sarge der Longwai- Dayaks in OstBorneo besass, welche die Cohabitation in der gleichen Stellung zur Darstellung brachte. Uebrigens findet diese letztere sich ebenfalls unter den peruanischen Vasen der Sammlung Ettore Minas in Cuzco , und auch eine rohe Thongruppe der Malange in Afrika (im Berliner Museum für Völkerkunde) , welche zur Aufstellung auf einem Grabe bestimmt ist, führt sie uns vor. Es liegt aber kein Beweis dafür vor, dass diese Stellung bei den Malange die typische wäre. Eines im Modenesischen herrschenden Aberglaubens müssen wir noch Erwähnung thun. Hier sagen nach Riccardi die Bauern, dass wenn ein Mann, dessen Gattin ihm immer Mädchen zur Welt bringt, einen Knaben haben wolle, so müsse er beim Coitus eine andere Stellung einnehmen. Es soll aber bereits auch helfen, wenn er seine Frau während des Beischlafs in das Ohr beisst. 77. Der rituelle Beischlaf. Wenn wir uns in die Erinnerung zurückrufen, welch eine wichtige Triebfeder, sowohl in dem Leben des Einzelnen, als auch in dem Geschicke ganzer Völker der Geschlechtstrieb zu werden vermag, dann wird es uns nicht Wunder nehmen, dass schon in verhältnissmässig früher Zeit die Priesterschaft auch den Beischlaf in den Bereich ihrer Einflusssphäre gezogen hat. Man kann für diesen von religiösen Vorstellungen und Vorschriften beeinflussten geschlechtlichen Verkehr, ganz gleichgültig, ob er zwischen Eheleuten oder ausserehelich stattfindet, die Bezeichnung des rituellen Beischlafes einführen. Zu dem an dieser Stelle uns interessirenden Rituale müssen solche Bestimmungen gerechnet werden, welche den Neuvermählten für die erste eheliche Beiwohnung einen ganz bestimmten Tag nach dem Abschluss der Hochzeitsceremonien vorschreiben, wie wir das bereits in einem früheren Abschnitte kennen gelernt haben. Hierher gehören auch ebenfalls alle diejenigen Vorschriften, welche den ersten Coitus der neuvermählten Frau der Gottheit oder deren Vertreter vorbehalten, wofür dann der unglückliche junge Ehegatte diesem Substituten noch Opfer und Geschenke darzubringen hat. Wir werden hierfür später noch eine Reihe von Beispielen kennen 21* 324 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. lernen, Dass nun aber auch der Segen der Gottheit für diesen so ausserordentlich wichtigen Act erfleht werden muss, das erscheint uns ganz naturgemäss. Auch nach den Gesetzen Zoroaster's soll man nicht nur vor dem Coitus gewisse Gebete aussprechen, sondern es müssen auch nach demselben beide Eheleute gemeinschaftlich ausrufen : „ O Sapondomad, ich vertraue Dir diesen Samen an, erhalte mir denselben, denn er ist ein Mensch ! " Ebenso müssen Mann und Frau im Seranglao- und GorongArchipel vor dem Beischlaf ein Gebet sprechen. Sehr ausgebreitet sind die Vorschriften, welche die Ausübung des Beischlafes zu gewissen Zeiten und unter bestimmten Umständen auf das Strengste untersagen. Dahin gehören namentlich alle die eigentlich sexuellphysiologischen Funktionen des Weibes, die Zeit der Menstruation, der Schwangerschaft und der Lactation . Die grosse Ausbreitung, welche diese Enthaltungsvorschriften sowohl bei gänzlich rohen als auch bei halbcivilisirten Nationen besitzen, eine Enthaltung, welche bei manchen Stämmen sich in Folge des lange fortgesetzten Säugens nicht selten auf mehrere Jahre erstreckt . ist sicherlich ein sehr bemerkenswerther Zug im Völkerleben, der wohl verdient, als eine halb unbewusste Maassregel primitiver Hygieine aufgefasst zu werden. " Hier schliessen sich bestimmte Reinigungsvorschriften an, welche uns bei gewissen Nationen entgegentreten . Denn bei manchen Völkern herrscht der Glaube, dass der Coitus unrein" mache. So oft ein Babylonier . “ sagt Herodot, seiner Frau beigewohnt hat, zündet er Weihrauch an und setzt sich daneben, welches die Frau gleichfalls thut. Bei Tagesanbruch baden sich dann beide, denn ungewaschen rührt bei ihnen keiner etwas an. Beides findet man auch bei den Arabern. " Hiermit kommt eine hygieinische Volkssitte zum Vorschein, die zum Cultus geworden ist. Da nun der alte Geschichtsschreiber Herodot, der im 5. Jahrh. vor Chr. schrieb, hier schon von den Arabern und Babyloniern , also von zwei semitischen Völkern, erwähnt, dass bei ihnen die Sitte ein besonderes Reinigungsverfahren nach jedem Coitus erforderte, so scheint es, als ob die Religionsgesetzgeber unter ihnen denBrauch als einen so wichtigen betrachteten. dass er geboten und geheiligt werden müsse. Ebenso war der Coitus bei den Medern, Baktrern und Persern sowohl in der Menstruations-, wie in der Säugungsperiode durch religiöse und gesetzliche Vorschriften streng untersagt ; 200 Ruthenstreiche oder die Zahlung von 200 Decems waren die Strafe für denjenigen, welcher gegen das Verbot sündigte. Schon unter den alten Juden der Bibel verunreinigte jeder Act ehelicher Beiwohnung beide Theile bis an den Abend (3. Moses 15, 18) ; beide Theile, der Mann und die Frau, mussten sich hinterher baden. Sobald aber bei den Juden der Coitus während der Menstruation vollzogen wurde, so hatten (3. Moses 20, 18) beide Theile das Leben verwirkt. Mohammed verbot im Koran den Ehemännern, ihren Frauen während der Menses beizuwohnen, ja sie sogar zu berühren an den Theilen unter den Kleidern vom Gürtel bis zu den Knieen war ihnen untersagt ; nur die Theile. welche höher liegen, sind zu berühren gestattet . Dieses Verbot währte bis zum Aufhören der Regel. denn Gott hat befohlen : „ Bleibt fern von Euren Frauen, bis sie sich mit Wasser gereinigt haben. " (Bertherand. ) Nach den religiösen Geboten der Mohammedaner (Sikhelil) ist der Ehemann nur dann verhindert, seiner Frau beizuwohnen, wenn sie krank, menstruirt oder im Wochenbett ist ; heirathet er eine Jungfrau, so soll er ihr sieben auf 77. Der rituelle Beischlaf. 325 einander folgende Nächte sich widmen; nimmt er eine neue, nicht mehr jungfräuliche Gattin, so ist er ihr nur drei auf einander folgende Nächte schuldig. Der Gatte kann mit einer seiner Frauen in der Reihe seiner Besuche häufiger zusammenkommen, sobald die andere Frau zustimmt, dass sie übergangen wird, sei es freiwillig oder nicht ; auf der anderen Seite kann eine Frau ihrer Gefährtin ihre eigene Reihe der Gatten- Besuche abtreten. Wenn nun andererseits die Mohammedaner nach dem Koran verbunden sind, der Frau regelmässig wöchentlich einmal beizuwohnen, dasselbe Gesetz aber auch es den Eheleuten verbietet, während der ganzen Zeit der Schwangerschaft und des Nährens, während des Monatsflusses, sowie acht Tage vor und nach dieser Zeit, endlich während der dreissigtägigen Fasten im Monat Ramasan mit einander zu cohabitiren, so möchten, wie Oppenheim hervorhebt, dem streng an das Gebot sich haltenden Muselmann selbst bei seinen vier Weibern die uns nach Luther's Ausspruch erlaubten hundertundvier Umarmungen im Jahr nicht einmal zu Gute kommen. Aber überhaupt fast alle Völker enthalten sich der Gattin während der Menstruation, die, wie wir ja bereits oben gesehen haben, die Frau in hohem Grade unrein macht. In Abyssinien darf Sonnabends kein ehelicher Coitus stattfinden. Zoroaster schrieb vor, dass ein Gatte seiner Frau einmal binnen neun Tagen beiwohne ; Solon setzte das Minimum auf dreimal des Monats fest ; Mohammed erklärte es für einen Ehescheidungsgrund , wenn der Mann nicht wenigstens das eine Mal in der Woche seine Pflicht erfüllte. Bei den Drusen ist es dem Ehemanne nicht gestattet, mehr als einmal in jedem Monat seiner Frau nach ihrer Reinigung beizuwohnen ; und wenn der Monat vorüber gegangen ist, ohne dass sie die Menstruation gehabt hat, so nähert er sich ihr nicht ; denn er darf den Beischlaf während der Schwangerschaft nicht vollziehen ; ebenso wenig darf er sie während der zwei Jahre berühren, wo sie stillt. (Petermann. ) Das Enthalten des geschlechtlichen Umganges ist bei den Wakamba und Wakikuyu in Ost- Afrika geboten : so lange das Vieh sich auf der Weide befindet, also tagsüber vom Austreiben vom Morgen bis zum Eintreiben am Abend. Ferner gehen bei diesen Völkern die Männer nicht zum Weibe, so lange sie sich auf einer Reise befinden , selbst nicht zu ihren eigenen, wenn es sich in der Carawane befinden sollte. Als Trauer beim Tode eines Verwandten oder Häuptlings sind die Wanika gehalten, drei Tage lang nicht zum Weibe zu gehen. Dagegen ist der Beischlaf bei den Wakamba geboten, wenn eine Wittwe heirathen will ; dann muss ein fremder Mann, z. B. ein M'swaheli oder M'kamba aus anderer Gegend, vorher mit ihr einmal Umgang gehabt haben. Dieser Mann erhält zum Lohn einen Ochsen. Steller sagt von den Itälmenen , dass sie nach der Hochzeit den Beischlaf „ nicht auf einmal vollbringen durften, sondern sie mussten gradatim nach und nach immer weiter kommen, wodurch die Mannsperson erhitzter und die Weiber vergnügter wurden. Nach diesem Acte wurden weder Mahlzeiten noch Lustbarkeiten angestellet, sondern richteten sie sich nach den Thieren, welche nach verrichtetem Concubitu , wohin jedes will, nach Belieben gehet, und deriviren sie auch ihre Gwateien (Haschen, man vergleiche den Abschnitt Brautwerbung) daher, weil keine Hündin einen Hund. über sich lässt, ohne sich vorher eine Zeit lang zu sperren. " Von Guatemala berichtet Stoll: 99 War (bei den Stämmen der Verapaz) die Zeit des Festes bestimmt, so begannen die Vorbereitungen 326 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. dazu mit allerlei Kasteiungen. Geschlechtlicher Umgang war selbst für Verheirathete verboten. " Auch in Deutschland begegnen wir an einer Stelle einer besonderen Enthaltsamkeit. Lammert sagt: „Am ersten Samstage nach der Hochzeit verlässt in manchen Gegenden Oberbayerns die junge Frau ihr Haus und eheliches Bett und macht eine einsame Wanderung zu einem nahen Wallfahrtsorte (so im Traungau nach Mariaegg im Bergenerthal oder ins Kirchenthal bei Lofer), indem sie im Hause ihrer Eltern oder Verwandten diese Nacht im Kirchtagbett zubringt. Denn die Samstagnacht ist der Jungfrau Maria geweiht, und solch ein Opfer der Enthaltsamkeit sichert der Ehe den besonderen Schutz der Himmelskönigin. " Wir müssen hier aber auch daran erinnern, dass sich in den alten Calendarien des 15.-18. Jahrhunderts ganz ähnlich wie für den Aderlass, so auch für die eheliche Beiwohnung ganz bestimmte Gebote und Verbote verzeichnet und für diese Verrichtung günstige oder ungünstige Tage angegeben finden. Es steckt hierin mit grosser Wahrscheinlichkeit, wie es mir erscheinen will, ein bemerkenswerthes Beispiel von altem Ueberlebsel, dessen Wurzeln vielleicht, ganz ebenso wie diejenigen unseres gesammten Kalenderwesens, bis in die graue Vorzeit Asiens hineinreichen. Ich werde in dieser Annahme bestärkt durch das schon oben einmal erwähnte, in der Tamilsprache vorliegende alte Sanskritwerk Kokkôgam. Dasselbe enthält ein besonderes Capitel, welches den Titel führt : Geschlechtliche Umarmung je nach den Monatstagen. In diesem finden sich auch gleichzeitig ganz genaue Vorschriften, in welcher Weise der Beischlaf ausgeführt werden soll und welches ,, Aussenspiel " man mit ihm verbinden müsse. Diese beiden Punkte spielen noch immer in gewissen Theilen Indiens eine nicht unbedeutende Rolle in ritueller oder religiöser Beziehung. Es befinden sich namentlich in Orissa eine Reihe von Tempeln, an welchen in plastischen Gruppen sowohl dieses Aussenspiel als auch die nach unseren europäischen Begriffen raffinirtesten und obscönsten Stellungen und Arten des Beischlafes zur Darstellung gebracht sind. Nach Rajendralála Mitra finden sich diese Obscönitäten ausschliesslich an den Tempeln und den zu ihnen gehörigen Vorhallen, aber niemals an den dieselben umschliessenden Wällen, Thoren oder anderen Bauten von nicht religiösem Charakter. Wir können hinzufügen, dass sie als Holzreliefs auch an den grossen Wagen angebracht sind, welche zum Herumfahren der Götterbilder des Dschagannatha, seines Bruders Balarawa Fig . 86. Lamaistische Yi - dam - Figur ( Schutz- gottheit) mit seiner Yum in der Yab- yum- Stellung. (Chinesische Bronzegruppe des kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin. ) (Nach Photographie. ) 77. Der rituelle Beischlaf. 327 • und ihrer Schwester Subadhra in feierlicher Procession benutzt werden. Solch ein Wagen ist von Wilhelm Joest im Museum für Völkerkunde in Berlin ausgestellt. Er stammt aus Purî in Orissa. Unter den Reliefdarstellungen sind 6 unschuldigerer Natur, während 20 das Licht der Oeffentlichkeit scheuen müssen. Von diesen letzteren zeigen 16 je ein Paar in der Cohabitation, und zwar in Stellungen, wie sie die kühnste Phantasie wohl kaum erdenken könnte. Vier weitere Platten führen uns ebenfalls je ein Pärchen vor, aber noch ante actum mit verschiedenen Arten des purattolil, des schon erwähnten Aussenspieles beschäftigt. Alle Darstellungen bezeugen einen ziemlichen Grad von Kunstfertigkeit bei dem Bildhauer, der diese Kunstwerke in sehr hohem Relief aus je einer Holzplatte in der Weise herausgearbeitet hat, dass der Rand der Platte, sie wie ein Rahmen einschliessend und bis über ihr höchstes Relief hervorragend, stehen geblieben ist. Tausend und aber tausend Hindus, Männer, Frauen und Kinder, sagt Rajendralála Mitra, besuchen jedes Jahr die Tempel von Orissa , sie legen lange und anstrengende Reisen in der härtesten Jahreszeit Indiens zurück, sie ertragen die grössten Entbehrungen, um sie zu erreichen, und sie kehren mit der festen Ueberzeugung nach Hause zurück, dass sie sich durch diese Pilgerfahrt von allen ihren Sünden gereinigt haben, und sie haben auch nicht den Schatten von einem Gedanken , dass irgend etwas, was sie gesehen haben , unsauber oder unanständig sei. Das Ganze ist ein Mysterium, ein Mysterium aus alter Zeit, heilig durch das Alter und gehüllt in Alles, was rein und heilig ist. Und sie verlangen nicht, den Schleier zu heben und in die Geheimnisse einzudringen oder deren Gründe zu erforschen, welche ihre Vorfahren Jahrhunderte lang unberührt gelassen haben. Rajendralála Mitra ist der gewiss ganz zutreffenden Meinung, dass es auch den ersten Bildnern dieser für unsere verfeinerten Begriffe obscönen Sculpturen vollkommen fern gelegen habe, etwas Unanständiges darstellen zu wollen. Es war Fig. 87. Lamaistische Yi- dam- Figur (Schutzgottheit) mit seiner Yum in der Yab- yum - Stellung. ( Chinesische Bronzegruppe des kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin. ) (Nach Photographie.) 328 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. nur ihre Absicht, einen religiösen Gedanken in entsprechend realer Weise zur Verkörperung zu bringen. Und dieser Gedanke hängt ohne allen Zweifel mit der Verehrung der Gottheiten der Zeugung, mit dem Phallusdienste zusammen, der in früheren Jahrhunderten wohl fast über das gesammte Asien die allgemeinste Verbreitung hatte. Fig. 88. Lamaistische Yi - dam - Figur (Schutz- gottheit) mit seiner Yum in der Yab- yum - Stellung. ( Chinesische Bronzegruppe des kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin. ) (Nach Photographie. ) Aber auch noch in einer anderen Religion spielen plastische und gemalte Darstellungen des Coitus eine ganz hervorragende Rolle, das ist der Lamaismus. Eugen Pander1.2, dessen überaus reiche Sammlung seit kurzer Zeit in den Besitz des Museums für Völkerkunde in Berlin übergegangen ist , hat darüber interessante Mittheilungen gemacht. Pander sagt: dass die Schutzgottheiten Yi-dam meistens in Umarmung mit ihrer Yum dargestellt werden und ebenso auch die Dhyani-Buddahs und Bodhisattvas. Diese Stellung, welche übrigens gewissen Variationen unterliegt, heisst Yab-yum tshudpa d. h. der Vater mit der Muter den Beischlaf ausübend. Diese Yab-yumStellung der lamaischen Götter hat der lamaischen Kirche einen üblen Ruf eingetragen. Die Lamas weisen indessen die Zumuthung, dass in ihrer Religion etwas Obscönes vorkommen könne, mit Entrüstung zurück. Sie erklären die Yab -yum - Stellung durch den Terminus Tábs-dang šes-rab, d. i . Vereinigung der Materie mit der Weisheit. Die durch die Sinne nicht wahrnehmbare Weisheit oder der Geist sei in der Natur latent : die Materie aber sei todt. Erst durch die Vereinigung und Wechselwirkung beider entstehe Leben und Bewusstsein. Die primitive Form, in der die Befruchtung der Materie durch den Geist stattfinde, sei die geschlechtliche Umarmung, welche - als Ursache alles organischen Lebens auf Erden der höchsten Verehrung würdig sei . Nur der geschlechtliche Verkehr zwischen Mann und Weib könne als indecent betrachtet werden, da beide , ungleich den Göttern, sündhaft und unrein seien und den Beischlaf nicht behufs Verherrlichung der grossen Principien der Natur, sondern nur zu ihrem persönlichen Vergnügen ausübten. Meist ist die Gottheit stehend dargestellt, während die von ihr umarmte Yum beide Beine um des Gottes Hüften gelegt hat. (Fig. 87.) Auch steht die Yum manchmal mit einem Beine auf der Erde und schlingt nur das andere Bein um die Hüfte des Gottes. (Fig. 86.) Bisweilen auch sitzt 78. Masturbation und Tribadie und die Unzucht mit Thieren. 329 der Gott auf der Erde mit untergeschlagenen Beinen und hat dann ebenfalls die Yum auf seinen Hüften reitend . (Fig. 88. ) Die letztere hat stets den Kopf mit verzücktem Ausdruck zurückgebogen, und an der krampfhaften Stellung ihrer Fusszehen erkennt man deutlich, dass sie sich auf dem Gipfelpunkte der wollüstigen Empfindungen befindet. Die kleinen Bronzefiguren sind Meisterwerke metallurgischer Technik. In den Figuren führe ich dem Leser Proben dieser Götterbilder vor. „Es bleibt eine interessante Thatsache, sagt Pander, dass der chinesische Hof den Lamas verboten hat, in den Tempeln, die von den Damen des kaiserlichen Harems besucht werden, die Yidam in der Yab-yum- Stellung und die Draggshed (welche als streitbare Götter zur Symbolisirung ihrer nimmer erschlaffenden Energie phallisch dargestellt werden) mit einem Penis abzubilden. Die Lamas zucken darüber die Achseln und bedauern, dass die Chinesen sich nicht zu einer idealeren Auffassung dieser Dinge aufzuschwingen vermögen. " Wir wollen dieses in Bezug auf die Völkerpsychologie so lehrreiche und hochwichtige Capitel hiermit abschliessen und wollen nur noch die Bemerkung hinzufügen, dass wir noch einige andere Manifestationen des rituellen Coitus und zwar einen durch göttliche Institution gebotenen ausserehelichen Geschlechtsverkehr in einem späteren Abschnitte, der von den heiligen Orgien handelt, kennen lernen werden. 78. Masturbation und Tribadie und die Unzucht mit Thieren. Man hat oft die Meinung ausgesprochen, dass die Ueberfeinerung der Cultur erst jene Sitten erzeugt habe, die sich als Befriedigung des Sinnenreizes durch aussergeschlechtliche Reizmittel darstellen. Sie sind jedoch nicht erst mit der Ausartung der Civilisation in die Welt gekommen. Vielmehr fiel auch manches Volk, das in scheinbar idyllischem, offenbar aber sehr rohem Naturzustande lebte, einem höchst unzüchtigen Gebahren anheim. Wir fanden schon oben Gelegenheit, auf einige künstliche Gestaltveränderungen der weiblichen Geschlechtstheile hinzuweisen, die offenbar mit der schon bei jungen Mädchen erregten Sinnenlust zusammenhängen. Die Kinder der Wilden denken sich dabei gewiss nichts Schlimmes. Letourneau sagt mit Recht : Les écarts génésiques sont anormaux, mais , à vrai dire, ne sont pas contre nature, puisqu'on les observe chez nombre d'animaux. " In der That müssen wir in der Masturbation und den ähnlichen geschlechtlichen Reizungen einen allgemein thierischen Trieb entdecken, und es braucht hierbei nur an das Gebahren der Hunde, an das gegenseitige Bespringen der Kühe und an das Onaniren der Affen erinnert zu werden. Auch bei zwei Hyänen hatte der Herausgeber Gelegenheit, ein gegenseitiges offenbar beide Theile sehr befriedigendes Lecken an den Genitalien zu beobachten. Man darf wohl annehmen, dass die in der Jugend getriebene Masturbation Einiges zur Gestaltveränderung der Geschlechtstheile beitragen mag; doch kann Unsittlichkeit zugleich nicht ohne schlimme Folgen für die Gesundheit, vielleicht auch für die Zeugungsfähigkeit sein, gewiss aber auch ein früheres Verblühen herbeiführen . Ein Arzt, der längere Zeit im Orient practicirte, sagt, dass die Masturbation eine „ condition extrêmement commune chez les jeunes filles en Orient " ist ; er setzt hinzu : „Pour se rendre compte іннD" THE UNIVERS TY or CALIFORNI 330 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. de sa fréquence en général chez les jeunes filles en Orient, on n'a qu'en penser au défaut d'exercice, à la vie sédentaire, à l'oisiveté, à l'ennui et surtout à la confiance et à la crédulité des mères, qui négligent toute espèce de surveillance à l'égard de tout ce qui se passe chez leur fille à ses heures de solitude. " (Eram. ) Bei den Khoikhoin (Nama- Hottentotten) ist unter dem jüngeren weiblichen Geschlechte Masturbation so häufig, dass man sie als Landessitte betrachten könnte. Es wird daher auch kein besonderes Geheimniss daraus gemacht, sondern in den Erzählungen und Sagen sprechen die Leute davon wie von der gewöhnlichsten Sache. (Fritsch*. ) Die Unsittlichkeit war unter den Weibern der Viscayer auf den Philippinen schon zur Zeit der Ankunft der Spanier daselbst grenzenlos ; sie hatten sogar die Erfindung eines künstlichen Penis gemacht, um die unstillbaren Gelüste befriedigen zu können, und ähnliche Mittel zur Sättigung unnatürlicher Wollust besassen sie noch mehr. (Blumentritt.) Die Manipulationen zur künstlichen Vergrösserung der Clitoris und der Nymphen werden, wie es scheint, bald absichtslos (mindestens nicht im bewussten Handeln), bald in mannigfacher Absicht vorgenommen. Einestheils ist wohl die auch bei vielen rohen Völkern unter der weiblichen Jugend herrschende Masturbation, das reizende Kitzeln, das wollusterregende Zupfen und Zerren an den erregbaren Geschlechtstheilen, die Ursache der allmählich eintretenden Gestaltveränderung ; andererseits aber liegt vielleicht die mehr oder weniger bewusste Absicht zu Grunde, nicht nur den eigenen Wollustreiz zu erhöhen, sondern vielleicht auch die Schamtheile zur Ausübung der sogenannten Triba die geschickter zu machen, einer Unsitte, welche von jeher im Orient ungemein verbreitet war. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass namentlich bei den Arabern der schwungvoll unter ihnen betriebenen Tribadie, d. h. des wollüstigen Verhaltens zweier Frauenspersonen mit einander, eine künstliche Clitoris - Verlängerung vorausging. Allein diese Anomalie geschlechtlicher Vermischung (Amor lesbicus von der Insel Lesbos im Aegaeischen Meer mit der Hauptstadt Mytilene , deren Einwohner wegen ihrer Unsittlichkeit berüchtigt waren) fand sich nicht bloss bei den Griechen unter der Bezeichnung: Leoßiάer, sondern auch im alten Rom , wo man die Frauenzimmer, welche mittelst der abnorm grossen Clitoris den Coitus mit einander ausübten, Tribaden oder Frictrices, Subigatrices nannte. Wie fast alles derart aus Asien stammt, so besteht die betreffende Unsitte mehr oder weniger in mehreren Ländern des Orients noch heute, wo sie vielleicht durch das Haremsleben aufrecht erhalten wird ; sie soll nach Parent- Duchatelet jetzt noch bei modernen Völkern vorkommen. Dieses Unzuchts- Vergehen bezeichnet man auch als Sodomia sexus muliebris . Wenn, wie wir zeigten, auch natürliche Vergrösserungen an den Schamtheilen in der That bei Orientalinnen gar nicht selten sind, so wird sich hieraus schon die Möglichkeit erklären lassen, dass dort überhaupt ohne weitere künstliche Hülfsmittel unter Frauen bisweilen ein geschlechtlicher Verkehr stattfinden kann. Wenn aber ein Fall erzählt wird, dass aus solchem intimen Verkehr auch die Befruchtung der einen Frau hervorging, so müssen wir den Beweis der Thatsache dem Berichterstatter (Duhousset) überlassen . Es sollen in Aegypten zwei Freundinnen dergleichen Unzucht mit einander getrieben und auch dann noch fortgesetzt haben, als sich die eine derselben verheirathete ; darauf sei es denn geschehen, dass die nicht verheirathete Freundin schwanger wurde und zwar, 78. Masturbation und Tribadie und die Unzucht mit Thieren. 331 wie die Erklärung lautet, dadurch, dass die andere noch Samen des vorher mit ihr cohabitirenden Mannes in der Scheide barg und von diesem ihrer Genossin bei der Umarmung abgab. Dieser Fall wurde der Pariser anthropologischen Gesellschaft im Jahre 1877 mitgetheilt. Eine grausame Bestrafung solcher Tribadie berichtete Jan Mocquet in seinem Itinerarium : „ Als ein gewisser König von Siam in Erfahrung kommen, dass seine Beyschläfferinnen und Nebenfrauen, derer eine grosse Anzahl, unter sich zuweilen durch Nachahmung der männlichen Natur, in Geilheit sich belustigten , so die Schönsten von dem Lande, die er nur bekommen kunte, hat er sie für sich bescheiden, einer jeden , zum Zeichen ihrer Unkeuschheit , ein natürliches Glied auf die Stirn und beide Backen brennen, und also lebendig ins Feuer werfen lassen. " Dass auch bei den deutschen Frauen des Mittelalters manche grobe Unsitte geherrscht haben muss , das ersehen wir aus dem vom Bischof Burchard von Worms im 12. Jahrhundert verfassten Verzeichnisse der Kirchenstrafen. Es heisst darin : Fecisti quod quaedam mulieres facere solent, ut faceres quoddam molimen aut machinamentum in modum virilis membri, ad mensuram tuae voluntatis, et illud loco verendorum tuorum, aut alterius, cum aliquibus ligaturis colligares, et fornicationem faceres cum aliis mulierculis, vel aliae eodem instrumento sive alio tecum? Si fecisti, quinque annos per legitimas ferias poeniteas . Fecisti quod quaedam mulieres facere solent , ut jam supradicto molimine, vel alio aliquo machinamento, tu ipsa in te solam faceres fornicationem ? Si fecisti , unum annum per legitimas ferias poeniteas. “ (Dulaure. ) Ein widernatürlicher Verkehr zwischen Weibern und Thieren ist ebenfalls nicht erst eine Erfindung der Neuzeit. Mantegazza sagt darüber: „Auch der Frau wird die Schmach der Bestialität nicht erspart . Seit den ältesten Zeiten schon erzählt uns Plutarch, dass die Frauen sich den unzüchtigen Launen des heiligen Bockes in Mendes hingaben. Heute, nach einer langen Reihe von Jahrhunderten, ist der Hund derjenige, welcher die Stelle jenes Bockes einnimmt. Mehr als einmal beten reizende Damen, in den höchsten Sphären der gebildeten Gesellschaft Europas , ihren Schoosshund aus Gründen an, die sie keiner lebenden Seele gestehen würden. Seltener ist der Hund kein Schoosshündchen, und dann ist die Verirrung nur noch niedriger und verwerflicher und statt eines thierischen Tribadismus haben wir ein Beispiel von thierischem Coitus, von einem schmachvollen, ruchlosen Zusammenleben des schönsten der Geschöpfe mit dem hässlichsten, übelriechendsten aller Hausthiere. " Bei diesen widrigen Dingen spielt auch der Affe eine grosse Rolle. In den Districten, wo der Gorilla und der Orang-Utang lebt, werden zahlreiche Geschichten erzählt von Mädchenraub, den diese grossen Bestien ausgeführt, und wie sie mit diesen Geraubten geschlechtlichen Verkehr gepflogen hätten. Solch ein Umgang mit den Thieren war aber doch immer nur ein erzwungener. Aber auch über freiwillige Geschlechtsvermischung zwischen Affen und Frauen besitzen wir Berichte. So glauben die Indianer im Amazonenstromgebiete , dass die unter den Uginas vorkommenden geschwänzten Menschen einer solchen Ehe zwischen einem Indianerweibe und einem Coati- Affen entsprossen seien. (Bartels .) Ein solches Zusammenleben mit dem Coati findet nach Francis de Castelnau in jenen Gegenden auch jetzt noch statt. Er erzählt : „ En déscendant la rivière des Amazones, je vis un jour près de Fonte boa un Coati noir d'une énorme dimension ; il appartenait à une femme indienne, à laquelle j'offris un prix très-considérable pour le pays de ce curieux animal ; mais elle refusa tout en éclatant de rire . Vos efforts sont inutiles, me dit un Indien qui était dans la cabane, c'est son mari. " 332 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. 79. Geschlechtlicher Verkehr mit Göttern, Geistern, Teufeln und Dämonen. Es hat einmal Jemand den Ausspruch gethan : Der Beischlaf ist die Triebfeder, welche die Welt bewegt ; und eine wie ungeheure Rolle wenigstens bei den Volksstämmen niederer Cultur die geschlechtlichen Verhältnisse, und zwar nicht selten schon von den Jahren der Kindheit an, zu spielen pflegen, das haben wir bereits wiederholentlich zu sehen Gelegenheit gehabt. Kein Wunder ist es daher, dass die Phantasie des Volkes mit diesen Dingen erfüllt ist und dass sie die leichten Reizungszustände in dem Bereiche des Genitalapparates, welche namentlich zu der Zeit der Pubertät sich mit einer gewissen Regelmässigkeit einzustellen pflegen und reflectorisch auf das Centralnervensystem fortgepflanzt, die bekannten Träume erotischer Natur hervorrufen, Ursache und Wirkung mit einander verwechselnd, für wirklich geschehene Dinge annimmt. Wir finden daher ungemein weit den Glauben verbreitet, dass böse Geister bestimmter Art die Macht besässen, die jungen Mädchen und Frauen sowohl als auch die Jünglinge und Männer auf ihrem nächtlichen Lager zu besuchen, natürlicher Weise stets in der verführerischen Gestalt des entgegengesetzten Geschlechts , um mit ihnen den Beischlaf zu vollziehen. Im Traume wurde dieses alles mitdurchlebt und deutlich empfunden, und das den Pollutionen, welche in diesen Träumen zu Stande kommen, am anderen Tage folgende Gefühl von Zerschlagenheit wurde der aussaugenden Kraft des bösen Nachtgeistes zugeschrieben . Diese im Mittelalter als Incubus oder Succubus , als Ephialtes und Hyphialtes , als Nachtmact oder Alp, als Cauchemares oder Aufhucker bezeichneten Dämonen waren bereits viele Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung den Culturvölkern West- Asiens bekannt und wurden dort als Nachtmännchen resp. Nachtweibchen gefürchtet. In den Ruinen von Ninivel hat sich bekanntlich eine grosse Reihe von Terracottatäfelchen mit Keilschrift bedeckt gefunden, welche als ein Theil der Bibliothek des Assurbanipal, des Sardanapal der Bibel, erkannt worden sind. Es sind zum Theil liturgische Gesänge, Beschwörungsformeln und Gebete in der Sprache der alten Akkader mit darüber gesetzter assyrischer Uebersetzung, und es liegen untrügliche Zeichen vor, dass die akkadische Sprache in damaliger Zeit nur noch unvollkommen verstanden wurde, ein sicherer Beweis für ihr hohes Alter. Unter den Beschwörungsformeln kommt auch die Stelle vor : Gegen die Dämonen, den Genius, den rabisu , den ekimmu , das Gespenst, das Schattenbild, den Vampyr, das Nachtmännchen, das Nacht weibchen , den weiblichen Kobold, und alles Uebel, das den Menschen erfasst, veranstaltet Festlichkeiten, opfert und kommt alle zusammen. Dass euer Weihrauch zum Himmel emporsteige ! Dass die Sonne das Fleisch eures Opfers verzehre! Dass Ea's Sohn, der Held , dessen Zauber euer Leben verlängere ! Das Nachtmännchen und das Nachtweibchen heissen akkadisch lillal und kiel- lillal : das bedeutet der Bezwingende" oder „ die bezwingende Beischläferin". Dieser Name giebt die Art und Weise an, wie sie sich deren bemächtigen, denen sie ihre Umarmungen aufdrängen. Der assyrische Name ist lilu und lilitur. ( Lenormant. ) Beide Sprachen erinnern an die Lilith, welche in der Dämonologie des Talmud einen wichtigen Platz einnimmt. 79. Geschlechtlicher Verkehr mit Göttern, Geistern , Teufeln und Dämonen. 333 Es war das ein Dämon, mit welchem Adam in ein Liebesverhältniss trat, bevor Eva erschaffen wurde. Eine grosse Rolle spielt dieser geschlechtliche Verkehr zwischen Weibern und allerhand überirdischen Wesen bekanntlich auch in den Heldensagen der europäischen Völker. Es sei hier zuerst an die verschiedenen Kinder des Zeus erinnert. Aber auch die merovingischen Könige, und zwar in erster Linie Meroveus selber, stammen von einem Meerungeheuer ab, das aus dem Wasser auftauchend sich zu der am Ufer schlafenden Mutter des letzteren legte . In anderen Fällen nehmen die Geister die Gestalt des Ehemannes an, so dass die Frau den Betrug erst gewahr wird, wenn er bereits vollendet ist. So wurde der grimme Hagen von einem Alf erzeugt, so der König Otnit vom Zwergkönig Alberich, und die Gemahlin des Königs Aldrian empfing von einem Elfen in der Gestalt ihres Gatten ein Kind. ( Schwartz.) Auch in dem Babar- Archipel in Indonesien besitzen böse Geister die Macht, junge Frauen in der Gestalt von deren Gatten zu schwängern, und wenn auf Niar ein Albino geboren wird, so behauptet die Frau, dass ein Teufel der Vater des Kindes sei . (Modigliani. ) Aus Neu - Guinea berichtet Kühn: Von einem dritten Götzen, der in Aerfanas stand, erzählte man mir, dass er für junge Mädchen und Frauen sehr gefährlich sei . Wenn dieselben nämlich sich in seiner Nähe unvorsichtiger Weise schlafen legten, könnten sie sicher sein, dass sie nach 9 Monaten eines kleinen Papuas genäsen. Die Männer von Sekar hätten es gern gesehen, wenn ich diesen Burschen mit mir genommen hätte. Sie hatten einige aus ihrer Mitte dorthin gesandt, um ihn für mich holen zu lassen, diese waren aber bis zu meiner Abreise noch nicht wieder zurück. “ Den Glauben an den Beischlaf mit der Gottheit können wir in allen den Fällen als bestehend annehmen, wo wir die Sitte finden, dass das reif gewordene oder zur Ehe schreitende Mädchen ihre Jungfrauschaft im Tempel darzubringen gehalten ist. Denn der diesen Dienst überwachende Priester ist wohl ohne Zweifel wenigstens in früherer Zeit für eine wahre Incarnation des Gottes angesehen worden. Hier muss auch an die Angabe des Herodot über den ,وThurm zu Babel " erinnert werden. Dieses Heiligthum des „ Zeus Belus" schildert er als aus acht auf einander gestellten Thürmen bestehend . „ In dem letzten Thurm ist ein grosser Tempel ; in diesem Tempel befindet sich eine grosse , wohlgebettete Lagerstätte und daneben steht ein goldener Tisch, ein Götterbild ist aber dort nicht aufgerichtet, auch verweilt kein Mensch darin des Nachts, ausser ein Weib, eine von den Eingeborenen, welche der Gott sich aus allen erwählt hat, wie die Chaldäer versichern , welche Priester dieses Gottes sind . Ebendieselben behaupten auch, wovon sie jedoch mich nicht überzeugt haben, dass der Gott selbst in den Tempel komme und auf dem Lager ruhe, gerade wie in dem ägyptischen Theben auf dieselbe Weise, nach Angabe der Aegypter : denn auch dort schläft in dem Tempel ein Weib : diese beiden pflegen , wie man sagt , mit keinem Manne Umgang ; ebenso auch verhält es sich in dem lykischen Patara mit der Priesterin des Gottes (Apollo) zur Zeit der Orakelung, denn es findet diese nicht immer daselbst statt ; wenn sie aber stattfindet , so wird sie dann die Nächte hindurch mit dem Gott in den Tempel eingeschlossen. “ Auch der oben erwähnte heilige Bock zu Mendes wurde von den sich ihm prostituirenden Weibern ganz sicherlich als eine Personification des Sonnengottes selbst angesehen. Fabelhafte, dämonische Thiere als Stammväter ganzer Clanschaften findet man vielfach erwähnt, namentlich bei Indianern und Polynesiern , aber auch in Indien und auf den Sunda- Inseln, selbst die dänischen Könige und die Gothen sollten von einem Bären abstammen, wozu Mannhardt bemerkt, dass Bjoern ein Beiname Thors gewesen sei . 334 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. Eine ganz besondere Rolle spielte im 15. und 16. Jahrhundert, aber auch noch in viel späterer Zeit, der Glaube an die sogenannten Teufelsbuhlschaften, und Jean Bodin, der ebenfalls fest an dieselben glaubte, hat viele Beispiele zusammengebracht, in denen die Weiber ihre wiederholte, oft Jahrzehnte lang fortgesetzte Unzucht mit dem Teufel bekannt und mit dem Feuertode gebüsst haben. Für gewöhnlich geht dieser geschlechtliche Verkehr des Nachts vor sich ; man hat aber auch Frauen gefunden, welche bey hellem Tage mit dem Teufel ungeheure Gemeinschafft gepflegt haben, und auf dem Felde offt gantz nackend sind gesehen worden. Ja bissweilen haben ihre Männer sie mit den Teufeln verkuppelt gefunden, und als sie vermeynet, es wäre sonsten leckerhaffte Gesellen, mit Prügel auff sie zugeschlagen, aber, leyder! nichts getroffen. " Die Meinungen der Gelehrten waren darüber getheilt, ob solch ein Beischlaf mit dem Teufel fruchtbar sein könne oder nicht. Es fanden sich aber doch viele, die die Erzeugung einer „ Teufelsbrut " für möglich hielten . Das sind die Wechselbälge oder Kilkröpfe , die sich durch Missgestalt und ungeheuere Gefrässigkeit auszeichnen. Die Weiber, welche mit den Teufeln Gemeinschaft hatten, gaben übereinstimmend an, dass sie deren Samen ganz kalt gefunden haben. Das ist ganz natürlich, da er nicht frisch ejaculirt ist, denn es ist gestohlener menschlicher Same ; „ die hyphialtische oder succubische Geister fangen den Samen von den Menschen auff, und behelffen sich desselbigen gegen den Weibern in Gestalt der Auffhucker. " 99 Nach einer Angabe in des getreuen Eckarths ungewissenhafftem Apotheker glaubte man im 17. Jahrhundert in Schweden, dass die Hexen dem Teufel in Blockulle gestohlene Kinder zuführen mussten. Dort hatten sie mit ihm und die Kinder mit anderen Teufeln geschlechtlichen Verkehr . Sie machen dabei eine vollständige Trauungsceremonie durch, deren Formel lautet : verflucht sey, der über sechs Jahr alt nicht zwei oder drei Männer oder Weiber habe." Den sie heirathen ist ein Bock oder eine Sau, mit welcher sie zwei, vier bis sechzehn Kinder haben. Diese sind halb so gross wie Christen-Kinder und haben Angesichter denen Ratzen gleich, aber kein Haar und feuerrothe Angesichter. Ihre Geburt haben sie denen Hexen gleich alle Monat, sechs Wochen oder zwey Monat. " Die Teufelskinder werden sofort nach der Geburt zerhackt, in einem Kessel gekocht und eine Salbe daraus gemacht, so hernach ausgetheilet wird". Von jeher hat der Wald als das bevorzugte Bereich der unkeuschen Angriffe der Dämonen gegen die Weiber gegolten, und die Lüsternheit der Satyri, der Fauni und der Sylvani ist ja allbekannt. Es schliessen sich hier die Dusii der alten Gallier und die Forst- und Waldteufel der Deutschen an. Auch heute noch müssen die Einwohner mehrerer indonesischen Eilande ( Ambon, Uliase- Inseln , Serang) , und zwar die Männer ebenso gut wie die Frauen, bei ihren Wanderungen im Walde sehr vorsichtig sein. Denn bestimmte Dämonen beiderlei Geschlechts hausen dort und zwingen die Menschen, die in ihre Nähe kommen, zum Beischlaf. Wem das geschehen ist, der stirbt in wenigen Tagen, da der Dämon seine Seele mitnimmt. Auf Eetar sind diese Walddämonen nur den Weibern und Mädchen gefährlich, so dass diese, wenn sie im Walde Holz sammeln, stets von einer Anzahl von Männern zum Schutze begleitet werden müssen. Auf den Aaru- Inseln hat der unzüchtige Waldgeist nur Macht über die menstruirenden Weiber, die in dieser Zeit daher den Wald nicht betreten dürfen. Einen ähnlichen Aberglauben haben wir bereits weiter oben von den Macusis - Indianern kennen gelernt. Thun sie es dennoch, dann 80. Hetärismus und Prostitution. 335 beschläft sie der Geist und sie bekommen davon einen Stein in den Uterus, oder sie müssen bald darauf sterben. (Riedel¹ .) Derartige, einen noch ziemlich niedrigen Culturzustand verrathende Anschauungen sind aber auch heutigen Tages in Europa noch nicht abgethan, Noch immer vermögen zu Dämonen umgewandelte Menschen mit den Frauen geschlechtlichen Unfug zu treiben . So berichtet Krauss" : „Vampire sind nach dem allgemeinen Volksglauben der Slaven, Lithauer und Deutschen verstorbene Menschen, die als Plagegeister die überlebenden Angehörigen heimsuchen, um ihnen das Blut auszusaugen. Darnach entsteigt der Wärwolf nächtlicher Weile dem Grabe, würgt die Menschen in den Häusern und saugt ihr Blut. Der Wärwolf sucht mitunter sein Weib heim, besonders wenn sie schön und jung ist und liegt ihm bei ; man sagt, ein Kind aus solchem Beisammensein entsprossen, habe keine Knochen im Leibe. " Ist dieser Aberglaube noch ziemlich unschuldiger Natur, so findet sich ein für die gesellschaftliche Stellung des Weibes noch viel bedenklicherer nach von Wlislocki bei dem wandernden Zigeunervolke in Siebenbürgen: „Ein kinderloses Weib wird bemitleidet und gering geschätzt, und ihre Stellung dem Gatten gegenüber wird mit der Zeit ganz unhaltbar, denn dem Volksglauben der Zigeuner gemäss hat ein kinderloses Weib vor ihrer Verehelichung mit einem Vampyr ein Liebesverhältniss gehabt und dies ist der Grund ihrer Unfruchtbarkeit. " Aber nach dem Glauben unserer Vorväter konnte der geschlechtliche Umgang mit einem Geiste auch ein ganz legitimer und von Kirche und Gesetz gebilligter Verkehr sein, vorausgesetzt nämlich, dass der den nächtlichen Besuch abstattende Geist derjenige des in weiter Ferne weilenden Ehegatten sei. Man hielt es nämlich noch im 17. Jahrhundert für möglich, dass die Seele den lebenden Körper verlassen, in der Welt umherfliegen und nach einiger Zeit in den Körper zurückkehren könne. Im Jahre 1637 bestätigte das Parlament zu Grenoble die eheliche Geburt eines Knaben, der nach vierjähriger Abwesenheit seines Vaters geboren war, da seine Mutter zugestunde, dass obgleich ihr Gemahl aus Teutschland unter 4 Jahren nicht kommen wäre, sie ihn auch nicht gesehen noch fleischlich erkannt hätte, so wäre nichts desto weniger gar zu gewiss, dass sie ihr im Traume die Gegenwart und Umbfassung ihres Gemahls feste eingemeldet , und alle Empfindungen, sowohl der Empfängniss, als Schwängerung so accurat gefühlet hätte, als sie sonsten bey würcklicher Gegenwart ihres Herrn empfinden können“. Eine solche Art der Schwängerung wurde als Lucina sine concubitu bezeichnet. 80. Hetärismus und Prostitution. Als Hetärismus bezeichnet Lubbock einen Zustand, der ursprünglich, wie er meint, ein allgemeiner Gebrauch des menschlichen Geschlechts war, und bei dem die Frauen einer Horde Gemeingut aller Männer gewesen sein sollen. Eine nicht geringe Reihe anderer Forscher, M'Lennan, Morgan, Post u. s . w. , auch jüngst Julius Lippert schlossen sich ihm an . Es ist noch zweifelhaft, ob die Untersuchungen dieser Männer den Schleier von dem Geschlechtsleben in der grauen Vorzeit gehoben haben, und ob ihre Theorie, dass in Vorzeiten vor Begründung einer Familien- Zusammengehörigkeit die sogenannte Gemeinschafts- oder Genossenschaftsehe überall geherrscht habe, den Thatsachen entspricht. 336 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. Unser vorläufig zurückhaltendes Urtheil in der Sache sprechen wir im Artikel über die Ehe aus. Für falsch halten wir es , den Ausdruck Hetärismus für diesen hypothetischen Zustand zu adoptiren ; der Inhalt dieses altgriechischen Begriffes ist ein ganz anderer. Allerdings findet man einen, von Manchen als Hetärismus bezeichneten geschlechtlichen Umgang bei sehr rohen Völkern, welcher lediglich brutalen Neigungen entspringt und das weibliche Geschlecht auf der niedersten Stufe socialer Stellung zeigt : Wenn z. B. die australischen Schwarzen Mädchen zu unfruchtbaren Hetären machen, indem sie ihnen die Ovarien exstirpiren, so kennzeichnet sich hiermit die tiefste Herabwürdigung des weiblichen Geschlechts. Dann aber giebt es auch einen Hetärismus, bei dem die Frau nicht etwa als Zuhälterin für bloss sexuelle, sondern auch für geistige Genüsse dient. Bei gewissen anderen Völkern wird die Preisgebung der Mädchen nur gegenüber den Repräsentanten der Gottheit oder dem Landesherrn gefordert. Am merkwürdigsten sind in dieser Beziehung die Verhältnisse auf einigen Südsee -Inseln. Die Ulitaos der Marianen - Inseln waren Mitglieder einer geschlossenen Gesellschaft, die unter dem besonderen Schutze der Götter stand. (Waitz. ) Sie lebten unvermählt mit Mädchen aus den vornehmsten Familien , und es galt sogar, wie Freycinet bezeugt, als die höchste Ehre für ein Mädchen, den Ausschweifungen dieser Männer zu dienen ; ein solches weibliches Wesen wurde sogar höher geachtet, als eine wirkliche Jungfrau. Aehnliche Vorrechte genossen die Areois auf den Gesellschafts- und anderen Inseln Polynesiens. Ein anderes Bild der gesellschaftlichen Stellung von Hetären als ,, Freundinnen" oder Genossinnen gewähren die Buhlerinnen Alt- Griechenlands. Hier waren die Hausfrauen auf das häusliche Leben beschränkt, und die Männer fanden einen reizvollen Genuss im freien Umgange mit Weibern, welche durch Bildung, Feinheit des Benehmens und geistvolle Unterhaltung neben der Hingebung ihrer weiblichen Tugend eine grosse Anziehungskraft ausübten . Meist waren es Freigelassene, welche den Hetärenstand ergriffen, doch auch freigeborene Bürgerinnen, die aus Armuth dergleichen Verbindungen mit Männern eingingen . Die Geliebten des Alkibiades, Timandra und Theodata bewahrten ihrem Freunde noch nach dessen Tode ein treues Andenken, während allerdings andere Hetären lediglich auf Ausbeutung ihres Liebhabers bedacht waren, wie aus den Hetärengesprächen Lukian's hervorgeht. Immerhin spielten die Hetären eine grosse Rolle im bürgerlichen Leben Athens; Aristophanes von Byzanz führt in seinem Buche die Namen von 135 berühmten Hetären auf, und Solon soll das Hetärengewerbe gesetzlich erlaubt haben, um der öffentlichen Sittlichkeit willen, d. h. um die Ehemänner von dem unerlaubten Umgange mit verheiratheten Frauen zurückzuhalten. Perikles, welcher, obgleich verheirathet, die berühmte Aspasia zu seiner Freundin erkor, gab das erste Beispiel und fand nicht wenige Nachahmer. Lais verkaufte ihre Gunst zu den höchsten Preisen; Phryne konnte mit ihrem erworbenen Reichthum den Thebanern anbieten, einen Theil ihrer zerstörten Stadtmauern wieder herstellen zu lassen. Der Hetärismus war dort ein freies, nicht durch die Sitte verpöntes Gewerbe. Wir finden auch im altgermanischen Völkerleben die ähnliche Erscheinung, dass sich der Vornehme, ohne Aergerniss zu erregen, neben seiner Frau oder seinen rechtmässigen Frauen, wenn auch nicht Hetären, so doch ,,Kebse" in unbeschränkter Zahl halten durfte ; dies war aber nicht ein 80. Hetärismus und Prostitution. 337 Hetärismus, sondern das Concubinat. (Weinhold.) Die Kebse war zwar nicht gekauft oder vermählt, sondern die gegenseitige Neigung schloss ohne Förmlichkeit die Verbindung, welche der Frau nicht Rang und Recht der Ehefrau, den Kindern nicht die Ansprüche ehelicher Nachkommen gewährte. Allein die Kebse erhielt dann auch nach nordischen Gesetzen durch Verjährung rechtliche Erhöhung : Das Gulathingsbuch bestimmte, dass nach zwanzigjähriger öffentlicher Dauer des Concubinats die Kinder erbfähig seien ; und das jüdische Recht setzte fest, dass eine Beischläferin , die Jemand drei Jahre lang im Hause hatte, zur rechtmässigen Ehe- und Hausfrau werde. Weit widerwärtigere Erscheinungen im sittlichen Leben des weiblichen Geschlechts treten uns dort entgegen, wo die Weiber ihre Gunst einer grösseren Anzahl männlicher Personen gleichzeitig hingeben. Doch auch auf diesem dunkeln Gebiete sittlicher Zustände begegnen wir mannigfachen Gegensätzen und Abstufungen, die namentlich durch die bei den verschiedenen Völkern herrschenden culturhistorischen Verhältnisse bedingt sind und unter dem Einflusse der heterogensten Momente einen mehr oder weniger grossen Theil des weiblichen Geschlechts auf die moralische und ethische Selbsterniedrigung der sexuellen Preisgebung hinweisen. Hierher ist in allererster Linie diejenige weit verbreitete Unsitte zu rechnen , welche man mit dem Namen der gastlichen Prostitution bezeichnet hat, und welche darin besteht, dass dem in dem Hause übernachtenden Gaste der Wirth die eigene Frau oder Tochter als Bettgenossin überlassen muss. In Chaldaea herrschte unter den wilden und kriegerischen Bergvölkern die gastliche Prostitution ; und bei den Korjäken und Tschuktschen, nach Krascheninikow auch bei den alten Aleuten , gilt es noch bis in die neueste Zeit für eine Beleidigung, wenn ein Gast die ihm als höchste Freundschaftsbezeugung angebotene Frau oder Tochter seines Wirthes nicht gebraucht. Auch bei den Indianern haben wir bereits die gleiche Abscheulichkeit kennen gelernt. Im gewöhnlichen Sinne bezeichnet man aber unter Prostitution nur diejenige Unzucht, welche aus der Selbstpreisgebung mehr oder minder offen ein Gewerbe macht, und die schon, wie die Bibel bezeugt ( 1. Moses 34, 31 ; 38 ; 15) , bei den alten Hebräern zur Zeit der Patriarchen und Propheten heimisch, wenn auch den Töchtern Israel's verboten war. In Griechenland führte Solon die gesetzliche Prostitution in Athen ein, und das Hetärenwesen Griechenlands war doch im Grunde nichts. anderes, als eine dem Culturzustande des Volkes entsprechende verfeinerte Prostitution. Wenigstens kann man Personen, wie die Phryne, etwa als ein Analogon jetziger Zuhälterinnen oder femmes entretenues auffassen, die nur so lange Einem angehören, als derselbe sie bezahlt. Und daneben bestand bei den Hellenen in arger Weise die gemeine Prostitution, wie aus mehreren Stellen des Aristophanes hervorgeht. Von den öffentlichen Dirnen und Wollusthäusern wurden gesetzmässige Steuern erhoben zum Besten von Tempeln u. s. w. Auch bei den Juden durften am Heiligthum Geld oder Geschenke, die durch Prostitution gewonnen und dann zur Beschwichtigung des Gewissens dargeboten wurden, von den Priestern angenommen werden. (Kinzler.) Wie in Griechenland , so trug auch in Rom der VenusCult nicht wenig zur Ausbildung des Prostitutionswesens bei. Die Römer hatten öffentliche Freudenhäuser (Lupanaria und Fornices) , sowie selbständige Lustdirnen (Meretrices und Prostibulae), und in ihren Bädern pflegten sich feile Frauen einzufinden, um die Sinnlichkeit für ihr Gewerbe Ploss , Das Weib. I, 3. Aufl. 22 338 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. auszubeuten. Ein solches antikes Bordell ist in Pompeji wieder aufgedeckt worden: Man muss aber erstaunen über die ausserordentliche Engigkeit und Kleinheit der Räume. Bei den alten Mexikanern gab es allerdings öffentliche Mädchen, doch war ihr Gewerbe allgemein verachtet ; dasselbe war bei den alten Peruanern der Fall. Der keusche Sinn, die Sittlichkeit und Ehrbarkeit, welche den Frauen und Mädchen der alten Germanen in hohem Grade eigen waren, gingen zu einem grossen Theile mit dem Eindringen römischer Cultur und in der Berührung mit anderen Völkern verloren, und an der sich steigernden Entartung der Sitten im Mittelalter nahm das weibliche Geschlecht einen hervorragenden Antheil. Die Prostitution nahm ausserordentlich überhand, trotzdem die christlichen Gesetzgeber und Regenten dem Uebel anfangs energisch zu steuern suchten. So gab Karl der Grosse in seinen Capitularien das erste Beispiel eiserner Strenge gegen die Lustdirnen und diejenigen , welche sie vermietheten. Friedrich I. Barbarossa verbot in den auf seinem ersten Heereszuge nach Italien im Jahre 1158 erlassenen sogenannten Friedensgesetzen den Kriegsleuten bei strenger Strafe , Dirnen bei sich im Quartier zu haben ; den betroffenen Dirnen wurde die Nase abgeschnitten . Aber trotz aller Maassregeln, mit welchen die Unzucht verfolgt wurde, war doch nichts häufiger in allen Städten, als liederliche Frauen und Frauenhäuser. Und hierzu trugen die Kreuzzüge wesentlich bei. Dann entstanden jene Magdalenenorden, von denen Sprengel sagt, dass jedes Mädchen, die des sinnlichen Genusses überdrüssig war, in einen solchen Orden eintrat, um mit Geschmack und Auswahl ihren Vergnügungen nachgehen zu können. Im 12. und 13. Jahrhundert erliessen die Städte Regulative für die öffentlichen Häuser, so Augsburg 1276 unter dem Titel „ Verordnung der fahrenden Fräulein ". Die concessionirten Wirthe solcher Häuser zahlten grosse Abgaben ; in Wien gab es zwei Frauenhäuser als landesherrliche Lehen, deren Insassen dem Kaiser bei seinem Einzuge feierlich entgegenzogen; der Erzbischof von Mainz beschwert sich 1442, die Stadt thue ihm durch Licenzen Eintrag in seinem Einkommen an den gemeinen Frauen und an der Buhlerei. Bei besonderen Gelegenheiten, wie bei Reichstagen und Concilien, stellten sich vagirende Frauen schaarenweise ein, und alle Kriegszüge der damaligen Zeit waren immer von einem gewaltigen Tross von fahrenden Weibern begleitet, deren Disciplin officiell unter die Autorität eines Hurenwaibels gestellt werden musste. Bei der Beschreibung eines Heereszuges heisst es im Parzival (I. 459) : Auch Frauen sah man da genug ; Manche den zwölften Schwertgurt trug Zu Pfande für verkaufte Lust. Nicht Königinnen waren es just : Dieselben Buhlerinnen Hiessen Marketenderinnen. Das Concil zu Constanz (1414) lockte nicht weniger als 700 feile Frauen herbei. In den Städten besuchte man die Bordelle ohne Scham und Scheu . Bedankt sich doch der Kaiser Sigismund bei den Bernern vor Fürsten und Herren", dass der Rath sein Gefolge drei Tage lang unentgeltlich in den Gässlein der schönen Frauen bewirthet habe ; und als er einst in Ulm war, konnte er sich nicht enthalten, selbst das Frauenhaus zu besuchen. Mit dieser Begünstigung käuflicher Wollust verband sich ein schmählicher SO. Hetärismus und Prostitution . 339 Menschenhandel ; Rostocker Kaufleute schleppten ganze Ladungen fahrender Weiber zu den Häringsfängern auf Schonen ; schwäbische Dirnen wurden nach Venedig , vlämische nach London gebracht und galten dort als gute Waare. Langwierige Reisen waren im 16. und 17. Jahrhundert mit grossen Beschwerden verbunden ; daher konnten die Fürsten jener Zeit, wenn sie eine solche Reise unternahmen, ihren Gemahlinnen und Töchtern nicht zumuthen, sie zu begleiten. Nur öffentliche Weiber waren abgehärtet genug, um den Fürsten bei Reisen und Heereszügen zu Fuss oder zu Pferde folgen zu können ; so wurden sie denn als ein nothwendiger Theil des fürstlichen Gefolges und im Kriege als ein unentbehrlicher Theil des Trosses angesehen. Ludwig der Heilige war der einzige König des Mittelalters, der zwar Bordelle in seinem Reiche duldete, sie jedoch auf seinem Kreuzzuge streng untersagte. Die anderen Fürsten vor und nach ihm trösteten sich in den Armen von Buhlerinnen über die Trennung vom Hause ; die vielen Hunderte von Dirnen, welche den Kriegsschaaren folgten, galten ihnen als Harem, aus dem sie sich das Beste aussuchten. Die Schriftsteller jener Zeit sahen in solchem Gebahren nichts Besonderes, nur das fanden sie tadelnswerth, dass die Könige bisweilen die von ihnen geliebten Buhlerinnen wie Prinzessinnen herausputzten und in die Gesellschaft erlauchter und edler Frauen einführten, so dass die eigenen Gattinnen in Gefahr kamen, öffentlichen Mädchen den Kuss des Friedens zu geben. Beim ersten Reichstage zu Worms , welchen Carl V. abhielt, waren alle Strassen dieser Stadt mit schönen Frauen oder mit feilen Dirnen angefüllt. Nicht lange nachher folgten dem Heere, welches Herzog Alba nach den Niederlanden führte, vierhundert Buhlerinnen zu Pferde und achthundert zu Fuss nach. Der heilige Thomas sagt : „ Die Prostitution in den Städten gleicht der Kloake im Palast : schafft die Kloake ab, und der Palast wird ein unreiner und stinkender Ort werden. " Wer sich über diese Verhältnisse eingehender zu unterrichten wünscht, dem empfehlen wir die Lektüre der Werke von Dufour und von Rabutaux. In den halbcivilisirten Ländern der Neuzeit tritt die Prostitution in sehr ungezügelter Form auf: Die Almehs in Aegypten , die NautschMädchen in Indien sind die Vertreterinnen der gemeinen Prostitution, wie bei rohen Völkern die Puzen auf Java und die Sives in Polynesien. Hindu - Mädchen jeder Kaste können Tempeln zum Tanzen geweiht werden. Sie heirathen nicht, dürfen aber mit Leuten aus der gleichen oder aus höherer Kaste sich prostituiren. Es giebt zwei Arten Prostituirter : 1. Thassee oder einer Pagode attachirte Tanzmädchen, 2. Vashee oder Prostituirte. Die letzteren leben in Bordellen in grossen Städten , oder in der Nähe von Aracschänken oder kleinen Tempeln. Die ersteren werden als Kinder mit der Gottheit des Tempels verehelicht, sie stammen nicht selten aus den vornehmsten Kasten, wenn ihr Vater in Folge eines Gelübdes sie dem Tempel geweiht hat. Sie erhalten täglich zwei Tanzstunden und zwei Gesangstunden. Je nach der Bedeutung des Tempels, dem sie angehören, richtet sich die Höhe ihres Gehaltes. Der Unterrricht beginnt mit 5 Jahren, und mit 7 bis 8 Jahren haben sie ausgelernt und tanzen bis zum 14. oder 15. Jahre 6 mal täglich. Wenn sie auftreten, sind sie reich mit Gold und Edelsteinen geschmückt. Sie bilden gleichsam eine eigene Kaste mit festen Gesetzen. Sie geniessen grosses Ansehen und sitzen bei Versammlungen bei den vornehmsten Männern . Sobald das Mädchen ihre Reife erlangt hat, wird, wenn sie nicht bereits von einem Brahminen deflorirt ist, ihre Jungfrauschaft einem diese Ehre suchenden Fremden für 22* 340 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. eine entsprechende Summe überlassen, und von da an führt sie ein Leben fortgesetzter Prostitution mit Fremden. Nicht selten werden Kinder eigens von alten Weibern aufgefangen, um an weit von ihrer Heimat abgelegene Tempel verkauft zu werden. (Shortt.) Da in China die Gesetze über das Prostitutionswesen schweigen, so können die Freudenmädchen ungestört ihr Gewerbe betreiben. Fast alle Bordelle sind mit Luxus ausgestattet und heissen wegen ihrer blauen Jalousien „ blaue Häuser" (Tsing Lao). In jenen Städten, welche, wie Canton , am Flusse liegen, werden auch eigens gebaute, festgeankerte Schiffe, sogenannte „, Blumenschiffe" (Hoa Thing), häufig als Bordelle benutzt. Die daselbst beherbergten Mädchen sind Sclavinnen des Bordellbesitzers und ihr Zustand sowie das ihnen meist bevorstehende Schicksal wahrhaft beklagenswerth. Sie werden gewöhnlich zu ihrem Gewerbe systematisch herangebildet und ebenso systematisch von ihren herzlosen Besitzern ausgebeutet. Im Alter von 6-7 Jahren müssen sie die älteren Mädchen und ihre Besucher bedienen, in dem Alter von 10-11 Jahren lernen sie singen und spielen, auch lesen, schreiben und malen, allein bereits im Alter von 13 bis 15 Jahren werden sie von ihrem Herrn gewinnbringend ausgenutzt. zunächst auswärts, nach 2-3 Jahren aber im Hause. Diese unglücklichen Wesen verwelken früh ; dann sieht man sie in allen Strassen der grossen Städte sitzen, um vorübergehenden Soldaten und Tagelöhnern gegen geringes Entgelt die zerrissenen Kleider auszubessern. Die bedeutende Ausbreitung der Prostitution schädigt in China die Würde des weiblichen Geschlechts in hohem Grade. Nach officiellen Berichten gab es im Jahre 1861 in A moy. einer Seestadt mit 300 000 Einwohnern, 3 658 Bordelle, welche 25 000 Mädchen beherbergten. 99 In den alten Geschichten Chinas spielen diese ,, Blumenmädchen ", d. h. die Insassen der auf dem Wasser schwimmenden Blumenböte", ungefähr die gleiche Rolle, wie die vornehmen Hetären in Griechenland. Sie sind der Inbegriff aller Schönheit, guten Erziehung und Bildung, die die männliche Jugend aufsucht, um die eigene Bildung zu vervollständigen. Auch heute noch besteht diese Institution, und theils in den Blumenschiffen, theils in den blauen Häusern werden Gäste empfangen. Arme Kinder werden gestohlen oder von ihren Eltern verkauft und hier lediglich zur Prostitution herangebildet. Aber das Ideale, was früher dieser Einrichtung einen veredelnden Anstrich gab, ist heute, wenn wir Colquhoun's Schilderungen Glauben schenken dürfen, vollständig verloren gegangen. Er sagt: ,, Von den Mädchen haben manche recht angenehme Züge und ein graziöses Wesen, aber sie sind sämmtlich im höchsten Grade ungebildet und können weder lesen noch schreiben, geschweige denn Lieder improvisiren, wie sie in der guten alten Zeit gekonnt haben sollen . Im Norden findet man allerdings, wie es heisst, auch heutigen Tags noch vereinzelte Mädchen, welche diese Kunst verstehen . Nur die ausserordentliche Ungemüthlichkeit des chinesischen Familienlebens kann vernünftige Leute veranlassen, die Gesellschaft der Damen in den Blumenböten aufzusuchen, wo das einfältigste Spiel , das in Italien gebräuchliche Morra, die einzige Abwechselung in den Gesängen und kindischen Scherzen bildet . " Ganz anders klingt es nun freilich, was uns der Militär-Attaché der chinesischen Gesandtschaft in Paris , Herr Tscheng Ki Tong, hierüber erzählt : „Gewisse Reisende haben es sich in den Kopf gesetzt , jene mit dem Namen Blumenschiff bezeichneten Fahrzeuge, welche sich in der Nähe grosser Städte zeigen, als Stätten der Ausschreitung zu schildern . Das ist durchaus unrichtig . Die Blumenschiffe verdienen diesen Ruf ebenso wenig, wie die Concertsäle Europas. Es ist dies ein Lieblingsver- 80. Hetärismus und Prostitution. 341 gnügen der chinesischen Jugend . Man veranstaltet Wasserpartien hauptsächlich Abends in Gesellschaft von Frauen, welche die Einladung dazu annehmen. Diese Frauen sind nicht verheirathet ; sie sind musikalisch, und aus diesem Grunde werden sie eingeladen . Will man eine Partie veranstalten, so findet man an Bord Einladungskarten, auf welchen man nur seinen eigenen Namen und den der Künstlerin und die Zeit der Zusammenkunft auszufüllen braucht. Es ist dies eine sehr angenehme Art, sich die langsam dahinschleichende Zeit zu vertreiben . Man findet auf dem Schiffe Alles, was ein Feinschmecker nur wünschen kann, und die Gesellschaft der Frauen, deren harmonische Stimmen in Verbindung mit den melodischen Tönen der Instrumente bei einer Tasse köstlich duftenden Thees die Abendfrische beleben, wird nicht als eine nächtliche Ausschweifung betrachtet. Die Einladungen gelten nur für eine Stunde. Man kann die Zeit jedoch ausdehnen, wenn die Frau nicht anderweitig engagirt ist ; natürlich muss das Honorar dann verdoppelt werden. Diese Frauen werden in unserer Gesellschaft nicht in Bezug auf ihre Sitten beurtheilt ; sie können in dieser Hinsicht sein, wie sie wollen ; das ist ihre Sache. ... Der Reiz ihrer Unterhaltung wird ebenso hoch geschätzt, als ihre Kunst. man Wenn von diesen Zusammenkünften etwas anderes behauptet, so ist das einfach eine Fälschung der Wahrheit. " Nachher wird aber zugegeben, dass der Platonismus, den uns dieser Chinese glauben machen möchte, doch auch nicht von absolutem Bestande ist. Auch die Japaner betreiben die Prostitution im grossen Stil : Man klagt als Ursache der schlimmen Verbreitung der Prostitution in Japan die grosse Lockerheit der Ehe, insbesondere das Recht des Mannes an, seine Frau nach Belieben zu verlassen. Wenn in Japan eine Frau von ihrem Manne verstossen wurde, so geht sie unrettbar dem Elende entgegen, sobald sie nicht im Hause ihrer Eltern eine Zuflucht zu finden vermag. In dieser Noth greift sie zum letzten verzweifelten Mittel, um ihre Existenz zu fristen , sie verkauft ihre Tochter um einen niedrigen Preis an eines der Prostitutionshäuser, die unter dem Namen Theehäuser oder Gankiros unter dem Schutze der Regierung stehen . Yoshiwaras ( Freudenfelder) nennt man in Japan die Stadttheile und oft auch die einzelnen , meist verhältnissmässig grossen Häuser, welche der Aphrodite gewidmet sind . Nach dem Urtheile aller, welche die einschlagenden Verhältnisse genau kennen, erscheint in Japan das gefallene Frauenzimmer nie auf einer so niedrigen Stufe, wie in unseren grossen Städten. Andererseits werden die Bewohnerinnen der Yoshiwaras vom besseren Theile der Gesellschaft nicht verachtet , sondern bemitleidet ; weiss man doch, dass sie nicht aus eigener Schuld und Neigung ihrem niedrigen Gewerbe obliegen, sondern nach dem Willen ihrer Eltern oder nächsten Verwandten, die sie zumeist schon in zarter Jugend an die Besitzer der öffentlichen Häuser verkauften, wo sie in verschiedenen Dingen unterrichtet werden, namentlich aber in den Künsten der Aspasia , bis zu der Zeit, wo sie geeignet sind, als Sclavinnen ihrer Brodherren dieselben zu verwerthen. (Ausland 1881.) Sinagawa , eine Vorstadt Yeddos, wird nur von Freudenmädchen bewohnt . Allein kein socialer Fleck oder Schimpf ist hier mit dem Gewerbe verknüpft; die öffentlichen Dirnen sind sogar sehr gesucht als Frauen und leben später in der Ehe unbescholten. Der Prostitution haben wir genau genommen auch diejenige Volkssitte vieler roher oder halbcivilisirter Nationen hinzuzurechnen, welche wir unter der Bezeichnung des freien Verkehrs der Geschlechter unter einander vor dem Eingehen einer Ehe bereits kennen gelernt haben. Wenn hier auch sehr häufig sich reine Concubinatsverhältnisse entwickeln, so ist doch andererseits die Grenze zwischen Concubinat und Prostitution hier für uns kaum zu ziehen möglich. Denn in sehr vielen Fällen ist wohl dieses Concubinatsverhältniss ein häufig wechselndes, oder ein mehreren jungen Männern gleichzeitig gewährtes, und ferner finden wir gar nicht selten die directe. Angabe, dass das Mädchen für die Ueberlassung ihres Körpers Geschenke fordert und annimmt. Immerhin hat doch hier die freie Wahl oder, wenn wir es so nennen wollen, die Liebe, ihr Recht behalten, während wir die Prostitution im eigentlichen Sinne des Wortes bisher doch immer nur von 342 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. vereinzelten Weibern des Volkes und zwar fast immer nur niederer Herkunft ausüben sahen. von solchen Einen widerlichen Eindruck macht es jedoch auf uns, wenn wir erfahren. wie die Prostitution bei bestimmten Nationen eine so allgemein verbreitete und so selbstverständliche Volkssitte ist, dass die Eltern ihre Töchter besonders dazu anhalten und selbst die Ehemänner Capital aus den Reizen ihrer eigenen Frauen schlagen. Die Töchter der Lyder mussten sich, wie Herodot (I, 93) erzählt, prostituiren und auf diese Weise ihre Mitgift sammeln. Dies trieben sie, bis sie sich verheiratheten , so dass sie sich selbst ausstatten konnten. Es gab in Lydien ein sehr grosses Grabmal des Alyattes, des Vaters des Kroisos ; auf diesem Grabe standen 5 Denksäulen, deren grösste die Buhldirnen aus ihren Mitteln gesammelt hatten. Fig. 89. Mädchen aus der Sahara von dem Araber- Stamme der Uled Nail (Algerien). ( Nach Photographie. ) Ganz ähnlich verhält es sich auch heute noch mit dem algerischen Stamm der Uled Nail , von deren Vertreterinnen die Figuren 89 und 90 Beispiele vorführen. Caffarel sagt, dass sie den bedeutendsten Araberstamm der Sahara bilden und berichtet von ihnen : Les Ouled - Naïl sont la plus considérable de ces tribus . Ils se divisent en deux grandes fractions nommées, à cause de leur position, Cheraga ou de l'est et Reraba ou de l'ouest . Ils sont industrieux et commerçants, bons et hospitaliers, mais de moeurs forts dissolues. Leurs filles , très-réputées pour leur beauté , jouissent du triste privilège d'être sacrifiées, dès leurs tendres années, à la Venus banale. La prostitution dans cette tribu est une véritable institution. Chaque fille , avant de se marier, ira, en compagnie de sa mère ou d'une soeur aînée, se livrer aux caresses publiques. Après avoir plus ou moins couru, elles rentrent dans la tribu, achètent un troupeau, et sont d'autant plus SO. Hetärismus und Prostitution. 343 sûres de trouver un mari que la somme qu'elles ont ramassée est plus ronde. Ces courtisanes de l'Algérie sont en même temps des danseuses fort réputées. Bei den Burjäten giebt es keine Frau, kein junges Mädchen, die nicht bereit wäre, ihre Reize für klingende Münze preiszugeben. Eine Folge der geschlechtlichen Ausschweifungen sind geheime Krankheiten, welche in den Jurten der Nerschinsker Steppe grassiren, fast unheilbar sind und viele Opfer dahinraffen. (Albin Kohn. ) Die Männer der Haida - Indianer unternehmen mit ihren Frauen allsommerlich „ Speculationsreisen nach Victoria , woselbst jeder von beiden auf eigene Faust sein Glück macht, und sie dann gemeinsam wieder heimkehren. Die traurigen Folgen äussern sich auch bei den Weibern in verderblichen Krankheiten. " (Jacobsen. ) Fig .90 Strasse der Uled Nail inBiskra (Algerien ). Nach Photographie .)( 344 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. Bei vielen Völkern Afrikas , z. B. den Mpongwe, sind die Weiber wegen der Frühzeitigkeit der Ausschweifungen nur wenig fruchtbar . Fast überall im äquatorialen Afrika betrachtet man das Weib als lucrativen Besitz, dessen Reize mehr noch eintragen sollen als die Arbeit des Sclaven. Daher sind die Ehemänner gern bereit, ihre Gattinnen dem ersten besten zu überlassen, ja ihm anzubieten ; denn ist der Fremde reich, so wird er zahlen, ist er aber arm, so wird er der Sclave des Gemahls. Sprödigkeit gegen einen freigebigen Liebhaber würde der Gemahl seiner Gattin mit dem ,,Kassingo" in der Hand bald austreiben. Elton sagt von den Salomons - Inseln : Von allen ihm bekannten Eingeborenen sind diejenigen von Ugi und Christobal die faulsten, habgierigsten und unmoralischsten. Alle jungen Weiber von der Häuptlingstochter bis zur Sclavin prostituiren sich. Auf den westlichen Inseln der Gruppe ist das nicht der Fall ; Prostituirte sind nur die kriegsgefangenen Sclaven ; bei den Eingeborenen steht der Tod oder eine schwere Geldstrafe darauf. Aber die Eingeborenen von Ugi ziehen für die Ehe eine Frau vor, welche im Geschäft alt geworden ist. Auch in Neu- Caledonien existirt nach Moncelon die Prostitution : Elle se produit par cas isolés. Elle est tolérée, mais méprisée. Auf Nias dagegen bestraft man die Prostitution mit dem Tode. 99 In den civilisirten Staaten der Gegenwart hat man sich in immer erhöhtem Grade um die Einschränkung der Prostitution bemüht. Aus zwei Motiven sah sich der moderne Staat genöthigt, dem Prostitutionswesen beschränkend entgegen zu treten : einestheils aus Gründen der öffentlichen Moral, anderentheils aus sanitären Rücksichten ; das eine Mal wurden Sitten- Büreaus zu solchem Zwecke angeordnet, das andere Mal hat die Medicinal - Polizei den Auftrag erhalten, die Prostitution als schlimmste Verbreiterin syphilitischer Erkrankungen zu überwachen. Die legislatorische Praxis hat dabei verschiedene Wege eingeschlagen. Im Allgemeinen beobachtet man zwei entgegengesetzte Systeme : auf der einen Seite die bedingte Toleranz ", auf der anderen Seite die gewaltigsten Anstrengungen zur Unterdrückung der Prostitution . Man erkannte mehr und mehr, dass die heimliche wie die offene Prostitution, die in allen grossen Verkehrsplätzen auftritt, das sociale Leben unbedingt als schlimme sociale Uebel schädigen. Allein beide Arten der Prostitution wirken in verschiedenem Grade. Wie überall die geheime Prostitution in umgekehrtem Verhältniss zur öffentlichen steht, so herrscht jene dort am zügellosesten und ausgebreitetsten, wo letztere gar nicht besteht und die Abzugskanäle der Unlauterkeit fehlen. Sie steckt dann alle Gesellschaftsklassen an, und selbst das Familienleben wird von ihrem Geist ergriffen. Auf der anderen Seite wurde freilich dem Bordellwesen der Vorwurf gemacht, dass aus einem Bordell der Rücktritt eines reuigen Mädchens in eine geordnete Lebensweise schwer möglich ist. Und was für Niederträchtigkeiten ausgeführt werden, um neuen Nachwuchs für dieses unglückliche Bordellleben zu erhalten, das haben zur Genüge und in erschreckender Weise die Enthüllungen der PallMall-Gazette zu zeigen vermocht. Gerade in den letzten Jahren ist eine weitausgebreitete Strömung entstanden, welche unter dem Namen der Abolitionisten in einer zwar wohlgemeinten, aber auf falschem Gebiete angewendeten Philanthropie gegen die polizeiliche Einschreibung und Ueberwachung der Prostituirten energisch Front zu machen sucht. Wir können hier auf ihre durch eine fehlerhafte Statistik gestützten Erörterungen nicht näher eingehen und müssen auf die 80. Hetärismus und Prostitution. 345 wichtige Arbeit Tarnowky's über diesen Punkt verweisen. Die unendlichen Gefahren, welche die Forderungen der Abolitionisten in sich begreifen, denen unfehlbar eine Durchseuchung aller civilisirten Nationen mit der Syphilis in einer bisher ganz ungeahnten Ausbreitung folgen würde, findet man dort auseinander gesetzt. Die Prostitution, wie die Abolitionisten dieses erwarten, würde aber darum nicht aus der Welt verschwinden. - „ Die Prostitution , sagt Tarnowsky , wird in dieser oder jener Gestalt weiter bestehen, da unabhängig von Veränderung der socialen Verhältnisse hier noch eine ganze Reihe anderer Factoren in Rechnung kommt Einfluss des Klimas, der Rasse, der Erblichkeit , der Lebensweise, der Erziehung, des Beispiels der Eltern u. a. —, Factoren, die wir nur zum Theil und meistens nicht genügend oder garnicht kennen, kraft deren das geschlechtliche Bedürfniss der Menschen in äusserst verschiedener Mächtigkeit und Intensität entwickelt ist, ebenso wie die Befähigung zur Enthaltsamkeit, zum Unterdrücken leidenschaftlicher Impulse, zur Aneigung moralischer Principien etc. Die Zeit der geschlechtlichen Reife, die Kraft und Intensität des Geschlechtstriebes sind ebenso, wie die moralische und physische Individualität überhaupt bei verschiedenen Menschen äusserst mannigfaltig und lassen sich nicht einer sittlichen Theorie zu Gefallen auf ein gemeinsames, unveränderliches Maass zurückführen. Geschlechtliche Enthaltung wird von Einem, dank angeborener Eigenschaften seines Organismus gut vertragen, während ein Anderer dadurch veranlasst wird, Befriedigung der ihn verzehrenden Gluth in weiblicher Umarmung zu suchen, oder Sinnestäuschungen , wie diejenigen des heiligen Antonius, oder dämono- manischen Hallucinationen unterliegt , oder endlich durch Onanismus unrettbar zu Grunde geht. " Uebrigens tritt Tarnowsky auch der optimistischen Annahme entgegen . dass die Prostituirten sich bessern würden. Er zeigt, wie ganz verschwindend die Erfolge der sogenannten Magdalenenstifte selbst unter der menschenfreundlichsten Leitung sind, wie die Mädchen in die Bordelle zurückkehren und wie sie selbst, wenn das Schicksal sie in eine glückliche, sorgenlose Ehe geführt hat, dennoch nach einiger Zeit den Gatten verlassen und wiederum zu einer Bordellwirthin fliehen . Den Grund hierfür sucht er in einer fehlerhaften geistigen Veranlagung, in einer erblichen psychischen Belastung der Prostituirten, die sich auch in allerlei körperlichen Anomalien bemerkbar macht. Ueber diesen wichtigen Gegenstand hat Pauline Tarnowsky ganz eingehende anthropologische Untersuchungen angestellt und folgende für unser Thema belangreichen Sätze formulirt : Les prostituées habituelles sont des êtres entachés d'une hérédité morbide plus ou moins lourde, telle que : l'alcoolisme, la phthisie, la syphilis et les maladies nerveuses et mentales qu'elles comptent dans leur ascendance. Elles présentent des signes de dégénérescence physique et psychique incontestables, grâce auxquels le plus grand nombre d'entre elles ne saurait être classé parmi les individus sains et normaux. L'anomalie psychique des prostituées se signale soit par une débilité de l'intelligence plus ou moins manifeste , soit par une constitution névropathique, soit par une absence notoire du sens moral. Elle est confirmée en outre par l'abus des fonctions génésiques, ainsi que par l'attrait que les prostituées éprouvent pour leur métier abject, auquel elles retournent volontairement après en avoir été libérées . Es mögen aber noch die exacten Thatsachen hier zum Belege des Gesagten ihre Stelle finden. 150 Gewohnheits- Prostituirte wurden mit 100 Landarbeiterinnen und mit 50 intelligenten städtischen Weibern verglichen. Sie blieben hinter beiden Kategorien und namentlich hinter den letzteren zurück in Bezug auf den Umfang und den Hauptdurchmesser ihrer Schädelkapsel, hingegen überragten sie sie in den Dimensionen der Jochbögen und der Unterkiefer. Ihr Gesichtschädel war also auf Kosten der Gehirnkapsel : vergrössert. An körperlichen Anomalien wurden an ihnen beobachtet Ab- 346 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. normitäten der Schädelentwickelung (Oxycephalie, Stenocephalie und Platycephalie) , des Gaumens ( Sattelform und Spaltbildungen) , der Zähne ( Atrophie. falsche Stellung u. s. w. ), der Ohrmuscheln, des Gesichtes (Asymmetrien) und der Extremitäten. Es hatten je 1 Anomalie 15 Prostituirte 99 99 99 34 99 35 30 .. 99 5 14 3:5 99 99 6 7 8 99 6 4 1 29 99 19 Somit fanden sich unter den 150 Prostituirten bei nicht weniger als 139 die sogenannten physischen Degenerationszeichen. Lässt man die ersten 15 aus der Rechnung heraus, weil sie nur eine einzige Anomalie aufzuweisen haben, so ergiebt sich immer noch ein Verhältniss von 82,64 %, der mit Degenerationszeichen Behafteten. Diesen stehen entsprechende Personen unter den Landmädchen im Verhältniss von 14 % und unter den intelligenten. Frauen von 2 % gegenüber. Diese Zahlen sprechen für sich und bedürfen keinerlei Erläuterung. Es liegt nicht in dem Rahmen dieser Arbeit, zu untersuchen, welche Gesetze und Polizeiverordnungen die modernen Staaten in dieser Angelegenheit erlassen haben; das muss einer staatsrechtlichen Monographie über dieses hygieinisch so wichtige Thema überlassen bleiben . Wir müssen aber noch unsere Aufmerksamkeit auf gewisse Arten temporärer Prostitution hinlenken, welche im folgenden Abschnitte flüchtig skizzirt werden sollen. 81. Heilige Orgien und erotische Feste. Man hat die Verpflichtung der Frauen und Mädchen, sich im Tempel der Gottheit an bestimmten hohen Festtagen entweder dem Priester oder den anderen Festgenossen zu überlassen, mit dem Namen der religiösen Prostitution bezeichnet. Eine religiöse Prostitution gab es bei mehreren Völkerschaften : in Babylon trieb man die Prostitution in Form eines Cultus der Mylitta (einer der Venus analogen Göttin) ; dort zwang das Gesetz jede Frau, einmal in ihrem Leben den Tempel dieser Göttin zu besuchen, um sich in demselben einem Fremden preiszugeben. Dieser Cultus breitete sich über Cypern, Phönikien und andere Länder Kleinasiens aus. Bei den Armeniern mussten sich nach Strabo die Mädchen vor ihrer Verheirathung längere Zeit der Anaitis weihen, und Lucianus erzählt, dass, wenn in Byblos die Frauen am Trauerfeste des Adonis sich nicht die Haare abschneiden lassen wollten, sie gezwungen waren, sich einen Tag in dem Tempel der Aphrodite Byblie den Fremden preiszugeben. Auch die Aegypter hatten zu Ehren der Isis (Pascht) Feste, bei welchen die schrecklichsten Ausschweifungen stattfanden. Die Griechen scheinen einen solchen Cultus für ihre Aphrodite in gleicher Gestalt nicht gekannt zu haben ; jedoch sind wir über die rituellen Gebräuche der Aphrodite Pandemos zu wenig unterrichtet und wissen nicht. ob deren Hierodulen ihren Dienst nur vorübergehend zu verrichten hatten, 81. Heilige Orgien und erotische Feste. 347 oder ob ihre Anstellung eine dauernde war. In späterer Zeit scheint allerdings das letztere der Fall gewesen zu sein. In Rom wurden, wie Juvenalis berichtet, bei den Festen der Bona Dea von den vornehmen Damen Orgien der schlimmsten Art gefeiert. An den Tagen der grossen Opfer fanden nach Stoll bei den alten Ein- wohnern von Guatemala feierliche Gelage statt. Die Schranken der Zucht hörten auf, die Betrunkenen ergaben sich ohne Unterschied der sexuellen Ausschweifung mit ihren Töchtern, Schwestern, Müttern und Kebsweibern und verschonten selbst Kinder von sechs und sieben Jahren nicht. " Wie aber auch in der Aera des Christenthums geschlechtliche Ausschweifungen angeblich zur Ehre Gottes getrieben worden sind, das beweisen die von Dixon in seinen Seelenbräuten geschilderten Muckersecten, das beweisen die Gottesdienste der Era von Buttler und ihrer Genossen, und das beweisen endlich die gerichtlichen Verhöre, welche in Russland mit den Mitgliedern der Skopzen secte angestellt worden sind. Aber auch Feste nicht religiösen, sondern profanen Charakters werden. von vielen Völkern gefeiert, bei denen der geschlechtliche Verkehr zwischen Weib und Mann theils pantomimisch zur Darstellung gebracht wird, theils aber auch wirklich in natura zur Ausführung gelangt. So berichtet Müller Folgendes über die Einwohner Australiens : „ Merkwürdig und an den thierischen Zustand des Australiers erinnernd ist die Thatsache, dass die Verheirathung und Begattung meistens während der warmen Jahreszeit, wo die von der Natur dargebotene Nahrung in reicher Fülle vorhanden und der Körper zu wollüstigen Regungen disponirt ist , zu geschehen pflegt , und letztere sich in vielen Fällen darauf beschränkt. Bei einigen Stämmen, wie z. B. bei den Watschandies , soll die Begattung in der warmen Jahreszeit mit einem eigenen Feste gefeiert werden, welches sie Kaaro nennen. Dieses beginnt nach dem ersten Neumonde, nachdem die Yams reif geworden sind und wird mit einem Fress- und Saufgelage von Seite der Männer eröffnet . Zu diesem Zwecke reiben sich die Männer mit Asche und Wallabyfett ein, und führen im Mondlichte einen höchst obscönen Tanz um eine Grube auf, welche mit Gebüsch umgeben ist. Grube und Gebüsch repräsentiren den Cunnus, dem sie ähnlich gemacht werden ; die von den Männern geschwungenen Speere stellen die Mentulae vor. Die Männer springen mit höchst wilden und leidenschaftlichen Geberden, welche ihre erregte Wollust verrathen, umher, und stossen unter Absingung eines Liedes ihre Speere in die Grube. Dieses Lied , angemessen dem obscönen Feste, lautet : Pulli nira, pulli nira pulli nira, wataka! (non fossa, non fossa, non fossa, sed cunnus !)" Die Kanaken auf Hawaii haben einen lasciven Tanz, der nach Buchner unter allen polynesischen Tänzen der lascivste ist und Hula- Hula heisst . Zuerst setzten sich die Tänzerinnen sowohl wie die Musikanten mit gekreuzten Beinen in zwei Reihen auf den Boden und erhoben einen Wechselgesang, wobei sie bald langsam, bald rasch und leidenschaftlich den Oberkörper und die Arme hin und her warfen und kleine mit Steinen gefüllte Calabassen schüttelten , so dass ein heilloser rasselnder Lärm entstand . Die Melodie war viel complicirter, als die beim Haka der Masri und beim Meke Meke der Viti. Die zwei Tänzerinnen trugen eigenthümlichen Schmuck um die Knöchel, eine Art Mieder und aufgeschürzte Röcke ; ehemals beschränkte sich das Costüm auf ein Röckchen , das nur dazu diente, emporgeschnellt zu werden. Nach einiger Zeit sprangen sie auf und machten unter wildem Schreien und Rasseln mit dem Becken höchst unzüchtige Bewegungen. Die eingebornen Zuschauer betheiligten sich höchst lebhaft an dem Vergnügen, lachten entzückt und machten dieselben Hüftbewegungen. Ueber die Belustigungen der Schwarzen im Kuango- Gebiete (WestAfrika) berichtete der Stabsarzt Wolffs : 348 XIII. Das Weib im Geschlechtsverkehr. „Der Tanz besteht hier überall zumeist aus möglichst schnellem seitlichen Hin- und Herbewegen des Hinteren, indem sich Männer und Weiber gegenüberstehen, dann mehrmals auf einander zugehen und zurückweichen, endlich sich umfassen. Hier stehen sie in dieser Stellung ein Weilchen still, um dann wieder aus einander zu gehen und von vorn anzufangen. In manchen Dörfern in Madimba machen sie erst in dieser Umarmung die unzweideutigsten Bewegungen, um dann danach, wie ermattet, noch in einander verschlungen ein Weilchen still zu verharren. " Spix und v . Martius wohnten im nächtlichen Dunkel einem Tanze der Puri in Süd- Amerika bei, in dessen zweiter Abtheilung die Weiber anfingen, das Becken stark zu rotiren und abwechselnd nach vorn und hinten zu stossen. Auch die Männer machten Stossbewegungen mit dem Mittelkörper, aber nur nach vorn . Dass derartige, die Sinne aufregende Tänze bei Völkern, welche die Keuschheit der jungen Mädchen nicht verlangen, sehr bald zur That führen. das wird man wohl nicht wunderbar finden, und Kulischer glaubt, dass hierdurch eine Art Zuchtwahl ausgeübt werde. Er führt eine Reihe von Beispielen an, welche seine Annahme zu bestätigen geeignet sind. Es möge das Folgende hier noch seine Stelle finden . „ Die Ausübung der Wahl seitens der Frauen und die Aufmerksamkeit, die sie der äusseren Erscheinung der Männer widmen, kann aus einem Tanze der Kaffern constatirt werden. Bei demselben, erzählt Alberti, schaart sich eine beliebige Anzahl Männer, gewöhnlich ganz entkleidet, in gerader Linie dicht zusammen, wobei jeder seinen rechten , aufwärts gerichteten Arm, einen Streitkolben in der Hand, mit dem linken seines Nebenmannes verkettet. Dicht hinter den Männern steht eine Linie Frauen, deren Arme jedoch nicht verkettet sind . Die Männer springen anhaltend und ohne alle Veränderung mit gleichen Füssen in die Höhe, während man an den Frauen eine sich beinahe an dem ganzen Körper äussernde krampfhafte Bewegung wahrnimmt, welche vorzüglich in Vorund Zurückbeugen der Achseln und einer damit in Verbindung stehenden Kopfbewegung besteht. Dabei machen diese von Zeit zu Zeit, indem sie nach einer halben Wendung sich einander in sehr langsamem Schritte folgen , einen Gang um die Linie der Männer und nehmen dann ihre erste Stellung wieder ein . Bei diesem Allem wissen sie sich, vorzüglich durch Niederschlagen der Augen , ein sehr sittsames Ansehen zu geben. Es ist klar, dass durch das Niederschlagen der Augen der eigentliche Zweck der Umschau, die die Frauen über die Reihe der Männer machen, deutlich angegeben wird. " Aber auch in der Christenheit gab es Feste, bei denen die Sittlichkeit um keine Spur grösser war, als bei diesen Heiden. Besonders waren es die Esels- und Narrenfeste, aber auch Kirchweihen und Processionen . welche zu den schamlosesten Ausschweifungen führten. Und auch gewisse Tänze erfreuten sich keines sehr feinen Rufes. So schreibt Praetorius (1668) von dem Tanze Gallarda: „ Zudem dass solcher Wirbeltanz voller schändlicher unfläthiger Geberden und unzüchtiger Bewegungen ist. " und Spangenberg sagt in seinen Brautpredigten : „ Behüte Gott alle frommen Gesellen für solchen Jungfrauen, die da Lust zu den Abendtänzen haben und sich da gerne umbdrehen , unzüchtig küssen und begreifen lassen , es muss freylich nichts gutes an ihnen sein ; da reizet nur eins das ander zur Unzucht und fiddern dem Teufel seine Bölze. An solchen Tänzen verleuret manch Weib ihre Ehre und gut Gerücht. Maniche Jungfraw lernt allda, dass ihr besser wäre, sie hätte es nie erfaren. Summa, es geschieht da nichts ehrliches, nichts göttliches. " (Kulischer. ) Bei den Neu- Britanniern werden nach Weisser die jungen Mädchen mit Eifersucht gehütet, und ein freier Verkehr mit jungen Männern wird ihnen im Dorfe nicht gestattet ; allein zu gewissen Zeiten ertönt eine besonders hellklingende Trommel des Abends aus dem Busch, worauf denselben erlaubt ist. sich dorthin zu begeben, wo sie dann mit jungen Männern zusammentreffen. 81. Heilige Orgien und erotische Feste. 349 Vielleicht haben wir es als Nachklänge im ethnographischen Sinne aufzufassen, wenn wir zwar nicht mehr den unbehinderten geschlechtlichen Verkehr bei den jungen Leuten antreffen, wenn wir aber doch noch finden, dass bei aller sonstigen Decenz und Keuschheit in den Worten doch bei gewissen Gelegenheiten unsittliche und anstössige Dinge zwischen den Jünglingen und den jungen Mädchen frei zu verhandeln erlaubt ist und dieses auf beiden Seiten die grösste Heiterkeit verursacht. Noch heutigen Tages ist diese Unsitte bei uns, namentlich auf dem Lande, nicht ausgestorben, und für gewöhnlich ist es der Polterabend, der hierfür die Gelegenheit abgiebt, während früher im Mittelalter selbst in den vornehmsten Kreisen bei dem öffentlichen Beilager des jungen Paares die ärgsten Zoten ohne Scheu ausgesprochen wurden . Auch pflegten auf dem Lande die Spinnstuben nicht immer eine absolute Sittenreinheit in den Reden darzubieten. Etwas Aehnliches finden wir auch bei einem der Türkenvölker im westlichen Asien, bei den Kumücken. „ Zu den Spielen der Kumücken gehört unter andern das Süjdün - Tajak , d . h. Liebesstock , welches meistens bei Hochzeiten und von Unverheiratheten gespielt wird , und wobei die Verliebten, indem sie sich gegenseitig mit einem Stabe auf die Schulter schlagen, Dialoge theils sarkastischen, theils erotischen Inhalts wechseln. " (Vambéry.) XIV. Liebe und Liebeswerben. 82. Die Liebe. Es wird wohl immer eine unentschiedene Frage bleiben, wo dasjenige. was wir unter dem Begriff der Liebe zu dem anderen Geschlecht verstehen. in der Stufenfolge der Völker seinen Anfang nimmt. Ob sie dem Menschen auf der niedersten Stufe der Culturentwickelung wohl gänzlich fehlt ? Fast möchte es den Anschein haben, als wenn sie bei manchen Völkern gar nicht existirte, wenn wir das Weib fast schlechter und schmachvoller behandelt sehen, als die Hausthiere, wenn wir sehen, wie nicht selten der geschlechtliche Verkehr durch Gewalt und Misshandlung erzwungen wird. Und dennoch können wir nicht behaupten und beweisen, dass trotz dieser Rohheiten nicht doch die Gattenliebe in ihren Keimen schon vorhanden ist, wenn sie auch noch als ein schwach glimmender, leicht verlöschender und für einen anderen Gegenstand wieder aufglühender Funken ihr verborgenes Dasein fristet und noch nicht zu der hellen weitstrahlenden Flamme geworden ist, als welche wir bei den civilisirten Völkern die Liebe kennen. Wer wollte z. B. den Feuerländern die Liebe zu ihren Kindern absprechen, weil einmal ein Vater sein Kind erschlug, weil es einen Korb mit Muscheln verschüttete ? (Darwin¹ . ) Der Mann hatte nur nicht seine Stimmungen in seiner Gewalt und liess unüberlegt auf einen Zornanfall sofort die That folgen, und hat vielleicht in seinem Herzen später den Verlust seines Kindes tief betrauert. So mag es auch mit der uns hier beschäftigenden Liebe sein ; oft mag sie scheinbar durch augenblickliche Missstimmungen verdrängt und vernichtet werden, und dennoch tritt sie später vielleicht wieder kräftig in ihre Rechte. 99 Bei allen unverdorbenen Völkern erscheint allerdings die Mutterliebe stärker, als die Liebe zum Manne. Die Hingebung" an den Mann ist bei der Paarung entweder eine freiwillige oder eine gezwungene. Der Mann erwirbt sich seine von ihm selbst nach eigenem Gutdünken oder durch Andere Erwählte in mannigfachster Weise und nach festgesetztem Brauch, sei es durch Raub, sei es durch Kauf. Die Rolle, welche dabei das Weib spielt, ist zumeist eine untergeordnete ; sie hat gar selten völlig freie Wahl. Aber das Alles berechtigt uns nicht, diesen Völkern die Liebe gänzlich abzusprechen. Und wenn das geraubte oder gekaufte Weib auch vielleicht im Anfange dem Manne mit Widerwillen und mit Widerstreben sich hingeben mag, warum soll sich nicht später bei ihr die Liebe entwickeln ? Sind nicht die geraubten Sabinerinnen sehr treue Gattinnen geworden ? Nun kommt noch hinzu, dass, wie wir sehen werden, bei vielen Stämmen ein solcher 82. Die Liebe. 351 Raub oder Kauf gar nicht vorkommen kann, wenn nicht schon ein gewisses Einverständniss zwischen den beiden jungen Leuten herrscht, dass also auch der Frau ein gewisser Grad der Selbstbestimmung erhalten bleibt. Solch ein Scheinraub findet bei den Tasmaniern , bei den Polynesiern auf Tukopia und bei einigen Polarvölkern statt. Aber auch bei manchen anderen Nationen sind Anklänge hieran erhalten geblieben . Einen Beweis, dass die wilden Völker die Fähigkeit zu sanften Herzensregungen nicht besässen, suchte man auch darin zu finden, dass manchen derselben ein Wort für Liebe gänzlich fehlt. Damit ist aber noch gar nichts bewiesen, denn nicht immer hat ein Volk für dasjenige, was ihm zum Bewusstsein kommt, sofort auch eine Bezeichnung in seiner Sprache. Und für derartige abstracte Begriffe werden die Worte am allerspätesten erfunden. Ein Mangel des Begriffes Liebe kann auch dadurch vorgetäuscht werden, dass der uncivilisirte Mensch es für unanständig und gegen seine Würde verstossend ansieht, wenn er einen Anderen seine Gefühle und Empfindungen erkennen oder ahnen lässt. So erinnert Peschel daran, dass der Arawake in Guiana , wenn er sich unbemerkt glaubt, weil er anders seiner Manneswürde etwas zu vergeben fürchtet, seine Frau mit feurigen Zärtlichkeiten überhäuft. Ferner kann man auch die Germanen als ein für zarte Liebe zugängliches Urvolk anführen, denn nach Tacitus stellten sie die Frauen sehr hoch: Inesse quin etiam sanctum aliquid et providum putant ; nec aut consilia earum adspernantur, aut responsa negligunt. Im Lande der Muskogee giebt es einen Lover's Leap, einen Felsen, von dem sich zwei verfolgte unglücklich Liebende herabstürzten in den Fluss , und der Mississippi hat seinen Maiden's rock, an den sich eine ähnliche Sage knüpft. Dass sich Mädchen unter den Indianern Nord - Amerikas in Folge von unglücklicher Liebe erhingen, kam öfters vor ; und Heckewseder sowie Tanner erzählen selbst Fälle von Selbstmord bei Männern der Indianervölker aus gleichem Grunde. Selbstmord, den manchmal schon ein geringer ehelicher Zwist veranlasst , ist bei den Indianer - Weibern häufiger, als bei deren Männern , welche sich (nach Keating) bisweilen aus Neid gegen den Ruhm eines Rivalen umbringen. In den Fällen des Mississippi von St. Anthony ertränkte sich einst ein Weib mit ihren Kindern, da ihr Mann ein zweites nahm ; und bei den Kuisteno opfert sich nicht selten ein Weib auf dem Grabe ihres Mannes. Das berühmte Beispiel einer südamerikanischen Indianerin, die sich auf dem Grabe ihres Geliebten umbrachte, um nicht in die Hand der Spanier zu fallen, hat Guevara berichtet und später del Barco Centera ausführlich besungen. Von den Hararî im nordöstlichen Afrika sagt Paulitschke : Die Neigung der beiden Geschlechter zu einander ist in der Jugend eine ganz intensive und edle, und in einer ganzen Reihe von Liebesliedern wird den Gefühlen des Herzens oft in überschwänglicher Weise Ausdruck gegeben. Unter den Galla und Bantu kam es vor, dass erkaufte Weiber, welche den aufgenöthigten Ehemännern nicht gut waren, sich lieber das Leben nahmen, als dass sie den für sie entehrenden Pact schlossen. Polak stellt den Satz auf: Der Begriff von Liebe, den wir haben, existirt, wie im ganzen Orient , auch in Persien nicht. Jedoch widersprechen dem doch ganz entschieden die glühenden Schilderungen treuer Liebe, wie sie uns in Tausend und einer Nacht gegeben werden . Treue Liebe zu ihren Gatten und zartes Liebeswerben unter den Unverheiratheten treffen wir auch bei den Bewohnern der Südsee- Inseln an. So berichtet uns auch Moncelon von den Neu- Caledoniern : Il y a accouplement sans amour, absolument comme ailleurs ; mais l'amour existe et j'ai vu des suicides par amour. Le baiser est connu: L'était- il jadis ? Aujourd'hui, il est apprécié chez les jeunes gens, qui sont avides du plus sensuel de tous : celui sur les lèvres. 352 XIV. Liebe und Liebeswerben. Und wo Lieder gesungen werden, wie das sogleich folgende, da kann man wohl an der Existenz von zarten Liebesempfindungen keinen Zweifel hegen. Dieses Lied fand Parkinson ebenfalls in der Südsee und zwar bei den Gilbert - Insulanern. Er theilt uns die folgende Uebersetzung mit: Man hat es gehört, Es ist über ganz E'tnei (ein Dorf) verbreitet Und macht viel Aufruhr in Arorai. Soll ich es verläugnen? Es bricht mein Herz. Sein Oel riecht so schön Und er ist so schön und gut ! Ich habe ihn so sehr lieb, Und er scheint mich wieder zu lieben. Jetzt steht er unter jenem Baum, Ich will ihn rufen. Ngo, Ngo, Ngo, Ich muss hingehen, wo ich Ruhe finde. Nach Norden über das tiefe Wasser. Ngo, Ngo, Ngo (Weinen) . Jetzt sehe ich ihn am Strande stehen . Er nimmt sein Canoe und segelt Hinauf zwischen Tarawa und Apalang. Dort wirft er Anker, er hat sie wiedergefunden . O, dort kommt der Vogel te Kabane , O Kabane , O Kabane, O Kabane! Man muss eben in der Liebe verschiedene Grade und Abstufungen anerkennen, zwischen denen ein weiter Spielraum liegt, aber wahrscheinlich giebt es kein einziges Volk oder sicherlich doch nur sehr wenige, welche auch nicht einmal im Besitze der geringsten Grade von Liebe sich befinden sollten. 83. Der Liebeszauber. Ist einmal die Liebe erwacht und hat sie nicht die erwünschte Gegenliebe gefunden, so hat sie von jeher nach übernatürlichen Mitteln gesucht, um dieselbe dennoch zu erringen. Hat sie diese Gegenliebe aber erlangt. so schwebt sie nicht selten in banger Furcht, sie wieder zu verlieren, und wiederum müssen magische Processe die schützende Hülfe gewähren. Der Aberglaube an dergleichen Mittel ist über sehr viele Völker verbreitet, nur die besonderen Maassnahmen wechseln je nach den Sitten und der Anschauung der Nation . Es kommt auch auf diesem Gebiete eine ganze Reihe von hochinteressanten Erscheinungen der Mystik zum Vorschein, und wir werden einige dieser Erscheinungen mit Hülfe einer alt mythologischen Symbolik erklären können. Beispielsweisse führen wir nur Folgendes an : Der Apfel ist das heidnische Symbol der sinnlichen Liebe ; es werden daher auch die Liebesgöttinnen mit einem Apfel in der Hand abgebildet ; einen Apfel trägt auch die slavische Siwa, die Göttin des Lebens und der Fruchtbarkeit. Am Weihnachtsfeiertag isst im Voigtland der Bursche einen Apfel ; das erste Mädchen, das ihm entgegen kommt, ist seine künftige Frau. (Koehler. ) Und ebenso mag es sich mit anderen Requisiten des Liebesorakels , mit dem Bleigiessen, dem Schuhwerfen und mit mannigfachen anderen Handlungen verhalten, welche bei dem Liebeszauber zum Vorschein kommen. 10000 S Fig. 91. Liebeszauber. Nach einem anonymen flandrischen Gemälde des 15. Jahrhunderts. (Liübke.) Ploss, Das Weib. I. 3. Auft. 23

83. Der Liebeszauber. 355 Bei der Anwendung des Liebeszaubers haben wir verschiedene Grade und Methoden zu unterscheiden. Einestheils sind es rein sympathetische Mittel, welche von fern her auf denjenigen, dessen Namen der den Zauber Ausübende nennt, ihre Wirkung äussern, oder es sind besondere geheimnissvolle Dinge, die man aber mit dem zu Bezaubernden in directe Berührung bringen muss, oder endlich die Zaubermittel müssen von demjenigen, auf den es abgesehen ist, in irgend einem Nahrungsmittel, selbstverständlich ohne sein Wissen, genossen worden sein. Hier schliesst sich das Liebesorakel an, durch das man überhaupt erst den Gegenstand kennen zu lernen hofft, von welchem man einst geliebt werden wird. Ferner muss man eine schon gewonnene Liebe zu erhalten, eine verlorene wieder zu erwerben und endlich die Fesseln einer lästigen Liebe wieder los zu werden suchen. Bis in das graue Alterthum sind wir im Stande, derartige magische Handlungen nachzuweisen. So gab es schon im alten Indien einen Liebeszauber, durch dessen Beihülfe das Mädchen auf das Herz ihres heiss Geliebten zu wirken suchte. Ein Beispiel findet sich in einem Zauberspruch zur Fesselung eines Mannes und zur Vertreibung einer glücklichen Neben- buhlerin (R. Veda 10, 145) : ,,Diese Pflanze grabe ich aus, das kräftige Kraut, durch welches man die Nebenbuhlerin verdrängt, durch welches man einen Gatten erlangt. Du mit den ausgebreiteten Blättern, heilbringende, kraftreiche, von den Göttern gespendete, blase weit weg meine Nebenbuhlerin, verschaffe mir einen eigenen Gatten. Herrlicher bin ich, o herrliches Gewächs, herrlicher als die Herrlichen, aber meine Nebenbuhlerin, die soll niedriger sein als die Niedrigen. Nicht nehme ich ihren Namen in den Mund, nicht weile sie gern bei diesem Stamme, in weite Ferne treiben wir die Nebenbuhlerin. Ich bin überwältigend, du bist siegreich, wir beide siegreich, wollen die Neben- buhlerin bewältigen. Dir legte ich die siegreiche zur Seite, dich belegte ich mit der siegreichen ; mir laufe dein Streben nach wie die Kuh dem Kalb, wie Wasser dem Wege entlang eile es. " Eine ganze Reihe solcher Segen zur Entflammung (çuc) von Liebe in dem Herzen eines Mannes hat uns der Atharvaveda aufbewahrt. (Zimmer. ) Einen Liebeszauber bei den alten Aegyptern hat Ermans aus dem grossen Pariser Zauberpapyrus nachgewiesen. Eine der Formeln lautet : Mein . . . zu legen an den Nabel des Leibes der N. N. , es zu bringen (?) den . . . der N. N. und dass sie gebe, was in ihrer Hand ist in meine Hand, was in ihrem Mund ist in meinen Mund, was in ihrem Leib ist in meinen Leib, was in ihren weiblichen Gliedmaassen, gleich, gleich, augenblicklich, augenblicklich. " 99 Die alten Römer brauten Liebestränke, welchen man die Kraft zuschrieb, Personen beiderlei Geschlechts , die sich früher ganz gleichgültig gewesen, in einander verliebt zu machen oder durch die man dem Gegenstande seiner Anbetung Gegenliebe einzuimpfen hoffte. Lucullus soll durch einen solchen den Verstand und zuletzt das Leben eingebüsst haben. Der Dichter Lucretius nahm sich das Leben im Liebeswahn, der ihm angeblich durch ein Philtrum so nannte man den Liebestrank beigebracht wurde. Dagegen soll Apulejus das Herz der reichen Pudentilla durch ein Philtrum gewonnen haben, das aus Spargel, Krebsschwänzen, Fischlaich, Traubenblut und der Zunge des fabelhaften Vogels Jyop zusammengesetzt war. - - Der Italiener Porta erzählt Wunderdinge von der Wirkung des Hippomanes, einer schwarzen Haut, die, von der Grösse einer getrockneten Feige, auf der Stirn neugeborener Füllen wuchs und, von den Griechen 23* 356 XIV. Liebe und Liebeswerben. zu Pulver verbrannt, im Blute des Liebenden aufgelöst, als Philtrum gebraucht wurde. Schon in früherer Zeit scheinen unsere germanischen Altvordern die Liebeszauberei getrieben zu haben. Die Liebe selbst mochten sie für einen Zauber halten, da sie ja einen so überaus mächtigen Einfluss auf Leib und Seele, auf Geist und Gemüth auszuüben vermag. Man suchte im skandinavischen Norden zur Erregung der Liebe die mystische Wirkung der Runen zu verwenden, wie Weinhold darthut . Ausser in mehreren nordischen Sagen, die von solcher Kraft der Runen Beispiele bringen, lernen wir aus den Liedern von Siegfried dergleichen Liebesmittel kennen. In dem ersten Brynhilliede werden Runen gegen Bethörung durch fremde Weiber mitgetheilt ; die Rune Naud (Not) auf den Nagel, Oelrunen auf den Rücken der Hand und auf das Horn geritzt, worin der Liebestrank (minnisweig) geboten wird, waren zu solchem Zwecke wirksam. Als besonders kräftig galt ein Trunk, durch Zaubersprüche und Lieder und Runen reich gesegnet. Leber diesen Aberglauben spricht Bruder Berthold : „ Pfui , glaubst du , dass du einem Manne sein Herz aus dem Leibe nehmen und ihm Stroh dafür hineinstossen könntest ?" Ein andermal ruft er : „ Es gehn manche mit bösem Zauberwerk um, dass sie wähnen, eines Bauern Sohn oder einen Knecht zu bezaubern. Pfui , du rechte Thörin ! warum bezauberst du nicht einen Grafen oder einen König? dann würdest du ja eine Königin werden. “ Allein nicht bloss durch Ermahnungen in Predigten, sondern noch mit viel kräftigeren Mitteln zog die Kirche gegen solchen Aberglauben zu Felde ; und Weinhold führt an : „ Als die Hexenverfolgungen blühten, brachte nicht selten vermeintlicher Liebeszauber ein Weib auf den Scheiterhaufen, und manches Mädchen musste für seinen Liebreiz mit dem Tode büssen. " In erster Linie galt es, mit gewissen Zaubermitteln dem geliebten Gegenstande ,,Etwas anzuthun", d. h. ihm etwas heimlich beizubringen auf sympathetische Weise, wodurch ein unwiderstehlicher Liebesdrang in seinem Herzen erzeugt wird. Dabei wurden oft die überirdischen Mächte zur Hülfe angerufen. Obgleich die Behörden in Deutschland auf die zauberische Zubereitung und den Gebrauch solcher Mittel körperliche Strafen setzten, so schwand dieser Glaube auch dann noch nicht ganz, als man aufhörte, die Hexen zu verfolgen ; denn auch heute kommen im Volke noch dergleichen sympathetische Mittel in Anwendung. Der deutsche Volksaberglaube ist noch heute ungemein reich an Mitteln zur Liebes- Erwerbung, die vielleicht aus ungemein alter Zeit stammen . Zuerst sind hier gewisse Zaubersprüche zu erwähnen : Es giebt in der Oberpfalz einen Zauberspruch, in welchem sich das Mädchen mit ihren Bitten an den hülfreichen Mond wendet. sobald der Liebhaber lau wird ; doch ist nur bei zunehmendem Monde der Spruch von Erfolg : ,, Grüss dich Gott, lieber Abendstern! Ich seh dich heut und allzeit gern ; Scheint der Mond über's Eck, Meinem Herzallerliebsten auf's Bett : Lass ihm nicht Rast, lass ihm nicht Ruh, Dass er zu mir kommen mu ( muss) ! “ Oder : „ Ei du mein lieber Abendstern, Ich seh dich heut und allzeit gern ; Schein hin, schein her, Schein über neun Eck, Schein über meines Herzallerliebsten sein Bett, Dass er nicht rastet, nicht ruht, Bis er an mich denken thut!" Die Ausübung eines Liebeszaubers ist in einem Gemälde (flandrische Schule) aus dem 15. Jahrhundert dargestellt, das sich im Leipziger Museum befindet und von Lübke besprochen wird ; dazu ist eine treffliche Copie gegeben ( Fig. 91 ) : In der Mitte eines mit einem Kamin und reichlichem Hausgeräth versehenen Gemaches steht ein nacktes Mädchen, am Unterleibe nur mit einem dünnen Schleier bedeckt ; neben ihr befindet sich eine Truhe mit geöffnetem Deckel ; in derselben , die auf einem Schemel steht, erblickt 83. Der Liebeszauber. 357 man ein Herz, wahrscheinlich ein Wachsbild. In der rechten Hand hält das Mädchen Feuerstein und Schwamm, in der erhobenen Linken einen Stahl, mit dem sie aus dem Feuerstein Funken schlägt ; diese letzteren sprühen auf das Herz herunter, während auch von dem Schwamm auf dasselbe Funken herabfallen. Durch eine im Hintergrunde sich öffnende Thür tritt ein junger Mann in das Gemach. Ueber die Bedeutung dieser Scene kann man nicht lange zweifelhaft sein : Offenbar ist hier die magische Handlung eines Liebeszaubers dargestellt, der in solcher Form namentlich im Mittelalter verbreitet war. Sie bestand darin, dass man ein Bild aus Wachs oder anderem Stoffe (in ganzer menschlicher Figur oder auch in Gestalt eines Herzens ) mit dem Namen Dessen, auf den es abgesehen war, taufte und es dann glühen oder schmelzen machte. Durch diese Wirkung galt nur Derjenige, dessen Namen das Bild trug, mit seinem Wesen als magisch an dasselbe gebunden ; er sollte, indem er Aehnliches erlitt, wie das Bild , in Liebe entzündet werden. Jacob Grimm erwähnt folgende Stelle aus dem Gedicht eines fahrenden Schülers : Mit wunderlichen Sachen lêr ich sie denne machen von wahs (Wachs) einen Kobolt wil si daz er ihr werde holt und töufez in den brunnen und leg in an die sunnen. " 66 In der Regel liess man das Zauberbild (den „ Atzmann") , statt es in die Sonne zu legen, am Feuer „ bähen" . Auch bei den Indianern in Nord - Amerika spielt ein Bild des Geliebten bei dem Liebeszauber eine wichtige Rolle. Nach Keating fertigen die Chippeway - Mädchen ein solches Abbild des begehrten Mannes und streuen ihm ein gewisses Pulver auf die Herzgegend. Bemerkenswerth ist hier, dass auch bei diesem uncivilisirten Volke der Sitz der Liebe in die Herzgegend verlegt wird . Wenn man (im Samlande) da, wo es Niemand hört, drei Mal laut den Namen der geliebten Person ruft, so zwingt man sie dadurch, an den Rufenden zu denken. (Frischbier.) Ein eigenthümliches magisches Mittel ist der Sudzauber, auch Siedzauber, nordisch : seidr. Es wird unter gewissen Sprüchen ein Stück gebrauchter Kleider oder Haar in einem neuen Geschirr gesotten, so kommt über die spröde Person plötzlich die Liebe mit solcher Gewalt, dass sie dahin laufen muss, wo die Liebe gesotten wird, und zwar um so schneller, je stärker das Wasser im Topfe wallt ; und kann sie es nicht erlaufen, so muss sie sich zu Tode rennen ; kein Hinderniss auf dem Wege ist so stark, dass es nicht überwunden werden wollte. Schönwerth berichtet von einigen Fällen, in welchen die Verliebten, wie sie fest zu wissen glaubten, unter dem Banne solchen Zaubers gestanden haben. Derartiger Zauber ist aber nicht allein auf die europäischen Völkerschaften beschränkt. Das beweist eine Angabe von Riedel" . Sympathetische Mittel, Liebeswahn zu erregen, werden von den auf Djailolo und Halamahera ( Holl. - Ostindien) lebenden Galela und Tobeloresen unter der Bezeichnung goleu laha " oft angewendet. Die ursprüngliche Galela weise ist die Bezauberung mittelst Blumen. Man pflückt zu dem Zwecke 3 Tage nach Neumond 4 Urunuruund 4 Gabi- Blumen, stellt sie in einen weissen Topf mit Wasser, setzt dieselben unter freien Himmel vor sich hin und spricht, wenn die Sterne sich zeigen : „ Frau Sonne, du hell leuchtende Frau, ich glänze wie die Sonne, die aufspringt (aufgeht) , ich glänze wie der Mond, der sich zeigt, ich glänze wie der Stern am Himmel, ich glänze wie das Feuer, das flammt, ich glänze wie die Sonnenblume, die sich öffnet , möge X mich lieben , an mich denken bei Tage, wie bei Nacht. " Nach diesen Worten muss Gesicht und Körper dreimal mit dem Wasser gewaschen werden, in dem die Blumen lagen. " Auf den A aru- und Tanembar- Inseln ( Niederländisch - Ostindien) wenden auch viele Männer sympathetische Zaubermittel an, um eine Frau in sich verliebt zu machen. (Riedel . ) Ganz ähnlich ist es auf den Seranglao- und Gorong - Inseln . Will hier eine Frau oder ein Mann Jemanden in sich verliebt machen, dann geht sie oder er nackt in das Wasser, setzt sich auf den Boden, streckt die Hände in die Höhe und sagt : Im Namen des barmherzigen Gottes, Schein der Feuerfliege Mantara , sieh 358 XIV. Liebe und Liebeswerben. auf mich, Vollmond, sieh auf mich, Sonne, sieh auf mich, der Segen davon es ist kein Gott, als Gott, der Segen von Muhammed, Gottes Abgesandten, N. N. sieh auf mich, die wie der Mond scheint, sieh auf mich den Vollmond, sieh auf mich den Stern, sich auf mich die Sonne, sieh auf mich den Propheten Muhammed, den Abgesandten Gottes. Dann bläst man zweimal über beide Hände und macht das Haupt dreimal mit Wasser nass. Ausserordentlich mannigfaltig ist die zweite Art des Liebeszaubers, bei welchem das geliebte Wesen mit bestimmten absonderlichen Dingen berührt werden muss. Im Spreewald , der bekanntlich eine wendische Bevölkerung besitzt, sagt man an einzelnen Orten, dass der junge Mann, um eines Mädchens Liebe zu gewinnen, in einen Ameisenhaufen einen lebenden Frosch hineinthun und soweit weggehen soll, dass er nichts sieht und nichts hört, dann nach einigen Stunden muss er wiederkommen und eine „ Hand " des Frosches nehmen, darauf dem Mädchen eine Hand geben und ihr dabei die Froschhand in ihre Hand drücken. Auch in Deutschland ist der Frosch ein wichtiges Hülfsmittel für den Liebeszauber. In Schwaben , Böhmen , Hessen , Oldenburg thut der Bursch einen Laubfrosch in einen neuen Topf und bindet ihn am Georgitage vor Sonnenaufgang in einen Ameisenhaufen ; ist der Frosch dann von den Ameisen verzehrt, so nimmt man am folgenden Georgitage (also nach Jahresfrist ! ) die Knöchelchen heraus und bestreicht mit einem solchen (dem Schenkelknochen) das Mädchen auf sich zu. In Ostpreussen sticht man zwei sich begattende Frösche mit einer Nadel durch, und mit dieser Nadel heftet man dann einen Augenblick die eigenen Kleider mit denen des Geliebten zusammen. (Töppen.) In der Oberpfalz muss der Bursche die Hand des Mädchens mit dem Füsschen eines am Lukastage gefangenen Laubfrosches blutig ritzen. Dem Frosch schliesst sich die Fledermaus, die Eule und der Hahn an, also sämmtlich Thiere, welche in der Mythologie und in der schwarzen Kunst von jeher eine wichtige Rolle zu spielen bestimmt gewesen sind . In Ostpreussen berührt das Mädchen ihren Geliebten heimlich mit einer Fledermauskralle ; sie muss dabei aber einen Zaubersegen murmeln. Im Samlande heisst es : Man schiesse eine Eule und koche sie in der Mitternachtsstunde. Alsdann suche man aus ihrem Kopfe zwei Knöchelchen, welche wie Hacke und Schaufel gestaltet sind . Das Uebrige von der Eule vergrabe man unter die Traufe. Wünscht man nun ein Mädchen für sich zu gewinnen, so darf man sie nur heimlich mit der Hacke berühren : sie ist „ festgehackt" . Reisst man einem Hahne die Schwanzfedern aus und drückt sie dem begehrten Mädchen heimlich in die Hand, so hat man ihre Liebe erobert (in Schwaben). In Böhmen genügt es, mit diesen drei Federn aus dem Hahnenschwanze den Hals des Mädchens zu bestreichen. Auch manche Pflanzen stehen in ganz besonderem Ansehen. In Franken trägt das Mädchen Liebstöckelwurzel, im Spessart Liebstöckelblüthe im Rosmarinbüschel bei sich, um den Geliebten an sich zu fesseln. Es kann, so heisst es in Posen , der Bursch von der reinen Jungfrau dann nicht mehr lassen, wenn letztere in seinen Brustlatz die Spitze eines Rosmarins einnäht. Und wie in Neu - Griechenland , so ist auch in Ostpreussen und in der Oberpfalz das heimliche Zustecken von vierblättrigem Klee besonders in die Schuhe von treumachender Wirkung ; anderwärts, z . B. in Böhmen , legt man Rosenäpfel dem Schatz ins Bett. Bei den Süd - Slaven gräbt nach Krauss¹ „das Mädchen die Erde aus, in welcher die Fussspur des geliebten Burschen sich abgedrückt hat, giebt die Erde in einen Blumentopf und pflanzt die Nevenblume ( calendula officinalis ) . Das ist die Blume, die nicht welkt ! So wie die gelbe Blume wächst und blüht und nicht hinwelkt, so soll auch die Liebe des Burschen zu dem Mädchen wachsen, blühen und nicht verwelken. " In Italien giebt es für das Mädchen ein unfehlbares Mittel, sich den Jüngling geneigt zu machen ; sie muss ihm „ das Pulver werfen“. Da ist die Eidechse, ein sonst in Calabrien allgemein respectirtes Thierchen, denn es trägt ja Wasser in die Hölle , ihr Feuer zu löschen : diesmal muss sie daran ; die Liebe respectirt kein Gesetz. Das Mädchen nimmt also die Eidechse , ertränkt sie in Wein, dörrt sie an der Sonne und stösst sie zu Pulver. Von diesem Pulver nimmt sie eine Prise und bestäubt damit den Geliebten. Dies hält man für ein unfehlbares Liebeszwangsmittel, und davon stammt die Phrase : Sie hat mir das Pulver geworfen, d . h. mich in sich verliebt gemacht. (Kaden.) 83. Der Liebeszauber. 359 Etwas unbequemer ist das in der Provinz Bari in hohem Ansehen stehende Mittel, um den Geliebten fest an sich zu fesseln, dass er sich nicht wieder von dem Mädchen trennt. Die Liebende muss nach Karusio's Angabe auf einem Begräbnissplatz den Knochen eines Todten stehlen, der dann ohne Wissen des Bäckers in ein Brot eingebacken werden muss. Dieses Brod muss pulverisirt und unter die heilige Steinplatte eines Altars gelegt werden, damit die Messe darüber gelesen wird. Mit diesem Pulver muss man dann den Geliebten, ohne dass er es gewahr wird, bestreuen . Sympathetische Zaubermittel, um Männer und Frauen liebestoll zu machen, werden auf Buru angewendet. Man benutzt dazu Sirih-Pinang oder Tabak, die man, nachdem eine Beschwörungsformel über sie gesprochen ist, in die Sirih- Dose legt. Macht der Erwählte davon Gebrauch, so muss er dauernd in Liebe der Beschwörerin folgen. Noch kräftiger wirkt es, wenn man ein Stück zubereiteten Gember ( Zingiber officinale ) unter Segenssprüchen in die Erde gräbt. Geht der Erwählte über diese Stelle fort, so tritt der Zauber in Kraft. (Riedel' .) · Am Georgi- Tage backen nach von Wlislocki die transsilvanischen Zelt - Zigeunerinnen ein mit Kräutern gewürztes Brod, das sie unter Freund und Feind vertheilen. „Diesem Kuchen werden auch geheimnissvolle Wirkungen zugeschrieben und namentlich soll seine Kraft in Liebesangelegenheiten unzweifelhaft sein. Manche Maid raubt durch diesen Kuchen „ das Herz und den Verstand" des Burschen, der dann später in seliger Erinnerung singt : Wohl kein Weib bäckt solches Brod, Wie mein süsses Lieb' es bot In dem Wald beim Festgelag' Mir am Sankt Georgi-Tag. Knetet Blumen von der Au' In den Teig und frischen Thau, Bäckt hinein die Liebe gross, Sclav' wird ihr, der es genoss. " Ganz besonders wirksam und erfolgreich ist es nun aber, wenn man entweder von dem Körper des geliebten Wesens etwas zu erlangen vermag, oder wenn man ihm von dem eigenen Körper etwas anbringen kann. Das letztere sind nun durchaus nicht immer sehr appetitliche Dinge. Das, was man sich von dem begehrten Menschen zu schaffen sucht, sind besonders einige Haare. Kann man vom Haupte des Mädchens, das man begehrt, drei Haare bekommen, so klemme man diese in eine Baumspalte, so dass sie mit dem Baume verwachsen ; auch soll der Bursche dem Mädchen, wenn es schläft, dreimal Haare hinten im Nacken abschneiden und sie in der Westentasche tragen, dann ist er ihrer Liebe sicher. Unter den Derivaten des eigenen Körpers, welche man dem Anderen anbringen muss, um in ihm die Gegenliebe zu entzünden, spielt namentlich der Schweiss eine hervorragende Rolle. Es ist eine bekannte Thatsache, dass der Geruch der Transspiration nicht immer der gleiche ist und namentlich bei geschlechtlichen Erregungen einen veränderten Charakter annimmt ; es ist aber ferner auch nicht zu leugnen, dass der Geruchssinn mit den geschlechtlichen Empfindungen in einer sympathetischen Beziehung steht , und da ist es wohl nicht zu verwundern, dass in dem Glauben des Volkes die Ausdünstung und der Duft des eigenen Körpers eine Wirkung auf die Psyche eines Nebenmenschen auszuüben vermag, wohlverstanden, wenn er vom entgegengesetzten Geschlechte ist. Man führt manche Beispiele als Beleg dafür an, dass die nähere Bekanntschaft mit der Transspiration eines Menschen der erste Anlass zu einer leidenschaftlichen Liebe gewesen sei ; Heinrich III. ward plötzlich von der heftigsten und bis zu seinem Tode andauernden Liebe zu der Prinzessin Maria von Cleve ergriffen, als er sich am Tage ihrer Vermählung mit dem Prinzen von Condé ( 18. August 1572) zufällig das Gesicht mit einem leinenen Tuche abtrocknete, welches die vom Tanze erhitzte Prinzessin kurz vorher von ihrem schwitzenden Körper genommen und im Nebenzimmer abgelegt hatte. Auch 360 XIV. Liebe und Liebeswerben. Heinrich IV. würde vielleicht nie eine feurige Leidenschaft für die schöne Gabriele empfunden haben, hätte er nicht auf einem Balle unmittelbar nach ihr mit ihrem Schnupftuch sich die Stirne getrocknet. Solche legendenhaften Erzählungen gingen fort durch die gläubige Welt und galten als Beweismittel für die materielle Kraft magischen Liebes- zaubers. So reicht auch im Samlande das Mädchen dem jungen Manne, welchen sie zu fesseln bestrebt ist, wenn sie ihn antrifft, wie er sich die Hände wäscht, ihr Taschentuch oder auch ihre Schürze zum Abtrocknen. In Hessen entwendet man dem Geliebten einen Schuh oder Stiefel, trägt ihn acht Tage lang selbst und giebt ihn dann wieder zurück. Nimmt man zu dem Abendmahle eine Blume mit und wischt mit dieser nach dem Genusse des Weines den Mund, so erhält die Blume die Kraft, den Anderen dauernd in Liebe zu fesseln , wenn er die Blume annimmt. Sehr leicht vermag ein Mädchen eine Mannsperson zu fesseln, wenn sie ihren Urin in seine Stiefel lässt . Aber auch solch eine Sympathie erscheint vielen Leuten nicht sicher genug. Sie halten den Zauber erst dann für vollgültig, wenn sie das Zaubermittel wirklich dem zu Bezaubernden einverleibt haben, mit anderen Worten, wenn sie im Stande gewesen sind, dasselbe seinem Trank oder seinen Speisen beizumischen. Hier stehen obenan die sogenannten Liebestränke, die Philtra der alten Griechen und Römer, und wie bei allen Völkern, so spielen sie auch unter den Deutschen und bei den Süd - Slaven eine bevorzugte Rolle . Die alte Magie kommt da zum Vorschein, und noch bis in die neueste Zeit giebt es Verblendete, die an ihre Macht glauben. Eine Frau, die mit Liebestränken handelte, wurde im Jahre 1859 zu Berlin verhaftet ; sie hatte täglich gute Geschäfte gemacht. Von der Liebstöckel-Wurzel, deren mystische Kraft hochgeschätzt wurde, macht man in Franken einen Liebestrank; die Böhmen aber tröpfeln zu gleichem Zweck Fledermaus- Blut ins Bier ; nicht ungefährlich mag allerdings die Liebeswuth sein, welche die fränkischen Mädchen bei ihren Geliebten dadurch erzeugen, dass sie denselben in Kaffee eine Abkochung von spanischen Fliegen übergeben, denen sie vorher den Kopf abgebissen haben ; denn das in diesen Thierchen enthaltene Cantharidin wirkt schwer schädigend auf die inneren Organe, namentlich auf die Nieren ein. Ueberhaupt waren die Liebestränke früher sehr gefürchtet und nach dem Ausspruch der alten Aerzte sollen Leute dadurch wahnsinnig geworden sein, ein Ausspruch, der sich vielleicht auf die angeführten Beispiele von angeblichem Liebeswahn im alten Rom stützte. Zachias sagt : Pocula amatoria hominem infatuunt et insaniam pariunt, ut nonnullorum animalium cerebra et solamum furiosum. Eine meisterhafte Schilderung von der Wirkung eines solchen Liebestrankes verdanken wir bekanntlich Gottfried von Strassburg : Die Königin bereitete Ihrer Weisheit gemäss In einem Glasgefäss Einen Trank der Minne, Der mit so feinem Sinne War ersonnen und erdacht Und mit solcher Kraft vollbracht, Wer davon trank, den Durst zu stillen Mit einem Andern, wider Willen Musst er ihn minnen und meinen, Und jener ihn, nur ihn den Einen . Ihnen war Ein Tod, Ein Leben, Eine Lust , Ein Leid gegeben. Sobald den Trank die Magd, der Mann Isot gekostet und Tristan, Hat Minne schon sich eingestellt. Sie, die zu schaffen macht der Welt, Die nach allen Herzen pflegt zu stellen, Und liess, von beiden ungesehen, Schon ihre Siegesfahne wehen: $3. Der Liebeszauber. 361 Sie zog sie ohne Widerstreit Unter ihre Macht und Herrlichkeit. Da wurden eins und einerlei Die zwiefalt waren erst und zwei: Nicht mehr entzweit war jetzt ihr Sinn , Isoldens Hass war ganz dahin. Die Sühnerin , Frau Minne, Hatte Beider Sinne Von Hass so ganz gereinigt, In Liebe so vereinigt, Dass eins so lauter und so klar Dem andern wie ein Spiegel war. Sie hatten Beide nur ein Herz : Sein Verdruss schuf ihr den grössten Schmerz. Ihr Schmerz verdross ihn mächtig. Sie waren Beid' einträchtig In der Freude wie im Leide, Und hehlten sich's doch Beide. Das kam von Scham und Zweifel her: Sie schämte sich, so that auch er ; Sie zweifelt an ihm, Er an ihr. Wie Beide blind auch vor Begier Sich einem Wunsche möchten nahn, Zu schwer doch kam es ihnen an Zu beginnen, anzufangen : Das barg ihr Wünschen und Verlangen. Aber auch hier sehen wir bald wieder bei dem Landvolke die Sucht , von dem eigenen Körper dem Anderen etwas einzugeben . Im Spreewalde macht der Jüngling das Mädchen in sich verliebt , wenn er sich in den kleinen Finger der linken Hand schneidet und das dabei hervorquellende Blut dem Mädchen heimlich zu essen giebt. (v. Schulenburg.) Auch in Böhmen schneidet man sich in der letzten Stunde des Jahres in den Finger, mischt drei Tropfen Blut in einen Trank und lässt ihn den oder die Geliebte trinken . Ein Liebespulver schätzt man in den Niederlanden. ( Wolf .) Man nimmt eine Hostie, die jedoch noch nicht geweiht sein darf, schreibt auf dieselbe einige Worte mit dem Blute aus dem Ringfinger und lässt alsdann von einem Priester fünf Messen darüber lesen. Dann theilt man die Hostie in zwei gleiche Theile, deren einen man selbst nimmt und den anderen der Person giebt, deren Liebe man gewinnen will . Dadurch „ ist schon viel Unheil geschehen und manches keusche Mägdelein verführt worden. " Doch auch das gewöhnliche Blut genügte dem Vorstellungsvermögen des ungebildeten Pöbels nicht. Es musste noch etwas Besonderes dabei sein. Und so wählte man dann das Menstruationsblut, um es für die Zauberspeise zu benutzen. Der bereits im 9. Jahrhundert vorkommende Zauber, den Männern weibliches Menstrualblut in Speise und Trank zu mischen, kommt vereinzelt noch vor, z . B. im Rheinlande. Bei Burchard von Worms heisst es : Fecisti quod quaedam mulieres facere solent ? Tollunt menstruum suum sanguinem , et immiscent cibo vel potui, et dant viris suis ad manducandum vel ad bibendum, ut plus diligantur ab eis . Si fecisti, quinque annos per legitimas ferias poeniteas. " " Auch heute noch wird in Unter- Italien in der Provinz Bari fest geglaubt, dass ein mit Menstrualblut befeuchtetes Gebäck, einem Manne zum Essen gegeben, diesen unfehlbar in Liebe an das Mädchen, welcher das Blutentstammt, zu fesseln vermöge. (Karusio.) Die hervorragendste Rolle spielt hier jedoch ebenfalls wieder der Schweiss. Man muss Aepfel oder Semmeln, welche der Andere essen soll , im Samlande mit dem Schweisse des Körpers bethauen ; in Schlesien , Böhmen und Oldenburg trägt man Obst , be- sonders einen Apfel, oder Weissbrod, oder ein Stück Zucker so lange auf der blossen Haut unter dem Arme, bis es von Schweiss durchdrungen ist , und giebt es dem Anderen zu essen. Ganz Gleiches geschieht im Spreewalde. Wenn dort aber ein Mädchen die 362 XIV. Liebe und Liebeswerben. Liebe eines „ Jungen" haben will, so soll sie sich die Nacht über ein Käulchen Semmel oder Zwieback oder einen Apfel zwischen die Beine auf die Pudenda legen, es da durchschwitzen lassen und dann dem Jungen zu essen geben, so kann er nicht von ihr lassen . Auch ein durchgeschwitztes seidenes Halstuch, das zu Zunder verbrannt , pulverisirt und dem Essen beigemengt wird, giebt einen wirksamen Liebeszauber ab. Die Chiloten in der südlichsten Provinz von Chile benutzten ebenfalls den Schweiss als Mittel für Liebeszauber. Die junge Chilotin webt aus Fäden von gewisser Farbe Tücher, die sie eine Zeit lang bei sich trägt ; dann weiss sie sie dem geliebten Jüngling entweder in die Kleidung zu bringen, oder sie kocht ihm ein Getränk und seiht dasselbe durch ein Zaubertuch. Nach dem Genusse widersteht er ihrem Anblicke nicht. Das ist aber alles den Leuten noch nicht unappetitlich genug. Man lässt in Böhmen Haare aus der Achselhöhle gepulvert in den Kuchen backen, und Capitän Jacobsen erzählt mir, dass es in Norwegen ein bekannter Liebeszauber sei , klein gehackte Schamhaare eingebacken dem Anderen zum Essen zu geben. Anderwärts bestreicht man das Brod, das der Andere essen soll , mit Ohrenschmalz. Selbst das Semen virile wird, wie im frühesten Mittelalter (Wasserschleben) , noch jetzt in Böhmen der Speise oder dem Tranke eines Mädchens beigemischt . (Grohmann. ) Andere geniessen eine Muskatnuss, die dann wieder, abgegangen, dem Geliebten zum Genusse heimlich beigebracht wird. Will Einer, dass Jemand zu ihm in Liebe entbrenne, so muss er auf nüchternen Magen drei Pfefferkörner verschlucken ; späterhin, nachdem er sich entleert , die Körner aus seinem Abgang heraussuchen, sie trocknen und zu Pulver stossen. Dieses Pülverchen wird in einen Kuchen verbacken und der Geliebten oder dem Geliebten zum Essen gegeben. (Gegend von Varazdin. ) (Krauss¹. ) In den Decreten des Bischof Burchard von Worms finden wir : Fecisti quod quaedam mulieres facere solent ? prosternunt se in faciem, et discoopertis natibus, jubent ut supra nudas nates conficiatur panis, et, eo decocto tradunt maritis suis ad comedendum . Hoc ideo faciunt, ut plus exardescant in amorem illarum. Si fecisti , duos annos per legitimas ferias poeniteas. Gustasti de semine viri tui ut propter tua diabolica facta , plus in amorem tuum exardesceret ? Si fecisti septem annos per legitimas ferias poenitere debes. Fecisti quod quaedam mulieres facere solent ? Tollunt piscem vivum et mittunt eum in puerperium suum et tamdiu ibi tenent , donec mortuus fuerit, et, decocto , pisce, vel assato, maritis suis ad comedendum tradunt. Ideo faciunt hoc ut plus in amorem earum exardescant. Si fecisti , duos annos per legitimas annos poeniteas. In früher gebrauchten Liebestränken gab es folgende Ingredienzien : ( Mark) Lorbeerzweige, das Gehirn eines Sperlings, die Knochen von der linken Seite einer von Ameisen angefressenen Kröte, das Blut und Herz von Tauben, die Testikel des Esels, Pferdes, Hahns, und ganz besonders wieder das Menstrualblut. (Schwaben. ) 97 Der Liebeszauber, welchen die Neu - Griechen haben, mag wohl zu einem grossen Theil aus alten Zeiten stammen. Es giebt jetzt in Epirus und Thessalien (im Alterthum bedeutete bekanntlich Thessalierin " eine Zauberin) weise Frauen, die mit Dämonen oder Geistern in enger Verbindung stehen und deshalb ein einträgliches, doch unheimliches Geschäft betreiben. Sie verstehen die Liebestränke, giroa der Alten, zu brauen, oder sie sind im Besitz von Wunderkräutern, mit denen man die Geliebte oder den Geliebten nur zu berühren hat, um sie ganz willfährig zu machen. Das ist das sogenannte rogókh' (oú) µè téooɛga góĥha (Klee mit vier Blättern) , dem noch mehr Wunderkräfte zugeschrieben werden, z. B. das Oeffnen alles Festverschlossenen . (Dossius. ) Auch in Bosnien ist der Glaube und das Vertrauen auf gewisse alte Frauen sehr gross, welche im Rufe stehen, durch Weissagungen, Salben und andere Mittel Hexenmeisterei zu treiben. Sie sind es auch, welche abergläubische Frauen in vielen Dingen, so auch in Sachen der Liebe, um Rath und Hülfe befragen. Wird ein Mohammedaner seiner Gattin untreu, so darf dieselbe nicht dagegen murren, sie bleibt treu und schweigt zu Hause. Sie sucht dann aber die Hülfe solcher klugen Frau auf. Ist ihre Lage eine derartige, dass ein Gebet allein noch nützen kann, so wird die Quacksalberin befragt, welches Gebet und wie oft sie es täglich verrichten, welche Speisen sie ihrem Gatten kochen, wie sie das zum Ardes (Waschen) nothwendige Preškir (Tuch ) stecken soll ? Die Quacksalberin hört die Klagen ihrer Clientin so ruhig und gleichmässig an, wie dies bei uns die Advokaten zu thun pflegen. Ist dann die Clientin zu Ende, so tritt eine kleine 83. Der Liebeszauber. 363 Pause ein, nach welcher die Magierin die Taxe für ihre Prophezeihung feststellt und gleich auch einhebt und bei Seite legt, und dann erst sinnt sie darüber nach, welche Mittel in diesem Falle angewendet werden sollen. Bei Treu- und Ehebruch werden von der Quacksalberin bei älteren Clienten Bohnenkörner, bei jüngeren Erbsenkörner angewendet. Diese Körner tragen gewisse Einschnitte ; wenn nun die Clientin ihr Leid geklagt, welches in der Regel darin besteht, dass ihr Mann in der Nachbarschaft sich ein anderes Weib hält , und wenn sie dann die vereinbarte Taxe zuvor entrichtet hat, dann streut die alte Hexe diese Bohnen- und Erbsenkörner mit einer eigenthümlichen Gewandtheit auf die grosse Tasse, welche sich auf dem Teppich befindet, prüft dann die Lage der Einschnitte der Bohnen- oder Erbsenkörner und liest aus denselben ihre von jeher als unfehlbar anerkannten Ansichten heraus . Sie erzählt dann, warum der Gatte treulos geworden, wo- durch die Rivalin ihn an sich fessele, was zu thun sei , um dem Uebel abzuhelfen und dergleichen mehr. Nie vergisst sie aber, die Clientin auf einen späteren Tag wieder zu sich zu bestellen, selbstverständlich mit Geschenken. (Strauss. ) In Marocco wird nach Quedenfeldt der Kopf eines Geiers und eines grossen Sauriers benutzt, um, gepulvert, heimlich dem Gatten beigebracht zu werden, damit seine der Frau verloren gegangene Liebe wiederkehre. In Deutschland sind bestimmte Tage dem Liebeszwange besonders günstig ; es sind dies Johanni ( 24. Juni) , Andreas ( 30. November) und Sylvester (31. December) . An diesen Tagen sind besondere Zaubersprüche von grosser Kraft. Aber auch Ostern reiht sich hieran. So giebt die Verliebte in Tyrol ihrem Schatze Ostereier zu essen , welche sie am Ostersonntage auf einem geweihten Feuer gesotten hat. Es geht jedoch den Verliebten, welche durch Zauberei Jemandem „ den Nachlauf angethan haben", wie man in Schwaben sagt, nicht selten ähnlich , wie dem bekannten Zauberlehrling. Sie sind des Segens überdrüssig und möchten die Liebe des Anderen wieder mit guter Manier loswerden. Das geht natürlich nur durch einen neuen Zauber. Wer die oben erwähnte Eule geschossen und mit dem hackenförmigen Knochen sein Mädchen festgehackt hat, der thut gut, auch den Schaufelknochen sorgfältig zu bewahren. Denn wenn er das Mädchen wieder los sein will, so braucht er sie nur mit dieser Schaufel zu berühren. So wie man Liebe gewinnt, indem man Theile des eigenen Ich dem anderen Menschen an oder in den Leib bringt, ebenso kann man sich auch in analoger Weise wieder von ihr befreien. Man verschafft sich zu diesem Zwecke umgekehrt Etwas von des Anderen Leibe, und macht es im Lichte der Sonne oder in der Nacht des Rauches vertrocknen oder vergehen ; damit schwindet die Liebe, nicht selten aber auch der Leib. Was Liebe hervorbringt, kann sie unter anderen Verhältnissen auch aufhören machen. Hieran reiht sich noch die Bosheit, welche verschmähte Liebe oder gebrochene Treue aus Rache ersinnt und vollzieht. Ausser mehreren anderen Zaubermitteln , welche namentlich die gegenseitige Liebe eines Brautpaares zu stören geeignet sein sollen, führt Schönwerth aus der Oberpfalz Folgendes an : Ein solches rachsüchtiges Wesen zündet um Mitternacht eine Kerze an und steckt nach vorgängiger Beschwörung eine Anzahl Nadeln mit den Worten in dieselbe : „ Ich stech das Licht, ich stech das Licht, ich stech das Herz, das ich liebe. " Wird der Geliebte nun später untreu, so ist es sein Tod. Daher ist es wichtig, zu erfahren , dass Allelujah- Klee, welcher gegen Ostern seine kleinen weissen Blüthen trägt, gegen Liebestränke schützt . Dem Volksgeschmack mehr zusagend ist ein Mittel, welches Paulini in seiner heylsamen Dreck- Apotheke anführt : Wem ein böses Weibsbild einem etwas sie zu lieben beygebracht hat, der befleisse sich nur, von ihrem Koth etwas zu bekommen, und lege es in seinen Schuch . Sobald der Koth erwarmet , und ihme der Gestanck unter die Nasen gehet, so wird er einen Abscheu vor ihr tragen. “ Ein Liebeszauber wird nun aber nicht allein von solchen angewendet, welche bereits ihr Auge auf einen ihrer Mitmenschen geworfen haben, sondern der Mensch ist von jeher liebebedürftig , wenn er auch selber noch nicht weiss , wen er mit seiner Liebe beglücken soll . Und da müssen wieder Zaubermittel helfen . In Frankreich wird man den Damen unwiderstehlich, wenn man ein Schwalbenherz bei sich trägt . Die Eingeborenen des östlichen Neu- Guinea glauben nach Comrie fest an einen Liebeszauber, der dem genannten Berichterstatter höchst geheimnissvoll mitgetheilt wurde. Er besteht darin, dass man das 364 XIV. Liebe und Liebeswerben. Gesicht mit einem wohlriechenden Harze einreibt ; das andere Geschlecht kann dem so beschmierten nicht widerstehen. Der einheimische Name für diesen Zauber ist tûbâl. Die Keisar- Insulaner glauben dadurch Liebeswahn zu erzeugen, dass sie auf die Fusstapfen der Männer oder Frauen geheime Mittel legen, oder auf die Stellen, wo diese ihren Urin hingelassen haben, hintreten und ebenfalls dahin uriniren. ( Riedel¹. ) Ein einfacheres Mittel giebt es für indische Männer ; sie verschaffen sich einen gewöhnlichen kleinen Hufeisenmagnet ; weiss der Besitzer eines solchen dann noch gewisse kleine Zauberformeln geschickt anzubringen, so ist kein weibliches Herz vor ihm sicher. (Martin¹. ) Bei den Dajaken des südöstlichen Borneo ist es genügend, der glückliche Besitzer eines Djawet, d. h. eines heiligen Topfes zu sein , um Glück in allen Dingen, namentlich aber auch in der Liebe, zu haben. (Grabowski. ) 84. Heirathsorakel und Ehestandsprognose. Es ist nun, wie man zugeben wird, eine ganz berechtigte Neugierde, erfahren zu wollen, von wem man eigentlich geliebt werden wird. Und da müssen die Liebesorakel aushelfen, für welche ebenfalls die obengenannten heiligen Tage ganz besonders geeignet sind. Am Andreasabend stösst man (in Königsberg) dreimal mit den Füssen an das untere Ende des Bettes und spricht : Bettlad ich trete dich, Heiliger Andreas, ich bitte dich: Lass mir im Traum erscheinen Heute den Liebsten mein. “ Am Johannisabend streut man in der Gegend von Angerberg (nach Müllenhoff) einen beliebigen Samen in die Erde und spricht dabei : ,,Ich streue meinen Samen In Abrahams Namen, Diese Nacht mein Feinslieb Im Schlafe zu erwarten, Wie er geht und steht, Wie er auf der Gasse geht ! " Oder man streut Leinsamen ins Bett und spricht : „ Ich säe Leinsamen In Gottes Jesu Namen, In Abrahams Garten Will ich mein Feinslieb erwarten. " Am Sylvesterabend sind zahlreiche Dinge geeignet zur Entscheidung der Frage, ob man im Verlaufe des Jahres heirathen werde. Am komischsten ist folgende Procedur: Um die Mitternachtsstunde stellt sich das Mädchen nackt auf den Herd und sieht durch die Beine in den Schornstein oder ins Ofenloch ; dort erblickt sie den ihr bestimmten Bräutigam. Bei den Süd - Slaven fängt das Mädchen eine Spinne, steckt sie in ein Rohr und stopft dasselbe an beiden Enden zu. Vor dem Schlafengehen gedenkt sie aller Heiligen, macht dreimal das Kreuzeszeichen über das Kopfpolster und spricht : „ O du Spinne, du kletterst in die Höhen und in die Tiefen , suche meinen mir vom Schicksal bestimmten Mann auf und führe mir ihn als Traumbild vor. Führst du ihn her , so lasse ich dich am Morgen wieder frei , dass du weiterhin durch die Welt ziehen kannst ; wenn du mir ihn nicht herführst, so werde ich dich zerdrücken. “ (Krauss¹. ) In Neapel ist San Raffaelle, der seine Kirche in einer der steilsten und engsten Strassen hat, als Ehestifter von ganz besonderer Bedeutung. Am Festtage des Heiligen ist die Kirche von der Frühmesse bis zum Ave Maria gedrängt voll. Grösstentheils sind wohlgekleidete junge Mädchen die Besuchenden. Es hat damit folgende Bewandtniss : San Raffaelle ist nach dem neapolitanischen Volksglauben der Schutzpatron der jungen Mädchen und steht in dem Rufe, dass er an seinem Namenstage deren. 84. Heirathsorakel und Ehestandsprognose. 365 fromme Gebete für einen Ehegemahl erhöre. Die in die Kirche ein- und ausziehenden bunten Gruppen der Mädchen, die ein sehr bescheidenes, fast verschämtes Wesen zur Schau tragen, nehmen sich höchst malerisch aus und werden von den an den Kirchenthüren wartenden jungen Männern ohne Anstandsverletzung bewundert. Hier und da fällt wohl eine sarkastische Bemerkung beim Vorüberziehen einer Jungfrau, die sichtlich seit 30 Jahren vergeblich den beschwerlichen Weg zur San Raffaelle- Kirche zurückgelegt hat. In der Nähe der Kirche ist ein vollständiger Jahrmarkt eingerichtet, wo auf Bänken und in Buden Früchte aller Art, besonders Granatäpfel, indische Feigen, auch Spielwaaren und Heiligenbilder feilgehalten werden. Heute endet das Fest mit dem Läuten der Vesperglocke ; früher wurden die Strassen bei eintretender Dunkelheit glänzend beleuchtet, und ein Musikchor spielte auf dem Kirchplatze bis spät in die Nacht abwechselnd Tänze und neapolitanische Volksmelodien, zu denen sich die von San Raffaelle erhörten und auf ihn gläubig hoffenden Paare zahlreich einfanden . Das auch in Deutschland bekannte Schuh-Orakel ist in dem Gebiete von Belluno nach dem von Bastanzi citirten Soravia an die Sylvesternacht gebunden. Wenn es Mitternacht schlägt, müssen die Eltern einen alten Schuh aufs Gerathewohl zur Treppe hin werfen . Fällt er so, dass die Schuhspitze die Treppe herab zeigt, dann heirathet die Tochter noch in dem Laufe des Jahres. Die Mädchen lassen ebenfalls im Bellunesischen am ersten Januar ein Band aus dem Fenster herausflattern, das schon 24 Stunden in ungebrauchter Lauge war. Wenn dann in dem Augenblick ein junger Mann vorbeigeht, so ist er der Zukünftige. Wenn aber in Bari ein Mädchen sein Haus schlecht kehrt, dann wird sie einen grindigen Mann bekommen. (Karusio. ) Hier schliesst sich allerlei anderweitiger Aberglaube an. Man kann ersehen, wer von zwei Verlobten am sehnlichsten die Heirath herbeiwünscht ; man hat für die Hochzeit bestimmte Tage zu vermeiden ; bestimmte Witterung am Hochzeitstage, bestimmte Begegnungen des Hochzeitszuges prognosticiren Glück oder Unglück für die künftige Ehe, und endlich kann man durch bestimmte sympathetische Maassnahmen während der priesterlichen Einsegnung sich die Herrschaft im zukünftigen Ehestande sichern. Wir geben hierfür nur wenige Beispiele. Bei Belluno fertigt man zwei Strohpuppen, welche die Neuverlobten vorstellen, und legt diese zum Feuer. Wessen Puppe sich zuerst entzündet, der ist der auf die Heirath Begierigere. (Soravia. ) ,,Ne de Venere nè de Marte no se spose e no se parte“, sagt das Volk in Belluno und Treviso. ( Bastanzi. ) Hingegen ist in den nicht katholischen Theilen Masurens nach Toeppen der Freitag gerade bevorzugt, nur darf er nicht unter dem Zeichen des Krebses stehen. Regenwetter am Hochzeitstage bringt in der Provinz Bari den Ehegatten ein Leben voll Thränen (Karusio), und die Begegnung mit einem Leichenzuge prognosticirt in dem gleichen Landestheile dem Ehestande Trauer und Klagen. Während des Trauactes muss in Soldau und Gilgenburg in Ostpreussen die Braut dem Bräutigam auf den Fuss treten, oder auf seinem. Rock knieen, oder beim Zusammenlegen der Hände ihre Hand nach oben bringen, dann hat sie während der Ehe das Regiment. Die Buddhisten in Tibet halten es für nothwendig, dass Brautleute durch die Hülfe eines Astrologen in Erfahrung bringen, ob ihre Ehe eine glückliche oder unglückliche werden wird. Das Orakel geben 12 Thiere ab, zahme und wilde, und zwar durch die Art, wie sie sich einander begegnen, 366 XIV. Liebe und Liebeswerben. ob freundlich oder feindlich, Damit das Erstere stattfinde, erhält der Astrologe hohe Belohnung; denn ein Wiederauseinandergehen von Brautleuten wird bei diesem Volke in höchstem Grade ungern gesehen. ( Werner.) Wer noch mehr dergleichen Dinge zu erfahren wünscht, den verweisen wir auf die Abhandlungen von Frischbier, Krauss ' , Wuttke, Toeppen u. s. w. , woselbst er der mannigfachsten Gestaltung des Liebesorakels und Hochzeitsaberglaubens nachgehen kann. 85. Die Brautwerbung und der Brautstand. Dasjenige, was wir unter der Brautwerbung verstehen, ist einer Reihe von Völkern ein absolut unbekannter Begriff. Die Werbung ist der Raub, die Hochzeit ist Gewalt. Aber es giebt doch auch manche ziemlich tiefstehende Nationen, bei welchen schon ein reguläres Bemühen nicht zu verkennen ist, sich auch der Zuneigung und Einwilligung der Auserwählten zu versichern. Allerdings müssen wir auch hier an die Verhältnisse mit einem gänzlich anderen Maassstabe herantreten, als wir ihn bei hochcivilisirten Völkern anzulegen gewohnt sind. Denn gar nicht selten hat dieses Liebeswerben durchaus nicht den Zweck, eine eheliche Verbindung für das Leben einzuleiten, sondern dasselbe will nur die Einwilligung zu einem regelmässigen geschlechtlichen Verkehre erlangen, welcher aber, wenn er später wirklich zur Ehe führen sollte, noch eine Werbung in veränderter Form nothwendig macht. Sehr eigenthümlichen Gebräuchen begegnen wir auf diesem Gebiete, welche sämmtlich zu verfolgen weit über den Rahmen dieses Buches hinausgehen würde. Nur einige Beispiele sollen hier aufgeführt werden. Auf den Tanembar- und Timorlao - Inseln geht der Jüngling, der sich um die Gunst eines Mädchens bewerben will, Nachts an ihr Haus und klopft dort an, wo ihre Lagerstatt ist. Aus Anstandsrücksichten fragt sie, wer da ist, und wenn er seinen Namen genannt hat , was er will. Er antwortet darauf: „ Ich habe keinen Pinang , ich bitte Dich um getrockneten entzwei gespaltenen Pinang mit Sirih. " Ist ihm das Mädchen geneigt, dann sagt sie : Warte ein wenig, ich will sehen, ob er jetzt noch zu finden ist, " und reicht ihm durch eine Oeffnung den Sirih- Pinang. Um auf solche Eventualitäten vorbereitet zu sein, pflegen daher die jungen Mädchen von dem Eintritt ihrer Reife an stets nur mit einem mit Sirih gefüllten Korbe neben sich zu schlafen. Das Mädchen kraut darauf durch die Oeffnung dem jungen Manne die Haare , während er ihren Busen betastet. Beides geschieht sonst niemals, da beides tabu ist . Die folgende Nacht bringen sie an einem stillen Platze ausserhalb des Hauses zu und treffen sich bei Tage im Busch, wo das Mädchen Holz sammeln muss. Nach dem ersten Beischlaf nimmt das Mädchen ihrem Auserwählten den Schamgürtel, die Ohrringe oder den Kamm fort, um ihn zu zwingen, ihr treu zu sein und um bei eintretender Schwangerschaft einen Beweis in Händen zu haben, wie sie sich ausdrücken, als Vergütung für den gegebenen Sirih- Pinang. So leben sie einige Zeit mit einander, und wenn ihre Liebe von Bestand ist, lässt der Jüngling erst dann durch eine alte Frau der Form wegen bei dem Mädchen anfragen, ob sie ihn heirathen wolle. (Riedel. ) Das Liebeswerben eines samoanischen Jünglings um seine Erkorene und die Liebesneigung der letzteren schildert Kubary aus eigenen Beobachtungen höchst anschaulich. In dem bei Tage so ruhigen Samoa sammeln sich zum Abend die jungen Leute beiderlei Geschlechts auf dem Malae. Ein junger Krieger mit wohlgepflegtem Aeusseren steht bei einer Schaar junger Mädchen. „ Er steht aufrecht und gesticulirt mit den erhobenen Armen derart , dass der ganze Kopf schüttelt . Er stampft mit dem Fusse, er tritt hervor und zieht sich zurück, er streckt den Arm hervor, als wäre er mit einem Speer bewaffnet, dann wieder schwingt er ihn im Kreise herum, als sei er im Begriffe, mit einer Keule den Feind zu zerschmettern. Zweifellos ist er ein Krieger, der 85. Die Brautwerbung und der Brautstand. 367 seinen schönen Zuhörerinnen seine Thaten, seine Siege erzählt. Diese sind ganz Ohr und Auge. " Man sieht es , welch mächtigen Eindruck seine Erzählung auf die jungen Mädchen macht, die ihm begeisterte Zurufe spenden. Darauf fordert er einige Genossen zu einem gemeinsamen Gesange auf. Unser Erzähler ist der Vorsänger, alle Anwesenden bilden den Chor ; jedoch das Singen dauert nicht lange. " 99 Der Krieger steht auf und stellt sich einer der schönsten Jungfrauen gegenüber. Sie zögert, ja beinahe unwillig lässt sie sich von ihren Freundinnen herzudrängen und von dem hübschen Tänzer ins Freie herausziehen. Sie steht nun im Kreise, und mit niedergeschlagenen Augen, mit ihren zarten Fingern das die üppigen Hüften umgebende Lavalava glättend , stellt sie das Bild einer süssen Verzagtheit dar. Der Chor, die Tänzer bereit sehend, ändert den Gesang und fängt im Takte des gewöhnlichen Tanzes ein Lied an ; anfangs langsam und leise, stufenweise lebhafter und lauter. Schauen wir nun unsere Tänzer an. Er erhebt seine Arme, und um sein Haupt Kreise ziehend, schlägt er den Takt mit den Fingerspitzen . Seine Füsse bewegen sich ohne den Boden zu berühren ; er scheint ihn von sich abstossen zu wollen. Er erhebt sich in höhere, überirdische Regionen, seiner Tänzerin, der er die Seite zukehrt , noch nicht gewahr. Sie schlägt ebenfalls leise den Takt mit den Fingern und ihre Füsschen stossen gleich ihm den Boden ab. Beide schweben einem höheren Gebiete zu . . . und hier werden sie sich gewahr. Der Ausdruck des Gesichtes des Tänzers, jede Bewegung seiner Glieder, seines ganzen Körpers drücken ein Erstaunen und Entzücken aus. Sie wie eine Göttin , blickt gleichgültig ; ja um sich des Eindringlings zu erwehren, flieht sie , den kleinen Mund spöttisch verziehend, ihm aus dem Wege. Er fürchtet , sie zu verscheuchen und sucht sie durch Flehen anzulocken. Er steht unbeweglich, durch jede Bewegung seines Körpers das Bitten ausdrückend . Er streckt sehnsüchtig seine Arme aus, er bewegt sie leer vor dem Antlitze , Abwesenheit andeutend, er drückt seine Brust, um sie vor dem Zerplatzen zu schützen . Er bittet und fleht . Und siehe ! bewältigt durch solch Uebermaass des Gefühls lächelt die schöne Tänzerin anmuthig. Mit gesenktem Blicke, mit nach hinten gebeugtem Haupte streckt sie ihre Arme ihm entgegen . . . sie ergiebt sich . . . . Der berauschte Tänzer glaubt noch nicht seinen Augen. Rückwärts gebogen, steht er mit aufgerissenen Augen unbeweglich, einem Steine gleich ! Schon rast er in einem chaotischen Netze von Sprüngen und Grimassen wie ein vom Speer getroffener Fisch . Er ist schon neben ihr . . . aber der Unvorsichtige ! Anstatt das sich darbietende Glück zu ergreifen, beginnt er der Willigen bittere Vorwürfe ihres Zauderns halber zu machen. Er droht ihr mit dem Finger, er schüttelt den Kopf, verdreht die Augen . . . und wie er sich ihr endlich nähern, sie ergreifen will, entweicht sie ihm wie ein vom Winde hinweggerissener Nebel und flieht höhnisch lächelnd nach der anderen Seite des Kreises zum unendlichen Ergötzen der Zuschauer, die die zauberische Verführerin nicht genügend loben und über das Unglück des ungeschickten Bewerbers sich nicht genug freuen können. Der letztere, natürlich ganz aus den Wolken gefallen, begreift kaum was geschehen . Schmerzlich enttäuscht führt der Tänzer die verzweiflungsvollsten Grimassen aus, aber er sinnt auf Rache ! Er steht wieder dicht neben ihr, aber nicht als flehender Bewerber. Jede seiner Bewegungen athmet jetzt unverhüllte Bosheit, mitleidslose Verhöhnung. Mit spöttisch gezücktem Zeigefinger droht er ihr den Rücken zu durchbohren. Er verzieht spöttisch den Mund, lacht höhnisch und prahlt hinter ihrem Rücken. Das kann das junge Mädchen nicht lange ertragen. Sie will Auge in Auge die unwürdigen Angriffe abweisen. Aber umsonst wendet sie sich um, Spott und Nörgeleien verfolgen sie wie ein Irrlicht überall , von allen Seiten. Die Arme fühlt sich besiegt, sie senkt das früher stolze Haupt, sie drückt die Hände ans Herz, als ob sie dem Schmerze den Eintritt verwehren wollte. Das entwaffnet den rachsüchtigen Verfolger wieder. Er bekundet Reue, er bittet um Vergebung und Erbarmen. Das Antlitz unserer Verführerin erhellt sich, sie ist nicht mehr unwillig, obwohl sie noch wankt und schweigt. Der Bittende verdoppelt, verzehnfacht seine Bemühungen. Er umkreist sie mit den anmuthigsten Sprüngen, er vollführt Wunder der Geschicklichkeit . . . . er fleht immer, und endlich lässt sie sich von dem Wirbel ergreifen. Sie tanzen zusammen , sich gegenüber, mit einer Bewegung und einem Athem. Immer rascher, immer leidenschaftlicher, rasender. Ihre Körper scheinen zu blinken. . . . Die einzelnen Glieder sind beinahe nicht zu erkennen . . . . 368 XIV. Liebe und Liebeswerben. Es ist ein Chaos, in welchem sich die beiden verstehen, ein Chaos, das die ganze Versammlung in äusserstes Entzücken versetzt. Alle tanzen im Herzen mit. Alle sind der Erde entrückt und vergessen die Sorge des Lebens. Wilde Rufe: malie ! malie ! lelei! lelei ! (o süss, o hübsch) mit heftigem Händeklatschen untermengt, übertönen die Chöre und der Tanz löst sich in allgemeinem Wirrwarr der Zufriedenheit und des Lobpreisens auf. Indessen ist die Zeit der Abendgebete und des Abendmahles herangerückt, und die Kreise zerstreuen sich. . . Von allen Seiten hallen in der Luft die Abschiedsgrüsse : Tofa! tofa ! kreuz und quer, und alle gehen nach ihren Häusern. Wer jedoch in der Nähe des sich zerstreuenden Kreises der Tänzer war, der konnte zwischen den hingeworfenen Abschiedsgrüssen einige vielbedeutende Worte auffangen. „Tofa inga“ , „ tofá soifúa" sind mehr als gleichgültige Grüsse, und ein rasches „ tóro “ als Antwort würde das Ohr des Horchers treffen. Das geheimnissvolle Wort Tóro bedeutet Zuckerrohr, und hier neben dem Wege sehen wir ein damit bestelltes Feld . Aber was ist das? Ganz leise, kaum hörbar, ertönt der Ruf der samoanischen Eule . . . von einer anderen Richtung ereilt uns wieder ein Gekreisch, wie es die kleine Gecko- Eidechse hervorbringt. . . . Nachts . . . auf dieser Stelle, das ist ungewöhnlich ! Plötzlich erschrecken wir beinahe . Unfern von uns sehen wir einen Kopf zwischen den schwankenden Halmen versteckt. Wir erkennen unseren Tänzer. Nun, dann wird wohl auch die schöne Eidechse nicht weit entfernt sein. . . . Und wirklich, bald gleitet an uns eine Gestalt vorbei, rasch und leicht wie ein Traum. Die beiden Köpfe vereinigten sich, wankten, sanken und verschwanden, und in der Ferne erschallte dieses Mal wirklich der Ruf einer samoanischen Eule ( Strix delicutula Gld . ) . Ein Zuckerrohrfeld ist des Nachts ein sicheres Versteck für zwei Liebende . Niemand wird sie hier in der Zeit der Geister und Gespenster stören. Unser Pärchen weiss es und unbesorgt um einen Lauscher kann man sie sprechen hören . übrig. - Du weisst Lilomajava, dass meine Eltern dich hassen ; uns bleibt nur die „ awenga“ Wann und wo, meine Kamaikai (Herrin) ? Wenn der Mond um diese Zeit über diesem Felde steht , wirst du mich am Bache treffen. Sei aber vorsichtig , denn die Unsrigen haben scharfe Augen. Ah, meine Herrin, bis zu dieser Zeit werden noch drei lange Nächte vergehen müssen. Warum nicht gleich ? Die morgende Sonne kann uns schon in Palauli finden. Meine Leute sind bereit, die See ist ruhig, der Wind ist günstig. O komm! komm! . . . Sie schweigt, aber ihr Arm windet sich kräftiger um seinen Nacken . Er erhebt sich wie ein Riese, und einem Pfeile gleich eilt er mit seiner süssen Bürde durch die wogenden Halme. Sie sind verschwunden. Am Strande des nachbarlichen Dorfes herrscht Stille , aber auf dem weissen Sande bewegen sich dunkle Gestalten. Ein Toumalua, das einheimische Reisecanoe, wird ins Wasser hinuntergeschoben. Die dunklen Gestalten sind verschwunden, ein aufrechtes dreieckiges Segel entfaltet sich, und dem Strande entlang gleitend entschwindet es dem Blicke. Erst aus weiter Ferne erreicht uns der gedämpfte Schall eines Tritonhornes, dieser Schall begleitet das glückliche Liebespaar der Küste entlang, den aus dem Schlafe gestörten Bewohnern etwas Besonderes anzeigend. Er eilt ihm voraus nach Palauli , wo die Liebenden den Zorn der Eltern vorübergehen lassen wollen. Am nächsten Morgen Aufruhr in beiden Dörfern. Die Freunde des glücklichen Bräutigams durchschreiten ihr Dorf und rufen aus : Awánga!! Awanga !! Die schöne Tánctási und der tapfere Lilomaiúva sind Awánga !! Awánga !! Die stolzen Eltern der Braut hörenmit verbissener Wuth die öffentliche Ausrufung, die das Schicksal ihrer Tochter besiegelt . Während einiger Zeit böses Blut auf beiden Seiten. Die alten Väter vermeiden sich, die jungen Männer betrachten ihre Keulen und Speere, die hauptsächlichste Rolle spielen aber die Jungen. Nach ein paar Wochen legt sich alles, und die Eltern schicken ihrer Tochter eine weisse Matte, als Zeichen der Verzeihung. Das Paar, das sich bis jetzt noch fremd blieb. kommt zurück. Es wird die feiainga" vorgenommen, und die weisse Matte, mit Spuren der Würdigkeit der Braut, wird gegen einen Theil der Aussteuer ausgetauscht. Der andere wird bei der ersten Niederkunft ausgehändigt. 85. Die Brautwerbung und der Brautstand. 369 oder stehen keine Schwierigkeiten bevor, so Früher war die „ Awánga“ ( die Brautflucht) Heirathet das Paar nicht aus Liebe, wird alles von den Verwandten geordnet. in Samoa an der Tagesordnung. " Die Brautwerbung der Hottentotten in der Umgebung von Angra Pequena ist originell. Der Liebhaber geht zu den Eltern seiner Auserwählten, setzt sich stillschweigend nieder und kocht ebenso wortlos Kaffee. Ist derselbe zubereitet, so giesst er einen Becher voll, um ihn der Braut hinzureichen ; trinkt diese ihn zur Hälfte aus und giebt dem Bräutigam den Becher zurück, damit dieser die andere Hälfte trinke, so ist er angenommen. Ohne ein Wort zu sagen wird ihn das Mädchen leeren, wenn der Brautwerber ein bemittelter Mann ist und die Eltern ihr Töchterchen hoch genug bezahlt bekommen. Dann bedeutet das Leeren des Bechers : ja, ich will deine Frau werden. Lässt sie das Getränk stehen, so grämt sich der Liebhaber nicht sehr, vielmehr wandert er in eine andere Hütte, um dort nochmals sein Glück zu versuchen. ( Siegismund Israel.) Bei den Indianer- Völkern Nord - Amerikas war zwar die Ehe meist ein blosser Kaufvertrag unter den Eltern ; allein zwischen den jungen Leuten kam es doch auch zu einem Einverständniss unter Liebes werbung. Wer um ein Mädchen werben wollte , strebte sich auszuzeichnen und schickte seine beste Jagdbeute der Auserwählten, das ihm, wenn es ihm wohl wollte, davon ein Stück gekocht mit kleinen Liebesgaben zusandte. „ Wenn Jemand von den Itälmenen heyrathen will, berichtet Steller, so kann er auf keine andere Art zu einer Frauen kommen, als er muss sie dem Vater abdienen. Wo er sich nun eine Jungfer ausgesehen, da gehet er hin , spricht nicht ein Wort, sondern stellt sich, als ob er noch so lange daselbst bekannt gewesen wäre. Fänget an alle Hausarbeiten gemeinschaftlich mit vorzunehmen, und sich vor andern durch Stärke und Leistung angenehmer und schwerer Dienste den Schwiegereltern und seiner Braut angenehmer zu machen. Ob nun gleich in den ersten Tagen sowohl die Eltern als die Braut wahrnimmt, auf wen es abgesehen, dadurch weil er sich allezeit besonders um diejenige Person machet, mit allerlei Handreichung bemühet, und sich des Nachts so nahe zu ihr schlafen legt, als er immer kann, nichtsdestoweniger fraget ihn niemand, bis er nach ein-, zwei-, drei- , vierjährigen Knechtsdiensten soweit kommt, dass er nicht allein den Schwiegereltern, sondern auch der Braut gefällig werde. Gefället er nicht , so sind alle seine Dienste verloren und vergebens und er muss sich wieder ohne alle Bezahlung und Revanche wegpacken. Giebt ihm die letztere Zeichen von ihrer Gunst, so spricht er den Vater alsdann erst um die Tochter an und erkläret die Absicht seiner Dienste, oder die Eltern sagen selbst zu ihm, nun du bist ein fertiger und fleissiger Mensch, fahre also fort und sehe zu, wie du deine Braut bald betrügest und überkommst. Der Vater entsaget ihm niemaler seine Tochter, thut aber auch nicht mehr, als dass er spricht, gwatei, hasche, greife sie, alsdann gehet die Freyerey und Hochzeit zugleich an. Von der Zeit aber an, da der Bräutigam in der Wohnung arbeitet und dienet, hat er allezeit das Recht, zu probiren seiner Braut auf den Dienst zu lauern, ob er sie nicht unversehens überrumpeln könne. Die Braut hingegen siehet sich allzeit für , dass sie nicht mit ihm alleine in oder ausserhalb der Wohnung zusammenkomme, machet ihre Hosen fest zu, und verbindet dieselbe mit vielen starken Riemen, umwickelt sie mit Fischernetzen, nimmt er aber seine Gelegenheit in Acht, so fällt er auf einmal über sie her, schneidet mit steinern Messern die Fischernetze oder Riemen entzwei, auch wo er die Hosen nicht aufknüpfen kann, zerschneidet er dieselbe ; sobald die Passage offen, fährt er mit dem Mittelfinger in die Scham, ziehet darauf sein Halsgehänge von dem Hals ab und steckt solches zum Zeichen der Eroberung in der Braut Hosen. So aber die andern solches sehen, oder das Geschrei der Braut, welche sich zur Wehre stellet , hören, fielen sie alle über den Bestürmer der Jungferschaft her, schlugen ihn mit Fäusten, zogen ihn von der Braut mit den Haaren ab, hielten ihm die Arme, und musste er sich öfters bei dieser Bestürmung überaus zerschlagen lassen, bis er nun stark genug war, und zum Einstecken des Fingers in die Scham kam, da hatte er gewonnen. Die Braut selber verkündigte sogleich die Uebergabe, und alle liefen weg, liessen den Bräutigam bei seiner Braut, gelangte er aber nicht dazu , sondern sahe, dass der Sturm abgeschlagen war, so fing er wieder nach wie vorher an zu dienen ; niemand aber sagte ihm ein Wort, und lauerte er alle Tage und Stunden auf frische Gelegenheit . War die Braut dem Bräutigam sehr gewogen, so ergab sie sich bald in seinen Willen, verschanzte sich nicht so stark und gab ihm selbst Gelegenheit, dass Ploss, Das Weib. I. 3. Aufl . 24 370 XIV. Liebe und Liebeswerben. er bald dazu käme, doch aber musste allezeit eine Weigerung um die Ehre und die Oekonomie willen simulirt werden. " Uebrigens ist es auch nicht immer der Jüngling, welcher um das Mädchen. sondern bisweilen umgekehrt das Mädchen, welches um den Jüngling wirbt. So schickt auf der Insel Eetar im malayischen Archipel ein Mädchen, wenn sie einem Manne gewogen ist , diesem eine mit Tabak gefüllte Dose aus geflochtenen Koliblättern, welche symbolisch ihre Geschlechtstheile darstellt . Um den berühmten Krieger dagegen warben auch bei den Osagen die Mädchen durch Darbieten einer Maisähre, ohne sich dadurch etwas zu vergeben, und die Ehe selbst wurde meist nur dadurch geschlossen, dass bei einem Feste, das man veranstaltete , beide Theile ihren Willen, als Mann und Frau zu leben, öffentlich erklärten und man ihnen mit gemeinsamen Kräften eine Hütte baute. ( Waitz.) Haben wir hier entweder den Jüngling oder ausnahmsweise auch wohl das junge Mädchen in eigener Person als Werber auftreten sehen, so ist es doch bei weitem gebräuchlicher, seine Werbung durch eine Mittelsperson anbringen zu lassen. Während diese Freiwerber fast auf der ganzen Erde männlichen Geschlechts sind, und zwar entweder der Vater oder die Freunde des Bräutigams, so finden wir auf den Inseln des malayischen Archipels die Sitte, dass gerade Weiber dieses Werbegeschäft übernehmen müssen, und zwar müssen sie selber verheirathet und an Jahren bereits etwas vorgeschritten sein. Auch darf sich die Mutter des jungen Mannes dieser Obliegenheit unterziehen. Die sibirischen Türken ( Tataren) werden schon als Kinder mit einander verlobt. Der Vater des Knaben reitet mit einigen Bekannten zum Vater des Mädchens, um das er anhalten will , stellt sich und die Seinen vor, und nach der Begrüssung sagt der werbende Vater zum Brautvater : 27 Wenn die Flut vor Deinem Hause stürmt, so will ich gern ein schützender Damm Dir werden ; wenn der Wind vor Deinem Hause tobt, will ich gern eine bergende Mauer werden ; pfeifst Du mir, so will ich Dein Hund sein und herbeilaufen, und wenn Du mich nicht auf den Kopf schlägst, so trete ich gern in Dein Haus und will Dein Anverwandter werden. “ Dann nehmen die Werbenden die gestopften Pfeifen aus dem Munde und legen sie an den Herd. Darauf verlassen sie das Hans und kehren nach kurzer Pause wieder. Sind die Pfeifen nicht benutzt, so ist die Werbung abgewiesen und sie reiten nach Hause ; sind die Pfeifen aber ausgeraucht, so ist der Werber willkommen. Dann zieht der Vater des Bräutigams eine Schale hervor und füllt sie mit Airam ; einer seiner Begleiter stopft eine Pfeife, ein anderer ergreift eine glimmende Kohle vom Herd . So stehen sie harrend. Nun giebt der Vater des Mädchens seine Zustimmung. Er leert die Schale, nimmt die dargebotene Pfeife an und lässt sie sich durch die Kohle des Dritten anzünden. Dann folgt die Bewirthung und die Besprechung des Kalym, d . h. des Brautpreises. Er wird bei Aermeren auf 5 bis 15 Rubel angegeben. „ Der Verlobungsact endet damit, dass der Vater des Bräutigams den Eltern und den nächsten Anverwandten der Braut einige Ge schenke macht. " Der kleine Bräutigam hat dann, mit Geschenken versehen , wiederholentlich im Hause der Braut Besuche zu machen und hält sich oft längere Zeit dort auf. „ Er wird dann in Spiel und Arbeit der Genosse seiner Braut. " (Vambéry.) Die Werbung bei den Basutho ist nach den interessanten Berichten des Missionar Grützner eine sehr complicirte Sache. Zunächst sucht der Jüngling sich meistens mit dem Mädchen ins Einvernehmen zu setzen und von seinem Vater die Zustimmung zu er- halten. Dieser begiebt sich alsdann zum Vater des Mädchens . Es wird zuerst über allerlei Gleichgültiges gesprochen. Endlich rückt er mit dem eigentlichen Grunde seines Kommens heraus und sagt : Ich bin gekommen , ein Hündchen von Euch zu erbitten . Nach langer Pause und scheinbar tiefem Nachdenken antwortet der Angeredete : Wir sind arm, wir haben kein Vieh; hast Du Vieh ? Nun klagt der Werbende über die schlechten Zeiten, aber endlich , nach langem Feilschen , einigt er sich mit dem Anderen schliesslich über den zu zahlenden Kaufpreis in Vieh und kehrt nach Hause zurück. Danach wird ein zweiter Abgesandter, der den Titel „ mma ditsela " , „ Mutter der Wege" , d. h. Wegebereiter, führt, zum Kraale des Mädchens geschickt, der zu sagen hat : Ich 85. Die Brautwerbung und der Brautstand. 371 bin gekommen, Schnupftabak zu erbitten . Die alten Frauen fangen nun an, Schnupftabak zu mahlen (derselbe bildet steinharte, brodförmige Kuchen) und füllen eine als Schnupftabaksdose dienende Kalabasse damit, die dann durch einen besonderen Boten dem Bräutigam überbracht wird. Dieser ruft nun seine ganze Sippe zu der Feierlichkeit des Schnupfens zusammen. Nur dem Manne der ältesten Schwester des Bräutigams steht es zu, die Dose zu öffnen. Er schnupft einen reichlichen Theelöffel von dem Tabak und giebt die Dose weiter, die dann feierlich leer geschnupft wird . Tags darauf schickt man dem Vater des Mädchens ein Angeld an Kleinvieh . Die Dose wandert mit und wird der Braut übergeben ; diese umwickelt sie zierlich mit Perlen, und trägt sie immer, oder doch wenigstens bei feierlichen Gelegenheiten um den Hals. Das ist ihr „ Kind" , wie die Basutho sagen, d . h. das Zeichen , dass sie eine Gekaufte, oder nach unserer Bezeichnung eine Braut ist. Die Dose wird erst abgelegt, nachdem die junge Frau ihr erstes Kind geboren hat; dann macht sie die Perlen von ihr ab und hängt diese ihrem Kinde um. Die Boten, welche das Vieh überbrachten , sagen, sie seien geschickt, um ein Schöpfeimerchen" zu erbitten. Darauf stossen die Frauen ein Freudengeschrei aus, welches klingt, „ als wenn ein Dutzend Katzen ihre Musik anheben" . Dann wird gemeinsam Bier gezecht und Nachts liegen die 3-4 Boten mit 8-12 Mädchen in einem besonderen Hause. Zechen und Unzucht dauert 3-6 Tage. Die zweite Rate Vieh bringt nach einiger Zeit der Bräutigam selber mit nur einem Begleiter, ein Ehrenamt, zu dem sich Alle drängen. Sie bleiben dann 2-3 Monate dort, während welcher Zeit ein ähnliches Leben geführt wird. Das Essen dürfen sie aber nicht selber aus der Schüssel nehmen, sondern stets sitzen die Mädchen des Kraales neben ihnen, nehmen mit Stäbchen den Brei aus der Schüssel und nun erst , von dem Stäbchen weg, fassen die beiden mit der Hand zu und führen den Brei zum Munde. So oft der Bräutigam von neuem Vich mitbringt, darf er wiederkommen. Die Heimholung der Braut und die eigentliche Hochzeit finden aber erst viel später statt. Wie himmelweit sind diese Leute von dem idealen Nimbus entfernt, den bei civilisirten Völkern ein Brautpaar zu umgeben pflegt! In dem Glauben, oder besser gesagt in dem Aberglauben mancher Völker nimmt die Braut den übrigen Menschen gegenüber eine ganz besondere Ausnahmestellung ein, und man sieht in dieser Beziehung bisweilen selbst bei noch ziemlich niedrig in der Cultur stehenden Nationen einen ersten Schimmer von Idealismus zu Tage treten. Bei den Schlachtopfern der Tschuwassen wird das Fleisch des Opferthieres gekocht, die Eingeweide werden verbrannt und Kopf, Füsse und Haut an den Bäumen aufgehängt. ,, Es legt nun jeder in die Höhlung eines Baumes eine Geldgabe, während die Frauen, die anwesend sind, auf den Zweigen irgend eine Handarbeit aufhängen. " Die Frauen dürfen aber bei dieser feierlichen Handlung kein Gebet sprechen, nur eine Braut ist von diesem Verbote nicht betroffen. (Vambéry. ) In der deutschen Schweiz muss eine Braut sich wohl hüten. einem Kinde ein unfreundliches Gesicht zu machen, weil sie sonst böse Kinder bekommt. Wenn sie aber gar sich so weit vergässe, einem Kinde etwas Böses anzuwünschen, dann würde sie in ihrem ersten Wochenbette ganz sicherlich ihren Tod finden. Wir müssen der Versuchung widerstehen, uns hier auf eine ausführliche Erörterung aller der Förmlichkeiten einzulassen, welche die althergebrachte Sitte bei den verschiedenen Völkern unseres Erdballes für die Brautwerbung fordert. In gleicher Weise sind wir auch gezwungen, die mannigfachen Hochzeitsceremonien zu übergehen, welche bei den einzelnen Volksstämmen gebräuchlich sind. Es würde hierfür der Raum eines Abschnittes und selbst. ein ganzes Capitel nicht ausreichen Eine auch nur annähernd genaue und vollständige Besprechung dieser Dinge würde einen ganzen Band in Anspruch nehmen. Und das wäre dann eben ein Werk für sich und passte nicht in den Rahmen der vorliegenden Untersuchungen. 24* 99 XV. Die Ehe. 86. Die Entwickelung der Ehe. Man pflegt gewöhnlich zu sagen, der nächste und höchste Zweck der Ehe ist die Erzeugung der Nachkommenschaft. Dass, um diesen Erfolg zu erzielen, aber die Ehe nicht durchaus erforderlich ist, das bedarf wohl kaum einer weiteren Erörterung. Viel schwerer ist die Frage zu entscheiden, wie entstand die Ehe und ist das, was man heutzutage Ehe nennt, schon im Urzustande der Menschheit vorhanden gewesen? Mit dieser culturhistorisch wichtigen Frage haben sich in neuerer Zeit viele Anthropologen beschäftigt . Die Idee, dass Weibergemeinschaft und zwanglose Vermischung beider Geschlechter im Urzustande der Menschheit geherrscht habe, ist nicht neu. Die alten Schriftsteller Plinius, Herodot und Strabo berichteten von Völkern, die zu ihrer Zeit in einem solchen oder einem ähnlichen Zustande lebten ; darauf hin wurde von französischen Philosophen des vorigen Jahrhunderts die Meinung ausgesprochen : „ Die Vernunft allein würde eher den gemeinschaftlichen Gebrauch, als den ausschliessenden Besitz der Weiber anrathen". (Baile. ) Zweifel erhoben sich allerdings gar bald gegen diese Theorie : Wenn diese vollkommene Gemeinschaft der Weiber und Güter je bestanden hat, so konnte sie doch nur unter Volkshaufen bestehen, die nach Art der Wilden bloss von den Wohlthaten der unbebauten Natur, d. h. in sehr geringer Anzahl auf einer grossen Strecke Landes lebten . Wären die Weiber gemeinschaftlich, welcher Mann würde sich mit dem Kinde belästigen, bei welchem er mit vollem Rechte zweifeln könnte, ob er der Vater sei ? Und da sich die Frau für sich allein ausser Stande betände, ihr Kind zu ernähren, so würde sich das Menschengeschlecht nicht erhalten können. " Mit diesen Worten ( Virey) und durch andere Einwürfe war die Angelegenheit keineswegs abgeschlossen, vielmehr war es die Aufgabe der Culturgeschichte und der Anthropologie, ihr ernstlich näher zu treten. Zunächst musste man eine Beantwortung durch die bei vielen Urvölkern noch heute in ihrem Familienwesen wahrgenommenen Verhältnisse zu gewinnen hoffen. Schon längst hatte man gefunden , dass bei nicht wenig Völkern alle Familienrechte von der Mutter, nicht vom Vater abgeleitet werden. Dahin gehört das Neffenerbrecht, d. i . das Recht, den Bruder der Mutter mit Ausschluss von dessen Nachkommen zu beerben. Aus dieser und ähnlichen Erscheinungen constatirte man ein sogenanntes Matriarchat, welches, wie man annahm, dem Patriarchat , d. h. der Vaterherrschaft, vorausgegangen wäre. 86. Die Entwickelung der Ehe. 373 Vor Allem aber war es Lubbock , dann auch M'Lennan, Lewis, Morgan, Post, v. Hellwald und Wilken, welche die Ansicht aufstellten, dass ursprünglich keine eigentlichen Ehen, daher auch keine Familien existirten, sondern nur Geschlechterverbände oder Geschlechtsgenossenschaften , in denen eine Gemeinschaftsehe (communal marriage) bestand. In dieser hätten sich alle zu dieser kleinen Gemeinschaft gehörenden Männer und Frauen als gleichmässig unter einander verheirathet betrachtet. Diese eigenthümlichen Zustände bei den Horden der Urmenschen bezeichnete Lubbock als Hetärismus , wie Peschel sagt, ein hässliches Wort für eine hässliche Sache, die nicht einmal ihre Berechtigung habe. Peschel giebt zu, dass bei jenen Völkern die Thätigkeit des Vaters bei der Erzeugung der Kinder als untergeordnet betrachtet werde. Er hält jedoch nicht für wahrscheinlich , dass in den ältesten Zeiten alle Stammgenossen mit einander in ungeschiedenem ehelichen Umgange lebten. Aus linguistischem Materiale lassen sich keine Aufschlüsse über Ursprung und Entstehung der Ehe gewinnen. Allein noch halten nicht Wenige, z. B. Kaltenbrunner, fest an den schon von Giraud- Teulon aufgestellten typischen Formen der Ehe: 1 ) Ungetheilte Familie (famille indivise) ist eine Gruppe von meist blutsverwandten Personen, worin die Frauen und Kinder nicht einen bestimmten Gatten oder Vater speciell, sondern mehr oder weniger allen zusammen gehören. 2) Segmentarische Familien : das Familienhaupt besitzt seine eigenen Frauen, die Brüder haben die ihrigen gemeinsam und die Schwestern gehören collectiv denselben Gatten (Hindostan, Todas). 3) Die Individual - Familie , in der es sich nicht mehr um Collectivbesitz, sondern um persönliche Sonderverbände handelt ; jeder Mann besitzt eine oder mehrere Frauen (Monogynie, Polygynie), oder eine Frau besitzt mehrere Männer (Polyandrie) . Dies sind die Formen, in welchen sich die geschlechtliche Verbindung bei den Völkern zeigt. Zunächst haben wir nun zu untersuchen, ob sich aus diesen Typen, von der ungetheilten Familie beginnend, eine Stufenleiter in der Entwickelungsgeschichte der Ehe verfolgen lässt. Als Urtypus der primitiven Geschlechtsgenossenschaft wurde namentlich von Bachofen ein Verhältniss bezeichnet, bei dem eine Gruppe von Blutsverwandten durch Abstammung von derselben Stammmutter zusammengehalten wurde. Dieser Autor brachte für die von ihm nach Strabo als Gynäkokratie bezeichnete Form socialen Zusammenhanges als Beweismittel aus griechischen und römischen Schriftstellern Berichte von einzelnen Völkerschaften bei, deren Bürgschaft doch recht zweifelhaft ist. Wenn wir allerdings schon zugegeben haben, dass man ein auf das System der Weiberverwandtschaft gestütztes Genossenschaftswesen bei den verschiedensten nord- und südamerikanischen Indianerstämmen, bei zahlreichen Völkerschaften der Südsee , bei indischen Urbevölkerungen, bei vielen afrikanischen Stämmen (sowohl Neger- wie Congo - Völkern ) findet, so darf man aus dieser Thatsache doch nicht schliessen, dass es eine Zeit gegeben habe, wo diese Organisation allein auf der Erde bekannt war. Prüfen wir nun die Hypothese, dass ursprünglich im Leben der Menschheit Weibergemeinschaft bestanden habe, so kann man ja theoretisch dagegen nichts einwenden. Aber Sagen über Einführung der Ehe (bei Chinesen , Aegyptern u. s. w. ) haben keinen Werth für den Beweis einer ursprünglichen Weibergemeinschaft. Fernerhin kann, wie Schmidt bemerkt, aus dem regellosen Geschlechtsverkehr, der im Leben einzelner sogenannter Naturvölker beobachtet wurde, nicht ohne weiteres gefolgert werden, 374 XV. Die Ehe. dass dieser Gebrauch aus der Urzeit der Menschheit stammt. Solchem Hetärismus können örtliche Verirrungen und Sittenverwilderung zu Grunde liegen. Tschernischeff sagt : „ Eine der hervorragenden Stellen unter den Ueberbleibseln des ehelichen Communismus der Urzeit gehört den Erscheinungen, in welchen der freie geschlechtliche Umgang der Mädchen mit dem strengen Umgange der verheiratheten Frauen verbunden auftritt. Solche Erscheinungen wurden bei vielen Völkern constatirt. Wir begegnen ihnen bei den Kaffern , in Guinea , Mayumbe , bei den Bergstämmen Garos und Loaschai , in der Provinz Arakana , auf den Andamanen , auf den Poggi- und Nassau- Inseln , in Wadai und Darfur, auf den Marianen, Carolinen und Marshall - Inseln , bei den Chibchas in Neu- Granada , den Rankelen , Patagoniern u. s . w. Jetzt kann man diesem langen Register noch die Slaven anreihen, über welche der arabische Geograph Al- Bekri ( 11. Jahrh. ) schreibt : „ Die Frauen der Slaven , nachdem sie in die Ehe getreten sind, brechen die Ehe nicht. Liebt aber die Jungfrau Jemanden, so geht sie zu ihm und befriedigt bei ihm ihre Leidenschaft. Und wenn der Mann heirathet und seine Braut jungfräulich findet, so sagt er ihr: „ Wäre an Dir etwas Gutes, so hätten die Männer Dich geliebt und Du hättest Jemand gewählt, der Dich Deiner Jungfräulichkeit beraubt hätte", dann verjagt er sie und sagt ihr ab. " So zweifelhaft es nun erscheint, dass einst sämmtliche socialen Zustände sich auf eine Weibergemeinschaft gegründet haben, so können wir doch nicht in Abrede stellen, dass es auch heute noch Völker giebt, bei denen sich kaum von dem viel vorfindet, was wir Ehe nennen . Namentlich einige Negervölker gehören hierhin und wahrscheinlich hat gerade durch den Umstand, dass man niemals recht wissen konnte, wer eigentlich der Vater des Kindes sei, das Mutterrecht sich ausgebildet . Aber wenn wir das Mutterrecht jetzt auch noch bei manchen Völkern in Kraft antreffen, so kann man doch daraus noch nicht den Schluss ziehen, dass es allüberall einst in prähistorischer Zeit lediglich völlig freie Geschlechtsgenossenschaften gegeben habe. Auch Lippert, welcher nachzuweisen sucht, dass das Mutterrecht dem Vaterrecht vorausging , stützt seine Hypothese, dass die Frauenherrschaft die culturgeschichtlich früheste Stufe war, auf eine Reihe von Erscheinungen im Völkerleben, welche einen bestimmten Schluss auf prähistorische Verhältnisse, namentlich auf allgemein herrschende Rechtszustände des Weibes kaum zulassen . Es lässt sich hierüber Folgendes sagen : Erwiesen ist die Existenz des Mutterrechtes in verschiedener Gestalt bei vielen jetzt lebenden, auf niedriger Culturstufe stehenden Völkerschaften, auch die Abgrenzung desselben gegenüber dem Vaterrecht ; die Möglichkeit, ja sogar die Wahrscheinlichkeit, dass das Mutterrecht in grosser Ausdehnung dem Vaterrechte vorausging , so lange sich feste Eheverhältnisse noch nicht gestaltet hatten, ist nicht abzuleugnen . Unerwiesen , doch als eine noch discutable Hypothese aufzufassen, ist die Existenz der Weibergemeinschaft sowie die Weiberherrschaft (Gynäkokratie) in der Frühzeit des Menschengeschlechts ; wenn auch möglich , so sind solche Verhältnisse doch nicht über allen Zweifel durch sogenannte „ Rudimente in Brauch und Sitte" und durch „ Nachklänge in Mythe und Sage" nachgewiesen. Wenigstens lässt sich die Entstehung vieler als Rudimente" oder „ Nachklänge" aufgefasster Erscheinungen recht wohl auf andere Weise erklären, als lediglich durch die Annahme, dass sie die Ueberbleibsel einer ehemals " 86. Die Entwickelung der Ehe. 375 allgemein verbreiteten Weibergemeinschaft und Weiberherrschaft sind. Dagegen gestehen wir zu, dass sich einige Erscheinungen recht wohl durch diese theoretische Annahme erklären lassen. In ausgezeichneter Weise äusserte Adolf Bastian in einem Vortrage vor der Berliner anthropologischen Gesellschaft seine Ansichten über die Entwickelung der verschiedenen Formen der Ehe und über das Matriarchat und Patriarchat. Es handelt sich bei dem Mutterrechte , bei dem Matriarchate nicht etwa um eine Bevorzugung der Frau, sondern vielmehr um jene tiefste Verachtung, die dem schwächeren Geschlechte unter dem Rechte des Stärkeren nicht erspart werden kann. Man muss zunächst den Primärzustand primitiver Horden in Betracht ziehen, wo sich der Gegensatz der Geschlechter so entschieden ausspricht, dass sie sich feindlich gegenüberstehen. Nicht liberorum quaerendorum causa findet gelegentliches Zusammentreffen statt, sondern die Ursächlichkeit liegt in der Brunst des Geschlechtstriebes , und hierbei vermögen die Frauen, als das passiv gewährende Element, durch die zustehende Macht der Versagung eine Art Superiorität zu bewahren, so dass bei den Papua z. B. jede Beiwohnung mit dem dort üblichen Muschelgeld besonders bezahlt werden muss. Bei den Aschanti herrscht wie der König über die Männer, so seine Schwester über die Frauen. Eine fernere Trennung in der primären Horde ist diejenige nach Altersklassen, wo in jeder einzelnen und bei allen unter einander das Recht des Stärkeren so recht zur Geltung gelangt, und aus diesem Rechte des physisch Stärkeren entsteht durch fortschreitende Cultivirung das Recht des geistig Stärkeren der bisher dem Tode verfallene Altersschwache wird fortgepflegt, um aus seinem durch langjährige Erfahrungen angesammelten Weisheitsschatze Vortheile zu ziehen. Hier lassen sich schon culturelle Prädispositionen spüren, während im Zustande wilder Rohheit nur die Stärkeren herrschen. Diese also, von der im Thiere schon mächtigsten Lust getrieben, werden sich zunächst die Frauen aneignen, und zwar die anlockenden besonders, also die Jüngeren und Verführerischen. Die nächst tiefere Altersklasse, die, obwohl körperlich vorläufig schwächer, den Geschlechtstrieb doch feuriger noch gähren fühlt, kommt dadurch in eine missliche Lage, da, wenn Frauen überhaupt, höchstens die Widerlichen und Abgelebten noch übrig sind. Sie kommen daher dazu , sich aus einem Nachbarstamme Weiber zu rauben, was von Seiten dieses zu entsprechenden Racheraubzügen führt. Die schliessliche Lösung pflegt in Herstellung einer Epiga mie gefunden zu sein, und mit solchem gegenseitigen Verständniss über Connubium und Commercium fällt dann in die Nacht roher Barbaren der erste Lichtstrahl künftiger Civilisation unter dem Schutz des Gastrechts durch einen Deus fidius. So wird es Brauch und Sitte, aus fremdem Stamme zu heirathen ; es folgt die Exogamie , die die Heirathen zwischen Genossen desselben Stammes, desselben Totems u. s . w. vollständig verbietet. Die herrschende Kaste bleibt aber bisweilen bei der Endogamie, bei der Heirath unter den Stammesgenossen, um das edle Blut unvermischt zu erhalten. Und das kann sich soweit steigern, dass es selbst zu Heirathen zwischen Bruder und Schwester kommt. So war es in den Dynastien der Inca und der Achämeniden , so finden wir es noch bei den Weddah in Ceylon , während die Beduinen sich mit dem Anrecht auf die Cousine begnügen. Für die aus dem anderen Stamme entnommene Frau ist nun diesem eine Entschädigung oder mit anderen Worten ein Kaufpreis zu zahlen. Damit ist aber bestenfalls nur die Frau selbst verkauft, wogegen der Stamm auf das- 376 XV. Die Ehe. jenige, was in ihr noch zeugungsfähig verschlossen liegt, sein Besitzrecht fortbewahrt, also auf die Kinder. Diese gehören deshalb überall bei den Naturstämmen nicht dem Vater, sondern der Mutter, und ersterer kann selbst zu einer Strafzahlung angehalten werden, wenn ihm ein Kind stirbt. Denn durch diesen Tod wird das Vermögen des Stammes der Mutter geschmälert. Deshalb wird bei den Dualla im Voraus für die Kinder eine Zahlung geleistet, welche bei etwaiger Kinderlosigkeit wieder zurückgezahlt wird. So finden wir die Ehe durch Kauf als die am weitesten verbreitete, und solange die Kinder der Mutter angehören, sind sie auf den Mutterbruder als den natürlichen Beschützer hingewiesen. Mit dem Vater haben die Kinder nichts weiter zu thun und ebensowenig mit dem Stamme, in welchem sie leben, da sie ja eben dem Stamme der Mutter angehören. Und so kann es kommen, dass sie in Kriegszeiten mit dem letzteren gegen den Stamm zu kämpfen gezwungen sind, in welchem sie geboren wurden. En Australie , lorsqu'une guerre éclate entre deux peuplades, elle est dans chaque tribu le signal du départ d'un grand nombre de jeunes gens, qui vont rejoindre la tribu de leurs parents maternels, de sorte qu'il n'est pas rare de voir le père et le fils dans des camps opposés. (Giraud- Teulon.) Für den im Culturinteresse peremptorisch geforderten Uebergang von dem Matriarchat zu dem Patriarchat ist es möglich geworden, einige Phasen in ethischer Entwickelung zu belauschen. Das durchgreifende Motiv liegt in den in der Vaterbrust erwachenden Sympathien für die Kinder seines eigenen Fleisches, wenn auch nur deshalb, weil sie bei dem mit dem Sesshaftwerden verknüpften Ackerbau in dem Hause als Mitarbeiter geboren sind, da es unvortheilhaft wäre, sie daraus wieder zu entlassen, und die deshalb lieber mit der Aussicht auf zustehende Erbfolge an der heimischen Scholle festgehalten werden. Bisweilen giebt es dann Competenzconflicte mit dem Oheim, und bei den Navajo kommt es vor, dass der Vater noch bei Lebzeiten den eigenen Kindern sein Vermögen schenkt, um die Fremden, denen es rechtlich zustehen würde, darum zu betrügen. Auch in der wunderlichen Sitte des Männerkindbettes haben wir eine symbolische Form der Ablösung des Mutterrechtes durch den Vater zu erkennen. Ein Erobererstamm jedoch, der sich aus den Unterworfenen seine Frauen gewaltsam entnimmt, wird ohne Weiteres das Vaterrecht einführen . Und so gelangen wir zu der vereinigten Familie mit dem geheiligten häuslichen Herd und mit dem Vater als Patriarchen an der Spitze. Ausser der Endogamie und Exogamie, welche wir bereits kennen gelernt haben, die erstere als Heirath aus dem gleichen, die letztere als Heirath aus einem fremden Stamme, haben wir noch einiger anderer Bezeichnungen zu gedenken. Polygamie heisst eigentlich Vielheirath, wird gewöhnlich aber für Vielweiberei (Polygynie) , d . h. eheliche Verbindung eines Mannes mit mehreren Frauen, gebraucht. In der Form der Vielmännerei ( Polyandrie) war und ist die Polygamie weit seltener. Je nach der Zahl der Individuen, welche mit einer Person des anderen Geschlechts ehelich vereinigt sind, heisst die Polygamie wieder Bigamie , Trigamie etc. Die Vielweiberei ist über ganz Afrika verbreitet und bei fast allen asiatischen Völkern durch Sitte und Religion verstattet, dagegen wird sie in Amerika unter den Indianervölkern selten angetroffen. Schon bei den alten Hebräern kam nach dem Zeugniss einiger Bibelstellen Polygamie vor, wie jedenfalls auch bei manchen anderen semitischen Völkern des Alterthums; den Mohammedanern erlaubt der Koran (Sure 4) ausdrücklich die Ehe mit mehre- 86. Die Entwickelung der Ehe. 377 ren Weibern. In der Türkei ist Polygynie erlaubt , doch weit seltener, als man in Europa annimmt; nur Wohlbemittelte können dort mehrere Frauen unterhalten, denn ein zahlreich bevölkerter Harem verursacht einen grossen Kostenaufwand. Namentlich pflegen Beamte, welche Versetzungen an einen anderen Ort ausgesetzt sind, selten in Polygamie zu leben, weil die Frauen nicht gezwungen sind, dem Manne in seinen neuen Bestimmungsort zu folgen , während andererseits der Mann auch die zurückbleibende Frau standesgemäss zu unterhalten verpflichtet ist . - Der Perser darf gesetzlich nicht mehr als vier rechtmässige Frauen zu gleicher Zeit haben, mit denen er eine auf die Dauer verbindliche Ehe geschlossen hat. Vambéry äussert sich in folgender Weise : „,, In den mohammedanischen Ländern ich schrecke vor der Kühnheit der Behauptung nicht zurück wird unter Tausenden von Familien höchstens eine einzige gefunden, in der man die legale Erlaubniss zur Vielweiberei in Anspruch nimmt. Beim türkischen , persischen , afghanischen und tatarischen Volke (d. h. bei den unteren Ständen) ist sie unerhört, ja undenkbar, da mehrere Frauen auch grösseren Aufwand bedingen. Ebenso selten und ganz vereinzelt kommt sie bei den Mittelklassen vor. In den hohen und allerhöchsten Kreisen freilich wuchert dieses sociale Uebel in erschreckender Weise. " Dagegen fand v. Maltzan in den Städten Arabiens in der Regel mehrere Frauen in einem Hause, und von den Arabern Jerusalems haben auch die allerärmsten wenigstens zwei. Auch die Germanen hatten Polygynie. Adam von Bremen erzählt von den Schweden , dass sie in allem Maass hielten, nur nicht in der Zahl ihrer Weiber: Ein jeder nehme nach Verhältniss seines Vermögens zwei oder drei oder noch mehr, die Reichen und die Fürsten ohne Beschränkung der Zahl, und es seien dieses rechte Ehen, denn die Kinder daraus seien vollberechtigt. Ausser bei den Skandinaviern kommt die Vielweiberei noch ziemlich spät bei den vornehmen Franken vor : König Chlotar I. nahm zwei Schwestern zu Gemahlinnen, Charibert I. hatte viele Frauen, Dagobert I. drei Frauen (und unzählige Kebse). Es waren dies wirkliche, durch Brautkauf, Verlobung und Heimführung geschlossene Ehen, neben welchen bei den Germanen das Concubinat bestand, wo aber die Kebse weder Rang noch Rechte der Ehefrau hatten. Das Concubinat bestand während des ganzen Mittelalters bei den Reicheren noch fort, ohne dass die öffentliche Meinung Anstoss daran nahm. Schliesslich bestand auch unter den Slaven bis zur Einführung des Christenthums eine durch. kein Gesetz beschränkte Polygynie. Wenn aber das indische Gesetz Monogamie vorschrieb, so galt dies nur für die Sudras, die unterste Kaste, die armen Leute, deren Mittellosigkeit schon zu dem Brauche monogamischen Lebens geführt hatte; die Vaicja- Kaste durfte ein bis zwei Frauen nehmen, die der Krieger zwei oder drei, den Brahmanen waren sogar vier gestattet. Unter allen christlichen Völkern wird aber seit langer Zeit die Polygamie durch Kirche und Staat verpönt (Bigamie) ; nur die Mormonen lassen die Vielweiberei gesetzlich zu und halten sie sogar für eine Gott wohlgefällige Institution. Allerdings traten auch in Deutschland zu manchen Zeiten Anhänger der Polygynie auf (Wiedertäufer zu Münster 1533) ; auch suchten im 17. Jahrhundert Joh. Lyser, Lorenz Berger u. a. durch ihre Schriften die Polygynie zu vertheidigen, letzterer insbesondere auf Anstiften des Kurfürsten von der Pfalz, der zwei Frauen nahm. Allein allgemein ist unter den civilisirten Völkern anerkannt, dass die sittliche Ord- 378 XV. Die Ehe. nung den polygamischen Ehen entschieden abhold sei, und dass man, namentlich im Hinblick auf den Orient und auf die Geschichte der morgenländischen Königshäuser, die Vielweiberei als schlimmes sociales Gebrechen bezeichnen müsse. Als Gründe für die Herrschaft der Polygynie bei vielen Völkern werden angeführt : die schnelle Entwickelung und frühe Heirathsfähigkeit der Mädchen und die ausdauernde Kräftigkeit der Männer. Allein die religiösen und ethischen Anschauungen von der Ehe und von der Stellung der Frau in der Familie verurtheilten bei allen gebildeten Nationen die Polygynie. Polyandrie (Vielmännerei) ist die Verbindung einer Frau mit mehreren Männern. Sie ist am verbreitetsten unter den Völkern auf Ceylon . in Indien , insbesondere bei den Toda , Cong, Nair und anderen Stämmen im Nilgirigebirge , ferner in Tibet, bei den Eskimo . Aleuten , Konjagen und Koljuschen; auch fand man diese Sitte unter den Ureinwohnern am Orinoco sowie bei australischen, nukahiwischen und irokesischen Stämmen. Auf Ceylon und bei den Völkerschaften am Fusse des Himalaya sind die gemeinsamen Gatten der Frau stets Brüder. Fast genau so hielten es die alten Briten zu Cäsar's Zeit. Die Sitte der Polyandrie scheinen Sparsamkeitsrücksichten bei mehreren der genannten Völker aufrecht zu erhalten ; ebenso ist Armuth die Veranlassung, dass unter den Herero in Süd- Afrika Polyandrie bisweilen vorkommt. v. Ujfalvy hat im Kululande im westlichen Himalaya Ehegenossen- schaften angetroffen, wo 4 bis 6 Männer mit einer Frau lebten. Diese Männer waren immer Brüder. Die Kinder sprechen von einem älteren und jüngeren Vater, und sobald ein Gatte die Schuhe eines seiner Brüder vor dem Ehegemache erblickt, so weiss er, dass er dasselbe nicht zu betreten hat. Wenn im südlichen Indien Ehen von einer Brüderzahl mit mehreren Schwestern geschlossen werden, und wenn bei den Polynesiern der HawaiiInseln unter dem Namen Pimula die Sitte herrschte, dass Brüder gemeinsam ihre Frauen, Schwestern gemeinsam ihre Männer besassen, so bemerkt Peschel hierzu ganz richtig, dass es sehr gewagt sein würde, diese vereinzelten Bräuche als nothwendige Vorstufen zur strengen Ehe zu bezeichnen. Bei manchen Polynesiern gilt sogar als eigenthümliche Sitte die sogenannte Blutsfreundschaft, wonach zwei Männer, nachdem sie mit einander eine auf einem gegenseitigen Schutz- und Trutzbündniss beruhende Freundschaft geschlossen, zur Weibergemeinschaft sich verpflichten. Bei Nicht immer ist bei einem Volke nur eine bestimmte, einheitliche Form der Eheschliessung gebräuchlich. Unter den Malayen zu Menangkabao auf Sumatra , bei denen sich die verwandtschaftlichen Beziehungen nach der Frau bestimmen und das Vermögen der Frau durch sie vererbt wird, giebt es eine dreifache Art der Ehe: die Heirath durch djudjur ist ein vollständiger Kauf der Frau; diese und die Kinder werden Eigenthum des Mannes und fallen nach seinem Tode an seine Erben. der Heirath durch semando giebt der Mann ein bestimmtes Geschenk, beide Ehegenossen stehen auf dem Fusse der Gleichheit und haben gleiche Rechte auf Kinder und errungenes Vermögen. Bei der durch ambil anak geschlossenen Ehe zahlt der Mann nichts und tritt in eine untergeordnete Stellung zur Familie der Frau; er hat kein Recht auf die Kinder. Neben diesen Hauptarten der Ehe giebt es noch mehrere Uebergangsformen. Um nur noch ein Volk zu nennen, erwähne ich, dass in Persien die Ehe entweder akdi 87. Die Probe- Ehe. 379 ist, d. h. auf die Dauer verbindlich, so lange nicht ein Grund zur Scheidung geltend gemacht werden kann, oder sighei, d. h. nur auf eine vertragsmässige Zeit. Die Akdi entspricht ganz unserer Ehefrau, auch darf gesetzlich der Perser deren nicht mehr als eine zu gleicher Zeit haben. Sighe, d. h. die durch Vertrag geheirathete Frau, wird gegen ein gewisses Entgeld und gegen festgesetzte Entschädigung bei eintretender Schwangerschaft geheirathet ; während dieser fixirten Zeit geniesst sie die vollen Rechte einer legalen Frau ; nach Ablauf des Vertragstermins aber ist sie dem Manne gesetzlich verpönt. Ich denke, die vorstehenden Auseinandersetzungen werden genügend sein, um dem Leser ein ungefähres Bild von der Vielseitigkeit der Formen zu geben, unter welchen das Weib sich mit dem Manne zu einer mehr oder weniger dauernden Gemeinschaft verbindet, und für manche Gebräuche, welche im ersten Augenblick uns sinnlos und paradox erscheinen , ist auch hier wieder das genaue Studium der vergleichenden Ethnologie die nöthigen Erläuterungen und das volle Verständniss zu geben im Stande gewesen. 87. Die Probe- Ehe. Wir müssen hier noch einer Form der Ehe gedenken, welche man mit dem Namen der Probe - Ehe bezeichnen kann. Dieselbe besteht in der sonderbaren Sitte , dass ein verlobtes Paar eine bestimmte Zeit hindurch, bisweilen selbst auf mehrere Jahre hin in regelmässiger geschlechtlicher Gemeinschaft lebt, dass aber die Ele nur dann definitiv abgeschlossen wird, wenn während dieser Probezeit es dem Bräutigam gelingt, bei seiner Verlobten eine Schwängerung zu erzielen. Bleibt die Befruchtung aus, so wird angenommen, dass diese beiden Menschen nicht zu einander passen und sie gehen dann wieder aus einander. Nicht selten findet sich für die unter solchen Umständen verlassene Braut sehr bald wiederum ein neuer Bewerber, der willig eine neue Probezeit mit ihr durchlebt. Ein Mädchen wieder zu verlassen, das man in einer solchen Probe- Ehe geschwängert hat , gilt für eine ganz besondere Schändlichkeit und unterliegt der allgemeinen Verachtung. G. v. Bunsen berichtet, dass in mehreren Theilen von Yorkshire noch die Ehe auf Probe besteht. Das Verlassen der Braut nach eingetretener Schwängerung wird von der Nachbarschaft auf das Strengste geahndet. Die solennen Worte des Bräutigams beim Eingehen eines solchen Probeverhältnisses lauten : If thee tak, I tak thee (wenn Du empfängst, nehme ich Dich) . 99 Ganz ähnlich wurde dem Herausgeber im Jahre 1884 in Masuren (Ostpreussen) berichtet , dass dort das sogenannte Probejahr bei der Landbevölkerung ein ganz allgemeiner Gebrauch wäre. Auch hier wird nur die Ehe später wirklich geschlossen, wenn sich bei der Braut eine Schwangerschaft einstellt. Ganz Aehnliches erzählt auch Fischer aus dem Schwarzwalde , wo man eine Unterscheidung zwischen den Kommnächten und den Probenächten macht. Die ersteren gehen den letzteren immer vorauf und die jungen Mädchen beginnen mit ihnen, sobald sie eben erwachsen sind. Die Landleute finden ihre Gewohnheit so unschuldig, dass es nicht selten geschieht, wenn der Geistliche im Orte einen Bauern nach dem Wohlsein seiner Töchter fragt, dieser ihm zum Beweise , dass sie gut heranwüchsen, mit aller Offenherzigkeit und mit einem väterlichen Wohlgefallen erzählt, dass sie schon anfingen, ihre Kommnächte zu halten. " " 380 XV. Die Ehe. Die Kommnächte sind nun allerdings noch ziemlich unschuldiger Natur. Der junge Bursche darf nicht zur Thüre in das Haus hinein, sondern er muss den Weg durch das Fenster in die Schlafkammer seiner Geliebten wählen , was bisweilen einige halsbrecherische Turnübungen erforderlich macht. In der Kammer findet er das Mädchen vollständig angekleidet im Bette liegen und alle seine Mühe und Anstrengung schafft ihm fürs Erste keinerlei andere Vortheile, als dass er einige Stunden mit seiner Geliebten plaudern kann. „Sobald sie eingeschlafen ist , muss er sich plötzlich entfernen und erst nach und nach werden ihre Unterhaltungen lebhafter. " Nun gehen die Kommnächte allmählich in die Probenächte über. „ In der Folge giebt die Dirne ihrem Buhlen unter allerlei ländlichen Scherzen und Neckereien Gelegenheit, sich von ihren verborgenen Schönheiten eine Erkenntniss zu erwerben, lässt sich überhaupt von ihm in einer leichten Kleidung überraschen und gestattet ihm zuletzt alles , womit ein Frauenzimmer die Sinnlichkeit einer Mannsperson befriedigen kann. Doch auch hier wird immer noch ein gewisses Stufenmaass beobachtet. Sehr oft verweigern die Mädchen ihrem Liebhaber die Gewährung seiner letzten Wünsche so lange, bis er Gewalt braucht. Dies geschieht allezeit, wenn ihnen wegen seiner Leibesstärke einige Zweifel zurück sind. " Ein Wiederauseinandergehen nach einigen Probenächten findet nicht selten statt. „ Das Mädchen hat dabei keine Gefahr, in einen üblen Ruf zu kommen, denn es zeigt sich bald ein Anderer, der gern den Roman mit ihr von vorne anhebt. Nur dann ist ihr Name zweideutigen Anmerkungen ausgesetzt , wenn sie mehrmals die Probezeit vergebens gehalten hat. Das Dorfpublikum hält sich auf diesen Fall schlechterdings für berechtigt , verborgene Unvollkommenheiten bei ihr zu argwöhnen. “ Es ist in hohem Grade wahrscheinlich, dass auch noch in vielen anderen Theilen Deutschlands unter der Landbevölkerung solche Probe- Ehen, wenn auch vielleicht nicht ganz allgemein , so doch vielfach gebräuchlich sind. Das geschwängerte Mädchen sucht sich später einen lukrativen Ammendienst, und nach Ablauf ihrer Ammenzeit kehrt sie in ihre Heimath zurück, und pflegt sich dann bald definitiv zu verheirathen . Auch hier wird es gewöhnlich als ein grober Treubruch angesehen, wenn der ehemalige Geliebte sich weigert, das Mädchen jetzt zum Altare zu führen. Von Fischer werden viele Beispiele herangezogen , aus denen es sehr wahrscheinlich gemacht wird, dass diese Sitte der geschlechtlichen Probe vor der Hochzeit eine bei Hoch und Niedrig allgemein gebräuchliche gewesen sei . Er bringt hiermit den Gebrauch des feierlichen öffentlichen Beilagers vor der Hochzeit in Verbindung und sucht seine Behauptung dadurch zu stützen, dass auch bei den Ehen per procuram der gekrönten Häupter deren bestellter Vertreter mit der fürstlichen Braut das Beilager abhalten musste, allerdings geharnischt an der rechten Körperhälfte. Papst Alexander III. traf die Verordnung, dass von zwei Bräuten diejenige die wahre Ehefrau bleiben solle , mit der der Verlobte bereits den Beischlaf ausgeübt habe ; und das 52. Gesetz der Alemannen besagt, dass wer mit einer Braut das Verhältniss abgebrochen hatte, schwören musste „dass er sie weder aus Argwohn irgend eines Gebrechens auf die Probe gestellt, noch auch wirklich etwas dergleichen bei ihr entdeckt habe. " Dass auch bei niederen Völkerschaften mancherlei Anklänge an diese Sitten herrschen, das haben wir in früheren Abschnitten bereits ersehen können. SS. Hinderungsgründe der Ehe. Wir haben soeben kennen gelernt, dass unter Umständen die definitive Schliessung der Ehe von dem Eintreten einer Befruchtung abhängig ist. Wenn diese letztere ausbleibt , so dürfen sich die jungen Leute nicht mit 88. Hinderungsgründe der Ehe. 381 einander verheirathen, auch wenn sie selber den Wunsch dazu hätten. Wir begegnen hier also einem Hinderungsgrunde für die Ehe , deren es nun bei den verschiedenen Völkern sehr verschiedene giebt. Sie zerfallen in solche, die eine Schliessung der Ehe überhaupt von vornherein unmöglich machen, und in solche, welche, wenn sie sich herausstellen, die soeben geschlossene Ehe sofort wiederum lösen. Sie alle durchzusprechen , würde über den Rahmen dieses Buches weit hinausgehen. Dass bei fast allen Völkern Standesunterschiede existiren, welche unter Umständen einen Hinderungsgrund der Ehe abgeben können, das ist wohl in hinreichender Weise bekannt. Auch übergehen wir hier die Hinderungsgründe , welche in gewissen blutsverwandtschaftlichen Beziehungen ihre Begründung haben. Es wird denselben ein besonderer Abschnitt gewidmet werden. Vorwegnehmen wollen wir aber gleich einige Formen künstlicher Blutsverwandtschaft , wie man diese Verhältnisse bezeichnen könnte, welche es den Betheiligten ebenfalls unmöglich machen, das Band der Ehe zu knüpfen. Dazu gehört bei einigen Völkern die einstige Ernährung mit derselben Weiberbrust, die Milchbruderschaft , z . B. bei den Armeniern , bei den Truchmenen und in Dardestan , wo eine Ehe zwischen Milchgeschwistern als Blutschande gilt , bei anderen Völkern, namentlich bei den Süd- Slaven , aber auch bei den Wanjamuesi in Afrika , ist es die Wahlbruderschaft, oder die Blutsbruderschaft; ferner auch, und zwar weit über die Erde verbreitet, die Angehörigkeit zu der gleichen Stammesgruppe, zu dem gleichen Totem, wie es bei den Indianern heissen würde. Jeder auch noch so kleine Stamm zerfällt bei derartigen Völkern in einzelne Gruppen, welche durch besondere Namen unterschieden werden. Oft ist es der Name eines Thieres, welchen jede Gruppe trägt, und dieses Thier ist dann ihre schützende Gottheit, und es darf von ihnen niemals weder getödtet noch gegessen werden. Diese Thiere heissen bei den Indianern der Totem der Gruppe. Ganz ähnliche Verhältnisse finden sich in Australien , auf einigen Inseln der Südsee u. s . w. Niemals dürfen sich Angehörige des gleichen Totem heirathen ; stets muss der andere Theil einem anderen Totem entsprossen sein. Es ist das ein Ueberlebsel der sogenannten Exogamie , das seine Nachklänge auch selbst noch in Europa verspüren lässt. Derartiges berichtet v. Wlislocki von den Zelt - Zigeunern Siebenbürgens , bei welchen stets der Mann in die Sippe seiner Frau übertreten muss und wo die Kinder dieser Sippe angehören, aber in des Vaters Sippe zurück- heirathen dürfen. Von welcher ausserordentlichen Unverletzlichkeit derartige Hinderungsgründe für die Ehe sind, das zeigt recht deutlich eine uns von Danks über die Inselgruppen Duke of York, Neu- Irland und Neu- Britannien berichtete Thatsache. Hier zerfallen die Eingeborenen in zwei Gruppen, welche dem geschilderten Gesetze der Exogamie unterliegen, und wenn Jemand des Ehebruchs oder der Hurerei mit einer Person angeklagt wird und er kann nachweisen, dass sie seiner Gruppe angehört, so gilt seine Unschuld als erwiesen. Hinreichend bekannt ist es, dass die Verehelichung mit gewissen, dem Dienste der Gottheit oder des Königs geweihten Jungfrauen verboten ist, wie sie sich bei sehr vielen Völkern vorfinden. Auch ist in Indien bekanntlich die Ehe mit einer Wittwe unmöglich, selbst wenn sie noch in jungfräulichem Zustande sich befindet. An der Loango- Küste müssen sich unter Umständen die Jünglinge gefallen lassen, dass ihnen die Heirath mit 382 XV. Die Ehe. der Auserwählten untersagt wird, weil eine Prinzessin sie zur Ehe begehrt. Da hilft kein Sträuben, sie müssen sich dem allerhöchsten Willen fügen. Unter denjenigen Dingen, welche als Ehebehinderung in dem Sinne auftreten, dass sie eine soeben geschlossene Ehe sofort wieder zu lösen und ungültig zu machen vermögen, haben wir das Eine bereits in einem früheren Abschnitte kennen gelernt, das ist der nachgewiesene Verlust des Jungfernhäutchens. Aber auch körperliche Gebrechen aller Art gehören in diese Gruppe hinein , vor allen Dingen aber die Impotenz. Post sagt über diesen Gegenstand : „ Als stillschweigender Inhalt des geschlechtsrechtlichen Verlobungsvertrages gilt regelmässig, dass das Mädchen frei von körperlichen Mängeln sei. Verschweigt der Verlober solche Mängel, so kann er dadurch bussfällig werden. Die Verlobungsformel des isländischen Rechts geht dahin , dass der Verlober dem Bräutigam die Braut gesetzlich anverlobt ohne körperliche Mängel, und nach indischem Recht muss der Vater der Braut dem Bräutigam etwaige Mängel derselben anzeigen, sonst wird er bestraft und der Vertrag kann rückgängig gemacht werden . Nach birmanischem Rechte kann, wenn bei der Verlobung wesentliche Mängel verschwiegen werden, dieselbe rückgängig gemacht werden. " Nach südslavischen Gewohnheitsrechten sind Impotenz und sonstige schwere , körperliche Gebrechen , z . B. ein Bruch, Blindheit , stinkender Athem u. s . w. Ehehindernisse, dagegen nicht Verstandesschwäche. (Krauss.) Etwas anders ist es in dem Rechte der Hindu. Hier kann die Impotenz und das Auftreten von Geisteskrankheiten allerdings einen Grund. abgeben, die einmal versprochene Ehe nicht einzugehen ; wenn jedoch die Ehe bereits geschlossen ist, dann kann sie aus diesen Gründen nicht wieder gelöst werden. 89. Die Ehen zwischen Blutsverwandten. Wir haben in dem vorigen Abschnitte bereits darauf hingewiesen, dass bei vielen Völkern einer der wichtigsten Behinderungsgründe für das Eingehen einer Ehe in der gegenseitigen Blutsverwandtschaft der Betheiligten begründet ist . Wir werden jetzt die verschiedenartigen Anschauungen kennen lernen , welche über diesen Punkt bei den einzelnen Völkern herrschend sind. Wenn wir uns nun dasjenige in das Gedächtniss zurückrufen, was weiter oben über die Entwickelung der Ehe und über deren noch heute zu Recht bestehenden verschiedenen Arten gesagt worden ist, so werden wir es wohl verstehen , wenn wir auf der einen Seite bei bestimmten Stämmen der Sitte begegnen, dass die allerengsten Verwandtschaftsbande das Eingehen einer ehelichen Gemeinschaft nicht allein nicht zu hindern im Stande sind, sondern dasselbe eher sogar noch zu begünstigen scheinen, während wiederum andererseits bei anderen Stämmen auch nicht einmal solche Verwandte eine Ehe mit einander schliessen dürfen, bei welchen nach unseren modernen Anschauungen von einer Verwandtschaft eigentlich gar nicht mehr die Rede sein kann. Das eine ist eben ein Auswuchs der Exogamie, während das erstere eine auf die Spitze getriebene Endogamie repräsentirt. Bei uns ist es bekanntlich erlaubt, dass Geschwisterkinder mit einander sich verheirathen, und zwar ist es hier ganz gleichgültig, ob die Vettern oder Basen von der Seite des Vaters oder von derjenigen der Mutter herstammen. Bei den Katholiken hingegen gelten schon strengere Verordnungen. Den Dayaks auf Borneo und den Bewohnern von Ambon und den Uliase - Inseln ist dagegen die Ehe zwischen Geschwisterkindern absolut verboten, während man in Neu- Britannien nur die Heirath 89. Die Ehen zwischen Blutsverwandten. 383 mit mütterlichen Verwandten streng untersagt. Auf den Aaru- Inseln in Niederländisch - Indien ist aber gerade die Ehe mit den Kindern eines Onkels verpönt, die Kinder einer Tante darf man dagegen heirathen. (Riedel¹. ) Ganz ebenso ist es nach Marsden auch in Sumatra. "" Von den Gilbert - Insulanern berichtet Parkinson, dass streng darauf gesehen wird, dass zwischen den zu Verheirathenden auch nicht der weitläufigste Grad von Verwandtschaft bestehe, und auch von den Malayen sagt Müller: Blutsverwandtschaft, selbst die entfernteste, bildet ein wichtiges Ehehinderniss. Dieses wird auf ein directes Verbot der Götter zurückgeführt. Bei den Maori auf Neu- Seeland hingegen sind nach demselben Autor Heirathen zwischen nahen Verwandten und sogar zwischen Bruder und Schwester wohl gestattet und kommen auch bisweilen vor. " Bei den Wanjamuesi in Afrika , von denen wir bereits durch. Reichard erfahren haben, dass die Ehe mit den Kindern oder mit dem Weibe eines Blutsbruders als Blutschande gilt, wird auch die Ehe oder auch der geschlechtliche Verkehr zwischen Geschwisterkindern, sowie auch zwischen Eltern und Kindern in der gleichen Weise angesehen und die Einhaltung dieser Gesetze wird ziemlich strenge beobachtet. Bei den Makusi - Indianern ist es dem Oheim väterlicherseits auf das Strengste untersagt, seine Nichte zu heirathen, da dieses als der den Geschwistern nächste Verwandtschaftsgrad angesehen und dieser Oheim gleich dem Vater ,,Papa" genannt wird. Es ist dagegen jedem erlaubt, sich mit der Tochter seiner Schwester, mit der Frau seines verstorbenen Bruders oder nach dem Tode seines Vaters sogar mit seiner Stiefmutter zu verheirathen . Von den alten Einwohnern Guatemalas berichtet Stoll: „Die Frau trat durch die Heirath in das chinamit ihres Mannes ein, und wurde demselben so vollständig einverleibt, dass ihre Kinder weder ihre mütterlichen Grosseltern, noch die übrigen Verwandten ihrer Mutter als Verwandte betrachteten. Dies hatte wieder zur Folge, dass die Eingehung rechtsgültiger Ehen mit den Verwandten der Mutter als dem Princip der Exogamie nicht zuwiderlaufend gestattet war. So konnte der Sohn einer Frau mit seiner Halbschwester aus einer früheren Ehe seiner Mutter eine rechtsgültige Ehe eingehen, da der Begriff der Verwandtschaft sich nur auf die männliche Linie erstreckte . Ja es kam vor, dass ein Mann sich nicht nur mit einer Schwägerin, sondern sogar mit seiner Stiefmutter verheirathete. " Nach Garcilasso hatten die Incas in Peru das Recht, ihre älteste Schwester, welche nicht von derselben Mutter stammte, zu ehelichen, um auf diese Weise das Blut der Sonne rein zu erhalten. Unter der Schinkaste in Indien treffen wir wieder das Verbot der Vettern- und Basenehe an, obgleich der mohammedanische Ritus gegen eine solche Ehe nichts einzuwenden hat, auch darf der Onkel nicht die Nichte und in Buschkar selbst nicht einmal die Tochter der Nichte heirathen. Es ist vielleicht nicht unnöthig, daran zu erinnern , dass bei uns bis vor Kurzem allerdings dem Onkel die Nichte und auch dem Neffen die Tante zu ehelichen gestattet war, während aber das Erstere unbeanstandet geschehen konnte, bedurfte eine eheliche Verbindung zwischen dem Neffen und seiner Tante, gleichgültig ob es die Vaterschwester oder die Mutterschwester ist, der landesherrlichen Genehmigung. Die englische Kirche unterscheidet 30 Verwandtschaftsgrade, innerhalb deren nicht geheirathet werden darf. Der Engländer, der eine diesen Gesetzen widersprechende Ehe eingehen wollte, flüchtete früher nach Dänemark , dann an den Rhein nach Duisburg, um sich dort trauen 384 XV. Die Ehe. zu lassen, denn nach heimischen Gesetzen war eine so vollzogene Verbindung 99,, vollendete Thatsache". Die Tungusen, Samojeden und Lappen verabscheuen eine Heirath in der Blutsverwandtschaft. Den Hebräern waren nach mosaischem Gesetz die Ehen verboten mit der Stiefmutter, Stieftochter, Schwiegermutter, Schwiegertochter, Tochter des Stiefsohns und der Stieftochter, des Bruders Frau und des Vaterbruders Frau. Hatte dagegen der verstorbene Bruder mit seiner Frau keinen Sohn erzeugt, so war den Hebräern ( wie auch den Alt-Mexikanern und anderen Völkern) die Ehe mit seiner Wittwe nicht nur erlaubt, sondern sie waren zu derselben sogar verpflichtet. Bekanntlich bezeichnete man dieses als die Leviratsehe. Auch bei den Römern war die Ehe verboten zwischen Ascendenten und Descendenten, sowie zwischen allen Personen, die, wenn auch nur theilweise, in einem ähnlichen Verhältniss zu einander standen, nämlich zwischen Stiefeltern und Stiefkindern, Schwiegereltern und Schwiegerkindern, zwischen Adoptiveltern und Adoptivkindern. Dagegen durften in Athen und Sparta Halbgeschwister sich ehelichen. Aber selbst mit der rechten Schwester sehen wir manche Völker eheliche Verbindungen eingehen (Perser, Phönikier , Araber, die Griechen zu Cimon's Zeit und andere), und zwar ist es hier wieder von besonderem Interesse, dass es sich bei den Weddas auf Ceylon um die jüngere Schwester handelt, während sie die ältere Schwester nicht heirathen dürfen. Ueber diesen Gegenstand sagt Virchow : Wenn bei den Weddas weder Polygamie noch Polyandrie beobachtet ist , so mag sich dies aus der geringen Dichtigkeit des Volkes und aus der Vereinsamung der Familien erklären. Vielleicht darf man auf dieselbe Weise auch die andere, am meisten auffällige Sitte deuten, welche von verschiedenen Reisenden bezeugt ist, nämlich die Heirath mit der Schwester. Und zwar die Heirath mit einer jüngeren Schwester , während die mit der älteren für unzüchtig gilt. Nach Hartshorne wäre sogar die Ehe mit einer Tochter zulässig , indess wird es sich hier wahrscheinlich um thatsächliche und nicht um rechtliche Verhältnisse handeln . Knox erzählt auch von einem Könige von Kandy , der mit seiner Tochter ein Kind hatte, aber keiner seiner Unterthanen scheint dies für ein zulässiges Verhältniss gehalten zu haben. Bailey ist geneigt, in der Schwesterehe ein altes Ueberlebsel zu sehen. Er erinnert daran , dass schon Wijayo der Begründer der Sihala-Dynastie, aus einer Schwesterehe in Indien hervorgegangen sei , und dass hinwiederum der (23) Sohn Jiwahalto, den er mit einer Yakkho- Prinzessin in Ceylon erzeugt hatte, seine Schwester heirathete und der Ahnherr eines besonderen Stammes , der Pulindah , wurde. Nachher sei dieser Gebrauch auch in den singalesischen Königsfamilien geübt worden. Man kann zugestehen, dass diese Anführungen recht bemerkenswerth sind, aber schwerlich sind die alten Mythen als sichere historische Thatsachen anzusehen. Sie scheinen nur zu beweisen, dass ein Gebrauch, der auch in Persien und Aegypten bestand, in Ceylon frühzeitig zur Duldung gelangte ; der Grund wird überall derselbe gewesen sein , in den Königshäusern, wie bei den nackten Weddas : der Mangel an geeigneten Weibern oder an Weibern überhaupt. Jedenfalls ist es nicht Unkeuschheit oder Zuchtlosigkeit, welche die Weddas zu einem solchen Ehebündniss führt. Doch auch noch nähere Verwandtschaftsgrade nach unserer Auffassung sind bei gewissen Stämmen kein Hinderniss für die Ehe. So durfte bei den Phönikiern sowohl die Mutter den Sohn, als auch der Vater die Tochter heirathen, und unter den alten Arabern sprach das Gesetz dem Sohne die Verpflichtung, die verwittwete Mutter zu ehelichen, sogar als ein besonderes Vorrecht zu. Bei den Chinesen dagegen dürfen sich nicht einmal Leute des gleichen Namens heirathen, auch wenn sie gar nicht mit einander verwandt sind. (Mantegazza".) 89. Die Ehe zwischen Blutsverwandten. 385 In den civilisirten Ländern hat man den Ehen zwischen Blutsverwandten von dem Standpunkte der Gesundheitspflege aus in den letzten Jahren eine ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet, und zwar sind in allen Fällen damit die Ehen zwischen Geschwisterkindern verstanden. Es wird wohl kaum einen beschäftigten Arzt oder einen aufmerksamen Laien geben, dem nicht derartige eheliche Verbindungen bekannt geworden sind, aus denen schwächliche oder geradezu kranke Kinder hervorgegangen sind, und viele Autoren haben sich eingehend mit dieser Frage beschäftigt. Besonders sorgfältige Versuche, diese wichtige Angelegenheit ins Klare zu bringen, hat George Darwin2, der Sohn des grossen Naturforschers, angestellt. Durch sehr mühevolle statistische Erhebungen kommt er zu dem Resultate, dass die gefürchteten schädlichen Folgen für die Nachkommenschaft aus den Ehen zwischen Geschwisterkindern durch die gefundenen Zahlen nicht nachgewiesen werden können. Er giebt aber selber zu, dass diese Zahlen noch nicht zuverlässige gewesen sind und dass, wenn es gelänge, eine unanfechtbare Statistik zu bekommen, man sehr wohl statt dieser negativen eine positive Beantwortung der Frage erhalten könnte. Es stehen nun auch seinem verneinenden Befunde recht gewichtige Aeusserungen und Behauptungen erfahrener praktischer Aerzte gegenüber, welche beobachtet hatten, dass Taubstummheit, Stumpfsinn und Blödsinn oder sonstige Gebrechlichkeit in besonders grosser Häufigkeit bei den Nachkommen von Geschwisterkindern aufzutreten pflegen. Allerdings erkennen sie an, dass diese unglücklichen Erkrankungen bei der Descendenz nicht eine absolut nothwendige Folge solcher Eheschliessungen zu sein brauchten. Im Gegentheil, es giebt eine ganze Reihe von Fällen, in denen die Kinder, welche aus diesen Ehen entsprossen sind, durchaus gesund und in dem angegebenen Sinne intact durch ihr ganzes Leben sich verhalten haben. Aber nicht selten sind dann die erwähnten Gebrechen später bei ihren eigenen Kindern zur Beobachtung gekommen, und diese haben so den Missgriff ihrer Grosseltern in der Gattenwahl zu büssen gehabt. Es würde nun aber zu weit gegangen sein, wenn man die erwähnten Erkrankungen im zweiten oder dritten Gliede als eine durchaus sichere und unausbleibliche Consequenz einer Ehe zwischen Geschwisterkindern hinstellen wollte . Sind diese letzteren besonders gesunde, kräftige Leute und stammen sie von ganz normalen Eltern ab, dann können sie trotz ihres nahen Verwandtschaftsgrades dennoch ganz gesunde Kinder erzeugen. Aber deswegen sind doch diejenigen Fälle nicht fortzuleugnen , in welchen man die genannten Schäden zur Beobachtung bekam. Und wenn Mitchell, Mantegazza² und andere Autoren in den Irrenhäusern und den Idiotenanstalten eine verhältnissmässig grosse Zahl von Kranken fanden, deren Eltern Geschwisterkinder gewesen. sind ; wenn nach Scott Hutton in der Halifax- Taubstummenschule (Canada) unter 110 taubstummen Kindern nicht weniger als 56 aus Ehen zwischen Blutsverwandten entsprossen sind, dann wird man sich den Worten George Darwins gewiss mit voller Ueberzeugung anschliessen, wenn er sagt : „Eine so allgemeine Uebereinstimmung in Bezug auf die üblen Folgen der Geschwisterkinder-Ehen muss unzweifelhaft viel grösseres Gewicht haben, als meine rein negativen Resultate. " Die Widersprüche und entgegengesetzten Meinungen der Autoren, von denen die einen immer Beispiele für die Schädlichkeit, die anderen solche für die Unschädlichkeit derartiger Ehen in das Feld führen, finden wohl ihre Lösung in folgenden Sätzen : Sind die sich mit einander verheirathenden Geschwisterkinder ganz gesund und kräftig, dann können sie gesunde Kinder Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 25 386 XV. Die Ehe. erzeugen, aber eine Garantie hierfür besitzen sie nicht, und sollten ihre Kinder gesund sein, dann können die besprochenen Degenerationsprocesse noch an deren Nachkommenschaft zur Erscheinung kommen. Ist aber von den Geschwisterkindern, welche mit einander in die Ehe treten wollen, das eine nicht intact oder bieten sie gar alle beide krankhafte Zustände dar, dann werden diese mit um so grösserer Wahrscheinlichkeit bei ihren Nachkommen und zwar in gesteigertem Maasse auftreten. Denn gewiss hat Erichton Browne das Richtige getroffen, wenn er sagt: ,,Es hat mir immer geschienen, dass die grosse Gefahr, welche solche Ehen begleitet, in der Steigerung der krankhaften Körperanlagen besteht, welche sie begünstigen . Erbliche Krankheiten und Kachexien werden mit grösserer Wahrscheinlichkeit von Geschwisterkindern getheilt, als von Personen, die auf keine Weise verwandt sind, und sie werden mit mehr als doppelter Stärke vererbt, wenn sie beiden Eltern gemein sind. Sie scheinen das Quadrat oder der Cubus des combinirten Volumens zu sein . Selbst gesunde Anlagen schlagen , wenn sie beiden Eltern gemein sind, bei den Kindern oft in entschiedene Kachexien um. " Als die bestbewiesenen schädlichen Folgen der Ehen zwischen Geschwisterkindern stellt Mantegazza² ausser den bereits genannten noch die folgenden auf: Ausbleiben der Empfängniss, verkümmerte Empfängniss und Fehlgeburt, Missgeburten, Neigung zu nervösen Beschwerden, gehemmte Geistesentwickelung, Anlage zu Skrofeln und Tuberkeln, verringerte Lebensfähigkeit, hohe Kindersterblichkeit, Störungen der Menstruation, geringe Zeugungskraft und bestimmte Leiden des Auges. 90. Das Heirathsalter und die Erstgeburt. *) Die sociale Stellung der Frauen, welche in innigstem Zusammenhange mit der allgemeinen Gesittung eines jeden Volkes steht, ist sehr maassgebend für die Höhe des Alters, in welchem das junge Mädchen gewöhnlich heirathet und in welchem die meisten Frauen gewöhnlich zum ersten Male gebären. Das Klima und der je nach den klimatischen Verhältnissen mehr oder weniger früh eintretende Geschlechtstrieb haben wohl auch in dieser Beziehung eine ganz erhebliche bestimmende Kraft ; jedoch die Sittengesetze sind nicht allein vom Klima mindestens nicht immer direct von demselben abhängig. Ja wir kennen gewisse Völker, bei welchen die sexuelle Reife und der Geschlechtstrieb zwar von einer heissen Sonne früh geweckt, aber von der kühlen Sitte mindestens in Bezug auf das Heirathsalter beschränkt und im Zaum gehalten werden. Namentlich richtet sich das durchschnittliche Heirathsalter der Frauen bei einem Volke nach dem Werthe, den überhaupt die Frau für den Mann besitzt. Dort, wo letzterer sie lediglich zur Befriedigung seiner Sinneslust benutzt, wird insbesondere in warmen Zonen das Mädchen früh zur Ehe gelangen ; ebenso aber auch dort, wo die Frau dem Manne fast nichts anderes als ein nützliches und nothwendiges Hausthier ist . In letzterer Beziehung gilt sie ihm gleich einigen Stücken Vieh, welche er für sie eintauscht ; dann muss sie ihm wie eine Sclavin die häuslichen Arbeiten verrichten. Geläuterte Sitten heben bekanntlich die Achtung und den moralischen Werth der Frau; die Gemeinschaft mit ihr wird dann mehr zum

  • ) Vergl. Ploss 11 .

90. Das Heirathsalter und die Erstgeburt. 387 geistigen Bedürfniss des Mannes ; er wartet ihre geistige Reife ab und sucht sie erst später, als bei rohen Völkern, zur Ehe. Dazu kommt, dass unter unseren modernen Culturvölkern die leider oft sehr spät erst eintretende Selbständigkeit des Mannes die Begründung eines eigenen Hausstandes häufig genug gegen Wunsch und Willen verzögert, und dass auch das von demselben zur Frau gewählte Mädchen oft mehrere Jahre lang bis zur Eheschliessung warten muss. Dass man sieben Jahre umsonst freien " muss, ist ja eine allbekannte abergläubische Drohung, welche den Unverheiratheten gewisse unschuldige Handlungen verbietet (z . B. die Butter anzuschneiden, sich eine Kopfbedeckung des anderen Geschlechtes aufzusetzen u. s. w. ) . Dem Bearbeiter war aber in Berlin ein Ehepaar bekannt, welches erst nach sechzehnjährigem Brautstande soweit gekommen war, sich heirathen zu können. Die junge Frau hatte dabei ein Alter von 32 Jahren erreicht . Allein auch der Staat und seine Gesetze geben bei den Culturvölkern eine Minimal-Grenze für das Heirathsalter an. Die Anschauungen der Staatsmänner und Gesetzgeber gehen, wie sich bei verschiedenen Gelegenheiten zeigte, hierin oft weit aus einander ; man glaubte bald mehr die. geistige, bald mehr die körperliche Reife berücksichtigen zu müssen, und auch selbst die Aerzte sind in dieser Angelegenheit nicht immer gleicher Meinung. Dies giebt die Veranlassung eine ethnographische Umschau zu halten und zu untersuchen, welche Thatsachen sich aus einer Vergleichung der Völkerschaften hinsichtlich der bei ihnen waltenden Sitten und Gebräuche bezüglich des Heirathsalters der Frau ergeben. Zuvor jedoch wollen wir uns mit demjenigen bekannt machen, was in cultivirten Staaten als das Gesetzliche betrachtet werden muss. Wenn wir die alten und die neuen Culturvölker mit einander vergleichen, so finden wir, dass mit der erhöhten Gesittung das Heirathsalter der Mädchen wesentlich hinausgerückt wird. Bei den alten Indern scheinen die Mädchen früh in die Ehe gekommen zu sein ; denn nach dem Gesetze des Manu passt für einen Mann von 24 Jahren ein Mädchen von 8 , für einen Mann von 30 Jahren ein 12jähriges Mädchen. (Duncker. ) Auch bei den alten Medern , Persern und Baktrern wurde für baldiges Verheirathen der Mädchen gesorgt, doch sollten die Mädchen, wie es nach Vendidad XIV, 66 scheint , nicht vor dem 15. Jahre zur Ehe gegeben werden. Ehelosigkeit aus freien Stücken wurde bei den Mädchen, auch wenn sie nur bis zum 18. Jahre dauerte, mit den längsten Höllenstrafen bedroht, und es war den Mädchen vorgeschrieben, wenn sie das heirathsfähige Alter erreichten, von den Eltern einen Mann zu fordern. Nach dem Gebote des Avesta gab es nur drei Unreinigkeiten, für welche eine Sühne und Reinigung eine Unmöglichkeit war, weder hier auf Erden, noch auch in dem jenseitigen Leben. Das war, wenn man von einem todten Hunde ass, wenn man den Leichnam eines Menschen verspeiste , und endlich, wenn ein Mädchen bis in sein 20 stes Jahr noch nicht in die Ehe getreten war. Böthlingk führt einige Sanskrit verse an, welche sich auf diesen Gegenstand be- ziehen. Es heisst in dem einen : ,.In wessen Hause eine Tochter die Menses bekommt, ohne verheirathet zu sein , dessen Väter sinken zur Hölle, befänden sie sich auch in Folge ihrer Vorzüge im Himmel. “ Ein anderer lautet : ,,Sowohl die Mutter, als auch der Vater und auch der älteste Bruder, Alle drei fahren zur Hölle , wenn sie ein Mädchen die Menses erleben lassen (ehe sie verheirathet ist) . “ Aber auch das Mädchen selber wird dadurch schwer geschädigt : „ Von einem Mädchen , das im Hause des Vaters noch ungetraut seine Menses erblickt, heisst es, dass es von da an die niedrigste Çûdrâ sei , die man nicht mehr heirathen dürfe. " Dieses letztere findet aber eine Art von Einschränkung durch den folgenden Vers : 25* 388 XV. Die Ehe. "" Wenn aber ein Mädchen mannbar ist , so ist es ihr gestattet, nach eigenem Wunsche sich einem Gatten hinzugeben. Darum soll man, wie Manu, der Sohn Svajambhus, erklärt hat, das Mädchen verheirathen, solange es noch unreif ist . “ Während bei den alten Griechen Lykurg den Jünglingen vor dem 37. Jahre zu heirathen verbot, verlangte Plato beim Manne das 30. , beim Weibe das 20. Jahr. Bei den alten Römern wurden die Mädchen zwischen dem 13. und 16.- 17. Jahre verheirathet. Eine Frau, die 20 Jahre alt geworden, ohne Mutter zu werden, verfiel schon den Strafen, die Augustus über Ehe- und Kinderlosigkeit verhängt hatte. (Eisendecher.) Es war also das Alter von 19 Jahren die äusserste Grenze für die Schliessung der Ehe in naturgemässem Alter. Die römischen Juristen stellten für Mädchen das 12. Jahr als das der Pubertät fest (Marquardt) , und zum Schliessen einer gültigen Ehe wurde dasselbe Lebensjahr bestimmt, doch fanden in späterer Zeit auch frühere Verheirathungen statt. Friedländer und Rossbach zeigen nach Leichensteinen , wie jung in der Regel Römerinnen gebaren. Wir finden bei den späteren Römern Angaben über das zur Verheirathung geeignete Alter. Aurelius Theodosius Macrobius sagt : „ Nam et secundum jura publica duodecimus annus in femina, et quartus decimus in puero definit pubertatis aetatem. " Bei Ulpianus heisst es : Justum matrimonium est, si inter eos qui nuptias contrahunt, connubium est , et tam masculus pubes, quam femina potens sit . " Dio Cassius erzählt vom Kaiser Augustus unter anderem : Weil auch einige sich mit Kindern verlobten, nur um auf die Belohnung Verehelichter Anspruch machen zu können, ohne doch den wahren Endzweck der Ehe zu befördern, so verordnete er, dass keine Verlobung Kraft haben sollte, auf die nicht wenigstens nach zwei Jahren die wirkliche Vollziehung der Ehe erfolgen könnte, mithin die Braut wenigstens 10 Jahre alt sein müsste, wenn Einer jener Belohnung fähig sein wollte , denn man rechnet das 12. Jahr für das reife Alter zur Vollziehung der Ehe. Die minder cultivirten, namentlich die in südlichen Gegenden wohnenden Völker Europas haben den Brauch der früheren Verheirathung der Mädchen ziemlich allgemein. Ueber die Insel Minorca schreibt Cleghorn: „Die Mädchen werden zeitig mannbar und zeitig alt . Sie heirathen in einem Alter von 14 Jahren. " Im südlichen Spanien finden Heirathen im Alter von 12 Jahren statt. (Vierey.) Bei den Mainoten , den Bewohnern der Halbinsel Maina in Griechenland , heirathen die Mädchen schon mit dem 13. oder 14. Jahre, die Männer vom 15. Jahre ab. Die Mädchen der Wallachen heirathen nach Paget mit dem 13. oder 14. Jahre, verblühen aber rasch. Allein Czaplovics berichtet , dass sie schon im 12. Jahre heirathen, und die Zigeunerin schon im 12. Jahre Mutter wird. Schwicker bezeugt in seinem Werke über die Zigeuner in Ungarn , dass bei ihnen Mütter mit 13-14 Lebensjahren vorkommen. Die Moldauerinnen heirathen auch sehr früh, und es ist nichts Seltenes, Mädchen von 15 Jahren schon mit Kindern gesegnet zu sehen. „ Aus dieser Thatsache, “ sagt Reiss, dürfte sich vielleicht die geringe Zunahme der Bevölkerung erklären, da so viele nicht lebensfähige Kinder geboren werden. " In Bosnien und der Herzegowina werden ebenfalls Mädchen mit dem 13. oder höchstens 15. Jahre verheirathet. Ihre körperlichen Reize nehmen rasch ab, und mit dem 35. Jahre zählen sie meist schon zu den alten Frauen. ( Roskiewicz. ) Ueber die Süd - Slaven berichtet Krauss ' : „ Im Allgemeinen heirathen Mädchen nach zurückgelegtem sechzehnten Lebensjahre, wann die Brüste zu schwellen beginnen. " Auf die Frage : Mit wieviel Jahren ist ein Mädchen heirathsfähig? antwortete ein altes Mütterchen : „ Sobald sie sich selbst einen Dorn aus der Ferse herauszuziehen vermag. " Auch ältere Mädchen wurden öfter mit ganz jungen Burschen verheirathet . In Bosnien, in der Umgegend von Serajewo , heirathen die Mädchen von 14 bis 20 Jahren. Die Ruthenen in Ungarn (Czaplovics) pflegen die Mädchen ebenfalls schon im 12. Jahre zu verheirathen, und in früherer Zeit ging es damit noch viel ärger zu, indem nach Szirmay Mädchen von 5-6 Jahren verlobt und in die Wohnung des ihnen zugedachten Knaben gezogen wurden, wo sie bei den künftigen Schwiegermüttern schliefen, bis sie heranreiften. Nördlicher wohnende, wenig cultivirte Völker Europas zeigen sich ganz anders. So heirathen beispielsweise die Esthinnen sehr selten in sehr jugendlichem Alter. In den Jahren 1834-59 wurden in der esthnischen Stadtgemeinde nur 4,5 Proc. , in der Landgemeinde 11,5 Proc. und in mehreren Kirchspielen 15,6 Proc. aller Heirathen vor 90. Das Heirathsalter und die Erstgeburt. 389 beendigtem 20. Lebensjahre geschlossen. Wir finden hier ein Verhältniss zwischen Landund Stadtbewohnern, welches darauf hindeutet , dass die Beschäftigungsweise auf das Heirathsalter von Einfluss ist ; andere Arbeit , andere Kost und andere Gesittung wirken in differenter Weise bei einer und derselben Rasse und bei gleichen klimatischen Verhältnissen. Wappaeus berechnet als mittleres Heirathsalter aller Getrauten für die Frauen : in Sardinien . in Norwegen . . 28,05 "2 England 29 24,42 25,98 26,07 29 19 den Niederlanden Frankreich Belgien .. Von 10,000 getrauten Mädchen standen in einem Alter : 28,88 29.14 inEngland inFrankreich Norwegen in Nieder- inden landen inBelgien *) unter 20 Jahren von 20-25 von 25-30 1339 2030 504 791 5388 4009 3799 2069 2229 3469 959 2962 2883 י 3550 3144 von 30 -35 695 970 1406 1649 1614 von 35-40 282 422 475 636 780 von 40-45 135 195 246 373 271 von 45-50 57 98 106 159 über 50 35 69 54 60 88

  • ) In den Niederlanden und Belgien unter 21 Jahren und von 21-25 Jahren.

Für ganz Oesterreich und speciell für Steiermark fand ich : Es heiratheten von je 10,000: Oesterreich Steiermark 1860 1865 1860-1865 Frauen unter 20 Jahren 1656 1873 761 von 20-24 19 2534 2647 1908 von 24-30 27 2995 2783 3180 von 30-40 von 40-50 29 3065 1770 2890 29 600 581 1033 über 50 150 166 228 Fragen wir nun, ob sich im Hinblick auf die bisher angeführten Thatsachen die Gesetzgebung der Angelegenheit durch Feststellen eines bestimmten Heirathsalters und durch besondere Vorschriften annehmen soll, so ist zunächst hervorzuheben, dass nur von einigen idealistischen Socialisten jede Einmischung des Staates auf diesem Gebiete zurückgewiesen wird. So meint beispielsweise Reich: „ Da nach fast allen Gesetzbüchern der civilisirten Welt Leute vor Eintritt ihrer Volljährigkeit zum Behufe der Eheschliessung der Erlaubniss der Eltern oder ihrer Vertreter bedürfen, so muss durch Belehrung darauf hingewirkt werden, dass ausserordentliche Fälle ausgenommen in unseren Breitengraden Niemand vor Zurücklegung seines 23., beziehungsweise 20. Jahres von seinen Eltern die Erlaubniss, eine Ehe zu schliessen, ertheilt werde. Das Gesetz darf das von mir geforderte Heirathsalter nicht dictiren. " Schliesslich wünscht er das 15. resp. 18. Lebensjahr als gesetzliches Minimum. Allein in allen civilisirten Staaten ging die Gesetzgebung von dem gewiss nicht unrichtigen Principe aus, dass einer das allgemeine Wohl der 390 XV. Die Ehe. Bevölkerung schädigenden Willkür durch gesetzliche Bestimmungen vorgebeugt werden müsse. Und da in christlichen Staaten von jeher die Kirche bei Verheirathungen concurrirte, so finden wir, dass auch die kirchliche Gesetzgebung sich früher der Sache annahm. Die reellen Verhältnisse forderten überall dringend zum legislatorischen Eingreifen und zu vorbeugenden Maassregeln auf. In der Feststellung des zulässigen Heirathsalters schwankte man freilich sehr erheblich . Früher liess das kanonische Recht bei Eheschliessungen das Mädchen im 12., den Knaben im 14. Jahre reif sein. (Gitzler.) Im Mittelalter konnten nach dem longobardischen, dem friesischen und dem sächsischen Rechte und auch nach dem Schwabenspiegel die Mädchen mit 12 und die Knaben mit 14 Jahren heirathen. Das gemeine Recht in Preussen bestimmte ehemals das 12. Jahr als noch zulässiges Heirathsalter für Mädchen , während nach dem Landrechte der braunschweigischen Kirchenordnung und der Eheordnung für das Grossherzogthum Baden Mädchen erst mit 14 und Männer mit 18 Jahren heirathen durften . Die Angelegenheit des Heirathsalters kam vor einiger Zeit im Königreich Preussen zur Discussion, die ein besonderes Interesse dadurch gewährte, dass sich Aerzte für ein späteres, Juristen für ein früheres Heirathsalter aussprachen, und dass damals letztere für die Gesetzgebung den Sieg davontrugen und die soeben genannten Bestimmungen angenommen wurden. Dagegen wird nunmehr für das ganze Deutsche Reich durch das Reichsgesetz vom 6. Februar 1875 für Männer 20, für Weiber 16 Jahre als Minimum des Heirathsalters festgestellt. In einigen Provinzen des österreichischen Staates ist das heirathsfähige Alter des weiblichen Geschlechts bis zum 15., dasjenige des männlichen bis zum 19. Jahre hinausgeschoben. ( John. ) In Schweden existiren Verbote des Eingehens zu früher Ehen, wobei aber den Lappenmädchen bereits im 17. Lebensjahre die Verheirathung entsprechend ihrer früheren Pubertätsentwickelung gestattet ist . In Frankreich wurde in den Verhandlungen des Staatsraths über das bürgerliche Gesetzbuch einst das heirathsfähige Alter auf 15 für den Jüngling, und auf 13 für das Mädchen festgesetzt. Napoleon I. änderte das aber in der Folge ab und setzte den Termin für die Ehestandsfähigkeit auf 18 resp. 15 Jahre, indem er bemerkte, dass, da nur für Einzelne eine Ehe im 13. oder 14. Jahre nicht von überwiegend nachtheiligen Folgen begleitet sei, es unpassend sei, durch ein Gesetz die ganze Generation in diesen Jahren zur Eingehung von Ehen zu berechtigen. (Maleville.) In England ist „ the age for consent to the matrimony" 14 Jahre für das männ- liche , 12 Jahre für das weibliche Geschlecht . Jedoch ist eine unter diesem Lebensalter abgeschlossene Ehe an sich nicht nichtig , vielmehr nur noch unvollständig (imperfect ) in der Weise, dass das zum Consens erforderliche Alter abzuwarten ist und dann, je nachdem der Consens erfolgt oder nicht, die Ehe ohne Weiteres gültig oder ungültig ist . Dies gilt jedoch nur für Ehen Solcher, die unter 7 Jahre alt sind . Die Ehen von Kindern bis zu diesem Lebensalter sind ohne Weiteres nichtig . Bis zum Jahre 1866 ist eine Aenderung dieses Rechtszustandes nicht erfolgt, und man scheint mit demselben bisher zufrieden gewesen zu sein. In London heiratheten während des Jahres 1861 35 Mädchen im Alter von 15 Jahren ( 10 Knaben im Alter von 16 Jahren). Im ganzen russischen Reiche giebt es ein Landesgesetz, welches die Ehe mit Mädchen vor dem 16. Jahre verbietet, sogar bei Strafe der Verschickung nach Sibirien. (Häntzsche. ) Die russische Jungfrau in Astrachan heirathet mit 16-18 Jahren. Da bei den Tataren der Bräutigam einen gewissen Preis den Eltern der Braut zahlen muss , aber die meisten Tataren unbemittelt sind, so heirathen die Tataren (wenigstens nach Meyersohn die in Astrachan wohnenden) nicht sehr früh ; das männliche Geschlecht nämlich im 25. bis 30. Jahre, das weibliche erst im 20. Jahre. Allein manche arme Tataren, denen es um den erwähnten Preis zu thun ist, verheirathen ihre Töchter fast in der Kindheit , obgleich die Landesgesetze des russischen Reiches ihnen das frühe Heirathen verbieten. Die Kalmückin heirathet mit 16 Jahren (Meyersohn). Bei den 90. Das Heirathsalter und die Erstgeburt. 391 Tungusen hingegen soll man nach Georgi 12jährige Gattinnen antreffen. Unter den Chewsuren , einem transkaukasischen Volke, wird nach Angabe des Fürsten Eristow das Mädchen zwar schon in den Kinderjahren verlobt, allein die Heirath findet erst im 20. Lebensjahre statt. Wir haben hiermit bereits den Uebergang gemacht zu den aussereuropäischen Völkern . Hier treffen wir, wie wir sehen werden, gar nicht selten ganz ausserordentlich junge Ehegattinnen an, und es hatte, wie wir früher bereits gesehen haben, den Anschein, als wenn durch einen frühzeitigen Geschlechtsgenuss der Eintritt der Reife beschleunigt würde. So mag die zu frühe Entwickelung und Mannbarkeit der Warrau- Indianerinnen in British - Guiana nach Schomburgk eine der Hauptursachen ihres schnellen Verblühens sein, da sich die Mädchen dort schon im 10. Lebensjahre verheirathen. Schomburgk sah oft Mütter, die kaum 11 oder 12 Jahre alt sein konnten und doch schon Kinder von 1-2 Jahren besassen. Auch unter den Wapisiana - Indianerinnen in BritishGuiana sah Schomburgk eine Frau, die kaum 13 Jahre alt sein konnte und schon zwei Kinder hatte. Nicht so früh verheirathen sich die Abiponer , ein kriegerischer Indianerstamm in Paraguay. Dobrizhoffer traf unter ihnen selten einen Verheiratheten, der nicht wenigstens 25 Jahre alt war, und selten bekümmerte sich ein Mädchen vor dem 19. oder 20. Jahre um einen Freier. Die Guarani - Mädchen in Paraguay heirathen jedoch nach Azara gewöhnlich schon im Alter von 10-12 Jahren. Wenn sich unter den Guana am Paraguay- Strom ein Mädchen recht spät verheirathet, so geschieht es im Alter von 19 Jahren. (v. Azara ' . ) Der Jesuitenpater Och musste unter den neu bekehrten Indianern von Neu- Spanien in Süd - Amerika im vorigen Jahrhundert auf Wunsch der Eltern nicht selten Mädchen von 13 Jahren copuliren ; sie brachten im folgenden Jahre ein Kind zur Welt ; bisweilen musste er so junge Mädchen mit 50 bis 60 Jahre alten Männern verheirathen . (v. Murr. ) Die Mädchen der Cayapo - Indianer in der Provinz Matto Grosso (Brasilien) verheirathen sich früh, bald nach ihrer ersten Menstruation. (Kupfer.) Unter den Guatos - Indianern am Einflusse des Rio Sao Lourenco in den Rio Paraguay fand Rohde verheirathete Mädchen von 5--8 Jahren. Die Mädchen der Chayma verheirathen sich nach Humboldt mit 12 Jahren. Die Indianerinnen Brasiliens werden früh verheirathet, sind aber nicht sehr fruchtbar : v. Spix und v. Martius sahen Mütter von 20 Jahren, die schon 4 Kinder hatten ; die Mädchen werden, wie diese beiden Reisenden berichten, zwischen dem 10. und 12. Jahre in die Ehe gegeben. Die Coroados - Indianerinnen (Burmeister) gelangen wegen der frühen Verheirathung im 14. Jahre nicht recht zu Kräften. Bei den Indianern in Surinam (Niederländisch - Guiana) treten die Weiber mit 12 Jahren in das heirathsfähige Alter und verehelichen sich auch um diese Zeit . ( Stedtmann. ) In der Republik Buenos - Ayres gestattet das bürgerliche Gesetz, wie Mantegazza angiebt, den Mädchen mit 12 , den Knaben mit 14 Jahren in die Ehe zu treten. Auf der Insel Jamaica werden nach Long die Mädchen früher mannbar und verwelken schneller, als in den nördlichen Gegenden ; sie verheirathen sich sehr jung und werden im 12. Jahre Mütter. Aehnlich ist es auf Trinidad nach Dauxion Lavayssé. Bei den Smu , einem mächtigen Indianerstamme im Moskito - Gebiete in MittelAmerika, werden die Mädchen im 10. bis 13. Jahre zur Ehe gegeben. (de Orbigny. ) Auf Cuba werden viele Frauen im Alter von 13 Jahren Mütter und fahren fort bis in das 50. Jahr zu gebären. Gleiche Verhältnisse fand man bei den wilden Volksstämmen Nord - Amerikas. Nach Roberton gebaren von 65 Indianerinnen zum ersten Male : im 10. Lebensjahre 1 27 11. "" 4 99 12. 77 11 99 13. 99 11 99 14. 29 18 29 15. 29 12 16. 22 17. 29 29 7 "9 27 1 392 XV. Die Ehe. Auch Schoolkraft giebt an: „ Die Sioux- und Dacota - Indianerinnen gebären schon im jugendlichen Alter ; sie selbst wissen selten , wie alt sie sind ; die Beobachter ihrer Sitten berichten aber, dass sie schon im 13. bis zum 15. Jahre niederkommen. " Bei den Delawaren und Irokesen werden die Mädchen meist mit 14 Jahren verheirathet. (Loskiel. ) Unter den in den nördlichen Gegenden Amerikas wohnenden Indianern ereignet es sich oft, dass der Mann von 35 Jahren ein 10- bis 12jähriges Mädchen zur Frau nimmt ; in Folge des frühzeitigen Heirathens sind die Indianerinnen des Nordens minder fruchtbar und können nicht so lange gebären, als in südlichen Gegenden. (Samuel Hearne. ) John Franklin sagt : „ Die Indianer - Mädchen in den Forts, vorzüglich die Töchter der Canadier, dürfen sehr früh sich verheirathen ; häufig sieht man Frauen von 12 und Mütter von 14 Jahren. " Bei den Indianern der Nordwestküste Amerikas werden die Mädchen sehr früh, oft bereits bald nach der Geburt verheirathet, aber erst im 12. bis 14. Lebensjahre wird die Ehe in Wirklichkeit geschlossen. Bei den Eskimos des Cumberland - Sundes werden Knaben und Mädchen schon in früher Kindheit für einander bestimmt. Die Knaben heirathen ungefähr mit dem 17., die Mädchen von 14 Jahren an. Das neue Ehepaar bezieht nach der Hochzeit sein eigenes Zelt. Dem Mann ist es erlaubt, eine Frau, die ihm nicht zusagt, ihren Eltern zurückzugeben und sich eine neue Gattin zu wählen . Da aber kein Ueberfluss an Frauen vorhanden ist, so wird von diesem Rechte selten Gebrauch gemacht. Trotzdem dem Eskimo der Besitz mehrerer Frauen gestattet ist, so pflegt er sich doch in der Regel mit einer zu begnügen. Die Schwierigkeiten, die mit der Herbeischaffung der nöthigen Kleider und Nahrung verbunden sind , verbieten die Polygamie von selber. Die Ehen der Eingeborenen erfreuen sich keines grossen Kindersegens, selten trifft man in der Familie mehr als zwei Kinder. (Abbes.) Von den Frauen der Feuerländer sagt Giacomo Bove: Das Verlangen nach dem Manne lässt sich bei ihnen früh schon fühlen und der Eingriff der Mission in diese Verhältnisse wird als die grösste Tyrannei der Civilisation angesehen ; die Heirathen der Feuerländer werden daher im Allgemeinen früh geschlossen ; mit 12 bis 13 Jahren schon machen die Mädchen Jagd auf einen Mann, doch erst mit 17 oder 18 Jahren werden sie Mütter ; die Männer heirathen zwischen 14 und 16 Jahren. Unter den gesitteten alten Mexikanern, zur Zeit der Entdeckung von Amerika , galt beim Manne das Alter von 20-22, beim Weibe das von 16 und 18 Jahren für das zur Verheirathung geeignete. (Clavigero. ) Im alten Inka- Reiche Perus mussten gesetzlich die Mädchen mit dem 18. - 20. Jahre sich verheirathen. (Garcilasso. ) Bei den Eingeborenen Süd - Australiens verheirathen sich die Mädchen mit 8 bis 12 Jahren und leben mit ihren Männern zusammen. Vom 8. Jahre an pflegen sie den Beischlaf. Mit 16 Jahren etwa werden sie Mütter ; sie betrachten sich dann nicht mehr als ein öffentliches Eigenthum, sondern leben friedlich mit ihren Männern zusammen. ( Hersbach. ) Nach Wilhelmi aber bekommen die Weiber in Neu- Holland selten vor dem 18. -19. Jahre Kinder, obgleich sie schon mit 10-12 Jahren mannbar werden. Dagegen scheint bei anderen Australnegern das frühe Reifen und das frühe Altern nicht durch ein zu frühes Verheirathen bedingt zu sein. Wenigstens berichtet von Rochas, dass die Frauen der Eingeborenen auf Neu - Caledonien mit 12 und 13 Jahren reif werden und nach der Ehe, die erst im 16. und 17. Jahre vollzogen zu werden pflegt, sehr rasch altern. Allerdings kennen nach Knoblauch die Neu - Caledonier selbst ihr Alter nicht , und nach seinen Angaben nimmt man an, dass dort die Frauen im Allgemeinen schon mit 13 bis 14 Jahren heirathen. In der Regel sehr zeitig heirathen unter den Maori auf Neu - Seeland sowohl die Jünglinge, als auch die Mädchen. Englische Reisende erzählen , bei ihnen Mütter von 11 Jahren gesehen zu haben. Gewöhnlich war die erste Frau eines jungen Häuptlings viel älter, als er selbst , dagegen sah man alte Häuptlinge sehr junge Mädchen freien. ( Wüllersdorf- Urbair. ) Tuke meint , dass die Maori- Mädchen auf Neu- Seeland oft im 12. und 13. Jahre heirathen und aller Wahrscheinlichkeit nach schon in einer früheren Periode ihre Jungfernschaft eingebüsst haben. An einer anderen Stelle schreibt Tuke : „ Die Periode der Fruchtbarkeit beginnt beim Maori-Weibe früher, als bei der weissen Frau; aber die Entwickelung der eingeborenen Mädchen geschieht verhältnissmässig später. Es ist schwierig, das Alter einer Maori- 90. Das Heirathsalter und die Erstgeburt. 393 Frau zu bestimmen ; von denjenigen, welche man für 40-55 Jahre alt hält, erfährt man, dass sie 25 oder 30 Jahre alt sind. Allein ich zweifle nicht , dass die eingeborenen Weiber von Neu- Seeland früher als die Frauen unserer Rasse aufhören Kinder zu bekommen. " Auf den Gilbert - Inseln werden nach Parkinson die Mädchen mit ungefähr 14 Jahren verheirathet. Bei den Samojeden werden viele Frauen schon im 10. Jahre verheirathet, und im 11. oder 12. Jahre Mütter. Auch die Frauen der Ostjaken heirathen bisweilen im 10. Jahre und bringen oft schon im 15. Jahre Kinder zur Welt. Ganz anders die Wotjäkinnen , die fast nie vor dem 22. oder 23. Jahre in die Ehe treten ; denn das Mädchen muss dem Manne folgen in dessen Haus und ihr Vater würde, wenn sie früher heirathete, zu früh eine Arbeiterin verlieren ; der junge Mann müsste dann auch einen sehr hohen Kaufschilling entrichten. (Buch. ) Die alten Chinesen hielten , wie es scheint , ziemlich streng darauf, dass das Heirathen in einer gewissen Altersperiode vorgenommen werde. Im 15. Jahre wird dem Mädchen (nach dem ungemein alten Gesetzbuche „ Li-ki ") feierlich die Haarnadel, der Kopfputz der Erwachsenen, ertheilt , im 20. Jahre heirathet sie, der Mann dagegen im 30. Jahre. Nach dem „ Kid- iii " fragte Ngaikung Confucius : „ Ich habe gehört, dass nach dem Brauche der Mann im 30. und das Mädchen im 20. Jahre heirathen; warum heirathen sie nicht später ?" Confucius erwiderte : „ Dies festgesetzte Alter ist das äusserste, das nicht überschritten werden darf; im 20. erhält der Mann den männlichen Hut, ist Mann und kann Vater werden ; im 15. legt das Mädchen die Haarnadel an, und im 20. heirathet sie , wenn nicht eine besondere Ursache (die Trauer um die Eltern) die Heirath bis ins 23. Jahr verschieben lässt. " (Plath. ) Bei den Chinesen ist nicht durch Gesetz, aber durch Herkommen festgesetzt, dass Mädchen selten vor 15 Jahren in die Ehe gegeben werden, Männer nicht vor dem 20. Lebensjahre heirathen. ( v. Moellendorf. ) Man hat oft übertrieben, wenn man sagte, dass die Chinesenmädchen schon im 6. Jahre heirathen . Bei vielen Indochinesinnen und insbesondere bei den Japanerinnen schliesst man die Ehen später, doch immer noch allzu früh. Nach den Begriffen jener Leute muss ein Weib schon im 15. Jahre Mutter sein . (Hureau de Villeneuve. ) In Cochinchina heirathen die Frauen der niederen Stände allerdings bisweilen schon im 7. , oft aber auch erst im 20. Lebensjahre. In keinem Theile Asiens schreitet man so spät zur Ehe, als in Cochinchina. (Crawfurd. ) Mondière¹ sagt über die Einwohnerinnen von Cochinchina: „ Sur 440 Annamites ayant accouché, le premier enfant est venu à 20 ans 6 mois ; sur 15 Chinoises ayant accouché, le premier enfant est venu à 18 ans 10 mois; sur 40 Minh- huong ayant accouché, le premier enfant est venu à 20 ans 9 mois ; et sur 45 Cambodgiennes ayant accouché, le premier enfant est veuu à 22 ans 6 mois." Die meisten malayischen Mädchen an der Südwestküste der malayischen Halbinsel werden nach Isabella Bird im Alter von 14-15 Jahren verheirathet. Wir gehen jetzt aber auf die Inseln des Ostindischen Archipels , welche zumeist ebenfalls malayische Völkerschaften bewohnen. In Java, wo unter der Malayen - Bevölkerung oft schon die kleinen Kinder mit einander verlobt werden, denkt man bei einem 10- bis 12jährigen Mädchen gewöhnlich schon daran, sie zu verheirathen . Die javanischen Mädchen werden schon 1-2 Jahre früher als unsere deutschen Mädchen mannbar. Ein anderer Berichterstatter, Walbaum, sagt : „ Wenn auf Java ein Mädchen 7 oder 8 Jahre alt ist , so kann sie alle Tage in den ehelichen Stand treten; und sind die Mädchen über diese Jahre hinaus, vielleicht 14 oder 15 Jahre alt geworden, so rechnet man sie schon unter die alten Jungfern. " Unter den jetzigen Parsi in Vorderasien , die noch immer die Lehren Zoroaster's und des Avesta hoch halten, wird es mit der Verlobung und mit der Vollziehung des Beischlafes in verschiedenen Theilen des Landes verschieden gehalten. In Guzurate , wo indische Gewohnheiten maassgebend sind , verspricht man dreijährige Kinder mit ein- ander, behält sie aber bis zum 6. Jahre im Elternhause und thut sie alsdann zusammen ; indessen wird die Ehe nicht früher vollzogen, als bis beim Mädchen die monatliche Reinigung eintritt. In Kirman verlobt man die Kinder im Alter von 9 Jahien, lässt aber die Ehe nicht vor dem 12. Jahre vollziehen , und übergiebt das Mädchen erst dann 394 XV. Die Ehe. dem jungen Ehemanne, wenn die Menstruation eingetreten ist ; doch wenn die Tochter das 13. Lebensjahr zurückgelegt hat, darf sie, gleichgültig ob menstruirt oder nicht , mit ihrem Manne leben. Ein Mädchen vor dem 13. Jahre in das Ehebett zu schicken , gilt als schwere Sünde ; doch eines grösseren Verbrechens machen die Eltern sich schuldig, wenn sie dem Verlangen ihrer Tochter, sich zu verheirathen , kein Gehör schenken. Denn die Parsen glauben, dass ein Mädchen, welches aus Vorsatz unverheirathet bleibt und nach zurückgelegtem 18. Jahre stirbt, der Hölle verfallen ist . (Du Perron. ) Im Orient werden bekanntlich die Ehen ebenfalls sehr früh geschlossen und Eram äussert sich über die Türkinnen : „ Il est vrai , que dans les pays chauds l'époque menstruelle arrive chez la jeune fille beaucoup plutôt que dans les pays d'une température moderée, et à plus forte raison que dans les pays froids ; mais il n'est pas moins vrai aussi que cette condition de prompte maturité des organes dans les pays chauds a permis aux Orientaux d'exagérer tellement cette faculté que leur nature leur accorde de marier les jeunes filles très - jeunes, qu'il n'est pas rare d'en rencontrer de mariées avant l'éruption des règles." Oppenheim sagt : „ Schon im 10. Jahre menstruirt, verheirathen sich dieselben im 12. , werden rasch Mütter, sind sehr fruchtbar, verlieren im 30. Jahre ihre Regeln, verblühen und altern früh." Doch gilt auch Aehnliches von den Frauen in Kleinasien. In Isaurien , wie überhaupt in der klein asiatischen Türkei , wird sehr früh geheirathet, die Knaben mit 18, die Mädchen mit 14 Jahren. Der Hauptzweck ist, so bald als möglich einen Sohn zu erzeugen, der , sobald er herangewachsen ist , den Vater ernähren muss ; ein junger Türke , den Sperling kennen lernte, war erst 33 Jahre alt und schon Grossvater. Die Schriftstellerin Friederike Bremer besuchte auf ihrer Reise im Orient den Harem des Efendi Musa in Jerusalem , und sah ein achtjähriges Mädchen mit gutmüthigem Gesichte, aber ohne Zeichen von Leben und Frische der Jugend , zu ihren Füssen sitzend ; sie erfuhr, dass das Kind schon mit einem alten Manne verheirathet war ; es wurden ihr noch andere Frauen von 10 bis 12 Jahren gezeigt. Auch der Arzt Titus Tobler kannte eine Frau in Palästina , welche im 13. Jahre geboren hatte , und eine andere, eine elfjährige Jüdin , welche schon seit zwei Jahren menstruirt und seit 1/2 Jahren verheirathet war. Bei den Samaritanern pflegen sich die Knaben in ihrem 15. oder 16. Lebensjahre, die Mädchen im 12. oder noch früher zu verheirathen. In Syrien sollen , wie man allgemein meint, die Mädchen früher als bei uns reifen ; dies ist jedoch, wie der Missionär Robson sagt , ein Irrthum. Der Grund zu dieser Behauptung liege darin, dass die Mädchen allerdings dort früher heirathen, allein sie werden gewöhnlich schon vor dem Eintritt der Pubertät verheirathet. In jedem Alter des Mädchens geschieht das von 10 Jahren aufwärts, doch ist es am häufigsten im 13. , 14 . und 15. Jahre ; und die grösste Zahl der Neugeborenen werden 2 , 3 oder 4 Jahre nach der Verheirathung geboren. Man hält es bei der Jugend der Bräute dort nie für wahrscheinlich, dass, wie bei uns, ein Kind schon im ersten Jahre, nachdem die Ehe geschlossen wurde, geboren werde. Robson glaubt, dass im Pubertätsalter wenig Unterschied zwischen Syrien und Irland sei. Die Weiber der Banjanesen auf Borneo heirathen bereits im 8. oder 9. Jahre ; im 20. aber hören sie schon auf, Kinder zu zeugen; dass im 30. noch eine Frau schwanger geworden wäre, ist ganz unerhört. (Finke.) Bei den Alfuren auf Celebes geschieht die Verheirathung der Mädchen in ihrem 14. Jahre oder selbst früher. Jagor berichtet , dass bei den Bicolindiern ( Philippinen) die Frauen selten vor dem 14. Jahre heirathen ; 12 Jahre ist der gesetzliche Termin. Er fand im Kirchenbuche von Polangui eine Trauung verzeichnet , bei welcher die Frau bei Vollziehung der Ehe nur 9 Jahre 10 Monate alt war. Die Mincopie , d. h. die Eingeborenen der Andamanen- Inseln , scheinen ihre Töchter früh zu verheirathen. Einem Brahminen- Sträfling, welcher im Jahre 1858 zu ihnen entfloh und die ersten Nachrichten von ihrer Lebensweise mit zurückbrachte, gab ein Andamane seine Tochter von 20 Jahren und wiederum deren Tochter von 9 Jahren, seine Enkelin also , gleichzeitig zur Ehe. Mutter und Tochter fügten sich willig in ihre Pflichten . Auf Ceylon pflegt , wie Robert Percival im Anfang des Jahrhunderts berichtete, das Mädchen schon im 12. Jahre in die Ehe zu treten, und dies frühzeitige Heirathen wird als Grund des raschen Verblühens der Weiber betrachtet. Eine ausserordentlich frühe Verheirathung findet nicht minder bei den Hindu statt. Dort wird nämlich die Ehe geschlossen, wenn der Knabe 7-10 Jahre alt, das Mädchen aber, 90. Das Heirathsalter und die Erstgeburt. 395 wie Roër angiebt, 4-6 Jahre, wie mir jedoch Missionär Beierlein versicherte, 8 Jahre alt ist. Man thut dies nicht deshalb, weil dort die Geschlechtsreife der Mädchen um so viel früher als bei uns eintritt, denn nach Beierlein kommt die Menstruation in Ostindien nicht früher als bei uns zum Vorschein, und nach Roër beträgt der Unterschied zwischen hier und dort hinsichtlich der Geschlechtsreife höchstens zwei Jahre. Die Sache beruht vielmehr auch hier auf einem althergebrachten geheiligten Gebrauche. Nach den Heirathsceremonien kehrt nämlich die Braut in das Haus ihrer Eltern zurück ; erst wenn nach einigen Jahren die Menstruation eintritt, wird das Mädchen unter Veranstaltung einer öffentlichen Festlichkeit mit ihrem Knabengatten vereinigt. Sie wohnen sodann im Hause ihrer Eltern. So hat es denn, wie Roër versichert, Beispiele gegeben, wo in ein und derselben Schule Vater und Sohn in verschiedenen Klassen sassen. Diese Angaben beziehen sich auf Dekan. In Unter- Bengalen hingegen findet nach Roberton, wie wir später sehen werden, die Begattung schon vor dem Menstruationseintritt statt . In Calcutta herrscht, wie Allan Webb berichtet, unter den Hindu allgemein die Sitte , die Kinder frühzeitig zu verheirathen, und es wird dem Vater als ein dem Kindesmord analoges Verbrechen angerechnet, wenn seine Tochter im elterlichen Hause menstruirt wird ; daher werden die Kinder im 8. bis 10. Jahre verheirathet, selten aber (unter 80 Fällen 28 mal) gebären die Frauen vor erreichtem 14. Jahre. Nach Angabe des Hauptmanns Best aus dem Jahre 1788 erwählen die Mädchen zu Madras , wenn sie sich vor dem 12. Jahre, in welchem sie oft schon mannbar sind, nicht verheirathen können, das Loos eines Kebsweibes oder eines Freudenmädchens. Dies ist nicht ganz richtig . In der Kaste der Vornehmen ist es nämlich herkömmlich , kein Mädchen zu freien , welches älter ist als 14 Jahre ; ist nun ein Mädchen 15 oder 16 Jahre alt geworden, ohne dass sich ein Freier für sie gefunden hätte, so weiht sie sich dem Tempeldienst der Kali oder heiligen Mutter (Bhawani) , sie wird Mozli, weibliche Priesterin, und hiermit zum verworfensten Geschöpfe des Landes. Unter den Vedas ( südindische Sclavenkaste) pflegen die Männer bei der Heirath 15-16 Jahre alt zu sein, die Mädchen 7-9 Jahre ;. sie cohabitiren aber mit ihren Männern schon vor dem Eintritt der Geschlechtsreife. (Jagor. ) Unter den Bewohnern Central - Asiens wird es mit dem Heirathsalter der Töchter sehr verschieden gehalten. Die Afghanen pflegen die Mädchen im 15. oder 16. Jahre in die Ehe zu geben, doch trifft man auch nicht gar selten 25jährige Jungfrauen. (Mountstuart-Elphinstone.) Dagegen heirathen bei den Durahnern , einem die Berge Afghanistans bewohnenden Stamme, die Mädchen im 14. oder 16. Jahre. Bei den Kafir- Stämmen am Hindukush ist das Heirathsalter der Mädchen zwischen 15 bis 20 Jahren. Die wilden Bewohner Central - Indiens ( im Busthar) verheirathen ihre Töchter mit 15-17, die Söhne mit 14-24 Jahren. (Glasfurd.) Nicht ohne Einfluss auf die Sitte des frühen Verheirathens im Orient mögen die religiösen Institutionen gewesen sein, die in Gemeinschaft mit den klimatischen Einflüssen ihre Wirkung äusserten. Die Heirath gehört (nach Si Khelil) unter die religiösen Pflichten der Mohammedaner, und mit dem 10. Lebensjahre ist es allen Mohammedanerinnen erlaubt , die Ehe einzugehen, d. h. mit etwa 93 Jahren unserer Sonnenrechnung. Mohammed, welcher um jeden Preis seine Anhänger schnell vermehren wollte, hatte dabei vorerst nur an das südliche Arabien gedacht ; er wusste aber nicht , dass bei den Völkern der anderen Länder die Geschlechtsreife später auftritt, als dort. Die Araberinnen reifen aber jedenfalls früher ; auch diejenigen, welche in Afrika leben. „Eine Araberin , " sagt Bruce, gebiert schon im 11. Jahre Kinder, hört aber auch schon im 20. Jahre wieder auf; ihre Zeit beträgt also nur 9 Jahre. " Später setzt er hinzu, dass die Männer auf der afrikanischen Küste des arabischen Meerbusens den schönen arabischen Frauen die abyssinischen Mädchen vorziehen , die man um Geld kauft, weil diese länger Kinder gebären. Wie im Orient überhaupt, so ist das frühe Heirathen der Mädchen namentlich auch in Persien Brauch; Polak berichtete mir aus eigener Wahrnehmung, dass in Teheran das Mädchen gewöhnlich schon im 13. bis 14. Jahre, in Schiras sogar schon häufig mit dem 12. Jahre Mutter wird. Gesetzlich soll das Mädchen erst nach erlangter voller Pubertät heirathen, d. h. mit sich einstellender Menstruation, und wenn Scham- und Achselhaare zu keimen beginnen, ähnlich der mosaischen Vorschrift, doch hält man sich in den ärmeren Klassen nicht daran, sondern erkauft den Dispens von einem Priester. Es heirathen Mädchen mit noch unentwickelten Menstruen und ganz platter Brust, jedoch 396 XV. Die Ehe. entwickelt sich beides in der Ehe rasch. Aus Nord- Persien , insbesondere aus der Provinz Gilan, berichtet Häntzsche : Wenn auch mehr als die Hälfte der Mädchen zur Zeit der Pubertät, d. h . im 14. Jahre, heirathet, so wird doch noch eine sehr grosse Menge Mädchen schon zwischen dem 10. und 14. Jahre verheirathet. Auch die Mädchen der Kurden , jenes Barbarenvolkes, das in manchen Gegenden West- und NordPersiens wohnt und in den Euphratländern , Syrien und Klein - Asien nomadisirend umherstreift, heirathen nach Wagner zwischen dem 10. und 12. Jahre. Diesen westasiatischen Völkern schliessen sich die Nord - Afrikaner an. Die Weiber der Fezzaner haben nach Capitän Lyon im 12. und 13. Jahre Kinder und gleichen im 15. und 16. Jahre alten Weibern. In Tunis findet nach Giovanni Ferrini zu frühe und zu häufige Begattung statt, und ist dies unter anderen Einflüssen eine Ursache, dass die Bevölkerung nicht zu- , sondern abnimmt. In der Sahara von Algerien giebt es ein Volk, die Beni Mezab , welches seine Töchter nach Duveyrier's Bericht sehr früh verheirathet ; es giebt unter ihnen Mütter von 12 Jahren. Unter den Kabilen (zur Berber- Rasse gehörig) werden die Mädchen schon im 6. Jahre versprochen, und sie heirathen zwischen dem 10. und 12. Jahre. Diese frühe Heirath scheint keinen so nachtheiligen Einfluss auf die kabilischen , wie auf die arabischen Frauen zu üben, indem nach Leclerc erstere nicht so schnell zu altern scheinen, als letztere. Die Aegypterinnen verheirathen sich im Alter von 11 bis 13 Jahren. ( Hartmann. ) Das frühe Dahinwelken der ägyptischen Frauen, wie der Morgenländerinnen überhaupt , schreibt Frau v. Minutoli dem frühzeitigen Heirathen zu. Die Kopten verehelichen ihre Kinder schon im 7. oder 8. Jahre, und man sieht bei ihnen oft Mütter, die erst 12 Jahre alt sind. In Ober- Aegypten verheirathen sich nach Bruce die Mädchen selten nach dem 16. Jahre, und einige, die er schwanger sah, waren ihrer Aussage nach kaum 11 Jahre alt ; sie waren in ihrem 16. Jahre älter, als manche Engländerinnen in ihrem 60. Jahre. Klunzinger berichtet, dass in Ober- Aegypten Knaben von 15-18 Jahren Mädchen von 12--14 Jahren heirathen, und fügt hinzu, dass solche in unseren Augen verfrühte Ehen (dort obendrein zu etwa zwei Dritttheilen zwischen Geschwisterkindern geschlossen) doch in Bezug auf den Kindersegen keine üblen Wirkungen wahrnehmen lassen. Wir wenden uns nun zu den übrigen Völkern Afrikas. Die Unsitte der Aegypter , Mädchen von 6-8 Jahren zu verheirathen, findet unter den braunen Leuten zu Mensa nicht statt ; unter 14 Jahren wird hier selten ein Mädchen ehelichen ; in diesem Jahre ist es aber völlig erwachsen. (Brehm. ) Die Frau bei den Schangalla , welche angeblich mit 12 Jahren schon mehrere Kinder geboren hat, wird nach dem 20. Jahre selten Mutter, und hat mehr Runzeln als eine 50jährige Europäerin. Unter den Agow, einem Volksstamme im Süden Abyssiniens , werden die Mädchen schon im 9. Jahre mannbar, heirathen meist im 11. Jahre, hören aber schon im 30. Jahre auf, Kinder zu bekommen. Die Frauen der Abyssinier werden in der Regel ungemein jung verheirathet ; Rüppell berichtet von einer 10jährigen Frau ; das Alter des Mannes kommt bei keiner Ehe in Berücksichtigung, und sehr alte Männer heirathen oft ganz junge Mädchen. In Keradif, das tief in Abyssinien liegt, fand einst der Missionär Stern eine sonderbare Aufregung : es war plötzlich der Befehl erlassen worden, dass alle Knaben über 14 , alle Mädchen über 9 Jahre alt binnen 14 Tagen heirathen sollten ; die Uebertretung dieses Gesetzes sollte mit Geld, eventuell durch Peitschenhiebe bestraft werden ; die ganze Bevölkerung feierte demnach grosse Hochzeitsfeste, und überall sah man kleine Bräute und Bräutigams. Unter den Beduy in den Habab- und Bogos - Ländern erfolgt nach Munzinger die Verheirathung des Mädchens bisweilen im 12. Jahre, doch in der Regel später. In Massaua heirathen, wie Munzinger angiebt, die Mädchen im 12. , die Jüng -linge im 17. Jahre. Nach Brehm ist in Massaua die Sitte, die Mädchen früh zu verheirathen, als Ursache der Unfruchtbarkeit der Weiber zu betrachten. Auch bei den Sudanesen verheirathen sich nach Brehm's Mittheilungen die Mädchen von 12-14 Jahren, die Knaben von 15 Jahren. Die Mädchen in Nubien heirathen nach Abbadie regelmässig mit 12 Jahren; sie heirathen aber auch wohl im 10. Jahre. In Süd- Nubien heirathet man auch nach Berghoff sehr jung; Ehepaare im 15. bis 17. Lebensjahre sind keine Seltenheit . Die Somali , die an der Küste des Meeres wohnen, lassen ihre Mädchen schon von dem 13. Jahre an heirathen. An der Goldküste werden die Heirathen sehr frühzeitig geschlossen. (Cruickshank. ) 90. Das Heirathsalter und die Erstgeburt. 397 Bei den M'Pongo an der Küste von Nord- Guinea pflegen die Mädchen zwischen dem 10. bis 12. Lebensjahre in die Ehe zu treten . (Hyacinth Hecquard.) Das Negervolk der Egba in Yoruba , einem Lande zwischen dem Golf von Benin , dem Niger gegen Osten und Borgu im Norden, verlobt seine Töchter zeitig , doch finden die Verheirathungen selten vor dem 18. bis 20. Jahre statt. (Burton.) In welchem Alter bei den VeyNegern die oft schon früh verbundenen Paare wirklich in die Ehe treten, ist schwer zu sagen, da die Leute nie wissen, wie alt sie sind. Obschon die Frauen sich sehr früh entwickeln, glaube ich nicht, dass dies bei der Frau vor dem 15. , beim Manne vor dem 17. oder 18. Jahre stattfindet . (Büttikofer. ) An der Sierra - Leone - Küste bei den Susu , Mandingo u. s . w. werden die Mädchen schon vor ihrer Geburt verlobt , die Hochzeit wird jedoch selten oder nie vor dem 14. Jahre vollzogen ; auch erinnert sich Winterbottom nicht, in diesem Theile von Afrika je eine schwangere Frau gesehen zu haben, die nicht bereits dieses Alter erreicht hatte. Eine frühzeitige Verlobung der Mädchen findet auch in Old - Calabar, namentlich bei den höheren Klassen, statt , bisweilen schon wenige Tage nach der Geburt und zwar nicht selten mit einem Manne in den mittleren oder höheren Jahren. Im 7. oder 8. Jahre wird das Mädchen zur Vorbereitung vor der Ehe in einer von der Stadt entfernten Farm gemästet ; dann lebt sie noch ein Paar Jahre frei unter den Weibern ihres Gemahls. Bei den Negern in Gabon wird das Mädchen oft schon im 10. Jahre verheirathet, wie Griffon du Bellay angiebt ; im 14. Jahre ist dann solch ein armes Geschöpf Mutter und im 20. Jahre ein altes Weib. Allein nach den Berichten, die Roberton einzog, finden bei den Negern die Geburten im Allgemeinen selten früher als im 16. Jahre statt ; durchschnittlich sollen hiernach die Negerinnen ebenso früh und ebenso spät gebären, wie die Europäerinnen. Dagegen fand Du Chaillu , dass die Aschira in West - Afrika mit der Verheirathung nicht erst abwarten, bis das Alter der Pubertät eintritt. Bei den Kaffern beginnt schon der 14jährige Junge sich nach einer Dirne umzuschauen, die er heirathen kann. Das junge Amaxosa- ( Kaffer- ) Mädchen wird bei Eintritt ihrer Mannbarkeit feierlich für heirathsfähig erklärt . Bei dem hierbei begangenen Fest geniesst sie das übliche Vorrecht, mit einem von ihr erwählten Gefährten, gewöhnlich 2-4 Tage, zusammenzuleben. Die heirathslustigen menstruirten Mädchen tragen das Kopfhaar in Nestform zusammengewunden. Es ist unter ihnen der Probe- Coitus eingeführt, bei dem jedoch der junge Mann das Mädchen nicht schwängern darf, wenn er sich die Entscheidung der Wahl vorbehalten will. Sobald bei den Basutho die Kinder das 14. Jahr erreicht haben, denken die Eltern an eine Heirath. ( Casalis. ) Allein die Mädchen der Basutho heirathen nicht so früh, als man es von dem südlichen Klima erwarten sollte ; erstens ist es in ihrem gebirgigen Lande nicht so warm wie im übrigen Afrika , anderentheils suchen die Väter ihre Töchter recht lange auszubieten, um einen grösseren Preis zu erzielen . (Holländer. ) Andere Betschuanen- Mädchen werden ebenfalls durch Ceremonien bei dem Eintritt der Menses für heirathsfähig erklärt : 12 oder 13 Jahre ist wohl ein ganz gewöhnliches Alter für die Verheirathung, " doch lässt sich dieses Alter selten genau angeben. Bei den Ovah- Herero braucht das Mädchen zum Heirathen nicht älter als 12 Jahre zu sein. Unter den Hottentotten werden schöne Mädchen nicht selten schon mit dem 8. oder 9. Jahre verheirathet. (Damberger. ) Die Mädchen der Buschmänner werden sogar im 7. Jahre verheirathet , und bisweilen mit 12, ja mit 10 Jahren Mütter. (Burchell. ) Die Frauen der Boers in Süd - Afrika heirathen gleichfalls sehr jung, zu einer Zeit, wo der Körper kaum Zeit gehabt hat, sich zu entwickeln, daher haben sie auch eine sehr kurze, durchschnittliche Lebensdauer. (Fritsch.) Auf der Insel Madagascar treten nach den Angaben des Hieronymus Megiscerus aus dem Jahre 1609 die Mädchen der Eingeborenen im 10. Lebensjahre in die Ehe, und die jungen Männer ebenfalls schon mit 10 bis 12 Jahren. Aehnlich wie die Frauen der Boers sollen nach Ziegler auch die Damen der Vereinigten Staaten Nord - Amerikas sehr frühzeitig sich verehelichen, daher ereilt sie das schonungslose Alter früher, als dies bei den Frauen in Deutschland der Fall ist. " Unter allen Schriftstellern, welche unserem Thema ihre Aufmerksamkeit gewidmet haben, beschäftigte sich Roberton in Manchester am genauesten mit dieser Angelegenheit. Unter anderem schrieb er einen Aufsatz : ,, Early Marriages so common in oriental Countries no proof of early 398 XV. Die Ehe. Puberty". Hier brachte er verschiedene Angaben über Spanien , Griechenland, Russland u. s. w. bei und gelangte zu folgenden Sätzen : „ In England , Deutschland und dem übrigen protestantischen Europa ist frühes und vorzeitiges Heirathen selten. Frühes Heirathen waltet hingegen unter jenen uncivilisirten Volksstämmen vor, welche in der arktischen Zone umherschweifen. Auch im europäischen Russland ist ein besonders frühes Verheirathen gebräuchlich. Insbesondere pflegt man in allen Staaten Europas , in welchen Aberglaube und Unwissenheit herrschen, die Mädchen früh zu verheirathen, vorzugsweise ist bei der römisch- katholischen Bevölkerung Irlands frühes Heirathen Sitte . So ist denn überhaupt das frühe Verheirathen nur durch die Rohheit der Bevölkerung und nicht durch das Klima bedingt. Auch in den Gegenden des Orients, in welchen frühes Heirathen stattfindet, steht diese Sitte unter dem Einflusse moralischer und politischer Zustände . Anstatt nun aber das frühe Heirathen , welches in Asien heimisch ist , der vorzeitigen Pubertät zuschreiben zu wollen, sollte man mehr als bisher durch moralische und gesetzliche Mittel gegen diese Gewohnheit einschreiten. " Wir können in dieser Beziehung den Ansichten Roberton's völlig beistimmen, wenn er die socialen Zustände als vorzugsweise maassgebend in den Vordergrund stellt. 91. Die Kinderehe und ihre physiologische Bedeutung. Wir haben aus dem obigen Abschnitt ersehen können, wie ausserordentlich weit verbreitet die Sitte oder vielleicht besser gesagt die Unsitte - ist, die Mädchen schon in sehr frühen Lebensaltern in den Ehestand treten zu lassen. Bekanntermaassen verloben einzelne Völker die Kinder bereits im Mutterleibe , aber damit ist nicht gesagt, dass dann die Ehe auch frühzeitig geschlossen würde. Hingegen finden sich auch Beispiele dafür, dass wirklich bei einigen Völkern Ehen mit ganz jungen Kindern in den ersten Lebensjahren eingegangen werden. Wir finden das bei einigen Indianerstämmen ; auch kommt es bei den Basutho in SüdAfrika vor und ebenso in Old Calabar. Hier hält mitunter ein Mann. welcher bereits mehrere Weiber besitzt, einen Säugling im Alter von 2 bis 3 Wochen auf seinem Schoosse und herzt und küsst ihn als sein neues Weib. Gattinnen von 4-6 Jahren fanden wir vereinzelt (in China, Guzurate, Ceylon und in Brasilien), von 7-9 Jahren sind sie schon nicht mehr selten und 10-12 Jahre ist ein sehr weitverbreitetes Heirathsalter. Dass wir in allen diesen Fällen von Kindere hen sprechen, das wird uns wohl niemand übel nehmen . Es wird aber wohl nicht unnütz sein , wenn wir es hier besonders hervorheben, dass mit einer solchen frühzeitigen Schliessung der Ehe nun nicht in allen Fällen auch eine sofortige Eröffnung des geschlechtlichen Verkehrs verbunden ist . Im Gegentheil, es wird bei manchen derartigen Angaben ganz besonders hervorgehoben, dass für die eheliche Beiwohnung der Eintritt der geschlechtlichen Reife abgewartet wird. So kam es nach Krauss zuweilen bei den Süd- Slaven vor, dass man ein zehnjähriges Mädchen heimführte, doch sah man strenge darauf, dass sie vor ihrer Reife mit ihrem Manne das Lager nicht theilte . Auch bei den Chinesen werden oft, wenn das Mädchen erst 6 Jahre alt ist, die Heirathscontrakte bereits abgeschlossen und die junge Ehegattin tritt auch schon in das Haus ihres Eheherrn ein. Aber wirklich vollständig wird die Ehe nicht eher, bevor nicht das Mädchen das 12. bis 13. Jahr erreicht hat, wo sie dann auch vollständig entwickelt ist. Nach Morache wird in Peking die junge Gattin nicht selten auch bis zu ihrer Geschlechts- 91. Die Kinderehe und ihre physiologische Bedeutung. 399 ,, reife im Hause ihrer Eltern zurückgehalten. Auch bei den Malayen auf Java gestattet man nach Epp der jungen Frau den Beischlaf nicht vor ihrem 10. bis 12. Lebensjahre. Wurde einem Manne in Guatemala ein Mädchen angetraut, welches noch nicht reif war, so gaben dessen Eltern für die Zeit bis zu ihrer Reife ihrem Schwiegersohne eine Sclavin als Stellvertreterin, deren Kinder aber nie den Rang ihres Vaters theilten , auch wenn nicht gesagt ist, dass sie Sclaven blieben. " Ein zweiter Factor, welcher bei diesen Kinderehen berücksichtigt werden. muss, ist der, dass bei vielen Volksstämmen die Mädchen in einem für unsere Begriffe noch der späteren Kindheit angehörigen Lebensalter bereits ihre geschlechtliche Reife erlangt haben und eine Eheschliessung mit ihnen daher nicht so ungeheuerlich ist, wie das nach unserem Empfinden den Anschein hat. Allerdings ist es traurig zu hören, dass auch Europäer es nicht verschmähen, mit diesen kaum entwickelten Mädchen sich in geschlechtliche Verbindungen einzulassen. Das findet beispielsweise auf Celebes statt, wo sich die Europäer 12-13 Jahre alte Mädchen zu Concubinen nehmen, und diese Sitte ist dort angeblich so allgemein, dass niemand darin etwas Anstössiges findet. Uebrigens verbot auch bereits Justinianus den ehelosen Männern, sich Beischläferinnen zu halten, welche unter 12 Jahren alt waren. Es musste demnach damals wohl nicht selten vorkommen, dass man sich so junge Concubinen hielt. Als Ursache der so auffallend frühen Schliessung der Ehe müssen wir in einzelnen Fällen, z . B. bei den Tataren , pecuniäre Bedrängniss der Eltern erkennen. Sie werden auf diese Weise die Nahrungssorgen für ihre Tochter los und erhalten ausserdem noch von dem Gatten den Kaufpreis. Das mag auch der Grund dafür sein, dass bei manchen Stämmen (Tataren , Perser) die Töchter der niederen Bevölkerung früher heirathen , als diejenigen der Reichen. Von den Persern giebt Polak an : ,,In weniger bemittelten Familien trachtet man danach, die Tochter schon in ihrem 10. oder 11. Jahre zu verheirathen, ja mir sind Fälle bekannt, dass nach erkauftem Dispens des Priesters die Verheirathung schon im 7. Jahre stattfand . In guten Häusern jedoch werden die Töchter erst im Alter von 12-13 Jahren ausgestattet. " Es kann nun leider nicht geleugnet werden, dass bei einigen Völkern der geschlechtliche Verkehr mit den jungen Frauen in zweifellos kindlichem Lebensalter gebräuchlich ist. Wir besitzen hierüber directe Berichte. So werden nach Abbadie in Nubien die Mädchen schon lange, bevor ihre Menstruation eingetreten ist , gekauft und zu dem Beischlafe benutzt, und von den Guatos - Indianern in Brasilien berichtet Rohde: Es herrscht die Sitte, Mädchen von 5-8 Jahren zu heirathen , oder richtiger gesagt, von den Eltern zu kaufen. Er sah in jedem Lagerplatz kleine Mädchen benutzen, und als er einen Indianer, dessen acht- bis neunjährige Frau sehr elend aussah, fragte, wie es möglich sei , mit einem solchen Kinde Unzucht zu treiben , antwortete er: „ Ich thue dergleichen nicht, sie schläft nur bei mir, weil sie mein Eigenthum ist, und ich werde sie erst dann als Frau benutzen, wenn sie doppelt so gross sein wird. " Der Kerl sprach aber nicht die Wahrheit, denn Rohde sah denselben , als er trunken war , die gemeinste Unzucht mit dem Kinde treiben. Auf einige andere Beispiele werden wir noch zurückkommen. Bei diesen Verhältnissen drängen sich uns eine ganze Reihe wichtiger physiologischer Fragen auf, ohne dass wir jedoch im Stande wären, schon jetzt ihre endgültige Beantwortung zu geben. Man nimmt für die civilisirten Bevölkerungen Europas an, dass die Gebärmutter und die Eierstöcke im Durchschnitte nicht vor dem 19. Lebensjahre ihren Wachsthums- 400 XV. Die Ehe. process vollendet haben und dass erst von diesem Zeitpunkte ab eine kräftige Nachkommenschaft erzielt werden könne. Wenn nun auch Schwängerungen in etwas früherem Alter nicht ausgeschlossen sind, so herrscht doch allgemein die Ansicht, dass hierzu mindestens bereits die Menstruation sich gezeigt hat, die geschlechtliche Reife eingetreten sein muss. Sind nun bei den Völkern, von denen wir oben gesehen haben, dass Kinderehen bei ihnen gebräuchlich sind, Fälle bekannt geworden, wo die Empfängniss und die Niederkunft vor dem ersten Eintreten der Menstruation sich vollzogen hatte? Dass die jungen Ehegattinnen auch gar nicht selten schon sehr frühzeitig Mütter werden, dafür haben wir ja schon viele Beispiele kennen gelernt. Dass aber auch die Schwangerschaft eintritt , bevor die erste Menstruation sich gezeigt hatte, das wurde Polak in Persien von glaubwürdiger Seite mitgetheilt. Bei einigen anderen dieser jungen Mütter erscheint es wenigstens sehr wahrscheinlich, dass ihre Befruchtung früher eingetreten ist, als ihre erste Menstruation sich zeigte. Wir stehen hier vor einem physiologischen Probleme, dessen Erklärung wir aber nicht versuchen wollen. Wir gehen vielmehr zu anderen Fragen über, welche uns hier ohne Weiteres entgegentreten. Allerdings müssen wir leider auf die meisten derselben die Antwort vollständig schuldig bleiben , und auch für diejenigen Probleme, für welche das bisher vorhandene Material eine gewisse Erläuterung bietet, sind wir doch noch himmelweit von einer befriedigenden Lösung entfernt. 79 Ueber den Verlauf der Schwangerschaften bei diesen Kindern oder kaum reif gewordenen Jungfrauen sind wir gänzlich ohne Nachrichten, jedoch besitzen wir einige, allerdings ziemlich spärliche und zum Theil einander widersprechende Angaben über den Verlauf ihrer Entbindungen. Man konnte ja wohl von vornherein vermuthen, dass das verfrühte Mutterwerden im Allgemeinen die Geburten sehr erschwert. So wird von Roberton berichtet, dass das jugendliche Alter der Mütter in Hindostan gewöhnlich die Ursache schwerer Geburten sei . Und schon im Jahre 1798 schrieb Fra Paolino da San Bartholomeo aus Ostindien: „Viele indische Weiber büssen ihr Leben ein, wenn sie zum ersten Male in die Wochen kommen. " Auf der anderen Seite versicherte mir jedoch der Missionär Beierlein, der lange in der Provinz Madras weilte , dass , wenn auch die Mädchen daselbst bald nach Eintritt der Pubertät, demnach noch sehr jung, schwanger werden, die Geburten dennoch nicht besonders schwer vor sich gehen ; ja man nimmt nach Beierlein's Ausspruch in jenen Districten Ostindiens an, dass daselbst alle Weiber, und sogar auch die eingewanderten. Frauen, die Geburten verhältnissmässig leichter überstehen, als in Europa. Auf den Antillen heirathen die Mädchen der Colonisten auch sehr früb, wie Du Tertre im Jahre 1667 berichtete ; derselbe sah dort eine 121 , jährige Frau, die schon geboren hatte, ihm aber versicherte, dass ihre Niederkunft nicht länger als eine halbe Viertelstunde gedauert habe und wenig schmerzhaft gewesen sei. Trotzdem möchte ich glauben, dass doch im Allgemeinen in diesem Alter der Körper kaum genügend entwickelt sein kann, wenn auch in jenen Gegenden die Entwickelung schneller vor sich geht, als bei uns. Dass von den Frauen im abyssinischen Mensa 30 im Wochenbett sterben, ist nach Hassenstein wohl zum Theil Folge der vor gehöriger Entwickelung des Körpers eingegangenen Ehen. Hier ist übrigens die Antwort auch nicht genügend präcisirt und bei späteren Beobachtungen der Reisenden auf diesem Gebiete würde wohl scharf unterschieden werden müssen, ob die jungen Weiber bereits vor, oder bald nach dem Eintreten der Geschlechtsreife geschwängert worden waren. 91. Die Kinderehe und ihre physiologische Bedeutung. 401 Es wäre ferner interessant zu wissen, wie sich bei diesen jungen Müttern die Nachkommenschaft verhalten mag. Wie steht es mit der Lebensfähigkeit ihrer Kinder und sind diese von normaler Grösse, oder bleiben ihre Grössenund Gewichtsverhältnisse erheblich hinter der Norm zurück? Da eine Anzahl von Reisenden berichtet, dass sie solche Mütter mit ihren Kindern gesehen hätten, so müssen diese Sprösslinge doch immerhin einen gewissen Grad von Lebensfähigkeit besessen haben. Ueber die Frage, inwieweit das Alter der Mutter einen Einfluss auf die Entwickelung von Gewicht und Länge des Kindes äussert, hat Wernich¹ Untersuchungen angestellt . Er fand : 1. Das Gewicht der Neugeborenen nimmt mit steigendem Alter der Mutter bis zum 39. , ihre Länge bis zum 44. Lebensjahre der Mutter constant zu. 2. Jedes Product einer späteren Schwangerschaft übertrifft an Gewicht und Länge die ihm vorausgegangenen. 3. Sowohl das Alter der Mutter als die Zahl der Schwangerschaften bewirken die Gewichts- und Längenzunahme, und zwar jeder dieser Factoren in einem progressionsweise auszudrückenden Maasse. Das Zusammentreffen einer bestimmten Schwangerschaft mit ihrem Durchschnittsjahre wirkt auf die Entwickelung der Frucht besonders günstig. So ergiebt sich aus den Tabellen , dass z . B. eine Frau in Bayern unter sonst gleichen Umständen ihr erstes Kind im 24. , ihr zweites im 27., ihr drittes um das 29. Lebensjahr am vollkommensten entwickelt gebären wird . 4. Erste Kinder, deren Mütter sehr spät menstruirt wurden, stehen an Gewicht den Kindern anderer, besonders sehr frühe menstruirter Mütter nach. Ueber die Gewichtsverhältnisse wie die Lebensfähigkeit und die Gesundheit solcher Kinder, welche in den oben besprochenen Volksstämmen von sehr jungen und nach unseren Begriffen noch ganz unreifen Weibern geboren worden sind, fehlen uns leider noch alle genaueren Angaben, jedoch werden wir kaum fehlgreifen, wenn wir uns unter diesen Erstgeburten nicht gerade Hünen- und Reckengestalten vorstellen . Eine weitere Frage wäre dann wohl die, wie es sich mit den Geschlechtsverhältnissen dieser Kindeskinder, wie man sie wohl mit vollem Rechte nennen könnte, zu verhalten pflegt. Herrscht bei ihnen ein besonderes Geschlecht vor und lassen sich in dieser Beziehung Unterschiede constatiren, je nachdem die Väter schon bejahrte, oder vollkräftige Erwachsene sind, oder sich selber noch in einem halbkindlichen Alter befinden ? Wie steht es ferner mit der Fruchtbarkeit dieser Mütter? Pflegt dieser ersten Schwangerschaft in kurzer Zeit eine zweite sich anzuschliessen ? Hierauf müssen wir erwidern, dass bei den Schangalla nicht selten die Frauen in einem Alter von 12 Jahren bereits mehrere Kinder geboren haben sollen. Es muss also die Möglichkeit einer baldigen erneuten Befruchtung vorhanden sein. Schon Genaueres vermögen wir auszusagen über die Wirkungen, welchen ein so frühzeitiger geschlechtlicher Verkehr auf den jungen weiblichen Organismus ausübt, namentlich wenn derselbe auch noch eine Schwängerung zur Folge hat. Da scheint es, wie wir in einem früheren Abschnitte bereits gesehen haben, in erster Linie festzustehen, dass ein vorzeitiger geschlechtlicher Verkehr das erste Auftreten der Menstruation zu beschleunigen im Stande ist. Auch deuten gewisse Untersuchungen, welche Coste an Kaninchen angestellt hatte, darauf hin, dass durch Reizungen an den Geschlechtstheilen die Reifung und die Loslösung der Eier in den Eierstöcken beschleunigt werden könnte. Wie steht es nun aber mit den Einflüssen und Rückwirkungen, welche diese künstlich und gewaltsam herbeigeführte vorzeitige Entwickelung auf den jugendlichen Organismus ausübt ? Wir lassen hier wieder die Beobachter selber sprechen. Blyth sagt von den Viti - Insulanerinnen : Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 26 402 XV. Die Ehe. Wenn ein Mädchen heirathet, ohne vorher menstruirt zu sein , so ist der erste Coitus unabänderlich von einer viel ernsteren und mehr andauernden Beunruhigung des Systems ( of the system) gefolgt, als wenn die Menstrualfunctionen sich rechtzeitig ent- wickelt haben. In diesen Fällen von verspätetem Auftreten der Menses ist nicht als Hülfsmittel die functionelle Ruhe versucht, sondern alles der Natur überlassen. " Ueber die Neu- Britannierinnen berichtet Danks : „ Die Mädchen werden in manchen Fällen in sehr frühem Alter verheirathet. Ich habe gesehen, dass ein zartes gesundes (fine healthy) Mädchen von nicht mehr als 11 oder 12 Jahren mit einem Manne von 25 oder 30 Jahren verheirathet wurde. Die Wirkung einer so frühzeitigen Ehe ist für das Mädchen schrecklich . Wenn man von ihrem veränderten Aussehen auf ihre Leiden schliessen kann, so mussten dieselben sehr gross sein. " Bruce hebt bei den von ihm in Ober- Aegypten gesehenen Schwangeren von 11 Jahren hervor, dass sie wie eine Leiche aussahen. Auch Rohde betont das elende Aussehen der kleinen Guatos - Indianerin , von deren nicht zu bezweifelndem Verheirathetsein er sich durch den Augenschein zu überzeugen vermochte. Auch fand er im Allgemeinen, wohl aus dem gleichen Grunde, die Weiber meist schwächlich und ihre Gesichtsfarbe krankhaft. Von Leake ist früher bereits behauptet worden, dass frühes Heirathen bei dem weiblichen Geschlechte nicht selten Lungenkrankheiten und namentlich die Disposition zu Phthisis im Wochenbette hervorriefe . Das vermögen wir aus unserem Materiale nicht zu ersehen, aber ein vorzeitiges Altern und ein frühes Erlöschen der Fruchtbarkeit wird von einer ziemlichen Anzahl von Autoren als eine directe Folge der Kinderehen hervorgehoben. So berichtet Schillbach von den Mainotinnen , dass sie mit einigen 20 Jahren schon ganz alt aussehen. Auch die CoroadosIndianerinnen werden nach Burmeister schnell alt und verlieren frühzeitig ihre Empfänglichkeit. Die weitverbreitete Unfruchtbarkeit der Guatos- Indianerinnen wird übrigens von Rohde auch auf Rechnung des frühen Heirathens gesetzt. Auch die Neu - Caledonierinnen altern aus gleichem Grunde nach von Rochas früh, ebenso sind die Ja panerinnen frühzeitig verwelkt. Die Javanerinnen verlieren nach Koegel ihre Fortpflanzungsfähigkeit schon 15 bis 20 Jahre früher, als die deutschen Mädchen, denn in der zweiten Hälfte der dreissiger Jahre wird selten eine javanische Frau noch schwanger. Die Negerinnen von Gabon sind bereits mit 20 Jahren alte Weiber. Als Wirkung des frühen Heirathens bei den Maori in Neu - Seeland vermochte Tuke ebenfalls frühzeitige Unfruchtbarkeit zu constatiren, aber auch ein hoher Grad von Sterblichkeit fiel ihm auf, und in gleicher Weise wird von den Samojedinnen behauptet, dass sie selten das 30. Jahr überleben sollen. 92. Das Jus primae noctis. Wo eine bevorzugte Gesellschaft von Männern , wie dies bei einigen Völkern vorkommt, sich Rechte auf die Töchter des Landes vindicirt, sind diese zuweilen gehalten, sich eine Zeit lang dem Hetärismus, der Prostitution hinzugeben. Man hat die Vermuthung ausgesprochen, dass ein solches Vorrecht (Herrenrecht) der Urtypus des Jus primae noctis gewesen sei, eines Brauches, dessen Thatsächlichkeit neuere Forschungen in Frage zu stellen versucht haben. Ganz allgemein hat man bis in die jüngste Zeit das Jus primae noctis, wonach der Grundherr bei Hochzeiten seiner Untergebenen das Recht haben sollte, den ersten Beischlaf mit der neuvermählten Jungfrau zu vollziehen, 92. Das Jus primae noctis . 403 als geschichtlich feststehende Thatsache betrachtet. Seit dem 16. Jahrhundert sagte man, der König von Schottland Evenus III. , zur Zeit des Kaisers Augustus, habe dieses Recht aufgebracht, das erst nach mehr als tausend Jahren durch König Malcolm wieder abgeschafft worden sei . Namentlich viele französische Schriftsteller, darunter die Encyclopädisten, hielten an dieser sehr verbreiteten Meinung fest, obgleich schon im 18. Jahrhundert Manche, darunter nicht wenige deutsche Gelehrte, die Sache bezweifelten. Seit 1854 kam nun der Streit in Folge eines von Dupin in der Academie der Wissenschaften zu Paris gelieferten Berichtes zu grösserer Lebhaftigkeit. Insbesondere behauptete Louis Veuillot in mehreren Aufsätzen und Schriften, dass das sogenannte Droit du seigneur niemals bestanden habe ; auch gab eine Commission vor der Academie der Inschriften ihr Gutachten in gleichem negirenden Sinne ab. In einem umfangreichen Werke suchte Jules Delpit trotzdem Veuillot's Ansicht zu widerlegen ; ihm reihten sich zahlreiche Gelehrte aus verschiedenen Ländern an ; von deutschen: Jacob Grimm, Weinhold, Scherr, v. Maurer, Liebrecht, Bastian, v. Hellwald u. A. Vor wenig Jahren hat Karl Schmidt¹ in Colmar sich eingehend mit dieser Angelegenheit beschäftigt und alle Umstände, alle in der Literatur zerstreuten Angaben mit einer anzuerkennenden Schärfe beleuchtet ; man muss wohl zugeben, dass er allermindestens die Stützen, auf welche sich seine Gegner berufen könnten, nicht unerheblich erschüttert hat. Schmidt geht aufs genaueste Alles durch, was wir angeblich über die Einführung des Jus primae noctis durch König Evenus III. von Schottland wissen ; doch zeigt er auch, dass die Erzählung völlig in der Luft schwebt. Dann forscht er, auf welcher Grundlage sich die im Mittelalter vorgekommene Sage befindet, dass ein Häuptling der weissen Hunnen , Namens Shorkot, bei jeder Heirath in der Stadt Harapa das Vorrecht des Ehemanns in Anspruch genommen habe ; er findet , dass in der Quelle eigentlich nur von Blutschande" die Rede sei . Ferner soll Marco Polo von einem Jus primae noctis in Cambodja gesprochen haben ; Schmidt findet, dass Marco nur sagte, der König wählte nach Belieben Mädchen für seinen Harem ; nach der Entlassung aus demselben stattete er sie aus. Ebenso wenig sind ihm die Berichte über die Brahmanen in Ostindien zuverlässig. Ganz unbestimmt sind die Nachrichten aus Deutschland , dass hier, wie Liebrecht behauptete, das Jus primae noctis einst bestanden habe. Wenn v. Hormayr sagt, die Herren von Persan (Süd - Tyrol), von Ravenstein und Vatz (Schweiz) seien deshalb vertrieben worden, so fehlt darüber die Quelle . Dergleichen Sagen von einem Privileg der Herren Della Rovere in Italien , der Herren von Prelley und Parsanny in Piemont geht Schmidt in gleicher Weise ganz vergeblich nach. In Frankreich soll das Gewohnheitsrecht der Kanoniker zu Lyon bestanden haben, ihnen die Bräute die erste Nacht zu überlassen als Jus coxae locandae , und man beruft sich auf eine Urkunde vom J. 1132 , in der ein Verzicht auf dieses Recht ausgesprochen sei. Doch beschränkt sich dieser Verzicht lediglich auf den Erlass einer Abgabe vom Hochzeitsmahl ; von Weiterem ist nicht die Rede. Ferner gab es in Frankreich bis zum 17. Jahrhundert ein Droit de Braconnage , z . B. bei den Herren von Mareuil in der Picardie , welche bei den Töchtern ihrer Herrschaft bei ihrer Verheirathung das Lehnsrecht beanspruchten, sie zu ,,braconner“. Schmidt erklärt das Wort mit „ umarmen", also nicht gleichbedeutend mit déflorer. So geht er alle Behauptungen durch bezüglich der vermeintlichen Rechte der Aebte von St. Michel , des Grafen Guido von Châtillon, der Herren von Larivière, Bourdet etc. überall vermisst er den Nachweis . In Frankreich , z . B. in Gascogne , existirte das sogen. Droit de cuissage oder jambage ; das ist aber nicht das Jus primae noctis , sondern es war das Recht, ein Bein in das Bett der Braut zu legen ; ebenso gab es dort ein Recht des Lehnsherrn, über das Bett der Braut hinwegzusteigen ; doch hält letzteres Schmidt nur für einen spassigen Brauch , keineswegs identisch mit dem Jus primae noctis. 26* 404 XV. Die Ehe. Dann kamen aus Frankreich mehrere gerichtliche Entscheidungen (aus d. J. 1302 u. s . w. ) , die man als wichtige Urkunden für das ehemalige Bestehen des Jus primae noctis ansah ; unter Anderen betraf die eine das von den Bischöfen von Amiens beanspruchte Recht, als ,, Gewohnheitsrecht", dass Neuvermählte sich des Hochzeitsfestes enthalten mussten, bis die Bischöfe am 2. oder 3. Tage ihre Genehmigung dazu gegeben hatten. Schmidt findet hier wie in anderen angezogenen Ursachen keine Spur von Jus primae noctis . Völlig ungerechtfertigt ist die Behauptung Blau's, dass die Urbewohner der canarischen Inseln das Jus primae noctis gehabt hätten ; die Berichterstatter sprechen nur davon, dass die Häuptlinge überhaupt die Jungfrauen deflorirten , aber ein besonderes Recht auf die Hochzeitsnacht hatten sie nicht . Mehr zu schaffen macht dem Autor die Angabe Varthema's, dass in Calicut (Ostindien) die Brahminen das Recht gehabt, nicht bloss allen Frauen nach Belieben beiwohnen zu dürfen, sondern auch der jungen Frau des Königs bei dessen Vermählung. In diesem Falle, wo auch noch andere Reisende Aehnliches berichten, handelt es sich um eine Institution des Cultus. Schliesslich weist der Verfasser sämmtliche gerichtliche Entscheidungen ab, auf die man sich vorzugsweise beruft. Insbesondere nennt er das im J. 1812 entdeckte angebliche Urtheil des Grosseneschalls der Guyenne vom 13. Juli 1302 ein „ fälschlich angefertigtes Actenstück" . Obwohl die Motive der Fälschung nicht feststehen , so bezeichnet Schmidt doch den Verdacht als dringend, dass die Fälschung in unlauterer Absicht durch Vertheidiger der Irrlehre vom Droit du seigneur des Mittelalters vorgenommen wurde. Das einzige Urtheil , aus dem der Beweis eines Anspruchs auf das vermeintliche Jus primae noctis mit einem gewissen Scheine von Berechtigung hergeleitet werden könnte, ist, wie Schmidt sagt, das Schiedsurtheil des Königs Ferdinand des Katholischen vom 21. April 1486. Dasselbe beseitigt im 9. Artikel unter anderen Dingen einen Missbrauch, der darin bestand , dass einige Grundherren ( aus Herrschaften in Catalonien) bei Heirathen ihrer Bauern den Anspruch erhoben, in der ersten Nacht mit der neuvermählten Frau zu schlafen oder zum Zeichen der Herrschaft über die Frau, nachdem sie sich zu Bett gelegt hatte, hinüberzuschreiten . Allein gerade dadurch, dass diese Urkunde gänzlich vereinzelt dastehen würde als Beweis für das Jus primae noctis, scheint aus dem Zusammenhange der Urkunde die Annahme gerechtfertigt zu sein, dass die in Anspruch genommene Berechtigung sich auf die Vornahme einer Förmlichkeit beschränkte, die als symbolische Handlung die Abhängigkeit der Bauern von ihrem Grundherrn bezeichnen sollte." Es seien eben „ Hochzeitsgebräuche", die im Geiste der Zeit lagen, wie wenn beispielsweise nach kirchlichem Herkommen die Einsegnung erst einen oder drei Tage nach Abschluss der Ehe erfolgte ; allein so ganz fremde Dinge dürfe man doch nicht mit angeblichen Herrenrechten in Verbindung bringen. Nach germanischen Rechtsgrundsätzen war bekanntlich das Beilager (vor den Hochzeitsgästen) die Form, in der die Ehen geschlossen wurden. Auch diesen Brauch hat man zum Beweise eines Herrenrechtes der ersten Nacht verwerthet, indem es in einer Urkunde vom J. 1507 als Gewohnheitsrecht oder coutume von Drucat heisst: „Wenn ein Unterthan oder eine Unterthanin des Ortes Drucat sich verheirathet und das Hochzeitsfest stattfindet , so kann der junge Ehemann die erste Nacht mit seiner Hochzeitsdame nur dann schlafen, wenn dazu die Erlaubniss des genannten Herrn ertheilt wird, oder der genannte Herr mit der Hochzeitsdame geschlafen hat. " Schmidt legt diese Stelle so aus : dass es der Erlaubniss (die sonst unter Ueberreichung einer Ehrengabe vom Hochzeitsmahl nachzusuchen war) nicht bedurfte, wenn eine Person heirathete, die mit dem Grundherrn unerlaubten Umgang gehabt hatte ; von einem Herrenrechte der ersten Nacht ist nach seiner Ansicht hier nicht die Rede. Alle weiteren Urkunden, die man anführte, lehnt Schmidt in ihrer Bedeutung als Zeugnisse ab. Man hat aber auch das Jus primae noctis aus dem Hetärismus der Urzeit entwickeln wollen, den Bachofen 1861 als Hypothese aufstellte und M'Lellan, Morgan, Lubbock u. A. verfochten. Diese Lehre von einem regellosen Geschlechtsverkehr bei Naturvölkern weist Schmidt zurück, er findet dort, wo geschlechtliche Unsitten vorkommen, nur „ Sittenverwilderung " , keineswegs Ueberreste von Weibergemeinschaft oder Hetärismus ; so hätten auch die Folgerungen der Entstehung eines Jus primae noctis aus dem Hetärismus, wie Bachofen und seine Nachfolger versuchten, keinen Werth. 92. Das Jus primae noctis . 405 • Den dargelegten Ausführungen Schmidt's schliessen wir uns insofern an, als wir seiner Ansicht beitreten : dass eine grosse Zahl der bisher für das einstige Bestehen eines Jus primae noctis angeführten Beweismittel nicht als geschichtliche Thatsachen aufgefasst werden können , welche positiv darthun, dass das Jus primae noctis wirklich in geschichtlicher Zeit noch ausgeübt wurde ; in der That beruft man sich zumeist auf blosse Sagen, die nicht als Beweise gelten können, dann aber auch auf historische Quellen, in welchen jedoch nur von symbolischen Bräuchen die Rede ist, und man hat fälschlich gar zu oft solche Bräuche sofort als Beispiel der Ausübung des Jus primae noctis bezeichnet. Allein wir verschliessen uns doch auch nicht der Kritik, welche Pfannenschmidt dem Werke Schmidt's angedeihen liess, indem wir auch dessen allgemeinen Schlüssen beitreten : Auf Grund sicherer Zeugnisse stossen wir zur Zeit des Mittelalters in Europa auf eigenthümliche Hochzeitsgebräuche, welche sich für diese Zeit zwar als symbolische herausstellen, aber in früheren Zeiten nicht solche haben sein können. Vielmehr deutet Alles darauf hin, dass einst dasjenige thatsächlich geübt wurde, was später nur noch sinnbildlich seinen Ausdruck fand und in alterthümlicher Redeweise schriftlich fixirt wurde. Da aber mit den symbolischen Gebräuchen , wo sie sich fanden, in historischen Zeiten sich leicht Missbräuche verbinden konnten und solche in der That auch vorkamen, so führte dies zu der irrthümlichen Annahme, dass noch zu der Zeit, in welcher man diese Gebräuche aufzuzeichnen anfing, ein sogenanntes Herrenrecht thatsächlich geherrscht habe. Eine möglichst genaue Durchforschung der mitteleuropäischen Heirathsabgaben seit dem 10. Jahrhundert und der sonstigen Literaturdenkmäler des Mittelalters ergiebt nichts, was darauf hinführen könnte, dass für diese Zeit anstatt jener symbolischen Hochzeitsgebräuche der Grundherren ältere, rohere in Uebung gewesen seien. Gleichwohl weisen aber diese symbolischen Gebräuche in Verbindung mit Sagenresten auf rohere Sitten zurück. Schon der Umstand, dass in sehr verschiedenen Landschaften und Oertlichkeiten sich charakteristische Spuren davon finden, fordert solche Annahme. Diese Spuren treffen wir an in Land- und Ortschaften Grossbritanniens , Spaniens , Frankreichs , Italiens , der Schweiz und auch in Holland. Es sind dies Landschaften, in denen lange keltische , ja theilweise vorkeltische Bevölkerung sesshaft war. Die historischen Nachrichten über Nord- und Süd - Germanen, Slaven , Römer, Griechen, Perser bieten, soweit ersichtlich , bis jetzt keine zwingende Handhabe zur Annahme eines Jus primae noctis oder roher Hochzeitsgebräuche in dem angegebenen Sinne. Und doch würde es voreilig sein, zu schliessen, dass trotz mangelnder historischer Zeugnisse solche oder ähnliche Sitten nicht dennoch bei arischen Völkern hätten vorkommen. können. Dass aber eine ganze Anzahl von Gebräuchen, wie wir sie in dem Abschnitte über die Jungfrauschaft kennen gelernt haben, thatsächlich doch nichts anderes sind , als ein Jus primae noctis , das je nach der Bevölkerung dem Könige, dem Häuptlinge oder den Priestern zustand, das wird man doch trotz aller aufgewandten Mühe und Gelehrsamkeit nicht. wegzudisputiren vermögen, und die betreffenden Berichterstatter haben das Kind auch nicht selten bei dem richtigen Namen genannt. So sagt noch neuerdings von Luschan: „Es giebt übrigens unter den lykischen Tachtadschys Stämme, bei denen das geistliche Oberhaupt, der „ Dede " , ein Jus primae noctis besitzt , wenn auch nicht 406 XV. Die Ehe. regelmässig ausübt, und andere, bei denen ihm das Recht zusteht, bei den jährlich abgehaltenen religiösen Versammlungen eine beliebige Frau zu wählen, deren Gatte sich durch diese Auszeichnung wesentlich geehrt fühlen soll . “ Diese Stelle ist auch insofern lehrreich, als sie beweist, dass das Jus primae noctis mit der Zeit von denjenigen, welchen es zusteht, nicht mehr mit Regelmässigkeit ausgeübt wird. So kann man es wohl begreifen, wie es bei fortschreitender Cultur allmählich abgelöst werden, oder nur noch zu gleichsam symbolischer Ausübung gelangen und schliesslich vollständig in Vergessenheit gerathen konnte. Warum nicht etwas Aehnliches einstmals auch in Europa stattgehabt haben soll , das ist doch wohl nicht einzusehen. Man möge hierbei aber nicht vergessen, dass dieses sogenannte Recht in alten Zeiten vielleicht vielmehr eine Pflicht gewesen sein mag. Die Frau musste von ihren Angehörigen in brauchbarem Zustande dem Ehegatten übergeben werden ; und da der erste Coitus durch die mit ihm verbundene Blutung in Folge der Zerreissung des Jungfernhäutchens verunreinigend oder giftig war, so mussten diejenigen ihn ausüben, welche in Folge ihres intimen Verhältnisses zu der herrschenden Gottheit durch eine solche Verunreinigung weniger geschädigt werden konnten. Aus diesem Grunde sahen wir auch, dass die Verwandten der Neuvermählten dem das Jus primae noctis ausübenden Priester oder Könige eine besondere Entschädigung zu zahlen hatten. Aus dieser Pflicht mag allmählich das Recht hervorgegangen sein. Eine ganz besondere Form des Jus primae noctis soll nach v. MikluchoMaclay bei einem ganz primitiv lebenden melanesischen Volke, den Orang- Sakai auf der malayischen Halbinsel, stattfinden ; dort nimmt der Vater der Braut für sich das Recht des Jus primae noctis in Anspruch, eine Unsitte, die man auch auf Sumatra bei Battas und auf Celebes (District Tonsawang) bei Alfuren wiederfindet. Vielleicht liegt auch diesen Ungeheuerlichkeiten der Gedanke zu Grunde, dass der Vater seine Tochter körperlich brauchbar in die Ehe zu liefern hat. 93. Der Ehebruch. Es kann natürlicherweise von Ehebruch bei solchen Völkern füglich nicht die Rede sein, wo die eigenen Ehemänner ihre Weiber, sei es aus einem übertriebenen Gefühle der Gastfreundschaft, sei es aus Gründen schmutzigster Gewinnsucht, anderen Männern zu geschlechtlichem Verkehre überlassen ; denn volenti non fit injuria. Und das Unrecht, was dem Gatten geschieht, die Unterschlagung und Beeinträchtigung seines ihm allein zu- stehenden Rechtes, ist es doch immer, das vorliegen muss, wenn wir von einem Bruche der Ehe sprechen sollen. Aber auch wenn wir diesen Maassstab anlegen, so finden wir, dass die Anschauungen über diesen Punkt bei verschiedenen Völkern ausserordentlich verschieden sind. Ist es vielleicht auch nicht ohne Weiteres gestattet, den Schluss zu ziehen, dass bei denjenigen Nationen, wo wir die Weiber zum Ehebruche sehr leicht geneigt. finden, die Heiligkeit der Ehe in einem nur geringen Ansehen steht, so können wir dieses letztere doch dort ganz sicher annehmen, wo wir für den Ehebruch nur ganz unbedeutende und milde Strafen angesetzt finden. Denn hierin müssen wir doch sicher von Seiten des Mannes eine Geringschätzung des ausschliesslichen Besitzes seines Weibes erkennen, während in dem 93. Der Ehebruch. 407 ersteren Falle die Annahme immer noch nicht abgewiesen werden konnte, dass die leicht erregbare Natur des Weibes stärker gewesen war, als die heiligen Bande der Ehe. Ueber die Auffassung der Ehe von Seiten der Frauen der alten Deutschen macht Tacitus eine sehr anerkennende Schilderung. Er sagt: Keinen Theil ihrer Sitten könnte man mehr loben ; bei einem so zahlreichen Volke muss man die unter ihnen vorkommenden Ehebrüche selten nennen. So empfangen sie einen Gatten, sind mit ihm ein Körper und eine Seele, darüber geht kein Gedanke hinaus und keine Begierde führt sie weiter, und wenn sie ihren Ehemann nicht lieben, so lieben sie doch die Ehe ; mit ihrem Ehegemahl glauben sie leben und sterben zu müssen, auch verachten sie nicht ihre Rathschläge und beachten aufmerksam ihre Antworten. Eine sehr starke eheliche Treue finden wir aber auch bei manchen Völkern, welche dem Mädchen einen unbehinderten geschlechtlichen Verkehr mit jungen Leuten gestatten. Sobald das Mädchen in die Ehe getreten ist, so ist ein Ehebruch etwas Unerhörtes. So treffen wir es namentlich auf einigen Inseln des malayischen Archipels. Die Frauen in der Mongolei allerdings sollen auch nach der Verheirathung das zügellose Leben fortsetzen, das sie als Mädchen zu führen gewohnt gewesen sind . v. Ujjalvi erzählt, dass, wenn ein Siaposch die Untreue seiner Frau entdeckt, er ihr eine Tracht Prügel zukommen lässt und von seinem Nebenbuhler irgend einen geringwerthigen Gegenstand als Entschädigung fordert. Auf Formosa ist der hintergangene Gatte berechtigt, die Scheidung zu verlangen, und beiden Theilen ist danach eine Wiederverheirathung gestattet. Wir haben bereits in dem Abschnitte über die Keuschheit des Weibes das Gebiet der ehelichen Treue berühren müssen und es sollen die dort angeführten Beispielle hier nicht noch einmal vorgeführt werden. Bei den Apache - Indianern verstösst der Mann die Ehebrecherin aus seinem Hause, zuvor aber schneidet er ihr die Nase ab und lässt sich das Ankaufsgeld wieder zurückzahlen. (Spring.) Die Völker am Orinoco dagegen bestrafen den Ehebruch mit dem Tode ; bisweilen allerdings findet die Frau Verzeihung, niemals jedoch der Verführer. Wie leicht sich aber die Sioux - Indianer über den Ehebruch hinwegsetzen, das haben wir oben gesehen. Verging sich in dem alten Peru eine Frau mit einem anderen Manne, so wurde die Ehebrecherin sowie ihr Verführer mit dem Tode bestraft ; der Ehemann konnte eine mildere Strafe beantragen. (Acosta , Garcilasso.) Ebenso wurde in Mexiko vor der Ankunft der Spanier eheliche Untreue schwer bestraft. In Bezug auf die Bestrafung ehelicher Untreue haben sich auf den Inseln im Südosten des malayischen Archipels die Anschauungen gegen früher sehr geändert. Während früher der Mann den Ehebrecher und sein ungetreues Weib (oder dieses allein) sofort tödten durfte, führt die Sache jetzt meistens zur Scheidung, wobei gewöhnlich von den Eltern der Frau der Brautschatz zurückerstattet werden muss, während auf Leti, Moa und Lakor der Ehebrecher dem betrogenen Manne ausserdem noch eine Busse zu bezahlen verpflichtet ist. Die Keisar ( Makisar-) Insulaner begnügen sich nur mit dieser Busszahlung und behalten die Frau ; übrigens ist bei ihnen Ehebruch eine grosse Seltenheit. Auf den Babar- Inseln darf noch heute der Mann den Ehebrecher todtstechen. Thut er dieses nicht, so zieht er mit seinen Blutsverwandten bewaffnet aus und tödtet Schweine und anderes Vieh der Dorfbewohner, während die Angehörigen des Ehebrechers sie zu besänftigen suchen und den Schaden ersetzen, um Krieg zu ver- 408 XV. Die Ehe. meiden. Hat der Ehebrecher dann eine Busse bezahlt, so ist die Frau frei und kann ersteren, ohne dass er einen Brautschatz zahlt, heirathen. In öffentlicher Versammlung lässt sich der neue Gatte dann von dem alten einen Eid schwören, dass er nicht mehr versuchen wird, mit seiner Frau geschlechtlich zu verkehren. Das geschieht unter besonderer Ceremonie, worauf der erste Mann sich aus dem Hause der Frau seine Sachen holt und die Scheidung als erfolgt betrachtet wird. (Riedel¹ .) Auf den Marshall - Inseln wird Ehebruch am Manne gar nicht, an der Frau aber nur durch Verstossung bestraft. Auf Samoa, Tonga , den Sandwichs- und Marquesas - Inseln aber wird der Ehebruch streng geahndet, und auf Ponapé wird er sogar häufig mit dem Tode bestraft. Eine ungetreue Gattin schickt auf den Palau- Inseln der betrogene Ehemann einfach fort (Kubary) ; war aber auf den Marianen - Inseln der letztere ehebrüchig, so rotteten sich die Frauen zusammen und fielen über seine Habe her und zerstörten sie gründlich. Die Strafe, welche bisweilen den Ehebrecher und die Ehebrecherin in Neu-Britannien trifft, ist nach Danks ausserordentlich schwer. Die Frau wird unmittelbar und ohne Barmherzigkeit gespiesst. Der Mann jedoch fällt in einen Hinterhalt, der ihm vom Ehegatten und dessen Freunden gelegt ist. Sie fallen über ihn her, hauen ihn gewaltig mit dem Stock und würgen seinen Hals (twist his neck) so stark es ihnen nur möglich ist . Sie lassen ihn dann in furchtbarer Agonie auf dem Wege liegen, wo ihm helfen mag, wer da will. Er spricht nicht mehr. Er schmachtet wenige Tage, während seine Zunge zu grosser Dicke anschwillt, und er stirbt eines schrecklichen Todes. Bei den Kalmücken wird Ehebruch mit 4-5 Stück Vieh gebüsst ; bei den Chinesen war Ehebruch ein Scheidungsgrund, ebenso bei den Persern , jedoch durfte hier auch der Mann, wenn es ihm gelang, die Untreue seiner Gattin durch Zeugen zu erhärten, seine Frau tödten. Sehr streng ist das Gesetz des Mohammed gegen die Ehebrecherin. Der Koran befiehlt, das Weib, welches durch vier Zeugen des Ehebruchs überführt ist, im Hause einzukerkern, bis der Tod sie befreit oder Gott ihr ein Befreiungsmittel an die Hand giebt. Später liess man dem Weibe die Wahl zwischen Einkerkerung und Steinigung. Gemildert wird die Strenge des Gesetzes dadurch, dass vier Zeugen erforderlich sind, um den Ehebruch zu beweisen. Wer ein Weib dieses Verbrechens bezichtigt, ohne den Beweis dafür erbringen zu können, erhält achtzig Peitschenhiebe. Der Ehemann kann die vier Zeugen durch einen fünffachen Eid ersetzen, jedoch steht es der Frau frei, sich durch denselben Eid zu reinigen, und wenn sie dies thut, ist die Ehe gelöst. Auf offenkundigen Ehebruch wurde bei den alten Israeliten über die beiden Verbrecher die Todesstrafe ausgesprochen , doch entschieden darüber die Gerichte, nicht etwa der beleidigte Ehemann. Schon der blosse Verdacht auf begangene Untreue des Eheweibes wurde streng geahndet ; leugnete die Verdächtige, so erhielt sie den ekelhaften Probetrank; gestand sie, so wurde sie gerichtlich geschieden und der ihr zukommenden Morgengabe verlustig. Dem mosaischen, der Willkür eines eifersüchtigen Ehemannes Thür und Thor öffnenden Gesetze wurden später von den Talmudisten Schranken gesetzt. Der Ehemann konnte nur dann als Kläger auftreten, wenn er vor zwei Zeugen seinem Weibe den Umgang mit einem 93. Der Ehebruch. 409 gewissen Mann verboten, und sie dennoch nach Aussage zweier Zeugen einen solchen Umgang fortgesetzt hatte. In Kamerun soll Ehebruch in der Weise bestraft werden, dass der Mann zu einem namhaften Verlust an Palm- und Oelkernen verurtheilt wird, dagegen man das Weib unter besonders gravirenden Umständen der öffentlichen Schande preisgiebt. Auch muss der Vater der ungetreuen Tochter wohl die Hälfte der Kaufsumme zurückgeben, oder es treffen das Weib Misshandlungen Seitens ihres Mannes. Die Niam- Niam aber bestrafen eheliche Untreue nicht selten sofort mit dem Tode. Für Ehebruch bestimmte ein angelsächsisches Gesetz, dass der Verbrecher das Wergeld der Frau erlege und dem verletzten Gatten ein anderes Weib kaufe. In unseren Volksrechten herrscht aber wie bei der Entführung einer Verlobten die fränkische Forderung der Rückgabe der entführten Frau neben der zu leistenden Geldbusse. Unter den heutigen Völkern Europas sind es namentlich zwei, deren Damen sich in Bezug auf die eheliche Treue eines sehr wenig rühmlichen Leumundes erfreuen. Das sind die Französinnen und die Italienerinnen. Wieviel bei den ersteren die dramatische und Romanliteratur dazu beigetragen hat, sie in einen solchen Ruf zu setzen, der vielleicht weit über das Thatsächliche hinausgeht, das ist natürlich nicht möglich zu entscheiden. In Italien ist das sogenannte Cicisbeat so allgemein bekannt geworden, dass man sich, wahrscheinlich sehr mit Unrecht, eine italienische Dame ohne. einen solchen Begleiter gar nicht recht vorzustellen vermag, und noch mehr hat man sich getäuscht, wenn man in einem solchen Verhältnisse sofort einen Ehebruch witterte. Wenn es in jener Zeit zum guten Ton gehörte, dass sich die verheirathete Frau von einem Cicisbeo bedienen und begleiten liess , welcher morgens bei ihr erschien, um sich Verhaltungsmaassregeln für den Tag ertheilen zu lassen, so lag in diesem Verhältnisse nichts Unsittliches, wie wir etwa bei einem „Hausfreund" auch nur in besonderen Fällen anstössige Beziehungen annehmen dürfen. Es war dies ein dienender Cavalier, ein Vertrauter, bisweilen ein Geistlicher, andere Male ein Milchbruder der Dame. Namentlich dieser letztere galt wie ein Verwandter ; denn die Milchbruderschaft versetzt die beiden von einer Amme Ernährten auch bei vielen Völkern in einen mystischen Rapport. Cicisbeo hat die Bedeutung Galan, aber auch „ Bandschleife" ; wie eine solche hing der Betreffende an der Dame, welcher er ergeben und zu Diensten war. Ob dieses Verhältniss nun aber wirklich immer ein so unschuldiges ist, als welches es erscheint, das möchte doch die Frage sein . Mantegazza, welcher seine Landsmänninnen doch wohl kennen muss, sagt: „ Der Ehebruch ist eine so gewöhnliche Würze geworden, dass er in unsere Literatur, in unsere Sitten eindringt und auf den Bühnen unserer Theater dargestellt wird . Während wir uns Monogamen nennen, sind wir Polygamen und Polyandrer zu gleicher Zeit, und in vielen anscheinend glücklichen und moralischen Familien hat die Frau mehrere Geliebten und der Mann ist der Geliebte anderer Frauen oder Weiber, welche die Liebe verkaufen. Der Ehebruch ist daher die nothwendige und erste Consequenz, weil Männer und Frauen der aufrichtigen , freien, glühenden Liebe bedürfen, und wenn daher die Ehe dieselbe ausschliesst, so suchen Männer und Frauen sie anderswo. " Ein untrügliches Zeichen, dass die Frau es mit mehr als einem Manne gehalten hat, haben die Einwohner von Ambon und den Uliase - Inseln. Es ist dort Gebrauch. dass eine Frau die Nachgeburt schweigenden Mundes zum Strande bringt und in das Meer wirft. Treibt dieselbe auf dem Wasser, 410 XV. Die Ehe. so ist die Frau verpflichtet, es dem Ehegatten der Entbundenen mitzutheilen, der daran erkennt, dass seine Frau ihm untreu war. (Riedel¹ . ) Ueberhaupt ist die Zeit der Niederkunft, in welcher die Seele von Furcht und Bangen erfüllt ist, auch der rechte Augenblick, um das schuldbefleckte Gewissen sich regen zu lassen. So fühlt sich bei dem Beginne der Entbindung die Samojed in veranlasst, einer alten Frau alle die einzelnen Fälle zu berichten, in denen sie ihrem Manne die eheliche Treue brach, denn nur nach gewissenhafter Beichte kann die Geburt ohne Störung von Statten gehen. Aber auch selbst die Sünden der Vorfahren kommen. in dieser kritischen Zeit an das Tageslicht. Das beweist ein absonderlicher Glaube, welcher auf den Luang- Sermata - Inseln herrscht. Man hält das lange Ausbleiben der Wehen bei einer Kreissenden für den sicheren Beweis, dass deren Mutter früher unerlaubten Umgang gepflogen hat. (Riedel¹. ) 94. Die Ehescheidung. Was Gott zusammengefügt, das soll der Mensch nicht scheiden, heisst es bekanntlich in der Trauungsformel der evangelischen Kirche. Aber dennoch hat das bürgerliche Recht eine Reihe von Fällen festzustellen sich gezwungen gesehen, in denen der für das Leben geschlossene eheliche Bund durch richterlichen Spruch vorzeitig wieder gelöst werden kann. Und selbst die katholische Kirche, welcher die einmal geschlossene Ehe als unauflöslich gilt, musste dennoch anerkennen, dass es Lebenslagen giebt, in welchen das heilige Band doch durchaus wieder getrennt werden muss, wobei es in unseren Augen ein rein äusserlicher Unterschied ist, dass hier nicht der Richter, sondern der Pontifex maximus das erlösende Wort zu sprechen berechtigt ist . Es ist nun nicht etwa unsere Absicht, hier die Gesetzesparagraphen der civilisirten Völker durchzusprechen , welche eine Ehescheidung für zulässig erklären, sondern gerade die Zustände bei weniger hochstehenden Rassen sind es, welche uns an dieser Stelle zu interessiren vermögen. Wir haben weiter oben schon gesehen, dass bei den Persern , den nordafrikanischen Mohammedanern und auch bei einzelnen Völkern des südöstlichen Afrikas der in der Brautnacht entdeckte Mangel des Jungfernhäutchens, also in den Augen dieser Leute der Verlust der Jungfrauschaft vor dem Abschlusse der Ehe, diese letztere ohne weiteres wieder aufzulösen im Stande ist. Der Mohammedaner kann aber auch sonst jeden Augenblick nach Belieben ohne Angabe des Grundes die Scheidung aussprechen. Er muss seiner Frau dann allerdings das Heirathsgut verabfolgen und ihr über die Iddahzeit, d. h. über die dreimonatliche Frist, während welcher sie sich nicht wieder verheirathen darf, oder bis zu ihrer Entbindung den Unterhalt gewähren. Allein diese schützende Maassregel hat wenig zu bedeuten ; denn wenn die Frau durch Ungehorsam die Scheidung veranlasst hat, oder wenn der Mann die Gebote Gottes nicht erfüllen zu können" fürchtet, falls er das Gut herausgiebt, so darf er einen Theil desselben oder das Ganze behalten. " Gänzlich fremd ist dem Koran der Gedanke , dass die Frau auf Scheidung dringen könnte. Allerdings hat das moslimische Recht hierüber einige Bestimmungen getroffen ; es kann das Weib bei gewissen Gebrechen 94. Die Ehescheidung. 411 des Mannes oder bei hoffnungslosem ehelichen Zwist Scheidung verlangen, aber dann hat es den Mann zu entschädigen oder auf das Heirathsgut zu verzichten. Die ausgesprochene Scheidung gilt für unwiderruflich, wenn sie durch Zeugen beglaubigt ist ; manche Frau ist aus drückender Knechtschaft befreit worden, weil der Mann in der Hitze des Zorns sein : „ Du bist entlassen" sprach. Denn diese Erklärung genügt, um die Ehe zu lösen. In Aegypten muss diese Erklärung aber dreimal abgegeben werden. Den Muselmännern ist es erlaubt, sich dreimal von ihrer Frau scheiden zu lassen und sie nach der Scheidung wieder zu heirathen. Nach dem dritten Male aber ist ihnen die Wiederheirath verboten, wenn nicht die Frau inzwischen mit einem anderen Manne die Ehe eingegangen war, welche natürlicherweise ebenfalls erst wieder getrennt sein muss. Bei den Persern pflegt der Ehebruch zur Scheidung zu führen, aber in der Regel erfolgt die Scheidung nur, wenn die Frau kinderlos bleibt und ihr die Schuld davon beigemessen werden kann, zweitens wenn sie liederlich ist und drittens wenn der Mann glaubt, dass mit ihrem Eintritte in das Haus Unglück über dasselbe kam; man hält sie dann für ein böses Omen. Auch der Perser kann seine geschiedene Frau wieder ins Haus nehmen, nach der zweiten Scheidung jedoch nur in dem Falle, wenn sie indessen an einen Anderen verheirathet war und von diesem den Scheidebrief erhielt. Bei der Sighe, d. h. bei einer weiblichen Person, mit der er nur eine Ehe auf Zeit eingegangen ist, kommt die Scheidung nicht in Frage, da der Vertrag mit ihr von selbst nach bestimmter Zeit abläuft. Bei den heutigen Abchasiern darf eine unzufriedene Gattin ohne Weiteres ihren Gemahl verlassen und zu ihrer Familie zurückkehren, ohne dass dieser das Recht hätte, sich zu beschweren. (Serend. ) Die NayaKurumbas im Nilghiri- Gebirge halten die Ehe überhaupt nur so lange für bindend, als es ihnen beliebt. (Jagor. ) Bei den Samojeden. ist das Band der Ehe sehr locker, geringfügige Ursachen können Scheidung herbeiführen ; dann geht der Mann des Kaufpreises verlustig ; läuft eine Frau fort, so sind ihre Eltern verpflichtet, den Kaufpreis zurückzuerstatten. Bei den Akkadern , den Vorfahren der alten Assyrer , durfte sich, wie glücklich erhaltene und von Lenormant gelesene Keilschrifttäfelchen aussagen, wohl der Mann von der Frau, aber nicht die Frau von dem Manne trennen : „Rechtsspruch : Hat eine Frau ihren Ehemann beleidigt, hat sie du bist nicht mehr mein Mann zu ihm gesagt, so soll sie in den Fluss geworfen werden. " Ein Versuch der Ehescheidung von Seiten der Frau wurde also mit dem Tode bestraft. Der Mann dagegen konnte die Gattin ohne Weiteres verstossen, wenn er noch nicht in ehelichen Verkehr mit ihr getreten war: Hat ein Mann ein Weib geehelicht, und subigendo eam non compressit, so kann er eine Andere wählen. War aber die Ehe in diesem Sinne schon perfect geworden, so stand es ihm dennoch frei, mit Hinterlegung einer Geldbusse die Ehe wieder rückgängig zu machen ; „ Rechtsspruch : Hat ein Mann zu seiner Ehefrau du bist nicht mehr meine Frau' gesagt, so soll er eine halbe Silbermine zahlen. " Bestimmte Vergehen von Seiten der Frau, welche uns leider nicht näher bezeichnet werden, gestatteten dem Manne die Verstossung der Ehefrau in sehr entehrender Form. Es lässt sich vermuthen, dass Ehebruch von ihrer Seite die Ursache hierfür abgegeben haben muss. „ Ihre Verstossung hat er auf dem passur ausgesprochen, und zu ihrem Vater hat er sie zurückkehren lassen. . . . Er hat ihr seine Verstossungsurkunde übergeben, er hat dieselbe an ihren Rücken geheftet, und sie sodann aus dem Hause gejagt. In allen Fällen wird der Ehemann sein Kind bei sich überwachen dürfen, doch darf er jene nicht weiter belästigen. Hierauf, da sie zur Hure geworden, wird man sie auf der Strasse aufgreifen und mit sich fortführen können . Wo es am besten ihr passen wird, darf sie ihr Hurengewerbe be- 412 XV. Die Ehe. treiben . Als Hure wird sie der Sohn der Strasse zu sich nehmen dürfen. Ihre Brust... Ihr Vater und ihre Mutter sie nicht wieder anerkennen sollen. " Der Vorgang der Scheidung war bei den alten Israeliten zur Zeit des noch bestehenden Tempels sehr umständlich. Ausserdem gab es verschiedene Scheidungsgründe : Der Mann konnte klagen, wenn die Frau Leibesfehler hatte, die den Beischlaf hinderten, wenn sie in der Führung des Hauswesens oder sonst gegen die jüdischen Gesetze verstiess, wenn sie ein unsittliches Leben führte oder des Ehebruchs überführt wurde, wenn sie die Schwiegereltern beschimpfte oder die ehelichen Pflichten verweigerte, endlich , wenn sie zehn Jahre kinderlos blieb . Andererseits konnte die Frau klagen, wenn der Mann die ehelichen Pflichten versagte, wenn er sie tyrannisch behandelte, von widerlicher oder ansteckender Krankheit befallen war, ein verachtetes Gewerbe ergriffen hatte, wenn er eines Verbrechens wegen flüchtig geworden war, und schliesslich wenn er sich zur ehelichen Pflicht unfähig zeigte . Die chinesischen Bestimmungen über die Ehescheidung waren nach den Vorschriften von Confucius folgende: Ungehorsam gegen die Eltern des Mannes, Unfruchtbarkeit, Ehebruch, Abneigung oder Eifersucht, böse Krankheit, Schwatzhaftigkeit, Diebstahl an des Mannes Eigenthum. In drei Fällen durfte der Mann die Frau nicht verstossen : 1. wenn ihre Eltern , die zur Zeit der Verheirathung noch lebten , gestorben sind, 2. wenn sie die dreijährige Trauer um des Mannes Eltern getragen hat, 3. wenn sie erst arm und niedrig, jetzt aber reich und angesehen ist. Erst durch einen Erlass des Staatsrathes vom 5. Mai 1873 , berichtet Hering, hat die Frau das Recht, unter Beistand des Vaters oder eines Verwandten vor dem Richter auf Scheidung klagbar zu werden. Nach der officiellen Statistik kamen im Jahre 1884 auf 100 Eheschliessungen 38,2, 1885 43,7 , 1886 38,3 Ehescheidungen. Allerdings ist es möglich, dass die Zahlen der Statistik nicht ganz richtig sind. Aber sie scheinen uns eher noch zu niedrig zu sein, da die Ehen gewöhnlich erst sehr spät angemeldet werden und daher viele Ehen wieder geschieden werden, bevor sie als geschlossen angemeldet waren, also in den statistischen Tabellen gar nicht berücksichtigt sind. Der Japaner kann sich ohne besondere Gründe von seiner Frau trennen und er darf sich danach so oft wieder verheirathen, als er will, nur nicht mit der leiblichen Schwester oder mit der Schwester einer vorigen Gattin. Auf den Marianen dauert die Ehe nur so lange, als beide Gatten es wollen. Ist der Mann nicht unterwürfig genug, so verlässt ihn die Gattin und geht zu ihren Eltern, die dann über des Mannes Eigenthum herzufallen pflegen und dasselbe zerstören. Will auf den Palau- Inseln sich der Mann von seiner Frau trennen, so schickt er sie einfach fort. Ihr folgen die Kinder, die von der Mutter den Stand erben. (Kubary.) Behandelt auf den Gilbert - Inseln der junge Ehemann seine Frau schlecht, so kann der Adoptivvater derselben sie wieder zurückverlangen und die Ehe ist dann aufgelöst. (Parkinson.) Auf den südöstlichen Inseln des malayischen Archipels, von denen uns der schon so oft citirte Riedel so vortreffliche Schilderungen geliefert hat, herrschen in Bezug auf die Ehescheidung sehr verschiedenartige Gebräuche. Auf Buru findet eine Ehescheidung überhaupt nicht statt, und wenn die Frau den Mann verlässt, so sind ihre Verwandten verpflichtet, sie ihm wieder zurückzubringen. Auf den meisten anderen Inseln ist der hauptsächlichste Grund für eine Trennung der Ehe Untreue von Seiten der Frau oder auch wohl von Seiten des Mannes (Serang) . Nächstdem bildet Misshandlung der Frau einen Scheidungsgrund, und zwar hat der Mann dann im Gegensatze zu der vorhergenannten Ursache keinen Anspruch auf eine Rückerstattung des Brautschatzes. Im Gegentheil, er muss die Geschenke 94. Die Ehescheidung. 413 wieder herausgeben, die er bei der Hochzeit von den Anverwandten der Frau erhalten hat, er muss ihnen die Kosten zurückerstatten , welche die Hochzeit verursacht hat (Ambon), und muss ihnen sogar noch eine Busse bezahlen (Leti , Moa und Lakor). Auf den Tanembar- und Timorlao - Inseln darf die Frau dann auch alles Gut an sich nehmen, was sie während der Ehe erworben hat, und die Kinder verbleiben ihr, während auf den Aaru - Inseln die Kinder bei Ehescheidung dem Vater folgen. Auch bei dauerndem häuslichen Unfrieden kann die Scheidung ausgesprochen werden (Ambon, Leti , Moa, Lakor) . Die Frauen auf Serang oder Nusaina dürfen die Scheidung beantragen bei Impotenz des Mannes, oder wenn letzterer mit seinen Schwiegereltern in dauerndem Streite lebt. Die Scheidung wird hier von den Aeltesten, auf Leti , Moa und Lakor von der Familie, auf den Seranglao- und Gorong- Inseln von den Häuptern und Geistlichen ausgesprochen. Auf letzteren geben sie dann den Scheidebrief, vertheilen den Besitz und die Kinder, lassen aber die Scheidung nicht zu, wenn die Gründe nicht sehr gewichtig sind. Eine Wiederverheirathung einer geschiedenen Frau darf nicht vor dem 135sten Tage stattfinden, und bis zu diesem Termine gehört sie noch dem Manne und muss von ihm unterhalten werden. "" Ehescheidungen sind in Java ohne grosse Schwierigkeit zu bewerkstelligen. Eine geschiedene Frau darf sich jedoch erst nach drei Monaten und zehn Tagen wieder verheirathen. Wollen zwei geschiedene Gatten später wieder sich vereinigen, so kann dies gesetzlich erst dann geschehen, wenn die Frau mittlerweile sich einen anderen Mann genommen hat, von dem sie sich scheiden lassen muss. Wird sie von diesem Manne schwanger, so muss sie zuerst ihre Niederkunft abwarten, und kann erst nach dieser sich wieder verheirathen. " (Müller.) Bei den Kaffern ist die Ehescheidung überall üblich und wird oft wegen geringfügiger Ursachen ins Werk gesetzt. (Merensky.) Auch unter den Betschuanen kann der Mann die Scheidung leicht ausführen, doch muss er für den Unterhalt der Geschiedenen sorgen, falls diese nicht schuldig befunden wird. Bei den Kassanga in Afrika wird die Scheidung durch eine einfache Mittheilung an den ältesten Oheim der Frau bewirkt, der nun dieselbe von neuem verkaufen kann. Je öfter also eine Scheidung erfolgt, desto einträglicher erweist sich der Besitz einer Nichte, denn der Kaufpreis wird dem sich scheidenden Gatten nicht zurückerstattet. (Schütz.) kann nach Reichard bei den Wanjamuesi die Scheidung durch den Häuptling herbeigeführt werden, wenn genügende Gründe für dieselbe vorhanden sind, z . B. wenn die Frau keine Kinder bekommt, wegen Ehebruchs, wegen Syphilis oder wenn sich beide nicht vertragen können, oder wenn die Frau den Mann böswillig verlässt. In allen Fällen jedoch, sei der Mann oder die Frau der schuldige Theil, muss das Brautgeld dem Manne zurückerstattet werden. Es XVI. Das Weib im Zustande der Befruchtung. 95. Die Zeugung. Es bedarf nicht erst einer besonderen Erwähnung , dass für die Erhaltung und die Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts das Weib in ganz erheblicher Weise mehr in Anspruch genommen wird als der Mann. Während der letztere dem jungen Keime des neuen Individuums nur die Fähigkeit der Entwickelung in kurzem einmaligen Acte überträgt, ist das Weib berufen, im Inneren ihres Leibes ihm das schützende Nest zu gewähren, in welchem er wachsen und einen bestimmten Grad der Reife erreichen kann , von ihrem Blute ihm die Materialien zuzuführen , die er zu seinem Wachsthum nöthig hat, und wenn er endlich nach monatelanger Verborgenheit das Licht der Welt erblickte, ihm mit dem wichtigsten Producte ihres Körpers, der Milch, noch lange Zeit hindurch die ausschliessliche Nahrung darzubieten. Alle diese wichtigen Functionen fallen in die Periode der vollsten Körperkraft und der Höhe der Entwickelung des weiblichen Geschlechts , unter normalen Verhältnissen wenigstens, und fast zwei volle Jahre verstreichen , und gar nicht selten sogar noch mehr, um einem einzigen Keime das alles zu leisten, was wir soeben entwickelt haben. Hierbei ist es ja auch noch das Gewöhnliche, dass , wenn die erwähnte Leistung für ein neues Individuum soeben ihren Abschluss erreicht hat, bereits ein anderer frisch befruchteter Keim die gleichen Ansprüche an die Mutter stellt. Es ist daher durchaus in der Ordnung , dass wir in diesem von dem Weibe handelnden Werke den besprochenen Zuständen und Thätigkeiten eine ganz ausführliche Berücksichtigung zu Theil werden lassen. Erst seit Swammerdam († 1685) weiss man, dass zur Befruchtung der Contact des Eies mit dem Samen nöthig ist, seit Spallanzani (1768) kennt man die Befruchtungskraft der Samenfäden , seit Barry (1850) das Eindringen derselben in das Ei, in dem dann eine Zellenbildung vor sich geht. Ganz neuerdings weiss man nun auch durch den wunderbaren Process der Karyokinese , der Zellkernbewegung, wie auch der männliche Keim nicht nur den weiblichen zur Zellenneubildung und zum Wachsthum veranlasst, sondern wie er selber an diesen Wachsthumsprocessen ganz thätigen Antheil nimmt, wie besonders Waldeyer sehr übersichtlich auseinandergesetzt hat. Wir müssen in dieser Einverleibung von Formelementen des väterlichen Organismus in diejenigen des Sprösslings ohne allen Zweifel die eigentliche organische Grundlage finden für die ja allgemein bekannte 95. Die Zeugung. 415 Thatsache, dass nicht allein die Eigenschaften der Mutter, sondern auch diejenigen des Vaters auf die Nachkommenschaft übertragen werden. Wie die Zeugungslehre noch viele problematische Punkte enthält, so galt Zeugung von jeher bei allen Völkern als ein Mysterium, dessen Lösung man kaum enträthseln kann. Welchen Antheil nimmt der Mann, welchen das Weib an der Erzeugung eines neuen Individuums, und wie sind beide im Stande, körperliche und geistige Eigenschaften auf ihre Nachkommen zu übertragen, das ist von jeher die Frage gewesen, und überall dort, wo sich eine primitive Wissenschaft, wo sich die ersten Ansätze und Anfänge der Philosophie und Naturlehre zu zeigen begannen, suchte man durch Nachdenken und durch Aufstellen einer Zeugungstheorie dem Probleme auf die Spur zu kommen. Hier tritt jedoch sofort die Mystik an die Stelle einer Erfahrungswissenschaft, wie sich geschichtlich nachweisen lässt. Die Talmudisten, welche bekanntlich zugleich Priester und Aerzte waren, liessen den Fötus zum Theil (Knochen, Sehnen, Hirn, Weisses im Auge) aus dem weissen Samen des Mannes, zum anderen Theil (Haut, Fleisch, Haare, Schwarzes im Auge) aus dem rothen Samen des Weibes entstehen. Gott tritt als vermittelndes Seelenprincip dazwischen und giebt dem Ganzen das Leben. Die altindischen Aerzte hatten eine ganz besondere Erzeugungstheorie, bei welcher sie ihre Ansichten vom höchsten Wesen und der Schöpfung überhaupt zu Grunde legten. Susruta sagt (nach Vullers) : „Beim Beischlaf geht durch den Vayu ) die Energeia aus dem Körper, dann ergiesst sich durch die Vereinigung der Energeia mit dem Vayu der männliche Samen in die weiblichen Geschlechtstheile und vermischt sich mit dem monatlichen Geblüte ; darauf gelangt der werdende Embryo durch die Verbindung des Agni (Gott des Feuers) mit dem Soma ( die Mondgottheit als Zeugende) in den Uterus. Zugleich mit dem Embryo geht auch die Seele in den Uterus, begabt mit göttlichen und dämonischen Eigenschaften. " Aus den wissenschaftlichen Büchern der Tamulen lernen wir auch die Physiologie (tatva- sâstra genannt) der Hindus kennen (Schanz) ; unter den fünf Organen der Thätigkeit sind ihnen die letzten derselben die Geschlechtstheile als Organe der Absonderung und der Zeugung ; nach ihrer mystischen Auffassung spiegelt sich Alles, was im Makrokosmus, d. i. der Welt, sich vorfindet, auch im Mikrokosmus, d. h. im menschlichen Leibe, ab ; die mittlere Region des letzteren wird als eine Lotosblume dargestellt und bei der Anbetung dreien von den weiblichen Energien (Saktis) zugeschrieben. Während demnach der altindische Arzt Susruta glaubt , dass die Befruchtung nur dadurch zu Stande kommt, dass sich der männliche Samen mit dem monatlichen Geblüte mischt (denn in diesem liegt seiner Meinung nach der Keim des kräftigen Embryo), hat nach der Ansicht des Hippokrates das Menstrualblut mit dem Acte der Befruchtung nichts gemein, denn die Befruchtung kommt nach ihm dann zu Stande, wenn der beiderseitige Samen im Uterus bleibt und sich vermischt ; ist aber die Befruchtung geschehen, so treten die Katamenien in den Uterus, nicht monatlich, sondern jeden Tag und werden zu Fleisch, und so wächst das Kind.

  • ) Das indische Wort Vayu, das sich nicht durch einen passenden deutschen

Ausdruck übersetzen lässt, bedeutet Wind, Luft, und wird speciell zur Bezeichnung der im Körper befindlichen Luft gebraucht, die sich auf fünferlei Weise äussert : 1. als Respiratio, 2. als Crepitus ventris, 3. als Cordis cum cerebro communicatio, 4. als Digestio , 5. als Transpiratio . Durch die gemeinschaftliche Thätigkeit dieser fünf Functionen be- steht der Lebensact. 416 XVI. Das Weib im Zustande der Befruchtung. Nach der Hippokratischen Theorie bildet das Weib ebensowohl Samen, als der Mann. Der Keim entsteht beim Zusammentreffen männlichen Samens mit dem weiblichen, und die Aehnlichkeit des erzeugten Geschöpfes mit den Erzeugern rührt daher, dass der Same, von allen Theilen des Körpers geliefert, eine Art von repräsentativem Extract des letzteren darstellt. Diese jedenfalls schon vor Hippokrates (nach Plutarch schon bei Pythagoras) geltende Theorie wurde namentlich von Aristoteles bekämpft ; er selbst aber behauptete, dass das Männchen den Anstoss der Bewegung (άom Týs zivýσews) giebt, das Weibchen aber den Stoff. Als den Stoffbeitrag, welchen das Weib an das Erzeugniss abgiebt, sieht Aristoteles die Katamenien an, und es ist bekannt, wie er bereits die Menstruation des menschlichen Weibes mit den Blut- und Schleimabgängen parallelisirt hat, welche zur Zeit der Brunst bei Thieren beobachtet werden. Die Zeugung vergleicht er mit der Gerinnung der Milch durch Lab, bei welcher die Milch den Stoff, das Lab aber das Princip der Gerinnung abgebe. Hippokrates meinte also, dass im Samen zugleich das dynamische und das materielle Princip enthalten sei ; Aristoteles hingegen vindicirte ihm nur das dynamische Princip. (His. ) 99 Etwas ausführlicher geht Galenus in dem Buche „de Semine" auf den Gegenstand ein. Er tritt hier allenthalben Aristoteles entgegen ; allein trotz der weiter fortgeschrittenen anatomischen Detailkenntnisse zeigt er sich nicht entfernt auf der Höhe seines grossen Vorgängers. Das Durchlesen seiner Abhandlung, " sagt His, hinterlässt vielmehr, trotz mancher vortrefflichen Beobachtungen und Bemerkungen, den peinlichen Eindruck, den wir empfinden, wenn uns ein bedeutendes thatsächliches Material in gekünstelter Verknüpfung vorgeführt wird. " Die Aerzte der Araber gingen in ihrer Zeugungstheorie wieder auf Aristoteles zurück. Einer derselben, Averroes, eigentlich Abul Welid Muhammed ben Ahmed Ibn Roschd el Maliki (auch genannt Aben Ruis, Aven Rust), welcher 1198 in Marokko starb, vergleicht die Ovarien, die sogenannten weiblichen Hoden, mit den Brüsten der Männer, indem beide für die Zeugung unnöthig wären. Der Embryo werde nämlich durch das Menstrualblut ausgebildet, seine Form jedoch bedinge hauptsächlich der männliche Same durch seinen Luftgeist. Daher bezweifelte er auch nicht, dass eine Frau in einem Bade geschwängert werden könne, worin vor Kurzem ein Mann eine Pollution gehabt habe. Diese letztere Behauptung wurde noch in unserem Jahrhundert in England Gegenstand einer gerichtsärztlichen Discussion. Ebenso wie bei den Aerzten des Alterthums, spielte auch in verschiedenen Culten die Zeugung eine mystische Rolle. Wir führen einige Beispiele an. Bei den Schiwaiten , welche die schreckliche Bhavani verehrten und einen schändlichen Phallus- Dienst haben (man vergleiche Fig. 23) , gilt die Zeugung selbst als eine theilweise oder gänzliche Zerstörung mit der Geburt ist der Tod eng verbunden : daher ist die Göttin der Wollust, die Bharani, zugleich die Göttin der Zerstörung und des Todes. Im Lamaismus haben alle organischen Wesen eine doppelte Seele ; die eine derselben wird die denkende Seele, die andere das Leben genannt. Jene hat keinen bestimmten Sitz, irrt durch alle Glieder und kommt erst bei der Geburt in den Menschen, das Leben aber schon bei der Empfängniss. Dagegen liegen nach der Ansicht der Khond's, eines indischen Urvolks, im Menschen vier Seelen : die erste ist die der Seligkeit fähige Seele, die zu Gott (Boura) zurückkehrt, die zweite gehört dem besonderen Stamme auf der Erde an und wird innerhalb derselben wieder- 96. Die Empfängniss. 417 geboren, weshalb der Priester bei der Geburt jedes Kindes zu erklären hat, welches der Familienglieder in demselben zurückgekehrt sei ; die dritte hat die in Folge der Sünden als Strafe verhängten Leiden zu tragen, die vierte ist die, welche mit der Auflösung des Körpers stirbt. (Bastian nach Macpherson.) Es ist bei uns auf dem Lande noch eine weitverbreitete Ansicht, dass zu einer Schwängerung die beiderseitige Voluptas unumgänglich nothwendig sei, weil nur auf diese Weise die männliche mit der weiblichen „ Natur" zusammenzutreffen vermöge, und wenn einem Manne Zwillinge geboren werden, so lässt er sich im Gefühle seiner Mannestüchtigkeit gerne necken, dass er ,,ebenso tüchtig wie fleissig gewesen". Je grösser die Aufregung, desto grösser ist nach dem Volksglauben die Aussicht auf einen Buben. Das letztere hat nun allerdings gewisse Thatsachen für sich, wenn nämlich die erwähnte Aufregung auf Seiten der Frau sich befindet, während andererseits auch ohne diese, wie eine Anzahl von Nothzüchtigungsfällen bei Bewusstlosen beweist, eine Schwängerung durchaus nicht unmöglich ist. Dass zu der Zeugung das Eindringen des männlichen Sperma in den Genitalapparat der Frau ein nothwendiges Erforderniss ist, das wissen auch die wilden Völker ganz genau, und manche von diesen, die sogar noch auf sehr niederer Culturstufe sich befinden, wissen hiernach ihre Vorkehrungen zu treffen. Dahin gehört z. B. die Mika- Operation, welche bestimmte Stämme Australiens an ihren jungen Leuten ausführen und welche darin besteht, dass sie ihnen mit einem Messer aus Feuerstein die Harnröhre von der Eichelspitze bis zum Hodensack aufspalten und die Wiedervereinigung zu verhindern wissen . Bei der geschlechtlichen Vereinigung kommt dann der Ausfluss des Samens ausserhalb der weiblichen Geschlechtstheile zu Stande. Bei den oben erwähnten Orgien, welche bei Brautwerbungen der Basutho die zu diesem Zwecke abgesandten jungen Männer mit den Freundinnen der Braut zu veranstalten pflegen, spricht das sich hingebende Mädchen dem Jünglinge immer nur die Bitte aus : ,,Verdirb mich nicht, " d. h. verhüte eine Schwängerung ; und von den Jünglingen der Massai , welche mit den Mädchen freien Verkehr haben, bei denen aber eine Schwangerschaft die unabwendbare Tödtung des Mädchens zur Folge haben. würde, berichtet Thompson, dass sie ante ejaculationem den Penis extrahiren. 99 96. Die Empfängniss. Erst durch den Physiologen Bischoff wurde die Lehre begründet und in Aufnahme gebracht, dass deshalb die Empfängniss (Conception) am leichtesten zu der Zeit erfolgt, wo die Menstruation naht oder wo dieselbe noch nicht lange vorüber ist, weil bei jeder Menstruation ein Ei reift, sich aus dem platzenden Follikel am Eierstocke loslöst und in die Gebärmutter gelangt und nunmehr bei stattfindendem Coitus befruchtet werden kann. Es ist dies die sogenannte Ovulationstheorie. Diese Hypothese, dass die Befruchtung des Weibes in die Zeit fällt, wo mit der Menstruation und dem mit derselben verbundenen Blutaustritt auch die Ovulation, d. h. eine Ablösung eines Eies eintritt (eine unter Anderen von Pflüger vertretene Hypothese) , ist allerdings nach Reichert, Kundrat, Engelmann und Ahlfeld nicht haltbar. Vielmehr meinen diese, dass das Ei nur befruchtet werden kann, welches sich kurz vor der Zeit, wo Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 27 418 XVI. Das Weib im Zustande der Befruchtung. die Blutung wiederkehren sollte , löst. Die Blutung bleibt dann aus, die Decidua menstrualis wird zur Decidua graviditatis. Manche Erscheinungen sprechen allerdings für diese Einwürfe ; namentlich Leopold (Dresden) brachte anatomische Thatsachen gegen die Ovulationstheorie bei. Er hat die Eierstöcke castrirter und während der Menstruation verstorbener Frauen untersucht und glaubte aus anatomischen Gründen schliessen zu können, dass zwar die Loslösung eines Eies vom Eierstock (Ovulation) vorzugsweise unter der Menstruation geschehe, dass aber öfters auch in dem zwischen zwei Menstruationen fallenden Zeitraum ein Follikel berste ; demnach knüpft sich nach Leopold's Ansicht die Befruchtung nicht an den Zeitpunkt der Menstruation. Schon früher hatten Beigel u. a. verschiedene Einwände gegen die Ovulationstheorie erhoben ; zumal stützte man sich auf die Thatsache, dass die orthodoxen Jüdinnen sehr fruchtbar sind, obgleich ihnen ( nach Moses 3, 15. 18. 19) bei der Menstruation beizuwohnen verboten ist, und obgleich ihnen als Todsünde (nach Mischna, Tractat Nidda 7) angerechnet wird, in kürzerer Frist, als nach sieben reinen Tagen nach dem Aufhören des Blutflusses, mit ihrem Manne Umgang zu pflegen. Wir können uns auf die Erörterung dieser Streitfrage hier nicht weiter einlassen, wir wollen aber in Folgendem zeigen, welche Anschauungen hierüber in alter und neuer Zeit bei den Völkern zu Tage treten. Die Ansicht, dass die Conception in einer bestimmten Zeit nach Ablauf der Menstruation erfolge, wurde schon sehr früh von dem altindischen Arzte Susruta ausgesprochen; er behauptete : „ Die Zeit der Zeugung ist die zwölfte Nacht nach dem Erscheinen der Menses. " Einige indische Aerzte rechneten dagegen den Beginn der Schwangerschaft auch von der Menstruation an ; sie rathen, um eine Conception herbeizuführen : Man übe den Beischlaf immer nach Ablauf der Menses aus, wenn der Tag vorüber und der Lotus sich schliesst. " Die Aerzte der Griechen und Römer knüpften die Empfängniss gleichfalls an den Zeitpunkt der Menses. Hippokrates (De genitura) sagt : Hae nempe post menstruam purgationem utero concipiunt. Aristoteles: Plerasque post mensium fluxum, nonnullas vero fluentibus adhuc menstruis. Galenus: Hoc autem conceptionis tempus est vel incipientibus vel cessantibus menstruis. Soranus sagt, dass die Zeit nach der Menstruation die geeignetste ist, denn kurz vorher ist der Uterus von dem Menstrualblute zu erschwert ; er leugnet aber nicht, dass die Frauen auch zu anderer Zeit concipiren. Der Talmud (Israels) vertritt die Ansicht, dass, wenn der Zustand der Genitalien oder auch die Beschaffenheit des Samens eine Ejaculation unmöglich machen, der Coitus in Rücksicht auf eine Empfängniss als erfolglos betrachtet werden muss. Ein Beischlaf mit gewöhnlicher Erection könne aber befruchtend wirken, selbst wenn eine Immissio penis in die Vagina nicht stattgefunden habe. Auch sei es möglich, dass weibliche Individuen, auch ohne den Coitus ausgeübt zu haben, dennoch schwanger werden könnten, wenn sich in einem Bade, das sie nehmen, zufällig frisch abgesonderter Same eines männlichen Individuums befindet. Der erste Coitus einer Jungfrau ist aber nach dem Talmud niemals von einer Schwangerschaft gefolgt, dagegen wird die Möglichkeit der Schwängerung durch einen Coitus während der Menstruation anerkannt; die Conception finde am 1. , 2. oder 3. Tage nach dem Coitus statt, und gewöhnlich kurz vor dem Eintritt oder bald nach dem Ablauf der Menstruation . Als unfruchtbar wurde der 97. Der Einfluss der Jahreszeiten und der socialen Zustände auf die Empfängniss. 419 Beischlaf betrachtet, wenn die Frau während desselben eine perpendiculäre Stellung eingenommen hatte. ( Wunderbar.) Für die Empfängniss gilt bei den Nayers in Malabar der 4. Tag der Menstruation als besonders günstig ; in vielen Hindu - Kasten muss der Mann an diesem Tage mit seiner Frau cohabitiren, und er begeht eine Sünde, wenn er es unterlässt. (Jagor. ) Nach der Annahme des japanischen Arztes Kangawa ist die Frau während der ersten zehn Tage nach den Menses befruchtungsfähig, nachher aber nicht mehr. (Miyake. ) Obgleich die Physiologie der Chinesen sich nicht auf die Anatomie, sondern nur auf Hypothesen stützt, so nähern sich doch ihre Meinungen über die Zeugung und Conception ziemlich unseren Kenntnissen. Nach der chinesischen Theorie dringt das Sperma, welches sie tsir nennen, in das Behältniss der Kinder, genannt tsé kong (wahrscheinlich identisch mit Eierstock), wo es mit den sich als Bläschen darstellenden Keimen zusammentrifft (mit den Ovulis). Einer dieser Keime wird vom tsin berührt und befruchtet und beginnt nun sich zu entwickeln. (Hureau.) Sonderbare Vorstellungen herrschen über diese Dinge im deutschen. Volksglauben. Im Frankenwalde beispielsweise hält man gemeiniglich hohe und gleichzeitige Erregung für nothwendig zur Empfängniss, und je nachdem die Erregung rasch und kräftig oder langsam und schwach erfolgt, unterscheidet man hitzige und kalte Naturen und sagt, sie passen nicht zusammen. Aehnliches gilt auch in vielen anderen Gegenden Deutschlands. Auch weiss man hier, wie fast überall, recht wohl, dass die Unterbrechung des Coitus vor der Ejaculation vor Befruchtung sicher stelle. Besorgte Mädchen im Frankenwalde halten oft wiederholten Aderlass für ein Mittel gegen die Schwangerschaft, sowohl gegen befürchtete als auch wirklich vorhandene. Auch glaubt man daselbst noch häufig, dass der Beischlaf während des Monatsflusses, wie während der Säugungsperiode nicht schwängere, und nur die Ansicht, dass ein Beiwohnen während der Periode dem Manne schädlich sei, hindert eine häufigere Enttäuschung. (Flügel.) 97. Der Einfluss der Jahreszeiten und der socialen Zustände auf die Empfängniss. Die Physiologie hat in dem Vorgange, welcher sich im weiblichen Körper durch die Menstruation, die Ovulation (Lösung eines reifen Eies vom Eierstocke) und die Empfängniss (Conception) kund giebt, so grosse Aehnlichkeit mit dem bei Säugethieren auftretenden, als Brunst bezeichneten Processe gefunden, dass die meisten neuen Lehrbücher der Physiologie auf diese Analogie hinweisen. Allein schon in der regelmässigen, von der Jahreszeit abhängigen Wiederkehr der Brunst schien ein Moment zu liegen, durch welches ein wesentlicher Unterschied derselben von der ziemlich gleichmässig allmonatlich auftretenden Menstruation des Weibes bedingt ist . Es wird daher von einigem Werthe sein, an der Hand der Statistik zu prüfen, ob sich auch bei der Empfängniss der Einfluss der Jahreszeiten bemerklich macht. Dagegen muss freilich hervorgehoben werden, dass auch selbst dann, wenn in der That die Statistik eine Vermehrung der Conceptionen in gewissen Jahreszeiten nachweist, noch keineswegs damit die grössere oder geringere Conceptionsfähigkeit des Weibes unter dem Einflusse der mit 27* 420 XVI. Das Weib im Zustande der Befruchtung. den Jahreszeiten sich ändernden Witterungszustände, eine wechselnde Aenderung in dem physiologischen Verhalten der weiblichen Sexualorgane erwiesen ist. Vielmehr wird hier auch zu berücksichtigen sein, dass das männliche Geschlecht unter dem Einflusse der Jahreszeiten mehr oder weniger häufig zur Ausübung des Coitus veranlasst wird, dass also die Steigerung oder Verminderung der Conceptionen je nach den Jahreszeiten mindestens zu einem grossen Theile durch die sexuelle Erregung des männlichen Theiles der Bevölkerung erklärt werden muss. Zuerst war es Quetelet, welcher eine je nach den Bevölkerungsklassen wechselnde Ab- und Zunahme der Geburten-Frequenz in den verschiedenen Monaten fand, nachdem einige frühere Versuche *) nach dieser Richtung hin allzu wenig Beachtung gefunden hatten. Er wies nach, dass zumeist ein Geburten- Maximum im Februar, ein Minimum ungefähr auf den Juli traf; seine Beobachtungen erstreckten sich besonders auf die Niederlande ( 1815-26) und auf Brüssel. Er zeigte auch , dass dieser Einfluss deutlicher bemerkbar ist auf dem Lande als in den Städten ; das Maximum der Conceptionen im Mai entspricht nach ihm der Erhebung der Lebenskraft nach der Winterkälte ; auf dem Lande aber, so meinte er, finde die Bevölkerung weniger Schutz vor den Unbilden der Witterung, wie in den Städten . Vor Allen verdanken wir Villermé genaue Untersuchungen dieser Angelegenheit. Auch er fand, dass in Europa das Geburten- Maximum, entsprechend den Conceptionen im Mai und Juni, im Februar und März stattfindet , und dass diese Steigerung jedenfalls dem Einflusse des Frühlings zuzuschreiben sei . Um nun zu zeigen, dass die ungleiche Vertheilung der Geburten auf die verschiedenen Monate ganz überwiegend eine Folge des Einflusses des jährlichen Laufes der Erde um die Sonne und der daraus hervorgehenden grossen Temperaturveränderungen sei, beschränkte sich Villermé nicht auf die europäischen Staaten, sondern er dehnte seine statistischen Untersuchungen auch auf die südliche Hemisphäre aus : in Buenos - Ayres , wo die Jahreszeiten in derselben Ordnung wie im Norden, nur zu entgegengesetzter Zeit sich folgen , erweisen sich dieselben Einflüsse auch auf die Geburten - Frequenz wirksam. Aus diesen Erscheinungen schloss Villermé, dass wir trotz unserer Civilisation doch wenigstens theilweise den verschiedenen periodischen Einflüssen unterworfen sind , welche in dieser Hinsicht Pflanzen und Thiere beherrschen. Alsdann untersuchte Villermé auch die Frage, ob nicht etwa der Wechsel der Jahreszeiten und der Temperatur gewisse Verhältnisse im socialen und nationalen Leben der Völker beherrscht, welche erst ihrerseits einen maassgebenden Einfluss auf die Vertheilung der Geburtsfrequenz je nach Monaten und Jahreszeiten ausüben , so dass der Einfluss dieser letzteren erst indirect zur Geltung kommt. Deshalb prüfte er den Einfluss der Vertheilung der Heirathen , jenen der Perioden angestrengter Arbeit und grösserer Ruhe (Perioden, die fast bei jeder Bevölkerung nach Jahreszeiten wechseln) , den Einfluss des Ueberflusses oder Mangels an Nahrung, und endlich den Einfluss gewisser allgemeiner Sitten und Gebräuche. Nach diesen Untersuchungen haben die Epochen, in welchen die Heirathen am häufigsten, und jene, in welchen sie am seltensten sind, keinen sichtlichen Einfluss auf die Vertheilung der Geburten nach Jahreszeiten. Dagegen zeigt sich ein Einfluss jener Jahreszeiten , die man als Epoche der Ruhe und Arbeitserholung beobachtet, und jener, welche sich durch reichliche Nahrungsmittel und erhöhtes gesellschaftliches Leben auszeichnen . Erniedrigend auf die Häufigkeit der Geburten ( resp. Conceptionen) wirken die Zeiten der beschwerlichen Arbeit (Erntezeit) , der Lebensmitteltheuerung , die strenge Beobachtung der Fastenzeit.

  • ) Wargentin, welchen das Ministerium Schwedens mit der Bearbeitung der

Bevölkerungs- Statistik beauftragte , lieferte schon im vorigen Jahrhundert eine, sich allerdings nur auf Schweden beziehende Arbeit (Abhandl. der Kön. Schwedischen Akad. der Wissensch. , übersetzt von Kästner, Bd. 29, Jahrg. 1767) , in welcher er auf die regelmässig alljährlich wiederkehrenden Monats- Maxima und -Minima der Fruchtbarkeit hinwies und dabei aufforderte, den Ursachen derselben weiter nachzuforschen. 97. Der Einfluss der Jahreszeiten und der socialen Zustände auf die Empfängniss. 421 So gelangt Villermé zu dem Schlusse : „ Die Umstände, welche uns kräftigen, erhöhen unsere Fruchtbarkeit, und diejenigen, welche uns schwächen, und noch vielmehr die, welche die Gesundheit untergraben, vermindern sie, womit jedoch keineswegs gesagt ist, dass die Gesundheit allein die Fruchtbarkeit regelt. " Villerme's Arbeiten auf diesem Gebiete zeugen von so viel Fleiss, Scharfsinn und Umsicht, dass sie, wie Wappaus hervorhebt, das grösste Vertrauen verdienen. Die Hauptresultate, zu welchen dann Wappäus selbst bei der Untersuchung der Verhältnisse (in Sardinien , Belgien , Niederlanden , Sachsen , Schweden, Chile) gelangte, sind folgende : Das erste allgemein sich zeigende Steigen der Geburtszahl in den Monaten Februar und März, entsprechend der grösseren Zahl der Conceptionen im Mai und Juni , ist der belebenden Einwirkung der Jahreszeit zuzuschreiben. Diese physische Wirkung wird aber bei den katholischen Bevölkerungen verstärkt durch die mit den Einrichtungen der Kirche in Beziehung stehenden besonderen Sitten und Gebräuche. Von dem Maximum dieser ersten Steigerung an sinkt die Zahl der monatlichen Geburten wieder schnell herab, bis sie in den Monaten Juni, Juli und August ihr Minimum erreicht. Dieses Sinken hat ebenfalls überwiegend einen physischen Grund ; es wird bewirkt theils durch die mit der Höhe des Sommers anfangende und allmählich zunehmende Erschlaffung der allgemeinen natürlichen Productionskraft, theils durch die von der Sommerhitze vielfach erzeugten, mehr oder weniger gefährlichen epidemischen Krankheiten. Verstärkt aber wird diese natürliche Einwirkung besonders gegen das Ende dieser Periode durch den den Conceptionen ebenfalls nachtheiligen Einfluss der sehr angestrengten und oft selbst wenig nächtliche Ruhe zulassenden Arbeit der Erntezeit. Beide Ursachen zusammen bewirken, dass in allen Ländern die erste Senkung der Curve die tiefste ist . Das Minimum tritt im Norden später ein , als im Süden , theils weil im Süden die allgemeine Erschlaffung in der natürlichen Lebenskraft früher eintritt, als im Norden , theils weil im Norden die anstrengenden Erntearbeiten später fallen , als im Süden . Von der Mitte des Sommers an, oder in Schweden vom August an , steigt die monatliche Zahl der Geburten aufs Neue und erreicht überall ihr zweites Maximum im Monat September. Die Ursachen dieses zweiten Steigens sind entschieden nicht physischer, sondern socialer Natur. Die zweite Erhebung ist im Süden und bei katholischen Bevölkerungen im Verhältniss zur ersten nur gering, im Norden dagegen übertrifft sie die erste, so dass in Schweden der Monat September das absolute Maximum der Geburten darbietet . Der Grund dieser merkwürdigen Erscheinung ist darin zu suchen, dass im Norden die die Reproduction begünstigenden Eigenthümlichkeiten des Lebens im Winter viel entschiedener hervortreten, als im Süden, vielleicht dass ausserdem auch die strengere Beobachtung der kirchlichen Vorschriften für die Adventszeit bei den katholischen Bevölkerungen des Südens die Fruchtbarkeit des Monats December beschränkt. Nach dieser zweiten Steigerung erfolgt nun wieder ein zweites Fallen bis zum November oder December, jedoch nicht so tief , wie das erste im Sommer, und im protestantischen Norden weniger tief, als im katholischen Süden. Die allgemein wirkende Ursache dieses Fallens ist wohl ohne Zweifel in den überall auf die Gesundheit mehr oder weniger ungünstig wirkenden Uebergängen des Winters zum Frühling zu suchen, welche ungünstige physische Einwirkung auf die Conceptionen im Februar und März im katholischen Süden durch die in demselben Sinne wirkenden ausgelassenen Vergnügungen des Carnevals und die strenge Beobachtung der Fastenzeit verstärkt wird. Dann wirft Wappaus auch einen Blick auf Sachsen, über dessen Geburtenverhältnisse Engel berichtet hatte ; er zeigt, dass in diesem überaus dicht bevölkerten , industriellen Lande die physischen sowie die socialen Einflüsse mehr zurücktreten müssen, und dass hieraus auch die Erscheinungen in der Geburtenvertheilung , welche im Allgemeinen bei der ziemlich gleichmässig sich fortsetzenden, sich maschinenartig bewegenden Arbeit gleichförmiger über das Jahr vertheilt ist, sich erklärt. Dagegen zeigt sich in Chile eine grosse und rasche Steigerung der Geburten zur Zeit des Frühjahrs und des Sommeranfangs als natürliche Einwirkung dieser Jahreszeit auf alle Reproductionen , indem diesem 422 XVI. Das Weib im Zustande der Befruchtung. entsprechend in Chile das Maximum der Geburten in der That ungefähr 6 Monate später fällt als in Europa , nämlich statt in den Februar und Mai in den September. Auch macht Wappaus darauf aufmerksam, dass Chile eine weit zerstreute, fast allein mit der physischen Cultur beschäftigte, stark katholische Bevölkerung als Gegensatz zu dem protestantischen , industriellen Sachsen besitzt ; er sagt : Wie Sachsen den übrigen europäischen Staaten gegenüber gewissermaassen sich verhält wie eine städtische , industrielle Bevölkerung gegenüber einer ackerbauenden, so drückt sich in der die Verhältnisse Chiles darstellenden Curve noch potenzirt der Charakter unserer ackerbauenden Bevölkerung aus. " 27 Einen Versuch, die Untersuchungen von Wappaus weiter zu führen , machte Sormani, indem er die Schwankungen der Empfängnisse in den einzelnen Theilen Italiens studirte. Seine Ergebnisse sind: Die Anschwellung der Empfängnisszahl tritt im Süden Italiens frühzeitig, im Norden dagegen erst später im Jahre ein , so zwar, dass sie in den südlichsten Gegenden schon auf den April trifft und mehr und mehr sich bis in den Mai und Juni verspätet, je mehr man sich dem Norden nähert, bis sie schliesslich im nördlichsten Theile der Halbinsel auf den Juli fällt. In den südlichsten Landstrichen von Italien ist nur ein Maximum und Minimum vorhanden, während in den nördlichsten Landestheilen zwei auftreten. Das Minimum, welches der heissen Jahreszeit folgt, hat eine entschiedene Neigung um so erheblicher zu werden, je mehr man sich dem Süden nähert, während das Minimum, welches sich an die Winterkälte knüpft, mit dem Norden zunimmt, bis in den nördlichsten Theilen das nachwinterliche Minimum grösser wird, als das herbstliche . Im Allgemeinen sind die Schwankungen in den Curven der Empfängnisse um so stärker, je mehr man sich nach Süden wendet. Am besten veranschaulicht eine Tabelle, welche Mayr aufstellte, die Grenzen, innerhalb welcher sich die Geburten und die Empfängnisse nach Monaten bewegen : Tagesbetrag der Geburten (mit Einschluss der Todtgeborenen) . 11 Deutsches Reich Bayern Italien Frankreich Jahre 1872-1875 Jahre 1872-1875 Jahre 1863-1871 Jahre 1863 - 1871 Januar Februar März April Mai Juni Juli August September October November December Kalenderjahr 4889 578 2848 2887 4997 603 3025 3060 4913 594 2928 3018 4739 582 2805 2911 4605 575 2533 2742 4497 566 2371 2610 4582 566 2419 2625 4691 552 2496 2620 5029 582 2663 2665 4770 564 2605 2603 4756 566 2624 2661 4710 553 2587 2608 4763 573 2656 2749 Unter Hinweis auf die vorstehenden Zahlenreihen sagt Mayr, dass man wohl dem Ausspruche Quetelet's zustimmen muss, dass der Mensch sich zwar zu allen Zeiten reproducirt, aber doch vorzugsweise am Ende des Frühlings und des Herbstes, und am wenigsten während des Sommers und Winters ; allein Mayr setzt hinzu, dass der Spätsommer sich der Fortpflanzung noch ungünstiger zeigt , als der Hochsommer, und dass dem Grade nach die Abnahme der Empfängnisse im Spätsommer und Frühherbst viel stärker ist , als im Winter. Zur Erklärung dieser letzteren Thatsache liegt der Gedanke nahe, dass ausser den verschiedenen socialen Einflüssen auch noch die angestrengte Feldarbeit der Landbevölkerung eine besondere Wirkung ausübt, wie schon Wappäus hervorhob. 97. Der Einfluss der Jahreszeiten und der socialen Zustände auf die Empfängniss. 423 In echt methodischer Weise ging dann Beukemann zu Werke, um die mannigfach hier in Frage kommenden Ursachen an der Hand der Statistik auszuforschen. Er stellte die Provinzen des deutschen Reichs in vier Gruppen zusammen : 1. Der Nordosten : Provinz Preussen , Pommern, Grossherzogthum Mecklenburg- Schwerin. 2. Der Nordwesten : Provinz Hannover, Schleswig - Holstein , Hamburg , Bremen, Reg. - Bez. Münster. 3. Der Südosten resp. die Mitte : Provinz Schlesien , Sachsen , Königreich Sachsen. 4. Der Südwesten : Königreich Bayern , Württemberg , Grossherzogthum Baden und Elsass - Lothringen. Zunächst stellte sich heraus, dass, obgleich die einzelnen Gebietsgruppen ganz bedeutende Unterschiede unter sich aufweisen, die Zahlen der Geburtenvertheilung auf die Monate im deutschen Reiche während der einzelnen Jahre von 1873-77 sich ziemlich gleich blieben . Jedes Jahr hatte den Typus des Gesammtreichs, obgleich gewisse Ab- weichungen im Einzelnen vorkamen. Die beiden Jahres- Maxima der Geburten fallen im Reiche auf Februar und September, und so verhält es sich auch in den einzelnen Jahren, mit Ausnahme des Jahres 1877, wo das erste Maximum auf den März fällt. Das erste Minimum gehört dem Juni an , nur im Jahre 1875 tritt es bereits im April und Mai ein , das zweite Minimum im December oder November. In drei Jahren ist das WinterMaximum das bedeutendere, in zweien fällt dasselbe auf den September. Es ist noch hervorzuheben, dass zuweilen ein drittes Maximum und Minimum am Ende des Jahres auftritt, nämlich ein Maximum im November, ein Minimum im October. In der 1. Gruppe (Nordosten) eröffnet der Monat Januar den jährlichen Geburtengang mit einem hohen Verhältniss, das jedoch zum Februar noch steigt und damit das erste, das sogenannte Frühjahrs- Maximum erzeugt. Vom Februar nämlich sinken die Geburten ununterbrochen bis zum Juni, dem Monat des absoluten Minimums, nach welchem sogleich ein Steigen erfolgt , plötzlicher und stärker als das vorangegangene Fallen. Im September wird dann das zweite und höchste Maximum erreicht ; doch bereits im folgenden Monat October zeigt sich das zweite Minimum, das über dem Durchschnitt bleibt. Die Ursachen, die diesen Geburtenverhältnissen zu Grunde liegen , sind theils physische, theils psychische. Die hohe Zahl der Conceptionen von April bis Juni rührt von dem Einfluss des Frühlings her, welcher den Conceptionen besonders günstig ist . Die starke Abnahme der Conceptionen von Juli bis September und der noch niedrigere Stand im October sind weniger dem physischen Einflusse der heissen Jahreszeit zuzuschreiben , sondern stehen hauptsächlich mit dem wirthschaftlichen Leben der Bevölkerung in innigem Zusammenhange : ein überwiegender Theil derselben ist im Ackerbau thätig, deshalb auch im Spätsommer bei der Ernte und Bestellung der Winterfrüchte physisch so sehr in Anspruch genommen, dass auch die Conceptionen darunter leiden. Die Zeit, welche hier im Nordosten zur Feldbestellung frei bleibt, ist bereits um etwa einen Monat kürzer, als im Westen ; ein Theil der männlichen Bevölkerung ist in der warmen Jahreszeit auf See. Nachdem aber die Ernte vollendet , leichtere Arbeit und Erholung eingetreten, dann beginnt ein bedeutender Aufschwung der Conceptionen, der im protestantischen Norden durch die Weihnachtszeit befördert wird. Doch darauf tritt im Januar ein natürlicher Rückschlag ein, und in den Monaten Februar und März scheinen die wirthschaftlichen und socialen Factoren wieder Anlass zu einer Steigerung zu geben. Die zweite Gruppe, der Nordwesten , welcher im Wesentlichen auf denselben wirthschaftlichen Grundlagen beruht wie der Osten und noch manches andere mit ihm gemein hat , zeigt auch im Allgemeinen einen ähnlichen Typus der Vertheilung der Ge- burten. Das Minimum im Juni tritt nicht ganz so stark auf, wie im Nordosten, das Minimum der Geburten im Winter dagegen fällt tiefer und später. Einmal werden die grossen Städte Hamburg und Bremen das Element des Handels und der Gewerbe mehr zur Geltung bringen als die Seestädte der Ostsee , andererseits wird, namentlich in Bezug auf das zweite Minimum, die Kirche von Einfluss sein, indem der Nordwesten ein grösseres Verhältniss der katholischen Bevölkerung aufweist als der Nordosten, wodurch sich der Unterschied begründen lässt. 424 XVI. Das Weib im Zustande der Befruchtung. Reihen wir die dritte Gruppe ( den Südosten) hier an, so treten uns, insbesondere wenn dieselbe auf das Königreich Sachsen beschränkt wird, gewichtige Differenzen entgegen. Das Vorherrschen der Industrie, also die Beschäftigung der Bevölkerung, scheint hier für die Vertheilung der Geburten maassgebend zu sein, was sich in den Sommermonaten geltend macht. Da die industrielle Beschäftigung gemeiniglich in allen Jahreszeiten dieselbe Anstrengung verlangt und insofern also die Vertheilung der Geburten nicht beeinflussen wird, so müssen es einmal die klimatischen und socialen Verhältnisse, andererseits die wirthschaftlichen Wechsel und Conjuncturen sein , welche die Schwankungen der Geburten nach Monaten bestimmen. Hieran schliesst sich die vierte Gruppe (der Südwesten) sowohl dem Gebiete nach, als der Aehnlichkeit der betreffenden Verhältnisse gemäss. Die Vertheilung der Geburten hat in der That manches mit der dritten Gruppe gemein, vor allem die schwachen Extreme. Als Eigenthümlichkeiten sind hervorzuheben, dass in Süd - Deutschland das Frühjahrsmaximum der Conceptionen dasjenige im Herbst regelmässig übertrifft, während es in den übrigen Gruppen gewöhnlich übertroffen wird, ferner dass in der vierten Gruppe das Moment der katholischen Kirche am mächtigsten wird. Hier gehört nämlich die Mehrzahl dieser Kirche an, während im übrigen Deutschland die protestantische Kirche vorherrscht. Die katholische Kirche erzeugt im ganzen Winter eine Erniedrigung der Conceptionen, dabei wird aber im Februar gewöhnlich ein Maximum und im folgenden März ein Minimum gebildet. Da Ostern aber nicht auf dasselbe Datum fällt , sondern in den Grenzen eines Monats schwankt, so kommt es in vielen Jahren natürlich vor, dass die letztgenannte Beeinflussung sich zuweilen verdeckt, ohne dass aussergewöhnliche Beeinflussungen eintreten . Wir können Beukemann nicht weiter folgen in seinen werthvollen Auseinandersetzungen über die Art und Weise, wie man die statistischen Untersuchungen über die Ursachen der Vertheilung der Geburten nach Monaten anzustellen hat. Er weist auf die Schwierigkeiten in dieser Angelegenheit hin, zeigt aber auch die Wege, wie man dieselben zu überwinden hoffen darf. Wir wollen nur noch anführen, dass er bezüglich der Verhältnisse ehelich und unehelich Geborener (in Frankreich und Deutschland) gefunden hat, dass die Vertheilung der unehelichen Conceptionen von den sogenannten physischen Einflüssen stärker bewegt wird, als die der ehelichen. Auch in Russland giebt es , wie fast überall , zwei Geburten- Maxima; allein hier fallen sie auf den Januar und October ; die relative Mehrzahl der Conceptionen findet demnach im April und Januar statt. Es sind hier gewiss physiologisch- klimatische Ursachen, doch auch sociale und religiöse Bedingungen im Spiele. Wenigstens deuten darauf die Zahlen, wenn wir uns an die Jahreszeiten halten, die wohl einen minder zufälligen Charakter tragen, als die monatlichen Daten. Setzen wir die Gesammtzahl der Geburten (durchschnittlich im Jahre 3,163,405 Geburten) gleich 12,000 , so finden wir, dass die Conceptionen und Geburten in Russland 1867-70 sich folgendermaassen vertheilen : Geburten Con- Griech. Katho- Proste- Hebräer. ception. Orth. liken. stanten. Moham- Uebermedaner. haupt. Frühling 2883,7 3015,6 3107,7 3193,5 3335,1 2916,4 Winter Sommer 2679,1 3002,5 2961,9 2969,7 2902,4 2715,5 Frühling 3206,5 2907,1 2869.5 2951,9 3230,7 3074,8 3060,9 2884,9 2852,3 3166,7 Sommer 2910,2 3201,4 Herbst Herbst Winter Demnach fällt das Maximum der Conceptionen in Russland überhaupt und zugleich bei den Griechisch-Orthodoxen auf den Winter (das Maximum der Geburten also auf den Herbst) ; es folgen, nach den Conceptionen geordnet, der Herbst , der Frühling und der Winter; bei den Katholiken ist die Ordnung folgende : Winter, Frühling, Sommer, Herbst ; bei den Hebräern : Frühling, Sommer, Herbst, Winter ; bei den Protestanten : Frühling, Winter, Sommer, Herbst. „ Die abweichende Vertheilung der Conceptionn nach den Jahreszeiten, wie sie Russland aufweist, " sagt der Berichterstatter (Russland) , „ ist bedingt durch die anhaltende und strenge Fastenzeit im Frühling, sowie durch die er- 97. Der Einfluss der Jahreszeiten und der socialen Zustände auf die Empfängniss. 425 müdenden Feldarbeiten im Sommer. Im Zusammenhange hiermit steht auch die bedeutend grössere Anzahl von Eheschliessungen im Herbst und Winter, als im Sommer und Frühling, eine Erscheinung, welche zum Theil durch die erwähnten Ursachen, zum Theil durch die Nothwendigkeit des Abwartens der Ernte erklärt werden muss. " In den Städten Russlands vertheilen sich die Conceptionen anders, als auf dem Lande , indem das Maximum auf den Herbst fällt ; sodann folgen: Winter, Sommer und Frühling, wie aus folgenden Zahlen zu ersehen ist : Frühling Sommer Herbst Wichtigste Städte. 1779.8 2458,8 4081,9 3679,5 Kreis- u. andere Städte. 1552,3 1333,8 4462,7 Winter 4651,2 Was die unehelichen Conceptionen in Russland betrifft, so äussert sich bei ihnen der natürliche Einfluss der verschiedenen Jahreszeiten deutlicher als bei den ehelichen. Die Maxima der unehelichen Conceptionen fallen in den westeuropäischen Staaten auf den Frühling und Sommer, die Minima auf den Herbst und Winter, wobei die Differenz zwischen den Maximis und Minimis bedeutend grösser ist, als bei den ehelichen Concepionen. In Russland fällt das Maximum der unehelichen Conceptionen auf den Winter und Frühling, das Minimum auf den Sommer und Herbst. Folgende Zahlen unterrichten über die Vertheilung der unehelichen Conceptionen : Winter Frühling . Herbst Sommer 3151,4 3077,8 2928,5 2422,3 . XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. 98. Das Ansehen, in welchem die Unfruchtbarkeit steht. Bevor wir uns auf eine genauere Untersuchung über die Fruchtbarkeit der Weiber bei den verschiedenen Völkerschaften einlassen, wollen wir zu erfahren suchen, was für Anschauungen bei ihnen in Bezug auf die Unfruchtbarkeit herrschend sind, auf was für Ursachen sie dieselbe zurückführen und welcher Mittel sie sich bedienen, um sie zu bekämpfen und zu heilen. Es ist hierbei allerdings nicht gut zu umgehen, auch des Vergleiches wegen die betreffenden Ansichten über die Fruchtbarkeit mit heranzuziehen, jedoch wollen wir bemüht sein, Wiederholungen nach besten Kräften zu vermeiden. Die Unfruchtbarkeit wird bei den meisten Völkern als ein besonderes Unglück angesehen, als ein Fluch, welcher entweder auf beiden Eheleuten, oder, und das ist bei Weitem das Häufigere, allein auf dem Weibe lastet. Ein reicher Kindersegen ist meistentheils erwünscht und die Fruchtbarkeit der Frau gilt als eine besondere Begnadigung und als ein hohes eheliches Glück. Hingegen wird die Unfruchtbarkeit als eine Unvollkommenheit des Weibes betrachtet und letztere wird als unfähig angesehen, ihre ehelichen Aufgaben zu erfüllen . Der Grund hierfür ist eine Strafe der zürnenden Gottheit, welche beleidigt ist durch begangene Sünden oder durch Unterlassung der vorgeschriebenen Opfer oder durch die Verabsäumung guter Thaten u. s . w. Bei manchen anderen Völkerschaften aber , deren Ehen nicht kinderreich zu sein pflegen , betrachtet man eine grössere Fruchtbarkeit als etwas Verächtliches und Thierisches. Eine Frau bei den Grönländern hat 3-6 Kinder und gebiert alle 2-3 Jahre ; wenn daher die Grönländer von der Fruchtbarkeit anderer Nationen hören, so vergleichen sie dieselben mit ihren Hunden. In ähnlicher Weise verzogen die Indianerinnen in British- Guiana spöttisch den Mund, als sie von Schomburgk erfuhren, dass bei Europäerinnen Zwillingsgeburten nichts weniger als selten sind ; auch sie sagten : „ Wir sind keine Hündinnen, die einen ganzen Haufen Junge werfen. So ist auch in Europa die Freude über ein schnell folgendes Gebären der Frauen bei manchen Völkern recht gering. In Frankreich schildert ein altes Volkslied die Ehe, welche mit zu vielem Kindersegen bedacht ist und deshalb als eine unglückliche betrachtet wird, in folgender ergreifender Weise : ...Nach einem Jahre ein Kind. Ist das eine Freude ! Nach zwei Jahren zwei Kinder ; da kommt schon die Schwermuth. Nach drei Jahren drei Kinder; es ist ein wahrer Teufelsspuk. Das eine schreit nach Brod, das andere nach Suppe, Das dritte will gestillt werden, und die Brust ist siech. Der Vater ist in der Schenke und führt ein schlechtes Leben, Die Mutter ist daheim und weint und seufzt. " (Theuriet. ) 98. Das Ansehen, in welchem die Unfruchtbarkeit steht. 427 Wenn solche traurigen Lieder im Volke gesungen werden, dessen Herrscher, Heinrich IV. , einst wünschte, dass jeder Bauer sein Huhn im Topfe habe, so dürfen wir uns wohl nicht wundern, dass gerade dort das sogenannte Zweikindersystem Platz gegriffen hat. Ueberhaupt ist es immer ein Zeichen socialer Gebrechen und unzureichender Ernährungszustände, wenn eine geringe Fruchtbarkeit im Allgemeinen für ein Glück gilt. Dann sind es aber auch nur noch wenige Schritte bis zur willkürlichen Beschränkung der Kinderzahl. Ganz anders war es bei unseren germanischen Vorfahren, welche trotz der relativ dürftigen Verhältnisse, unter denen sie lebten, dennoch die eheliche Fruchtbarkeit und einen reichen Kindersegen als Glück und Vorzug preisen. Nach altdeutschem Rechtsbrauch durfte sogar der Mann wegen. Unfruchtbarkeit seiner Frau, die Frau wegen Unvermögens ihres Gatten oder weil er ihr nicht beiwohnte, geschieden werden. (Grimm.) Und noch heute gilt ja als ein rechtlicher Scheidungsgrund das Unvermögen, den ethischen Zweck der Ehe zu erfüllen. Von den alten Römern wurde die Unfruchtbarkeit als eine Strafe der Götter angesehen, und nach den Gesetzen des Augustus wurden sogar Strafen über Ehelose und Kinderlose verhängt. Den alten Hindus galt Kindersegen als hohes Glück. Im Gesetzbuche Manu's, welches etwa im 4. Jahrhundert v. Chr. entstand, heisst es (Buch 9 , 59. Strophe) : „ Wenn man keine Kinder hat, so kann man die gewünschte Nachkommenschaft durch die Verbindung seiner dazu ermächtigten Gattin mit dem Bruder oder einem Verwandten erlangen. " Und das hiermit erlangte Kind wird angesehen, als wäre es vom wirklichen Gatten erzeugt ; denn in der 145. Strophe heisst es weiter : ,, Der Samen und die Frucht gehören von Rechtswegen dem Besitzer des Feldes." Freilich war dabei ganz besonders männliche Nachkommenschaft erwünscht ; und nach Manu's Gesetz durfte sogar ein Weib, welches nach elfjähriger Ehe nur Mädchen und noch keinen Knaben geboren hatte, vom Manne verstossen werden. Nach Ujfalvi's Zeugniss giebt es im Kulu- Lande noch heute ganz ähnliche Sitten. Unter den alten Persern galt es, nach Herodot, für ehrenvoll, viele Kinder zu erzeugen, und Zoroaster sagte : „ Ich nenne den Familienvater vor dem Kinderlosen." Da nach dem Ausspruche der Rabbiner im babylonischen Talmud: „der Arme. der Aussätzige, der Blinde und der Kinderlose für nicht lebend zu betrachten waren, " so erhellt deutlich, welchen Werth die Juden des Talmud auf die Fruchtbarkeit des Weibes setzten. Die den Talmud verfassenden Priesterärzte vermutheten bei einem Weibe Sterilität , wenn sie ihr zwanzigstes Jahr bereits erreicht hatte und trotzdem an den betreffenden Körpertheilen nicht behaart war, ferner wenn Mangel der Brüste und Beschwerlichkeit beim Ausüben des Coitus, oder Abnormität in der Bildung des weiblichen Schoosses, sowie eine männerähnliche Stimme vorhanden war. (Wunderbar.) Es ist aber zu vermuthen, dass diese so geschilderten Personen überhaupt gar keine Weiber, sondern missgebildete, mit Spaltbildungen der Genitalien behaftete Männer gewesen sind. Auch heute noch wird fast im ganzen Orient Kinderreichthum als ein grosses Glück angesehen, und wird die unfruchtbare Frau verachtet, wie auch schon bei den Jüdinnen des alten Testamentes ihr Ansehen mit der Zahl ihrer Söhne wuchs. 428 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. Kinderlosigkeit gilt im Morgenlande für schmachvoll, und die Moslim sowohl als auch die orientalischen Juden machen die Unfruchtbarkeit zu einem Scheidungsgrund. Vom Araber wird sie im eigentlichen Sinne als Unsegen, von den Frauen desselben noch dazu als Schmach betrachtet. Ja, eine arabische Frau, die nur Mädchen gebiert, sieht sich schon als verflucht und mit einem Makel behaftet an. (Sandrezeki. ) Sie hält sich auch für verzaubert. Unfruchtbarkeit ist für das türkische Weib das grösste Unglück, welches sie treffen kann, denn sie geniesst alsdann wenig Ansehen und wird von ihrem Manne vernachlässigt und selbst von ihm geschieden, und da man die Unfruchtbarkeit als einen Fehler in der Organisation der Frau betrachtet, so kann diese sich selten zum zweiten Male verehelichen . (Oppenheim. ) In Süd- Albanien sind bei den Türken unfruchtbare Weiber förmlich verachtet und daher, weil sie Fruchtbarkeit erlangen wollen, in steter Verbindung mit alten Zigeunerinnen , welche Geheimmittel besitzen sollen, um eine schnelle Empfängniss herbeizuführen. (Lehnert. ) Die Mohammedaner meinen, dass sich gar nichts gegen Unfruchtbarkeit einer Frau thun lasse, da sie eine Fügung Gottes sei, denn es steht im Koran : Gott macht nach seinem Willen, dass eine Frau Mädchen, eine andere Knaben, eine andere Kinder von beiderlei Geschlecht bekommt ; er macht auch nach seinem Willen die Frau unfruchtbar. Doch sind sie der Ansicht, dass die helle oder dunkle Complexion einer Frau für die Sterilität derselben von besonderer Bedeutung ist ; denn der Prophet sagt: Ziehet eine Frau vor, deren Haut braun ist, denn sie ist fruchtbar gegenüber einer Frau mit allzu heller Haut, die vielleicht unfruchtbar ist . " Wenn bei den Badagas am Nilgiri - Gebirge in Indien eine Frau keine Kinder bekommt. so nimmt sie ihre Schwester als ..zweite Frau" in das Haus, sie selbst bleibt aber Herrin. Ist dies Auskunftsmittel nicht ausführbar, so wird die Frau zu ihren Eltern heimgeschickt, oder sie heirathet einen Alten, der von ihr nicht Kinder, sondern nur Arbeit verlangt. (Jagor. ) Auch in mehreren anderen Provinzen Indiens gilt die Unfruchtbarkeit der Frau als etwas Verächtliches und als ein grosses Unglück. Sobald bei den Ost - Indiern zu Madras die bei der Unfruchtbarkeit gewöhnlich angewendeten religiösen Mittel nicht helfen, darf der Mann seine Frau verstossen , weil sie ihm keine Hoffnung auf Nachkommenschaft giebt. (Best. ) Auch bei den Chinesen steht Fruchtbarkeit in grossem Ansehen ; die grösste Freude einer Frau ist eine zahlreiche Familie ; eine unfruchtbare Frau hält sich für das unglücklichste Geschöpf; hierzu steht im schreiendsten Widerspruch die Thatsache, dass chinesische Eltern mit kaltem Blute ihre Kinder morden, oder sich der Neugeborenen durch Aussetzen rasch entledigen. Aber nicht überall, wo man die Fruchtbarkeit an sich hochschätzt, ist auch wirklich eheliche Fruchtbarkeit vorhanden ; auch hierfür können wir ein Beispiel anführen : Obwohl Kindersegen auch in Japan als besondere Gunst des Himmels angesehen wird, und dieser Auffassung auch das Sprichwort : ,, biedere Leute haben viele Kinder Ausdruck giebt, sind doch die meisten Familien wenig zahlreich und bilden drei Kinder wohl den Durchschnitt ; hier ist jedoch Kindermord und das Aussetzen durchaus nicht so häufig, wie in China. Auf den kleinen Inselgruppen im Südosten des malayischen Archipels ist die Ansicht über den Kindersegen eine sehr verschiedenartige. Während auf den Aaru- und auf den Babar- Inseln die Eltern sich viele 98. Das Ansehen, in welchem die Unfruchtbarkeit steht. 429 Kinder wünschen, sehen wir auf fast allen den übrigen Inseln des alfurischen Meeres künstliche Abtreibungsmittel auch bei verheiratheten Frauen häufig im Gebrauch, während andererseits aber auch wieder allerhand Heilmethoden gegen absolute Unfruchtbarkeit angewendet werden . Auf Keisar sind den Männern viele Kinder erwünscht, die Frauen jedoch sorgen dafür, dass sie nicht mehr als zwei bis drei bekommen. Die WatubelaInsulanerinnen wollen sogar nur ein einziges Kind oder höchstens deren zwei haben und beseitigen erneute Schwangerschaften durch Abortivmittel. (Riedel¹.) Auf den Viti - Inseln sind, wie Blyth berichtet, unfruchtbare Ehen häufig. Gewöhnlich wird hier die Frau beschuldigt ; aber auch Fälle von Impotenz der Männer sind Blyth bekannt geworden. Ist eine Frau unfruchtbar, so glaubt man, dass sie zu einer oder der anderen Zeit ,,das Wasser der Unfruchtbarkeit" getrunken habe ; es wird also die Unfruchtbarkeit als ein selbstverschuldeter Zustand angesehen. Unfruchtbarkeit ist bei den Völkern Afrikas ebenfalls schändend für die Frau und in manchen Negerländern ein Beweis früherer grober Ausschweifung ; die kinderlose Frau in Angola wird allgemein verspottet, und deshalb macht sie bisweilen durch Selbstmord ihrem Leben ein Ende. Weiber und Kinder sind die höchsten Güter des Negers an der LoangoKüste sie bilden seinen Reichthum, mehren und festigen die Familienbeziehungen, erhöhen sein Ansehen und seinen Einfluss ; die fruchtbare Frau wird geehrt, das sterile Weib missachtet. (Pechuel-Loesche.) Dasselbe gilt unter den Negern der Guinea - Küste, wo die Achtung, deren ein Weib sich erfreut, mit der Zahl der Kinder, besonders der Söhne, steigt. (Monrad.) Auch in Ober- Guinea bei den Dualla Negern gilt Kinderreichthum für ein grosses Glück, doch kommt es dort selten vor, dass eine Frau mehr als zwei Kinder hat ; bekommt eine Frau jedoch gar keine Kinder, so fordert der Mann die Kaufsumme zurück. - Die Kamerun- Negerin , welche einmal geboren hat, ist stolz auf ihre Mutterschaft ; dagegen sind diejenigen Frauen, welchen die Mutterfreuden versagt sind, weniger angesehen. (Pauli. ) Aehnliches berichtet man von anderen Völkern Afrikas. Einem unfruchtbaren Weibe begegnet in Kordofan der Ehemann mit Verachtung, wenn er es auch früher geliebt hatte. (Ignaz Pallme. ) Bei den Gallas verhilft sogar die Gattin selbst ihrem Manne zu einer zweiten, dritten oder vierten Frau, indem sie ihm ,, schöne und fruchtbare Mädchen " vorschlägt und zuführt. (Bruce.) Unfruchtbarkeit der Weiber gilt bei manchen Indianer- Völkern Süd - Amerikas (Chippeways u. s. w. ) als Beweis der Untreue und künstlicher Fehlgeburten ; von anderen wird sie nur als Unglück betrachtet und hat gewöhnlich Verstossung zur Folge. (de Laet, Keating.) Ehescheidungen finden bei den Indianern des Gran Chaco in Süd- Amerika häufig statt, sobald keine Kinder vorhanden sind, d. h. der Mann verstösst in solchem Fall einfach sein Weib und nimmt ein anderes. Ist jedoch das erste Kind geboren, so gehören die Ehescheidungen zu den Ausnahmen. (Amelung. ) Wir führen schliesslich noch einige Völker Europas an. Nach slavischer Anschauung sind Kinder ein Segen Gottes ; eine Ehe ohne Kinder ist unglücklich und der Gattin wird die Schuld beigemessen. In Böhmen wird die junge Frau, welche im ersten Jahre der Ehe ein Kind hat, belobt und reich beschenkt. (Lumzow. ) In Bulgarien ist Unfruchtbarkeit ebenso wie in Russland ein durch Zauberei bedingtes 430 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. Unglück. Bei den Slaven in Istrien gilt die Kinderlosigkeit für ein Zeichen von Gottes Zorn ; unfruchtbare Weiber heissen dort : „ Scirke " d. h. Zwitter. (v. Düringsfeld. ) Den Serben gereicht Kindersegen zur grössten Freude (Petrowitsch), und Krauss¹ sagt : „ Das unfruchtbare Weib wird bemitleidet und geringgeschätzt. Ihre Stellung im Heim des Mannes wird immer unhaltbarer. Der Mann sucht in Gemeinschaft mit seinem Weibe durch zauberkräftige Mittel diesem Uebelstande abzuhelfen . Im Sprüchworte heisst es : Ein Weib ist kein Weib, ehe sie nicht gebärt. “ Bei den Ungarn scheint die Unfruchtbarkeit wenigstens im Anfange der Ehe nicht für etwas Schlimmes zu gelten. Die Tugend der Züchtigkeit wird so weit missverstanden, dass die Weiber sich schämen. innerhalb des ersten, ja auch des zweiten Jahres nach der Heirath in die Wochen zu kommen. Im Gömörer Comitat verstehen sie die Kunst, sich davor zu hüten, so dass sie selten vor dem 6. oder 7. Jahre der Ehe entbunden werden. (v . Csaplovics.) 99. Arzneiliche und mechanische Mittel gegen die Unfruchtbarkeit. Der den Menschen aller Rassen so natürliche Wunsch, Nachkommenschaft zu erzeugen, und die grossen Nachtheile und Unliebsamkeiten, welche bei vielen Völkern, wie wir gesehen haben, einer unfruchtbaren Frau zu erwachsen pflegen, mussten natürlicher Weise zu Versuchen führen, den bis dahin erhofften Kindersegen durch künstliche Hülfsmittel doch noch zu erzielen. Die für diesen Endzweck eingeschlagenen Wege sind dreierlei Art, nämlich erstens das Anflehen des göttlichen Beistandes, zweitens die Ausführung gewisser zauberischer, sympathetisch wirkender Handlungen, und endlich die Anwendung mehr oder weniger zweckmässig gewählter, innerlich oder äusserlich zu gebrauchender Medicationen . Wir wollen mit dieser dritten Gruppe unsere Betrachtungen beginnen. In erster Linie waren es Producte aus dem Pflanzenreiche, welchen man die arzneiliche Kraft zutraute, und die aus ihnen bereiteten Mittel gehören zweifellos zum Theil wenigstens in das Gebiet der Liebestränke , d. h. der theils auch sinnlich - aufregenden Mittel , welche die wollüstige Empfindung des Weibes steigern und es hiermit sexuell empfänglicher machen sollen. In diese Kategorie gehören nach Ansicht der Bibelausleger auch die Dudaim , welche Ruben während der Weizenernte auf dem Felde fand und seiner Mutter Leah brachte ( 1. Mos. 30) . Auf Rahel's Bitten gab ihr Leah dieselben, während sie dagegen der Leah für die nächste Nacht den gemeinsamen Gatten überliess . Aber trotz der auf diese Weise erhandelten Dudaim blieb Rahel noch auf Jahre hinaus unfruchtbar, während Leah auch ohne dieselben schwanger wurde. Die Mehrzahl der Ausleger hält die Dudaim für identisch mit der Mandragora. Martin Luther gesteht aber offen ein, dass er nicht wisse, was es sei . 99 Anderen Stoffen schrieb man dagegen auch eine directe Einwirkung zu, theils dass sie von innen her die Säfte des Weibes reinigen und ihre Natur kräftigen sollten, theils dass sie , äusserlich angewendet, d. h. in die Vagina eingelegt, die Bestimmung hatten, die Mutter" zu erweichen und zu eröffnen. Aus der Medicin des Volkes entsprossen, in die Hände der alten Aerzte übergegangen, war es ihr Schicksal, von Neuem in die Volksmedicin zurückzusinken, wo sie auch heute noch in vielen Gegenden ihr verstecktes Dasein fristen. 99. Arzneiliche und mechanische Mittel gegen die Unfruchtbarkeit. 431 Unter jenen als heilkräftig betrachteten Pflanzen ist vor allen eine, im Alterthum bei den Baktrern. Medern und Persern in hohem Ansehen stehende zu nennen. Die heilige Schrift dieser Völker, Zendavesta, giebt an, dass der ausgepresste Saft der Soma- Pflanze (Asclepias acida) , welchen sie Homa nannten und welchem sie die Eigenschaft eines Gottes und übernatürliche kräftigende Wirkung beilegten, den unfruchtbaren Weibern schöne Kinder und eine reine Nachkommenschaft geben könne (Duncker.) Die Rabbiner des Talmud gaben einige Heilmittel (Poculum sterilium) gegen Unfruchtbarkeit an. Zumeist scheinen diese Mittel den Zweck zu haben, die etwa stockende Menstruation zu fördern, denn man hielt das Ausbleiben der Regel, ohne dass eine Schwangerschaft vorhanden ist, für die Ursache oder für ein Zeichen der Unfähigkeit, zu concipiren. Wir finden halb bewusst, halb unbewusst auch bei vielen anderen Völkern ganz ähnliche Anschauungen ; denn auch ihre Mittel gegen die Unfruchtbarkeit zielen in erster Linie dahin ab, die Störungen in der monatlichen Reinigung wieder in Ordnung zu bringen. In dem grossen Wust dieser volksthümlichen Medicamente hat sich bisweilen auch wohl etwas wirklich Brauchbares und Wirksames auffinden lassen. Ein in Japan gebräuchliches Medicament gegen Menstruationsstörung und Unfruchtbarkeit, kay-tu- sing genannt, wird von Williams empfohlen; es ist die Tinctur aus den Blättern eines perennirenden Baumes aus der Classe der Ternstromaceae ; schon nach einigen Stunden soll das Mittel sicher (?) auf die Menstruation wirken und die Sterilität heben. In China und Japan wird es zur Zeit des Vollmondes unter kabbalistischen Formeln genommen. Als die Geschlechtslust erregende und wahrscheinlich auch die Sterilität beseitigende Mittel dienen in Ober- Aegypten nach Klunzinger besonders Ingwer, das theure Ambra, eine fettwachsartige Substanz aus dem Darm und der Blase des Pottwals, und Honig oder Zimmt und Karotten oder Rettig-Samen mit Honig gekocht; ferner die Galle des Raben, die gebrannten Schalen der Tridacna- Muschel mit Honig, auch der Blüthenstaub der Dattelpalme. In Fezzan sucht man die Furchtbarkeit der Frauen durch reichlichen Genuss getrockneter Eingeweide junger Häschen zu vermehren, die noch an der Mutterbrust waren. (Nachtigal. ) Wenn eine Frau in Algier schon ein Kind bekommen hat, dann aber längere Zeit nicht wieder concipirt, so muss sie Schafs- Urin oder auch Wasser trinken, in welchem man Ohrenschmalz eines Esels hat maceriren lassen. (Bertherand.) Auch örtliche Curen sind im Orient im Gebrauch. Denn Post in Beirut giebt an, dass in Syrien unter den Frauen besonders Ulcerationen der Portio vaginalis vorkommen, herbeigeführt durch unsinnige Application von reizenden Stoffen behufs Förderung der Conception. In Ober- Aegypten wird nach Klunzinger ein kleines Stückchen Opium für den ersten Tag der Cur in den Schooss eingelegt, und die drei folgenden Tage ein Stückchen vom Wanst eines Wiederkäuers. Die Indianer in Peru sollen Aphrodisiaca besitzen, welche besonders auf das weibliche Geschlecht wirken ; sie führen den gemeinschaftlichen Namen Piripiri. (Mercurio. ) Auch auf den Luang- und Sermata- Inseln im malayischen Archipel sind Aphrodisiaca bei beiden Geschlechtern stark im Gebrauch. Auf Ambon und den Uliase- Inseln müssen unfruchtbare Weiber bestimmte Medicamente einnehmen und in besonders vorgeschriebener Weise baden. Ebenso giebt es auf Leti , Moa und Lakor allerhand Arzneien 432 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. gegen die Unfruchtbarkeit, aber hier müssen die Männer ebenfalls diese Pocula sterilium trinken . Die Weiber der Galela auf Djailolo (Niederländisch- Indien) kennen ebenfalls Medicinen, welche ihnen die Schwängerung sichern. (Riedel. ) Als Mittel gegen die Unfruchtbarkeit muss auf den Viti - Inseln die Frau in einem Flusse baden und darauf müssen beide Gatten einen Trank nehmen, der aus einer Abkochung von der geschabten Wurzel der Mbokase, einer Art Brodbaum und von der Nuss der Rerega oder Cago (ausgesprochen Thango), einer Art turmeric, hergestellt wird. Unmittelbar nach dem Geniessen dieses Trankes wird der Coitus ausgeführt. Eine Hebamme versicherte Blyth, dass sie dieses Verfahren in drei Fällen von Erfolg gekrönt gesehen hätte. Unter den West- Australiern herrscht die Meinung, dass Mädchen nach dem 11. und 12. Jahre keine Bandicuts ( Beuteldachs, Perameles) mehr essen dürfen, sonst werden sie unfruchtbar ; wenn dagegen die Frauen viel Kängurufleisch geniessen, so macht sie das fruchtbar. (Junk. ) In Sibirien gebrauchen die Mädchen vor der Brautnacht die gekochten Früchte der Iris sibirica . Die Weiber in Kamtschatka, welche gern Kinder gebären wollen, essen Spinnen ; einige Wöchnerinnen , die dort bald wieder schwanger werden wollen . verzehren die Nabelschnur ihres neugeborenen Kindes. (Kraschneninnikow .) Hier finden wir schon selbst bei niederen Völkern die Vorstellung, dass bei Behinderung der Empfängniss etwas Krankhaftes vorliegt, dem man nicht nur durch Sympathie, sondern auch durch Diät und Therapie entgegentreten könne. Jedoch entwickelte sich dort, wo die Heilkunde sich der Sache anzunehmen begann, noch eine bessere Einsicht, die schon zu einer rationelleren, wenn auch noch recht primitiven Behandlungsweise führte. Eine Vorstellung von den Ursachen der Sterilität und eine sich gegen dieselben richtende Therapie besassen ohne Zweifel schon die altgriechischen Aerzte. Nach Hippokrates können folgende Zustände Sterilität bedingen : 1. Verdrehung und Schiefstellung der Gebärmutter ; 2. zu grosse Glätte der Innenwand derselben, bei der der Same nicht zurückgehalten wird ; 3. Suppression der Menses und Obstruction oberhalb des Muttermundes ; 4. Ueberfüllung des Uterus mit Blut und übermässige Secretion des Menstrualblutes, welches das Sperma wegspült ; 5. Gebärmuttervorfall, bei dem die Uterusmündung hart und callös wird. Nach Paulus von Aegina wird die Sterilität zuweilen durch mangelhafte Ernährung, zuweilen durch Plethora hervorgerufen. Demgemäss muss die allgemeine Lebensweise geregelt werden. Fette Weiber sind zur Zeugung untauglich, weil sie nicht genug Samen haben , ebenso heruntergekommene. Die Weiber müssen eine Kost zu sich nehmen, die den Monatsfluss befördert. In solchen Fällen, wo die üble Beschaffenheit (Intemperamentum) des Uterus die Sterilität bedingt und die sich durch Ausbleiben der Menses kennzeichnen, muss eine aromatische, stimulirende Nahrung gegeben werden, um die natürliche Wärme anzuregen; gleichzeitig soll der Unterleib frottirt werden. Ist der ganze Körper wärmer als gewöhnlich, die Menstruation spärlicher als sonst und schmerzhaft, sind die Geschlechtstheile geschwürig, so muss man hieraus schliessen, dass der Uterus ein warmes Intemperament hat . Da ist eine kühlende, feuchte Kost angezeigt und ebenso kühle Umschläge. Bei Sterilität, bedingt durch Feuchte des Uterus, sind die Menses dünn und profus ; hier ist austrocknende Kost zu wählen. Bei grosser Trockenheit der Gebärmutter heilt man die Sterilität mittelst Bäder und Salben. Behindert 99. Arzneiliche und mechanische Mittel gegen die Unfruchtbarkeit. 433 dicker 99 Humor" die Conception, so muss dieser herausbefördert werden durch Purgantien. Ist dagegen die Gebärmutter aufgebläht, so wende man Aromatica und Pessarien an. Einen verschlossenen Muttermund eröffne man mittelst aromatischer Injectionen, und gleichzeitig gebe man Terpentin, Nitrum, Elaterium, Cassia und Theerwasser; bei klaffendem Muttermunde hingegen Adstringentien. Zuweilen ist die Befruchtung dadurch behindert, dass eine Distorsion des Uterus besteht ; hier ist der Coitus a posteriori angezeigt. Letzteres empfiehlt auch Oribasius, der aber auch weiterhin sagt, man müsse den Muttermund erweitern, um eine Schwangerschaft zu ermöglichen, während in anderen Fällen mittelst Adstringentien die klaffenden Muttermundslippen einander genähert werden müssten, um das Abfliessen des Sperma zu verhüten . (Jenks.) So verworren auch noch diese Ideen. und Rathschläge zu einem grossen Theile waren, so sind sie doch immerhin die ersten ernsten Anläufe zu einer rationelleren Behandlung der Sterilität. In den hippokratischen Schriften (die nur zum Theil nicht von Hippokrates selbst herrühren) wird eine Menge sinnloser Mittel angegeben, um eine Frau fruchtbar und den Coitus erfolgreich zu machen. Wenn du willst, dass eine Frau schwanger werde, so musst du sie selbst und ihre Gebärmutter ausreinigen, d. h. es muss ein Mutterzäpfchen von feingeriebenem Natron, Kreuzkümmel, Knoblauch und Feigen mit Honig bereitet in die Gebärmutter gelegt werden und die Frau muss sich warm baden ; nachdem dieselbe nüchtern Dill gegessen und echten Wein nachgetrunken hat, wird rothes Natron, Kümmel und Harz mit Honig angemacht und in einem Stück Leinwand als Mutterzäpfchen eingelegt. Wenn nun Wasser abfliesst, so lege der Frau schwarze erweichende Mutterkränze ein und rathe ihr den ehelichen Umgang an. Wenn du willst, dass eine Frau schwanger werde, so reinige sie selbst und ihre Gebärmutter, und lege dann ein abgetragenes, möglichst feines und trockenes Leinwandläppchen in die Gebärmutter ein und zwar tauche das Läppchen in Honig, forme ein Mutterzäpfchen daraus, tauche es in Feigensaft, lege es ein, bis sich der Muttermund erweitert hat, und schiebe es dann noch weiter hinein. Ist nun aber das Wasser abgezogen, so spüle sich die Frau mit Oel und Wein aus, schlafe beim Manne, und trinke, wenn sie ehelichen Umgang geniessen will , Poley in KedrosWein. Eine andere Vorschrift wird im Lib. de superfoetatione gegeben : Wenn du ein Weib behandelst, um sie fähig zur Conception zu machen, scheint sie ausgereinigt und der Muttermund in löblichem Zustande zu sein, so bade sie, reibe ihr den Kopf ab, salbe sie aber in keiner Weise ein. Dann schlage ihr ein nicht riechendes gewaschenes Leinwandtuch um den Hals und binde eine reingewaschene oder nicht riechende Netzhaube darüber, nachdem du zuerst das leinene Tuch eingebunden hast, dann lege der Frau abgekochtes Mutterharz, welches am Feuer und nicht an der Sonne erweicht worden, als Mutterkranz ein und lass sie schlafen . Wenn sie sich dann am anderen Morgen früh die Netzhaube mit dem Leinwandtuche abgenommen hat, so lasse sie Jemanden an ihrem Scheitel riechen; giebt sie einen Geruch. von sich, so steht es mit der Ausreinigung gut, wenn nicht, schlecht. Das Weib thue dies aber nüchtern . Ist sie aber unfruchtbar, so wird sie weder gereinigt, noch sonst einen Geruch verbreiten. Es wird aber auch nicht so gut riechen, wenn du Jenes einer Schwangeren einlegst. Bei einem Weibe aber, welches oft schwanger wird, leicht concipirt und gesund ist, wird der Scheitel riechen, selbst, wenn du ihr kein Mutterzäpfchen einlegst und sie nicht ausreinigst; ausserdem aber wird er nicht riechen. Wenn nun Alles Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 28 434 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. dem Anscheine nach in löblichem Zustande ist, und das Weib sich mit dem Manne fleischlich vermischen soll, so muss das Weib nüchtern, der Mann aber nicht berauscht sein, sich kalt gebadet und angemessene Speisen genossen haben. Merkt das Weib, dass sie die Samenflüssigkeit bei sich behalten hat, so nähere sie sich dann dem Manne nicht, sondern verhalte sich ruhig. Sie kann dies aber gewahr werden, wenn der Mann sagt, er habe den Samen ejaculirt, und das Weib dies vor Trockenheit nicht bemerkt. Giebt aber die Gebärmutter die Samenflüssigkeit in die äusseren Schamtheile zurück, wird das Weib nass, so vermische sie sich wieder fleischlich, bis sie concipirt. Wir legen dieses Verfahren so ausführlich dar, um zu zeigen, wie sehr doch die Aerzte jener Zeit durch eine örtliche Behandlung zu helfen suchten, die zwar nicht zum Ziele führen konnte, die aber ohne Zweifel noch lange Zeit Vertrauen und Anwendung fand. Ausser dieser örtlichen Behandlung stand aber auch eine innerliche bei den Alt- Griechen in grossem Ansehen. Frauen, welche sich Kinder wünschten, rieth man zur Zeit des Hippokrates Silphium mit Wein zu nehmen, jenes räthselhafte Mittel, welches die Alten so hoch schätzten, und das vielleicht , wie Schroff meinte, in der Thapsia Silphium Vivian vor einiger Zeit wieder aufgefunden worden ist . In dem 17. Jahrhundert mussten die unfruchtbaren Weiber bei „ kalter und allzu feuchter Complexion" Tränke aus Würznägelein" (Caryophyllen) mit Melissenkraut und Pomeranzenschalen zu sich nehmen. Auch Rosmarin mit Mastixkörnern war ein beliebtes Mittel. Noch heute wird in Steyermark nach Fossel Spargelsamen mit Wein und die jungen Hopfensprossen als Salat zubereitet als Mittel gegen die Unfruchtbarkeit angewendet. Auch soll die Frau zwei Monate den ehelichen Verkehr meiden, sich dann zur Ader lassen und dann am darauffolgenden Tage den Beischlaf ausüben. Im Frankenwalde geniesst der Kaffee in dieser Beziehung ein besonderes Vertrauen. (Flügel.) Die Russen gebrauchen unter anderen Volksmitteln auch eine Auflösung von Salpeter, innerlich genommen, um den Weibern Fruchtbarkeit zu verschaffen. In Böhmen wendet sich die junge Frau (Czechin), um Kinder zu bekommen, an eine sogenannte kluge Frau, welche ihr einen Aufguss mit Wachholder zum Getränk verordnet . 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit. Es ist ein weitverbreiteter Zug des menschliches Geistes, nicht allein den Medicamenten die Fähigkeit und Kraft zuzutrauen , dass sie die verlorene Gesundheit wiederzubringen vermöchten. Er ruft deswegen noch die Hülfe und den Beistand der Gottheit oder diejenige von dämonischen Gewalten herbei und greift ausserdem zu ganz absonderlichen Handlungen, welche durch Sympathie, ihm selbst unerklärlich, aber um so gläubiger betrachtet, je abgeschmackter und sinnloser dieselben sind , unfehlbar die ersehnte Heilung herbeiführen sollen. So begegnen wir auch bei der Unfruchtbarkeit nicht selten , wie wir gesehen haben, der Anschauung, dass sie ein Fluch sei, von den Göttern verhängt, eine Bezauberung durch böse Geister oder mit diesen verbundene Menschen verursacht, und dass eine Entsühnung oder eine Lösung und Ueberwältigung des Zaubers den „ ver- 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit. 435 schlossenen Leib" zu öffnen vermöge. Daher finden wir bei den Kelten die zu Staub geriebene heilige Mistel als Mittel gegen die Unfruchtbarkeit. Auch der Araber geht gegen die vermeintliche Verzauberung, die er für die Ursache der Unfruchtbarkeit hält, durch Entzauberung vor ; er nimmt zum Koran seine Zuflucht und zwar zur dritten Sure, welche die Ueberschrift führt : ,, Die Familie (oder das Geschlecht) Imran's“ . Dieser ganze, aus 200 Versen bestehende Abschnitt muss mit Safran in ein kupfernes Becken geschrieben werden, dann wird siedendes Wasser darauf gegossen und von diesem Weihwasser muss die hülfsbedürftige Frau einen Theil trinken, mit dem übrigen aber werden Gesicht, Brust und Schooss der Frau besprengt. Die Wahl dieser Sure ist dadurch erklärlich, dass die Araber meinen, des Imran Frau Namens Hanneh sei Anfangs unfruchtbar gewesen, habe jedoch dann Gnade gefunden und sei noch in späten Jahren Mutter der Jungfrau Maria geworden. (Sandreczki.) Im alten Rom wendete sich die unfruchtbare Frau mit Gebeten an die Juno Februalis (von februare , reinigen) . also die Reinigende, Entsühnende. Die Entsühnung geschah auch in den Lupercalien , bei denen die Priester , Luperci genannt , Ziegen opferten und dann mit Stückchen aus dem Felle derselben durch die Strassen liefen und die ihnen begegenden und für diesen Zweck nackend umherlaufenden Frauen mit denselben schlugen ; hierdurch sollte Fruchtbarkeit erzielt werden. Man will eine ähnliche Procedur in dem Aufpeitschen wiederfinden, welches am ersten Osterfeiertage die jungen Burschen im Voigtlande und anderen Theilen Deutschlands in der Frühe vornehmen, indem sie mit frischen grünen Reisern die Mädchen aus dem Bette jagen. Ebenso erinnert an die Lupercalien das Niederlausitzer Zem pern und das Budissiner Semperlaufen. Um fruchtbar zu werden, hatte die Römerin ansserdem noch verschiedene andere Hülfsmittel im Gebrauch. Thomas Bartholinus sagt : Mutini Fascino insident feminae, ut concipiant. Lupercis quoque se offerunt, et ferula ceduntur caprina pelle corioque tecta. Gestant praeterea pixide Lyden, immenso prolis desiderio quo Reipublicae augendae causa , connubii retinendi et ob jus trium liberorum ardent. In Griechenland galt die Demeter als die Vertreterin der Fruchtbarkeit ; sie stand in Beziehung zur Zeugung, Geburt und Kindespflege und war die eigentliche Göttin des weiblichen Lebens, insbesondere der Ehe. Man feierte ihr zu Ehren die Thesmophorien; in Athen begingen die Frauen dieses Fest (die Pyanepsia) unter Ausschluss der Männer im October : dabei riefen die Ehefrauen die Göttin an: Sie möge ebenso, wie sie dem Acker Gedeihen gegeben, auch der Ehe Frucht gewähren. Die Vorbereitung zu diesem Fest (Enthaltung der Gemeinschaft mit dem Ehemanne) begann mit dem Neumonde des Pyanepsion (October) , mit der neunten Nacht vor dem Feste. Nach diesen Vorbereitungen zogen die Ehefrauen aus allen Gemarkungen Attikas an das Meer bei Halimus, trauerten am Boden sitzend , hielten danach aber Spiel und Tanz am Strande des Meeres zwischen Halimus und dem Vorgebirge Kolias ab, worauf sie im feierlichen Zuge nach Athen zurückkehrten. In ihrer Mitte trugen Einige Behälter auf dem Haupte , welche die Satzungen" der Demeter (Ehesatzungen) bargen. In Athen angelangt, vollzogen die Frauen im Thesmophorion unter der Burg gewisse Gebräuche. Der letzte Tag der Feier gehörte der Demeter Kalligencia, d. h. der Schönes, Ackerfrucht und Kinder, erzeugenden Demeter. Der Zweck des Festes, der Demeter Gunst 28* 434 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. dem Anscheine nach in löblichem Zustande ist, und das Weib sich mit Idem Manne fleischlich vermischen soll , so muss das Weib nüchtern, der Mann aber nicht berauscht sein, sich kalt gebadet und angemessene Speisen genossen haben. Merkt das Weib, dass sie die Samenflüssigkeit bei sich behalten hat, so nähere sie sich dann dem Manne nicht, sondern verhalte sich ruhig . Sie kann dies aber gewahr werden, wenn der Mann sagt, er habe den. Samen ejaculirt, und das Weib dies vor Trockenheit nicht bemerkt. Giebt aber die Gebärmutter die Samenflüssigkeit in die äusseren Schamtheile zurück, wird das Weib nass, so vermische sie sich wieder fleischlich, bis sie concipirt. Wir legen dieses Verfahren so ausführlich dar, um zu zeigen, wie sehr doch die Aerzte jener Zeit durch eine örtliche Behandlung zu helfen. suchten, die zwar nicht zum Ziele führen konnte, die aber ohne Zweifel noch. lange Zeit Vertrauen und Anwendung fand. Ausser dieser örtlichen Behandlung stand aber auch eine innerliche bei den Alt - Griechen in grossem Ansehen. Frauen, welche sich Kinder wünschten, rieth man zur Zeit des Hippokrates Silphium mit Wein zu nehmen, jenes räthselhafte Mittel, welches die Alten so hoch schätzten, und das vielleicht, wie Schroff meinte, in der Thapsia Silphium Vivian vor einiger Zeit wieder aufgefunden worden ist . In dem 17. Jahrhundert mussten die unfruchtbaren Weiber bei kalter und allzu feuchter Complexion " Tränke aus Würznägelein" (Caryophyllen) mit Melissenkraut und Pomeranzenschalen zu sich nehmen. Auch Rosmarin mit Mastixkörnern war ein beliebtes Mittel. Noch heute wird in Steyermark nach Fossel Spargelsamen mit Wein und die jungen Hopfensprossen als Salat zubereitet als Mittel gegen die Unfruchtbarkeit angewendet. Auch soll die Frau zwei Monate den ehelichen Verkehr meiden, sich dann zur Ader lassen und dann am darauffolgenden Tage den Beischlaf ausüben. Im Frankenwalde geniesst der Kaffee in dieser Beziehung ein besonderes Vertrauen. (Flügel.) Die Russen gebrauchen unter anderen Volksmitteln auch eine Auflösung von Salpeter, innerlich genommen, um den Weibern Fruchtbarkeit zu verschaffen. In Böhmen wendet sich die junge Frau (Czechin) , um Kinder zu bekommen, an eine sogenannte kluge Frau, welche ihr einen Aufguss mit Wachholder zum Getränk verordnet. 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit. Es ist ein weitverbreiteter Zug des menschliches Geistes, nicht allein den Medicamenten die Fähigkeit und Kraft zuzutrauen , dass sie die verlorene Gesundheit wiederzubringen vermöchten. Er ruft deswegen noch die Hülfe und den Beistand der Gottheit oder diejenige von dämonischen Gewalten herbei und greift ausserdem zu ganz absonderlichen Handlungen, welche durch Sympathie, ihm selbst unerklärlich, aber um so gläubiger betrachtet , je abgeschmackter und sinnloser dieselben sind , unfehlbar die ersehnte Heilung herbeiführen sollen. So begegnen wir auch bei der Unfruchtbarkeit nicht selten, wie wir gesehen haben, der Anschauung, dass sie ein Fluch sei, von den Göttern verhängt, eine Bezauberung durch böse Geister oder mit diesen verbundene Menschen verursacht, und dass eine Entsühnung oder eine Lösung und Ueberwältigung des Zaubers den „ ver- 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit. 435 schlossenen Leib" zu öffnen vermöge. Daher finden wir bei den Kelten die zu Staub geriebene heilige Mistel als Mittel gegen die Unfruchtbarkeit. Auch der Araber geht gegen die vermeintliche Verzauberung, die er für die Ursache der Unfruchtbarkeit hält , durch Entzauberung vor ; er nimmt zum Koran seine Zuflucht und zwar zur dritten Sure, welche die Ueberschrift führt : ,,Die Familie (oder das Geschlecht) Imran's". Dieser ganze, aus 200 Versen bestehende Abschnitt muss mit Safran in ein kupfernes Becken geschrieben werden, dann wird siedendes Wasser darauf gegossen und von diesem Weihwasser muss die hülfsbedürftige Frau einen Theil trinken, mit dem übrigen aber werden Gesicht, Brust und Schooss der Frau besprengt. Die Wahl dieser Sure ist dadurch erklärlich, dass die Araber meinen, des Imran Frau Namens Hanneh sei Anfangs unfruchtbar gewesen, habe jedoch dann Gnade gefunden und sei noch in späten Jahren Mutter der Jungfrau Maria geworden. (Sandreczki.) Im alten Rom wendete sich die unfruchtbare Frau mit Gebeten an die Juno Februalis (von februare , reinigen) , also die Reinigende, Entsühnende. Die Entsühnung geschah auch in den Lupercalien , bei denen die Priester , Luperci genannt, Ziegen opferten und dann mit Stückchen aus dem Felle derselben durch die Strassen liefen und die ihnen begegenden und für diesen Zweck nackend umherlaufenden Frauen mit denselben schlugen ; hierdurch sollte Fruchtbarkeit erzielt werden. Man will eine ähnliche Procedur in dem Aufpeitschen wiederfinden , welches am ersten Osterfeiertage die jungen Burschen im Voigtlande und anderen Theilen Deutschlands in der Frühe vornehmen, indem sie mit frischen grünen Reisern die Mädchen aus dem Bette jagen. Ebenso erinnert an die Lupercalien das Niederlausitzer Zem pern und das Budissiner Semperlaufen. Um fruchtbar zu werden, hatte die Römerin ansserdem noch verschiedene andere Hülfsmittel im Gebrauch. Thomas Bartholinus sagt : Mutini Fascino insident feminae, ut concipiant. Lupercis quoque se offerunt, et ferula ceduntur caprina pelle corioque tecta. Gestant praeterea pixide Lyden, immenso prolis desiderio quo Reipublicae augendae causa, connubii retinendi et ob jus trium liberorum ardent. In Griechenland galt die Demeter als die Vertreterin der Fruchtbarkeit ; sie stand in Beziehung zur Zeugung, Geburt und Kindespflege und war die eigentliche Göttin des weiblichen Lebens, insbesondere der Ehe. Man feierte ihr zu Ehren die Thesmophorien; in Athen begingen die Frauen dieses Fest (die Pyanepsia) unter Ausschluss der Männer im October; dabei riefen die Ehefrauen die Göttin an: Sie möge ebenso, wie sie dem Acker Gedeihen gegeben, auch der Ehe Frucht gewähren. Die Vorbereitung zu diesem Fest (Enthaltung der Gemeinschaft mit dem Ehemanne) begann mit dem Neumonde des Pyanepsion (October) , mit der neunten Nacht vor dem Feste. Nach diesen Vorbereitungen zogen die Ehefrauen aus allen Gemarkungen Attikas an das Meer bei Halimus, trauerten am Boden sitzend, hielten danach aber Spiel und Tanz am Strande des Meeres zwischen Halimus und dem Vorgebirge Kolias ab, worauf sie im feierlichen Zuge nach Athen zurückkehrten . In ihrer Mitte trugen Einige Behälter auf dem Haupte , welche die ,,Satzungen" der Demeter (Ehesatzungen) bargen. In Athen angelangt, vollzogen die Frauen im Thesmophorion unter der Burg gewisse Gebräuche. Der letzte Tag der Feier gehörte der Demeter Kalligeneia, d. h. der Schönes, Ackerfrucht und Kinder, erzeugenden Demeter. Der Zweck des Festes, der Demeter Gunst 28* 436 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. für die Geburt schöner Kinder zu gewinnen, galt für erreicht ; man freute sich der neuerworbenen Huld der Göttin, des kommenden Segens in Lust und Scherz. (Duncker.) Noch jetzt giebt es in Neu- Griechenland Sitten, welche man mit jenen Bräuchen in Verbindung bringen will. Noch bis vor Kurzem sah man Athenienserinnen , wenn sie guter Hoffnung waren und die Gunst des Schicksals für eine glückliche Entbindung herbeiführen wollten , am nördlichen Abhange des sogenannten Nymphenhügels, in der Nähe der hochalten Inschrift ogos 40s, an einer durch vielfachen Gebrauch bereits geglätteten Stelle den Fels hinunterrutschen. Und nach Pouqueville existirt in Athen nicht bloss bei Schwangeren, sondern auch bei solchen Frauen, die fruchtbar werden wollen, die Sitte, an einem Felsen in der Nähe der Kallirrhoe sich zu reiben und dabei die Moiren anzurufen, ihnen gnädig zu sein. Bernhard Schmidt glaubt, diese Sitte mit dem antiken Cultus der Aphrodite Urania zusammenbringen zu müssen, die in dieser Gegend (d. h. am rechten Ufer des Ilissos , aber ein Stück oberhalb der Kallirrhoe) als älteste der Moiren verehrt wurde. Dagegen kann sich Wachsmuth von der Richtigkeit dieser Annahme nicht überzeugen. Vielleicht dürfte das Reiben der unteren Körpertheile am Fels nach meiner Vermuthung darauf hindeuten, dass es die Demeter, die Erdmutter und Vertreterin der Fruchtbarkeit war. deren Einfluss als Demeter Kalligeneia ehemals mit solchem Gebahren herbeigezaubert werden sollte, nunmehr aber durch die Nymphe der Kallirrhoe ersetzt wird. Gegen die Unfruchtbarkeit hat man von jeher Brunnen- und Badekuren empfohlen. Schon unsere altdeutsche Sage lässt ja die Götter- mutter Holda als diejenige verehren, welche der Erde Fruchtbarkeit und der Ehe Kindersegen bringt ; und sie wird auch mit dem Wasser der Brunnen in Verbindung gebracht, denn die Sage spricht davon, dass die Kinder aus gewissen Brunnen, den „ Kinderbrunnen" , geholt werden. Und die Brunnen spielen auch in den Mythen anderer Völker eine Rolle bezüg- lich der Fruchtbarkeit. Die indische Göttin Pravati war im Bade, ohne mit einem Manne zu thun gehabt zu haben, schwanger geworden ; sie gebar den Genesa. Die Mütter des chinesischen Fo, des Buddha, des Zoraaster verdanken sämmtlich dem Bade, dass ihre Unfruchtbarkeit von ihnen ge- nommen worden. In Alt- Griechenland wurde der Fluss Elatus in Arkadien als heilsam gegen Unfruchtbarkeit empfohlen ; ebenso der thespische Quell am Helikon. Nach Sonidas' und Photius' Bericht hatte die Quelle zu Pyna auf Hymettos in der Nähe des Tempels der Aphrodite die Eigenschaft, Frauen, deren Leib verschlossen, zu Kindern und üherdies zu leichter Geburt zu verhelfen. Plinius erzählt von der Eigenschaft der Thermen Sinuessas , Fruchtbarkeit zu erzeugen. Bajae war in dieser Beziehung geradezu berüchtigt. So sagt Martial von einer Frau : „ Als Penelope kam sie nach Bajae , aber als Helena ging sie, ihren Gemahl verlassend und einem Jünglinge folgend. " Auch bei den Dayaks auf Borneo haben die Wassergötter, Djata genannt, einen besonderen Einfluss in Bezug auf die Beseitigung der Unfruchtbarkeit , welche sie nach unumschränktem Willen über die Weiber verhängen, oder sie davon erlösen. So berichtet Hein : Wollen unfruchtbare Frauen (und auch Männer) Kindersegen erlangen, so veranstalten sie einem Djata ein grosses Fest, Cararamin genannt, bei welchem man in einem schön geschmückten Boote nach einem Wohnsitze der Djatas fährt und dort Hühner (und anderes Geflügel) , deren Schnäbel mit Goldblech belegt sind , zun 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit. 437 Opfer darbringt, indem man sie entweder lebendig in das Wasser wirft, oder ihnen den Kopf abschneidet und bloss diesen opfert, den Rumpf des Thieres aber verzehrt. In manchen Fällen scheint man sich jedoch mit aus Holz geschnitzten Vogelfiguren zu begnügen. Einen sehr absonderlichen Wasserzauber zur Heilung der Unfruchtbarkeit erzählt Petrowitsch von den Serben: Die unfruchtbare junge Ehegattin soll ein Rohr abschneiden und dasselbe mit Wein füllen. Darauf näht sie es gemeinsam mit einem alten Messer und mit einem Kuchen aus Weizenmehl in einen leinenen Beutel. Diesen Beutel unter dem linken Arme haltend, muss dann die Frau in ein fliessendes Gewässer waten, während am Ufer Jemand für sie betet : „ Erfülle mein Gebet, o Gott, o Mutter Gottes" u. s . w. (unter Anrufung aller Heiligen) . Bei diesem Gebet lässt die Frau den Beutel in das Wasser fallen und setzt, nachdem sie aus dem Bach gewatet ist, ihre Füsse in zwei Kessel, aus denen sie der Ehemann herausheben und sie nach Hause tragen muss. Wir finden hier also ein ganz regelrechtes Trankund Speiseopfer, welches der Gottheit des Wassers dargebracht wird. In Grusien ist ein Kloster des heil. David, welches einen Bach besitzt, dessen Wasser im Geruche steht, Frauen fruchtbar zu machen. Im Orient schreiten Frauen, die sich Nachkommenschaft wünschen, ohne zu sprechen sieben Mal über den Körper eines Enthaupteten. Andere tauchen zu demselben Zweck schweigend ein Stück Baumwolle in das Blut des Enthaupteten und wenden dies in einer ganz besonderen Weise an. Bei den Mekkanerinnen ist das Tragen eines Zaubergürtels als Mittel, Fruchtbarkeit zu verschaffen, sehr gebräuchlich. (Snouch Hurgronje. ) Die Weiber der Mauren in Marokko behängen sich mit einem Talisman oder einem Amulet, um sich gegen Unfruchtbarkeit zu schützen ; besonders beliebt soll unter ihnen zu diesem Zwecke der Fuss eines Stachelschweins sein, welchem die Eigenschaft beigelegt wird, die Fruchtbarkeit zu erhöhen. (Schlagintweit. ) Um einen Sohn zu bekommen, treffen die Zeltbewohner in Marokko viele abergläubische Vorkehrungen ; sie pilgern während der Schwangerschaft ihrer Frau nach der heiligen Stadt Nesan und suchen von dem Grossscherif derselben, Sidi, das feste Versprechen zu erlangen, dass der Allerhöchste einen Sohn schenken möchte; dafür nimmt. der Grossscherif als Geschenk ein Pferd; um ganz sicher zu gehen, pilgert der gläubige Mann wohl auch nach Fez zum Grabmal Mulei Edris, und opfert den Schriftgelehrten des dortigen Gotteshauses eine Summe Geldes. (Rohlfs.) In Algerien unweit Constantine befindet sich ein ganz im Felsen gelegenes Bad mit der Quelle Burmal er Rabba, welches Jüdinnen und Maurinnen seit uralter Zeit frequentiren, um bei Unfruchtbarkeit Hülfe zu suchen. An mehreren Wochentagen kommen die eingeborenen Damen aus Constantine herab nach Sidi Mecid, schlachten vor der Thür der Grotte ein schwarzes Huhn, opfern im Inneren noch eine Wachskerze und einen Honigkuchen, nehmen ein Bad und sind dann sicher, dass ihre Wünsche bald in Erfüllung gehen. Der Brauch ist jedenfalls altheidnisch, eine uralte Berbersitte ; denn Thieropfer sind dem Islam fremd. (Kobelt. ) Bei den Nord - Basutho in Malakong im nördlichen Transvaal trägt bei Kinderlosigkeit der Mann die Schuld und muss daher auch die Sühne versuchen und nicht die Frau. Missionar Schloemann berichtet hierüber: „Nachher kam unser (National- ) Helfer Salomo und sagte, dass allerdings auch die Heiden ein Bewusstsein dafür hätten, dass man durch Kränkungen seinen Nächsten tödte : 436 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. für die Geburt schöner Kinder zu gewinnen, galt für erreicht ; man freute sich der neuerworbenen Huld der Göttin, des kommenden Segens in Lust und Scherz. (Duncker.) Noch jetzt giebt es in Neu - Griechenland Sitten, welche man mit jenen Bräuchen in Verbindung bringen will. Noch bis vor Kurzem sah man Athenienserinnen , wenn sie guter Hoffnung waren und die Gunst. des Schicksals für eine glückliche Entbindung herbeiführen wollten , am nördlichen Abhange des sogenannten Nymphenhügels, in der Nähe der hochalten Inschrift ogos 40s, an einer durch vielfachen Gebrauch bereits geglätteten Stelle den Fels hinunterrutschen . Und nach Pouqueville existirt in Athen nicht bloss bei Schwangeren, sondern auch bei solchen Frauen. die fruchtbar werden wollen, die Sitte, an einem Felsen in der Nähe der Kallirrhoe sich zu reiben und dabei die Moiren anzurufen, ihnen gnädig zu sein. Bernhard Schmidt glaubt, diese Sitte mit dem antiken Cultus der Aphrodite Urania zusammenbringen zu müssen, die in dieser Gegend (d. h. am rechten Ufer des Ilissos , aber ein Stück oberhalb der Kallirrhoe) als älteste der Moiren verehrt wurde. Dagegen kann sich Wachsmuth von der Richtigkeit dieser Annahme nicht überzeugen. Vielleicht dürfte das Reiben der unteren Körpertheile am Fels nach meiner Vermuthung darauf hindeuten, dass es die Demeter, die Erdmutter und Vertreterin der Fruchtbarkeit war, deren Einfluss als Demeter Kalligeneia ehemals mit solchem Gebahren herbeigezaubert werden sollte, nunmehr aber durch die Nymphe der Kallirrhoe ersetzt wird. Gegen die Unfruchtbarkeit hat man von jeher Brunnen- und Badekuren empfohlen . Schon unsere altdeutsche Sage lässt ja die Götter- mutter Holda als diejenige verehren, welche der Erde Fruchtbarkeit und der Ehe Kindersegen bringt ; und sie wird auch mit dem Wasser der Brunnen in Verbindung gebracht, denn die Sage spricht davon, dass die Kinder aus gewissen Brunnen, den Kinderbrunnen" , geholt werden. Und die Brunnen spielen auch in den Mythen anderer Völker eine Rolle bezüglich der Fruchtbarkeit. Die indische Göttin Pravati war im Bade, ohne mit einem Manne zu thun gehabt zu haben, schwanger geworden ; sie gebar den Genesa. Die Mütter des chinesischen Fo, des Buddha, des Zoraaster verdanken sämmtlich dem Bade, dass ihre Unfruchtbarkeit von ihnen ge- nommen worden. In Alt- Griechenland wurde der Fluss Elatus in Arkadien als heilsam gegen Unfruchtbarkeit empfohlen ; ebenso der thespische Quell am Helikon. Nach Sonidas' und Photius' Bericht hatte die Quelle zu Pyna auf Hymettos in der Nähe des Tempels der Aphrodite die Eigenschaft, Frauen, deren Leib verschlossen, zu Kindern und üherdies zu leichter Geburt zu verhelfen. Plinius erzählt von der Eigenschaft der Thermen Sinuessas , Fruchtbarkeit zu erzeugen. Bajae war in dieser Beziehung geradezu berüchtigt. So sagt Martial von einer Frau: ,, Als Penelope kam sie nach Bajae, aber als Helena ging sie, ihren Gemahl verlassend und einem Jünglinge folgend. " Auch bei den Dayaks auf Borneo haben die Wassergötter, Djata genannt, einen besonderen Einfluss in Bezug auf die Beseitigung der Unfruchtbarkeit , welche sie nach unumschränktem Willen über die Weiber verhängen, oder sie davon erlösen. So berichtet Hein : Wollen unfruchtbare Frauen (und auch Männer) Kindersegen erlangen, so veranstalten sie einem Djata ein grosses Fest, Cararamin genannt, bei welchem man in einem schön geschmückten Boote nach einem Wohnsitze der Djatas fährt und dort Hühner (und anderes Geflügel) , deren Schnäbel mit Goldblech belegt sind , zum 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit . 437 Opfer darbringt, indem man sie entweder lebendig in das Wasser wirft , oder ihnen den Kopf abschneidet und bloss diesen opfert, den Rumpf des Thieres aber verzehrt. In manchen Fällen scheint man sich jedoch mit aus Holz geschnitzten Vogelfiguren zu begnügen. Einen sehr absonderlichen Wasserzauber zur Heilung der Unfruchtbarkeit erzählt Petrowitsch von den Serben : Die unfruchtbare junge Ehegattin soll ein Rohr abschneiden und dasselbe mit Wein füllen. Darauf näht sie es gemeinsam mit einem alten Messer und mit einem Kuchen aus Weizenmehl in einen leinenen Beutel. Diesen Beutel unter dem linken Arme haltend, muss dann die Frau in ein fliessendes Gewässer waten, während am Ufer Jemand für sie betet : „ Erfülle mein Gebet, o Gott, o Mutter Gottes" u. s . w. (unter Anrufung aller Heiligen) . Bei diesem Gebet lässt die Frau den Beutel in das Wasser fallen und setzt, nachdem sie aus dem Bach gewatet ist, ihre Füsse in zwei Kessel, aus denen sie der Ehemann herausheben und sie nach Hause tragen muss. Wir finden hier also ein ganz regelrechtes Trankund Speiseopfer, welches der Gottheit des Wassers dargebracht wird. In Grusien ist ein Kloster des heil . David, welches einen Bach besitzt, dessen Wasser im Geruche steht, Frauen fruchtbar zu machen. Im Orient schreiten Frauen, die sich Nachkommenschaft wünschen, ohne zu sprechen sieben Mal über den Körper eines Enthaupteten. Andere tauchen zu demselben Zweck schweigend ein Stück Baumwolle in das Blut des Enthaupteten und wenden dies in einer ganz besonderen Weise an. Bei den Mekkanerinnen ist das Tragen eines Zaubergürtels als Mittel , Fruchtbarkeit zu verschaffen, sehr gebräuchlich. (Snouch Hurgronje.) Die Weiber der Mauren in Marokko behängen sich mit einem Talisman oder einem Amulet, um sich gegen Unfruchtbarkeit zu schützen ; besonders beliebt soll unter ihnen zu diesem Zwecke der Fuss eines Stachelschweins sein, welchem die Eigenschaft beigelegt wird, die Fruchtbarkeit zu erhöhen. ( Schlagintweit.) Um einen Sohn zu bekommen, treffen die Zeltbewohner in Marokko viele abergläubische Vorkehrungen ; sie pilgern während der Schwangerschaft ihrer Frau nach der heiligen Stadt Nesan und suchen von dem Grossscherif derselben, Sidi , das feste Versprechen. zu erlangen, dass der Allerhöchste einen Sohn schenken möchte; dafür nimmt der Grossscherif als Geschenk ein Pferd ; um ganz sicher zu gehen, pilgert der gläubige Mann wohl auch nach Fez zum Grabmal Mulei Edris, und opfert den Schriftgelehrten des dortigen Gotteshauses eine Summe Geldes . (Rohljs. ) In Algerien unweit Constantine befindet sich ein ganz im Felsen gelegenes Bad mit der Quelle Burmal er Rabba, welches Jüdinnen und Maurinnen seit uralter Zeit frequentiren, um bei Unfruchtbarkeit Hülfe zu suchen. An mehreren Wochentagen kommen die eingeborenen Damen aus Constantine herab nach Sidi Mecid, schlachten vor der Thür der Grotte ein schwarzes Huhn, opfern im Inneren noch eine Wachskerze und einen Honigkuchen, nehmen ein Bad und sind dann sicher, dass ihre Wünsche bald in Erfüllung gehen. Der Brauch ist jedenfalls altheidnisch, eine uralte Berbersitte ; denn Thieropfer sind dem Islam fremd. (Kobelt.) Bei den Nord- Basutho in Malakong im nördlichen Transvaal trägt bei Kinderlosigkeit der Mann die Schuld und muss daher auch die Sühne versuchen und nicht die Frau. Missionar Schloemann berichtet hierüber: ,,Nachher kam unser (National- ) Helfer Salomo und sagte, dass allerdings auch die Heiden ein Bewusstsein dafür hätten, dass man durch Kränkungen seinen Nächsten tödte : 436 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. für die Geburt schöner Kinder zu gewinnen, galt für erreicht ; man freute sich der neuerworbenen Huld der Göttin, des kommenden Segens in Lust und Scherz. (Duncker.) Noch jetzt giebt es in Neu- Griechenland Sitten, welche man mit. jenen Bräuchen in Verbindung bringen will. Noch bis vor Kurzem sah man Athenienserinnen, wenn sie guter Hoffnung waren und die Gunst des Schicksals für eine glückliche Entbindung herbeiführen wollten , am nördlichen Abhange des sogenannten Nymphenhügels, in der Nähe der hochalten Inschrift ogos 4tos, an einer durch vielfachen Gebrauch bereits geglätteten Stelle den Fels hinunterrutschen. Und nach Pouqueville existirt in Athen nicht bloss bei Schwangeren, sondern auch bei solchen Frauen, die fruchtbar werden wollen, die Sitte, an einem Felsen in der Nähe der Kallirrhoe sich zu reiben und dabei die Moiren anzurufen, ihnen gnädig zu sein. Bernhard Schmidt glaubt, diese Sitte mit dem antiken Cultus der Aphrodite Urania zusammenbringen zu müssen, die in dieser Gegend (d. h. am rechten Ufer des Ilissos , aber ein Stück oberhalb der Kallirrhoe) als älteste der Moiren verehrt wurde. Dagegen kann sich Wachsmuth von der Richtigkeit dieser Annahme nicht überzeugen. Vielleicht dürfte das Reiben der unteren Körpertheile am Fels nach meiner Vermuthung darauf hindeuten, dass es die Demeter, die Erdmutter und Vertreterin der Fruchtbarkeit war, deren Einfluss als Demeter Kalligeneia ehemals mit solchem Gebahren herbeigezaubert werden sollte, nunmehr aber durch die Nymphe der Kallirrhoe ersetzt wird. " Gegen die Unfruchtbarkeit hat man von jeher Brunnen- und Badekuren empfohlen. Schon unsere altdeutsche Sage lässt ja die Götter- mutter Holda als diejenige verehren, welche der Erde Fruchtbarkeit und der Ehe Kindersegen bringt ; und sie wird auch mit dem Wasser der Brunnen in Verbindung gebracht, denn die Sage spricht davon, dass die Kinder aus gewissen Brunnen, den Kinderbrunnen" , geholt werden . Und die Brunnen spielen auch in den Mythen anderer Völker eine Rolle bezüg- lich der Fruchtbarkeit. Die indische Göttin Pravati war im Bade, ohne mit einem Manne zu thun gehabt zu haben, schwanger geworden; sie gebar den Genesa. Die Mütter des chinesischen Fo, des Buddha, des Zoraaster verdanken sämmtlich dem Bade, dass ihre Unfruchtbarkeit von ihnen ge- nommen worden. In Alt- Griechenland wurde der Fluss Elatus in Arkadien als heilsam gegen Unfruchtbarkeit empfohlen ; ebenso der thespische Quell am Helikon. Nach Sonidas' und Photius' Bericht hatte die Quelle zu Pyna auf Hymettos in der Nähe des Tempels der Aphrodite die Eigenschaft, Frauen, deren Leib verschlossen, zu Kindern und üherdies zu leichter Geburt zu verhelfen. Plinius erzählt von der Eigenschaft der Thermen Sinuessas , Fruchtbarkeit zu erzeugen. Bajae war in dieser Beziehung geradezu berüchtigt. So sagt Martial von einer Frau : ,,Als Penelope kam sie nach Bajae , aber als Helena ging sie, ihren Gemahl verlassend und einem Jünglinge folgend. " Auch bei den Dayaks auf Borneo haben die Wassergötter, Djata genannt, einen besonderen Einfluss in Bezug auf die Beseitigung der Unfruchtbarkeit , welche sie nach unumschränktem Willen über die Weiber verhängen, oder sie davon erlösen. So berichtet Hein : Wollen unfruchtbare Frauen (und auch Männer) Kindersegen erlangen, so veranstalten sie einem Djata ein grosses Fest, Cararamin genannt, bei welchem man in einem schön geschmückten Boote nach einem Wohnsitze der Djatas fährt und dort Hühner (und anderes Geflügel) , deren Schnäbel mit Goldblech belegt sind , zum 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit. 437 Opfer darbringt, indem man sie entweder lebendig in das Wasser wirft, oder ihnen den Kopf abschneidet und bloss diesen opfert, den Rumpf des Thieres aber verzehrt. In manchen Fällen scheint man sich jedoch mit aus Holz geschnitzten Vogelfiguren zu begnügen. Einen sehr absonderlichen Wasserzauber zur Heilung der Unfruchtbarkeit erzählt Petrowitsch von den Serben: Die unfruchtbare junge Ehegattin soll ein Rohr abschneiden und dasselbe mit Wein füllen. Darauf näht sie es gemeinsam mit einem alten Messer und mit einem Kuchen aus Weizenmehl in einen leinenen Beutel. Diesen Beutel unter dem linken Arme haltend, muss dann die Frau in ein fliessendes Gewässer waten, während am Ufer Jemand für sie betet : Erfülle mein Gebet, o Gott, o Mutter Gottes " u. s . w. (unter Anrufung aller Heiligen) . Bei diesem Gebet lässt die Frau den Beutel in das Wasser fallen und setzt, nachdem sie aus dem Bach gewatet ist, ihre Füsse in zwei Kessel, aus denen sie der Ehemann herausheben und sie nach Hause tragen muss. Wir finden hier also ein ganz regelrechtes Trankund Speiseopfer, welches der Gottheit des Wassers dargebracht wird. In Grusien ist ein Kloster des heil. David, welches einen Bach besitzt, dessen Wasser im Geruche steht, Frauen fruchtbar zu machen. Im Orient schreiten Frauen, die sich Nachkommenschaft wünschen, ohne zu sprechen sieben Mal über den Körper eines Enthaupteten. Andere tauchen zu demselben Zweck schweigend ein Stück Baumwolle in das Blut des Enthaupteten und wenden dies in einer ganz besonderen Weise an. Bei den Mekkanerinnen ist das Tragen eines Zaubergürtels als Mittel, Fruchtbarkeit zu verschaffen, sehr gebräuchlich. (Snouch Hurgronje.) Die Weiber der Mauren in Marokko behängen sich mit einem Talisman oder einem Amulet, um sich gegen Unfruchtbarkeit zu schützen ; besonders beliebt soll unter ihnen zu diesem Zwecke der Fuss eines Stachelschweins sein, welchem die Eigenschaft beigelegt wird, die Fruchtbarkeit zu erhöhen. (Schlagintweit. ) Um einen Sohn zu bekommen, treffen die Zeltbewohner in Marokko viele abergläubische Vorkehrungen ; sie pilgern während der Schwangerschaft ihrer Frau nach der heiligen Stadt Nesan und suchen von dem Grossscherif derselben, Sidi , das feste Versprechen zu erlangen, dass der Allerhöchste einen Sohn schenken möchte; dafür nimmt der Grossscherif als Geschenk ein Pferd ; um ganz sicher zu gehen, pilgert der gläubige Mann wohl auch nach Fez zum Grabmal Mulei Edris, und opfert den Schriftgelehrten des dortigen Gotteshauses eine Summe Geldes. (Rohlfs.) In Algerien unweit Constantine befindet sich ein ganz im Felsen gelegenes Bad mit der Quelle Burmal er Rabba , welches Jüdinnen und Maurinnen seit uralter Zeit frequentiren, um bei Unfruchtbarkeit Hülfe zu suchen. An mehreren Wochentagen kommen die eingeborenen Damen aus Constantine herab nach Sidi Mecid , schlachten vor der Thür der Grotte ein schwarzes Huhn, opfern im Inneren noch eine Wachskerze und einen Honigkuchen, nehmen ein Bad und sind dann sicher, dass ihre Wünsche bald in Erfüllung gehen. Der Brauch ist jedenfalls altheidnisch, eine uralte Berbersitte ; denn Thieropfer sind dem Islam fremd. (Kobelt. ) Bei den Nord - Basutho in Malakong im nördlichen Transvaal trägt bei Kinderlosigkeit der Mann die Schuld und muss daher auch die Sühne versuchen und nicht die Frau. Missionar Schloemann berichtet hierüber: „ Nachher kam unser (National- ) Helfer Salomo und sagte, dass allerdings auch die Heiden ein Bewusstsein dafür hätten, dass man durch Kränkungen seinen Nächsten tödte : 436 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. für die Geburt schöner Kinder zu gewinnen, galt für erreicht ; man freute sich der neuerworbenen Huld der Göttin, des kommenden Segens in Lust und Scherz. (Duncker.) Noch jetzt giebt es in Neu - Griechenland Sitten, welche man mit jenen Bräuchen in Verbindung bringen will. Noch bis vor Kurzem sah man Athenienserinnen , wenn sie guter Hoffnung waren und die Gunst des Schicksals für eine glückliche Entbindung herbeiführen wollten , am nördlichen Abhange des sogenannten Nymphenhügels, in der Nähe der hochalten Inschrift ogos 4óg, an einer durch vielfachen Gebrauch bereits geglätteten Stelle den Fels hinunterrutschen. Und nach Pouqueville existirt in Athen nicht bloss bei Schwangeren, sondern auch bei solchen Frauen, die fruchtbar werden wollen, die Sitte, an einem Felsen in der Nähe der Kallirrhoe sich zu reiben und dabei die Moiren anzurufen, ihnen gnädig zu sein. Bernhard Schmidt glaubt, diese Sitte mit dem antiken Cultus der Aphrodite Urania zusammenbringen zu müssen, die in dieser Gegend (d. h. am rechten Ufer des Ilissos , aber ein Stück oberhalb der Kallirrhoe) als älteste der Moiren verehrt wurde. Dagegen kann sich Wachsmuth von der Richtigkeit dieser Annahme nicht überzeugen. Vielleicht dürfte das Reiben. der unteren Körpertheile am Fels nach meiner Vermuthung darauf hindeuten, dass es die Demeter, die Erdmutter und Vertreterin der Fruchtbarkeit war, deren Einfluss als Demeter Kalligeneia ehemals mit solchem Gebahren herbeigezaubert werden sollte, nunmehr aber durch die Nymphe der Kallirrhoe ersetzt wird. Gegen die Unfruchtbarkeit hat man von jeher Brunnen- und Badekuren empfohlen. Schon unsere altdeutsche Sage lässt ja die Göttermutter Holda als diejenige verehren, welche der Erde Fruchtbarkeit und der Ehe Kindersegen bringt ; und sie wird auch mit dem Wasser der Brunnen in Verbindung gebracht, denn die Sage spricht davon, dass die Kinder aus gewissen Brunnen, den „ Kinderbrunnen " , geholt werden. Und die Brunnen spielen auch in den Mythen anderer Völker eine Rolle bezüglich der Fruchtbarkeit. Die indische Göttin Pravati war im Bade, ohne mit einem Manne zu thun gehabt zu haben, schwanger geworden; sie gebar den Genesa. Die Mütter des chinesischen Fo, des Buddha, des Zoraaster verdanken sämmtlich dem Bade, dass ihre Unfruchtbarkeit von ihnen genommen worden. In Alt- Griechenland wurde der Fluss Elatus in Arkadien als heilsam gegen Unfruchtbarkeit empfohlen ; ebenso der thespische Quell am Helikon. Nach Sonidas' und Photius' Bericht hatte die Quelle zu Pyna auf Hymettos in der Nähe des Tempels der Aphrodite die Eigenschaft, Frauen, deren Leib verschlossen, zu Kindern und üherdies zu leichter Geburt zu verhelfen. Plinius erzählt von der Eigenschaft der Thermen Sinuessas , Fruchtbarkeit zu erzeugen. Bajae war in dieser Beziehung geradezu berüchtigt. So sagt Martial von einer Frau : „ Als Penelope kam sie nach Bajae , aber als Helena ging sie, ihren Gemahl verlassend und einem Jünglinge folgend. " Auch bei den Dayaks auf Borneo haben die Wassergötter, Djata genannt, einen besonderen Einfluss in Bezug auf die Beseitigung der Unfruchtbarkeit , welche sie nach unumschränktem Willen über die Weiber verhängen, oder sie davon erlösen. So berichtet Hein : Wollen unfruchtbare Frauen (und auch Männer) Kindersegen erlangen, so veranstalten sie einem. Djata ein grosses Fest, Cararamin genannt, bei welchem man in einem schön geschmückten Boote nach einem Wohnsitze der Djatas fährt und dort Hühner (und anderes Geflügel) , deren Schnäbel mit Goldblech belegt sind , zum 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit . 437 Opfer darbringt, indem man sie entweder lebendig in das Wasser wirft, oder ihnen den Kopf abschneidet und bloss diesen opfert, den Rumpf des Thieres aber verzehrt. In manchen Fällen scheint man sich jedoch mit aus Holz geschnitzten Vogelfiguren zu begnügen. 99 Einen sehr absonderlichen Wasserzauber zur Heilung der Unfruchtbarkeit erzählt Petrowitsch von den Serben : Die unfruchtbare junge Ehegattin soll ein Rohr abschneiden und dasselbe mit Wein füllen. Darauf näht sie es gemeinsam mit einem alten Messer und mit einem Kuchen aus Weizenmehl in einen leinenen Beutel. Diesen Beutel unter dem linken Arme haltend, muss dann die Frau in ein fliessendes Gewässer waten, während am Ufer Jemand für sie betet : Erfülle mein Gebet, o Gott, o Mutter Gottes" u. s . w. (unter Anrufung aller Heiligen) . Bei diesem Gebet lässt die Frau den Beutel in das Wasser fallen und setzt, nachdem sie aus dem Bach gewatet ist , ihre Füsse in zwei Kessel, aus denen sie der Ehemann herausheben und sie nach Hause tragen muss. Wir finden hier also ein ganz regelrechtes Trankund Speiseopfer, welches der Gottheit des Wassers dargebracht wird. In Grusien ist ein Kloster des heil. David, welches einen Bach besitzt, dessen Wasser im Geruche steht, Frauen fruchtbar zu machen. Im Orient schreiten Frauen, die sich Nachkommenschaft wünschen, ohne zu sprechen sieben Mal über den Körper eines Enthaupteten. Andere tauchen zu demselben Zweck schweigend ein Stück Baumwolle in das Blut des Enthaupteten und wenden dies in einer ganz besonderen Weise an. Bei den Mekkanerinnen ist das Tragen eines Zaubergürtels als Mittel, Fruchtbarkeit zu verschaffen , sehr gebräuchlich . (Snouch Hurgronje.) Die Weiber der Mauren in Marokko behängen sich mit einem Talisman oder einem Amulet, um sich gegen Unfruchtbarkeit zu schützen ; besonders beliebt soll unter ihnen zu diesem Zwecke der Fuss eines Stachelschweins sein, welchem die Eigenschaft beigelegt wird, die Fruchtbarkeit zu erhöhen. (Schlagintweit.) Um einen Sohn zu bekommen, treffen die Zeltbewohner in Marokko viele abergläubische Vorkehrungen ; sie pilgern während der Schwangerschaft ihrer Frau nach der heiligen Stadt Nesan und suchen von dem Grossscherif derselben, Sidi, das feste Versprechen zu erlangen, dass der Allerhöchste einen Sohn schenken möchte; dafür nimmt der Grossscherif als Geschenk ein Pferd ; um ganz sicher zu gehen, pilgert der gläubige Mann wohl auch nach Fez zum Grabmal Mulei Edris, und opfert den Schriftgelehrten des dortigen Gotteshauses eine Summe Geldes. (Rohlfs. ) In Algerien unweit Constantine befindet sich ein ganz im Felsen gelegenes Bad mit der Quelle Burmal er Rabba, welches Jüdinnen und Maurinnen seit uralter Zeit frequentiren, um bei Unfruchtbarkeit Hülfe zu suchen. An mehreren Wochentagen kommen die eingeborenen Damen aus Constantine herab nach Sidi Mecid , schlachten vor der Thür der Grotte ein schwarzes Huhn, opfern im Inneren noch eine Wachskerze und einen Honigkuchen, nehmen ein Bad und sind dann sicher, dass ihre Wünsche bald in Erfüllung gehen. Der Brauch ist jedenfalls altheidnisch, eine uralte Berbersitte ; denn Thieropfer sind dem Islam fremd. (Kobelt. ) Bei den Nord- Basutho in Malakong im nördlichen Transvaal trägt bei Kinderlosigkeit der Mann die Schuld und muss daher auch die Sühne versuchen und nicht die Frau. Missionar Schloemann berichtet. hierüber: „ Nachher kam unser (National- ) Helfer Salomo und sagte, dass allerdings auch die Heiden ein Bewusstsein dafür hätten, dass man durch Kränkungen seinen Nächsten tödte : 436 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. für die Geburt schöner Kinder zu gewinnen, galt für erreicht ; man freute sich der neuerworbenen Huld der Göttin, des kommenden Segens in Lust und Scherz. (Duncker.) Noch jetzt giebt es in Neu - Griechenland Sitten, welche man mit jenen Bräuchen in Verbindung bringen will. Noch bis vor Kurzem sah man Athenienserinnen , wenn sie guter Hoffnung waren und die Gunst des Schicksals für eine glückliche Entbindung herbeiführen wollten , am nördlichen Abhange des sogenannten Nymphenhügels, in der Nähe der hoch- alten Inschrift ogos 40s, an einer durch vielfachen Gebrauch bereits geglätteten Stelle den Fels hinunterrutschen. Und nach Pouqueville existirt in Athen nicht bloss bei Schwangeren, sondern auch bei solchen Frauen, die fruchtbar werden wollen, die Sitte, an einem Felsen in der Nähe der Kallirrhoe sich zu reiben und dabei die Moiren anzurufen, ihnen gnädig zu sein. Bernhard Schmidt glaubt, diese Sitte mit dem antiken Cultus der Aphrodite Urania zusammenbringen zu müssen, die in dieser Gegend (d. h. am rechten Ufer des Ilissos , aber ein Stück oberhalb der Kallirrhoe) als älteste der Moiren verehrt wurde. Dagegen kann sich Wachsmuth von der Richtigkeit dieser Annahme nicht überzeugen. Vielleicht dürfte das Reiben. der unteren Körpertheile am Fels nach meiner Vermuthung darauf hindeuten, dass es die Demeter, die Erdmutter und Vertreterin der Fruchtbarkeit war, deren Einfluss als Demeter Kalligeneia ehemals mit solchem Gebahren herbeigezaubert werden sollte, nunmehr aber durch die Nymphe der Kallirrhoe ersetzt wird. Gegen die Unfruchtbarkeit hat man von jeher Brunnen- und Badekuren empfohlen. Schon unsere altdeutsche Sage lässt ja die Göttermutter Holda als diejenige verehren, welche der Erde Fruchtbarkeit und der Ehe Kindersegen bringt ; und sie wird auch mit dem Wasser der Brunnen in Verbindung gebracht, denn die Sage spricht davon, dass die Kinder aus gewissen Brunnen, den Kinderbrunnen ", geholt werden. Und die Brunnen spielen auch in den Mythen anderer Völker eine Rolle bezüglich der Fruchtbarkeit. Die indische Göttin Pravati war im Bade, ohne mit einem Manne zu thun gehabt zu haben, schwanger geworden ; sie gebar den Genesa. Die Mütter des chinesischen Fo, des Buddha, des Zoraaster verdanken sämmtlich dem Bade, dass ihre Unfruchtbarkeit von ihnen genommen worden. In Alt- Griechenland wurde der Fluss Elatus in Arkadien als heilsam gegen Unfruchtbarkeit empfohlen ; ebenso der thespische Quell am Helikon. Nach Sonidas' und Photius' Bericht hatte die Quelle zu Pyna auf Hymettos in der Nähe des Tempels der Aphrodite die Eigenschaft, Frauen, deren Leib verschlossen, zu Kindern und üherdies zu leichter Geburt zu verhelfen. Plinius erzählt von der Eigenschaft der Thermen Sinuessas , Fruchtbarkeit zu erzeugen. Bajae war in dieser Beziehung geradezu berüchtigt. So sagt Martial von einer Frau : „ Als Penelope kam sie nach Bajae , aber als Helena ging sie, ihren Gemahl verlassend und einem Jünglinge folgend. " Auch bei den Dayaks auf Borneo haben die Wassergötter, Djata genannt, einen besonderen Einfluss in Bezug auf die Beseitigung der Unfruchtbarkeit , welche sie nach unumschränktem Willen über die Weiber verhängen, oder sie davon erlösen. So berichtet Hein: Wollen unfruchtbare Frauen (und auch Männer) Kindersegen erlangen, so veranstalten sie einem Djata ein grosses Fest, Cararamin genannt, bei welchem man in einem schön geschmückten Boote nach einem Wohnsitze der Djatas fährt und dort Hühner (und anderes Geflügel) , deren Schnäbel mit Goldblech belegt sind , zum 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit . 437 Opfer darbringt, indem man sie entweder lebendig in das Wasser wirft, oder ihnen den Kopf abschneidet und bloss diesen opfert, den Rumpf des Thieres aber verzehrt. In manchen Fällen scheint man sich jedoch mit aus Holz geschnitzten Vogelfiguren zu begnügen. Einen sehr absonderlichen Wasserzauber zur Heilung der Unfruchtbarkeit erzählt Petrowitsch von den Serben: Die unfruchtbare junge Ehegattin soll ein Rohr abschneiden und dasselbe mit Wein füllen. Darauf näht sie es gemeinsam mit einem alten Messer und mit einem Kuchen aus Weizenmehl in einen leinenen Beutel. Diesen Beutel unter dem linken Arme haltend, muss dann die Frau in ein fliessendes Gewässer waten, während am Ufer Jemand für sie betet : „ Erfülle mein Gebet, o Gott, o Mutter Gottes" u. s. w. (unter Anrufung aller Heiligen) . Bei diesem Gebet lässt die Frau den Beutel in das Wasser fallen und setzt, nachdem sie aus dem Bach gewatet ist, ihre Füsse in zwei Kessel, aus denen sie der Ehemann herausheben und sie nach Hause tragen muss. Wir finden hier also ein ganz regelrechtes Trankund Speiseopfer, welches der Gottheit des Wassers dargebracht wird. In Grusien ist ein Kloster des heil. David, welches einen Bach besitzt, dessen Wasser im Geruche steht, Frauen fruchtbar zu machen. Im Orient schreiten Frauen, die sich Nachkommenschaft wünschen, ohne zu sprechen sieben Mal über den Körper eines Enthaupteten. Andere tauchen zu demselben Zweck schweigend ein Stück Baumwolle in das Blut des Enthaupteten und wenden dies in einer ganz besonderen Weise an. Bei den Mekkanerinnen ist das Tragen eines Zaubergürtels als Mittel, Fruchtbarkeit zu verschaffen, sehr gebräuchlich. (Snouch Hurgronje. ) Die Weiber der Mauren in Marokko behängen sich mit einem Talisman oder einem Amulet, um sich gegen Unfruchtbarkeit zu schützen ; besonders beliebt soll unter ihnen zu diesem Zwecke der Fuss eines Stachelschweins sein, welchem die Eigenschaft beigelegt wird, die Fruchtbarkeit zu erhöhen. (Schlagintweit. ) Um einen Sohn zu bekommen, treffen die Zeltbewohner in Marokko viele abergläubische Vorkehrungen ; sie pilgern während der Schwangerschaft ihrer Frau nach der heiligen Stadt Nesan und suchen von dem Grossscherif derselben, Sidi, das feste Versprechen zu erlangen, dass der Allerhöchste einen Sohn schenken möchte; dafür nimmt der Grossscherif als Geschenk ein Pferd ; um ganz sicher zu gehen, pilgert der gläubige Mann wohl auch nach Fez zum Grabmal Mulei Edris, und opfert den Schriftgelehrten des dortigen Gotteshauses eine Summe Geldes. (Rohljs. ) In Algerien unweit Constantine befindet sich ein ganz im Felsen gelegenes Bad mit der Quelle Burmal er Rabba, welches Jüdinnen und Maurinnen seit uralter Zeit frequentiren, um bei Unfruchtbarkeit Hülfe zu suchen. An mehreren Wochentagen kommen die eingeborenen Damen aus Constantine herab nach Sidi Mecid , schlachten vor der Thür der Grotte ein schwarzes Huhn, opfern im Inneren noch eine Wachskerze und einen Honigkuchen, nehmen ein Bad und sind dann sicher, dass ihre Wünsche bald in Erfüllung gehen. Der Brauch ist jedenfalls altheidnisch, eine uralte Berbersitte ; denn Thieropfer sind dem Islam fremd. (Kobelt. ) Bei den Nord- Basutho in Malakong im nördlichen Transvaal trägt bei Kinderlosigkeit der Mann die Schuld und muss daher auch die Sühne versuchen und nicht die Frau. Missionar Schloemann berichtet hierüber : „Nachher kam unser (National- ) Helfer Salomo und sagte, dass allerdings auch die Heiden ein Bewusstsein dafür hätten, dass man durch Kränkungen seinen Nächsten tödte : 438 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. sie würden nach dem Tode eines an Gram gestorbenen Menschen oft durch ihr Gewissen von ihrer Schuld überzeugt. Ihr Sprachgebrauch sagt geradezu: „ Er ist an Gram gestorben . " Das Gewissen eines solchen, der einen Gestorbenen viel gekränkt hat, erwacht oft bei etwa eintretenden Unglücksfällen, als Sterblichkeit unter den Kindern, oder bei gänzlichem Mangel derselben, Krankheit unter dem Vieh u. s . w. Der dadurch Betroffene trägt diese Schläge zuerst mit dumpfer Ergebung, nimmt aber bald seine Zuflucht zu den Zauberern und lässt es sich viel kosten, damit derselbe durch allerlei heilkräftiges Kraut und altüberlieferte Gebete und Zauberformeln das Unglück von Haus und Hof vertreibe. Sieht er aber, dass dennoch das Missgeschick nicht von ihm weicht, so giebt er sich gefangen, sein Gewissen erwacht und er sagt : „Es ist der Vater ( oder sonst einer) , den du zu Tode gekränkt hast, welcher dir das Unglück zuschickt. " Sein Plan ist dann schnell gefasst, der Todte muss versöhnt werden, damit Glück und Frieden zurückkehrt. Er geht in die Wildniss, sucht dort das Grab des Vaters auf, und bekennt an demselben im Gebete, was ihm Kummer macht. Vater, ich habe keine Kinder, denn ich habe an Dir gesündigt. Lass ab von Deinem Zorn und kehre mir Dein Herz wieder zu ! “ So fleht er, und dabei ergreift er irgend einen Gegenstand beim Grabe, etwa ein Steinchen oder einen Zweig, und nimmt ihn mit nach Hause. Dort wird derselbe zu seinem Fetisch, welchen er als Amulet mit sich herumträgt oder in seinem Hofraum irgendwo unterbringt. Die nahe Beziehung, welche er nun mit dem von ihm verehrten Gegenstande pflegt , soll die wiederhergestellte Gemeinschaft zwischen ihm und dem Verstorbenen andeuten . welchem dieser ganze Cultus gilt. Ein solcher Fetisch ist auch der Baumstamm, welcher als Eingangsschwelle zum grossen Versammlungsplatze der Hauptstadt dient. In ihm wird der verstorbene Häuptling Mancopane verehrt, zu dessen Versöhnung er dort niedergelegt wurde." Einen Grab- Cultus finden wir auch bei einigen anderen Völkern wieder. jedoch lässt sich derselbe noch wiederum in zwei Gruppen eintheilen, je nachdem es sich um männliche oder um weibliche Begrabene handelt. Von der letzteren Gruppe soll weiter unten gesprochen werden. Der ersten Gruppe, welcher ja auch das soeben berichtete Beispiel angehört, können wir noch einige andere Thatsachen hinzufügen. So berichtet Demie : Unfruchtbare KirgisenWeiber begeben sich zur Nachtzeit auf die Gräber hervorragender Personen und opfern hier einen Widder und bringen dort die ganze Nacht bei loderndem Feuer unter Gebeten zu. Folgendes erzählt Riedel von den Watubela- und Aaru- Inseln, sowie von den Inseln des Sula - Archipels : Hier gehen unfruchtbare Weiber mit ihren Männern zu den Gräbern der Eltern , oder, wenn sie Mohammedaner sind, Freitags nach der sogenannten Kub Karana, dem heiligen Grabe, um im Verein mit einigen alten Frauen daselbst zu beten. Sie nehmen dabei mit sich einige piga mena-mena, einen gefüllten Sirih-Kober, einen Bambu mit Wasser und eine lebende Geis , bei den Heiden auch wohl ein junges Ferkel. Das Grab wird dann rein gekehrt, die piga mena-mena mit dem darein gegossenen Wasser und der Sirihpinang auf das Grab gelegt, während die Geis oder das Schwein in der Nachbarschaft festgebunden wird . Nachdem sie dies verrichtet haben, spricht der Mann flüsternd : (ich) theile mit dem Grabe meiner Eltern, wenn ich ein Kind kriege, dann will ich eine Geis (Schwein) opfern oder dem Volke zu speisen geben, ich verlange nach Heilmitteln, um ein Kind zu kriegen, Medicin, die ich trinken kann : wenn ein Kind mir gegeben ist , komme ich zurück (um zu ofern). " Die betreffende Medicin wird im Traume sowohl der Frau als dem Manne bekannt gemacht oder vorgeschrieben. Dann waschen sich die Ehegatten mit dem Wasser, das dadurch geweiht wurde, dass es auf dem Grabe gestanden hat, und essen zusammen Sirih-pinang. Ein Theil des letzteren wird in einer Schüssel auf dem Grabe zurückgelassen. Darauf kehren sie nach ihrer Wohnung zurück, die Geis oder das Schwein wieder mitnehmend . Wird die Frau schwanger, dann wird das bewusste Thier geschlachtet und den Negari- Genossen gekocht vorgesetzt, damit sie den Niawa oder Geist des Vaters oder des Heiligen, dessen Grab besucht worden ist , loben und preisen können. 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit. 439 Eine sehr naive, aber so echt menschliche Anschauung liegt dem folgenden Mittel zu Grunde, welches nach Krauss ebenfalls bei den Süd- Slaven in Anwendung gezogen wird. Unfruchtbare Frauen, die gerne eine Leibesfrucht gewinnen möchten, begeben sich zu dem Grabe einer während der Schwangerschaft verstorbenen Frau. Sie ruft diese bei Namen, beisst von dem Grase, das auf dem Grabe wächst, etwas ab und wiederholt die Anrufungen, wobei sie die Verstorbene beschwört, dass sie ihr ihre Leibesfrucht schenken möge. Dann muss sie etwas von der Erde des Grabes nehmen, und diese am Gürtel mit sich herumtragen. Ganz ähnlich muss auch bei den wandernden Zigeunern Siebenbürgens die unfruchtbare Frau Gras von dem Grabe einer Wöchnerin essen, welche im Kindbett gestorben ist ; das muss aber bei zunehmendem Monde geschehen. (r. Wlislocki. ) An der Sclavenküste von Guinea unter den Otschi - Negern verschreibt sich das kinderlose Weib einem Fetisch zum Eigenthum, wenn er ihr Kinder geben wolle ; tritt dieser Fall ein, so ist das Kind ein Fetischkind und gehört dem Fetisch. Bei den Negern in Yoruba an der Westküste von Afrika ist das Wasser berühmt, das im Tempel der Naturgöttin aufbewahrt wird. Diese wird als schwangere Fran dargestellt, und das Wasser, das ihr geheiligt ist, benutzt man gegen Unfruchtbarkeit und schwere Geburt. In Abbeokout a wird von den unfruchtbaren Frauen auch zu der hermaphroditischen Form des Abbatalla gebetet, die aus einer nackten Frau und einem bekleideten Manne zusammengesetzt ist. (Bastian. ) Auf dem Wege von Malange in West- Afrika ins Innere über die Grenze von Angola hinaus fand Lux, dass die unfruchtbaren Negerinnen als fruchtbar machenden Fetisch zwei kleine, aus Elfenbein geschnitzte Figuren (die beiden Geschlechter darstellend) an einer Schnur um den Leib tragen. Die Frauen der Kitsch- Neger um Adaël im äquatorialen Afrika westlich vom weissen Nil verrichten ihre Abwaschungen nicht mit Wasser, weil sie davon Unfruchtbarkeit fürchten, sie nehmendazu viel weniger unschuldige Flüssigkeiten. Die Sudanesinnen tragen nach Brehm Amulete gegen die Unfruchtbarkeit unter ihrer Schürze. In Persien gilt die Alraunwurzel ( Mandragora) als Amulet gegen die Unfruchtbarkeit ; sie heisst dort Mannskraut (merdum giah) oder auch Liebeskraut (mehr- e-gia) . Die Mandragora hat sich übrigens auch in verschiedenen Gauen. Deutschlands eines grossen Rufes erfreut, und manche Gelehrte wollten sie mit den Dudaim der Bibel ( 1. Mos. 30. 16) identificiren und sie haben geglaubt, dass ihnen die Leah ihre Schwangerschaft zu danken habe. Ich vermag dieses aus der betreffenden Bibelstelle nicht zu entnehmen. Sterile Frauen in Bombay (Indien) gehen, um fruchtbar zu werden, zu einem grossen Lingam (Bild eines männlichen Gliedes als religiöses Symbol) , und drehen sich um denselben im Kreise unter Gebeten (mündliche Mittheilung Jagor's) . Unweit Bombay befindet sich, wie Haeckel berichtet , das heilige Brahminendorf Walkeschwar, wo die höchsten Hindu-Kasten (Brahminen) mit Ausschluss unreiner Kasten wohnen. Einen im Mittelpunkt des Dorfes liegenden viereckigen Teich umschliessen zahlreiche kleine Tempel, in deren Inneren ein heiliger Stier liegt. Andere Gegenstände der Verehrung, gleich den Stieren mit Blumen geschmückt, sind steinerne Symbole der Fruchtbarkeit, zum Theil von obscönster und 438 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. sie würden nach dem Tode eines an Gram gestorbenen Menschen oft durch ihr Gewissen von ihrer Schuld überzeugt. Ihr Sprachgebrauch sagt geradezu: „ Er ist an Gram gestorben. " Das Gewissen eines solchen, der einen Gestorbenen viel gekränkt hat, erwacht oft bei etwa eintretenden Unglücksfällen, als Sterblichkeit unter den Kindern, oder bei gänzlichem Mangel derselben, Krankheit unter dem Vich u. s . w. Der dadurch Betroffene trägt diese Schläge zuerst mit dumpter Ergebung, nimmt aber bald seine Zuflucht zu den Zauberern und lässt es sich viel kosten, damit derselbe durch allerlei heilkräftiges Kraut und altüberlieferte Gebete und Zauberformeln das Unglück von Haus und Hof vertreibe. Sieht er aber, dass dennoch das Missgeschick nicht von ihm weicht, so giebt er sich gefangen, sein Gewissen erwacht und er sagt: „Es ist der Vater ( oder sonst einer) , den du zu Tode gekränkt hast, welcher dir das Unglück zuschickt. " Sein Plan ist dann schnell gefasst, der Todte muss versöhnt werden, damit Glück und Frieden zurückkehrt . Er geht in die Wildniss, sucht dort das Grab des Vaters auf, und bekennt an demselben im Gebete, was ihm Kummer macht. Vater, ich habe keine Kinder, denn ich habe an Dir gesündigt. Lass ab von Deinem Zorn und kehre mir Dein Herz wieder zu ! “ So fleht er, und dabei ergreift er irgend einen Gegenstand beim Grabe, etwa ein Steinchen oder einen Zweig, und nimmt ihn mit nach Hause. Dort wird derselbe zu seinem Fetisch, welchen er als Amulet mit sich herumträgt oder in seinem Hofraum irgendwo unterbringt. Die nahe Beziehung, welche er nun mit dem von ihm verehrten Gegenstande pflegt , soll die wiederhergestellte Gemeinschaft zwischen ihm und dem Verstorbenen andeuten. welchem dieser ganze Cultus gilt . Ein solcher Fetisch ist auch der Baumstamm, welcher als Eingangsschwelle zum grossen Versammlungsplatze der Hauptstadt dient. In ihm wird der verstorbene Häuptling Mancopane verehrt, zu dessen Versöhnung er dort niedergelegt wurde. " Einen Grab- Cultus finden wir auch bei einigen anderen Völkern wieder. jedoch lässt sich derselbe noch wiederum in zwei Gruppen eintheilen, je nachdem es sich um männliche oder um weibliche Begrabene handelt. Von der letzteren Gruppe soll weiter unten gesprochen werden. Der ersten Gruppe, welcher ja auch das soeben berichtete Beispiel angehört, können wir noch einige andere Thatsachen hinzufügen. So berichtet Demie: Unfruchtbare KirgisenWeiber begeben sich zur Nachtzeit auf die Gräber hervorragender Personen und opfern hier einen Widder und bringen dort die ganze Nacht bei loderndem Feuer unter Gebeten zu . Folgendes erzählt Riedel von den Watubela- und Aaru - Inseln , sowie von den Inseln des Sula - Archipels : Hier gehen unfruchtbare Weiber mit ihren Männern zu den Gräbern der Eltern, oder, wenn sie Mohammedaner sind, Freitags nach der sogenannten Kub Karana, dem heiligen Grabe, um im Verein mit einigen alten Frauen daselbst zu beten. Sie nehmen dabei mit sich einige piga mena-mena, einen gefüllten Sirih- Kober, einen Bambu mit Wasser und eine lebende Geis, bei den Heiden auch wohl ein junges Ferkel. Das Grab wird dann rein gekehrt, die piga mena-mena mit dem darein gegossenen Wasser und der Sirihpinang auf das Grab gelegt, während die Geis oder das Schwein in der Nachbarschaft festgebunden wird. Nachdem sie dies verrichtet haben, spricht der Mann flüsternd : „( ich) theile mit dem Grabe meiner Eltern, wenn ich ein Kind kriege, dann will ich eine Geis (Schwein) opfern oder dem Volke zu speisen geben, ich verlange nach Heilmitteln, um ein Kind zu kriegen, Medicin, die ich trinken kann ; wenn ein Kind mir gegeben ist, komme ich zurück (um zu ofern). " Die betreffende Medicin wird im Traume sowohl der Frau als dem Manne bekannt gemacht oder vorgeschrieben. Dann waschen sich die Ehegatten mit dem Wasser, das dadurch geweiht wurde, dass es auf dem Grabe gestanden hat, und essen zusammen Sirih- pinang. Ein Theil des letzteren wird in einer Schüssel auf dem Grabe zurückgelassen. Darauf kehren sie nach ihrer Wohnung zurück, die Geis oder das Schwein wieder mitnehmend. Wird die Frau schwanger, dann wird das bewusste Thier geschlachtet und den Negari- Genossen gekocht vorgesetzt, damit sie den Niawa oder Geist des Vaters oder des Heiligen, dessen Grab besucht worden ist , loben und preisen können. 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit. 439 Eine sehr naive, aber so echt menschliche Anschauung liegt dem folgenden Mittel zu Grunde, welches nach Krauss ebenfalls bei den Süd - Slaven in Anwendung gezogen wird. Unfruchtbare Frauen, die gerne eine Leibesfrucht gewinnen möchten, begeben sich zu dem Grabe einer während der Schwangerschaft verstorbenen Frau. Sie ruft diese bei Namen, beisst von dem Grase, das auf dem Grabe wächst, etwas ab und wiederholt die Anrufungen, wobei sie die Verstorbene beschwört, dass sie ihr ihre Leibesfrucht schenken möge. Dann muss sie etwas von der Erde des Grabes nehmen, und diese am Gürtel mit sich herumtragen. Ganz ähnlich muss auch bei den wandernden Zigeunern Siebenbürgens die unfruchtbare Frau Gras von dem Grabe einer Wöchnerin essen, welche im Kindbett gestorben ist ; das muss aber bei zunehmendem Monde geschehen. (r. Wlislocki. ) An der Sclavenküste von Guinea unter den Otschi- Negern verschreibt sich das kinderlose Weib einem Fetisch zum Eigenthum, wenn er ihr Kinder geben wolle ; tritt dieser Fall ein, so ist das Kind ein Fetischkind und gehört dem Fetisch. Bei den Negern in Yoruba an der Westküste von Afrika ist das Wasser berühmt, das im Tempel der Naturgöttin aufbewahrt wird. Diese wird als schwangere Fran dargestellt, und das Wasser, das ihr geheiligt ist, benutzt man gegen Unfruchtbarkeit und schwere Geburt. In Abbeokout a wird von den unfruchtbaren Frauen auch zu der hermaphroditischen Form des Abbatalla gebetet, die aus einer nackten Frau und einem bekleideten Manne zusammengesetzt ist . (Bastian. ) Auf dem Wege von Malange in West- Afrika ins Innere über die Grenze von Angola hinaus fand Lua, dass die unfruchtbaren Negerinnen als fruchtbar machenden Fetisch zwei kleine, aus Elfenbein geschnitzte Figuren (die beiden Geschlechter darstellend) an einer Schnur um den Leib tragen. Die Frauen der Kitsch- Neger um Adaël im äquatorialen Afrika westlich vom weissen Nil verrichten ihre Abwaschungen nicht mit Wasser, weil sie davon Unfruchtbarkeit fürchten, sie nehmendazu viel weniger unschuldige Flüssigkeiten. Die Sudanesinnen tragen nach Brehm Amulete gegen die Unfruchtbarkeit unter ihrer Schürze. In Persien gilt die Alraunwurzel (Mandragora) als Amulet gegen die Unfruchtbarkeit ; sie heisst dort Mannskraut (merdum giah) oder auch Liebeskraut (mehr- e-gia). Die Mandragora hat sich übrigens auch in verschiedenen Gauen Deutschlands eines grossen Rufes erfreut, und manche Gelehrte wollten sie mit den Dudaim der Bibel ( 1. Mos. 30. 16) identificiren und sie haben geglaubt, dass ihnen die Leah ihre Schwangerschaft zu danken habe. Ich vermag dieses aus der betreffenden Bibelstelle nicht zu entnehmen . Sterile Frauen in Bombay (Indien) gehen, um fruchtbar zu werden, zu einem grossen Lingam (Bild eines männlichen Gliedes als religiöses Symbol), und drehen sich um denselben im Kreise unter Gebeten (mündliche Mittheilung Jagor's) . Unweit Bombay befindet sich, wie Haeckel berichtet , das heilige Brahminendorf Walkeschwar, wo die höchsten Hindu-Kasten (Brahminen) mit Ausschluss unreiner Kasten wohnen. Einen im Mittelpunkt des Dorfes liegenden viereckigen Teich umschliessen zahlreiche kleine Tempel, in deren Inneren ein heiliger Stier liegt . Andere Gegenstände der Verehrung, gleich den Stieren mit Blumen geschmückt, sind steinerne Symbole der Fruchtbarkeit, zum Theil von obscönster und 440 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. grotesker Form (Lingam) . Solche sind auch an vielen Stellen der Wege innerhalb und ausserhalb der Stadt Bombay zerstreut und mit rother Farbe bemalt. Sie werden namentlich von kinderlosen Eheleuten besucht und ihre rothen Theile werden mit Goldpapierchen beklebt, auch mit duftenden Blumen bedeckt, in der Hoffnung, durch diese Opferspenden mit Kindern gesegnet zu werden. In Puna , einem Hauptorte Ostindiens zwischen Bombay und Madras , besuchte Jolly das berühmte Heiligthum der Göttin Parvati, das auf einem steilen Hügel liegt . Vor einem heiligen Baume, einer Ficus indica, in der Mitte des Dorfes , durch welches er kam, war eine fromme Schaar Hinduweiber beschäftigt , den Lingam oder Phallus und andere aus Stein gearbeitete Symbole mit Spenden von Rosen zu ehren und mit rothem Farbstoff zu bestreichen, den sie nachher zum Betupfen ihrer eigenen Stirn verwendeten. Das Stirnzeichen wird jeden Morgen nach dem Bade erneuert . Bei Gujrat im Punjab in Indien befindet sich der Tempel Shadowla , in welchem seit dem 17. Jahrhundert mikrocephale Priester, die Chua (d. h. Ratten, nach der Missbildung ihres Schädels so genannt) den Tempeldienst versehen. „ Der Tempel wird heimlich von Weibern besucht, welche die Nacht darin zubringen, und am Morgen nur einen Chua an ihrer Seite finden , was die Conception begünstigen und Chuas erzeugen soll. " (Jagors.) = Bei den Badagas im Nilgiri - Gebirge ( Indien) pflegen Gatten, die in unfruchtbarer Ehe leben, einem Gotte einen kleinen silbernen Sonnenschirm oder hundert Kokosnüsse zu geloben, falls er ihnen ein Kind schenkt. Am Tage der Namengebung werden diese Gelübde abgetragen. Unfruchtbare Frauen wenden sich in ihrer Noth an Mahalinga (Maha gross , linga = phallus ; ein Name Siwa's), der in den Bergen an vielen Orten in Gestalt eines aufrechten Steins verehrt wird . Eine wegen der ihnen zugemutheten wunderbaren Entstehung für besonders wirksam gehaltene Klasse von Mahalingas sind die beim Pflügen zuweilen im Boden gefundenen Steinbeile , die für spontan der Erde entsprossen gelten und daher auch swagamphu (selbst entstanden) genannt werden. Dies erinnert an die Wunderkraft, die man auch in Deutschland den sogenannten Blitzsteinen, sowie den aufgefundenen Steinbeilen der Vorzeit beilegt . Zwischen Tanjore und Trichinopoly sieht man viele Hunderte grosser Pferde von gebranntem Thon aufgestellt, die dem Gotte Aganar von sterilen Weibern dargebracht sind, damit er ihnen Kinder schenke. Auch er verdankt die grosse Kundschaft seiner wunderbaren Geburt ; denn Aganar's Eltern, Siva und Vishnu, sind beide männlich. Auch Hette, eine Specialgöttin der Badaga - Frauen , die in dem Nilgiri viele Tempel hat , wird häufig angerufen. Die Weiber der Schins im Himalaya richten ihre Gebete um Kindersegen an den Tschili - Baum. ( v . Ujfalvy. ) Bei den Kara - Kirgisen gelten ebenfalls Bäume, und zwar vereinzelt stehende Apfelbäume, als Zufluchtsstätten für unfruchtbare Weiber. So heisst es in einem ihrer Gedichte , das Radloff übersetzt hat : " ,, Tschiritschi, des Aidar Tochter, Hatt' einst Jacyb Chan gefreit. " Wenn auch Tschiritschi gefreit ich, Küsste ich doch nie ein Kind, Tschiritschi band nie ihr Haar auf, Gott um Hülfe flehend, schaut' sie mich Fest nie band sie ihre Hüften, Und gebar mir keinen Knaben. Seit die Tschiritschi gefreit ich, nicht an, Sind schon 14 Jahr verflossen. Nie ging sie zur heil'gen Stätte, Wälzt sich nicht beim Apfelbaume, Uebernachtet nie beim Heilquell, O, erbarme Dich, mein Herrgott, Mög' im Leib der Tschiritschi Doch ein Knabe jetzt entstehen ! Könnt' ich binden ihre Hüften , Mir ' nen Sohn gebären lassen u. s . w. “ (Vambéry.) Von den Süd - Slaven erzählt uns Krauss¹ : Folgende zwei Zaubereien beruhen auf altem Glauben an die Baumseele, welche in der Gestalt eines Holzwurmes in dem Baum ihren Aufenthalt hat. Das Weib nimmt eine Holzschüssel voll Wasser und stellt sie unter einen Dachbalken, wo aus dem wurmstichigen Holze feiner Wurmfrass herabrieselt . Ihr Mann schlägt mit irgend einem 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit. 441 schweren Gegenstande auf den Balken und schüttelt den Wurmstaub heraus. Glückt es dem Weibe auch nur ein Bröcklein des Wurmstaubes aufzufangen, so trinkt sie es sammt dem Wasser aus. Manches Weib sucht im Knoten der Haselstaude nach einem Wurm und isst ihn auf, wenn sie ihn findet. Auch der Feuerfunke hat ähnliche Kraft, das Weib zu befruchten. Das Weib hält eine Holzschüssel voll Wasser neben dem Feuer auf dem Herde. Der Mann schlägt indessen zwei Feuerbrände an einander, dass die Funken sprühen. Nachdem einige Funken in die Schüssel gefallen, trinkt das Weib das Wasser aus der Schüssel aus. " Als Göttin des Kindersegens verehren die Chinesen nach Pander, vielleicht schon aus vorbuddhistischen Zeiten her, die Kuan yin, welche häufig mit einem Kinde dargestellt wird. Ihre sehr schönen PorzellanStatuetten haben eine grosse Aehnlichkeit mit Madonnenbildern. • In China giebt es Tempel der Fruchtbarkeit. Eduard Hildebrandt besuchte einen solchen Tempel ; die Andächtigen desselben bestanden nur aus jungen hübschen Chinesinnen; die im Tempel beschäftigten Bonzen schienen ernstlich beflissen zu sein, die Bittstellerinnen in ihrem Kummer über den bisher mangelnden Ebesegen zu trösten und bei beharrlichem Besuche ihres Tempels auf eine bessere Zukunft hinzuweisen. Die Miaotze, Ureinwohner in der Provinz Canton, haben, wie Missionär Krósczyk berichtet, eigenthümliche Gebräuche, um Fruchtbarkeit zu erzielen. Ist bei ihnen eine Ehe kinderlos, so nimmt man einen Korb, legt weisses Papier hinein und stellt einen Priester an, um dieses Papier anzubeten. Dasselbe stellt nämlich die Fa-kung-mo vor. Die Fa-kung- mo. Blumengrossvater und Blumengrossmutter, sind Geister, welche die Seele des Kindes in einem Garten zurückhalten. Der Priester bringt nun Opfer von Hühnern oder Schweinen diesen Blumenahnen, um sie günstig zu stimmen. Es hängt ja nur davon ab, dass des Kindes Seele aus dem Garten entlassen werde, so muss das Kind selbstverständlich zum Vorschein kommen. Die Ceremonie nennt man Kau-fa, d. h. Blumen anbeten. „ Bunsio, " sagen die Japaner , welche viele Jahre ohne Kinder in der Ehe gelebt hatte, richtete ihr Gebet an die Götter , wurde erhört und gebar - fünfhundert Eier. Da sie befürchtete, dass die Eier vielleicht Ungeheuer hervorbringen möchten , so packte sie solche in eine Schachtel und warf sie ins Wasser. Ein alter Fischer, der die Schachtel fand, brütete die Eier in einem Ofen aus, welche fünfhundert Kinder hervorbrachten. Die Kinder wurden mit gekochtem Reis und Beifussblättern gefüttert, und da man sie endlich sich selber überliess, so fingen sie an, Strassenräuber zu werden. Da sie von einem Manne hörten, der wegen seines grossen Reichthums berühmt war, so erzählten sie ihre Geschichte vor dessen Thüre und bettelten um einige Speise . Es fügte sich, dass dieses Haus das Haus ihrer Mutter war, welche sie sogleich für ihre Kinder erkannte und ihren Freunden und Nachbarn ein sehr grosses Gastmah! gab. Sie wurde nachher unter dem Namen Bensaita unter die Göttinnen versetzt. Ihre 500 Söhne wurden bestimmt, ihre beständigen Begleiter zu sein , und sie wird bis auf diesen Tag noch in Japan als die Göttin der Fruchtbarkeit und des Reichthums verehrt. (Horst. ) Bei Kinderlosigkeit scheinen die Oroken , die Urbewohner der Insel Sachalin , die Ehe dadurch fruchtbar zu machen , dass sie über das Bett einen sonderbaren Götzen hängen, wie Poljakow berichtet : Es war eine Gruppe, die eine Frau und einen Seehund, mit einer gemeinschaftlichen Decke bedeckt, zusammenschlafend repräsentirte. Ich hatte schon früher erfahren, welche wichtige materielle Bedeutung im Leben der Oroken und Giljaken der Seehund besitzt ; ich überzeugte mich indess auch von der religiösen Bedeutung, die diesem Thiere beigelegt wird, so dass ich auch diejenige des Götzen unschwer erfassen konnte. " Poljakow nahm das Götzenbild und hing es an seine Hütte. Der Orok bat , ihm es wiederzugeben, da er es zum Schutz gegen Magenschmerzen halte ; dies war jedoch eine falsche Angabe. Sehr eigenthümliche Gebräuche zur Erlangung der bisher versagten Fruchtbarkeit finden wir auf den Inseln des malayischen Archipels. 442 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. Wenn auf Engano eine Ehe unfruchtbar bleibt, so nehmen manche, die sich Kinder wünschen, den Namen eines Thieres an, zumal den eines Hundes, welchen Thieren sie ebenso, wie wir Europäer , Namen geben ; ein Häuptling, den von Rosenberg besuchte, hiess nach seinem Lieblingshund „ Pah“ . Auf Ambon und den Uliase - Inseln opfern die unfruchtbaren Weiber auf einem heiligen Stein und beten nachher in dem Tempel . Eine ähnliche Kraft und Bedeutung hatte auf Java eine alte holländische Kanone, die bei Batavia auf freiem Felde lag . Auf ihr pflegten die Weiber in ihren besten Kleidern, mit Blumen geschmückt, rittlings zu sitzen, manchmal zwei auf einmal ; dabei wurden Opfergaben an Reis, Früchten u. s. w. niedergelegt, die dann natürlicherweise von den Priestern eingesteckt wurden . (Kiehl. ) Auf Serang betet der Priester, der nachher mit den Dorfgenossen die Opfergaben verspeist, mit der Frau: „ Herr Firmament, Herr Erde, Himmel. Erde seid gnädig und gebt mir ein Kind. " Unfruchtbare Frauen auf Keisar nehmen das erste Ei einer Henne, gehen damit zu einem sachverständigen, alten Manne und fragen ihn um Hülfe. Er legt das Ei auf ein Nunu- Blatt (ficus altimeraloo) und drückt damit die Brüste der Frau unter dem Murmeln von Segenswünschen. kocht dann das Ei in einem zusammengefalteten Koli- Blatt (borassus flabelliformis), nimmt ein Stückchen davon, legt es wieder auf das Nunu- Blatt und lässt es die Frau essen. Darauf drückt er mit dem Blatt die Nase und die Brüste der Frau aufs Neue und bestreicht die rechte und die linke Schulter von oben nach unten, wickelt darauf wieder ein Stück von dem Ei in das Nunu- Blatt und lässt es in den Zweigen eines der höchsten Bäume in der Nachbarschaft der Wohnung aufbewahren. Sehr absonderlich nach unseren Begriffen sind die Maassnahmen, welche die Weiber auf den Babar- Inseln veranstalten, wenn ihnen der Kindersegen versagt ist. Sie suchen dann die Hülfe eines Mannes auf, der viele Kinder besitzt, damit er für sie die Gottheit bitte. Der Ehegatte der Frau bringt darauf 50–60 junge Kalapafrüchte zusammen, während sie aus rothem Kattun eine Puppe von einem halben Meter Länge verfertigt. Am verabredeten Tage kommt der betreffende Mann in das Haus der Frau, lässt das Ehepaar neben einander sitzen und setzt vor sie einen Teller mit Sirih-pinang und einer jungen Kalapafrucht hin. Dabei hält die Frau die Puppe im Arme, als ob sie dieselbe säugte. Die Frucht wird geöffnet und mit dem darin enthaltenen Wasser Mann und Frau besprengt. Darauf nimmt der Helfer ein Huhn und hält dessen Füsse gegen den Kopf der Frau, indem er dazu spricht : „ O Upulero mache Gebrauch von dem Huhn, lass fallen, lass herniedersteigen einen Menschen, ich bitte dich, ich flehe dich an, einen Menschen lass fallen , lass ihn niedersteigen in meine Hände und auf meinen Schooss !" Sofort fragt er dann die Frau : „ Ist das Kind gekommen?" Worauf sie antwortet : „ Ja , es saugt bereits . " Dann berührt er das Haupt des Mannes mit den Hühnerfüssen und murmelt dazu einige Formeln. Das Huhn wird danach durch einen Schlag gegen den Hauspfosten getödtet, geöffnet und die Ader am Herzen untersucht. Es wird dann auf den Teller gelegt und auf den Opferplatz im Hause gestellt . Dann wird im Dorfe ver- kündigt, dass die Frau schwanger wäre, und alles kommt und beglückwünscht sie. Ihr Mann leiht eine Schaukelwiege, in die sie die Puppe hineinlegt und dieselbe sieben Tage lang wie ein neugeborenes Kind behandelt. (Riedel' . ) In ähnlicher Weise wird der unfruchtbaren Nischinamfrau in Californien von ihrer Freundin eine Puppe aus Gras geschenkt, die sie dann, um ihre Unfruchtbarkeit zu beseitigen, Wiegenlieder singend an die Brust legt. (Power. ) Die Eskimo- Sagen berichten, dass eine alte Frau einem unfruchtbaren Weibe zwei Fische gesendet habe, einen Milchner und einen Rogener, die letztere essen solle, je nachdem sie einen Sohn oder eine Tochter wünsche. Der Ehemann, der seiner Frau diese Fische bringen wollte, ver- 100. Göttliche und sympathetische Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit. 443 zehrte auf der Heimreise aus Mangel an Lebensmitteln den Rogener. In Folge dessen wurde er schwanger und musste unterwegs bei Leuten einkehren, wo eine Hebamme ihn mit den Fussknochen eines Waldhuhns und einigen blauen Käfern, die sich unter dem Fussboden des Zeltes befanden , tüchtig einrieb und so eine Oeffnung zu Wege brachte, durch die sie ihn von einer Tochter entband. (Rink.) Wir müssen uns in unseren Betrachtungen noch nach Europa wenden. Der germanische Gott Fo oder Freyr war auch der Gott der Liebe und der Fruchtbarkeit; ihm scheint der Johannistag geweiht gewesen zu sein, denn diesen Tag bringt man noch heute mit Liebe. Reichthum und Fruchtbarkeit in abergläubische Beziehung. Die Nüsse sind das Sinnbild der Fruchtbarkeit, auch der geschlechtlichen . (Zingerle².) Und nun heisst's im Volke: Wenn es den ganzen Johannistag nicht regnet, so giebt's viele Nüsse (in Schwaben , Schlesien und Thüringen), und am Lech sagt man: Wenn es an diesem Tage regnet, so werden die Nüsse wurmig und viele Mädchen schwanger. (Wuttke.) Eine Frau, deren Wunsch, gesegneten Leibes zu werden, sich wegen Verhexung nicht erfüllt, muss in der Sonnwendnacht drei Stunden lang in einer Wagengabel, in welche eine trächtige Stute gespannt war, stehen, und während dieser Zeit ununterbrochen den Rosenkranz beten ; dann wird, wie es im Samlande heisst, ihr Wunsch Erhörung finden und die Verhexung weichen. (Spitzer. ) Die Masuren in Westpreussen wenden gegen Unfruchtbarkeit der Weiber das Wasser an. welches vom Maule des Hengstes abläuft, nachdem er getrunken. (Kopernicki.) .. Bei den wandernden Zigeunern in Siebenbürgen muss nach v. Wlislocki das Weib, welches befürchtet, unfruchtbar zu sein, Wasser trinken, in welches der Gatte glühende Kohlen geworfen, oder noch besser, seinen Speichel hat rinnen lassen, mit den Worten : Wo ich die Flamme bin, sei Du die Kohle, wo ich der Regen bin, sei Du das Wasser. " Bisweilen nimmt der Gatte ein Ei, macht an beiden Enden desselben je ein kleines Loch und bläst dann den Inhalt des Eies in den Mund der Gattin, die ihn hinabschluckt. Das bei ihnen sehr gebräuchliche Grasessen von dem Grabe einer Wöchnerin ist bereits erwähnt worden und einige andere von ihnen in Anwendung gezogenen Maassnahmen werden wir im nächsten Abschnitte zu besprechen haben. Bei Unfruchtbarkeit soll in Steyermark die Frau von ihrem Eheringe Gold abschaben und geniessen (in Frohnleiten) . In Tyrol sind unter Mirakelbildern auch sogenannte Muettern aufgehängt. Man glaubt, die Weiber hätten ein solches krötenartiges Wesen im Leibe. Manche Mütter legten sich nieder und hätten während des Schlafes den Mund geöffnet, da kroch die Muetter heraus und zum nächsten Wasser, wo sie sich badete. Wenn nun das Weib inzwischen den Mund nicht geschlossen hatte, kroch die zurückkehrende Muetter wieder hinein. und die frühere Kranke war wieder gesund; hatte das Weib aber inzwischen den Mund geschlossen, so starb sie. Unfruchtbare Weiber opfern solche Wachsfiguren bei Bildern der Gottesmutter und der heiligen Kümmerniss. (Zingerle¹.) 444 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. Solch eine krötenförmige Wachsmuetter, welche der Herausgeber im Jahre 1890 in einem Wachsziehergeschäft in Salzburg kaufte, zeigt die Figur 92. Dieselbe ist auf Seite 171 schon erwähnt worden. Fig. 92. Votiv - Kröte aus Wachs. (Salzburg. ) (Nach Photographie. ) Bei Unfruchtbarkeit gelten wie überhaupt in katholischen Ländern Gebete zu den Heiligen für hülfreich ; so stehen in Steyermark bei Erhoffung des Kindersegens Wallfahrten zu wunderthätigen Gnadenbildern, namentlich nach Maria Zell , Maria Trost, Maria Lankowitz, Frauenberg bei Admont u. s . w. in hohem Ansehen. (Fossel.) In der süditalienischen Provinz Bari steht der heilige Francesco di Paolo in besonderem Rufe als Helfer bei Unfruchtbarkeit. (Karusio.) Nach Demic glaubt man im russischen Gouvernement Tschernigoff, dass eine Wallfahrt nach der Lawra, dem berühmten Kloster in Kiew , durch Berührung der dort in den Katakomben aufgestellten Heiligen die Unfruchtbarkeit heile. Kindersegen verschafft im Luxemburgischen die Muttergottes Maria im Walde auf einer Eiche Zwischen Alttrier und Hersberg, wie früher auf dem Helperberg , die heil . Lucia dagegen im wallonischen Luxemburg. An der südlichen Grenze dieses Landstrichs , nahe bei Verdun, sieht man noch in einem Felsen den Lehnstuhl dieser Heiligen ; diesen steinernen Sitz nehmen betend kinderlose Frauen ein und erwarten mit Zuversicht die Erfüllung ihrer Wünsche. (de la Fontaine.) Auch die Französinnen riefen in der Noth der Unfruchtbarkeit die Hülfe der Heiligen an, aber hier waren es männliche Heilige, welche das Wunder verrichteten. Noch bis zu der Zeit der Revolution bestand in Brest eine Kapelle des heiligen Guignolet, der das Attribut des Priapus führte. ,,Les femmes stériles ou qui craignaient de l'être allaient à cette statue, et, après avoir gratté ou raclé ce que je n'ose nommer, et bu cette poudre infusée dans un verre d'eau de la fontaine, ces femmes s'en retournaient avec l'espoir d'être fertiles. " St. Guerlichon wird ähnlich verehrt und hat gleiche Erfolge. (Harmand. ) In den Pyrenäen bei Bourg- d'Oueil befindet sich eine steinerne menschliche Figur von 11 Meter Höhe, welcher éra peyra dé Peyrahita genannt wird. An ihm reiben sich die unfruchtbaren Weiber, welche ihn umarmen und küssen. Dass wir in diesen Dingen die Reminiscenzen eines alten Phalluscultus wiedererkennen müssen, das liegt wohl auf der Hand und es ist wohl nicht unwahrscheinlich, dass es hier ursprünglich phönizische Gottheiten sind, welche im Laufe der Jahrhunderte allmählich die Wandlung in christliche Heilige durchgemacht haben. 101. Die Verhütung der Unfruchtbarkeit. Wir können es sehr wohl begreifen, dass namentlich bei solchen Völkern, bei denen eine unfruchtbare Frau der Schande und Verachtung und allerlei Unbilden von Seiten des Gatten und ihrer Angehörigen ausgesetzt ist, die 101. Die Verhütung der Unfruchtbarkeit. 445 Braut und deren Freundschaft bange Sorgen bei der Schliessung der Ehe beschleichen , ob nicht auch ihr solch ungünstiges Geschick beschieden sei. Und da erscheint es uns denn ganz natürlich, dass man zu rechter Zeit auf allerlei vorbeugende Mittel Bedacht genommen hat. Sollen solche Zaubermittel aber von rechter Wirkung sein, so kommt es auch darauf an, dass man die richtige Stunde wählt, um sie in Anwendung zu ziehen. Da finden wir denn, dass man so früh wie möglich mit den sympathetischen Maassnahmen vorgeht und namentlich drei Zeitpunkte besonders bevorzugt hat, nämlich den Hochzeitstag, die Hochzeitsnacht und den Morgen nach der Hochzeit. Am Tage der Hochzeit kann der Zauber bereits in der Kirche während der Trauung seinen Anfang nehmen, oder es wird der Augenblick gewählt, wo das junge Paar zum ersten Male als Neuvermählte sein neues Heim betritt. Aber auch die Zeit des Festmahles ist noch für die vorbeugende Hülfe geeignet. In Ungarn herrscht der Aberglaube, dass die junge Frau schon bei der Trauung durch eine Art Zauberei die Zahl der Kinder bestimmen könne, welche sie künftig bekommen wird : So viele Kinder sie haben will , auf so viele Finger muss sie sich vor der Copulation in der Kirche setzen . (v. Czaplovics. ) Auch in Aegina pflegen die Trauzeugen, um der jungen Ehefrau die Fruchtbarkeit zu sichern , dieselbe sofort nach erfolgter Einsegnung mit Erbsen und Granatapfel-Kernen zu bewerfen. Die Serbin hängt ihr Hemd umgekehrt an einen gepfropften Baum, so dass die Aermel nach unten hängen. Unter das Hemd stellt sie ein Glas voll Wasser. Den nächsten Morgen trinkt die Frau das Wasser aus und das Hemd zieht sie an. Andere lassen sich von einer schwangeren Frau Sauerteig in den Gürtel geben und schlafen mit demselben eine Nacht. Den nächsten Tag isst die Frau den Sauerteig zum Frühstück auf. Wenn bei den Serben die jungen Ehegatten ihr Haus betreten, dann muss die Frau nach den Dachbalken blicken. So vielen Söhnen wird sie das Leben schenken, als sie in diesem Augenblicke Balken erblickt . Die Zelt- Zigeuner in Siebenbürgen werfen nach . Wlislocki den Neuvermählten, wenn diese ihr Zelt betreten. alte Schuhe, Stiefel und Bundschuhe nach, wodurch die Fruchtbarkeit der Ehe gesteigert werden soll. " An einigen Orten in Russland wird schon bei Gelegenheit der Hochzeit Rücksicht darauf genommen, dass der jungen Frau der Kindersegen nicht fehle ; in Nishni- Nowgorod z. B. werden die Neuvermählten so vom Hochzeitstisch geleitet, dass sie keinen Kreis zu beschreiben haben, sonst bleibt die Ehe unfruchtbar. (Sumzow. ) Die Esthen werfen bei Hochzeiten Geld und Bänder in den Brunnen und ins Feuer für die Wasser- und Feuermutter zur Sühne“ , und noch am Ende des vorigen Jahrhunderts wurden bei ihnen am Johannisabend Opfer in ein grosses Feuer geworfen, um welches unfruchtbare Weiber nackt tanzten, während Opferschmäuse gehalten und Unzucht getrieben wurde. (Böcler.) Der Brauch, der Braut Kuchenstücke auf den Leib zu stossen, welcher sich vereinzelt in Deutschland findet, bezieht sich wohl auf die künftige Fruchtbarkeit im ehelichen Leben. Als Beispiel für einen Sympathiezauber während der Hochzeitsnacht führen wir die alten Preussen an. Bei ihnen stellte man unter das Ehebett gebratene Bocks- und Bären-Nieren, was Fruchtbarkeit bewirken sollte, auch durfte für das Hochzeitsmahl kein Vieh ausgeschlachtet werden, sondern es 446 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. durften nur Böcke oder Bollen (?) verzehrt werden. Am anderen Morgen kam die Hochzeitsgesellschaft wieder vor das Bett und der unter das Bett gestellte , Brauthahn" wurde visitirt ; war noch etwas übrig, so mussten es die jungen Eheleute schnell aufessen. Der Morgen nach der Hochzeit trat bei den Tataren in Kraft. Bei diesen war es früher Sitte, dass man am Morgen nach der Hochzeitsnacht die Jungvermählten aus der Jurte zur Begrüssung der neu aufgehenden Sonne herausführte. Man nimmt nicht mit Unrecht an, dass diese Sitte aus der altpersischen Culturwelt stammt, denn in der That ist dies noch heute in Iran und in Mittel - Asien im Gebrauch, ein Ueberbleibsel des alten Parsi - Cultus, indem man sich dem Glauben hingiebt, dass die Strahlen der aufgehenden Sonne das wirksamste Mittel zur Erlangung der Fruchtbarkeit bei den Neuvermählten seien. Aber auch der oben besprochene Lingam- und Phallusdienst ist ja im Grunde genommen gar nichts anderes, als eine Verehrung des befruchtenden Sonnenstrahls, wenn die Götterbilder auch allmählich zum besseren Verständniss für die rohe Menge menschliche Formen angenommen haben. Bei den wandernden Zigeunern Siebenbürgens wird der Fruchtbarkeitszauber etwas hinausgeschoben. Aber auch sie lassen nur die allerersten Wochen der jungen Ehe vorübergehen ; dann wird gleich zu folgendem zauberkräftigen Mittel geschritten : Die Gattin sammelt die Fäden der Herbstspinne, welche als sogenannte Sommerfäden oder Altweibersommer über die Felder fliegen, und verzehrt dieselben in Gemeinschaft mit ihrem Ehemanne. Dabei müssen sie mit leiser Stimme den folgenden Spruch hersagen : Ihr Keschalyi (Schicksalsgöttinnen) spinnet , spinnt, Bis noch Wasser in den Bächen rinnt! Euch zur Kindtauf wir einladen, Wenn die rothen Glückesfaden Ihr gesponnen, ihr gesponnen Für das Kind, das wir gewonnen Haben von Euer Gnad' , ihr Keschalyi. (v. Wlislocki.) 102. Die Verhütung der Befruchtung. Wir haben in den vorhergehenden Abschnitten gesehen, wie erfindungsreich der menschliche Geist in den Versuchen gewesen ist, dem unfruchtbaren Weibe die Mutterschaft zu ermöglichen. Es giebt aber andererseits auch eine Reihe von Situationen, bei welchen die zeitliche oder die dauernde Unfruchtbarkeit als ganz besonders wünschenswerth erscheint. Nicht immer ist dieses nur der illegitime geschlechtliche Verkehr zwischen Unverheiratheten, welcher hier in Frage kommt, sondern auch in der Ehe finden sich Zeiten, wo ein fernerer Kindersegen unerwünscht erscheint, oder wo absonderliche Sitten eine Schwangerschaft vor dem Ablauf einer bestimmten Anzahl von Jahren als unschicklich gebrandmarkt haben. In allen diesen Fällen ist man durch allerhand Kunstgriffe bemüht gewesen, einer unliebsamen Befruchtung aus dem Wege zu gehen. Die jüdische Frau, welche ihre Schwangerschaft vereitelte, beging nach Josephus ein todeswürdiges Verbrechen. Die Juden des alten Testaments kannten ohne Zweifel Methoden, die Befruchtung zu ver- 102. Die Verhütung der Befruchtung. 447 hüten. Es wird wenigstens von Onan berichtet, dass er den Actus in dem Augenblicke unterbrach, wo er fruchtbringende Folgen desselben vermuthen durfte. Aehnliches erzählt Thompson von den Jünglingen der Massai ; denn da die Mädchen, wenn man bei ihnen eine Gravidität entdeckt, ohne Gnade dem Tode verfallen sind, so extrahiren sie den Penis ante actum finitum . Auch bei den Griechen und Römern kamen Präventiv-Mittel zur Anwendung. Landerer berichtet, dass in dieser Hinsicht Vites Agnus Castus in Alt- Griechenland eine grosse Rolle spielte. Man nannte diese Pflanze Castus i. e. ❝yvos, quod ad iis , a quibus estur aut bibitur, aut substernitur, castitatem conservat, quam matronae Atheniensium in Thesmophoriis castitatem custodientis hujus arboris sibi sternebant. Es wurden auch im alten Rom Versuche gemacht, durch innere Mittel Frauen unfruchtbar zu machen. Nach der Lehre der Symboliker und Sympathetiker sollten die Samen fruchtloser Bäume, als Thee getrunken, Unfruchtbarkeit herbeiführen, so besonders die im Haine der kinderlosen Proserpina wachsenden Weidenbäume (Homer) und Pappeln. (v. Fabrice. ) Plinius bemerkt dazu : occissime autem salix amittit semen, antequam maturitatem sentiat, ob id dicta Homero frugiperda ; secuta aetas scelere suo interpretata est hanc sententiam , quando semen salicis mulieri sterilitas. medicamentum esse constat. Der römische Arzt Soranus gab ausserdem den Rath, die Frau solle, wenn ihr eine Geburt gefährlich zu werden droht, sich hüten , den Beischlaf vor oder nach der Menstruation einzugehen, sie soll im Moment der Ejaculation den Athem an sich halten. nach dem Coitus mit gekrümmten Knieen sitzen, vor dem Coitus den Muttermund mit Oel oder Honig, mit Opobalsam oder Absynth gemischt. bestreichen und sich Pessi mit zusammenziehenden Mitteln einlegen lassen. Dass auch noch bis in spätere Zeit selbst im deutschen Volke der Glaube herrschte, dass Weiden- Thee unfruchtbar mache, bezeugen Seitz und Matthiolus letzterer meint sogar, dass die Blätter von Weiden mit Wasser getrunken nicht nur eine Schwangerschaft verhindern, sondern auch, dass sie, wenn sie gesotten getrunken werden, Lust und Neigung zur Unkeuschheit vertreiben. " In der Gegend von Kitzingen herrschte noch 1796 der Aberglaube, dass ein Mädchen, welches Birnen oder Mispeln esse, die auf Hagedornstämmen oculirt seien , nicht empfange. (Bundschuh.) In Steyermark werden zur Verhütung einer Empfängniss nicht selten die absurdesten Rathschläge ertheilt und getreulich befolgt. Allgemein gilt das Wasser aus den Löscheimern der Schmiede, nach jeder Menstruation getrunken, als unfruchtbar machend, ebenso der Genuss von Zimmttinetur, englischem Balsam, Bienenhonig und Abführmitteln aller Art, besonders von Aloe und Myrrhe. Verbürgten Nachrichten zufolge haben die ledigen Menscher im . . . Thale des steyrischen Oberlandes seit vielen Jahren statt der modernen safety sponges Leinwandfetzen im Gebrauch. (Fossel.) Will die Ungarin keine Kinder haben, so sucht sie sich durch einen Zauber zu schützen, indem sie vor dem Beilager ein mit Mohn gefülltes und zugeschlossenes Vorlegeschloss in den nächtsen Brunnen wirft. ( v. Csaplovics. ) Wenn die Frau des Serben will, dass sie nie mehr Kinder bekommt, so soll sie mit den Beinen des Neugeborenen die Hausthüre zumachen. (Petrowitsch. ) Wenn bei den Süd - Slaven ein Kind stirbt, so darf der Sargdeckel zu Kopf und Füssen der Leiche nicht vernagelt sein, weil sonst die Mutter unfruchtbar bliebe, oder wenn es gut ginge, eine sehr 448 XVII. Die Unfruchtbarkeit des Weibes. schwere Geburt bei der nächsten Niederkunft zu bestehen hätte. Will ein Weib einige Jahre hindurch nicht mehr Kinder zur Welt bringen , so braucht sie bloss in das erste Badewasser ihres Kindes so viel Finger zu stecken, als sie Jahre hindurch unfruchtbar bleiben will, und dann die Finger ablecken. ( Krauss¹. ) In Russland trinkt man zur Verhütung der Schwangerschaft einen Aufguss von Lycopodium annotium, oder am Morgen nüchtern ein Glas warmes Wasser. In Esthland nehmen die Weiber Quecksilber ein und im Gouvernement Kiew den wässrigen Aufguss der Paeonia officinalis ; auch der frische Saft des Schöllkrautes (Chelidonium majus) ist berühmt, und die Tatarinnen benutzen den Thee vom Farnkraut (Filix mas). In Sibirien sollen die Weiber, wenn die Menses sich einstellen, ein bestimmtes Quantum Bleiweiss nehmen, wodurch diese angeblich unterdrückt und bis zum nächsten Eintritte derselben die Empfängniss verhütet werden soll ; beim Aussetzen des Mittels kehrt nach der im Volke herrschenden Meinung auch die Möglichkeit der Empfängniss wieder zurück. (Krebel. ) Um nicht schwanger zu werden, sollen nach Klunzinger in OberAegypten die Töchter Eva's von dem Pulver der gebrannten Porzellanschnecken-Schale (Cypraea) drei Mund voll nüchtern nehmen. Wenn in Algier eine Frau nicht sobald wieder schwanger werden will, so trinkt sie. einige Tage lang Wasser, inwelchem man die Blätter der Salsola und der Pfirsich eingeweicht hat, oder sie geniesst den Saft der Frucht des Feigenbaums, auch braucht sie nur auf ihrem Kopfe ein Amulet zu tragen, ein Papier, auf dem zwei Vierecke gezeichnet sind ; an jeder Ecke der letzteren sind die folgenden Zeichen angebracht, um welche herum arabische Worte stehen. Um sich vor unerwünschter Befruchtung zu schützen, tragen die Weiber in Mekka eine Büchse mit Kaninchenkoth auf der Brust. (Snouck Hurgronje. ) Von den Viti - Insulanerinnen berichtet Blyth: Wie die eingeborenen Hebammen es unternehmen, Unfruchtbarkeit zu heilen, so nehmen sie auch zu Präventivmitteln ihre Zuflucht, die manchmal Erfolg haben, manchmal nicht. Hierzu benützen sie einen Aufguss der Blätter und der entrindeten. geschabten Wurzel des Roga- Holzes und der Samalo. Hat Abends der Beischlaf stattgefunden, so wird der Trank am anderen Tage genommen. Dieses Präventivmittel für eine Erstschwängerung wird auch von Frauen genommen, welche keine Schwangerschaft mehr wünschen, nachdem sie ein oder mehrere Kinder geboren haben. Um Unfruchtbarkeit herbeizuführen , gebraucht man auf den Neuen. Hebriden eine Pflanze, welche die Weiber verspeisen. (Jamieson. ) Verschiedene rein mechanische Arten, sich vor der Befruchtung zu schützen, haben wir bereits bei Australierinnen und bei Bewohnerinnen des malayischen Archipels kennen gelernt. Letztere verhalten sich nach Riedel bei dem Coitus sehr indifferent, um nicht geschwängert zu werden ; erstere verstehen es, durch eine schlenkernde Bewegung der Beckenregion. sich des eingedrungenen Sperma zu entledigen. Auch kommen, wie wir gesehen haben, bei ihnen Mädchen vor, denen, um sie unfruchtbar zu machen. die Eierstöcke herausgeschnitten waren, und das Gleiche fand sich in Ostindien. Ebenfalls in Indien, bei den Munda- Kohls und in Niederländisch- Indien , verstehen sie es, eine Conception durch absichtlich vorgenommene Lageveränderungen (Knickungen) der Gebärmutter zu verhüten . So sind jedenfalls die Worte des Missionars Jellinghaus zu deuten, welcher 102. Die Verhütung der Befruchtung. 449 erzählt, dass arme Weiber unter den Munda- Kohls in Indien sich ohne Wissen der Männer die Gebärmutter verschieben und verdrücken lassen, um die Plage der Schwangerschaft los zu sein. Und aus NiederländischIndien berichtet van der Burg: Der dort schon früh entwickelte Geschlechtstrieb der Mädchen wird anstandslos befriedigt, wobei man sich der Hülfe einer Doekoen, einer der zahlreich vertretenen heilkundigen alten Frauen bedient, um nicht zu concipiren. In der That scheinen diese Weiber zu verstehen, durch äussere Manipulationen, durch Drücken, Reiben, Kneten durch die Bauchdecken hindurch, nicht von der Scheide aus, eine Lageveränderung, Vor- oder Rückwärtsknickung der Gebärmutter zu Stande zu bringen, welche die Conception verhindert, und zwar ohne dass weitere Beschwerden davon die Folge sind, als leichte Kreuz- und Leistenschmerzen und Urinbeschwerden in den ersten Tagen der Procedur . Will ein derartiges Mädchen später heirathen und Mutter werden, so wird die Gebärmutter wieder auf dieselbe Weise in Ordnung gebracht. Dass auch bei den civilisirten Völkern Europas allerhand Vorkehrungsmaassnahmen eine weite Verbreitung besitzen , bedarf wohl an dieser Stelle keiner besonderen Erörterung. Es sind die allbekannten Fischund Gummiblasen und die Schwämmchen, und auf der gynäkologischen Klinik in Berlin entdeckte E. Martin zu meiner Studienzeit in der Vagina einer Frau sogar einen kleinen Borsdorfer Apfel. Wer sich über die schädlichen Wirkungen unterrichten will, welche der sogenannte Coitus interruptus auf den Genitalapparat und das Nervensystem der Frau auszuüben pflegt, den müssen wir auf die Abhandlung von Valenta verweisen . Ganz neuerdings ist ein neuer , sinnreich construirter Apparat, das Pessarium occlusivum, zur Verhinderung der Empfängniss von Dr. Mensinga in Flensburg (unter dem Pseudonym Hasse) in die ärztliche Praxis eingeführt worden, welcher für gewisse Fälle ganz unbestritten eine grosse Wichtigkeit und Berechtigung besitzt. Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl . 29 XVIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes. 103. Die Rassenunterschiede in der Fruchtbarkeit. Es ist, wie Niemand wohl bezweifeln wird, von einem hohen anthropologischen Interesse, eine Untersuchung darüber anzustellen, ob bei den verschiedenen Völkern der Erde die Fähigkeit, sich zu vermehren und ihren Stamm fortzupflanzen, in gleichmässiger Weise vorhanden ist, oder ob sich in dieser Beziehung ethnologische Differenzen nachweisen lassen . So mangelhaft nun auch das uns zu Gebote stehende Material in dieser Beziehung bisher leider ist, so gelingt es doch auch mit diesen geringen Mitteln schon, den sicheren Beweis zu liefern, dass hier wirklich recht erhebliche Verschiedenheiten existiren, und bisweilen können wir sogar auch einen Einblick in die Gründe gewinnen, durch welche dieselben veranlasst werden. Wir berühren hier ein wichtiges Kapitel der Demographie, durch welches wir tiefere Einblicke theils in das somatische Leben, theils in die culturelle Mission des Weibes zu werfen hoffen können. Zunächst möchten wir darauf hinweisen, wie die Statistik die weibliche. Fruchtbarkeit zu untersuchen hat. Zur Messung der Fruchtbarkeit einer Bevölkerung dient in der Regel die allgemeine Geburtenziffer , welche lediglich die Gesammtzahl der Geburten mit der Gesammtbevölkerung vergleicht. Ein Jahresbetrag von weniger als 30 Geburten auf 1000 Einwohner ist nach den internationalen statistischen Ermittelungen als gering, ein solcher von 30 bis gegen 40 als normal, ein Betrag von 40 und mehr Geburten auf 1000 Einwohner aber als sehr hoch anzusehen. Allein mehrere Statistiker (unter Anderen Mayr) machen darauf aufmerksam, dass diese allgemeine Geburtenziffer als richtiger Ausdruck der Fruchtbarkeit der Bevölkerung nicht angesehen werden darf. Bei deren Ermittelung wird nämlich die gesammte Bevölkerung in Rechnung gebracht, während doch nur ein Bruchtheil der letzteren wirklich bei der Fortpflanzung betheiligt und derselben fähig ist. Wäre überall der Bestand an Greisen und Kindern verhältnissmässig gleich, dann wäre die Folgerung minder unrichtig, weil dann die Fruchtbarkeit sich wenigstens proportional den allgemeinen Geburtenziffern verhalten würde. " Auch nicht etwa das Verhältniss der Gesammtzahl der Weiber in einer Bevölkerung kann uns einen richtigen Aufschluss über die weibliche Fruchtbarkeit geben ; denn die Frau ist eben nur eine gewisse Zeit lang gebärfähig, und es müssten alle diejenigen weiblichen Personen von der Zählung ausgeschlossen werden, welche theils noch nicht in die Periode der Gebärfähigkeit eingetreten, theils aber durch Ueberschreiten dieser Periode steril geworden sind . 103. Die Rassenunterschiede in der Fruchtbarkeit. 451 Wenn man nun bei zwei Völkern verschiedener Rasse verschiedene Grade der Fruchtbarkeit vorfindet, so muss man sich wohl hüten, hierin ohne Weiteres einen Rassenunterschied erkennen zu wollen. Denn es zeigt sich bei näherer Untersuchung, dass die grössere oder geringere Fruchtbarkeit noch durch eine Reihe anderer Factoren recht erheblich beeinflusst werden muss. Hierher gehört der moralische Zustand der Bevölkerung, ihre sociale Lage und damit Hand in Hand gehend das Altersverhältniss der Erzeuger zu einander. Ohne Zweifel darf man als günstiges Zeichen für das Wohlbefinden einer Bevölkerung die zunehmende Vermehrung derselben durch immer steigende eheliche Fruchtbarkeit betrachten; auf der anderen Seite erscheint die allmähliche Abnahme derselben als Merkmal irgend eines krankhaften Zustandes in der Moralität oder in der gesellschaftlichen und staatlichen. Ordnung. Auf dergleichen Missstände deutet beispielsweise die stockende Entwickelung der Population in Frankreich. Während fast überall in Europa die Fruchtbarkeit der Ehen auf mindestens 4 Kinder sich berechnet, ergeben sich nach den älteren Berechnungen von Wappäus nur 3,3, nach den neueren Zusammenstellungen sogar nur 2,9 Kinder auf die Ehe. Der von den Franzosen selbst in neuerer Zeit oft beklagte Stillstand in der Bevölkerungsentwickelung Frankreichs rührt nicht davon her, dass in Frankreich zu wenig geheirathet wird, sondern davon, dass die Ehen dort weit weniger fruchtbar sind, als sonst allenthalben in Europa. Auch spielt hier keine Eigenartigkeit der ,,lateinischen Rasse" eine Rolle, denn in Italien kamen von 1863-75 sogar 4,71 Kinder durchschnittlich auf die Ehe. Bertillon lenkte vor Allem die Aufmerksamkeit seiner Landsleute auf diesen wunden Fleck; und der französische Ethnograph Corre äusserte : „ La race française tend chaque jour à s'amoindrire vis- à-vis des autres races, dont l'accroissement proportionnel est beaucoup plus considérable . Mais faut- il voir en ce fait si regrettable le résultat d'une influence ethnique, la preuve d'une dégénération fatale et irrémédiable? Nous hésitons à le croire, quand nous voyons au Canada les familles françaises avoir communement six ou sept enfants ; nous sommes plutôt portés à attribuer la décroissance de notre population à un état de moeurs latentes, contre lesquelles il serait grand temps que les législateurs réagissent, s'ils ne veulent mériter plus tard le reproche d'avoir été les complices inconscients de l'annihilation de la patrie. " Man beschuldigt hauptsächlich das in Frankreich herrschende Zwei- kindersystem als Hinderniss grösserer Fruchtbarkeit. Allein es mögen hier wohl auch noch andere Verhältnisse mit in Frage kommen. Es wirken zur grösseren oder geringeren Fruchtbarkeit eines Volkes zahlreiche sociale Factoren zusammen. Was aber insbesondere die Verhältnisse des weiblichen Theiles der Bevölkerung anbetrifft, so muss man vor Allem das Alter der in die Ehe getretenen Frauen bei der ehelichen Fruchtbarkeit berücksichtigen . Man hat gefunden, dass die Fruchtbarkeit der Ehen ihren höchsten Werth erreicht, wenn die Eltern gleich alt sind oder wenn der Mann 1-6 Jahre älter ist, als die Frau. Das weibliche Geschlecht allein zeigte eine Zunahme der Fruchtbarkeit von 12 bis zu 27 Jahren. Quetelet fasste die bezüglich des Alters auf die Geburtenhäufigkeit gefundenen Resultate in Folgendem zusammen : Allzu früh geschlossene Ehen fördern die Unfruchtbarkeit. Vom 33. Jahre an bei Männern, vom 26. bei Frauen fängt die Fruchtbarkeit an geringer zu werden. Zu dieser Frist erreicht sie den Höhepunkt. Unter sonst gleichen Umständen ist sie am grössten, wo der Mann mindestens ebenso alt, oder um etwas älter ist, als die Frau. Für England hatte schon Sadler, für Oesterreich Göhlert nachgewiesen, dass rechtzeitige Ehen die fruchtbarsten sind, dass aus vorzeitigen Ehen wenige und meist schwächliche Kinder her29* 452 XVIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes. vorgehen, und dass die Fruchtbarkeit der Ehe um so bedeutender gemindert wird, je weiter das relative Alter der Eltern sich von den angegebenen fruchtbarsten Altersverhältnissen entfernt. (Wappaus.) Die Verschiedenheit im Alter der Zeugenden ist allerdings auch zum Theil von der früheren oder späteren Pubertätsreife, sowie von klimatischen Einflüssen abhängig. Man weiss, dass in den südlichen Ländern mit romanischen Bevölkerungen die Ehen durchgängig früher geschlossen werden können als im Norden, theils wegen des früheren Eintrittes der physischen und socialen Reife bei jenen Völkern, theils weil dort die nothwendigsten Bedürfnisse zum Unterhalt einer Familie für die grosse Masse des Volkes geringer und leichter zu erwerben sind als im Norden. Hierzu kommt, dass im Süden Europas das Band der Ehe fast durchgängig leichter geschlossen wird, als bei den ruhigeren und besonneneren Bewohnern des germanischen Europas. So sind denn hier weit weniger Rasse und Klima, als vielmehr die mit historisch gegebenen Verhältnissen in Zusammenhang stehenden Culturzustände, sowie die hiervon wieder abhängige, die Sexualverhältnisse beherrschende Lebensweise maassgebend. Daher kommt es, dass beispielsweise Völkerschaften im Orient , die unter gleichen klimatischen Verhältnissen leben, grosse Differenzen in der Fruchtbarkeit zeigen. So schrieb mir über die in Griechenland lebenden Völker Damian Georg aus Athen, dass die Juden daselbst sehr fruchtbar sind, die Armenier ebenfalls, die Griechen weniger, die Türken noch weniger; im Allgemeinen aber sei das Volk in Griechenland sehr fruchtbar. Dass die jüdische Bevölkerung überall eine grosse Fruchtbarkeit zeigt, ist aber gewiss die Folge einer dieser Rasse besonders zu- kommenden Eigenschaft. Die Süd - Slavinnen pflegen sehr fruchtbar zu sein. Zwillinge und auch Drillinge gehören nicht zu den Seltenheiten. (Krauss¹.) Eine recht interessante Bemerkung bezüglich der Fruchtbarkeit eines nordischen Volkes machte Du Chaillu : Ehe ich Lappland besuchte, war ich in dem Wahne befangen, dass der Einfluss des langandauernden Tageslichts, wie umgekehrt dann wieder der kurzen dunklen Tage und langen Nächte nothwendiger Weise eine Entartung der menschlichen Rasse zur Folge haben müsse ; aber gerade das Gegentheil sollte sich finden : je weiter ich in Schweden wie in Norwegen nach Norden vordrang, um so kräftiger und stärker schien mir der Menschenschlag, um so grösser waren die Familien und um so höher der Procentsatz der Geburten im Verhältniss zur Zahl der Bevölkerung ; betrug derselbe doch in Tromsöe 3410 und in Finnmarken gar 36/10 auf 1000 Personen jährlich. Es ist durchaus nichts Ungewöhnliches, in einer Familie und von einer Frau eine Zahl von 15 bis 18 Kindern zu treffen und manchmal, obgleich dies seltener vorkommt, steigt sie wohl auch auf 20-24 Köpfe. Allem Anscheine nach zeigt sich die Fisch- und Milchdiät der Vermehrung der menschlichen Rasse sehr förderlich. “ Ganz im Gegensatz hierzu sagte früher Dahl: „ Die Lappländer sind bekanntlich sehr unfruchtbar, so dass eine grosse Kinderzahl in einer Familie eine grosse Seltenheit ist . Zahlen brachte freilich dieser Autor nicht bei. Der Einfluss des Ortes und des Klimas auf die Fruchtbarkeit darf überhaupt nicht überschätzt werden, denn die Bevölkerungen von Ländern mit gleichem Klima zeigen ganz differente Geburtenziffern. Diese Ziffer beträgt nach Quetelet für : Island 37, England 35, Kap der guten Hoffnung 33,7 , Frankreich 31,6, Schweden 37 , Insel Bourbon 24,5, Sicilien 24, Preussen 23,3 , Venetien 22, Vereinigte Staaten 20; es zeigt sich somit keine Beziehung zwischen diesen Zahlen und den Breitegraden. Wappäus führt ferner folgende Geburtenziffern an : Mexiko 17 , Venezuela 21,9 , Bolivische Provinzen Moxos und Chiquitos 17,7, Unter- Canada 24,2, Ober- Canada 29,1 , Neu- Süd- Wales 28,6, 103. Die Rassenunterschiede in der Fruchtbarkeit. 453 Martinique bei Weissen 39,1 , Martinique bei Farbigen 25,9 , Bourbon 23,5 . Hier zeigt sich beispielsweise bei Martinique, wie gross an einem Orte die Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsklassen sind. Die angelsächsische Rasse, die sich auf amerikanischem Boden zum Yankee - Typus gestaltete, zeigt bedenkliche Symptome ; man will bemerkt haben, dass ihre Frauen in der fünften und sechsten Generation immer blasser und blasser, immer zarter, magerer und zugleich ätherischer, daher für ihre höchste Aufgabe, nämlich gesunde Kinder zu zeugen und selbst zu ernähren, immer weniger befähigt werden. In der That sinkt, wie das Bureau of Education in seiner Schrift über Vital Statistics of America nachwies, die Rate der, Geburten in Amerika von Jahr zu Jahr; dieser Rückgang findet sich in allen Staaten stetig und allgemein : in Arkansas , Alabama , Massachusetts, Connecticut, Michigan , Indiana , Pennsylvania und New York. Allerdings sind die Ueberschüsse der Geburten stärker bei den Einwanderern, immerhin aber geringer, als in irgend einem Lande Europas, Frankreich in seinen trübsten Zeiten nicht ausgenommen. Die Abneigung der Frauen in Amerika gegen die Mühen der Kindererziehung hat nicht geringen Antheil an dieser Erscheinung. Eine ganz erhebliche Abnahme der Fruchtbarkeit wird auch von verschiedenen Autoren bei europäischen Familien behauptet, welche dauernd in die Tropen übergesiedelt sind. Die Fruchtbarkeit der Frau, sagte Virchow in seinem Vortrage über die Acclimatisation , geht erfahrungsgemäss in den Tropen allmählich, aber doch sehr schnell, in wenigen Generationen zu Grunde. " Und selbst von Cuba, das immer als das Muster eines für die Acclimatisation der Europäer geeigneten Tropenlandes hingestellt worden ist, bestätigt Ramon de la Sagra, was für andere Antillen , namentlich für die französischen , schon seit längerer Zeit als ausgemachter Lehrsatz gilt, dass eine weisse Familie, eine Creolen familie, die im Lande ansässig ist und nicht durch neues europäisches Blut wieder aufgefrischt wird, sich überhaupt über die dritte Generation hinaus nicht mehr als fruchtbar erweist. “ Es ist ferner zu berücksichtigen, dass überall bei den Völkern Europas die zeitlichen Schwankungen in der ehelichen Fruchtbarkeit besonders von denPreisen der wichtigsten Nahrungsmittel beherrscht werden, wie viele Statistiker nachgewiesen haben. Ueberhaupt üben günstige Lebensverhältnisse wohl bei jeder Bevölkerung den grössten Einfluss auf die Erzeugung der Nachkommenschaft aus. Dass aber zahlreiche Momente, wie Ueberlastung des weiblichen Geschlechts und hierdurch bedingte Häufigkeit des Abortus, allzu frühes Heirathen. die Verbreitung gewisser Krankheiten, entnervende Gewohnheiten des männlichen Geschlechts u. s . w. der Erzeugung von Kindern hinderlich sind, wird wohl auch bei manchen Völkern als Grund der relativ geringen Fruchtbarkeit aufzufassen sein. Weiterhin mag eine besonders bei vielen wilden Völkern heimische Gewohnheit die Fruchtbarkeit beschränken : das sehr lange, oft mehrere Jahre andauernde Säugen der Kinder. Denn schon an sich ist es physiologisch, dass für gewöhnlich, aber freilich nicht immer, die stillenden Frauen nicht concipiren ; ausserdem aber verbietet bei vielen Völkern die Sitte, bei anderen die religiöse Vorschrift den sexuellen Umgang während der ganzen Säugungsperiode ; in Folge dessen wird auch die Möglichkeit der Empfängniss während des Stillens ausgeschlossen. Dass viele, namentlich auch wilde Völker das Stillen der Kinder ausdrücklich deshalb jahrelang fortsetzen, um nicht so bald wieder schwanger zu werden, davon wird noch die Rede sein. 454 XVIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes. Schliesslich mag jedoch auch die angebliche Unfruchtbarkeit eine nur scheinbare sein. Denn bei manchen Völkern ist lediglich das oft vorkommende sofortige Tödten der Neugeborenen und die Fruchtabtreibung die alleinige Ursache, dass man nur wenig Kinder auf die Ehe zählt. Die Annahme, dass die Mischlinge aus verschiedenen Rassen meist wenig fruchtbar seien, ist falsch ; wenigstens hat sie durchaus keine allgemeine Gültigkeit. So lebt in Süd- Amerika, namentlich in Brasilien , eine sehr zahlreiche Bastardbevölkerung von Negern und Portugiesen . in Chile eine solche aus Indianern und Spaniern , in anderen Theilen dieses Continents kommen die complicirtesten Kreuzungen zwischen Indianern , Negern und Weissen vor, doch gerade diese dreifachen Kreuzungen bieten die schärfste Probe für die wechselseitige Fruchtbarkeit der verschiedensten Stämme dar. Die gemischte Rasse in Paraguay übertrifft sogar in der Fruchtbarkeit die beiden Rassen, aus denen sie hervorgegangen . Insbesondere vermehren sich die in den europäischen Colonien, sowie in den Staaten Süd - Amerikas verbreiteten Mulatten , die Nachkömmlinge von Weissen und Negern. Le Vaillant sagt : „ Die Hottentotten erhalten, wenn sie sich unter sich verheirathen, 3 oder 4 Kinder, wenn sie sich mit Negern verbinden, verdreifachen sie diese Zahl und erhöhen sie noch mehr, wenn sie sich mit den Weissen vermischen . " Als Hinderniss der Conception betrachtet man seit ältester Zeit Fettleibigkeit ; deshalb galten den Griechen die skytischen Frauen als unfruchtbar. (Haeser.) Bei den Kaders in den Anamally- Bergen ( Indien) gilt es als gutes Zeichen, wenn das erste Kind ein Mädchen ist ; man glaubt dann auf viele Kinder rechnen zu können ; später werden Knaben vorgezogen. (Jagor¹. ) Sehen wir uns nun unter den verschiedenen Völkern des Erdballs bezüglich der weiblichen Fruchtbarkeit um, so müssen wir schon im Voraus gestehen, dass dasjenige, was wir hierüber Thatsächliches gefunden haben, noch in vieler Hinsicht des zahlengemässen Beleges entbehrt, dass aber auch zweitens die vielleicht sicheren, statistisch gefundenen Zahlen deshalb noch wenig für die Beurtheilung der Ursachen der Fruchtbarkeitsverhältnisse zu verwerthen sind, weil zumeist die Beobachter unterlassen haben, ihre Aufmerksamkeit auf die von uns oben angedeuteten einflussreichen Bedingungen zu richten. Schon aus diesem Grunde lässt sich unsere, wenn auch lückenhafte, Darstellung rechtfertigen ; denn dieselbe hat den Zweck, die Augen Derer, die zu solchen bevölkerungswissenschaftlichen Studien schreiten , mehr und mehr auf die vorhandenen Lücken bezüglich unserer Bekanntschaft mit den einwirkenden Zuständen hinzulenken. 104. Die Fruchtbarkeit der asiatischen Völker. Unter den transkaukasischen Völkern , insbesondere den Grusiern und den grusischen Armeniern , gehören kinderreiche Familien zu den Seltenheiten ; nicht mit Unrecht wird, wie gesagt, die Ursache dieser Erscheinung in dem zu frühen Abschlusse der Ehen gesucht. (Koch. ) Die Ehen der Chewsuren sind kinderarm. Es werden selten mehr als drei Kinder in einer Familie gefunden. Diese Kinderarmuth ist eine ab- sichtliche. Zunächst ist es Brauch, die Ehe bis zum 20. Jahre des Mädchens zu verzögern. Bei den verheiratheten Chewsuren gilt es als grosse Schande, wenn dem jungen Paare vor Ablauf der ersten vier Jahre ein Kind geboren wird. Auch später darf erst im Verlaufe von abermals drei Jahren eine Geburt stattfinden. Die Leute 104. Die Fruchtbarkeit der asiatischen Völker. 455 meinen, dass bei der rascheren Aufeinanderfolge der Kinder das jüngere dem älteren die nöthige Pflege rauben würde. (Radde. ) Die Beduinen - Weiber sind nach Layard wenig fruchtbar ; er glaubt, dass das 2 bis 3 Jahre lange Stillen dazu beiträgt. In Persien empfangen nach Polak Frauen, welche für ihre Kinder Ammen halten, rasch nach einander und gebären fast jedes Jahr, während in den ärmeren Klassen, wo das Kind bis zum dritten Jahre von der Mutter gesäugt wird, Empfängniss und Geburten sich langsamer folgen. Doch geschieht es auch, dass Frauen während und trotz der Lactation im zweiten Jahre wieder menstruiren und empfangen. Durchschnittlich gebären die Perserinnen 6--8 mal. Die unfruchtbare Frau wird in Persien vom Manne fast immer verstossen . Ueber die in der persischen Provinz Gilan am Kaspischen Meere wohnenden Volksstämme schrieb mir Häntzsche, dass als die Ursache der dort vorkommenden Unfruchtbarkeit anzuklagen sind : Frühe Heirathen, Missverhältniss des Alters zwischen den Eheleuten, Hysterie, Menstruationsanomalien und andere krankhafte Zustände des Uterinsystems, grossentheils wohl erzeugt durch das widernatürliche Gebären. Die Sarten in Taschkent und Chokan sind sehr fruchtbar; es findet sich nicht selten, dass eine Familie 15 lebende Kinder aufweist. Besitzt der Sarte aber mehrere Frauen, so begegnet man in seiner Familie wohl mehr als 30 Seelen . (Russische Revue. ) Von den Völkern im äussersten Nordosten Asiens wissen wir im Ganzen nur Weniges: Die Yuit nennt Dall nicht fruchtbar. Die Tschuktschen scheinen kinderreicher zu sein. Hooper wenigstens rechnete bei ihnen 5-6 Kinder auf jedes Weib. Auch in den Tschuktschen- Dörfern am Eismeer giebt es nach den Berichten der Vega - Expedition „ Kinder in Menge". (Gerland. ) Die sibirische Bevölkerung zeigt bedeutende Differenzen bezüglich der Fruchtbarkeit. In einem Berichte (Jenissei) wird erwähnt, dass daselbst die Fruchtbarkeit der Frauen abnimmt, je höher nach Norden zu das Volk wohnt. So sind die Ehen im Turuchan'schen Gebiete auffallend weniger ergiebig, als z. B. im südlichen und öst- lichen Sibirien. Wenn die Russin im südlicheren Sibirien , aber auch noch unter dem 50-57. n. B. , bis 24 Kinder gebären kann, so bringt es ihre Landsmännin nahe am Polarkreis etwa auf 10, 12 , selten 15 , in der Gegend von Worogof selten bis 19 Kinder; die Ostjakin höchstens bis 8 oder 9, die Tungusin im Maximum auf 8---10. Die letzteren (Tungusinnen und Ostjakinnen) gebären überhaupt nur bis zu 30 bis 35 Jahren, nie mehr im 40. Jahre. Die besten und jüngsten Jahre in den Ehen, gewöhnlich anderwärts durch grössere Fruchtbarkeit ausgezeichnet , sind bei den Familien der Eingewanderten in Turuchan durch Kargheit der Geburten bemerkbar. Die Ostjaken sind nicht sehr fruchtbar, selten trifft man Familien mit 3 oder 4 Kindern ; der Hauptgrund des Kindermangels scheint jedoch in der grossen Kindersterblichkeit zu liegen . (Alexandrow.) Auch Pallas äusserte sich in ähnlicher Weise. Er sagt : Von Eifersucht wissen die Ostjaken wenig. Ihre Ehen sind auch nicht sonderlich fruchtbar, obgleich man von ihnen sagt, dass sie der thierischen Liebe sehr ergeben sind . Man findet wenig Väter, die mehr als drei , höchstens vier Kinder haben. Vielleicht ist daran auch dieses schuld , dass viele Kinder wegen der groben Behandlung und Nahrung im zarten Alter wegsterben, obgleich die Mütter selbige, solange sie nur selbst wollen, oft bis ins fünfte Jahr säugen. “ Die Samojeden nehmen bekanntlich an Zahl ab, da ihre Ehen sehr unfruchtbar sind. Unter den von Sograf untersuchten Individuen befanden sich 18 verheirathete Männer und 10 verheirathete Frauen; auf diese 28 Personen kamen im Ganzen nur 25 lebende Kinder, gewiss eine sehr kleine Zahl. Mit den verstorbenen Kindern betrug die Anzahl 47, welche sich auf 19 Ehen vertheilt, darunter waren 6 Ehen kinderlos . Diese geringe Kinderzahl ist wohl zu einem Theil auf die entsetzliche Schwächung des Körpers durch Branntweingenuss zu schieben ; andererseits scheint das überaus frühe Heirathen einen schlechten Einfluss zu üben. Knaben von 16-17 Jahren werden mit Mädchen von 13-14 Jahren verheirathet. Auch die Tungusen sind nicht sehr fruchtbar ; die wenigsten Eltern sollen bei ihnen mehr als 4 Kinder zeugen. (Georgi.) Die Chinesen sind nach Scherzer ebenfalls wenig fruchtbar, da die Familie (d. h. der Mann mit in der Regel 2-6 Frauen) durchschnittlich nicht mehr als 4 Kinder 456 XVIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes. hat. Allein Scherzer scheint die Ursache nicht in dem langdauernden Säugen zu finden, denn er setzt noch hinzu : „ Viele Frauen werden häufig nach einigen Jahren wieder schwanger, selbst wenn sie noch säugen. " Auf andere Weise werden von den chinesischen Aerzten als Ursachen der Unfruchtbarkeit aufgeführt: 1. beim Manne Excesse in der Liebe, der Gebrauch des die Fettbildung übermässig fördernden Arseniks und der Gebrauch des die Geschlechtsfunctionen zerstörenden Quecksilbers, endlich auch die Ausübung des „ Cong- fou" (d . i . einer Manipulation, um die Empfindung durch Anspannung der Aufmerksamkeit herabzusetzen , ähnlich dem Hypnotismus oder thierischen Magnetismus) ; 2. beim Weibe ebenfalls Liebes- Excesse, Fettbildung (welche das Eindringen des Sperma in die Genitalien hindern soll) und verschiedene Krankheiten, wie Leucorrhöe, Menstrualfehler, Prolapsus etc. Ausserdem zählen die chinesischen Aerzte noch zahlreiche Ursachen der Sterilität auf, wie ausserordentliche Magerkeit, übermässige Gallenabsonderung etc. (Hureau. ) Obwohl Kindersegen in Japan als besondere Gunst des Himmels angesehen wird, sind doch die meisten Familien nach einigen Angaben wenig zahlreich und bilden drei Kinder wohl den Durchschnitt. Dagegen bezeugt Wernich, dass die Japanerinnen im Allgemeinen sehr fruchtbar sind ; der um die Häuser sich tummelnde Kindersegen würde, wie er sagt, noch bedeutender sein, wenn nicht eine Beschränkung durch das lange Säugen und durch Abortus stattfände. Obgleich in Japan wie in China die jungen Mädchen sich vor der Verheirathung ziemlich frei prostituiren dürfen, so ist doch dies dem Wachsthum der Bevölkerungszahl nicht hinderlich . (Letourneau. ) Ueber die Fruchtbarkeit der Annamiten- Frauen Cochinchinas hat Mondière Studien gemacht. Die Menstruation tritt bei ihnen durchschnittlich spät ( 16 Jahre und 4 Mon.) ein ; nur 4 Procent der Frauen trat vor diesem Zeitpunkt in die Ehe, die grösste Mehrzahl ( 941 Individuen) waren älter als 17 Jahre bei ihrer Vereinigung mit dem Manne. Von diesen aber, die bei geschlechtlichem Umgange Gelegenheit gehabt hätten , zu gebären, hatte noch nicht die Hälfte (440) ein oder mehrere Kinder geboren. Das mittlere Alter, in welchem bei diesen die erste Geburt stattfand, war 20 % Jahr. Die erste Geburt fällt also ziemlich spät ; und während 86 Procent schon vor dem Eintritt der Regeln den Coitus üben, sind 95 Procent menstruirt vier Jahre, bevor sie ihr erstes Kind bekommen. Mondière fand, dass 119 Frauen, die im gebärfähigen Alter standen, 545 Kinder hatten. Da das junge Mädchen hier zumeist erst im Alter von 19 bis 20 Jahren in die Ehe tritt , wo sie am geeignetsten ist zur Zeugung, so begünstigt die bis dahin den Sexualorganen gewährte Ruhe die Empfängniss, und so werden sie auch in dieser Altersepoche zumeist schwanger. Die Weiber der Nayer- Kaste in Indien bleiben bis zum 40. , auch bis zum 45. Jahre fruchtbar ; Mütter mit 10 Kindern sind nicht sehr selten . Eine Frau in Calicut soll 16, eine andere sogar 20 Kinder geboren haben. (Jagor.) 105. Die Fruchtbarkeit der amerikanischen Völker. Bei den Aleuten im Nordwesten Amerikas ist eine Familie selten mit mehr als 2-3 Kindern gesegnet, wogegen die Verhältnisse der besser lebenden Russen mit den eingeborenen Weibern fruchtbarer sind. ( Ritter. ) In Alaska findet man in den Ehen der Eingeborenen gewöhnlich nur 1-3 Kinder ; die höchste Zahl, welche Dall gefunden, betrug 6 , auffallend viele Ehen sind ganz kinderlos. Die Fruchtbarkeit der Eskimo- Weiber ist nach Landsberg sehr bedeutend , indem 21 Frauen im Durchschnitt 6 Kinder hatten ; unter 66 Frauen waren nur 2 , die keine Kinder hatten. ( Roberton. ) Dagegen berichtet Abbes, dass die Ehen der Eskimos des Cumberland- Sundes sich keines grossen Kindersegens erfreuen ; selten trifft man mehr als zwei Kinder; die Ursache vermuthet er darin, dass der Mangel an passendem Ersatz für die Muttermilch die Frauen zwingt, ihre Kinder möglichst lange an der Brust zu halten, sodann ist auch die Sterblichkeit unter den Kindern naturgemäss ungemein gross. Kinderlose adoptiren oft ein Kind. Die nordamerikanischen Indianer scheinen weniger fruchtbar zu sein, als die Weissen. Heckewelder sah in indianischen Familien, die ehemals in Pennsylvanien 105. Die Fruchtbarkeit der amerikanischen Völker. 457 lebten, selten mehr als 4-5 Kinder. Auch Le Beau berichtet , dass die Frauen der Indianer in Canada minder fruchtbar sind , als die Weissen. Der englische Reisende Weld, welcher ebenfalls die Weiber der canadischen Indianer , wie die der Ureinwohner Nord - Amerikas überhaupt, für minder fruchtbar als die der Weissen hält, meint wohl nicht mit Unrecht, dass deren Preisgebung im zarten Alter und das lange Säugen der Kinder, während dessen sie keinen Verkehr mit den Männern unterhalten, die Ursache der geringen Fruchtbarkeit ist . Gänzliche Unfruchtbarkeit soll übrigens bei den Rothhäuten selten sein , häufig dagegen künstliche Fehlgeburten bei Verheiratheten und Unverheiratheten, denn meist werden nicht mehr als 3-4 Kinder aufgezogen. ( Waitz. ) Aehnlich lauten die Berichte aus dem tropischen Amerika. Die Frauen in Jalapa (Mexiko) sind in der Regel fruchtbar, und Beispiele von Sterilität findet man selten ; allein häufig vermeiden sie es, Mütter zu werden , indem sie sich freiwillig eine strenge Enthaltsamkeit auferlegen, um nicht die häuslichen Sorgen zu vermehren. (Annales. ) Die Fruchtbarkeit der Frauen in Nicaragua ist sehr gross. Selbst eingewanderte Frauen scheinen hier fruchtbarer zu werden, wenn Bernhard Recht hat, welcher sagt, dass es nichts Seltenes sei , Frauen zu finden , die 15-20 Kinder geboren haben ; eine Frau in Massya , die in der ersten Ehe kein Kind hatte , gebar in der zweiten Ehe 27 Kinder. In den Städten im Inneren der Insel Cuba , in Trinidad . Santo - Espiritu und Villa Clara sind nach Ramon de la Sagra (Mayer- Ahrens³) die Ehen ausserordentlich fruchtbar : viele derselben zählen 12 Kinder , manche sogar 20-25 oder 26 Kinder. In Trinidad (im Jahre 1853 mit 14,463 Einw. ) waren 1 Ehe mit 24 Kindern gesegnet , 2 Ehen mit 21 , 1 Ehe mit 18, 1 mit 16 Kindern, 2 Ehen mit 15 Kindern, 10 Ehen mit 13 Kindern, also 260 Kinder aus 17 Ehen. Im Jahre 1853 zählte man zu Trinidad 123 Familien von Weissen, welche 8-10 lebende Kinder hatten. In Villa Clara gab es 12 Ehen mit 206 Kindern. Zu Santiago soll die Fruchtbarkeit der Ehen noch grösser sein. Viele Cubanerinnen gebären schon im 13. Jahre, andere sind bis zum 50. Jahre fruchtbar. Es ist bemerkenswerth, dass fast alle Frauen in den Städten der Insel Cuba ihre Kinder selbst stillen. Der Berichterstatter setzt hinzu : „ Die glücklichen Verhältnisse des Klimas, die gleichmässige Einförmigkeit des ruhigen Lebens und das materielle Wohlbefinden, dessen sich die Familien erfreuen, dies Alles bringt die Frauen in die günstige Lage zur Erfüllung ihrer Mutterpflichten in reichem Maasse. " Dagegen ist in Cayenne und dem französischen Guiana die Fruchtbarkeit der Frauen nicht so gross, wie in den hier genannten Plätzen und selbst wie in kälteren Gegenden. Bajon, welcher dies schon vor hundert Jahren berichtete , findet die Ursache theils in der ausschweifenden Lebensweise der Männer, theils in der Unordnung der Menstruation der Frauen und in der Häufigkeit des unter letzteren herrschenden Fluor albus. Die Indianerinnen Brasiliens sind nach v. Spix und v. Martius nicht sehr fruchtbar; diese Reisenden sahen in einer Familie selten mehr als 4 Kinder. Dasselbe fand Kupfer bei den Cayapo - Indianern in der Provinz Matto - Grosso: Drei bis vier Kinder in einer Familie waren schon selten zu finden . " "" Die Fruchtbarkeit der Frauen in Columbia ist nicht unbedeutend. Posado- Avanjo schreibt, dass in Columbien arme wie reiche Frauen ihre Kinder selbst stillen , und dass in der Regel dort die Kinder im Alter nur 18 Monate aus einander entfernt sind. Im Staate Antioquia ist jede Ehe gewöhnlich mit 10 bis 15 Kindern gesegnet. Eine Mutter weist dort 34 lebende Kinder, darunter verschiedene Zwillingspaare auf. Ein Mann, der sich drei Mal verheirathete, besitzt deren 51 ! Die Frauen heirathen dort im Alter von 13--16 Jahren. Die Frauen der Feuerländer sind sehr fruchtbar ; 7 oder 8 Kinder sind der Durchschnitt , doch findet man nicht selten junge Frauen, die schon deren 12-15 haben. (Bove. ) 458 XVIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes. 106. Die Fruchtbarkeit der afrikanischen Völker. Schon bei den alten Griechen galten die Aegypterinnen für sehr fruchtbar, und das Gleiche gilt nach Lane und Frankl auch für die heutigen Eingeborenen, während gleichzeitig berichtet wird, dass die nach Aegypten übergesiedelten Europäerinnen auffallend häufig kinderlos seien. In Kairo rechnet man beiläufig eine Geburt auf 22-23 Individuen. Auf Befragen der Weiber antworten sie gewöhnlich, dass sie 8-10 mal geboren hätten, doch nur selten bleiben 5-6 Kinder leben. Im Sennaar ist nach der Beobachtung des Reisenden Cailliaud die Fruchtbarkeit der Weiber bedeutend ; auch sind nach ihm die Dinka- Weiber ausserordentlich fruchtbar : man sieht unter ihnen nicht selten Mütter, welche ein Kind säugen, 2-3 in einer Art Tornister tragen und von einem vierten gefolgt werden. Bei den Madi in Centralafrika scheint die Familie durchschnittlich 4 Kinder zu haben. (Felkin. ) Die Ehen der Abyssinier sind durchgehends sehr wenig fruchtbar ; Rüppell, welcher Abyssinien durchreiste , erinnert sich nicht, eine Abyssinierin gesehen zu haben , die mehr als vier lebende Kinder hatte ; man betrachtet dort allgemein diese Zahl als eine Seltenheit . Dagegen sagte Bruce von Kinnaird : „ Die abyssinischen Mädchen, die man für Geld kauft, werden sehr vorgezogen ; unter andern auch deswegen, weil sie mehrere Jahre tüchtig sind , Kinder zu gebären ; wenige arabische Weiber bekommen nach zwanzig Jahren noch Kinder. " Bei den Stämmen im Inneren Ost - Afrikas ist nach Hildebrandt die Fruchtbarkeit anscheinend eine ziemlich grosse ; die Mutter eines Kikuyu hatte 13 Kinder geboren. Der Häuptling Mitu hatte mit 10 Frauen etwa 25 Söhne ; Töchter werden nicht gern aufgezählt. „ Die Küstenvölker Ost - Afrikas , " sagt Hildebrandt, sind als Mischlinge sehr heterogener Rassen durch mancherlei Unsitten und Krankheiten, welche geschlechtlichen und klimatischen Ursprungs sind , weniger kinderreich. “ Die Waswaheli im Inneren Ost - Afrikas haben wenig Kinder: 1. wegen der schrecklichen Unsittlichkeit, die unter ihnen herrscht , 2. wegen des Gebrauchs von Arzneimitteln, um Fehlgeburten zu erzielen , da ihnen Kinder gewöhnlich als eine Last erscheinen . (Thomson.) Von den Neger- Frauen giebt Pruner- Bey an, dass ihnen überschwängliche Fruchtbarkeit nicht eigen sei , doch gäbe es solche, die bis 10 Kinder gebären ; sie abortiren sehr häufig. Im Allgemeinen ist bei den Negern der Westküste die Fruchtbarkeit nicht gering ; bei den Woloffen sogar nach de Rochebrune sehr gross. Wenn es in einem Berichte heisst : ,,Die Negerin des Ewe- Gebietes ist selten mit mehr als 6 Kindern gesegnet, " so meinen wir, dass ein solcher Segen doch schon recht ansehnlich ist . Bei den Fulbeoder Pullo - Frauen ist der Kinderreichthum dagegen viel geringer, denn man fand , dass eine Pullo - Frau selten mehr als 3-4 Kinder hatte, während in den Familien anderer Negerstämme selten unter 6-8, oft aber 10-12 Kinder auf eine Mutter kommen. Eine noch geringere Fruchtbarkeit zeigen die Loango - Negerinnen , da durchschnittlich bei ihnen ein Weib nur 2 oder 3 Kindern das Leben schenkt. Pechuel-Loesche kann die Ursache dieser geringen Fruchtbarkeit nicht bestimmt angeben, und er sagt : „ Sollte neben allgemeiner unsicherer Ernährung nicht auch willkürliche Verlängerung der LactationsPeriode von Einfluss sein ?" Wir können von ärztlicher Seite eine solche Wirkung übermässiger Ausdehnung des Säugens nicht in Abrede stellen . Von den Egba - Negern , welche in Yoruba zwischen dem Golf von Benin und dem Niger- Fluss wohnen, sagt Burton, dass bei ihnen die Ehen selten fruchtbar sind in Folge des verlängerten Stillens. Und von den Bewohnern der Sierra - Leone - Küste , den Bullamer, Susu etc. sagt Winterbottom , welcher Arzt der britischen Colonie zu Freetown war, dass ausser der Polygamie ein anderes Hinderniss , weshalb die Bevölkerung nicht zunehmen kann , darin besteht, dass die Mütter ihren Kindern zu lange die Brust reichen : „ denn während dieser Zeit, welche gemeiniglich zwei Jahre oder wenigstens so lange dauert, bis das Kind im Stande ist, seiner Mutter eine Kürbisflasche voll Wasser zu bringen, leben sie von ihren Männern abgesondert. Es ist eben nichts Ungewöhnliches, dass eine Frau, die ein stillendes Kind hat, ihrem Manne eine andere Frau verschafft, die so lange ihre Stelle vertritt, 107. Die Fruchtbarkeit der Australier und Oceanier. 459 bis das Kind entwöhnt ist . Weiber, die mehr als 3-4 Kinder zur Welt bringen, sind in Afrika selten. " Dies rührt jedoch keineswegs davon her, dass sie frühzeitig zu gebären aufhören, vielmehr kannte Winterbottom Frauen, die 35-40 Jahre alt waren und gleichwohl noch Kinder gebaren. Er macht noch auf eine andere Ursache der Unfruchtbarkeit an der Sierra - Leone- Küste aufmerksam : So lange eine Frau um eine verstorbene Freundin oder eine Verwandte trauert, lebt sie vom Manne abgesondert. Schon MungoPark glaubte die Unfruchtbarkeit der Negerinnen so zu erklären : „ Da die MandingoNegerinnen lange, nicht selten auch 3 Jahre lang säugen, und da während dieser ganzen Zeit der Mann seine Gunst den anderen Frauen zuwendet, so kommt es , dass eine Frau selten eine zahlreiche Familie hat ; wenige haben mehr als 5 oder 6 Kinder. " Dagegen führt de Rochebrune für die von ihm beobachteten Neger noch die Häufigkeit des natürlichen Abortus als Grund an. Die Ursachen, welche denselben bei den Woloffen so oft herbeiführen, hängen eng mit der Lebensweise der Weiber zusammen: in ihren häuslichen Geschäften steht das ermüdende, stundenlange Zerstossen des Hirse obenan ; auf der anderen Seite aber machen sie Nächte lang Festlichkeiten mit, wobei sie unter Musik aufregende obscöne Tänze ausführen , die mit Rotationen der Beckengegend verbunden und den Schwangeren gewiss gefährlich sind . Wegen der geringen Fruchtbarkeit im äquatorialen Afrika , insbesondere in Loango , hält Winwood Reade die Polygamie dort für geboten , ja selbst bei der Polygamie hat man dort, wie er sagt, weniger Kinder als Frauen. Die Weiber der Guinea - Neger im Bissago - Archipel sind ausserordentlich fruchtbar. Die Hottentottinnen sind nach Barow sehr wenig fruchtbar ; es gehen, wie er angiebt, aus den Ehen der Hottentotten durchschnittlich nicht mehr als 3 Kinder her- vor. Anders soll es sich verhalten, wenn Vermischung einer Hottentottin mit einem Europäer stattfindet ; dann sei die Fruchtbarkeit der Weiber weit grösser. Die Kaffern haben trotz der vielen Frauen wenig Kinder. (Holländer. ) Dagegen galten die Frauen der ehemaligen, jetzt ausgestorbenen Eingeborenen der canarischen Inseln , der Guanchen, als sehr fruchtbar (v. Minutoli). 107. Die Fruchtbarkeit der Australier und Oceanier. Die Weiber der Eingeborenen in Neu- Holland gebären sehr viele Kinder; Grey zählte 188 Kinder von 41 Frauen, einzelne Mütter hatten 7 ; unter 222 Geburten waren 93 Mädchen, 129 Knaben. Dagegen sind die australischen Weiber der Colonie Victoria nicht besonders fruchtbar ; im Jahre 1862 wurden nur 2 Kinder auf einem Flächenraum von Tausenden von Quadratmeilen im Portland - Bay - District geboren. (Oberlaender. ) Die Zahl der Kinder eines Ehepaars bei den centralaustralischen Schwarzen am Finke - Creek mag nach der Beobachtung des Missionärs Kempe drei betragen ; indessen wird man bei dem wohl nicht seltenen Kindermord die Zahl der Geburten gewiss höher anzuschlagen haben. Die Maoris auf Neu- Seeland sind dagegen sehr unfruchtbar und dem Aussterben nahe. Fenton, von dem 1859 nach Scherzer's Angabe in Auckland eine officielle Arbeit gedruckt wurde, berechnete, dass bei ihnen eine Geburt auf 67,13 Personen trifft. Unter Anderem liegt eine Ursache dieser verringerten Fruchtbarkeit wohl in zu früher Vollziehung der Geschlechtsverrichtungen, worauf zeitig Sterilität eintritt , wie auch Du Chaillu am Gabun in Afrika fand. Die Papua auf Neu- Guinea in der Humboldts - Bai , welche der Holländer van der Grab mit dem Schiff „ Dassoon" besuchte, haben verhältnissmässig wenig Kinder. Dies rührt hauptsächlich davon her , dass die Papua nicht gern mehr wie zwei Kinder besitzen. Auf Neu- Caledonien hat selten eine Frau mehr als 4-5 Kinder ; die Ursache dieser an sich wenig günstigen Fruchtbarkeit findet Lorsch in der rohen Behandlung, der die Weiber von Seiten des Mannes ausgesetzt sind . 460 XVIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes. Von Neu- Britannien berichtet Danks : Eine beträchtliche Zeit vergeht zwischen den Geburten zweier Kinder. Der allgemeine Termin ist ungefähr 3 Jahre. Das eine Kind ist stets aus der Hand ( vell out of haut) , bevor das andere erscheint . Ich habe davon nur 2 bis 3 Ausnahmen kennen gelernt . Elton sagt von den Salomon - Insulanerinnen : Mit ungefähr 45 Jahren hören die Frauen auf, Kinder zu gebären. Mehr wie 5 Kinder in einer Familie (in 10 Jahren geboren) hat er nicht gesehen. Ein sehr geringer Grad von Fruchtbarkeit wird durch Blyth auch von den Bewohnerinnen der Viti - Inseln als die allgemeine Regel bestätigt . Ausnahmen kommen hier aber vor und es giebt vereinzelt Weiber, welche 10-12 Kinder zur Welt gebracht haben. Man hat behauptet, dass die Polynesierinnen nicht fruchtbar seien, ja man wollte darin eine besondere Rasseneigenthümlichkeit finden . Allein Gerland wies nach, dass diese Annahme falsch sei. Cheeber und Forster kannten Beispiele grosser Fruchtbarkeit auf Hawaii und Tahiti , Dieffenbach auf Neu- Seeland , ebenso Andere auf Tonga, Tukopia , Samoa. Jetzt, wo der Kindermord und die Ausschweifungen aufgehört haben, da werden auch die Geburten und die Kinderzahl reichlicher. Auf den Marquesas - Inseln bekommen junge Frauen nie oder sehr selten Kinder, und erst wenn sie anfangen alt und hässlich zu werden, erfüllen sie ihre natürliche Bestimmung, da sie , wenn sie kinderlos sind , häufig von ihren Männern weggejagt werden. Die Frauen der Negritos ( Philippinen) sollen im Ganzen nie mehr als 4 Kinder gebären. (Mundt- Lauff. ) Zu Banka in Holländisch- Ostindien sind nach Epp die Frauen nicht sehr fruchtbar; derselbe sucht die Ursachen in der schmalen Kost. Dagegen werden die Frauen auf Amboina, welche zumeist von Fischen und Sago sich nähren , als ganz besonders fruchtbar geschildert. 108. Mädchen- und Knaben-Erzeugung. Wir haben in einem der früheren Abschnitte bereits erfahren, wie von vielen Völkern die Geburt einer Tochter nicht nur als etwas Unerwünschtes. sondern geradezu als eine Schande und ein Unglück angesehen wird , während wiederum andere Nationen sich weniger über Söhne freuen, da sie durch den Besitz vieler Töchter durch deren späteren Verkauf zu Reichthum und Ansehen gelangen. Und so können wir es dann wohl verstehen, dass man von Alters her bestrebt gewesen ist, die Ursachen kennen zu lernen, warum in dem einen Falle ein Knabe und in einem anderen ein Mädchen sich bildet, und die Mittel und Wege ausfindig zu machen, um nach eigener Willkür das gewünschte Geschlecht zu erzeugen. Man hat sich bisher noch nicht der Mühe unterzogen, geschichtlich diesen Bestrebungen nachzugehen , obgleich sie doch gar sehr zu der Charakteristik des culturellen Zustandes der einzelnen Nationen und zu der Kenntniss von ihren Vorstellungen beizutragen vermögen. Und was die Gebildeten und Gelehrten halbcivilisirter Völker als eine besondere Kunst auszubilden bestrebt waren, das brachte, wie wir sehen werden, in der Mystik des Volksaberglaubens ganz wunderliche und originelle Zaubermittel zu Tage. In Susruta's Ayurvedas wird von dem altindischen Arzte eine Anweisung zu der Kunst gegeben, willkürlich Knaben und Mädchen zu zeugen. Drei Tage nach der Menstruation soll, wenn man einen Knaben zeugen will , sich die Frau bei einer besonderen Diät und in einem von einer besonderen Pflanze bereiteten Bette von ihrem Manne fern halten. Am vierten Tage soll sie, gewaschen, mit neuen Kleidern geschmückt sich unter mystisch-religiösen Ceremonien dem Manne zeigen. Denn man glaubte. dass nach der Beschaffenheit desjenigen Mannes, den sie zuerst nach ihrer Reinigung durch die Menstruation erblickt, sich die Qualität des Sohnes richtet, 108. Mädchen- und Knaben- Erzeugung. 461 den sie gebären wird. Sie selbst und ihr Gatte sind für einen ganzen Monat dem Brahma geweiht und nach dem Ablauf dieser Frist muss der Beischlaf vollzogen werden. Der Mann aber muss sich zuvor mit gereinigter Butter salben und Reis mit reiner Butter und Milch gekocht geniessen : die Frau dagegen muss sich mit Sesamöl salben und Sesamöl mit einer bestimmten Bohnenart geniessen. Ebenso muss der Mann nach jedesmaligen Trostgebeten in der 4., 6. , 8., 10. und 12. Nacht den Coitus mit ihr vollziehen. Diese Tage sind die der Knabenerzeugung günstigen. Wünschte sich aber der Mann eine Tochter. so musste er den Beischlaf in der 5., 7. , 9. und 11 . Nacht ausüben. Nach den drei der Menstruation folgenden Tagen der Vereinigung gab der Arzt der Frau, wenn sie sich einen Knaben wünschte, 3 oder 4 Tropfen eines Liqueurs aus Spongia marina, Lakschana , Ficus indica oder Hedysarum lagopod, mit destillirtem Wasser bereitet in das rechte Nasenloch , doch durfte die Frau diese Tropfen nicht wieder ausschneuzen. Die altindischen Aerzte hatten ferner die Ansicht , dass ein Knabe entstehe, wenn des Mannes Zeugungsstoff in grösseren Mengen vorhanden sei, ein Mädchen bei grösseren Mengen des weiblichen Zeugungsstoffes, aber ein Napunsaka (Androginus, Neuter, Zwitter oder Geschlechtsloser) entstehe bei gleichen Theilen männlichen und weiblichen Stoffes. Die talmudischen Aerzte behaupteten ebenfalls, dass der Mann nach Belieben männliche oder weibliche Früchte zeugen könne ; einer von ihnen, Rabbi Jitzschak, sagte : wenn die Frau zuerst den Samen verliert, dann gebiert sie einen Knaben, wenn der Mann zuerst, dann ein Mädchen. Ferner wird im Talmud (Nidda) der Grundsatz aufgestellt, dass , wenn während des Coitus das Weib leidenschaftlicher betheiligt sei als der Mann, daraus eine männliche Frucht erzielt werde, wogegen aber im umgekehrten Falle ein Mägdlein geboren werde. Der altgriechische Dichter Alkmäon, welcher etwa 540 v. Chr. lebte, war der Meinung, dass das Geschlecht des Fötus je nach dem Vorherrschen der männlichen oder weiblichen Potenz bestimmt werde. (Plutarch. ) Der Philosoph, Arzt und Zauberer Empedokles (etwa 472 v. Chr. ) erklärte die Geschlechtsverschiedenheit aus der wärmeren oder kälteren Temperatur, aus dem Verhältniss der Quantität des Samens und der Wirkung der Einbildungskraft. (Plutarch. ) Nach den Untersuchungen von His nahmen die Aerzte in dem alten Griechenland und Rom nicht an, dass es möglich sei, das Geschlecht des Kindes willkürlich zu beeinflussen . Wohl ergeht sich das dem Hippokrates (mit Unrecht) zugeschriebene Buch „ Von der Zeugung in der Ansicht, dass beide Zeugende sowohl männlichen als weiblichen Samen enthalten und dass nur dann männliche Kinder erzeugt werden, wenn der kräftigere Same überwiegt. Parmenides und Anaxagoras dagegen meinten. dass in dem rechten Eierstock die Knaben, in dem linken die Mädchen entständen. Nach Aristoteles rührt die Entscheidung darüber, welches Geschlecht die Kinder erhalten werden, lediglich von dem Manne her. Galen sagt : Die ungleiche Temperatur beider Seiten des menschlichen Körpers ist der Grund, weshalb die warme rechte Seite zur Bildung von männlichen, die kalte linke Seite zu der von weiblichen Kindern dient. Der berühmte arabische Arzt Avicenna († 1036) hielt es für möglich, nach Belieben Knaben oder Mädchen zu erzeugen. Auch mehrere alte deutsche Schriftsteller äussern sich über diese Frage. So sagt z. B. Eucharius Rösslin in seinem Hebammenbüchlein" : ,, Wann des Mannes Samen heiss und fein viel ist , so hat er die Kraft, dass er ein Knäblein giebt. Die andere Sache ist , wann des Mannes Same 462 XVIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes. nach dem meisten Theil kompt aus dem gerechten Zeuglin des Mannes, und genommen wird in der Mutter gerechte Seiten, das ist darumb, dass die gerechte Seite hitziger ist, denn die linke , und der Same ans dem gerechten Zeuglin kreftiger, dann aus dem linken. Darum soll sich die Frau auff die gerechte Seite neigen zuhand nach dem Werk, ob sie gern einen Knaben woll haben. " Desgleichen sagt Rueff in seinem Buche : „ Ein schön lustig Trostbüchlein etc. ": Die Knäblein werden mehr in der rechten Syten der Bärmutter empfangen und mehr von dem Samen, der von dem gerechten Gemächt kommt. Aber die Mägdlein in der linken Seite der Gebärmutter von dem linken Gemächt empfangen. Denn die recht Seite von wegen der Leber hitziger ist im Leib, und die linke Seit kälter. Aber fürnehmlich ist die grössere Hitz des Samens ein Ursach der Knäblein. " Eine andere Ansicht finde ich in folgendem Werke : „ Der aus seiner Asche sich wieder schön verjüngende Phönix oder ganz neue Albertus Magnus von Casp. Nigrino" ; dort heisst es : Wann aber ein Mann seiner Frauen in einem Monat nicht mehr, als drei oder 4 malen beiwohnt, so wäre der Samen bei einem wie dem andern viel durchkochter, dicker und von Geistern mehr angefüllt . Er hätte mehr Fähigkeit einen Knaben zu formiren, wenn man ihn nicht so oft vergösse. Und daher geschieht es gewisslich aus dieser Ursachen, dass die Alten bisweilen Söhne zeugen denn gleichwie es an der natürlichen Hitze mangelt, und ihr Samen roh und schwach ist" etc. Ein chinesischer Arzt sagt : „ Ob ein Sohn oder eine Tochter geboren werde, dies hängt von dem Manne und nicht von dem Weibe ab. Die tägliche Erfahrung lehrt, dass mehr Knaben als Mädchen geboren werden. Wir sehen aber auch wieder häufig, dass in manchen Familien die Mutter lauter Töchter zur Welt bringt. “ (v . Martius. ) Nach einer anderen Theorie der Chinesen wird die Geschlechtsentwickelung des Fötus Elementen Yang und Yn entschieden . Wenn nämlich das starke Princip Yang beim Manne und das schwache Princip Yn beim Weibe vorherrscht, so erzeugen sie einen Knaben ; im entgegengesetzten Falle wird es ein Mädchen. (Hureau.) Aus allen diesen verschiedenen Ansichten können wir drei sich entgegenstehende Meinungen formuliren. Die erste will nur dem Manne die Fähigkeit der Einwirkung auf die Bildung des Geschlechts zuweisen, und zwar erzeugt seine rechte Seite, als die stärkere, heiligere und glücklichere. die Knaben, seine linke Seite die Mädchen. Die beiden anderen Meinungen lassen auch dem Weibe Gerechtigkeit widerfahren und weisen auch ihm die Fähigkeit zu, die Entstehung des Geschlechts zu beeinflussen. Aber sie weichen insofern diametral aus einander, als die eine eine directe, die andere eine gekreuzte Vererbung des Geschlechts zu vertheidigen sucht . Die eine behauptet, um es mit anderen Worten auszudrücken, dass der in geschlechtlicher Beziehung Kräftigere der beiden Zeugenden dem Kinde das eigene Geschlecht vererbe, während die andere ihn gerade das entgegengesetzte Geschlecht in der Frucht hervorrufen lässt. Wir wollen sehen, wie sich die neuere Wissenschaft über diese Punkte äussert. Seit Hofacker und Sadler, die den Alterseinfluss der Zeugenden durch die statistischen Ermittelungen betonten, betheiligten sich zahlreiche Autoren an diesen Untersuchungen. Insbesondere hat Verfasser dieses Buches in einer kleinen Schrift (Ploss ), die nunmehr in manchen sehr wesentlichen Punkten der Richtigstellung bedarf, die Veranlassung zu weiteren Discussionen gegeben. Die Bevölkerungsstatistik liefert ein Material , dessen 108. Mädchen- und Knaben- Erzeugung. 463 Verwerthung nicht ohne Kritik gestattet ist, und die Physiologie ist nur auf experimentelle Thierversuche angewiesen, die ebenfalls die grösste Vorsicht in Rückschlüssen auf die Menschen gebieten . Eine neue Prüfung der Angelegenheit auf statistischem Wege unternahm Schumann, welcher den Alterseinfluss im Sinne der Hojacker- Sadler'schen Hypothese nicht bestätigt fand. Und dennoch haben nach seinen Ermittelungen Mann und Weib bezüglich ihres Alters einen besonderen Einfluss, denn er fand, dass sowohl das absolute als auch das relative Alter der Eltern auf das Geschlechtsverhältniss der Geborenen einwirkt. Beide Erzeuger haben nach ihm die Tendenz, ihr eigenes Geschlecht auf das Werdende zu übertragen . Dem Grade nach ist aber diese Einwirkung eine sehr ungleiche : in erster Linie ist es der Vater, welcher die Geschlechtsentscheidung herbeiführt, wohingegen der Einfluss der Mutter von untergeordneter Bedeutung ist. Damit würden alle Hypothesen fallen, welche der Mutter einen hervorragenden Antheil bei der Geschlechtsbestimmung vindiciren ; es fällt auch die Hypothese, welcher ich früher nachging und die darin bestand, dass die Ernährung, welche die Mutter dem Fötus in den ersten Monaten gewährt, für das Geschlecht des Kindes sehr maassgebend ist . Schon längst hatte ich durch meine weiteren Studien diese Ansicht aufgegeben, ohne Gelegenheit zu nehmen, diese Aenderung meiner Anschauung zu bekennen. Nur die Meinung halte ich zur Zeit für berechtigt, welche die Entscheidung des Geschlechts der Kinder in den Befruchtungs- Act verlegt und nach welcher das Geschlecht durch Vererbung bestimmt wird. Demnach trete ich dem Schlusse Schumann's bei, dass je grösser die sexuelle Befähigung der Erzeuger, desto grösser der Einfluss der letzteren ist. Nach Schumann ist vorzugsweise der Mann der maassgehende Theil, und kommt es in erster Linie auf des Mannes Befähigung an: mit dem Grade derselben wechselt auch der Knaben- Ueberschuss. (Ploss. ) Zur Bestimmung des Geschlechts der Kinder vor der Geburt giebt Dupuy, gestützt auf mehr als 200 Familien und mehr als 1000 Kinder, in einer der letzten Sitzungen des Soc. de Biologie von Paris folgende Merk- male an: Dupuy giebt den Männern , die bereits einen Sohn haben und nun eine Tochter haben wollen, den Rath, die Menstruationsperioden. die seit der Entbindung ihrer Frau verstrichen sind, zu zählen, und die Frau in einem paaren Monat, also im 2. , 4. , 6. u. s . w. zu schwängern. Will man noch einen Sohn haben, so muss die Frau in einem unpaaren Monat geschwängert werden. Eine Ausnahme von dieser Regel bilden nur Zwillinge mit zwei Placenten und die Fälle, wo das eine Kind von einem anderen Vater herrührt. Nach statistischen Aufnahmen kommt Fürst zu dem Resultate, dass allerdings das Alter, die Ernährung, die Jahreszeit und die klimatischen Verhältnisse für die Bildung des Geschlechts nicht ohne Einfluss sind, dass man den wesentlichen Factor aber in dem Zeitpunkte der menstruationsfreien Zeit zu suchen habe, in welcher die Befruchtung stattfindet. Tritt die letztere in den ersten 4 bis 5 Tagen nach der Menstruation ein, so würden gewöhnlich Knaben geboren, während eine Conception in den späteren Tagen überwiegend Mädchen entstehen liesse. Die meiste Berechtigung scheint dem Herausgeber die Ansicht von Heinrich Janke zu haben, die sich mit der vorher bereits erwähnten gekreuzten Vererbung insofern deckt, als der geschlechtlich Mächtigere der beiden Erzeuger dem Kinde das entgegengesetzte Geschlecht aufprägt, aber ihm seine Eigenschaften vererbt. Er 464 XVIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes. findet eine gewichtige Stütze für seine Annahme in höchst interessanten Versuchen, welche Fiquet, ein bedeutender Rindviehzüchter in Houston in Texas , von denselben Annahmen ausgehend, bei seinen Heerden angestellt hatte. Es war diesem Herrn gelungen, in mehr als 30 Fällen hinter einander ohne einen einzigen Misserfolg bereits mehrere Wochen vor der Befruchtung das Geschlecht willkürlich zu bestimmen, welches das später geworfene Kalb aufweisen sollte. Wünschte er Bullenkälber zu haben, so liess er den Kühen eine sorgfältige Pflege angedeihen, den Deckstier dagegen bei schmaler Kost zum Bespringen einer Reihe nicht für den Versuch bestimmter Kühe benutzen. Erst bei dem zweiten oder dritten Rindern der Versuchskuh wurde sie mit dem Bullen zusammengelassen, der dann nur eine sehr geringe Neigung zum Bespringen an den Tag legte, während die Kuh eine sehr starke Geschlechtslust bezeigte. Zu dem bestimmten Termine warf dann die Kuh das erwartete Bullenkalb. Sollte aber die Versuchskuh eine Färse werfen, so wurde umgekehrt der Stier sehr gut und kräftig genährt und aufmerksam verpflegt. während die Kuh sich auf magerer Weide mit einem frisch verschnittenen Ochsen umhertreiben musste, der seine vergeblichen Deckversuche anstellte. Wenn dann die Versuchsthiere später zusammengeführt wurden, so war der Stier sehr springlustig, während die Kuh nur einen sehr mässigen Trieb für die Geschlechtsbefriedigung an den Tag legte und zum bestimmten Termine warf sie ein Kuhkalb. Wenn es nun auch im Allgemeinen richtig ist, dass man nicht alle Resultate von Thierversuchen ohne Weiteres auf den Menschen zu übertragen vermag, so wird der aufmerksame Beobachter doch viele Analogien für die soeben geschilderten Verhältnisse auch bei den menschlichen Ehen erkennen, und manche scheinbar paradoxe Erscheinung des täglichen Lebens findet hierdurch ihre befriedigende Aufklärung. Die Phantasie des Volkes hat auf diesem Gebiete mancherlei besondere Richtung angenommen, deren ursprüngliche Wurzeln wir nur selten zu ahnen. vermögen. Bei den Esthen setzt sich die Frau während der Schwangerschaft nicht auf einen Wassereimer, weil dann nur Töchter geboren werden. Ja selbst nur der Traum von einem solchen Sitzen wird noch als einflussreich für das entstehende Geschlecht angesehen. Man deutet bei ihnen einen Traum von einem Brunnen oder Quell dahin, dass ein Mädchen , den von einem Messer oder Beil, dass ein Knabe zu erwarten sei . (Krebel. ) In Ungarn darf die junge Frau bei der Uebersiedelung in das Haus ihres Mannes ihren Spinnrocken oder das Nähzeug nicht mitnehmen, weil sie sonst lauter Mädchen zu gebären Gefahr läuft. (r. Csaplovics. ) Bei den Czechen schlagen am Hochzeitstage die Knaben die Braut mit ihren Mützen, damit sie einen Sohn bekomme. Bei den Slaven hat sich ausserdem ein uralter Brauch erhalten, dessen Zweck es ist, die junge Frau in den Stand zu setzen, Söhne zu bekommen, und den sie vielleicht aus ihrer indogermanischen Heimath mitbrachten. Schon bei den alten Indern wurde der Braut ein Knabe zugeführt ; der Priester setzte den Knaben der Braut auf den Schooss, die Braut beschenkte das Kind mit Süssigkeiten und entliess es dann. Bei den Kassuben legt man noch heute, während der jungen Frau der Kopf umhüllt wird, einen männlichen Säugling auf ihre Kniee ; ebenso in Serbien, in Galizien , bei den südmacedonischen Bulgaren und an vielen Orten in Russland. (Lumzow. ) Es ist gewiss kein blosser Zufall, dass die altindische Sitte sich bei so vielen slavischen Völkern wiederfindet. 108. Knaben- und Mädchen-Erzeugung. 465 Bei uns in Deutschland herrscht in manchen Gegenden der Aberglaube, dass, wenn es beim Coitus regnet, das Kind ein Mädchen wird, ist es aber trockenes Wetter, so wird das Kind ein Knabe. (Praetorius.) Im Frankenwalde ist man der Meinung, dass der zunehmende Mond Knaben, der abnehmende Mädchen bringe. (Flügel.) In Franken ( Bayern) steht bei Kaltenbruch (Landgericht Ellingen) eine alte Buche, die Wunderbuche genannt. Ein Absud von ihrem Holze, von schwangeren Weibern getrunken, bringt die Geburt eines Knaben, dagegen ein Decoct der Rinde die eines Mädchens zu Stande. (Mayer. ) Wenn eine Schwangere mit dem linken Fusse zuerst aus dem Bette aufsteht, so giebt es ein Mädchen, wenn mit dem rechten, einen Knaben; so glaubt man in der Rheinpfalz. Will der Mann einen Knaben erzeugen , so steckt er eine Holzaxt zu sich in das Bett und spricht eine Formel mit dem Endreim: Du söllst hob' an Bub" ; will er ein Mädchen, so setzt er sich die Mütze seiner Frau auf und spricht eine Formel mit dem Endreim : „ Du söllst hob' an Mad. " (Spessart. ) 99 Will ein Mann männliche Kinder erzeugen, so muss er, wie es nach Zingerle in Tyrol heisst, Stiefel dazu anziehen. Nach Liebrecht liegt die Deutung dieser Symbolik auf der Hand ; Stiefel sind etwas männliches, Schuhe etwas weibliches. Die sogenannte Kunstzeugung besteht darin , dass sich der Vater, der einen Sohn wünscht, ante actum den Penis mit Hasenblut , wenn er aber ein Mädchen erzeugen will, mit Gänseschmalz einschmieren soll. " In Neu- Griechenland wünscht man keine Töchter. denn sie sind eine Bürde des Hauses, und nicht selten und stets sehr gefürchtet ist die Verwünschung, dass eine Frau mit weiblichen Früchten niederkommen solle. Ein Zauber, um dieses Unglück Jemandem zu bereiten, besteht darin, dass man vor der Thüre des Betreffenden eine Anzahl durchlöcherter Geldstücke vergräbt. Um nun die Geburt einer Tochter zu verhüten, muss die Schwangere das Kraut dooertzo-Botaró geniessen. Aus dem nämlichen Grunde scheut man sich, während der Entbindung einen weiblichen Namen auszusprechen. (Wachsmuth. ) Wird bei der Nayer- Kaste in Indien ein Knabe gewünscht, so trinkt die Frau einen Monat nach der Empfängniss sieben Tage lang gewisse Kräuterbrühen. Am Abend des 7. Tages wird das goldene oder silberne Bild eines männlichen Kindes in einen Topf mit kochender Milch versenkt und nach einigen Stunden herausgenommen. Die von einem Priester durch Gebete und Zauberformeln vorbereitete Frau trinkt dann die Milch in Gegenwart des Gatten. Dieser zermalmt einige Tamarinden- Blätter und träufelt den Saft in das rechte Nasenloch der Frau, falls ein Knabe, in das linke, falls ein Mädchen gewünscht wird. Da die Weiber sich zuweilen irrthümlich für schwanger halten, so werden diese Ceremonien mitunter auch erst im 5. oder 7. Monat zugleich mit der Pulli-kuddi-Ceremonie (zum Schutz der Schwangeren und des Embryo gegen den Teufel) vorgenommen. Am folgenden Morgen trinkt die Schwangere den Saft in der Hand zerdrückter Tamarinden-Blätter mit Wasser gemischt. (Jagor.) Wenn unter den Alfuren auf der Insel Celebes eine junge Frau bemerkt, dass sie schwanger ist, so dreht sie mit ihrem Gatten aus dem Baste eines gewissen Baumes, Cola genannt, ein Ende Tau, Tali rarahum genannt. Hierauf wird ein Priester zum Opfer gerufen. Während derselbe ein Huhn zum Opfer darbringt, bittet er die Götter, den Wunsch der jungen Leute zu erfüllen . Wünschen sie sich einen Sohn, dann müssen sie ihren Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 30 466 XVIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes. Wunsch durch die Bitte um ein Schwert kundgeben, wünschen sie sich eine Tochter, dann müssen sie um Korallen oder Ohrgehänge bitten. Hierauf giebt der Priester oben genannte Gegenstände nebst einem Sarong (Ueberwurf, Kleidungsstück) der schwangeren Frau zum Gebrauch. (Diederich. ) 109. Ueberfruchtung und mehrfache Schwangerschaft. Wir können die Besprechung der weiblichen Fruchtbarkeit nicht abschliessen, ohne derjenigen Zustände zu gedenken, in welchen nicht nur eins, sondern gleichzeitig mehrere Kinder im Mutterleibe zur Entwickelung gelangen. Man pflegt hier die Unterscheidung zu machen in die Fälle gewöhnlicher Mehrschwangerschaft (Zwillinge, Drillinge, Vierlinge u. s. w. ) und in diejenigen der Ueberfruchtung. Die letztere, glaubte man, habe stattgefunden, wenn in den Grössendimensionen der beiden Früchte ein erhebliches, in die Augen fallendes Missverhältniss besteht, oder wenn, wie das zuweilen vorkommt, zwischen der Geburt der beiden Früchte ein Zeitraum von mehreren Tagen verstrichen ist. Manche niedere Volksstämme betrachten allerdings jede Zwillingsschwangerschaft als eine Ueberfruchtung, und zwar halten sie deren Zustandekommen nur dann für möglich, wenn noch ein zweiter Mann sich an dem Zeugungsgeschäfte betheiligt hat. So nur erklärt es sich, dass die Eingeborenen in Guinea, Guiana und die Chibchas- und Salivas - Indianer Zwillingsgeburten für den sicheren Beweis des Ehebruchs der Frau ansehen und diese und die Kinder dementsprechend behandeln. Gebildetere Völker dachten sich die Ueberfruchtung auf verschiedene Weise, aber immer doch durch die alleinige Beihülfe des Ehemannes entstanden. So hatte Empedokles die Ansicht aufgestellt, dass eine doppelte Schwangerschaft einer Theilung des männlichen Samens ihren Ursprung verdanke. Erasistratos dagegen (um 300 vor Christo) hielt eine doppelte Befruchtung für möglich. Culturgeschichtlich merkwürdig ist nun, dass die talmudischen Aerzte allerdings eine solche Ueberschwängerung für möglich hielten, indem sie das Zeitmaass, innerhalb dessen eine solche stattfinden könnte, bis auf drei Monate ausdehnten ; eine Superfötation von nicht mehr als 40 Tagen konnte nach dem Talmud ohne Nachtheil für beide Kinder geschehen. Dagegen sprechen sich diese Aerzte dahin aus, dass eine Superfötation von längerem Zeitraum gewöhnlich das eine der beiden Kinder in Gefahr bringe ; in solchen Fällen zeige das Ei desselben sehr geringe Spuren einer menschlichen Gestalt, vielmehr eine Sandalen- Form, und es komme dann gleich einem Abortus nur todt zur Welt. ( Wunderbar.) Hier liegt offenbar die erste Beobachtung jener bisweilen vorkommenden Zwillingsgeburten vor, bei denen das eine, schon vor mehreren Monaten abgestorbene Kind platt gedrückt, eingeschrumpft und vertrocknet geboren wird, wobei aber an eine Superfötation nicht zu denken ist. Im Talmud wird auch davon gesprochen, dass die israelitischen Frauen in Aegypten in einzelnen Fällen sogar mit sechs lebensfähigen Kindern überschwängert wurden und letztere auch glücklich zur Welt bringen konnten. Die Möglichkeit einer Superfötation nahm auch Aristoteles an ; als höchste Zahl der mehrfachen Geburten gelten ihm Fünflinge. Auch später noch hielten arabische Aerzte eine Superfötation für möglich. Avicenna erklärte sie für gefährlich, und Abulkasem meinte, dass das erste Kind vom 109. Ueberfruchtung und mehrfache Schwangerschaft. 467 zweiten leicht getödtet werde, dass aber auch das zweite Kind möglicherweise sterbe. Die Superfötation, oder, wie Scanzoni sie zu nennen vorschlägt, Superföcundation , hat bis in die neuere Zeit ihre Verfechter gefunden. Im 17. Jahrhundert herrschten darüber sehr absonderliche Ansichten. Der anonyme Verfasser von des getreuen Eckarth's unvorsichtiger Hebamme erzählt, dass er selbst zwei derartige Fälle beobachtet habe, einen im Jahre 1686, wo ein Intervall von zwei Monaten zwischen beiden Geburten bestand, und den anderen im Jahre 1677, wo eine Dame zuerst von einem Sohne und 12 Wochen später von einer Tochter entbunden worden war. Er sagt : Im Anfange und währenden 12 biss 20 Tagen kan dergleichen Nachschwängerung nicht geschehen, denn sie würde in zukommenden Saamen eine Verwirrung machen und eins das andere verderben. " Auch der bekannte Gynäkologe Busch verfocht noch im Jahre 1849 die Möglichkeit der Superfötation, und es sprachen hierfür scheinbar diejenigen Beobachtungen. wo Europäerinnen Zwillinge von zwei Rassen, ein weisses und ein Mulatten- Kind, geboren, nachdem sie sich kurz nach einander mit einem Europäer und einem Neger begattet hatten. Doch sind diese Fälle, auf deren Berichte wir nicht näher eingehen, keineswegs sicher gestellt, auch ist bei der Bastardbildung nach wenig bekannten Regeln das Kind bald mehr dem Vater, bald mehr der Mutter gleichend. Eine analoge Geschichte erzählt auch schon der alte Plinius, wo das eine Kind dem rechtmässigen Vater, das andere aber dem Ehebrecher ähnlich gesehen habe. Wollte man eine solche Möglichkeit statuiren , so müsste der zweite fruchtbare Coitus dem ersten in sehr kurzer Zeit nachfolgen und es müssten zwei Ovula zur Befruchtung bereit in der Gebärmutter sich befinden. Doch ist auch dieses noch nicht einmal bewiesen. Wir werden daher Scanzoni und Wagner beistimmen müssen, welche die Ueberfruchtung als eine physiologische Unmöglichkeit hinstellen . Es wird den Lesern ohne Zweifel schon seit langer Zeit aufgefallen sein, dass unendlich viel häufiger Zwillinge von gleichem, als solche von gemischtem Geschlechte geboren werden. Nur die letzteren sind immer als Zwillinge im eigentlichen Sinne des Wortes anzusehen, d. h. als das Product zweier gleichzeitig gereiften und durch denselben Coitus befruchteten Eier. Die Zwillinge gleichen Geschlechts können allerdings ebenfalls auf die soeben geschilderte Weise sich entwickelt haben. In einer grossen Reihe der Fälle sind sie aber ganz unzweifelhaft nur einem einzigen Eichen entsprossen, dessen Bildungskeim sich verdoppelt hat . Für diese letztere Gattung der Doppelgeburten hatte der verstorbene Berliner Anatom und Embryologe KarlBogislaus Reichert die Bezeichnung Paarlinge vorgeschlagen, während er den Namen Zwillinge für die erstere Gattung beibehielt . Zu den Paarlingen gehören nun unter allen Umständen die oft beschriebenen und nicht selten für Geld gezeigten mit einander verwachsenen Zwillinge . Ich erinnere hier an die Gebrüder Tocci, an die zweiköpfige Nachtigall und an die siamesischen Zwillinge. Es handelt sich hier überall durchaus nicht, wie der Laie glauben könnte und wie auch die Gelehrten vergangener Jahrhunderte wirklich angenommen haben, um einen Process der Verwachsung und Verschmelzung, sondern um einen solchen der Verdoppelung. Die Keimanlage verdoppelt sich, und zwar von einem oder von beiden Enden her. Geht nun diese die Verdoppelung erzeugende Längstheilung nicht durch die ganze Länge des Keimes hindurch, 30* 468 XVIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes. dann wird die eine Abtheilung desselben (die obere oder die untere, oder, was sehr gewöhnlich ist, die mittlere) einfach bleiben, und an dieser Stelle scheinen dann die Zwillinge verwachsen zu sein, während sie also eigentlich nur unvollständig getheilt sind. Betrifft die Längstheilung und Verdoppelung nun aber die ganze Länge des Keimes, dann entstehen zwei vollständig von einander getrennte Kinder, jedes für sich vollkommen entwickelt, aber immer in einer gemeinsamen Eihülle steckend. immer gleichen Geschlechts und gewöhnlich mit gemeinsamem oder unvollständig verdoppeltem Mutterkuchen. Das sind die Paarlinge. Die altgriechischen Aerzte, z. B. der Hippokratiker, welcher das Buch „, de natura pueri" verfasst hat, konnten sich die Entstehung von Zwillingen nur in der Weise denken, dass sie zwei Höhlen in der Gebärmutter annahmen, in deren jeder sich eins der beiden Kinder gebildet hatte. Da ihre gesammte Kenntniss der menschlichen Anatomie nicht auf Obductionen menschlicher Leichen, sondern auf Untersuchungen an Thieren sich gründete, so sind sie wohl zu entschuldigen. Denn die Gebärmutter der Wiederkäuer bildet nicht wie diejenige der Menschen eine einzige Höhle, sondern sie läuft in zwei sogenannte Hörner aus (uterus . bicornis) , in deren jedem die Embryonen zu liegen pflegen. Ganz ausnahmsweise wird aber diese thierische Form auch bei dem menschlichen Weibe beobachtet. Soweit bis jetzt unsere Kenntnisse reichen, kommen Zwillingsgeburten bei allen Rassen vor, aber, wie wir auch heute bereits zu behaupten vermögen, durchaus nicht in einem auch nur annähernd gleichmässigen Verhältnisse . Rassenunterschiede allein können hierfür keine befriedigende Erklärung abgeben. Denn oft sehen wir unter Völkern der gleichen Abstammung und ganz nahe bei einander wohnend bei dem einen Zwillingsgeburten als eine grosse Seltenheit, bei dem anderen mit einer auffallenden Häufigkeit auftreten. Es wäre in hohem Grade interessant, wenn die Reisenden und die in den Colonien Angestellten diesem Gegenstande ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden sich entschliessen wollten. So berichtet Mondière über die Weiber in Cochinchina , dass bei ihnen Zwillingsgeburten sehr selten vorzukommen pflegen ; nach seiner Berechnung nicht mehr als ein Fall auf 10 211 Geburten. Jedoch fährt er fort : Chose plus remarquable encore, un seul arrondissement, Bentré , semble avoir le privilège de ces naissances gémellaires ; car sur les 15 qui ont eu lieu en 6 ans, Bentré compte 9 à lui seule. So finden wir auch auf den kleinen Inseln des malayischen Archipels in verschiedener Häufigkeit Zwillingsgeburten auftreten. Auf den Watubela- Inseln sind sie eine ganz ausserordentliche Rarität, auf Buru , Eetar und den Aaru- Inseln sind sie auch noch selten, auf den Tanembar- und Timorlao - Inseln werden sie schon etwas häufiger beobachtet . Auf Leti , Moa und Lakor besitzen die Eingeborenen sogar besondere Namen für die drei möglichen Geschlechtscombinationen (zwei Knaben, zwei Mädchen oder Knabe und Mädchen), und auf den Keei- oder EwabuInseln werden mit relativer Häufigkeit Zwillinge geboren. Auch die Siamesinnen sollen nach Turpin und Schouten sehr fruchtbar und Zwillinge bei ihnen nicht selten sein. Zwillingsgeburten sind unter den Fiji - Insulanern nach Blyth nicht ungewöhnlich, aber Drillingsgeburten sind gänzlich unbekannt. Auch auf den Salomon - Inseln kommen nach Elton Zwillinge vor, sie sind aber selten und die Eingeborenen sind erstaunt, wenn sie hören, dass das bei den Weissen öfter vorkommt. 109. Ueberfruchtung und mehrfache Schwangerschaft. 469 Bei den Wakimbus und Wanjamuesi am Ujiji- See in CentralAfrika kommen nach Burton und Speke Zwillingsgeburten viel seltener vor, als bei den Dinka- Negern und bei den Kaffern. Jedoch sind sie auch unter den letzteren bei den einzelnen Stämmen von wechselnder Häufigkeit. Calloway berichtet einen Fall, wo ein Mann, in dessen Familie wiederholt bereits Zwillingsschwangerschaften vorgekommen waren, eine Frau aus einem anderen Stamme heirathete, in welchem sie fast gar nicht vorkamen. Bei der ersten Entbindung brachte diese Frau Zwillinge zur Welt. Nach Reichard sind bei den Wanjamuesi Zwillingsgeburten verhältnissmässig häufig. Aus Ha Tschewasse im nördlichen Transvaal schrieb mir Missionar Beuster : „ Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, dass unter den schwarzen Völkern, wenigstens unter dem Volke, wo ich mein Arbeitsfeld habe (Bawaenda , eine Abtheilung der Basutho), viel mehr Zwillingsgeburten stattfinden, als daheim in Europa. Unter etwa zwölf Frauen meiner Station fanden vor einigen Jahren 3 nach einander folgende Zwillingsgeburten statt. " Von den Aegypterinnen erzählt schon Aristoteles, dass sie sehr häufig mit Zwillingen niederkämen . Im Jahre 1853 gab es in Trinidad bei einer Bevölkerungszahl von noch nicht ganz 7000 Seelen mehr als 30 Fälle von Zwillingen unter den Erwachsenen, und im Jahre 1856 wurden in Santo- Espiritu auf Cuba 6 Zwillingsgeburten beobachtet. In Nicaragua bringen die eingeborenen Frauen sehr häufig Zwillinge zur Welt. Die Zwillingsschwangerschaften unter den europäischen Völkern hat in neuerer Zeit besonders Bertillon zum Gegenstande seiner Studien gemacht. Er stellte folgende Tabelle zusammen : Zwillingsgeburten pro 1000 Schwangerschaften Land Beobachtungs- Zeit Unter 100 Zwillingsgeburten eingeschlechtlich zweigeschlechtlich Frankreich 1858-68 10,00 65,1 34,9 Italien 1868-70 10,36 64,3 35,7 Preussen 1859-67 12,50 62,5 37,5 Galizien 1851-59 12,50 62,4 37,6 Oesterreich 1851-70 11,90 62,0 38,0 Ungarn 1851-59 13,00 61,3 38,7 Es ist sehr beachtenswerth, dass hierin sich Preussen , Galizien und Oesterreich einerseits und Frankreich und Italien andererseits als zusammenstehend ergeben, während Ungarn die höchste Stelle einnimmt. Bertillon hält sich für berechtigt, hierin Differenzen zwischen der teutonischen und der lateinischen Rasse zu erblicken. Aus dieser Tabelle geht auch hervor, um wieviel häufiger die Zwillinge das gleiche, als ein verschiedenes Geschlecht aufzuweisen haben und auch in diesen Zahlen lässt sich ein Unterschied zwischen den beiden Rassen nicht ableugnen. Die Zwillinge gleichen Geschlechts sind übrigens in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle Mädchen. Das für die angegebenen Zeiträume im Ganzen in der Tabelle ausgesprochene procentuale Verhältniss bleibt für Preussen und Frankreich ein unverändertes, auch wenn 470 XVIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes. man Jahr für Jahr mit einander vergleicht ; die Schwankungen betragen in maximo 10 Procent. So wichtig diese Untersuchungen nun auch sind, so wurde doch bereits vorhin der Beweis geliefert, dass nicht allein die Rassenunterschiede für diese Frage den Ausschlag geben, und es wäre zur weiteren Klärung dieser Angelegenheit durchaus nothwendig , nicht die Zwillingsgeburten ganzer Länder, sondern einzelner eng umschriebener Bezirke mit einander in Vergleich zu ziehen. Erst dann liesse sich angeben, auf welche Punkte nun weiter noch Gewicht zu legen wäre. Dass bei den Süd- Slaven Zwillingsgeburten häufig sind, haben wir bereits erfahren . Bekanntlich werden bisweilen auch drei Kinder gleichzeitig im Mutterleibe zur Entwickelung gebracht, und wenn wir die folgende ebenfalls von Bertillon herrührende Zusammenstellung betrachten, so werden wir uns nicht dem Eindrucke verschliessen können, dass solche Drillingsgeburten. viel häufiger vorkommen, als man von vornherein erwarten sollte. Zahl der jährlichen Drillingsgeburten. Frankreich ( 1858-68) 120 Italien (1868-70) 130 Preussen (1858-67) 107 Ungarn (1851-59) 62,5 Oesterreich ( 1851-70) 215 Galizien (1841-59) 36 Für Frankreich gestaltet sich das Verhältniss so, dass eine Drillingsgeburt auf 8570 normale Geburten, oder auf 86 Zwillingsgeburten trifft. Der geschlechtlichen Combinationen bei den Kindern sind hier natürlicherweise vier (3 Knaben, 3 Mädchen, 2 Knaben und 1 Mädchen, 1 Knabe und 2 Mädchen). Wie diese sich in Zahlen- Verhältnissen gestalten. zeigt die folgende Tabelle : 3 Knaben . 3 Mädchen 2 Knaben 1 Mädchen Drillingsgeburten. Oesterreich. (1851-70) Preussen. 25,0546,6 21,6 f 24,1 Į 21,0 f 45.1 (1826-48) (1859-67) 25,5 48 22,5 f • 29,0 53,4 29,21 54.9 27,552 1 Knabe 2 Mädchen . 24,4 25,7 J 25 3 Knaben 3 Mädchen . Frankreich. (1858-60, 66-68) (1861-65) 27,751.1 23,4 f 2 Knaben 1 Mädchen . 1 Knabe 2 Mädchen 24,2148.9 24,7 J 27,852,2 24,4 24.4147.8 23,4 Hier ist nun gleich von vornherein eine höchst eigenthümliche Thatsache zu constatiren, welche die Drillingsgeburten ganz scharf von den Zwillingsgeburten abtrennt. Während bei den letzteren nämlich, wie wir gesehen haben, bei weitem häufiger Mädchen als Knaben geboren werden, finden. wir hier bei den Drillingen gerade die Knaben in der Ueberzahl. Auch lässt sich hier wieder wie in den früheren Tabellen erkennen, dass Frankreich eine besondere Stellung einnimmt gegenüber von Preussen und Oesterreich. Von Drillingsgeburten aus anderen Welttheilen wird so gut wie nichts berichtet. In Cochinchina kommen sie nach Mondière nicht vor, und in Central - Afrika erklärt sie Barth für etwas Unerhörtes. Auf Cuba 110. Die Zwillingsgeburten im Volksglauben . 471 aber ereigneten sich in einem Dorfe Namens Bando im Jahre 1856 nicht weniger als 4 Drillingsgeburten. Auch auf Serang werden sie nach Riedel bisweilen beobachtet. Noch grösserer Kindersegen als drei auf einmal wird dem Menschen selten beschieden. Wir sahen bereits, dass der Talmud eine sechsfache Schwangerschaft für möglich erachtete, während Aristoteles fünf Embryonen zugleich für das Maximum erklärt . Die neueren Beobachtungen haben dem letzteren zustimmen müssen, aber immerhin handelt es sich hier stets um so grosse Seltenheiten, dass man sie nur als Curiositäten zu betrachten hat. Wappaeus ist bemüht gewesen, die statistischen Verhältnisse der mehrfachen Geburten festzustellen. Er fand im Allgemeinen auf 10 Millionen Geborene 9768 334 Einzelgeborene, 227597 Zwillinge, 3948 Drillinge, 118 Vierlinge und 3,5 Fünflinge. 110. Die Zwillingsgeburten im Volksglauben. Wir haben es schon im vorigen Abschnitt gesehen, dass manche Völker es nicht für möglich halten, dass eine Frau, welche ihrem Manne die eheliche Treue gehalten hat, von Zwillingen entbunden würde. Eine solche Zwillingsgeburt ist ihnen immer ein untrügliches Zeichen, dass sich die unglückliche Mutter einen Ehebruch hat zu Schulden kommen lassen und die armen Neugeborenen erwartet dann für gewöhnlich der Tod. Dem letzterwähnten Schicksale sind sie aber auch, ohne dass der Mutter ein Ehebruch zugemuthet wurde, sehr häufig verfallen und für diese Unsitte, die Zwillinge umzubringen, werden von den betreffenden Stämmen sehr verschiedenartige Gründe angeführt. Bei vielen ist es nur das Unnatürliche, das Ungewöhnliche überhaupt, was sie als etwas Unheilbringendes ansehen. Diesen Glauben finden wir in vielen Gegenden des centralen und des südlichen Afrika verbreitet, und der unter den Bava enda in Nord - Transvaal wirkende Missionar Beuster meldet als einen wichtigen Erfolg von der Aussenstation Mpafudi , dass er ein Zwillingspaar getauft habe, das erste, das nicht getödtet sei : „So hat das Heidenthum einen neuen Stoss bekommen. Denn wenn man weiss, in wie grosser Angst die Heiden in dieser Hinsicht befangen sind und wie sie sorgen , dass nicht durch irgend welche Berührung mit solchen Zwillingskindern oder dessen Eltern dasselbe Unheil sich bei ihnen vollziehen möchte, dann muss man diesen Entschluss etc. bewundern . . . Wenn nämlich bei einem heidnischen Elternpaar ein solches Unglück eintritt, so ist es das nächste, dass die Kinder baldigst umgebracht und fortgeschafft werden an einen nassen Ort ; meistens werden sie in Töpfen an den Ufern der Flüsse verscharrt. Dann wird der Doctor gerufen , der mit allerlei Medicin für gute Bezahlung gegen die Wiederkehr desselben Unglücks wirken soll . Alle Kleidung des Mannes und der Frau nimmt der Doctor mit , weil darin der Sitz sein könnte für Wiederholung desselben Uebels . Man verlässt das Haus nicht durch die Thür, sondern durch eine gewalt- sam gemachte Oeffnung auf der hinteren Seite des Hauses. " Die Australier tödten die Zwillingskinder, weil die Mittel zu ihrer Ernährung nicht hinreichen. In Neu - Britannien lässt man, wie Danks berichtet, Zwillinge gleichen Geschlechts am Leben. Wenn aber gleichzeitig ein Knabe und ein Mädchen geboren wird, so werden sie getödtet, weil sie aus der gleichen Volksgruppe stammen und entgegengesetzten Geschlechts sind, und so wird angenommen, dass sie innerhalb der Gebärmutter eine Verbindung und eine Vereinigung eingegangen sind, welche als eine Verletzung der Ehegesetze angesehen werden muss. 472 XVIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes. Man kann es bereits als eine Art von Fortschritt in der Culturentwickelung betrachten, wenn von neugeborenen Zwillingen nur das eine Kind sein Leben verlieren muss. Auch hier sind die als Erklärung und Entschuldigung für den Kindermord angeführten Gründe nicht überall die gleichen . Die Indianer Californiens tödten das eine Kind, weil das Aufziehen von zweien der Mutter zu viel Last bereiten würde. Die alten Mexikaner fürchteten, dass eins der Zwilligskinder einstmals die Eltern umbringen würde, und diesem Unheile kamen sie durch die Tödtung des einen Kindes zuvor. Die Campas- und Anti - Indianer in Peru tödten nach Grandidier das zuletzt geborene Kind, weil sie nur das erstgeborene als das legitime Kind des Ehegatten, das zweitgeborene aber für einen Sprössling des Teufels halten. Derjenige Vater in Nias , welcher ein Zwillingskind getödtet hat, stiftet , wie Modigliani erzählt, ein grosses Holzbild der Gottheit Adù Hóro. Zwillingsgeburten gelten bei den Eingeborenen von Guiana und bei den Salivas - Indianern in Brasilien als eine grosse Schande, welche die Mütter, welche wie die Mäuse gebären und mehrere Junge auf einmal zur Welt bringen, dem Gespötte der anderen Weiber aussetzen. Um dieser Unannehmlichkeit zu entgehen, pflegt die Mutter sofort das eine Zwillingskind zu tödten, was unvermerkt geschehen kann, da hier die Weiber ganz allein und einsam im Walde ihre Niederkunft abzumachen pflegen . Auch auf der Insel Romang wird die Geburt von Zwillingen als eine Schande angesehen und eins der Kinder, für gewöhnlich das schwächlichste, sofort nach der Geburt todtgedrückt. Aehnliche Anschauungen herrschen auf den Inseln Dama , Nila und Serua. Bei den Makalaka in SüdAfrika wird nach Mauch der eine Zwilling in einen Topf gelegt und als Frass für die Hyänen ausgesetzt. Hier entscheidet das Loos, welchen von den beiden Geschwistern dieses Schicksal trifft und zwar wird mit bestimmten Zauber-Wurthölzern hierüber entschieden. Aber bei anderen und den genannten oft nahe benachbarten Stämmen treten uns auch mildere Sitten entgegen. So sind auf den Babar - Inseln Zwillinge zwar nicht erwünscht, aber sie werden doch mit Sorgfalt aufgezogen, wobei der eine meistens anderen Dorfgenossen überlassen wird. Auch in Keisar wird gut für die Zwillinge gesorgt. In Eetar betrachtet man sie als ein Geschenk des grossen Geistes im Firmament. Auch in Leti , Moa und Lakor, auf den Luang- Sermata- Inseln und auf Serang gelten sie für ein Geschenk der Gottheit und werden dementsprechend gut gehalten. Auch auf der letzteren Insel herrscht die Sitte, nur das eine Kind im Elternhause zu behalten ; das andere wird einem Blutsverwandten zum Aufziehen übergeben. Ebenso dürfen nach v. Siebold bei den Ainos die Zwillingsgeschwister nicht in dem gleichen Hause erzogen werden, es würde dieses unfehlbar den Tod des einen Kindes zur Folge haben. Auf den Aaru- Inseln sind die Zwillingsgeburten sehr ersehnt, weil die Eltern dann viel Perlmutterschalen als Geschenk erhalten. Wenn bei den Camerun-Negern eine Frau Zwillinge bekommt, so wird sie vom Manne hochgehalten, denn die Frauen werden dort nach der Fruchtbarkeit abgeschätzt. (Reichenow.) Bei den Wanjamuesi in Central - Afrika werden die, wie schon erwähnt, nicht selten vorkommenden Zwillinge Mpassa genannt. Reichard berichtet von ihnen Folgendes : 110. Die Zwillingsgeburten im Volksglauben. 473 „ Bei den Wanjamuesi kommen unverhältnissmässig viele Zwillingsgeburten vor, mehr als bei anderen Stämmen , wie man mir allgemein versicherte . Zwillinge spielen denn auch bei ihnen eine grosse Rolle, sie werden dort Mpassa genannt. Bei der Geburt derselben müssen die Eltern Abgaben an den Dorfältesten und an den Häuptling des Landes zahlen, meist eine Hacke oder Kleinvieh . Alte Weiber ziehen dann im Dorfe und in den umliegenden Ortschaften umher, Gaben für die Zwillinge sammelnd, Perlen, Tuchfetzen oder Getreide, hier und da erhalten sie sogar ein Huhn. Sie erscheinen dabei mit einigen Rindenschachteldeckeln, auf welche sie ebenso wie auf eine eiserne Hacke in langsamen Takten schlagen und einen gräulichen Gesang, deren Text immer in der Verherrlichung der sexuellen Theile des Mannes und Weibes gipfelt, also denkbar obscönster Natur sind, anstimmen. Man baut sofort zwei kleine Fetischhütten vor dem Hause der Wöchnerin für die Zwillinge und bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit opfert man darin für dieselben . Besonders wenn Jemand krank ist, oder auf Reisen ziehen will oder in den Krieg. Wenn ein Zwilling über ein Wasser, Bach, Fluss oder See hinüber will , so muss er den Mund voll Wasser nehmen und dieses über die Wasserfläche zerstäuben, sodann sagen: ich bin ein Zwilling, ebenso, wenn er z. B. auf einem See in Sturm geräth. Unterlässt er dies, so kann ihm sowohl wie den Begleitern leicht Unheil widerfahren. Stirbt einer oder beide Zwillinge, so werden neben die kleine Fetischhütte an der Geburtshütte zwei Aloe gepflanzt . " Bei den Ovoherero in Süd - Afrika werden durch die Geburt von Zwillingen die Eltern heilig. Den Teton- oder Lakota- Indianern erscheinen Zwillinge als ein Mysterium von übernatürlicher Herkunft. Sie kommen aus dem Zwillingslande , und da sie nicht menschliche Wesen sind, so muss man sie mit ganz besonderer Vorsicht und Zartheit behandeln, sonst werden sie beleidigt und kehren in das Zwillingsland zurück. (Dorsey.) Nach einem in Oldenburg herrschenden Glauben besitzt eine Frau, welche mit Zwillingen niedergekommen ist, die Kraft, ein Segensband zu knüpfen. Bei manchen Völkern sucht man sich ängstlich vor Zwillingsschwangerschaften zu schützen. So sucht auf Ambon und den Uliase - Inseln die Schwangere die Entwickelung zweier Kinder dadurch zu verhindern, dass sie vermeidet, auf dem Rücken zu schlafen, oder zusammengewachsene Pinang- oder Pisang- Früchte zu essen. In ganz ähnlicher Weise muss auch heutigen Tages noch in manchen Theilen Deutschlands die Schwangere sorgfältig meiden, von zusammengewachsenen Früchten oder Rüben etwas zu geniessen, wenn sie vermeiden will, mit Zwillingen niederzukommen. XIX. Das physische Verhalten während der Schwangerschaft. 111. Die Erkenntniss der Schwangerschaft. Wir stehen jetzt vor einem der allerwichtigsten Abschnitte in dem Leben des Weibes. Die von ihrem Eierstocke gelieferte Keimzelle ist befruchtet worden und in ihrer Gebärmutter beginnt das Wachsthum und die Ausbildung eines neuen Individuums. Ein neues Leben ist geweckt : aber auch die Frau tritt durch diesen für sie neuen Zustand gleichsam in ein neues Leben ein . Vieles hat sie zu thun und vieles zu meiden, bis es ihr nach erfolgter Entbindung und nach glücklich überstandenem Wochenbett endlich zu der gewohnten Lebensweise ihrer Stammesgenossen zurückzukehren gestattet ist. Wir werden erfahren, wie man zu den verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Völkern bestrebt gewesen ist, untrügliche Zeichen für den Eintritt der Schwangerschaft ausfindig zu machen, wie derselbe feierlich begrüsst wird und durch bestimmte ceremonielle Handlungen seine Weihe erhält ; wir werden sehen, wie die Schwangere sich einer bestimmten Diät zu unterziehen, besondere manuelle Behandlungsmethoden zu erdulden, sich in bestimmt vorgeschriebener Weise zu verhalten hat, und auch die bei den Völkern herrschenden Ansichten über die Schwangerschaftsdauer, sowie über die Kindeslage und schliesslich die Ursachen des mehr oder weniger häufig vorkommenden natürlichen Abortus werden wir kennen lernen . Das alles bietet ohne Zweifel wichtige Erscheinungen im culturellen Leben der verschiedenen Nationen dar. Fast bei allen Völkern der Erde musste es aufgefallen sein, dass der Geburt eines Kindes ein monatelanges Ausbleiben der regelmässigen Men- struations-Ausscheidungen vorhergegangen sein muss. Und daher ist das Ausbleiben der Menstruation wohl überall als das erste und sicherste objective Merkmal der Schwangerschaft betrachtet worden. (Epp. ) Das Anschwellen des Leibes und das Stärkerwerden der Brüste steht dann erst in zweiter Linie. Aber schon Aristoteles (VII. 2) beobachtete, dass die Menses auch während der Schwangerschaft flossen, und er war der Ansicht, dass hierbei die Frucht schlecht gebildet werde. Das Zurückbleiben des Samens beim Coitus wird als Zeichen der Empfängniss bei den alten Indern, den Griechen , den Römern und den Deutschen etc. betrachtet. Susruta (in der Ayurveda) führt als Zeichen, dass eine Frau concipirt hat, Folgendes an : „ Müdigkeit, Erschöpfung, 111. Die Erkenntniss der Schwangerschaft. 475 Durst, Einfallen der Lenden, Zurückbleiben des Samens und Blutes, und zitternde Bewegung der Vulva. Dahin gehören auch die schwarze Färbung der Brustwarzen, das Zubergestehen der Haare und das Strotzen der Adern, das Sinken der Augenlider , das Erbrechen, die Furcht vor der Begattung, das Fliessen aus Mund und Nase und die Ohnmacht. " (Vullers. ) Das Ausbleiben des Monatsflusses erklären sie durch das Verschlossensein des Muttermundes. Letzteres gilt ihnen aber noch nicht als ein Symptom der Schwangerschaft. Als solches nennt jedoch Hippokrates den Verschluss des Orificium uteri und von da an nahmen alle Culturvölker dieses Merkmal auf. Die alten Inder betrachten auch ein Fliessen aus Mund und Nase als Schwangerschaftssymptom ; so übersetzte Vullers. Dahingegen ist in Hessler's lateinischer Uebersetzung des Susruta überhaupt nur von einem Abträufeln oder Abfliessen von Schleim die Rede, ohne dass die Nase oder der Mund erwähnt wird, so dass es danach ungewiss bleibt, aus welchem Organe es stattfindet, und dass man auch an einen Ausfluss aus der Scheide denken könnte. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass Vullers den Sinn der Stelle richtig verstanden hat. Jetzt wissen wir auch, wie die alten Aegypter vor 4000 Jahren bei ihrer Schwangerschaftsdiagnose verfuhren und welcher sinnlosen Mittel sie sich hierbei bedienten. Brugsch in Berlin berichtet über einen im königl. Museum zu Berlin sich befindenden Papyrus. der wahrscheinlich aus der Zeit der 19. oder 20. Dynastie stammt und eine merkwürdige Anleitung zum Heilen verschiedener Krankheiten enthält. Er ist nächst dem Papyrus Ebers das älteste medicinische Werk, welches wir besitzen, denn er soll aus dem XIV. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung herstammen. Die zahlreichen Receptformeln aber, welche die Schrift enthält, und das schon ausgebildete System in der Methode, solche Recepte zu verschreiben, lassen uns vermuthen, dass schon lange zuvor die Heilkunst mit einem gewissen Grade von Sorgfalt cultivirt worden ist. Brugsch übersetzt eine Stelle dieser interessanten altägyptischen Abhandlung, welche sich mit den Mitteln beschäftigt, um zu erkennen, ob eine Frau schwanger ist oder nicht. Dort heisst es : Man gebe der Frau das Kraut Boudodou-kå mit Milch von einem Weibe, welche ein männliches Kind geboren hat ; wenn sich dann die Frau erbricht, so wird sie gebären ; wenn sie aber Borborygmen bekommt, so wird sie niemals gebären. Dann wird dasselbe Recept noch einmal empfohlen mit dem einzigen Unterschiede , dass man davon eine Injection in die Ka ( ?) der Frau macht. Dann folgt ein anderes Mittel zu gleichem Zwecke der Schwangerschaftsdiagnose nach Chabas' Uebersetzung: Wenn die Frau einen salzigen trüben oder sedimentösen Urin hat, so wird sie gebären, findet man dies nicht, so gebiert sie nicht. Eine andere Probe ist folgende : Die Frau muss sich hinlegen , und man reibt dann ihren Arm bis zum Vorderarm kräftig mit frischem Oele ein; wenn man sie dann am anderen Morgen untersucht und ihre Gefässe sehr trocken findet, so beweist dies, dass sie nicht gebären wird ; findet man dieselben aber feucht, ebenso wie auch die Haut ihrer Glieder, so darf man vermuthen, dass sie gebären wird. Ein ferner beschriebenes Beweismittel wird von Brugsch als sehr obscön bezeichnet. Auch lehrt der Verfasser der Papyrus- Schrift, die Schwangerschaft aus der Beschaffenheit der Augen zu erkennen : „Wenn das eine ihrer Augen die (braune Haut-) Farbe eines Amou ( Asiaten) hat, das andere Auge aber die Farbe eines Negers , so ist sie nicht schwanger : wenn aber beide Augen die gleiche Farbe haben, so ist sie schwanger. " Zum Schluss kommt ein noch sonderbareres Beweismittel. Weizen und Gerste möge die Frau in zwei Säcken den Tag über in ihrem Urine einweichen ; wenn sie keimen, so ist sie schwanger , keimen sie aber nicht, so ist sie auch nicht schwanger. Ist es nur der Weizen, welcher aufkeimt, so wird sie einen Knaben gebären, keimt hingegen die Gerste, so wird es ein Mädchen. 476 XIX . Das physische Verhalten während der Schwangerschaft. Aehnliche abergläubische diagnostische Hülfsmittel finden sich auch bei den alten Griechen. In dem pseudo hippokratischen Buche über die weibliche Natur (De nat. muliebr. ) heisst es : „ Um es zu erfahren, ob die Frau empfangen wird, schabe (koche) einen Knoblauchkopf ab und lege ihn (oder Netopon in Wolle gewickelt) in die Gebärmutter ein , am folgenden Tag bringe die Frau ihren Finger zur Untersuchung ein, und gebe darauf Acht, ob sie aus dem Munde riecht, denn dann steht es gut, wenn nicht , so lege man den Knoblauchskopf wieder ein. Wenn du ermitteln willst , ob eine Frau schwanger ist oder nicht , so bestreiche ihr die Augen mit rothem Stein (Bolus ? ) ; dringt nun das Mittel ein, so ist die Frau schwanger, wenn nicht, so ist sie nicht schwanger. " Den talmudischen Aerzten galten als Schwangerschaftszeichen : Ein dicker hoch aufgetriebener Unterleib, namentlich nach Verlauf dreier Monate, seitdem der Coitus stattgefunden hatte, ferner Anschwellung der Brüste oder gar Ausfliessen von Milch aus denselben und endlich gewisse Spurzeichen, welche die Fusstritte einer Schwangeren in lockerer Erde zurücklassen sollen. Aus der Fussspur diagnosticirt in einer buddhistischen Erzählung. die uns Schiefner zugänglich gemacht hat, ein Brahmanenarzt die Gravidität nicht allein eines Weibes, sondern sogar einer Elephantin . Die Fussspur musste einem Elephantenweibchen angehören, da sie länglich war, während die Spur der Männchen eine runde ist, und trächtig musste das Thier gewesen sein, weil sie beide Füsse drückend gegangen war. " Mit einem Männchen aber musste sie trächtig sein, weil sie mit dem rechten Fusse mehr gedrückt hatte." Die Schwangerschaft der Frau, die von dem Thiere gestiegen war, erkannte der Arzt, weil der Absatz des Fusses rechts tief eingedrückt hatte. " " Die Aerzte bei den Chinesen befragen den Puls, wenn sie ermitteln wollen, ob eine Frau schwanger ist. (du Halde.) Sie halten eine Frau für schwanger, wenn sie bei allgemeiner Gesundheit und bei dem Ausbleiben der Menstruation einen regelmässigen und tief anschlagenden Puls hat. Ausserdem diagnosticiren sie auch die Schwangerschaft, wenn der Punkt tsche ( sie setzen die Finger auf drei Punkte der Arterie, genannt tsuen, tsche und kuan) stärker als gewöhnlich anschlägt. Wenn der Puls am unteren Punkte in der Gegend des rechten Handwurzelgelenks schlüpfend und strotzend ist , so ist die Frau mit einem Mädchen schwanger; wenn man dasselbe Zeichen an der linken Hand findet, so ist es ein Knabe ; findet man das Zeichen aber beiderseits, so wird sie zwei Kinder gebären. (Hureau. ) Wenn sich eine Frau im Allgemeinen wohl befindet und einen regelmässigen, oberflächlichen oder tiefen Puls hat, und wenn die Menstruation ausblieb, so ist sie schwanger. Man hat dafür noch mehr Beweise, wenn der Tsche- Puls hoch ist und heftiger als gewöhnlich. Wenn ferner die Frau zart ist und wenn man beim festen Aufsetzen des Fingers auf den Puls im Ellenbogengelenk Pulsschläge ohne Unterbrechung fühlt, und wenn die Menstruation ausgeblieben war, so ist die Frau schwanger. Sie ist es auch dann, wenn beim Aussetzen der Menstruation ihre sechs Pulse natürlich bleiben . Auch ist sie es, wenn der Tsuen- Puls klein, der Kuan- (Ellenbogen-) Puls gleitend , der Tsche- Puls beschleunigt ist . Im ersten Monat ist der Puls bald langsam, bald beschleunigt ; im zweiten und dritten Monat gleitend und schwach oder mässig langsam, oder bald langsam, bald beschleunigt ; im vierten Monat mässig langsam, gleitend oder langsam und abwechselnd beschleunigt ; im fünften Monat kräftig anschlagend. (Dabry. ) Die japanischen Aerzte gehen schon weiter , denn sie fühlen nicht nur den Puls, betasten die Brüste und untersuchen deren Zustand, sondern sie exploriren auch auf eigenthümliche Weise den Unterleib von aussen. Die innere Untersuchung mit dem Finger per vaginam kannten sie wenigstens bis vor einigen Jahrzehnten noch nicht, da sie aber von dieser 111. Die Erkenntniss der Schwangerschaft. 477 „ hübschen Methode" nun gehört haben und, wie der japanische Arzt Mimazunza sagte, ihren hohen Werth nicht verkennen, so werden sich schon jetzt nicht wenige japanische , modern medicinisch geschulte Aerzte ihrer bedienen. Einen Monat nach der Befruchtung zeigen sich nach der Ansicht des Japaners Kangawa die ersten Symptome der Schwangerschaft. Wegen Behinderung der Regel treten leichte Kopfschmerzen , Unbehaglichkeit in der Magengegend, Verdriesslichkeit ein. Bis zum 45. Tage steigern sich die Symptome, es tritt Erbrechen hinzu, weil das Blut gegen den Magen stösst ; dazu gesellen sich Blutandrang zum Kopf, Frost, Fieber, Durst, zuweilen Leibschmerz und Durchfall ; nach dem 45. bis 50 Tage zeigt sich Mattigkeit, die Schwangere liegt lieber, als dass sie sich aufsetzt ; sie isst gern säuerliches Obst. (Miyake.) Kangawa sagt : „ Da nun alle oben genannten Symptome denen des Fiebers sehr ähnlich sind , so muss man zur genauen Diagnose die Untersuchung der drei Orte vornehmen : 1. die Arterien der vier Fingerspitzen ; behufs dieser Untersuchung legt der Arzt seine Fingerspitzen gegen diejenigen der Frau ; 2. die Arteria cruralis ; 3. die Arteria radialis . Ist Schwangerschaft vorhanden, so schlagen die Arterien No. 1 und 2 stärker, als No. 3. " In einem späteren Buche wird angeführt, dass die Untersuchung der drei Arterien nicht immer genügend sei, da während der heissen Jahreszeit auch ohne die Schwangerschaft die Fingerarterien stärker schlagen, als die radialis . Genügt diese Methode zur Feststellung der Diagnose im 2. und 3. Monat nicht, so legt der Arzt seine rechte Hand auf Kiubi, d . i . die Herzgrube und palpirt allmählich bis Tensuh, d . i . der Punkt ½ Zoll unter dem Nabel ; mit der linken Hand geht er von der Schambeingegend leicht drückend in der Mittellinie aufwärts bis nach der Tensuh der anderen Seite. Er fühlt dann bei Schwangerschaft einen kugelförmigen, glatten Gegenstand von der Grösse einer Kastanie. Die Palpation muss mit leisem Druck geschehen. Ist der Gegenstand, den man hier fühlt , hart, eckig, lang, so ist er als Kothmasse zu betrachten. Sind dagegen mehrere Gegenstände zu fühlen, so ist es ein Blutklumpen. Als weiteres Symptom der Schwangerschaft wird der dunkle Hof um die Brustwarze angeführt ( der allerdings bei Japanerinnen ganz dunkelbraun, fast schwarz wird) , doch wird gleichzeitig ein Fall erwähnt, wo ohne vorhandene Schwangerschaft der Hof sich braun zeigte und sogar etwas Flüssigkeit aus den Brustwarzen auszudrücken war. Kommt die Frau im angeblich 4. oder 5. Monat der Schwangerschaft zum Arzt, so soll dieser sie fragen, ob sie früher ihre Menses regelmässig und reichlich hatte ; im Bejahungsfalle liegt Schwangerschaft vor, im Verneinungsfalle dagegen, namentlich wenn der Leib verhältnissmässig klein ist , hat man es mit einem Blutklumpen zu thun. Im 6. oder 7. Monat fühlt man in der Gegend des Nabels und etwas darunter einen weichen kugelförmigen Gegenstand, in welchem eine Pulsation mit der Hand wahrnehmbar ist. Fehlt dieses letztere Symptom, so giebt das stärkere Pulsiren der Cruralarterie und eine Adhärenz und erschwerte Verschiebbarkeit der Haut zwischen Nabel und Schambein Anhaltspunkte für die Diagnose der Schwangerschaft. Als eine besonders weise Fürsorge der Natur führt Kangawa an, dass das weibliche Kreuz (unter Kreuz versteht er die Figur, welche durch die Vertiefungen und Hervorragungen auf den Dornfortsätzen der unteren Wirbel und des Kreuzbeins einerseits, auf dem Hüftbeinkamm andererseits gebildet sind) breit und ausgebuchtet ist, das männliche dagegen gerade und schmal. Als Zeichen für eine Zwillingsschwangerschaft wird von Kangawa ein Einsinken der Mittellinie des Körpers angenommen. Sind Zwillinge vorhanden , so hat regelrecht der linke den Kopf nach unten, der rechte hat ihn nach oben. Jeder hat seine eigene Placenta ; der linke kommt bei der Geburt zuerst . Liegen dagegen beide Zwillinge mit dem Kopfe nach oben, oder nach unten, so haben sie nur eine gemeinschaftliche Placenta, und die Geburt ist stets mit grosser Gefahr verknüpft . Das Geschlecht beider Zwillinge kann verschieden sein. Zuweilen entwickelt sich ein Zwilling auf Kosten des anderen : dann wird letzterer im 7. Monat mit dem Sack geboren. 478 XIX. Das physische Verhalten während der Schwangerschaft. Die Hebammen des Orients haben keinen Begriff von der inneren Untersuchung. Eram berichtet : "La conception d'une jeune femme est le plus souvent constatée par les sagesfemmes en Orient. Du moment que la famille aperçoit une grosseur dans , le ventre de la jeune mariée elle fait appeler immédiatement la sage-femme, qui juge la nature de la grosseur et pose son diagnostic. “ Natürlicherweise bleiben hierbei diagnostische Irrthümer nicht aus, wie auch Eram einen solchen berichtet. Bei den Negern in Old - Calabar gilt als Schwangerschaftszeichen das Ausbleiben der Menses, ein bleiches, aschfarbenes Aussehen des Gesichts und des oberen Theiles der Brust mit zerstreuten gelblichen Flecken, und das Dunklerwerden des Warzenhofes. Diese letztere Verfärbung gilt den Negern für ein so untrügliches Zeichen, dass sich die Männer gegen den Versuch sträubten , eine Kleidung einzuführen, welche dieses Zeichen verdeckt. (Hewan. ) Die Schwangerschaft ist bei den Fiji- Frauen nach Blyth nicht von den bei Europäerinnen gewöhnlichen Erscheinungen begleitet. Die Menstruation dauert bisweilen während der ganzen Gravidität an. Uebelbefinden am Morgen kommt nicht vor. dagegen Anfälle von Erbrechen am Mittag. Während der Schwangerschaft werden die Frauen häufig von Schwindel befallen, so dass sie zu Boden stürzen . Dieser Schwindel und das plötzliche Hinfallen ist so allgemein, dass es als ein charakteristisches Zeichen für das Bestehen einer Schwangerschaft betrachtet wird, und wenn eine Frau plötzlich hinfällt, so sagt man, sie ist schwanger. Andere Beschwerden haben die schwangeren Fiji- Frauen nicht. Kindsbewegungen sollen nach Aussage der Fiji - Hebammen zwei Monate nach dem Ausbleiben der Menses auftreten, da sie aber sehr unvollkommene Begriffe vom Zeitmaasse haben, so ist hierauf nichts zu geben. Unter dem Volke Russlands gilt als Zeichen der Schwangerschaft das plötzliche Erscheinen von Sommersprossen auf der Stirn oder auf den Wangen. (Krebel. ) Kann bei den Süd- Slaven das Weib sich auf keine andere Weise die Gewissheit verschaffen, dass sie in gesegneten Umständen sich befinde , so soll sie an drei auf einander folgenden Abenden hinter der Thür eine Axt nass machen und sie daselbst über Nacht liegen lassen. Ist die Axt alle drei Mal am Morgen verrostet , so ist das Weib gewiss auch schwanger. “ ( Krauss¹. ) Etwas ganz Aehnliches haben die wandernden Zigeuner Siebenbürgens, nur dass nach dem Berichte . Wlislocki's neun Abende dazu nöthig sind und dass die Axt oder der Hammer auf einem Kreuzwege liegen muss. Das Befeuchten muss mit Wasser aus dem Munde der Frau geschehen. Dasselbe Volk hat auch noch eine andere Schwangerschaftsprobe. Die Frau muss ein Ei nehmen ; dann giesse sie den Inhalt desselben, ohne jedoch das Eiweiss vom Dotter zu trennen, in einen Napf und lasse Wasser aus ihrem Munde hineintröpfeln . Schwimmt das Ei am nächsten Morgen auf der Oberfläche des Wassers, so ist sie in gesegneten Umständen und wird, wenn das Dotter vom Eiweiss getrennt herumtreibt, einen Sohn, wenn aber beide Eibestandtheile vereinigt auf der Oberfläche schwimmen, eine Tochter zur Welt bringen . Sieht sie in dieser Zeit Enten oder Gänse am Abend fliegen, wird sie in den Morgenstunden gebären. Ein höchst wunderliches Schwangerschaftszeichen haben die Serben: Bekommt dort irgend Jemand ein Gerstenkorn, so bedeutet das, dass seine Tante schwanger ist ; ist das Gerstenkorn am unteren Lid, so wird das 112. Aeltere Anschauungen über die Entwickelung der Frucht. 479 Kind ein Mädchen, ist es am oberen Lid, so wird es ein Bube sein. (Petrowitsch, Krauss¹.) Zur Erkennung der Schwangerschaft thut man in der Rheinpfalz eine geistige Flüssigkeit : Apfel-, Birn- oder anderen Wein in eine „ Boll " (grosser, runder, langstieliger Metalllöffel) und lässt es über Nacht stehen ; bricht nach dem Genuss die Frau, dann ist es richtig. Wenn im Frankenwalde ein zeugungsfähiges Weib krank ist, so sagt die Nachbarschaft vermuthungsweise : sie hebt wohl an. " (Flügel. ) Der Ausdruck : „ Sie ist in gesegneten Umständen" für „ sie ist schwanger" geht ziemlich durch ganz Deutschland ; ebenso heisst es bis nach dem sächsischen Siebenbürgen hin : sie ist in anderen Umständen. " Bei den Sachsen in Siebenbürgen herrschen aber auch noch verschiedene Bezeichnungen, welche diesen Zustand einigermaassen bildlich auffassen: „Sie ist wie die Leute"; sie ist bleiben gehen" ; ,,sie ist in Erwartung"; ,,auf schwerem Fuss"; sie soll nach Rom reisen"; ,, sie ist des Herrn Magd" ; sie ist so geschickt" ; ,, sie ist nicht allein". In einzelnen Ortschaften des siebenbürgischen Sachsenlandes sind humoristische derbe Redensarten gebräuchlich : Sie hat den Kalender verloren " (Eibesdorf) ; ,,sie hat eine neue Schürze erhalten" (Gergeschdorf) ; „, sie hat sich gestossen, ist widergelaufen, daher ist sie geschwollen" (Deutsch- Kreuz) : ,, sie bekommt einen Rain am Bauch" (daselbst) ; ,, sie hat eine Bohne verschluckt und darauf Wasser getrunken, nun quillt dieselbe" (daselbst) ; ,, sie hat das Neunmonatswasser" (daselbst) . (Hillner.) 112. Aeltere Anschauungen über die Entwickelung der Frucht. Ueber die Entwickelung der Frucht hatten sich unter den altindischen Brahmanenärzten schon vor Susruta Meinungsverschiedenheiten gezeigt. Sie glaubten nämlich, dass derjenige Körpertheil des Fötus zuerst gebildet würde, der am wichtigsten sei . So kam es, dass Saunaka den Kopf, Kritaviryya das Herz, Parasaryya den Nabel, Malkandaya Hände und Füsse, Subhusi und Gautama den Rumpf für das erste Gebilde hielten . Dhanvantare entscheidet sich dafür, dass alle Theile gleichzeitig entstehen und nur der Zartheit des Embryo wegen noch nicht erkannt werden könnten ; man finde ja auch in der Frucht der Bambusa arundinacea und der Magnifica indica alle einzelnen Theile der künftigen Pflanze schon vorgebildet . Auch scheinen die altindischen Aerzte, ähnlich wie die talmudischen, genauere Nachforschungen an dem menschlichen Ei angestellt zu haben. Susruta beschreibt das Wachsen des Fötus in den verschiedenen Schwangerschaftsmonaten auf folgende Weise : Im ersten Monat entsteht der Embryo ; im zweiten bildet sich durch Kälte, Wärme und Wind eine härtliche Masse von zeitig werdenden Grundelementen des Körpers ; im dritten werden die fünf Klümpchen der Extremitäten und des Kopfes ausgebildet, aber die grossen und kleinen Glieder sind noch sehr kleine Theilchen ; im vierten und den folgenden Monaten werden die Abtheilungen aller grossen und kleinen Glieder schon fühlbar. Im achten ist die Lebenskraft noch schwach; im neunten, zehnten oder zwölften Monat endlich erfolgt die Geburt. " ( Vullers. ) Auch im Einzelnen construirte sich Susruta (Hessler ) nach Gutdünken eine eigenthümliche Entwickelungsgeschichte des Embryo. Nach ihm entsteht Leber und Milz des Embryo aus dem Blute, die Lungen aus Blut und Schaum, der Unterleib aus Blut und Secreten ; dann bilden sich im Uterus die Eingeweide, der After und der Bauch durch Auftreibung der Luft und es entsteht aus den Elementen des Blutes und Fleisches die Zunge, aus der Vereinigung des Blutes und des Zellgewebes das Zwerchfell, aus der Vereinigung von Fleisch , Blut, Schleim und 480 XIX. Das physische Verhalten während der Schwangerschaft. Zellgewebe die Testikel, aus der Vereinigung von Blut und Schleim das Herz und in dessen Nachbarschaft die Nerven als Träger der Lebenskraft. "" Susruta wusste auch bereits , dass die Ernährung des Fötus vermittelst der Nabelgefässe stattfindet. „ Ohne Zweifel, " heisst es bei ihm, ist in dem saftführenden Kanale (Placenta) der Mutter das Nabelgefäss des Fötus verschlossen. Dieses führt die Quintessenz des Speisesaftes der Mutter dem Fötus zu. Durch diese innige Verbindung der Mutter erhält der Fötus sein Wachsthum, und die den ganzen Körper und die Glieder begleitenden saftführenden und gekrümmten Gefässe beleben durch ihre innige Verbindung unter einander von der Zeit der Empfängniss an die Abtheilungen der noch nicht gebildeten grossen und kleinen Glieder. " Die Chinesen stellen sich die Entwickelungsgeschichte des Fötus nach der Darstellung des Buches „ Pao- tsam- ta- seng- Pien" in folgender Weise vor : „ Im ersten Monate gleicht der befruchtete Keim oder das Ei einem Wassertropfen; im zweiten einer Rosenknospe ; im dritten verlängert sich das Ei und zeigt einen Kopf; im vierten sieht man die vorzüglichsten Organe erscheinen ; im fünften zeigen sich die Gliedmaassen ; im sechsten kann man Augen und Mund unterscheiden ; im siebenten Monat hat es eine menschliche Form und kann leben, doch verlässt es in dieser Zeit nicht anders die Mutter, als wie eine grüne Frucht, die, wenn sie abreisst , einen Theil des Astes mit fortnimmt, der sie trägt ; während des achten Monats vervollkommnet sich das Kind so weit, dass es im neunten Monat einer reifen Frucht gleicht, welche nur des Herabfallens gewärtig ist. “ (Hureau.) Dieser Vergleich des reifen Kindes mit der reifen Frucht scheint durch mehrere chinesische Werke hindurchzugehen . Denn in der Abhandlung über die Geburtshülfe“ , welche v. Martius aus dem Chinesischen übersetzte, heisst es : „Der Arzt Dschuli sagt : „Unreife Geburten sind genüglich von den natürlichen verschieden . Denn die natürliche Geburt eines Kindes ist mit einer reifen Kastanie zu vergleichen, die in der Periode ihrer Zeitigung von selbst sanft abfällt. Eine unzeitige Geburt aber ähnelt einer unreifen Frucht, die vom Sturme gebrochen beim Herabfallen die Zweige mit abreisst. " Gehen wir nun den Thatsachen nach, wie sich die Vorstellungen über die Frucht- Entwickelung bei den Aerzten des klassischen Alterthums gestalteten, so finden wir unter Anderem die Ansicht des Griechen Alkmaeon (um 540 v. Chr. ), welcher behauptete (Aristoteles ) , dass der Kopf als Sitz der Seele zu allererst gebildet und dass der Fötus zum Theil durch die Haut ernährt werde. Hippokrates empfahl, täglich ein bebrütetes Hühnerei zu untersuchen, und stellte Vergleiche zwischen diesem und der menschlichen Frucht an. Die drei Membranen : das Chorion, welches den Fötus von allen Seiten umgiebt, die Allantois, eine doppelte Membran, und das Amnion, eine zarte Membran, werden von Soranus beschrieben ; ihm folgt ziemlich treu Moschion ; sie beide heben namentlich die Bedeutung des Chorion hervor. Wir erfahren auch durch Soranus die Ansichten einiger früheren Autoren über den Ursprung der Nabelgefässe ; nach Empedokles gehören dieselben der Leber an, nach Phaedrus dem Herzen ; nach Herophilus gelangen die Venen zur Vena cava, die Arterien zur Arteria trachea ; Eudemus endlich meinte, die im Nabel des Embryo verbundenen Gefässe gehen von da in zwei Bogen unter dem Diaphragma aus einander. Ueber das Amnion waren die Autoren jener Zeit noch verschiedener Ansicht, dessen Vorhandensein beim Menschen wurde von Einigen sogar geleugnet. Die Cotyledonen werden von Soranus ausführlich besprochen (Pinoff ) ; er vergleicht die Cotyledonen der Thierplacenta mit den kleineren Excrescenzen der Placenta beim Menschen ; durch sie wird der Fötus ernährt. Die in ihnen gebildeten Gefässe verbinden sich zu zwei Venen und zwei Arterien, zu denen sich der Urachus gesellt ; diese fünf Gefässe bilden den Nabelstrang; die zwei Venen vereinigen sich und gehen zur Vena cava über, um dem Kinde das Blut der Mutter zur Ernährung zuzuführen, und auch die beiden Arterien werden in eine einzige, d. h. zur grossen Arterie (Aorta) verschmolzen. 112. Aeltere Anschauungen über die Entwickelung der Frucht. 481 Galenus kennt die sich aus dem ergossenen Blute bildende Membran, das Chorion, und zählt auch die Allantois zu den Eihäuten. Er sagt, dass Anfangs der Fötus wegen seiner Kleinheit nicht zu erkennen sei, und dass sich zuerst das Gehirn, das Herz und die Leber bilden ; diese Organe senden dann die Medulla spinalis, die Aorta und die Vena cava aus, worauf sich die Rückenwirbel, der Schädel und der Brustkorb bilden. Die arabischen Aerzte folgten fast ganz den Angaben der griechischrömischen Autoren. Ueber die Entwickelung der Frucht waren die talmudischen Aerzte getheilter Meinung. Einige glaubten, dass das Haupt und die ihm zunächst liegenden Organe sich zuerst bildeten, Andere hingegen hielten dafür, dass der Mittelpunkt des menschlichen Körpers und namentlich die den Nabel umgebenden Theile zuerst gebildet werden. (Nidda. ) Der Talmud behauptet ferner, dass in dem ersten Stadium der Entwickelung der Embryo eine heuschreckenähnliche Gestalt habe ; die beiden Augen seien den Fliegenaugen ähnlich, ebenso gleiche die Nase und die Nasenlöcher Fliegenpunkten, und der Mund bilde einen haarscharfen Streifen, die Extremitäten aber seien noch nicht entwickelt, namentlich sei noch keine Zehen- und Fingerbildung zu bemerken. Erst im späteren Verlaufe (etwa zu Ende des 3. Monats) seien die Nasenlöcher deutlich vorhanden, die Extremitäten zeigen Finger- und Zehenbildung, auch könne man dann das Geschlecht unterscheiden ; um dieses besser bewerkstelligen zu können, empfiehlt der Talmud die Sondirung mit einer hölzernen Sonde ; doch liesse sich vor dem 41. Tage über das Geschlecht nichts entscheiden. Erst als sicheres Zeichen einer fortgeschrittenen Ausbildung sei die Haarbildung zu betrachten. Was die Talmudisten weiter über die Ausbildung des Fötus erwähnen, scheint sich nur auf die Entwickelung der Geschlechtstheile zu beziehen. Wie die Bildung des Kindes beiderlei Geschlechts erst nach 40 Tagen vollbracht sei, so werde auch dann erst der Fötus mit Haut bekleidet. Zur Fötusbildung ist nach ihnen nicht die ganze Quantität des Samens nothwendig. Verschiedene Körpertheile werden theils aus dem Samen des Mannes, theils aus dem der Frau gebildet : aus dem Samen des Mannes die Knochen und die Sehnen, das Gehirn und das Weisse im Auge, aus dem rothen Samen der Frau die Haut, das Fleisch, die Haare und das Schwarze im Auge. Ueber die Membranen, die den Fötus umschliessen , haben die Rabbiner sehr confuse Begriffe. Als ein tüchtiger Embryologe gilt unter ihnen der Rabbiner Schemuel, welcher 270 n. Chr. starb. Die Ansichten des Vindicianus (um 370 n. Chr. ) über die Fruchtentwickelung erhielten selbst in mittelalterlichen Gesetzgebungen Geltung : Die Lehre von der Beseelung des Embryo im zweiten Schwangerschaftsmonat und der Geschlechtsbildung im vierten wirkte strafschärfend bei künstlichem Abortus, bei Verletzung Schwangerer u. s. w. Der Aufschwung der neueren Embryologie ging im 16. Jahrhundert von Italien aus. Nachdem bereits Faloppia und Arantius der Anatomie des Fötus ihre Aufmerksamkeit zugewendet hatten, wurde vom Grafen Aldrovandi sowie von Volcher Coiter zuerst wiederum die Entwickelung des Hühnchens im Ei zum Gegenstande wissenschaftlicher Beobachtung gemacht, und bald trat Fabricius ab Aquapendente in deren Fusstapfen. Schliesslich hat aber Harvey, welcher 1657 im Alter von 79 Jahren starb, für diese Angelegenheit durch mustergültige naturwissenschaftliche Methode grundlegend gewirkt. Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl . 31 482 XIX. Das physische Verhalten während der Schwangerschaft. Wir können hier weder die Geschichte der Embryologie, noch auch die Entwickelung der Frucht im Mutterleibe durch alle ihre Phasen weiter verfolgen. Wer über die letztere sich zu belehren wünscht, den verweisen wir auf die vortreffliche Darstellung , welche in allgemeinverständlicher Weise Johannes Ranke² von diesem Gegenstande gegeben hat. Dort wird er, durch Abbildungen reichlich erläutert, dasjenige finden, was er sucht. 113. Die Schwangerschaftsdauer. Ueber die Zeitdauer, welche normaler Weise der Embryo in dem Mutterleibe sich aufhalten könne, herrschen bei einzelnen Völkern sehr absonderliche Ansichten. So steht in dem chinesischen Buche Dan- zi-nan-fan geschrieben : „ Die tägliche Erfahrung beweist es, dass eine Frau 7-10 Monate schwanger gehe. Aber es giebt auch Frauen, deren Schwangerschaft 1 bis 2 Jahre währet. " Als sicherster Anhaltspunkt für die Schwangerschaftsberechnung gilt bei den japanischen Frauen das Ausbleiben der Menstruation ; früher war dieses Zeichen bei der officiellen Eintheilung des Jahres in Mondmonate noch bequemer, indem sie einfach vom ersten Ausbleiben der Regel 10 derartige Zeitabschnitte als zur Vollendung der Schwangerschaft nöthig ansahen. Sonderbarer Weise setzte es sie in Verlegenheit, wenn die letzte Menstruation aus den Schlusstagen des einen ( Kalender-) Monats bis in die ersten des nächsten hinüber reichte (Zeki mantangie, wie der Kunstausdruck lautete) ; es wurde dann die Berechnung ungenau, da sie den angefangenen Monat noch als einen vollen mitrechneten. Jetzt rechnen die Frauen nach den Tagen ( 280 Tage), sie geben aber zu, dass sie sich oft verzählen. ( Wernich. ) Der japanische Arzt Kangawa nimmt in seinem Buche Sanrong an, dass bei Erstgebärenden der Termin der Geburt 300 Tage, bei Mehrgebärenden 275 Tage nach der Empfängniss sei . (Miyake. ) Als normale Schwangerschaftsdauer galt den talmudischen Aerzten ein Zeitraum von 271 oder 272, oder auch 273 Tagen. Doch konnte nach. dem Talmud ein Weib auch 12 Monate lang schwanger gehen. (Israels. ) Die buddhistische Legende berichtet, dass Buddha von seiner Mutter nach Verlauf von 10 Monaten geboren worden sei . Die alten Griechen hatten über das Vorkommen verspäteter Geburten. noch keine übereinstimmende Ansicht gewonnen. In dem pseudohippokratischen Werke De natura pueri wird das Vorkommen derselben bezweifelt ; allein in dem ebenfalls pseudohippokratischen Buche De Diaeta, sowie von Aristoteles und Plinius wird dasselbe für möglich gehalten. Aristoteles sagt, dass eine Schwangerschaft nach Einigen auch 11 Monate dauern könne, zieht aber diese Angabe in Zweifel; und Plinius führt einen Fall an, in welchem die Geburt angeblich erst nach 13 Schwangerschafts- Monaten erfolgte. Der Potowatomi- Häuptling Meta berichtete Keating, dass bei seinem Stamme die Schwangerschaft 8 und 9 Monate zu dauern pflege. Wenn bei den Omaha- Indianern die Frau nicht berechnen kann, wie lange sie schwanger sein wird, so bittet sie ihren Gatten oder einen alten Mann, es ihr zu sagen. Die Dauer der Schwangerschaft berechnen die eingeborenen Hebammen der Viti - Insulaner nach Blyth's Angabe auf 10 Mondmonate. 113. Die Schwangerschaftsdauer. 483 Die Hindu rechnen nach Kirtikar die Zeit der Schwangerschaft auf 261 Tage gleich neun Monaten nach der letzten Menstruation. Nach dem türkischen Gesetzbuche (Multeka ül übbür), welches die Grundlage der religiösen, politischen und sittlichen Verfassung des türkischen Reiches bildet, dauert die Schwangerschaft von 6 bis 24 Monaten. Legitim ist also das im Anfange des 7. Monats geborene Kind, und ebenso dasjenige, welches eine Frau vor Ablauf von zwei Jahren nach der Verwittwung oder Verstossung zur Welt bringt. Die türkischen Rechtsgelehrten entscheiden hier Folgendes : Wenn eine Frau, die zur zweiten Ehe schreitet, schwanger wird, ohne zuvor ihre Zurückgezogenheit erklärt zu haben, so wird ihr in den ersten 6 Monaten geborenes Kind dem ersten Manne zugeschrieben (und dieser Umstand bewirkt zugleich die Auflösung der Ehe). Wenn aber eine Frau erklärt, sie sei nicht schwanger, und wenn sie dann dennoch vor dem Ende des 11. Monats nach dem Tode des Mannes niederkommt, so wird das Kind nichtsdestoweniger als ehelich und dem Verstorbenen angehörig betrachtet. (Oppenheim.) Aus Marocco berichtet Quedenfeldt : „ Es giebt viele maurische Weiber, Geschiedene oder Wittwen, welche behaupten, dass ihnen seit Jahren ein Kind im Leibe schlafe, was allgemein geglaubt und sogar als etwas sehr Gewöhnliches angenommen wird. Bei der lockeren Moral der Wittwen und geschiedenen Frauen ist es vielen sehr angenehm, ein schlafendes Kind vorräthig zu haben ; denn gebären sie zwei oder drei Jahre nach der Trennung von ihrem Gatten wieder einmal, nun so ist es eben jenes wieder aufgewachte Kindlein. " In Bezug auf die Dauer der Schwangerschaft hat, wie Karl Schroeder sagt, die Erfahrung gezeigt. dass man etwa 270-280 Tage nach dem ersten Tage der letzten Periode den Eintritt der Geburt erwarten kann. Fürst glaubt einen Unterschied in der Schwangerschaftsdauer zwischen solchen Frauen, die zum ersten Male schwanger wurden, und solchen, die bereits mehrmals geboren hatten, feststellen zu können, und zwar ist bei den letzteren die Zeit eine längere. Er berechnet die Dauer der Gravidität bei Erstgebärenden vom Ende der letzten Menstruation auf 278 Tage, vom Tage der Empfängniss an auf 268 Tage, während bei Mehrgebärenden diese beiden Zeiträume 282 Tage beziehungsweise 271 Tage betragen haben. Bei den Süd - Slaven herrscht nach Krauss im Bauernvolke der wunderbare Glaube, dass unter gewissen Umständen das Weib in sechs Wochen ein vollkommen ausgereiftes Kind austragen kann. Vielleicht ist dieser Glaube dadurch hervorgerufen worden, dass manche junge Frau kurz nach ihrer Vermählung eines Kindes genas. Zur Erklärung des Wunders wurde die Zeit der Schwangerschaft so tief hinabgedrückt. " 31* XX. Normale und abnorme Schwangerschaft. 114. Die Lage und das Stürzen des Kindes im Mutterleibe. Durch den Mangel genauer geburtshülflicher Untersuchungen im Alterthum und Mittelalter erklärt es sich, dass man lange Zeit über die normale Lage des Kindes innerhalb der Gebärmutter im Unklaren blieb, aber höchst merkwürdig ist die Uebereinstimmung scheinbar von einander ganz unabhängiger Völker in der Vorstellung, dass das Kind während der Schwangerschaft ganz plötzlich seine Lage ändere. Erst die neuesten klinischen Beobachtungen haben über die letztere Thatsache das nöthige Licht verbreitet. Ueber die Lage der Frucht im Uterus sagt der Talmud: ,,Rabbi Simlai erklärt, dass das Kind im Mutterleibe einem zusammengerollten Buche ähnlich liege ; die Hände sind auf beiden Seiten zusammengelegt, beide Ellenbogen auf die Hüften und die Fussfersen auf die Hinterbacken gestützt, das Haupt zwischen den Knieen; der Mund ist geschlossen , aber der Nabel offen ; es geniesst dieselbe Nahrung, welche die Mutter zu sich nimmt ; Excretion findet nicht statt, weil die Mutter dadurch gefährdet würde. Mit der Geburt wird der Nabel geschlossen, der Mund geöffnet, sonst würde das Kind unmöglich leben können. " Bei Hippokrates finden wir zuerst den Satz aufgestellt, dass alle Kinder mit dem Kopfe nach oben erzeugt werden, an den Tag aber treten viele auf dem Kopfe und werden viel sicherer frei , als welche auf die Füsse geboren werden. " Als Vorbereitung zur Geburt gelten ihm die Zerreissung der Eihäute mit Umwälzung des Kindeskörpers ; er sagt : „ In den letzten Tagen der Schwangerschaft tragen die Frauen ihre Bäuche am leichtesten, weil es dem Kinde gelungen ist , sich zu wenden. " Ein Aengstigen des Kindes, so glaubt er, störe dessen selbständige Wendung. An diesem Irrthum des Hippokrates, der sich lange Zeit durch die ganze Literatur als Dogma erhielt, leidet auch Aristoteles, bei dem es heisst : „ Bei allen Thieren befindet sich gleichmässig der Kopf im Eie oben, wenn sie aber gewachsen sind, und schon auszutreten streben, bewegen sie sich abwärts. " Und in dem Buche „ De generat. animal. " sagt er : „ Der Kopf sucht deshalb bei der Geburt den Muttermund, weil ein grösserer Theil über, als unter dem Nabel liegt ; das Grössere aber mehr Gewicht hat , und daher wie das Gehänge einer Waage dahin neigt , wohin es ge- zogen wird. " Aristoteles beschreibt die Lage des Embryo beim Menschen so, dass er die Nase zwischen den Knieen, die Augen auf denselben, die Ohren aber ausser denselben hat. Anfangs liegt der Kopf aufwärts, bei weiterem Wachsthum und Drange zur Geburt gelangt der Kopf durch ein Umstürzen des Embryo nach unten, indem er durch sein Gewicht auf den Muttermund sinkt. Diese Umdrehung der Frucht nannte man später das Stürzen des Embryo oder la Culbûte. Nach Susruta erfolgt dasselbe kurz vor der Geburt. 114. Die Lage und das Stürzen des Kindes im Mutterleibe. 485 Eine bildliche Darstellung von dem Stürzen des Kindes findet sich in dem anonymen Werke des S. J. M. D.: „Von Erzeugung der Menschen und dem Kinder- Gebähren", welches, aus dem Holländischen übersetzt, im Jahre 1766 in Franckfurt am Mayn erschienen ist. Auf der in unserer Fig. 93 wiedergegebenen Tafel findet sich die Bezeichnung Stellet ein Kind dar, welches sich herum zu drehen fertig und in seinen natürlichen Stand ist. " 99 Fig. 93. Schematische Darstellung einer schwangeren Frau, deren Kind im Begriff steht, das Stürzen auszuführen. Nach einem anonymen Werke vom Jahre 1766. Wir wissen, wie sehr sich dieser Irrthum durch alle Culturvölker hinzieht. Ja selbst zu der Zeit, als man begann, Leichenöffnungen vorzunehmen, beherrschte der Lehrsatz vom Stürzen noch lange die Anschauung. Obgleich Arantius, ein Schüler Vesals und Professor in Bologna, seiner eigenen Aussage nach bei Leichenöffnungen sehr häufig den Kopf des Fötus schon in der frühesten Zeit der Schwangerschaft auf dem Muttermunde fand, so vertheidigte er doch die Ansicht vom Stürzen des Kindes auf den Kopf, verlegte aber die Zeit dieses Vorganges auf den Beginn der Geburt. Nach ihm 486 XX. Normale und abnorme Schwangerschaft. sitzt das Kind, wenn keine besonderen Störungen eintreten, bis zur Geburt auf dem Muttermunde, da der Grund des Uterus mehr Raum für den Kopf des Fötus darbiete, als der dem Mutterhalse nahe Theil der Ge- bärmutter. Diese Lage des Kindes zeigt auch noch eine von Welsch (1671) gegebene Abbildung (Fig. 94), welche bezeichnet ist : „Das Kind in seiner rechten und natürlichen Stellung, wie es im Mutterleibe lieget. " Selbst später waren die Ergebnisse der Leichenöffnungen nicht im Stande, den Glauben an den alten Lehrsatz wankend zu machen, und die Abbildungen der Kindeslagen im Mutterleibe, die wir beispielsweise in den alten deutschen Hebammenbüchern von Rösslin, Rüff u. s . w. finden, sind Erzeugnisse der Phantasie dieser Autoren und können uns höchstens ein Lächeln über die Naivetät derselben abgewinnen. Fig. 94. Darstellung der normalen Kindeslage nach Welsch. (1671.) Nach der Ansicht des in seinem Jahrhundert so hochangesehenen Mauriceau findet diese plötzliche Lageveränderung im siebenten Monate der Schwangerschaft statt, und ,, man muss in Acht nehmen, wann das Kind sein erstes Lager durch gedachten Sturzbaum verändert und dieses letzten nicht gewohnt ist, es sich manchmal dermaassen rühret und wälzet, dass die Schwangere meinet, sie müsse ihr Kind gleich haben wegen der Schmerzen, die sie dahier empfindet. " Noch weniger darf es uns überraschen, wenn wir finden, dass noch heute in Deutschland , vielleicht auch in Frankreich und England, hier und da das Volk vom Stürzen des Kindes im Mutterleibe spricht : vielfach ist in Deutschland unter dem Volke diese Sage bekannt ; so fand sie beispielsweise Flügel im Frankenwalde. Es war ja in den ältesten Hebammenbüchern der Deutschen ebenfalls vom Stürzen des Kindes die Rede, und jedenfalls trugen die alten Hebammen diese Sage in das Volk hinein. Die Gelehrten waren darüber uneinig, worin man den Grund dieser Lageveränderung des Embryo zu suchen habe, ob es sich hier um einen Instinct des Kindes, oder um rein mechanische Verhältnisse handele. Die erstere Ansicht vertrat Hippokrates, die letztere Aristoteles. Die bessere Erkenntniss kam erst nach und nach. Der Erste, welcher die Lehre bekämpfte, war Realdus Columbus, ein Schüler Vesal's. Im 12. Buche seines Werkes De re anatomica (1559) verwirft er Alles, was man über das Stürzen des Kindes ,, simiarum instar seu funambulorum et mimorum" gefabelt ; denn die Enge des Ortes dulde diesen Wechsel der 114. Die Lage und das Stürzen des Kindes im Mutterleibe. 487 Stellung nicht. Trotz dieses Einspruchs verharrte man aber noch lange in dem alten Glauben und erst später wurde derselbe ausgerottet durch Männer wie Smellie, Solayrés de Renhac und Andere. Als nun nach so langer Dauer und so allgemeiner Geltung die Lehre vom Stürzen des Kindes gestürzt worden war, wurde es unter den Geburtshelfern ganz stille über den Vorgang einer Lageveränderung des Fötus , und dies ist es wohl, was nunmehr, nachdem erst vor wenig Jahrzehnten die thatsächlichen Erscheinungen festgestellt worden sind, die grösste Verwunderung erregen muss. Wie konnte es kommen, so fragte man sich, dass so zahlreiche tüchtige Geburtshelfer in unserem Jahrhundert die Erscheinungen nicht fanden ? Warum entgingen ihnen dieselben ? Haben sie sie überhaupt nicht beobachtet? Ich meine gegenüber diesen Fragen, dass Lageänderungen doch wohl hier und da beobachtet worden sind, dass man sich jedoch nicht getraute, mit seinen Beobachtungen in die Oeffentlichkeit hervorzutreten, weil man sich gegenüber der allgemeinen Ansicht, dass es kein Stürzen, keine Lageveränderung giebt, in seinem Urtheile gefangen gab oder fürchtete, zurechtgewiesen zu werden. Unter dem Drucke eines allgemein gültigen Dogma ging es hier den besser beobachtenden Geburtshelfern hinsichtlich der Zurückhaltung bei Veröffentlichung ihrer Erfahrung gewiss ebenso, wie früher denjenigen, welche nicht wagten, gegen die Lehre vom Stürzen des Kindes Opposition zu machen. Der Erste, der durch öfter wiederholte Untersuchungen an Mehrgeschwängerten mit offenem inneren Muttermunde das Vorkommen des Wechsels der Fruchtlage constatirte, scheint Onymus gewesen zu sein. Er fand, dass unter 43 Schwangeren nur bei 27 die Fruchtlage bis zur Geburt dieselbe blieb er erklärte sowohl die normale Schädellage als auch die verschiedenen Veränderungen der Fruchtlage aus den Gesetzen der Gravitation. Seine Angaben blieben jedoch von den Verfassern der geburtshülflichen Lehrbücher fast ganz unbeachtet. Wenn Männer, wie Justus Heinrich Wigand, wie Franz Carl Nägele und Andere, deren Wirken für eine exacte Beobachtungsmethode so maassgebend war, und von denen der erstere auch die Lageveränderung des Fötus durch die sogenannte äussere Wendung lehrte, die selbständig vorkommende Lageveränderung des Kindes in ihren Werken nicht erwähnen, lässt sich allerdings annehmen, dass sie überhaupt den Vorgang niemals beobachtet haben. Die Ersten , welche in neuerer Zeit gewissermaassen das Wagniss unternahmen, sich vom Autoritäten-Glauben wiederum beziehentlich der Lageveränderungen des Fötus entschieden loszureissen, waren Paul Dubois, und in Deutschland v. Scanzoni. Allein es waren keineswegs die Resultate wiederholter Untersuchungen an Schwangeren, welche sie als Beleg für ihre Meinung anführten. Vielmehr beriefen sie sich auf den statistischen Vergleich der Früh- und der rechtzeitigen Geburten mit der relativen Zahl der Kopf-, Steiss- und Querlagen bei Frühgeburten kommt, so fand man, in den ersten Schwangerschaftsmonaten der Fötus unverhältnissmässig oft mit dem Steisse gegen den Hals des Uterus gerichtet, und die Häufigkeit dieser Lagen nimmt in eben dem Maasse ab, als sich die Schwangerschaft ihrem Ende nähert. Gleichsam entschuldigend über seine Abtrünnigkeit sagt von e. Scanzoni (1853) : „Man wird uns nun vorwerfen, dass wir gegen die Ansicht der grössten Autoritäten die Lehre vom sogenannten Stürzen (Culbûte) des Fötus zu vertheidigen suchen. Wir müssen jedoch bemerken, dass uns einestheils die von den Gegnern dieser Ansicht vorgebrachten Einwürfe nicht stichhaltig 488 XX. Normale und abnorme Schwangerschaft. und anderentheils unsere Beobachtungen im Verein mit jenen Dubois' beweiskräftig erscheinen. " Scanzoni spricht hier nur von einem Vorgange, der sich vor den letzten Schwangerschaftsmonaten ereignete, denn er sagt : „ Wir hegen die feste Ueberzeugung, dass der Fötus in den ersten Schwangerschaftsmonaten, wenn nicht häufiger, so doch gewiss ebenso oft mit dem Steissende nach abwärts gerichtet ist, als mit dem Kopfe, und dass eine vollkommene Umdrehung desselben nicht nur möglich erscheint, sondern gewiss auch in sehr vielen Fällen wirklich erfolgt. " Von einem Wechsel der Lagerung im Verlaufe der letzten Schwangerschaftsperiode sprach er damals noch nicht. Die neueren Beobachtungen haben nun unzweifelhaft bewiesen , dass ein Wechsel in der Lage des Embryo sehr häufig ist und um so leichter eintritt, je weniger weit die Schwangerschaft bereits vorgerückt ist . Auch ist derselbe bei Mehrgeschwängerten weit häufiger und selbst noch kurz vor der Geburt nicht selten, während er bei Erstgeschwängerten in den drei letzten Schwangerschaftswochen nur sehr ausnahmsweise noch vorkommt. Am häufigsten wandeln sich Querlagen und Steisslagen in Schädellagen um, nächstdem Schädellagen in Querlagen und Steisslagen, aber Steisslagen gehen sehr selten in Querlagen über und auch das Umgekehrte findet selten statt. (Schroeder.) Der Kampf der Aristoteliker und der Hippokratiker über die Ursache der Lageveränderung des Embryo ist durch die neueren Forschungen dahin entschieden worden, dass sie alle beide Recht haben. Denn einerseits begünstigt die Schwere des kindlichen Kopfes die Ausbildung der Schädellagen, andererseits aber wirkt auch der Embryo selber durch reflectorische Bewegungen hierzu mit, da er stets bemüht ist, dem Drucke der Gebärmutterwand auszuweichen. Solche Beobachtungen von Lageveränderungen des Fötus, sei es direct. an Schwangeren, sei es indirect auf Grund der Erfahrungen bei Früh- und rechtzeitigen Geburten, sind es auch gewiss gewesen, welche der Lehre vom Stürzen des Kindes eine weit grössere Ausbreitung verschafft haben, als in unserer geburtshülflichen Literatur gewöhnlich angegeben wird. Man erstaunt, wenn man findet, dass Völker, die, wie es scheint, keinen literarischen Austausch unter einander gepflogen, in ganz gleicher Weise, wie die alten und neuen Culturvölker, wenigstens in früher Zeit das Dogma von dem Stürzen aufgestellt haben. Ich will hier einige dieser Völker und ihre Ansichten in Kürze anführen. Die talmudischen Aerzte schrieben : Wenn die Zeit der Geburt gekommen ist, so wendet sich das Kind und geht heraus ; und daraus entstehen die Schmerzen der Frau. (Israel. ) Auch ein chinesischer Arzt sagt in einer geburtshülflichen Abhandlung : Das Kind drehe sich im Mutterleibe um, bevor es aus demselben zum Vorschein kommt. Nicht minder meinen die chinesischen Aerzte ähnlich wie Hippokrates, dass ein Aengstigen des Kindes die Geburt störe. Ferner steht in einer von e. Martius übersetzten chinesischen Abhandlung: ,,Sowie nun das Kind sich umgewendet und nach unten hingekehrt hat, werden auch alsbald die Geburtswehen bei der Mutter zunehmen ;" und es wird die Frage aufgeworfen : „ Wendet sich denn das Kind im Mutterleibe selbst?" worauf die Antwort erfolgt : „ Freilich wohl ! " Bei einigen Völkern scheinen die Frauen auf die Kindesbewegungen besonders und zeitig zu achten. Gegen Ende des dritten Monats, häufiger 114. Die Lage und das Stürzen des Kindes im Mutterleibe. 489 jedoch in der ersten Hälfte des vierten, da fühlt die Annamiten- Frau die Bewegungen.des Kindes. Dann kündigt sie dies sofort allen Nachbarinnen mit grösster Befriedigung an, indem sie bei jeder Bewegung des Fötus sagt : ,,er amüsirt sich, indem er sich schaukelt. " Fig. 95. Japanische Darstellung der Kindeslagen im Mutterleibe. (Nach einem japanischen Holzschnitte. ) Ebenso wie die Chinesen glauben auch die Japaner an die Umwendung des Kindes, Der geburtshülfliche Reformator in Japan , Kangawa, tritt gegen diese im Volke herrschende Anschauung auf: „Ein bedauerlicher Irrthum ist es, wenn man glaubt, dass vor der Geburt die Frucht sich umdreht ; man sieht dann nicht ein, dass die Querlage oder umgekehrte Lage von Anfang der Schwangerschaft besteht und sich mehr von selbst einrichtet ; es wird dadurch ein rechtzeitiges Handeln der Hebammen oder des Geburtshelfers verhindert. " Die nach einem japanischen Holzschnitt gefertigte Fig. 95, welche einige Lagen des Kindes im Mutterleibe veranschaulicht, lässt wohl schon die Einwirkung europäischer Lehren erkennen, jedoch sehen wir, dass nur bei einer der Frauen der Kopf des Kindes nach unten gerichtet ist. Bei vielen Völkern findet , wie wir sehen werden, während der Gravidität ein regelmässiges Kneten und Streichen des Leibes statt. Vielleicht liegt auch diesen absonderlichen Maassnahmen die Anschauung zu Grunde, SITY 490 XX. Normale und abnorme Schwangerschaft. dass das Kind im Mutterleibe in seiner Lage beeinflusst werden könne und müsse. Ob gewisse eigenthümliche Methoden der Leichenbestattung ihre Ursache, wie manche glauben, in der Auffassung haben, dass der Verstorbene der Mutter Erde zurückzugeben sei in derselben Stellung, die er im Leibe seiner Mutter eingenommen habe, das will dem Herausgeber nicht recht einleuchten. Man hat die Beisetzung der Leichen bei den Basuthos und bei den Peruanern in dieser Weise zu deuten versucht, und man müsste dann natürlich auch daraus den Schluss ziehen, dass diese Völker bereits eine deutliche Vorstellung von der Lage der Frucht in der Gebärmutter besässen. Bei den Wanjamuesi in Afrika giebt nach Reichard eine abnorme Kindslage die Veranlassung zu einer Namengebung, z. B. Kasinde, die mit den Füssen zuerst Geborene. 115. Die Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter. Bei einzelnen Völkern finden wir mehr oder weniger deutliche Spuren davon, dass ihnen das Vorkommen einer Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter bekannt geworden ist. Der altindische Arzt Susruta scheint an einer Stelle des Ayurvedas auf eine solche Schwangerschaft, wenn auch nur undeutlich, hinzuweisen : ,, Das vom Vayu beunruhigte und zum Leben gekommene Samenblut bläht den Leib auf. Dieses wird dann bisweilen durch seinen eigenen Gang in Ruhe gebracht und auf dem Wege der Speisen fortgeschafft ; bisweilen aber stirbt es ab und man nennt es dann Nagodara (Brustharnisch). In diesem Falle verfährt man wie beim todten Fötus. “ Vullers glaubt in dieser von ihm übersetzten Stelle des Ayurvedas zwei Ausgänge der Extrauterinschwangerschaft vor sich zu haben : die Auflösung der Frucht und deren stückweise Entleerung nach Aussen oder in den Mastdarm oder in die Blase ; und zweitens die Verwandlung des Fötus in eine fette, wachsähnliche, von einer knöchernen Rinde umkleidete Masse (Steinkind , Lithopädion) . Die Legende der Buddhisten sagt, dass der Knabe Buddha durch die rechte Seite oder die Achselhöhle seiner Mutter geboren worden sei. (Koeppen.) Die Rabbiner des Talmud nannten ,, Jotze Dofan" ein Kind, welches aus der Bauchseite der Mutter heraustritt. Ein Jotze Dofan kann nach ihrer Ansicht lebend geboren werden ; sie behaupteten, dass sowohl das Kind als auch die Mutter in solchem Falle mit dem Leben davon kämen. (Israel. ) Sie nannten aber auch Jotze Dofan ein durch den Schnitt (Laparotomie oder Gastrohysterotomie ?) aus dem Leibe der Mutter ge- schnittenes Kind. Bei Soranus findet sich ein Capitel, in welchem vielleicht von einer Extrauterinschwangerschaft die Rede ist : Wie erkennt man die, welche am Magen empfangen haben (Bauchschwangerschaft?) , ob sie nach Art der Pica oder nach dem vorliegenden Zustande leiden ? ( og diazoivouer σtouaziziv orreingriar etc. ) . Doch ist das Capitel so corrumpirt, dass ein bestimmter Sinn nicht herauszufinden ist. (Ermerins. ) Der altarabische Arzt Abulkasem führt in einem Capitel „ de extractione foetus mortui" die Beobachtung einer Extrauterinschwangerschaft 116. Falsche Schwangerschaften. 491 auf, wo er durch einen in der Nabelgegend der Mutter sich öffnenden Abscess Knochen des Fötus entfernte . Unsere Kenntniss von der Extrauterinschwangerschaft und ihren verschiedenen Formen hat in dem letzten Jahrzehnt durch die immensen Vervollkommnungen der operativen Chirurgie sehr erhebliche Fortschritte gemacht, und viele Frauen sind gerettet worden, welche sonst an diesen durchaus nicht seltenen Processen in elender Weise zu Grunde gegangen wären. 116. Falsche Schwangerschaften. Wir können unsere Besprechung der anatomischen Verhältnisse der Schwangerschaft nicht abschliessen, ohne noch mit wenigen Worten gewisser krankhafter Zustände zu gedenken, welche im Stande sind, für Andere oder sogar auch für die von ihnen betroffene Frau selber die irrthümliche Vermuthung wach zu rufen, dass eine Schwangerschaft vorhanden sei. Es gehören hierher in erster Linie gewisse Arten von Geschwülsten des Unterleibes, Blasenwürmer der Leber und des grossen Netzes und namentlich aber Cysten- Bildungen der Eierstöcke, die sogenannte Eierstockswassersucht. Da dieselben gar nicht selten unverheirathete und oft sogar noch recht jugendliche Individuen befallen, und da diesen ihr allmählich dicker und dicker werdender Leib, wenn sie bekleidet sind, das unbestreitbare Aussehen einer Schwangeren giebt, so haben die armen Mädchen ausser unter ihrer Krankheit gar häufig auch noch unter mancher spöttischen und unliebsamen Bemerkung zu leiden. Die höheren Grade dieser unglücklichen Affection lassen den Bauch zu ganz unglaublichen Dimensionen sich ausdehnen (Fig. 96) , und nicht mit Unrecht hat man gesagt, dass schliesslich der gesammte Körper wie ein Anhängsel des Bauches erscheine. Gewisse Formen der freien Bauchwassersucht, welche den Leib ebenfalls ähnlich wie in der Schwangerschaft auszudehnen vermögen, werden. dennoch selten zu Verwechselungen Veranlassung geben, weil sie fast ausschliesslich bei älteren Personen sich finden, deren allgemeine Erscheinung Fig. 96. Siamesin mit Eierstockswassersucht. keinerlei Zweifel über die Schwere ihres Leidens aufkommen lässt. (Nach Photographie. ) Eine Affection, welche nicht nur die Umgebung der Frau, sondern auch diese selbst irre zu führen vermag, ist zum Glück nicht sehr häufig ; sie hat aber nichtsdestoweniger in den früheren Jahrhunderten eine ganz hervorragende Rolle gespielt. Es ist das die ,,falsche Schwängerung" , welche zu der Entstehung der Mondkälber führt. Der Name Mondkalb, auch 490 XX. Normale und abnorme Schwangerschaft. dass das Kind im Mutterleibe in seiner Lage beeinflusst werden könne und müsse. Ob gewisse eigenthümliche Methoden der Leichenbestattung ihre Ursache, wie manche glauben, in der Auffassung haben, dass der Verstorbene der Mutter Erde zurückzugeben sei in derselben Stellung, die er im Leibe seiner Mutter eingenommen habe, das will dem Herausgeber nicht recht einleuchten. Man hat die Beisetzung der Leichen bei den Basuthos und bei den Peruanern in dieser Weise zu deuten versucht, und man müsste dann natürlich auch daraus den Schluss ziehen , dass diese Völker bereits eine deutliche Vorstellung von der Lage der Frucht in der Gebärmutter besässen . Bei den Wanjamuesi in Afrika giebt nach Reichard eine abnorme Kindslage die Veranlassung zu einer Namengebung, z. B. Kasinde, die mit den Füssen zuerst Geborene. 115. Die Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter. Bei einzelnen Völkern finden wir mehr oder weniger deutliche Spuren davon, dass ihnen das Vorkommen einer Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter bekannt geworden ist. Der altindische Arzt Susruta scheint an einer Stelle des Ayurvedas auf eine solche Schwangerschaft, wenn auch nur undeutlich, hinzuweisen : ,,Das vom Vayu beunruhigte und zum Leben gekommene Samenblut bläht den Leib auf. Dieses wird dann bisweilen durch seinen eigenen Gang in Ruhe gebracht und auf dem Wege der Speisen fortgeschafft ; bisweilen aber stirbt es ab und man nennt es dann Nagodara (Brustharnisch). In diesem Falle verfährt man wie beim todten Fötus. " Vullers glaubt in dieser von ihm übersetzten Stelle des Ayurvedas zwei Ausgänge der Extrauterinschwangerschaft vor sich zu haben : die Auflösung der Frucht und deren stückweise Entleerung nach Aussen oder in den Mastdarm oder in die Blase; und zweitens die Verwandlung des Fötus in eine fette, wachsähnliche, von einer knöchernen Rinde umkleidete Masse (Steinkind, Lithopädion) . Die Legende der Buddhisten sagt, dass der Knabe Buddha durch die rechte Seite oder die Achselhöhle seiner Mutter geboren worden sei. (Koeppen.) Die Rabbiner des Talmud nannten ,,Jotze Dofan" ein Kind, welches aus der Bauchseite der Mutter heraustritt. Ein Jotze Dofan kann nach ihrer Ansicht lebend geboren werden ; sie behaupteten, dass sowohl das Kind als auch die Mutter in solchem Falle mit dem Leben davon kämen. (Israel. ) Sie nannten aber auch Jotze Dofan ein durch den Schnitt (Laparotomie oder Gastrohysterotomie ?) aus dem Leibe der Mutter ge- schnittenes Kind. Bei Soranus findet sich ein Capitel, in welchem vielleicht von einer Extrauterinschwangerschaft die Rede ist : Wie erkennt man die, welche am Magen empfangen haben (Bauchschwangerschaft?) , ob sie nach Art der Pica oder nach dem vorliegenden Zustande leiden ? (as dicczoivouer Grouazizi v orreingriar etc. ). Doch ist das Capitel so corrumpirt, dass ein bestimmter Sinn nicht herauszufinden ist. (Ermerins.) Der altarabische Arzt Abulkasem führt in einem Capitel de extractione foetus mortui" die Beobachtung einer Extrauterinschwangerschaft 116. Falsche Schwangerschaften. 491 auf, wo er durch einen in der Nabelgegend der Mutter sich öffnenden Abscess Knochen des Fötus entfernte . Unsere Kenntniss von der Extrauterinschwangerschaft und ihren verschiedenen Formen hat in dem letzten Jahrzehnt durch die immensen Vervollkommnungen der operativen Chirurgie sehr erhebliche Fortschritte gemacht, und viele Frauen sind gerettet worden, welche sonst an diesen durchaus nicht seltenen Processen in elender Weise zu Grunde gegangen wären. 116. Falsche Schwangerschaften. Wir können unsere Besprechung der anatomischen Verhältnisse der Schwangerschaft nicht abschliessen, ohne noch mit wenigen Worten gewisser krankhafter Zustände zu gedenken, welche im Stande sind, für Andere oder sogar auch für die von ihnen betroffene Frau selber die irrthümliche Vermuthung wach zu rufen, dass eine Schwangerschaft vorhanden sei. Es gehören hierher in erster Linie gewisse Arten von Geschwülsten des Unterleibes, Blasenwürmer der Leber und des grossen Netzes und namentlich aber Cysten- Bildungen der Eierstöcke, die sogenannte Eierstockswassersucht. Da dieselben gar nicht selten unverheirathete und oft sogar noch recht jugendliche Individuen befallen, und da diesen ihr allmählich dicker und dicker werdender Leib, wenn sie bekleidet sind, das unbestreitbare Aussehen einer Schwangeren giebt, so haben die armen Mädchen ausser unter ihrer Krankheit gar häufig auch noch unter mancher spöttischen und unliebsamen Bemerkung zu leiden. Die höheren Grade dieser unglücklichen Affection lassen den Bauch zu ganz unglaublichen Dimensionen sich ausdehnen (Fig. 96), und nicht mit Unrecht hat man gesagt, dass schliesslich der gesammte Körper wie ein Anhängsel des Bauches erscheine. Gewisse Formen der freien Bauchwassersucht, welche den Leib ebenfalls ähnlich wie in der Schwangerschaft auszudehnen vermögen, werden dennoch selten zu Verwechselungen Veranlassung geben, weil sie fast ausschliesslich bei älteren Personen sich finden, deren allgemeine Erscheinung Fig. 96. Siamesin mit Eierstockswassersucht. keinerlei Zweifel über die Schwere ihres Leidens aufkommen lässt. (Nach Photographie. ) Eine Affection, welche nicht nur die Umgebung der Frau, sondern auch. diese selbst irre zu führen vermag, ist zum Glück nicht sehr häufig ; sie hat aber nichtsdestoweniger in den früheren Jahrhunderten eine ganz hervorragende Rolle gespielt. Es ist das die ,,falsche Schwängerung" , welche zu der Entstehung der Mondkälber führt. Der Name Mondkalb, auch 490 XX. Normale und abnorme Schwangerschaft. dass das Kind im Mutterleibe in seiner Lage beeinflusst werden könne und müsse. Ob gewisse eigenthümliche Methoden der Leichenbestattung ihre Ursache. wie manche glauben, in der Auffassung haben, dass der Verstorbene der Mutter Erde zurückzugeben sei in derselben Stellung, die er im Leibe seiner Mutter eingenommen habe, das will dem Herausgeber nicht recht einleuchten. Man hat die Beisetzung der Leichen bei den Basuthos und bei den Peruanern in dieser Weise zu deuten versucht, und man müsste dann natürlich auch daraus den Schluss ziehen, dass diese Völker bereits eine deutliche Vorstellung von der Lage der Frucht in der Gebärmutter besässen . Bei den Wanjamuesi in Afrika giebt nach Reichard eine abnorme Kindslage die Veranlassung zu einer Namengebung, z. B. Kasinde, die mit den Füssen zuerst Geborene. 115. Die Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter. Bei einzelnen Völkern finden wir mehr oder weniger deutliche Spuren davon, dass ihnen das Vorkommen einer Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter bekannt geworden ist. Der altindische Arzt Susruta scheint an einer Stelle des Ayurvedas auf eine solche Schwangerschaft, wenn auch nur undeutlich, hinzuweisen : ,, Das vom Vayu beunruhigte und zum Leben gekommene Samenblut bläht den Leib auf. Dieses wird dann bisweilen durch seinen eigenen Gang in Ruhe gebracht und auf dem Wege der Speisen fortgeschafft ; bisweilen aber stirbt es ab und man nennt es dann Nagodara (Brustharnisch) . In diesem Falle verfährt man wie beim todten Fötus. ” Vullers glaubt in dieser von ihm übersetzten Stelle des Ayurvedas zwei Ausgänge der Extrauterinschwangerschaft vor sich zu haben : die Auflösung der Frucht und deren stückweise Entleerung nach Aussen oder in den Mastdarm oder in die Blase ; und zweitens die Verwandlung des Fötus in eine fette, wachsähnliche, von einer knöchernen Rinde umkleidete Masse ( Steinkind , Lithopädion). Die Legende der Buddhisten sagt, dass der Knabe Buddha durch die rechte Seite oder die Achselhöhle seiner Mutter geboren worden sei. (Koeppen.) Die Rabbiner des Talmud nannten Jotze Dofan" ein Kind, welches aus der Bauchseite der Mutter heraustritt. Ein Jotze Dofan kann nach ihrer Ansicht lebend geboren werden ; sie behaupteten, dass sowohl das Kind als auch die Mutter in solchem Falle mit dem Leben davon kämen. (Israel. ) Sie nannten aber auch Jotze Dofan ein durch den Schnitt (Laparotomie oder Gastrohysterotomie ?) aus dem Leibe der Mutter ge- schnittenes Kind. Bei Soranus findet sich ein Capitel, in welchem vielleicht von einer Extrauterinschwangerschaft die Rede ist : Wie erkennt man die, welche am Magen empfangen haben ( Bauchschwangerschaft ?) , ob sie nach Art der Pica oder nach dem vorliegenden Zustande leiden ? (πώς διακρίνομεν στομαχικὴν avveinguiar etc. ) . Doch ist das Capitel so corrumpirt, dass ein bestimmter Sinn nicht herauszufinden ist. (Ermerins.) Der altarabische Arzt Abulkasem führt in einem Capitel „ de extractione foetus mortui" die Beobachtung einer Extrauterinschwangerschaft 116. Falsche Schwangerschaften. 491 auf, wo er durch einen in der Nabelgegend der Mutter sich öffnenden Abscess Knochen des Fötus entfernte. Unsere Kenntniss von der Extrauterinschwangerschaft und ihren verschiedenen Formen hat in dem letzten Jahrzehnt durch die immensen Vervollkommnungen der operativen Chirurgie sehr erhebliche Fortschritte gemacht, und viele Frauen sind gerettet worden, welche sonst an diesen durchaus nicht seltenen Processen in elender Weise zu Grunde gegangen wären. 116. Falsche Schwangerschaften. Wir können unsere Besprechung der anatomischen Verhältnisse der Schwangerschaft nicht abschliessen, ohne noch mit wenigen Worten gewisser krankhafter Zustände zu gedenken, welche im Stande sind, für Andere oder sogar auch für die von ihnen betroffene Frau selber die irrthümliche Vermuthung wach zu rufen, dass eine Schwangerschaft vorhanden sei. Es gehören hierher in erster Linie gewisse Arten von Geschwülsten des Unterleibes, Blasenwürmer der Leber und des grossen Netzes und namentlich aber Cysten- Bildungen der Eierstöcke, die sogenannte Eierstockswassersucht. Da dieselben gar nicht selten unverheirathete und oft sogar noch recht jugendliche Individuen befallen, und da diesen ihr allmählich dicker und dicker werdender Leib, wenn sie bekleidet sind, das unbestreitbare Aussehen einer Schwangeren giebt, so haben die armen Mädchen ausser unter ihrer Krankheit gar häufig auch noch unter mancher spöttischen und unliebsamen Bemerkung zu leiden. Die höheren Grade dieser unglücklichen Affection lassen den Bauch zu ganz unglaublichen Dimensionen sich ausdehnen (Fig. 96) , und nicht mit Unrecht hat man gesagt, dass schliesslich der gesammte Körper wie ein Anhängsel des Bauches erscheine. Gewisse Formen der freien Bauchwassersucht, welche den Leib ebenfalls ähnlich wie in der Schwangerschaft auszudehnen vermögen, werden dennoch selten zu Verwechselungen Veranlassung geben, weil sie fast ausschliesslich bei älteren Personen sich finden, deren allgemeine Erscheinung Fig. 96. Siamesin mit Eierstock swassersucht. keinerlei Zweifel über die Schwere ihres Leidens aufkommen lässt. (Nach Photographie. ) Eine Affection, welche nicht nur die Umgebung der Frau, sondern auch diese selbst irre zu führen vermag, ist zum Glück nicht sehr häufig ; sie hat aber nichtsdestoweniger in den früheren Jahrhunderten eine ganz hervorragende Rolle gespielt. Es ist das die ,,falsche Schwängerung" , welche zu der Entstehung der Mondkälber führt. Der Name Mondkalb, auch 492 XX. Normale und abnorme Schwangerschaft. Mondkind, ungestaltes Fleisch, böse Bürde genannt, stammt daher, dass man sich einbildete, dass der Mond eine ganz directe Einwirkung auf die Entstehung dieser Dinge habe. Im Lateinischen heissen sie Mola , was angeblich von der durch sie verursachten Beschwerde (moles) herkommen soll . Man hat hier zweierlei Zustände zusammengeworfen, einerseits wahre Monstrositäten, die zu der Gruppe der kopflosen Missgeburten gehören, und andererseits krankhaft entartete Eier, welche auch als sogenannte Fleischmolen beschrieben worden sind . Die in dem Uterus festgewachsenen Mondkälber, von denen bei einigen Schriftstellern die Rede ist, sind besonders grosse, breit aufsitzende Gebärmutter-Polypen gewesen. Bei Mauriceau heisst es : „ Ein Mondkalb aber ist nichts anderes, als ein Fleisch-Klumpen ohne Bein, ohne Gelenk und ohne Unterschied der Gliedmaassen. Das hat keine Gestalt, noch ordentliche und ausgemachte Bildnus, und wird wider die Natur, in der Beer- Mutter, nach dem Beischlaff von des Manns und Weibs verdorbenen Samen gezeuget. Jedoch giebt es je zu Zeiten einige, die einen Anfang einer entworffenen Gestalt haben . Gewiss ist, dass die Weiber diese Gewächse nicht zeugen, sie haben denn beygeschlaffen, und werden so wol beede Samen dazu erfordert, als zu einer rechten Zeugung. Die Mondkälber erzeugen sich gemeiniglich, wann einer von den Samen sowol der von dem Mann, als der von dem Weib, oder alle beede zugleich schwach und verdorben sind , da die Beer- Mutter sich nicht bemühet, um eine wahre Zeugung , als vermittelst der Geister, deren die Samen aller voll seyn müssen, aber um so viel desto leichter, je mehr das wenige, das sich da befindet, ausgeloschen, und gleichsam ersteckt und ertränkt ist von der Menge grobes verdorbenen Monat - Bluts , das da manchmal , bald nach der Empfängnus zufleust, und der Natur nicht der Weil läst, dasjenige, so sie mit grosser Mühe hat angefangen, auszumachen, und indem sie also ihr Werck, dasselbe alles durch einander und in eine Unordnung werffend, verwirret, so wird aus dem Samen und diesem Geblüt ein rechter ungeschaffener Klumpen, das wir ein Mondkalb nennen, und sich ge- meiniglich anderswo nicht erzeuget , als nur in der Frauen ihrer Beer- Mutter, und sich nimmermehr oder doch gar selten , in allen andern Thiere Beer- Mutter, weil diese keine Monat- Zeit haben, wie jene finden lässet . " Die Anzeichen, woran die Schwangerschaft mit einem solchen Mondkalbe zu erkennen sei, die Unterschiede, welche seine Bewegungen von denen eines wirklichen Fötus darbieten, die medicamentösen und die operativen Mittel, welche nothwendig sind , um die Frau von dieser Mola zu befreien, finden in den älteren geburtshülflichen Werken ihre ausführliche Erörterung ; wir können sie aber an dieser Stelle mit Stillschweigen übergehen. Noch eine dritte Gattung der scheinbaren Schwangerschaft müssen wir aber einer kurzen Betrachtung unterziehen. Sie ist es, welche dem Volksmunde zu dem Spottverse die Veranlassung gegeben hat : . Und wenn sie denkt, sie hat ein Kind, Dann hat sie den ganzen Bauch voll Wind. " Ein allgemein anerkannter deutscher Name existirt für diesen Zustand nicht ; die Franzosen nennen ihn grossesse nerveuse, die Engländer mit weniger treffender Bezeichnung spurious pregnancy. Es handelt sich hierbei um die volle, aber irrige Ueberzeugung von Seiten der Frau, dass sie schwanger sei , und sie empfindet nach und nach wirklich alle subjectiven Erscheinungen der Gravidität . Von diesen Zuständen sagt Schroeder : ,,Dieselben kommen ebenso häufig vor bald nach der Heirath, als im Beginn des klimakterischen Alters, am häufigsten, aber doch nicht ausschliesslich, bei verheiratheten Frauen, besonders solchen, die sich dringend Kinder wünschen. Dabei schwillt das Ab- 116. Falsche Schwangerschaften. 493 domen in Folge von Tympanitis und Fettablagerung in den Bauchdecken und im Netz oft zu einer beträchtlichen Ausdehnung an, Linea alba und Warzenhof färben sich bräunlich, die Brustdrüsen schwellen stark an und entleeren Colostrum. Ausserdem glauben die Frauen deutliche, mitunter sogar häufige und lästige Fruchtbewegungen zu spüren ; ja am berechneten Ende der Schwangerschaft legen sie sich wohl ins Bett und klagen über heftige Wehen. " Wenn nun auch Schroeder sich dahin äussert, dass diese Fälle mehr ,,psychologisch interessant als diagnostisch schwierig" sind, so giebt er doch. selber zu, dass nicht selten die sichere Entscheidung nur in der Chloroformnarkose getroffen werden kann, und die Erfahrung hat gelehrt, dass hier bisweilen sogar berühmte Geburtshelfer sich haben irreführen lassen. Was für deprimirende Empfindungen, wieviel getäuschte Hoffnungen mit der Erkenntniss dieser Grossesse nerveuse für die arme Frau und ihre Umgebung verbunden sind, das bedarf wohl keiner weiteren Auseinandersetzung. Wenn übrigens die Frauen die Ueberzeugung erlangt haben, dass sie nicht schwanger waren, dann verschwinden alle die vorher beschriebenen Symptome der Schwangerschaft sehr schnell, ohne ein weiteres Zuthun des Arztes. XXI. Das sociale Verhalten während der Schwangerschaft. 117. Ceremonien und religiöse Gebräuche bei dem Eintreten der Schwangerschaft. Der Eintritt der Schwangerschaft giebt nicht wenigen Nationen die Veranlassung, der Gottheit in religiösen Gefühlen den Dank zu sagen und durch eine besondere Weihung die in gesegneten Umständen befindliche Frau sowie das keimende junge Leben dem ferneren Schutze der Gottheit zu empfehlen. In diesem Gebahren tritt schon, wie man zugeben wird, ein ziemlicher Grad von Gesittung zu Tage. Bei den alten Mexikanern wurde der Eintritt der Schwangerschaft bei der Neuvermählten mit einem Feste gefeiert, und die dabei üblichen Reden warnten sie, das ihr bevorstehende Glück ihrem eigenen Verdienste zuzuschreiben und sich nicht zum Stolze hinreissen zu lassen, denn nur Gottes Gnade sei es, der sie es zu verdanken habe. Bei einem späteren Feste wurde ihr unter ähnlichen Reden eine Hebamme bestellt, von der sie gebadet wurde und mancherlei Rathschläge erhielt. (Waitz. ) Auch bei den alten Juden wurde während der Schwangerschaft für das Kind gebetet, und es waren von Talmudisten für die verschiedenen Perioden der Schwangerschaft besondere Gebetformeln vorgeschrieben . Eine Stelle im Talmud Becharoth fol. 60 a lautet : Diebus tribus prioribus homo misericordiam imploret, ne foetidum fiat semen ; a tribus (diebus inde) usque ad quadraginta invocet misericordiam, ut sit mas ; a quadragesimo die inde usque ad tres menses misericordiam invocet, ne fiat Sandalus ; a tribus mensibus inde usque ad sex menses misericordiam imploret , ne fiat abortus ; a sex mensibus usque ad novem imploret misericordiam, ut exeat in pace ! (Israels . ) Die Griechinnen feierten zu Ehren der Genetyllis (Aphrodite) Feste. um eine günstige Geburt zu erbitten. Vielleicht aus sehr früher Zeit AltGriechenlands , wo wahrscheinlich von Schwangeren der Beistand der Götter unter gewissen Formeln erfleht wurde, stammt ein noch jetzt in Neu-Griechenland beobachteter, wenn auch seltener werdender Brauch: in der Nähe von Athen. am nördlichen Abhang des sogenannten Nymphenhügels , bei der hochalten Inschrift oog Jós, rutschten die Schwangeren, um das Gebären zu erleichtern, an einer durch vielen Gebrauch bereits geglätteten Stelle den Berg hinunter. Auch existirt daselbst die Gewohnheit, am Ende der Schwangerschaft einen Hahn zu schlachten . Manche wollen, vielleicht fälschlich, diese Sitte mit dem Hahnopfer in Beziehung bringen, das die Alt- Griechen dem Aeskulap darbrachten. (Wachsmuth. ) 117. Ceremonien und religiöse Gebräuche bei dem Eintreten der Schwangerschaft. 495 Der Göttin Postversa oder Presa opferte die Römerin , um eine günstige Kindeslage zu erzielen. Wenn in Ostindien zu Madras eine Frau ihrem Manne zum ersten Male Hoffnung giebt, Vater zu werden, so stellt er ein Freudenfest an , und im siebenten Monat opfert die ganze Familie den Göttern ; dies berichtete schon im Jahre 1788 Best. In den ersten Monaten wird mit der NayerFrau eine Ceremonie vorgenommen, die man oft auch bis zum 5. oder 7. Monat aufschiebt, weil man über die Thatsache der Schwangerschaft nicht sicher ist ; am anderen Morgen nach dieser Ceremonie trinkt sie einen Aufguss von Tamarinden . Ist bei den Badagas (einem indischen Volke im Nilgiri- Gebiet) eine Frau im 7. Monat schwanger, so findet eine zweite Heirath als Confirmation der ersten statt : Verwandte und Freunde versammeln sich ; die Gäste sitzen an der einen Wand, die Gatten an der anderen. Der Ehemann fragt seinen Schwiegervater : Soll ich diese Schnur um den Hals Eurer Tochter legen ? Wird diese Frage bejaht, so wird die Schnur umgebunden und nach wenigen Minuten wieder abgenommen. Vor dem Paare stehen zwei Schüsseln, in welche die Verwandten Geldstücke für das Ehepaar legen ; alsdann findet ein Schmaus statt. (Jagor.) - Die lamaische Kirche (Tibet, Mongolei etc. ) erlaubt, dass wenn dafür bezahlt wird Gebete für die glückliche Entbindung der Schwangeren gehalten werden. (Koeppen.) In Japan sind zahlreiche Ceremonien in der Schwangerschaft bei der Anlegung der Leibbinde üblich ; sie wurden im vorigen Jahrhundert von Kangawa in seinem Werke San-ron geschildert. Allein Miyake, der uns mit dem Inhalte des Werkes im Allgemeinen bekannt macht, unterlässt es, von diesen Ceremonien besonders zu sprechen, da sie in den Palästen der Shiogune und Daimios sehr verschieden sind nach Zeit und Ort. In Japan verschlucken Schwangere kurz vor der Entbindung ein Stückchen Papier, auf welchem der Schutzpatron der Gebärenden abgebildet ist, in der Hoffnung, so einer leichteren Entbindung entgegenzugehen; Andere trinken in dieser Absicht ein Decoct aus ungeborenen Hirschkälbern, die getrocknet, zerstossen und dann gekocht werden. Sobald eine Eingeborene auf Java sich im dritten Monate der Gravidität befindet, wird dies allen Verwandten und Freunden gemeldet und es werden verschiedene Geschenke dargebracht. (Norara.) Dann werden auch im siebenten Monate alle Verwandten zu einem Festmahle geladen. Die Frau badet sich darauf in der Milch einer unreifen Kokosnuss, welche der Ehemann geöffnet haben muss. Vorher werden auf der Schale derselben zwei schöne Figuren, eine männliche und eine weibliche, eingegraben, damit. die Schwangere dieselben betrachte und ein schönes Kind zur Welt bringe. Sie zieht nun ein neues Kleid an und verschenkt das alte an eine ihrer Mitfrauen , welche ihr bei diesen Vorrichtungen behülflich gewesen ist. Am Abend wird den Gästen ein Schattenspiel, Wayangspeel, gegeben , welches das Leben und die Abenteuer eines alten Helden zum Gegenstande hat. (Raffles.) Von der Ceremonie des Seildrehens der Alfuren auf Celebes ist schon in einem früheren Abschnitte die Rede gewesen. Fühlt sich auf den (malayischen) Seranglao und GorongInseln eine Frau schwanger, dann muss sie ein Stück Gember zum Priester bringen, um durch ihn geweiht zu werden. Der Priester thut dieses , indem er sie dreimal anbläst und die 112. Sure aus dem Koran betet. Den Gember bewahrt die Frau dauernd bei sich , um böse Einflüsse abzuhalten . 496 XXI. Das sociale Verhalten während der Schwangerschaft. Auch kaut sie Stückchen davon, um diese von sich zu speien. Auf Tanembar und Timorlao muss die Frau, wenn sie sich schwanger fühlt, ein Opfer bringen und sich, wenn das nicht schon bei der Verheirathung geschehen ist, die Zähne abfeilen lassen. Thut sie das nicht, dann wird sie verachtet als eine, die die mores majorum beschimpft. Auf den Inseln Romang, Dama , Teun, Nila und Serua muss die Schwangere, sowie sie ihre Gravidität bemerkt, ein Huhn schlachten und davon den Kopf, ein Stück von der Zunge und die Leber an dem gewöhnlichen Opferplatze dem Upulero opfern . Alle Monat muss sie dieses Opfer wiederholen. Auf den Keei - Inseln setzt man, wenn die ersten Anzeichen der Schwangerschaft sich bemerklich machen, die Blutsverwandten davon in Kenntniss, besondere Feste werden aber nicht gefeiert. (Riedel¹.) Tritt auf der Insel Rote die Frau in den 7. Monat der Schwangerschaft ein, so bringt nach Graafland der Mann ein Opfer dar, welches aus einem rothen Hahn, einem Büschel Pisang, sieben Sirihfrüchten, einem Teller rohen Reis und einer Kokosnussschale mit einem Zweige des Tuakbaumes besteht. Dies Opfer gilt dem Geiste Tefamuli oder Kekelateik, um ihn zu bestimmen, dass er der Frau zu einer glücklichen Niederkunft verhilft. Auf den Gilbert - Inseln lassen nach Parkinson schwangere Frauen ihr sonst kahl abgeschorenes Kopfhaar wachsen und schneiden es erst wieder ab, wenn ihr Kind circa ein Jahr alt ist. Auch sonst haben sie, wie derselbe Autor berichtet, allerhand bemerkenswerthe Gebräuche : Bei der ersten Schwangerschaft wird schon am Ende des 2. Monats eine alte Frau gerufen, die später Hebammendienste verrichten soll . Diese lässt von den Hülsen von ungefähr 50 Kokosnüssen eine Pyramide errichten, in deren Spitze das Herzblatt einer Kokospalme eingesteckt wird. Die junge Frau setzt sich auf eine Matte daneben. Die Alte nimmt von einem hierzu besonders bereiteten Brode aus geschabten Taroknollen und Kokosnusskern ein ungefähr einen Fuss langes, 2 Zoll breites und 1 Zoll dickes Stück, rollt es zwischen den Händen und berührt damit die junge Frau an verschiedenen Stellen des Körpers. Dabei murmelt sie ein Gebet an die Göttin der Schwangeren, Eibong, dass sie das Kind schön und wohlgestaltet mache, dass es, wenn es ein Knabe wird, später die Liebe und Zuneigung der jungen Mädchen gewinnen möge, und wenn es ein Mädchen wird, dass es eines reichen Mannes oder tapferen Kriegers Liebe erringe. Dann bricht sie ein Stück von dem Gebäck ab, reicht es der jungen Frau zum Essen, und den Rest verzehrt der Ehemann. Bis zum Morgen des vierten Tages schläft die Alte mit der Schwangeren jede Nacht neben der Kokoshülsenpyramide. Jetzt melden sich Adoptiveltern für das Kind, da es Sitte ist, dasselbe nach beendeter Säugezeit anderen Eltern zu übergeben. Am Ende des dritten Monats begiebt sich das Paar mit der Alten und allen Verwandten an einen unbewohnten Ort. Speisen und Getränke werden unter einen Baum gestellt, welchen der Adoptivvater des Maunes der Schwangeren mit dieser dreimal umgeht; darauf nehmen Beide unter demselben Platz und werden von der alten Frau mit den besten Speisen versorgt. Dann folgt ein allgemeines Gelage mit Tanz und Gesang. Am Schluss des vierten Monats geht die Alte mit der Schwangeren. und dem Adoptivvater von deren Mann zu einem Kreuzwege. Hier wird der jungen Frau ihre Bekleidung abgenommen und verbrannt. Der Schwiegervater hat jedoch eine neue Bekleidung mitgebracht, die von der alten Frau um die Hüften der jungen befestigt wird. Dabei wird ihr gesagt, dass sie von nun an zu den alten Frauen gerechnet wird, dass sie mit dem alten Kleid auch ihre Kindheit abgelegt hat und von nun an nur daran zu denken hat , wie sie ihrem Manne sich angenehm zeigen kann und dass sie vor allen Dingen demselben treu bleiben muss. Dann gehen sie nach Hause, wo die Verwandtschaft sie schon zu einem Gelage erwartet. Auch in Afrika kommen bei manchen Völkerschaften charakteristische Gebräuche vor : Hat bei den Masai in Ost - Afrika die Frau empfangen, 118. Die Abwehr böser Geister und Dämonen während der Schwangerschaft. 497 so holt der Mann einen grossen Topf Honig herbei, mischt andere Dinge hinzu und rührt es um, bis die Masse ganz dünn ist ; dann ruft er die Häuptlinge zusammen. Mann und Weib setzen sich nieder, die Häuptlinge nehmen etwas von dem Honig und spucken es über sie aus , indem sie zum Besten der Eltern und des zu erwartenden Kindes ein Gebet sprechen. Dann bält jeder seine Rede, worauf der übrige Honig getrunken wird , eine Art Fest, ähnlich dem Pombe- Trinken der Negerstämme. (Last. ) Religion und Aberglaube vermischen sich in manchen Gegenden. recht innig : In Oesterreich ob der Ens kommt man am Falkenstein zu einer Kapelle, in der sich der heilige Wolfgang angeblich verborgen hielt ; hier befindet sich ein Stein, durch welchen Schwangere kriechen , um glücklich entbunden zu werden. (Panzer. ) Dies is ein Brauch, der an das Rutschen der Schwangeren in Griechenland vom Nymphenhügel herab erinnert. In Schwaben wallfahrten die Schwangeren zur heil. Margarethe mit dem Drachen (z. B. nach Maria Schrei bei Pfullendorf), oder zum heil. Christophorus (z. B. nach Laiz bei Sigmaringen), oder zu St. Rochus, in dessen Kapellen geweihte eiserne Kröten hängen als Symbole der Gebärmutter. (Buck. ) Die nordischen Völker in Irland und Skandinavien feierten bis vor Kurzem noch in der Johannisnacht das Baalsfest, oder, wie es in Norwegen heisst : ,, Baldersfest", indem sie in der Mittsommernacht auf den Anhöhen ein Feuer anzündeten und um dasselbe rings herum tanzten. Hierbei lief man denn durch das Feuer, wenn man einen besonderen Wunsch hegte; schwangere Frauen sah man hindurch gehen, um eine glückliche Niederkunft zu erlangen. (Wild. Nilson . ) 118. Die Abwehr böser Geister und Dämonen während der Schwangerschaft. Der Glaube an die Macht der Dämonen tritt bei den meisten Naturvölkern in den verschiedensten Formen auf und hat sich auch bei den civilisirten Nationen unter den minder gebildeten Klassen in der Form des Aberglaubens bis in unsere Tage gehalten . Die Gefahr und Noth, die Furcht erzeugt und erhält diesen Glauben ; denn alles Schlimme, welches dem Menschen widerfährt, alle Krankheit und alles Ungemach sind Schickungen der Dämonen. Daher gilt es in Krankheitsfällen , überhaupt bei allen abnormen Erscheinungen , die bösen Dämonen zu bannen oder zu beschwichtigen. Die zu solcher Versöhnung angewendeten Mittel sind sehr mannigfaltig. Psychologisch lässt sich diese Erscheinung recht gut durch eine Darstellung Lippert's erklären : ,, Dass die Menschheit gerade in dieser Weise positiv dem Einflusse unversöhnter Geister alles Unglück auf Erden zuschreiben musste, ist durch die Art , wie sie zu ihren Religionsvorstellungen gelangte, bedingt. Das Negative der Erscheinung erklärt sich durch die unzureichende Erkenntniss, ja das völlige Verkennen der Gesetze der Natur sowohl, wie der des socialen Lebens. Die Erforschung der Natur war Sache Weniger, und diese hatten mit einer einzigen Ausnahme nach Methode und Gegenstand die populäre dämonistische Anschauungsweise zum Ausgang genommen ; ein populäres Wissen über die Natur gab es gar nicht. Das Leben des Menschen aber im Zusammenhange aller Handlungen und in seinen Gesetzen zu erkennen , dazu standen die Mittel in einem zu schlechten Verhältnisse zum Umfange des menschlichen Gesichtskreises. " Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 32 498 XXI. Das sociale Verhalten während der Schwangerschaft. Wie verschiedenartig nun auch die Phantasiegebilde sind, welche in dem Volksgeiste bei den verschiedenen Rassen sich gebildet haben, und in wie mannigfacher Form der gefürchtete Eingriff in die physiologischen Vorgänge vermuthet wird, so herrscht doch in der einen Hinsicht unter allen Völkern eine völlige Uebereinstimmung, dass sie glauben, man habe Mittel und Wege, die Dämonen entweder zu versöhnen oder ihre Macht zu brechen und sie in die Flucht zu schlagen . Es sind die Krankheitsteufel, welche man auch für die Schwangeren für gefährlich hält insofern, als sie möglicherweise den physiologischen Zustand abnorm unterbrechen oder auch die glückliche Geburt verhindern könnten. Gar mannigfach sind die angeblich versöhnenden Zaubermittel, und ebenso mannigfach die die Dämonen verscheuchenden Schutzmittel ; unter letzteren spielen Lärm und Räucherung, Waffen und Schläge, dann aber auch Amulette eine hervorragende Rolle. Die Dämonologie gestaltete die Geister, welche sich um die Gebärende bekümmern, sehr verschiedenartig. In Abyssinien zeigt, wie Hartmann berichtet, eine Nachteule, welche um das Haus flattert, an, dass eine Frau bald niederkommen werde ; merkwürdiger Weise herrscht ein ähnlicher Glaube auch unter den Wenden der Lausitz. Zumeist sind es Luftgeister, welche das Haus der Schwangeren umgeben und sie unheilvoll bedrohen ; dies ist bei den Kalmücken , bei den Persern uud bei anderen. Völkern der Fall. Es existirt auf den Philippinen eine eigenthümliche Sage : Man sagt, der Asuang wäre ein Bisaga ( Bewohner der zwischen Luzon und Mindanao befindlichen Inseln), der mit dem Teufel einen Pact geschlossen hat. Er betritt weder Kirchen noch andere heilige Orte. Unter der Achselgrube besitzt er eine Drüse voll Oel, das ihm ermöglicht, überall hinzufliegen, wohin er will. Er hat ferner Krallen und eine unendlich lange Zunge von schwarzer Farbe, weich und glänzend . Seine Hauptaufgabe besteht darin, Schwangeren den Fötus aus dem Leibe zu reissen ; dies geschieht, indem er (mit der Zunge) den letzteren berührt. Hierdurch wird der Tod der Schwangeren veranlasst, so dass der Asuang den Fötus nun ruhig aufzehren kann. Ein von den Tagalen Tictic genannter Nachtvogel kündigt den Asuang an; wenn jener singt, so weiss man, dass sich der Asuang herumtreibt. ( Ocearia. ) Von den Dayaks auf Borneo sagt lein : Fig. 97. Pasah kangkamiak, Votiv- Häuschen der Oloh Ngadju auf Borneo, in denen Hühneropfer dargebracht werden um die Schwangere vor den Dämonen Kangkamink zu schützen. (Nach Grabowsky. ) Schwangere Frauen opfern den Djata (Wassergeistern) und Panti, kleine ,,balei panti" genannte Häuschen, welche entweder in einen Fluss versenkt oder in der Nähe des Hauses in den Wipfeln eines Baumes gehängt werden: denselben Zweck, böse Geister von dem Körper der Schwangeren abzuhalten , versieht die hüttenartige „pasah kangkamiak", in welchen den Hantus Hühner geopfert werden. (Fig. 97.) Es heisst dann weiter : Der Kamiak ist ein sehr böswilliger Geist , dem die Gabe zu fliegen eigen ist und der von schwangeren Frauen auf das Aeusserste gefürchtet wird, da er sich stets bestrebt, in den Körper derselben unsichtbar einzudringen und die Geburt des Kindes entweder zu erschweren oder ganz unmöglich zu machen. Ihm wird im kleinen Häuschen in ähnlicher Weise wie den Djata geopfert. 118. Die Abwehr böser Geister und Dämonen während der Schwangerschaft. 499 Nach Hardeland sind die Kamiak oder Kangkamiak weibliche Hantuën, welche während des Gebärens gestorben sind. An einer anderen Stelle wird dann von Hein über die Hühneropfer berichtet, welche von den Schwangeren dargebracht werden oder von Anderen für diese. Das hat, wie er meint , seinen Grund in dem Glauben, dass die während des Gebärens sterbenden weiblichen Hantuëns in böse Geister Kangkamiak oder Kamiak verwandelt werden , welche zumeist in Gestalt eines Huhnes in schwangere Frauen zu fahren suchen, um sie am Gebären zu hindern ; sogar die Stimme eines solchen Kangkamiak ähnelt dem Geschrei , einer Henne ; Hühneropfer bringt man daher auch den Wassergöttern Djata, welche die Schwangeren vor den bösen Geistern beschützen und leicht gebären lassens Aber vollständig sicher scheint sich die Dayakin doch trotzdem nicht zu fühlen, denn nach v. Kessel nimmt die junge Frau, sobald sie in gesegnetem Zustand einmal das Haus verlässt, aus Furcht vor bösen Geistern. stets einen Talisman (Ejun oder Upuk) mit sich, d. i . ein Körbchen, das mit Blättern, Wurzeln, Holzstückchen, namentlich aber mit zahlreichen Schneckenhäusern behangen ist. Als nützlicher Gebrauch während der Schwangerschaft gilt auf der nördlichen Landzunge von Celebes in Limo lo Pahalaâ bei den Alfuren , dass die Frau ihr Haar nicht in losen Abtheilungen trägt, so dass es hin und her flattert ; auch darf sie nicht gegen Abend, sobald es regnerisch ist, aus dem Hause gehen, damit nicht die Frucht durch den Walao-lati oder die an den dunkeln Plätzen anwesenden Teufel aufgeregt oder gemisshandelt werde. (Riedel.) Ganz ähnliche Ursachen sind es , welche auf der südöstlichen Inselgruppe des malayischen Archipels das Ausgehen des Nachts und namentlich das Passiren von Gräbern verbieten. Wenn die Schwangeren auf den Watubela- Inseln bei Tage das Haus verlassen, so müssen sie stets ein Stück Eisen bei sich führen, damit die bösen Geister nicht den Fötus. quälen. Auch auf Ambon, den Uliase - Inseln und auf Keisar und Nias dürfen die Schwangeren nur mit einem Messer bewaffnet ausgehen. Ebenso müssen sie sich auf Serang durch allerhand Mittel vor den bösen Geistern schützen. · Die Seranglao Insulanerinnen tragen, abgesehen von dem bereits oben erwähnten Gember, nicht selten ein mit einem Koranspruche beschriebenes und in Leinwand gewickeltes Stückchen Papier bei sich, um gegen die schädlichen Einwirkungen der bösen Geister gefeit zu sein. Ein abergläubischer Gebrauch , welcher wohl auch auf die Absicht, Dämonen zu verscheuchen, hindeutet, besteht unter den Eingeborenen der australischen Colonie Victoria; dort sah Oberländer, wie ein Medicinmann an drei eingeborenen Frauen, welche schwanger waren, eine sonderbare Ceremonie vollzog : Sie standen vor ihm und blickten ihm fest in die Augen. Darauf zog er sich murmelnd nach einem Baumstumpfe zurück, schritt dann wieder auf die Frauen zu und blies auf ihre Leiber. Dies alles sollte ohne Zweifel eine sichere und glückliche Entbindung bewirken. Wahrscheinlich haben wir in absonderlichen Gebräuchen in Afrika auch eine Art von Dämonenaustreibung zu erblicken. Wenn an der Goldküste eine Negerin zum ersten Male schwanger wird, so treibt man sie unter Kothwürfen und Schimpfen in das Meer, wo sie untertauchen muss ; nach Beendigung dieser Ceremonie lässt sie Jedermann unbehelligt, nur eine Fetisch- Priesterin macht mit ihr allerhand Dinge, um sie nach dem Volksglauben vor der Einwirkung böser Geister zu schützen . (Brodie Cruickshank. ) Vornehme Frauen in Guinea werden kurz vor ihrer Entbindung ganz nackend in zahlreicher Gesellschaft durch ihren Ort geführt, 32 * 500 XXI. Das sociale Verhalten während der Schwangerschaft. wie Römer erzählt. Bosmann bemerkt dasselbe, fügt aber hinzu, dass sie auf diesem Wege von einer Anzahl junger Leute ebenfalls, wie an der Goldküste , mit Schmutz beworfen und dann am Seestrande gebadet werden. (Klemm. ) Nach Hutton weinen sie auf dem ganzen Wege. Die schwangere Esthin pflegt jede Woche die Schuhe zu wechseln, um den Teufel, von dem man glaubt, dass er ihr stets nachfolgt, um baldigst den jungen Weltbürger in seine Krallen zu bekommen, aus der Spur zu bringen. In Russland ist der Glaube an den ,, bösen Blick", den der Russe einfach ,,Glas", das Auge nennt, sehr verbreitet ; namentlich aber ängstigen sich vor ihm die Frauen, wenn sie schwanger sind, denn dann fürchten sie ihn für sich selber, wie für die Frucht ihres Leibes, die sie dann unter grossen Schmerzen gebären müssen. Die Furcht der Schwangeren vor Dämonen findet sich nach ev . Wlislocki auch bei den wandernden Zigeunern in Siebenbürgen. Wenn dort eine Frau, welche schwanger ist, gähnt, so muss sie sofort ihre Hand vor den Mund halten, damit nicht böse Geister in ihren Leib schlüpfen können. Als ein besonders wirksamer Schutz gegen die Macht der bösen Geister und als mächtige Hülfe zu glücklicher Zuendeführung der Schwangerschaft gilt bei sehr vielen Völkern auch das Tragen eines Talismans oder eines Amuletts. Die Formen und Arten dieser letzteren sind in hohem Grade mannigfaltig. Wenn bei den Ewe- Negern an der Sclavenküste eine Frau sich Mutter fühlt, so bringt sie den Göttern ein Opfer und wird vom Priester mit einer Menge von Zauberzeichen am Körper behängt. Luz hat unweit Malange, der früheren Ostgrenze von Angola, wie überall in jenen Gegenden unter den Negern , einen ausgeprägten Glauben an die Kraft der Fetische, ähnlich wie an Amulette gefunden. Schwangere Weiber tragen dort stets eine kleine Kalabasse (Kürbis), welche mit Erdnüssen und Palmöl gefüllt ist, bei sich, um einer leichten Entbindung sicher zu sein. Bei den Negern, welche Buchner in ihren Bräuchen beobachtete, spielte als Amulett das „Pemba" eine wichtige Rolle, d. i. ein feiner weisser, kaolinartiger Thon, der nicht überall zu finden ist, und deshalb oft weit hergeholt wird und einen Handelsartikel bildet. Seine Anwendung erinnert vielfach an das Weihwasser der Katholiken und der Ausdruck Pemba wird auch oft im Sinne von Glück oder Segen gebraucht. Man sagt : Pemba geben, indem man sich die angefeuchtete Substanz gegenseitig auf die Arme oder auf die Brust streicht. Schwangere sowie Kranke beschmieren sich häufig damit das ganze Gesicht. Bei den Negervölkern West- Afrikas behängt sich die Schwangere an Hals, Arm und Fuss mit Zauberzeichen und Zauberschnüren ; sie bekommt von einer Priesterin Manschetten aus Bast um Hände und Kniee gelegt, welche ihr eine glückliche Geburt garantiren sollen. In Neu- Griechenland hält man dafür, dass die Schwangere der schädlichen Gewalt der Neraiden ausgesetzt ist , gegen die sie sich durch Umhängen von Amuletten, zumal des Jaspis, zu schützen sucht. Es ist unglückbringend, wenn Jemand über ein schwangeres Weib steigt ; er öffnet damit den Neraiden den Weg; jenem bösen Einfluss vorzubeugen, muss er wieder über dasselbe zurücksteigen. Auch darf sich die Schwangere nicht unter einem Platanen- oder Pappelbaum, noch an Quellen oder sonstigen fliessenden Wassern lagern, weil hier die Neraiden sich aufzuhalten pflegen. 119. Die Bedeutung des Gürtels in der Schwangerschaft. 501 119. Die Bedeutung des Gürtels in der Schwangerschaft. Eine ganz eigenthümliche und gewissermaassen culturgeschichtliche Rolle sehen wir bei verschiedenen Völkern den Gürtel in der Schwangerschaft spielen. Da derselbe , wie wir sehr bald erfahren werden, nicht allein als ein mechanisch wirkendes Werkzeug in Anwendung gezogen wird, sondern, da ihm auch vielfach überirdische, mystische Beziehungen zugeschrieben werden, durch welche er im Stande ist, von der Schwangeren sowohl, als auch von der Gebärenden allerlei Unbilden und Fährlichkeiten fern zu halten, so glauben wir seiner Besprechung keine bessere Stelle anweisen zu können, als im Anschlusse an den vorigen Abschnitt, welcher sich mit der Schilderung derjenigen Maassregeln beschäftigte, durch welche böse Geister und Dämonen von der Schwangeren abgewehrt werden können. Der Gürtel, von welchem wir zu reden haben , ist nun nicht immer von der gleichen Art. Das eine Mal ist es derjenige, welchen die Frau als ihr gewöhnliches Kleidungsstück vor dem Eintritt der Befruchtung getragen hatte, ein anderes Mal ist es eine besondere Leibbinde , welche ihr gegeben wird, weil sie schwanger geworden ist ; wiederum in anderen Fällen sind es gürtelähnliche Dinge, welche für gewöhnlich niemals Theile des weiblichen Anzuges ausmachen, und endlich können es Gürtel sein, welche zu der Schwangeren in gar keiner persönlichen , sondern in einer rein mystischen Beziehung stehen. Einem weiblichen Wesen die Zone oder das Lingulum, den Gürtel, zu lösen, betrachtete man im klassischen Alterthum als gleichbedeutend mit der Ausübung des Beischlafes. Man vermochte sich das Eine ohne das Andere nicht zu denken. Es ist wohl nicht unwahrscheinlich, dass hiermit der Brauch zusammenhängt, welchen die alten Griechinnen übten. Wenn bei ihnen zum ersten Male eine Schwangerschaft eingetreten war, so lösten sie selber ihren Gürtel und weihten ihn im Tempel der Artemis. Bei den Römerinnen hatte sich die Sitte eingebürgert, von dem 8. Monate der Schwangerschaft an den Leib mit einem Gürtel in Gestalt einer Leibbinde zu umschliessen. Soranus von Ephesus empfahl ebenfalls das Tragen einer Leibbinde während der Gravidität. Er will dieselbe aber nicht länger als bis zum Beginne des achten Monats gestatten, damit das Gewicht des Kindes mitwirken könne, um die herannahende Geburt zu beschleunigen. Da nun bei der beginnenden Entbindung der Schwangeren die Leibbinde gelöst und abgenommen wurde, so hatte sich für die Göttin der Geburt allmählich der Beinamen Solvizona, die Gürtellöserin, eingebürgert. Wir müssen hierin möglicherweise einen Fingerzeig erkennen, dass mit dem Anlegen der Leibbinde wohl ursprünglich weniger die Vorstellungen ihrer mechanischen Wirksamkeit, als vielmehr gewisser übernatürlicher Beziehungen zu der Gottheit verbunden waren. Es ist übrigens ganz zweifellos dem Einflusse der römischen Anschauungen auf die spätere Medicin des übrigen Europa zu verdanken, dass noch im späteren Mittelalter die Leibbinde den Schwangeren als ein die Geburt beförderndes Mittel empfohlen worden ist, und selbst im 16. Jahrhundert noch tritt in Frankreich der berühmte Wundarzt Ambrosius Paraeus für ihre Anwendung ein. Wir begegnen aber der Leibbinde auch in den Ländern des östlichen Asiens. Der in dem vorliegenden Buche bereits mehrfach citirte chinesische Arzt empfiehlt seinen Patientinnen ebenfalls, in der Schwangerschaft eine Leibbinde zu tragen. Dieselbe soll eine Breite von 12 bis 14 Daumen besitzen. Ueber den Nutzen, welchen solch ein Gürtel der Schwangeren schafft, 502 XXI. Das sociale Verhalten während der Schwangerschaft. äussert er sich folgendermaassen : „ Zuvörderst werden durch selbige die Lenden gestärkt. Alsdann hält eine solche breite Binde den Leib der Schwangeren zusammen, und wenn man unmittelbar vor der Niederkunft dieselbe losbindet, so wird alsdann der Bauch erweitert und der Frucht dadurch Raum geschafft, sich umzukehren. " Auch die Birmaninnen haben die Sitte, in der Schwangerschaft den Leib mit einem Gürtel zu umschliessen. Sie legen diese Leibbinde erst nach dem Ablaufe des siebenten Monats an und schlingen dieselbe fest um den Leib in der Absicht, das Aufsteigen der Gebärmutter zu verhindern. Denn sie sind der Meinung, dass, je höher die Frucht im Bauche steigt, einen um so längeren Weg müsse sie beim Heruntersteigen zurückzulegen haben, und um so schmerzhafter werde die Entbindung sein. (Engelmann.) In Japan herrscht, vielleicht ursprünglich von China her beeinflusst, ebenfalls der Gebrauch bei den Schwangeren, dass sie eine Leibbinde tragen, und zwar stammt diese Gewohnheit ohne Zweifel schon aus einer sehr alten Zeit. Verrier hat über diesen Punkt die folgende Angabe in einem Berichte. des Guido Guelteri über die Ankunft einer japanischen Gesandtschaft in Rom im Jahre 1586 aufgefunden : „ Et avant qu'elles ne soient enceintes (les Japonnaises) , elles portent une ceinture large et flottante ; mais dès qu'elles s'aperçoivent de leur grossesse, elles reserrent cette ceinture si fortement avec une bandelette qu'il semble qu'elles vont éclater. Malgré cela, disent- elles , nous savons par expérience que si nous ne nous serrions pas ainsi , il en résulterait pour nous un très-mauvais accouchement. " Der geburtshülfliche Reformator Kangawa (Miyake) fand sie vor und eröffnete einen Feldzug dagegen. Er sagt : „In Japan ist es allgemein Sitte, dass die Frau vom fünften Monate an um ihren Leib ein seidenes Tuch fest bindet ; der Zweck, den man damit zu erreichen sucht, ist, den fötalen Dunst ( Geist, Lebenskraft) zu beruhigen, damit er nicht aufsteige . Man sagt, dass diese Sitte aus der Zeit der Kaiserin Djin-go-kogu stamme, die im Kriege gegen Korea selbst als Feldherrin einen Panzer trug, den sie, weil sie schwanger war, dadurch an ihren Leib befestigte, dass sie ein zusammengefaltetes seidenes Tuch um letzteren fest anlegte. Nach der Eroberung von Korea gab sie einem Prinzen , dem nachmaligen 16. Kaiser O-djin (später zum Gott des Krieges erhoben) glücklich das Leben. Der Kaiserin zu Ehren legten dann die schwangeren Frauen ebenfalls die Binde an , in der Hoffnung, dadurch Friede und Wohlstand zu verewigen. “ So knüpfte sich dort schon eine Sage an die Volkssitte. Kangawa aber erklärt diese Herleitung nicht für geschichtlich, da aus jener Zeit (200 n. Chr. ) in den Geschichtsquellen nichts, sondern erst 1118 n. Chr. etwas von der Leibbinde erwähnt wird ; und noch später ist die Rede davon, dass die Gemahlin des Yoritomo in ihrer Schwangerschaft mit besonderen Ceremonien die Leibbinde anlegte. Kangawa verwirft dieselbe nach einer vieljährigen Erfahrung als schädlich". Er demonstrirt diese seine Ansicht unter Hinweis darauf, dass die Natur die Kraft besitze, alles Lebende wachsen und sich entwickeln zu lassen, dass man aber durch die Binde die Entwickelung der Natur ebenso hemme, wie man bei einer Pflanze durch Belastung ihrer Wurzel mit einem Steine ihr Wachsthum hindere ; auch die Thiere brächten ja ihre Jungen ohne Leibbinde zur Welt. Er beschuldigt die Binde, dass sie den Blutumlauf störe, Blutungen und Schwindel erzeuge, und Schieflage des Kindes und allerlei andere Schädlichkeiten bedinge. ,,Leider kann ich allein , ein so kleiner Körper in der grossen Welt, meine Methode nicht verbreiten ; ich hoffe aber dennoch, dass sie allmäh- 119. Die Bedeutung des Gürtels in der Schwangerschaft. 503 www lich durchdringen wird. " Mit diesen Worten schliesst Kangawa seine Verurtheilung der Leibbinde. Mit allen solchen rationellen Neuerungen geht es wie überall, so auch in Japan, ziemlich langsam. Zwar erklärte in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts der japanische Arzt Mimazunza : „Früher trugen die Schwangeren vom fünften Monat an die Leibbinde, jetzt ist sie durch den Einfluss des Kangawa- Gen-Ets abgeschafft. " で 4W5 الله करते THUR From THIS 返系 1" HRH 112+1 NousIns HANS 三五七 北 dist andt 産 の時向 吉方 二 三四五 六 地 Fig. 98. Schwangere Japanerin, welcher die Leibbinde angelegt wird. (Nach einem japanischen Holzschnitt. ) Dagegen war nach dem Ausspruche eines russischen Arztes diese Sitte noch in den sechziger Jahren in Japan verbreitet ; er sagt : „ Schwangere schnüren sich im fünften Monat den Leib in der epigastrischen Gegend mit einem schmalen Gurt sehr fest in der Absicht, dass der Fötus nicht zu gross werde und die Geburt nicht erschwere. " Das Anlegen des Gürtels bei einer schwangeren Japanerin zeigt uns ein Holzschnitt in einem der japanischen Werke, welche sich in dem Besitze des kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin befinden. Die Schwangere (Fig. 98) kniet aufrecht auf dem Fussboden des Zimmers mit 504 XXI. Das sociale Verhalten während der Schwangerschaft. vorn weit geöffnetem Kleide, so dass ihre Brust und ihr Bauch gänzlich entblösst sind. Vor ihr kniet eine andere weibliche Person, vielleicht eine Verwandte oder die Hebamme, und schlingt ihr eben die Leibbinde um den Leib. Ein junges Mädchen sieht, ebenfalls knieend, dieser Handleistung zu. Christian macht in der Vorrede zu seiner Ausgabe des Ossian darauf aufmerksam, que les anciens Celtes de la Calédonie attribuaient des vertus merveilles à certaines ceintures. Suivant une expression d'Ossian qu'il cite , elles étaient propres à accélérer la naissance des héros. Le même auteur ajoute qu'il n'y a pas longtemps encore on conservait dans le nord de l'Ecosse plusieurs de ces ceintures ; on y voyait tracées des figures mystérieuses, et on les ceignait autour des femmes avec des gestes et des paroles qui prouvaient que cet usage venait originairement des druides. Bonnemère, welcher dieses citirt, wurde hierdurch veranlasst, der anthropologischen Gesellschaft von Paris einen Gürtel vorzulegen, wie ihn auch heute noch die Ursulinerinnen von Quintin ( Côtes - du - Nord) zu fertigen pflegen. „Ces religieuses tiennent une des principales maisons d'éducation de la Bretagne. Lorsque, après sa sortie du couvent , une jeune fille qu'elles ont comptée au nombre de leur élèves se marie et qu'elle vient à être enceinte, les pieuses nonnes lui envoient un ruban semblable à celui que j'ai l'honneur de vous présenter aujourd'hui. Il est en soie blanche, et l'habile pinceau de la meilleure calligraphe de la communauté l'a décoré d'une belle inscription en lettres bleues. Avant de l'expédier on a eu grand soin de le faire toucher au reliquaire de l'église paroissiale dans lequel on conserve un précieux fragment d'une ceinture ayant apartenu à la sainte Vierge. De nombreux parchemins garantissent l'authenticité de ce morceau d'étoffe . L'inscription peinte dont je vous ai parlé est la suivante: Notre Dame de Délivrance, protégez-nous. " La jeune femme qui reçoit le ruban béni s'empresse de se le mettre autour du corps afin que ses couches se passent heureusement. " Es ist wohl nicht mit Sicherheit zu sagen, ob wir hierin ein Ueberlebsel interessanter Art aus dem Heidenthum anerkennen sollen, wenn auch dieser Gedanke unleugbar manches Bestechende hat. Aber wir finden auch innerhalb der katholischen Christenheit in manchen anderen Ländern heilige Gürtel, namentlich bei schwerer Niederkunft, eine ganz besonders wichtige Rolle spielen. So war es in Frankreich nach Witkowski der Gürtel des Saint Oyan und der auch jetzt noch käufliche Cordon de Saint Joseph, in England im Jahre 1159 der Gürtel des Abtes Robert von Newminster, und in Schwaben steht noch heute, wie wir später sehen werden, der Gürtel der heiligen Margarethe in hohem Ansehen. Ein Paar eigenthümliche Ausläufer dieser Anschauungen von der helfenden Kraft des Gürtels in der Schwangerschaft und bei der Entbindung treffen wir in der italienischen Provinz Bari und in der Mark Brandenburg an. In Bari vermag man der Kreissenden eine glückliche Entbindung zu sichern, wenn man um ihre Körpermitte einen Strick gürtet. welcher dazu gedient hatte, bei der Schafschur die vier Füsse der Schafe zusammenzubinden (Karusio), und im Brandenburgischen suchen sich die Schwangeren nach Engelien dadurch eine leichte Geburt zu verschaffen, dass sie um ihren Leib die Haut einer Schlange binden, welche sie gefunden haben. Dass auch hier etwas Mystisches und zwar voraussichtlich aus dem Heidenthume her im Hintergrunde steckt, das muss man wohl mit Sicherheit annehmen. 120. Die rechtliche Stellung der Schwangeren. 505 120. Die rechtliche Stellung der Schwangeren. Die meisten Völker lassen die Frauen während ihrer Schwangerschaft. bis zum Beginne der Geburt der Arbeit nachgehen. An sich ist dies nicht schädlich, insoweit keine Ueberlastung damit verbunden ist. Rigby und andere Geburtshelfer haben in der That auch gefunden, dass die Geburt dann am leichtesten verläuft und die besten Resultate giebt, wenn das Weib bis zuletzt ihre gewohnte Beschäftigung fortgesetzt hat. Diese Beobachtung wird wohl jeder Arzt in seiner Praxis bestätigt finden. Dagegen sind die vornehmeren Damen, welche ihre Körperkräfte kaum ausgiebig verwerthen, vielmehr jede Anstrengung ängstlich vermeiden und namentlich während der Schwangerschaft ein möglichst ruhiges Leben führen, wenig geeignet, die Geburtsarbeit leicht und ohne Hülfe zu überstehen. Auch in Deutschland arbeiten fleissige Frauen aus dem Volke, wenn sie guter Hoffnung sind, meist fort bis zur letzten Stunde der Niederkunft ; freilich mag dies wohl an manchen Plätzen übertrieben werden. Ueberall dort aber, wo die gesellschaftliche Stellung der Frau und Mutter eine achtungsvolle, ihre Behandlung keine rohe ist , wird ihr namentlich in dem hoffnungsvollen Zustande eine vermehrte Rücksicht entgegengebracht, während ihr bei den rohesten Völkern dieselben Lasten aufgebürdet, dieselben Mühen zugemuthet werden, die der Mann ihr auch sonst auferlegt, wo sie ein Kind nicht unter ihrem Herzen trägt. Je cultivirter ein Volk ist, je mehr bei ihm insbesondere der Familiensinn ausgebildet ist, um so vorsichtiger behandelt man bei ihm die Schwangere und umgekehrt. Diese Thatsache ist im Allgemeinen so bekannt, dass es wohl weiter keiner Belege bedarf. Allein es kommen auch hier im Völkerleben Erscheinungen zu Tage, welche ein besonderes culturhistorisches Interesse beanspruchen. Zumeist hängt die Schonung, welche man der in anderen Verhältnissen" lebenden Frau zu Theil werden lässt, von der Werthschätzung des in Aussicht stehenden Kindes ab. Denn wo man, wie fast überall in Deutschland , die Kinder als Segen Gottes" betrachtet, da wird auch der Trägerin dieses zu erhoffenden Segens gewiss nicht geringe freudige Sorgfalt gewidmet ; sie ist ja, so heisst es, guter Hoffnung". Der Ausdruck : sie ist in gesegneten Umständen" für sie ist schwanger" geht ziemlich durch das ganze Deutschland. " Bei den südamerikanischen Indianern , welche Prinz Max zu Neuwied besuchte, wird das Loos der sonst als Lastthier betrachteten Frau in der Schwangerschaft einigermaassen erleichtert ; auch die Indios da Matto ersparen ihren schwangeren Frauen die harte Arbeit. Ebenfalls drang unter die Indianer Nord - Amerikas die Verfeinerung, und durch die Berührung mit der Civilisation kam auch bei nicht wenigen Stämmen eine grössere Sorgfalt in der Behandlung der Schwangeren auf. In dieser Beziehung sagt Engelmann: Bei den umherziehenden Stämmen macht man sich wenig oder nichts aus dem Zustande ; mehr Aufmerksamkeit erregt er schon bei der mehr ansässigen Bevölkerung, wie den Pueblos oder Eingeborenen Mexikos. Man erlaubt der Schwangeren keine Ueberanstrengung und lässt sie häufig warm baden. Auf den Carolinen - Inseln verdoppelt der Mann, der jederzeit voll Aufmerksamkeit für seine Frau ist, seine Rücksicht und Zärtlichkeit während ihrer Schwangerschaft. Sobald er diesen Zustand bemerkt, arbeitet sie nicht mehr und bleibt beinahe immer zu Hause in Matten eingehüllt ; in 504 XXI. Das sociale Verhalten während der Schwangerschaft. vorn weit geöffnetem Kleide, so dass ihre Brust und ihr Bauch gänzlich entblösst sind. Vor ihr kniet eine andere weibliche Person, vielleicht eine Verwandte oder die Hebamme, und schlingt ihr eben die Leibbinde um den Leib. Ein junges Mädchen sieht, ebenfalls knieend, dieser Handleistung zu. Christian macht in der Vorrede zu seiner Ausgabe des Ossian darauf aufmerksam, que les anciens Celtes de la Calédonie attribuaient des vertus merveilles à certaines ceintures. Suivant une expression d'Ossian qu'il cite, elles étaient propres à accélérer la naissance des héros. Le même auteur ajoute qu'il n'y a pas longtemps encore on conservait dans le nord de l'Ecosse plusieurs de ces ceintures ; on y voyait tracées des figures mystérieuses, et on les ceignait autour des femmes avec des gestes et des paroles qui prouvaient que cet usage venait originairement des druides . Bonnemère, welcher dieses citirt, wurde hierdurch veranlasst, der anthropologischen Gesellschaft von Paris einen Gürtel vorzulegen, wie ihn auch heute noch die Ursulinerinnen von Quintin ( Côtes - du - Nord ) zu fertigen pflegen. „ Ces religieuses tiennent une des principales maisons d'éducation de la Bretagne. Lorsque, après sa sortie du couvent, une jeune fille qu'elles ont comptée au nombre de leur élèves se marie et qu'elle vient à être enceinte, les pieuses nonnes lui envoient un ruban semblable à celui que j'ai l'honneur de vous présenter aujourd'hui. Il est en soie blanche, et l'habile pinceau de la meilleure calligraphe de la communauté l'a décoré d'une belle inscription en lettres bleues. Avant de l'expédier on a eu grand soin de le faire toucher au reliquaire de l'église paroissiale dans lequel on conserve un précieux fragment d'une ceinture ayant apartenu à la sainte Vierge. De nombreux parchemins garantissent l'authenticité de ce morceau d'étoffe. L'inscription peinte dont je vous ai parlé est la suivante : Notre Dame de Délivrance, protégez- nous. " La jeune femme qui reçoit le ruban béni s'empresse de se le mettre autour du corps afin que ses couches se passent heureusement. " Es ist wohl nicht mit Sicherheit zu sagen, ob wir hierin ein Ueberlebsel interessanter Art aus dem Heidenthum anerkennen sollen, wenn auch dieser Gedanke unleugbar manches Bestechende hat. Aber wir finden auch innerhalb der katholischen Christenheit in manchen anderen Ländern heilige Gürtel, namentlich bei schwerer Niederkunft, eine ganz besonders wichtige Rolle spielen. So war es in Frankreich nach Witkowski der Gürtel des Saint Oyan und der auch jetzt noch käufliche Cordon de Saint Joseph, in England im Jahre 1159 der Gürtel des Abtes Robert von Newminster, und in Schwaben steht noch heute, wie wir später sehen werden, der Gürtel der heiligen Margarethe in hohem Ansehen. Ein Paar eigenthümliche Ausläufer dieser Anschauungen von der helfenden Kraft des Gürtels in der Schwangerschaft und bei der Entbindung treffen wir in der italienischen Provinz Bari und in der Mark Brandenburg an. In Bari vermag man der Kreissenden eine glückliche Entbindung zu sichern, wenn man um ihre Körpermitte einen Strick gürtet. welcher dazu gedient hatte, bei der Schafschur die vier Füsse der Schafe zusammenzubinden ( Karusio), und im Brandenburgischen suchen sich die Schwangeren nach Engelien dadurch eine leichte Geburt zu verschaffen, dass sie um ihren Leib die Haut einer Schlange binden, welche sie gefunden haben. Dass auch hier etwas Mystisches und zwar voraussichtlich aus dem Heidenthume her im Hintergrunde steckt, das muss man wohl mit Sicherheit annehmen. 120. Die rechtliche Stellung der Schwangeren. 505 120. Die rechtliche Stellung der Schwangeren. Die meisten Völker lassen die Frauen während ihrer Schwangerschaft bis zum Beginne der Geburt der Arbeit nachgehen. An sich ist dies nicht schädlich, insoweit keine Ueberlastung damit verbunden ist. Rigby und andere Geburtshelfer haben in der That auch gefunden, dass die Geburt dann am leichtesten verläuft und die besten Resultate giebt, wenn das Weib bis zuletzt ihre gewohnte Beschäftigung fortgesetzt hat. Diese Beobachtung wird wohl jeder Arzt in seiner Praxis bestätigt finden. Dagegen sind die vornehmeren Damen, welche ihre Körperkräfte kaum ausgiebig verwerthen, vielmehr jede Anstrengung ängstlich vermeiden und namentlich während der Schwangerschaft ein möglichst ruhiges Leben führen, wenig geeignet, die Geburtsarbeit leicht und ohne Hülfe zu überstehen . Auch in Deutschland arbeiten fleissige Frauen aus dem Volke, wenn sie guter Hoffnung sind, meist fort bis zur letzten Stunde der Niederkunft ; freilich mag dies. wohl an manchen Plätzen übertrieben werden. Ueberall dort aber, wo die gesellschaftliche Stellung der Frau und Mutter eine achtungsvolle, ihre Behandlung keine rohe ist, wird ihr namentlich in dem hoffnungsvollen Zustande eine vermehrte Rücksicht entgegengebracht, während ihr bei den rohesten Völkern dieselben Lasten aufgebürdet, dieselben Mühen zugemuthet werden, die der Mann ihr auch sonst auferlegt, wo sie ein Kind nicht unter ihrem Herzen trägt. Je cultivirter ein Volk ist, je mehr bei ihm insbesondere der Familiensinn ausgebildet ist, um so vorsichtiger behandelt man bei ihm die Schwangere und umgekehrt. Diese Thatsache ist im Allgemeinen so bekannt, dass es wohl weiter keiner Belege bedarf. Allein es kommen auch hier im Völkerleben Erscheinungen zu Tage, welche ein besonderes culturhistorisches Interesse beanspruchen. Zumeist hängt die Schonung, welche man der in anderen Verhältnissen" lebenden Frau zu Theil werden lässt, von der Werthschätzung des in Aussicht stehenden Kindes ab. Denn wo man, wie fast überall in Deutschland , die Kinder als „ Segen Gottes" betrachtet, da wird auch der Trägerin dieses zu erhoffenden Segens gewiss nicht geringe freudige Sorgfalt gewidmet ; sie ist ja, so heisst es, „ guter Hoffnung". Der Ausdruck : „ sie ist in gesegneten Umständen" für sie ist schwanger" geht ziemlich durch das ganze Deutschland. Bei den südamerikanischen Indianern, welche Prinz Max zu Neuwied besuchte, wird das Loos der sonst als Lastthier betrachteten Frau in der Schwangerschaft einigermaassen erleichtert ; auch die Indios da Matto ersparen ihren schwangeren Frauen die harte Arbeit. Ebenfalls drang unter die Indianer Nord- Amerikas die Verfeinerung, und durch die Berührung mit der Civilisation kam auch bei nicht wenigen Stämmen eine grössere Sorgfalt in der Behandlung der Schwangeren auf. In dieser Beziehung sagt Engelmann: Bei den umherziehenden Stämmen macht man sich wenig oder nichts aus dem Zustande ; mehr Aufmerksamkeit erregt er schon bei der mehr ansässigen Bevölkerung, wie den Pueblos oder Eingeborenen Mexikos. Man erlaubt der Schwangeren keine Ueberanstrengung und lässt sie häufig warm baden. Auf den Carolinen- Inseln verdoppelt der Mann, der jederzeit voll Aufmerksamkeit für seine Frau ist, seine Rücksicht und Zärtlichkeit während ihrer Schwangerschaft. Sobald er diesen Zustand bemerkt, arbeitet sie nicht mehr und bleibt beinahe immer zu Hause in Matten eingehüllt ; in 506 XXI. Das sociale Verhalten während der Schwangerschaft. dieser Zeit bedient sie der Mann. Auch auf den Palau- Inseln wird die Schwangere hinsichtlich der Arbeit geschont und von alten Weibern in Obhut genommen. Die Ost - Indier , welche Best im Jahre 1788 zu Madras beobachtete, behandeln die Schwangeren stets mit Achtung, und nicht nur die Familie, sondern auch Alle begegnen ihr mit einer rührenden Sorgfalt ; Alles, was ihr gefährlich werden kann, wird entfernt, Alles, was ihr Wohlsein fördern kann, herbeigeschafft. Fühlt sich in Indien bei der NayerKaste eine Frau schwanger, so soll sie sich durch häufiges Beten, durch Baden und strenges Beobachten der religiösen Vorschriften besonders weihen. Dies gilt für alle höheren Hindu - Kasten. (Jagor. ) Die Frauen der Battahs unterbrechen während der Schwangerschaft ihre Feldarbeiten nicht; nur die Gattin des Häuptlings hat das Recht, während der letzten zwei Monate zu Hause zu bleiben. Der Ausnahmezustand der Schwangerschaft versetzt nun aber nach der Vorstellung vieler Völker die Frau in einen Zustand der Unreinheit, so dass man gezwungen ist, ihren Umgang zu meiden, ebenso wie bei ausserordentlich zahlreichen Völkern auch Menstruirende und Wöchnerinnen für unrein gehalten werden ; doch beschränkt sich zumeist der Brauch darauf, dass während der Schwangerschaft dem Manne der Coitus versagt ist . Bei den Basuthos verlässt der Mann seine Frau vollständig während der Schwangerschaft (Hollaender) , und wenn sich bei den Aschanti eine Frau in gesegneten Umständen befindet, bleibt sie ohne Gemeinschaft mit dem Manne. Doch ist dieses Verbot, zu cohabitiren, bei einigen Völkern nur auf die letzte Zeit der Gravidität beschränkt : Bei den Szuaheli in Ost - Afrika wird bis zum sechsten Monate nach der Empfängniss die Frau vom Manne benutzt, dann nicht mehr, sonst fürchtet man eine schwere Geburt (Kersten). Auf eine an Barth, den berühmten Afrika - Reisenden , von mir gerichtete Anfrage, welche Beobachtungen er hinsichtlich der Lebensweise der Schwangeren bei den von ihm besuchten Völkern Central - Afrikas zu machen Gelegenheit gehabt habe, antwortete er mir, es sei ihm auffallend, dass er sich nicht ein einziges Mal erinnere, eine hochschwangere Frau gesehen zu haben, was doch bei der spärlichen Bekleidung um so eher die Aufmerksamkeit auf sich ziehen muss. " Er erklärt sich diesen Umstand daraus, dass unter den zum Islam übergegangenen Völkerschaften die Frau im höchsten Zustande der Schwangerschaft gar nicht mehr ausgeht, was schon die enge Thür vieler Wohnhütten gar nicht erlaube, und ein gleiches scheine auch unter vielen heidnischen Stämmen üblich zu sein. Die Schwangere sei übrigens sonst keineswegs unrein", ausser für den Mann, der sie schon seit den früheren Stadien der Schwangerschaft nicht mehr berrührt. Gegen jene Ansicht, dass die enge Thür der Hütte das Ausgehen verbiete, scheint mir doch manches zu sprechen ; vielmehr ist hier wohl ein anderes Motiv der Zurückhaltung im Spiel. „ Jeder Neger , " sagt Schütt, der seine Beobachtungen in West- Afrika machte, sieht die Frau, die demnächst gebären wird, als unrein an ; drei Wochen vor ihrer Entbindung muss sie das Dorf verlassen und darf keiner mit ihr verkehren ; ohne jegliche Hülfe sieht sie meistens der schweren Stunde entgegen. " Die Vorschrift, dass die schwangere Frau nicht den Coitus ausführen. darf, ist eine weit verbreitete , und vielleicht sind hier halb unbewusst hygieinische Rücksichten mit im Spiele. Der Indianer auf den Antillen (nach du Tertre) und in mehreren Gegenden Nord- Amerikas enthält sich des Beischlafs während der Schwangerschaft seiner Frau ; in Florida (Holm) muss er sich sogar noch längere Zeit nachher, bis zu zwei Jahren 120. Die rechtliche Stellung der Schwangeren. 507 fern halten. Es ist hier die Frage, ob diese Enthaltsamkeit durch den Glauben an ein „Unreinsein" während der Schwangerschaft bedingt wurde. Waitz ist der Ansicht, dass man die Frau hierdurch vielmehr vor allen störenden Einflüssen zu bewahren sucht, um das Gedeihen des Kindes zu fördern. Die Neu- Caledonier und die Eingeborenen anderer polynesischer Inseln halten die Schwangeren für Tabu , d. h. unberührbar ebenso, wie zur Zeit ihrer Katamenien. (Rochas.) Nicht nur auf den Caroline n- , sondern auch auf den Marianen-, Marshall- und Gilbert- Inseln im Stillen Ocean werden die schwangeren Frauen gut gepflegt, sind aber manchen religiösen Beschränkungen in Speisen, Zusammensein mit den Männern u. s. w. unterworfen ; sie gelten für "unrein". (Keate. ) Sobald auf Yap, einer der CarolinenInseln, ein Weib die ersten Zeichen der Schwangerschaft fühlt, so enthält sie sich des weiteren Verkehrs mit dem Manne und bleibt ihm auch 8-10 Monate nach der Entbindung fern. Der Mann, der zu seinem Club (bai-bai) gehört, hat dort eine oder mehrere Geliebte und fügt sich ohne Murren in diese Sitte. (Miklucho- Maclay.) Die Annamiten - Frau in Cochinchina hält im Allgemeinen während der Schwangerschaft eine besondere Lebensweise nicht für nöthig (mit Ausnahme einiger später zu erwähnenden Rücksichten auf die Kost) , allein vom sechsten oder siebenten Monat an will sie der Sorge für den Haushalt, ebenso aber auch der Verpflichtung, ihrem Gatten zum Beischlaf zu dienen, ledig sein ; deshalb sucht sie für ihren Gatten eine sogenannte vô bé, d. h. eine Gattin niederen Ranges, welche demselben gleichzeitig als Magd und als Frau dient. (Mondière.) Im birmanischen Reiche feiert man z . B. den ersten Tag des Jahres durch grosse Feste, wobei Jedermann, der auf der Strasse geht, er mag noch so hohen Rang haben, in das Wasser getaucht wird ; nur schwangere Frauen sind von dieser Ceremonie befreit, sie brauchen nur durch ein Zeichen anzudeuten, dass sie respectirt sein wollen. (Hureau. ) Bei den russischen Frauen in Astrachan besteht die Pflege der Schwangeren hauptsächlich im Einreiben des Unterleibes mit Oel oder Butter. (Meyerson.) Auf den kleinen Inseln des malayischen Archipels ist die Enthaltung vom Beischlaf während der Schwangerschaft eine allgemeine und streng durchgeführte Vorschrift, und der Wunsch, dieses lästigen Verbotes überhoben zu sein, giebt den Weibern bisweilen die Veranlassung zur künstlichen Fruchtabtreibung. Die Siamesin gilt, wie ich von Schomburgk erfuhr, ebenfalls während der Schwangerschaft für unrein. Bei den Pschawen, einem transkaukasischen Volke, bei dem die Frauen überhaupt sehr schlecht behandelt werden , bemühen sich die Schwangeren, ihren Zustand so lange wie möglich zu verbergen. Bei gesegnetem Leibe wird nämlich die Frau mitsammt ihrem Manne für unrein gehalten und von allen Festlichkeiten ausgeschlossen. (Fürst Eristow.) Bei den Pars en hört die eheliche Beiwohnung in der Schwangerschaft nach Verlauf von 4 Monaten und 10 Tagen auf; der über diese Zeit verübte Beischlaf wird als ein todeswürdiges Verbrechen geachtet, da man glaubt, dass die Leibesfrucht dadurch geschädigt werde. (du Perron.) Abgesehen von diesen vielleicht mehr in das Gebiet der Gesundheitspflege gehörenden Bestimmungen weisen auch die Gesetze mancher Völker 508 XXI. Das sociale Verhalten während der Schwangerschaft. der Schwangeren eine rücksichtsvolle Ausnahmestellung zu. Schon die altgermanischen Rechtsgebräuche nehmen auf die Schwangerschaft Rücksicht. Strafen wurden erst nach der Entbindung vollzogen ; nur im Hexenprocess kannte man keine Schonung. (Weinhold. ) Bei den Römern genossen die Schwangeren bis zur Niederkunft gewisse Rechte ; sie konnten und durften in Rom ebensowenig vor Gericht gezogen werden, wie, selbst bei Verdacht der Schwangerschaft, in Athen und bei den Aegyptern. Nach Plutarch (de tard. dei vindicta) hatte dieses Gesetz bei den Aegyptern seinen Ursprung und ging von diesen auf die Griechen, später auf die Römer über. Nach dem in Cochinchina geltenden a n na mitischen Gesetze darf eine schwangere Frau, wenn sie ein Verbrechen begeht, auf das die Strafe von Stockschlägen steht, nicht bestraft werden ; man wartet mit dieser Strafe nicht bloss bis sie geboren hat, sondern noch hundert Tage nach der Niederkunft. Das Gesetz bestraft sogar den Richter, welcher einer Schwangeren Stockschläge ertheilen lässt und hierdurch Abortus verursacht ; der Richter bekommt dann selber 100 Stockschläge und 3 Jahre Kettenstrafe. (Mondière. ) Auch mit der Todesstrafe wartet man bei der Schwangeren 100 Tage nach der Geburt. Fast über die gesammten Inselgruppen im Südosten des malayischen Archipels finden wir die Bestimmung getroffen, dass eine schwangere Frau in keiner Sache als Zeugin auftreten darf. Was der Grund für diese Maassregel ist, das lässt sich nicht so ohne Weiteres sagen. Vielleicht hatte man dabei die Rücksicht, der Schwangeren das bei solchen Gelegenheiten unvermeidliche Anhören von Zank und Streit zu ersparen, vielleicht aber war es die Sorge, dass durch sympathetischen Einfluss auf das Kind dieses sich später zu einem Menschen entwickeln würde, der dauernd mit den Gerichten zu thun hätte. Dieses letztere ist z . B. die Ursache, warum in Oldenburg die schwangere Frau nach dem Glauben des Volkes vor Gericht nicht schwören darf. Es konnte diesem Gesetze aber auch noch eine dritte Idee zu Grunde liegen, dass man nämlich der Schwangeren, welche durch ihren Leibeszustand mehr in sich gekehrt und mit sich selbst beschäftigt, dasjenige, was um sie her vorgeht, weniger beachtend, in ihren Angaben nicht eine genügende Glaubwürdigkeit zutraute und dass sie daher auch als Zeugin nicht die für eine so wichtige Sache durchaus nothwendige Zuverlässigkeit besitzt. Vielleicht ist es nicht zu weit gegangen, wenn wir die in Europa so vielfach angetroffene Sitte, dass eine schwangere Frau nicht Gevatter stehen darf, dass es ihr also verboten ist, als Taufzeugin zu functioniren (Ostpreussen , Pommern, Schlesien , Voigtland, Klein - Russland) , ursprünglich aus einem ähnlichen Gedankengange zu erklären versuchen. Allerdings giebt das Volk jetzt als Ursache dafür an, dass eine solche Pathenschaft entweder dem Täufling oder dem zukünftigen Weltbürger unfehlbar den Tod bringen würde. Als ein eigenthümlicher alter Rechtsbrauch besteht bei den Slaven die Zadruga, eine Familiengemeinschaft, bei der unter den Theilnehmern das unbewegliche Vermögen gewöhnlich bei einer beabsichtigten Theilung ,,in stipites", die Nahrungsmittel nach Köpfen getheilt werden ; dabei bekommt im Kreise von Sabac in Serbien jede schwangere Frau für das noch nicht geborene Kind so viel mehr, als sie im Rocke wegtragen kann. (Bogisic. ) Unter den weissrussischen Bauern herrscht folgender Aberglaube: Wenn eine schwangere Frau um Geld oder um etwas Essbares bittet, und man ihr die Bitte abschlägt, so werden einem Mäuse oder Ratten die 120. Die rechtliche Stellung der Schwangeren . 509 Kleidung zernagen ; wer die Bitte nicht erfüllen kann, muss sofort der Frau ein kleines Kohlenstückchen, etwas Erde oder etwas Schutt nachwerfen. Die Maus ist das Sinnbild der Seele. In der russischen Sage gehörten. Mäuse zum Hauswesen der Jaga ; sie dienen ihr, bringen den Kindern Zähne und bewirken bei den Leuten den Tod. Der Ausnahmezustand, in welchem sich die Frau während ihrer Schwangerschaft befindet, kann auf Andere sowohl glückbringend, als auch schädigend einwirken. Das letztere sahen wir ja bereits bei dem Gevatterstehen, das dem Täufling ein frühes Ende bereiten soll. In WeissRussland darf eine Schwangere nicht zugegen sein, wenn man der Braut die Haube aufsetzt, sonst ist die junge Frau das ganze Jahr hindurch schläfrig. (Sumzow.) Die jungen slavischen Eheleute in Böhmen und Mähren sind dagegen hoch erfreut, wenn eine Schwangere sie besucht. Denn das bringt der jungen Gattin eine glückliche Fruchtbarkeit. In denselben Ländern gilt auch die Schwangere als segenbringend für ihr eigenes Kind, das sie trägt. Denn wenn sie auf etwas Lust bekommt und sich dabei an einem Gliede kratzt, so wird es ihr Kind an derselben Stelle haben. (Grohmann. ) XXII. Die Gesundheitspflege der Schwangerschaft. 121. Aerztliche und rituelle Vorschriften in der Schwangerschaft. Bei vielen alten Völkern haben einestheils die Religionsgesetzgeber , anderentheils die Aerzte den Schwangeren ganz besondere Vorschriften für ihre Lebensweise gegeben. Der geschlechtliche Umgang mit Schwangeren war bei den alten Iranern , den Baktrern , Medern und Persern durch religiöse Gesetze streng verboten : wer eine solche beschlief, erhielt nach den Bestimmungen des Vendidad 2000 Schläge ; ausserdem musste er zur Sühne seines Vergehens 1000 Ladungen harten und ebenso viele weichen Holzes zum Feuer bringen, 1000 Stück Kleinvieh opfern , 1000 Schlangen, 1000 Landeidechsen, 2000 Wassereidechsen, 3000 Ameisen tödten, und 30 Stege über fliessendes Wasser legen. Der Keim des Lebens. durfte nicht verschwendet und das bereits vorhandene neue Leben nicht verletzt werden. (Duncker. ) Auch die alten Hebräer hatten strenge, von ihren Priestern aufgestellte Gebote ; die Rabbiner im Talmud lehren : ,,In den ersten drei Monaten nach der Empfängniss ist der Coitus sowohl für die Schwangeren, als auch für die Frucht sehr nachtheilig ; wer denselben am 90. Tage ausübt, begeht eine Handlung, als wenn er ein Menschenleben vernichtet. " Der vorsichtige Rabbi Abbaja fügt hinzu : „ Da man jedoch diesen Tag nicht immer genau wissen kann, so hütet Gott die Einfältigen." Die Aerzte der alten Inder empfahlen den Schwangeren eine sehr vorsichtige Diätetik : nach Ausspruch des Susruta muss die Schwangere Ermüdung, Coitus, Fasten, Beschwerden, Schlaf am Tage, nächtliches Wachen, Gram, Einsteigen in den Wagen, Furcht, aufrechtes Sitzen, übermässige Bewegungen, unzeitiges Aderlassen, ausdauernde Anstrengungen vermeiden. Die Gelüste der Frau mussten befriedigt werden, denn wenn man dies that, so glaubte man auf ein starkes und lang lebendes Kind hoffen zu dürfen . Vom ersten Tage an sollte die Frau stets heiter, reinlich am Körper und in der Kleidung, ruhig, guter Dinge und fromm sein. Schmutzige und ungestaltete Dinge durfte sie nicht berühren, keine trockenen, angebrannten und verdorbenen Speisen geniessen ; das Ausgehen, das Aufhalten im leeren Hause, den heiligen Altar, Grabstätten, die Nähe von Bäumen musste sie. meiden und sich vor Zorn, Furcht, Lastentragen und zu lautem Reden hüten. (Hessler, Vullers.) Auch die Aerzte der Chinesen rathen als erste und wichtigste Regel" während der Schwangerschaft die gänzliche Enthaltung von physischer Liebe. (r. Martius. ) Dies wird in einer populären Schrift, die ein Arzt 121. Aerztliche und rituelle Vorschriften in der Schwangerschaft. 511 zur Belehrung schwangerer Frauen verfasst hat, verlangt ; ausserdem galt ihm aber auch als Hauptregel für deren Verhalten : Eine mässige Bewegung, die nicht allzu sehr ermüdet. " Die alten Chinesen hielten es für das Gedeihen des Kindes sehr förderlich, dass sich die Schwangere körperlich und geistig möglichst ruhig verhielt. Das Buch von den berühmten Frauen des Lieuhiang im Siao- hio sagt : ,,Einst unterstand eine schwangere Frau sich Nachts nicht auf die Seite zu legen, beim Sitzen (auf der Matte) den Körper nicht zu biegen, nicht auf einem Fusse zu stehen , keine ungesunde oder schlecht zerschnittene Speise zu geniessen, auf keiner schlecht gemachten Matte zu sitzen, keinen garstigen Gegenstand anzuschauen, noch üppige Töne zu hören. Abends musste der Blinde (Musiker) die beiden ersten Oden des Tschen- und Tschao-nan im Liederbuche ( die von der Hausordnung handeln) singen, und sie liess sich anständige Geschichten erzählen. So wurde ein auch geistig gut geartetes Kind geboren.“ Uebrigens wurde, wenigstens in früheren Zeiten, in China die Frau während der letzten Zeit ihrer Schwangerschaft abgesondert. Der Li-ki (im Cap. Nei- tse 12 fol. 73 v. ) sagt : Wenn eine Frau ein Kind gebären soll, so bewohnt sie einen Monat ein Seitenhaus. Der Mann schickt zweimal des Tages Jemanden nachzufragen und fragt auch selber nach ; seine Frau wagt ihn aber nicht zu sehen , sondern schickt die Mu, seine Anfrage zu beantworten, bis das Kind geboren ist .“ Kangawa, der berühmte japanische Geburtshelfer, tritt der alten japanischen Sitte entgegen, nach der man die schwangere Frau stets mit krummen Beinen liegen liess ; man erhielt sogar während des Schlafes die Beine der Frau durch ein um die Kniee und den Nacken gelegtes Band in einer gekrümmten Lage ; es geschah dies aus Furcht, dass das Kind in die gestreckten Beine seiner Mutter seine eigenen wie in eine Hose hineinstecken könnte. Kangawa sagt, diese Sitte sei mehr schädlich als nützlich , da die gekrümmten Schenkel der Mutter die Schenkel des Kindes nach oben drängen und dadurch Querlage entstehe. Dieselbe entsteht nach ihm auch durch die Leibbinde, durch zu reichliches Essen und durch physische Einflüsse. Ernstlich verbietet er übertriebenen Coitus in der Schwangerschaft ; er empfiehlt warme Bäder. (Miyake.) Von den Aerzten der alten Römer, welche uns ihre Grundsätze bezüglich des Verhaltens der Schwangeren hinterlassen haben, führen wir nur Soranus aus Ephesus an. Nach ihm ändert sich die Behandlung der Schwangerschaft je nach drei Perioden derselben. In der ersten Zeit handelt es sich um die Erhaltung der Frucht, in der zweiten um Milderung der mit der Schwangerschaft verbundenen Erscheinungen, Gelüste u. s . w. , in der dritten und letzten Periode um die Vorbereitung einer günstigen Geburt. Die erste Periode erfordert Vermeidung aller körperlichen und geistigen Erregung : Furcht, Schreck, plötzliche heftige Freude u. s. w. , dann Husten, Niesen , Fallen , Schwer-Tragen, Tanzen, Gebrauch der Abführmittel, Trunkenheit , Erbrechen, Durchfall u. s . w. , kurz Alles, was Fehlgeburt bedingen kann. Ruhiges Verhalten und mässige Bewegung muss die Frau gleichmässig wechseln lassen , dagegen sich aller Reibung des Unterleibes enthalten ; sie darf denselben nur mit frisch ausgepresstem Oel aus unreifen Oliven bestreichen. Während der ersten sieben Tage soll die Frau nicht baden , auch nicht Wein trinken. Dann kann sie jedoch nicht allzu fettes Fleisch und Fische geniessen ; scharfe Speisen und Gewürze sind ihr verboten. Der Coitus wird als schädlich bezeichnet. Dergleichen Verhaltungsmaassregeln und ihre Begründung giebt Soranus noch mannigfach. Eine ganz ausführliche Besprechung der Diät in der Zeit, in welcher (etwa im zweiten Monat ) die sogenannten Gelüste auftreten , finden wir in einem besonderen Capitel seines Buches ; wir kommen darauf noch zurück ; ist aber diese Periode vorüber, so hat die Frau noch weniger Vorsicht bezüglich des Liegens, der Einreibungen, der Speisen, des Weintrinkens, 512 XXII. Die Gesundheitspflege der Schwangerschaft. des Badens, des Schlafs zu beobachten, da nun ihre Constitution kräftiger ist und die Frucht reichlicherer Nahrung bedarf. Doch vom siebenten Monat an wird wiederum die Enthaltung heftigerer Bewegung empfohlen wegen der Gefahr, dass sich die Frucht vom Uterus trenne, wenngleich die Erfahrung lehre, dass eine 7monatliche Frucht lebensfähig ist . Drücken der Brüste wird als mögliche Ursache von Abscessen und Einschnüren derselben als schädlich verboten. Im achten Monat, den der Volksmund zu Soranus Zeit als „ leichten " bezeichnete , der jedoch auch seine Beschwerden hat, muss die Menge der Speisen wieder vermindert werden : Die Frau soll nun mehr liegen, wenig gehen, kalte Bäder, welche beim Volke jener Zeit sehr beliebt waren , sich versagen. In den letzten Monaten hat die Frau den Unterleib , wenn derselbe zu sehr vor- und herabhängt, mit einer Binde zu versehen und ihn mit Oel einzusalben ; nach Ablauf des achten Monats aber soll diese Binde entfernt werden, und es sind dann warme Bäder zu gebrauchen, und sogar Schwimmen in süssem, warmem Wasser , um die Körpertheile geschmeidig zu machen ; zu letzterem Zwecke dienen auch Bähungen, Sitzbäder mit Abkochungen von Leinmehl, Malven u. s. w. , Einspritzungen mit süssem Oel und Pessi aus Gänsefett . Dass schliesslich Soranus die Hebamme lehrt, sie solle bei Erstgebärenden, welche festes Muskelfleisch und einen harten Cervix Uteri haben, mit dem Finger den Muttermund einsalben und öffnen, ist ohne Zweifel tadelnswerth. Auf ähnlichen Grundsätzen, wie sie hier ausgesprochen wurden, verharrten noch Jahrhunderte lang die Vertreter der Heilkunde, deren es eine Zeit lang unter den Arabern , dann aber bis weit in das Mittelalter, ja sogar bis in die neuere Zeit nur wenige Einsichtsvolle gab. In unseren frühesten deutschen Hebammenbüchern werden Lehren aufgestellt, die zum Theil ganz vernünftig, zum Theil nur früheren Schriften entlehnt sind. Beispielsweise sagt Rösslin in seinem „ Der Schwangeren Frawen Rosegarten" : Die Schwangere soll nicht faul und müssig sein, sanft einhergehen, unmässiges Drücken und Springen unterlassen. Man soll sich hüten, sie auf die Schulter oder den Nacken zu schlagen. Wenn die Geburt nahe ist, so soll sie bisweilen mit ausgestreckten Schenkeln eine Stunde lang sitzen, dann schnell wieder aufstehen, hohe Stiegen auf und ab laufen, singen oder stark rufen. Die Verhaltungsregeln sind hier also wesentlich einfacher, als bei Soranus. In dem unterweisenden Gedichte, welches Rösslin seinem Hebammenbüchlein angehängt hat, heisst es sehr naiv, nachdem die Diät der Schwangeren ausführlich in Versen angegeben worden : 29 Wenn sich dann nahet ihre Zeit, Dass sie der Frucht soll werden queit, So sollen sie spacieren thon, Die Treppen auf und nieder gohn. Dardurch sie ring und fertig werden, Zu geberen ohn all Beschwerden. " 122. Die Ernährung der Schwangeren und die Speiseverbote. Eine ausserordentlich weite Verbreitung hat die Annahme, dass eine Frau während der Gravidität bestimmte, ihr sonst gebräuchliche Nahrungsmittel zu meiden hätte und dafür andere besonders ausgewählte Speisen geniessen müsste. Wir haben bereits in den vorigen Abschnitten derartige Verordnungen kennen gelernt. Die verschiedenartigsten Ideen liegen diesen Bestimmungen zu Grunde und nicht immer gelingt es, sich ein klares Bild von ihnen zu entwerfen. Am einfachsten verständlich ist das Verbot, zusammengewachsene Früchte zu essen , wie wir es im Voigtlande , in Mecklenburg und auf den Seranglao- und GorongInseln finden. Man sieht ohne Weiteres und es wird auch noch besonders hinzugefügt, dass man fürchtete , dass durch derartige Nahrung Zwillinge entstünden. 122. Die Ernährung der Schwangeren und die Speiseverbote. 513 Um gleich bei den Speiseverboten zu bleiben, so darf die schwangere Serbin kein Schweinefleisch essen, weil sonst ihr Kind schielend würde, und sie darf keine Fische essen, weil sonst ihr Kind lange stumm bleibt. Auch der Zigeunerin Siebenbürgens ist der Genuss von Fischen während der Schwangerschaft aus dem gleichen Grunde untersagt, und sie darf auch keine Schnecken essen, weil sonst ihr Kind schwer gehen lernen würde (v. Wlislocki) . In Bari in Unter- Italien muss die Schwangere vermeiden, Wolfsfleisch zu essen, weil sie sonst ein heisshungriges Kind zur Welt bringen müsste . (Karusio. ) In der Gegend von Pola hat Naschhaftigkeit der Mutter einen ungünstigen Einfluss auf die Körperentwickelung des Embryo. (Mazzuchi. ) In Deutschland nahmen im 16. Jahrhundert auf Anrathen der Aerzte, z. B. Rösslin's, die Schwangeren gegen Ende der Schwangerschaft keine scharfen Speisen zu sich. Auf den Seranglao- und Gorong - Inseln darf die Schwangere keine Kalapa und Kanari und nur wenig Salz und spanischen Pfeffer zu sich nehmen, und auf den Watubela - Inseln sind ihnen ausserdem auch Volvoli und Raspen verboten. Zu den in der Gravidität verbotenen Speisen gehören Fische mit einem kleinen Schnabel und alles Fleisch von geschlachteten Thieren , auch von den Beutelratten. Auf Ambon und den UliaseInseln gilt die Regel, dass die Frau in der Schwangerschaft überhaupt nicht zuviel essen soll, weil sonst ihr Kind gefrässig werden würde. Die schwangere Japanerin verschmäht Kaninchen und Hasen zu essen , aus Furcht, dass das Kind eine Hasenscharte bekomme, und in einigen Gegenden Japans isst die Schwangere überhaupt kein Fleisch. Im Beginn der Schwangerschaft, wird bei den Annamitinnen nichts in der Lebensweise geändert. Nur von einigen furchtsamen Weibern wird eine besondere, von alten Frauen vorgeschriebene Diätetik befolgt : sie enthalten sich des Genusses von Ochsenfleisch und von Papaya-Früchten ; man glaubt nämlich, dass jenes Fleisch über Nacht Abortus herbeiführt, während man von diesen Früchten eine ähnliche Wirkung durch Erregung der Milch- Absonderung fürchtet. Allein die grosse Mehrzahl bleibt bei der gewohnten Nahrung in der Erwartung, dass sich das Kind ruhig weiter entwickele. In Limo lo Pahalaa auf der nördlichen Landzunge von Celebes haben die Frauen (der Alfuren) während der Schwangerschaft sich des Essens von stark riechenden Früchten zu enthalten , z. B. der Doerian, Koeini, der Krabben, der Seekrebse , der Aale u. S. W. Auf den Banks - Inseln im westlichen Theil des Stillen Oceans darf die Frau niemals Fische essen , die mit der Schlinge, dem Netze oder in einer Falle gefangen sind. Es gilt jedoch hier dieses Speiseverbot nur für die erste Schwangerschaft. Aehnliche Gebräuche sind auch von den Viti - Inseln bekannt. (Eckardt. ) Die Indianerin Brasiliens vermeidet in der Schwangerschaft den Fleischgenuss, und bei den Indianern des Gran Chaco essen überhaupt die verheiratheten Personen kein Schaffleisch , weil sie meinen, dass die zu erwartenden Kinder dann stumpfnasig werden. Die schwangere Negerin der Loango - Küste trinkt keinen Rum mehr , weil das Kind hierdurch Muttermale bekommen könnte. Diesem Aberglauben wird jedoch nicht allgemein gehuldigt, da von Pechuel- Loesche auch ein abweichendes Verhalten beobachtet wurde. Den schwangeren Jüdinnen der Bibel (1. Buch Richter 13, 7) war es sowohl verboten, Wein wie auch starke Getränke zu trinken, oder etwas Unreines zu essen. Neben diesen Verboten finden wir aber auch ganz bestimmte Vorschriften in Bezug auf die zu wählende Nahrung. So muss auf den malayischen Inseln Romang, Dama, Teun, Nila und Serua die Schwangere täglich rohe Fische mit dem Safte von Citrus hystrix geniessen. Auf den Carolinen- Inseln ist den Männern streng untersagt, mit der Frau zusammen zu essen, aber die kleinen Knaben, die noch keinen Gürtel tragen , dürfen es ; nur sie dürfen ihr Kokosnüsse bringen, deren sie eine Menge bedarf, weil sie kein anderes Getränk zu sich nehmen darf, als die Milch dieser Frucht : jedoch sind ihr mehrere Arten von Kokosnüssen und Brodfrüchten streng verboten. Dies berichtet Mertens, welcher 1816 als Naturforscher die russische Expedition unter Capitän Lütke begleitete. Auf Java geniessen die Schwangeren vorzugsweise gern eine dort sehr beliebte Speise, die man Radja nennt und die aus verschiedenen unreifen Baumfrüchten bereitet Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 33 514 XXII. Die Gesundheitspflege der Schwangerschaft. wird, man schält dieselben , schneidet sie in Stücke, zerstampft sie und dann isst man sie mit Salz und reichlich mit spanischen Pfefferschoten vermischt. ( Koegel. ) In China sagt der Arzt : „ Da der Appetit in der Schwangerschaft an sich schwach ist, so geniesst die Frau schon von selbst nicht viel ; am besten geniesst sie Hühnerbrühe, in Scheiben geschnittene Früchte, niemals aber fette Speisen . " Im Speciellen wird von einem chinesischen Arzte (v. Martius) gerathen : „ Die Schwangere darf bloss süsse und frische, mehr vegetabilische als animalische, durchaus aber keine widrigen und schädlichen Dinge geniessen . Enthalten muss sie sich ganz vorzüglich aller fetten Speisen , aller bitteren , aller scharf gesalzenen, sowie aller sehr heissen Gerichte. Gartengewächse vermehren die Säfte ihres Körpers und machen ein leichtes , fröhliches Blut. Vorzüglich empfehlenswerth für Schwangere ist ein dünner Erbsenbrei, junger Kohl, nebst anderen leicht verdaulichen Erd- und Wurzelfrüchten. Von Fleischgattungen kann eine Schwangere alles leicht Verdauliche und Zarte zum Genuss auswählen , namentlich nützen ihr Hühner, Enten, Tauben, junge Hunde und magere Ferkel. Nur muss man Alles so viel als möglich schmackhaft zubereiten und den Schaum zuvor abnehmen. Ein ganz vorzügliches Nahrungsmittel für Schwangere sind Milchspeisen aller Art. Dagegen ist ihnen der Genuss von allerhand unverdaulichen und erhitzenden Speisen durchaus zu verbieten ; hierunter gehören Ingwer, Zittwer, Galgant, Pfeffer, Cardamom u. s . w. Nachtheilig für eine Schwangere ist ferner Hunde-, Esel- , Pferde- und Schweinefleisch, sowie das Fleisch von wilden Thieren ; ebenso das der Muscusthiere, Igel, Ratten, Mäuse, Schildkröten, Ottern, Frösche, Krebse, Heuschrecken, Muscheln u. a. m.; desgleichen Schweineblut, Enteneier und endlich Alles , was in Butter gebraten ist. Trinken mag eine Schwangere Alles, was leicht und schmackhaft ist und nicht trunken macht. Jedoch Wein, Bier oder gar Branntwein und Arac, sowie überhaupt alle anderen erhitzenden Getränke, dürfen einer Schwangeren niemals gestattet werden. " Aeusserst vorsichtig und enthaltsam lebt während der Schwangerschaft hinsichtlich der Nahrungswahl die Indianerin Süd - Amerikas unter vielen Stämmen. Bei den Guaranis Brasiliens muss sie sogar fasten. Die Pahute - Indianer in Nord - Amerika suchen durch ein der Schwangeren während der letzten Wochen vor der Niederkunft vorgeschriebenes Fasten die Frucht zu nöthigen, dass sie möglichst bald danach strebe, an das Tageslicht zu treten, um sich an der Milch der Mutter gütlich zu thun ; ausserdem aber hoffen sie durch dieses Hungern die Weichtheile der Geburtswege zum Schwinden zu bringen und somit das Thor für den hindurchtretenden Sprössling weit zu machen. ( Engelmann. ) Die Indianer - Frauen in Canada essen während der Schwangerschaft wenig. (Le Beau. ) Bei den Lappen tranken die Schwangeren vor ihrer Entbindung Sarakka- Wein und sie assen nach derselben Sarakka- Grütze. Die Sarakka war die eigentliche Geburtsgöttin der Lappen , die alles Werdende, besonders aber die Leibesfrucht schützte . An sie richtete man auch während der Schwangerschaft Gebete , und man errichtete ihr in der Nähe ein Zelt , in dem sie wohnte , bis die Stunde der Mutter gekommen war. (Passarge. ) Wir haben auch aus Deutschland bemerkenswerthe Thatsachen aufgesammelt, durch die sich herausstellt, dass gewisse Unsitten hinsichtlich der Diät der Schwangeren eine grosse Verbreitung fanden , dass aber der sich daranknüpfende Volksglaube sonderbar variirt. Dies betrifft insbesondere den Branntweingenuss, der doch nach rationeller Anschauung einer Schwangeren nicht anzurathen ist. Im Pongau in Oesterreich trinken die Schwangeren viel Branntwein und lassen zur Ader , in der Absicht , dass der Fötus klein bleibe und so die Entbindung leichter wird ( Skoda) ; in der Pfalz aber glauben die Schwangeren, durch den Genuss von Branntwein dem Kinde eine glatte und weisse Haut zu verschaffen (Pauli) ; und schliesslich wollen sie in der Rheinpfalz damit erzielen, dass das Kind schön werde. In Berlin und Potsdam soll die Frau in der Gravidität immer die Kanten vom Brode essen, weil sie dann einen kräftigen Jungen bekommt. Der alte Rösslin empfahl den Schwangeren nahrhafte Speisen, und zur Stärkung einen kräftigen wohlriechenden Wein, den Claret aus Ingwer, Nelken, Liebstöckel, Galgant, Weisskümmel und weissem Pfeffer. 122. Die Ernährung der Schwangeren und die Speiseverbote. 515 In alter Zeit herrschte unter dem russischen Adel die Ueberzeugung, dass eine Frau in anderen Umständen einen guten Appetit haben und ungehindert viel fettes und nahrhaftes Essen zu sich nehmen müsse ; um das zu erreichen, nahm man 40 Stück Brod von Bettlern, und das musste die Frau verzehren. Manche Völker, die schon etwas weiter in der Civilisation vorgeschritten waren, haben sogar eine besondere Hygieine der Ernährung für die verschiedenen Schwangerschaftsepochen und -Monate aufgestellt . So hatten namentlich die alten Inder eigene Speiseregeln für jeden Schwangerschaftsmonat : Bis zum achten Monat sollte die Frau nur solche Speisen geniessen, die zum Wachsthum, von da an jedoch solche , die zur Kräftigung des Fötus beitragen könnten. In Susruta's Ayurvedas heisst es : „ Die Schwangere muss angenehm und süss schmeckende, milde, aromatische Speisen geniessen . Namentlich sei in den drei ersten Schwangerschaftsmonaten die Speise süss und erfrischend, im dritten Monat Reis in Wasser gekocht, im vierten in geronnener Milch, im fünften in Wasser, im sechsten mit gereinigter Butter gekocht. Dies ist nach Einigen die Diät der Schwangeren. " Aber Susruta setzt hinzu : „ Im vierten Monat darf sie Wasser mit frischer Butter gemischt und Rebhühnerfleisch geniessen ; im fünften eine mit Milch und Butter bereitete Speise ; im sechsten eine Essenz aus Butter mit Flacourtia cataphracta bereitet oder gegohrenes Reiswasser ; im siebenten Butter mit Hemionitis cordifolia bereitet . Das Alles soll zum Wachsthum der Frucht beitragen. Von da an wird der Embryo gekräftigt, wenn die Frau im achten Monat Wasser mit Ziziphus jujuba, Pavonia odorata, Sida cordifolia, Anethum sowo, Fleischbrühe, geronnene Milch, Molken, Sesamöl, Seesalz, Früchte der Vangueria spinosa , Honig und gereinigte Butter geniesst . Zuletzt geniesse sie bis zur Niederkunft mildes Wasser mit gegohrenem Reis und Rebhühner- (nach Vullers: Antilopen-) Brühe. " Bei den Atheniensern ass die Schwangere zum besseren Gedeihen des Kindes Kohl (Athenaeus) , Muscheln und Aepfelschalen , und sie erhielt ein Getränk aus Diptam bereitet. (Bartholinus. ) Nach Ephippus genoss sie den Kohl mit Oel und Käse : „Cum Amphidromia celebrentur, quibus mos est Assare frusta casei Chersonitae, Oleoque brassicam in fasciculos collectam incoquere. “ Und bei Q. Serenus Samonicus heisst es : "At ubi jam certum spondet praegnatio foetus Ut facili vigeat servata puerpera partu Dictamnum bibitur, cochleae manduntur edules . " Die Römer rathen, vom achten Monat an mässig in der Nahrung zu leben. Wir haben gehört, was und wie die schwangere Frau essen soll , und wir wollen noch einen ganz flüchtigen Einblick gewinnen, wo sie ihre Nahrung zu sich nehmen und wo sie sie nicht zu sich nehmen soll. Dass eine Schwangere überall dort, wo sie für unrein gilt, an dem gewöhnlichen Speiseplatz nicht ihr Mahl verzehren darf, sondern dass sie gezwungen ist, sich ein abgesondertes Winkelchen aufzusuchen, das versteht sich von selbst. Die Schwangere auf den Inseln Ambon und Uliase darf sich zum Essen nicht auf die Treppe des Hauses setzen, weil sonst ihr Kind eine Hasenscharte bekäme, sie darf auf Seranglao und Gorong nicht aus einer Wanne oder aus einem Siebe essen, sie darf im sächsischen Ober- Erzgebirge und im Voigtlande nicht bei der Mahlzeit vor dem Brodschranke stehen. sonst bekommt ihr Kind die Mitesser, und nach der Ansicht der Leute in Fahrland bei Potsdam darf die Schwangere nicht von der Kochkelle kosten, sonst bekommt sie eine schlimme Brust. Wenn die schwangere Wendin in Hannover direct aus der Flasche trinkt, so bekommt das Kind Athembeschwerden. ( Wendland. ) 33* 516 XXII. Die Gesundheitspflege der Schwangerschaft. 123. Die Gelüste der Schwangeren. Von Alters her stehen die Schwangeren in dem Rufe, dass sie zeitweilig von sogenannten Gelüsten befallen werden, d. h. von der unüberwindlichen Neigung, bestimmte Dinge zu essen und zu trinken, die entweder sehr schwer verdaulich und ihnen eigentlich verboten oder unerreichbar sind, oder die selbst gar nicht zu den essbaren Gegenständen gehören. Einem solchen Gelüste, dessen Hauptzeit, wie wir gesehen haben, Soranus in den zweiten Monat der Schwangerschaft verlegt, die aber von anderen bis in den dritten Monat ausgedehnt wird, darf man unter keinen Umständen nach der Meinung des Volkes entgegentreten, weil sonst sowohl die Mutter als auch das im Werden begriffene Kind an Leib und Leben Schaden zu nehmen vermöchte. Allermindestens würde das Kind „ malig" werden, während die Mutter dadurch, dass man es ihr abschlüge oder nicht zu schaffen vermöchte, sich in für sie gefahrdrohender Weise erschrecken und erregen würde. Die alten Aerzte nannten diese Gelüste gewöhnlich pica , auch wohl citra oder malatia. Der alte David Herlicius aus Stargardt schreibt darüber 1628 : 52 Tregt sich bissweilen zu ; das sie gemeiniglich im 2 oder 3 Monat abschewliche und ungebührliche dinge zu essen begehren, als Kreyde, Kolen , Garnbrühe, Pech, Flachs, Wagenschmiere, rohes Fleisch, rohe Fische und Krebs, viel Saltz und dergleichen . Dieses ist wohl zu mehrermahl ein einbilden und eitel fürnehmen unartiger weiber. " Er giebt dann den verständigen Rath : „ Solchen frawen soll man dieselben dinge, derer sie gelüstet, weinig unter Augen stellen, und auss den Sinn reden, wie man nur kan, in ihrer Gegenwart nicht gedenken , und solche Sachen ich ihr mit verachtung verleide, auch anzeige, was für grosser Schade und gefahr daraus entstehe. " Um nun aber die schädliche Wirkung einer solchen Verweigerung nicht aufkommen zu lassen, muss man ihr einen Aufguss von jungen Weinblättern, die im Mai gesammelt wurden, dreimal nach einander zu trinken geben. Die Ursache dieser Gelüste ist, wie die Physiologie gelehrt hat, in Reizungszuständen des sogenannten Sonnengeflechtes, d. h. der Verzweigungen des Bauchtheiles von dem sympathischen Nervensystem zu suchen, und es bedarf natürlicherweise weiter gar keiner Versicherung, dass eine willensstarke Frau dieselbe ohne Weiteres zu unterdrücken vermag. Unter dem Volke namentlich auf dem Lande spielen die Gelüste der Schwangeren aber auch heute noch eine grosse Rolle, und es geht dieses soweit, dass z. B. im Schwarzwalde eine schwangere Frau, wenn sie von dem Gelüste befallen wird, ohne Weiteres Früchte aus einem fremden Garten zu nehmen berechtigt ist, jedoch besteht dabei die Bedingung, dass sie dieselben dann auch sofort verzehren muss. Auch schon nach den Weisthümern durften, wie Grimm berichtet, die Schwangeren nach Belieben und ohne dass sie strafbar waren, ihr Gelüste nach Wildpret, Obst und Gemüse befriedigen, selbst wenn es anderen Leuten gehörte. Wenn in Brandenburg eine Schwangere ihre Gelüste unterdrückt , so fürchtet man, dass ihr Kind niemals die betreffenden Speisen wird essen können. In Schwaben glaubt man (Buck), dass eine Schwangere, deren Sehnsucht nach einer gewissen Speise unerfüllt bleibt, ein Kind mit einem Muttermale gebären werde, dessen Form an die betreffende Speise erinnert. Die Gelüste der Schwangeren, la voglia , kennt auch der Italiener sehr wohl, und wer in der Provinz Bari ihnen eine Speise, nach der sie ihr krankhaftes Begehren befällt, verweigerte, der würde ein Gerstenkorn am Auge bekommen. Denn wenn solch Gelüst unbefriedigt bleibt, so 123. Die Gelüste der Schwangeren. 517 würde das Kind unfehlbar an seinem Körper hiervon irgend ein Mal oder ein Zeichen bekommen. Ist nun aber das Gelüst absolut nicht zu befriedigen, dann soll die Schwangere sich die Hinterbacken kratzen; hierdurch ist sie im Stande, die schädliche Einwirkung von dem Kinde, das sie unter ihrem Herzen trägt, abzuwenden. (Karusio. ) Bei Pola herrschen ähnliche Anschauungen, aber hier erstrecken sich die Gelüste niemals auf Nahrungsmittel, welche nur käuflich in den Läden zu haben sind. (Mazzucchi.) Man darf aber nicht etwa denken, dass Gelüste nur bei Schwangeren höher civilisirter Völkerschaften vorkommen ; vielmehr werden auch die Frauen der Urvölker von ihnen geplagt, und auch bei ihnen herrscht die Meinung, dass es dem Kinde schade, venn man den Schwangeren die absonderlichen Genüsse versagt, nach denen sie gelüstet. Wie die altindischen Aerzte schon meinten, die Gelüste der Schwangeren müssten befriedigt werden, so stellten denselben Grundsatz die jüdischen Aerzte des Talmud auf; im Falle der Nichtbefolgung desselben hielten sie Leben und Gesundheit der Schwangeren oder ihrer Frucht für so sehr gefährdet, dass man nöthigenfalls selbst den Versöhnungstag entweihen und die Speisegesetze unberücksichtigt lassen durfte. Auch bei den heute lebenden wilden Völkerschaften spielen die Gelüste eine grosse Rolle. So werden nach dem Zeugnisse des Abtes Gili die Indianerinnen am Orinoco nicht wenig von Gelüsten geplagt, und von den Indianern , welche ehemals Pennsylvanien bewohnten, erzählt Heckewelder : „ Wenn eine kranke oder schwangere Frau zu irgend einer Speise Lust hat, so macht der Ehemann sich gleich auf, sie zu besorgen. " Er führt Beispiele an, wo der Mann 40-50 Meilen lief, um eine Schüssel Kranichbeeren oder ein Gericht Welschkorn zu schaffen . Eichhörnchen, Enten und dergleichen Leckerbissen sind die Dinge, wonach die Frauen im Anfange der Schwangerschaft gewöhnlich gelüstet ; der Mann spart keine Mühe, sie herbeizuholen. Aus den Nilländern berichtet Hartmann: Schwangere leiden auch in diesen Gegenden häufig an mancherlei pathologischen Zuständen, besonders am Tama, dem heftigsten Gelüste nach absonderlicher Nahrung, und an anderen Extravaganzen. Im Sudan sucht man derartigen Begierden der Schwangeren nach Möglichkeit Genüge zu leisten. In Damascus geniessen die schwangeren Frauen das Pulver eines wohlriechenden Steines, genannt Tubaret homra, rother Staub, theils wegen des angenehmen Geruchs, theils der Gesundheit wegen. Denselben Stein benutzt man dort gepulvert und mit warmem Wasser zum Reinigen des Kopfes. (Petermann.) Während der Schwangerschaft pflegen die Frauen zu Lucknow in Indien Erde zu essen, die sie in kleinen Knollen verzehren. In Bengalen dagegen ist diese Erde in kleine Scheiben von zierlicher Form gebracht. Sie essen dieselben in grossen Massen trotz des Verbotes ihrer Ehemänner. (Jagor.) Auch in Persien verzehren die Schwangeren nach Polak während der letzten Monate besonders viele Erde, Magnesia-Tabaschir. Ob wir hier Gelüste zu erkennen haben, oder ob diese absonderlichen Nahrungsmittel nicht vielmehr eine medicamentöse Bedeutung besitzen, lassen wir dahingestellt. Um echte Gelüste handelt es sich aber bei den Bewohnerinnen der kleinen Inseln im Südosten des malayischen Archipels. Wir haben bereits oben einige Speiseverbote kennen gelernt, die für diese Frauen während der Schwangerschaft Geltung haben. Sie werden aber sämmtlich hinfällig , sobald eine solche Frau von Gelüsten befallen wird. Dann darf sie eben 518 XXII. Die Gesundheitspflege der Schwangerschaft. Alles essen, z . B. auf Serang auch herbe und saure Früchte, auf Ambon und den Ulias e -Inseln ausser unreifen Früchten selbst gebrannten Thon und Scherben von Töpfen und Pfannen. Streng für die Schwangeren verpönt ist aber trotz aller sonstigen Nachsicht gegen die Gelüste auf Keisar die Ananas und auf den Inseln Leti , Moa und Lakor die Erdmandel ( Arachis hypogaea), letztere weil sie angeblich Fieber verursacht. 124. Die Sorge für die psychische Stimmung der Schwangeren. Während die auf niederer Cultur stehenden Völker ebenso wenig auf die geistige wie auf die körperliche Ruhe der, wie bei uns der Volksmund sagt,,,in guter Hoffnung" befindlichen Frau bedacht sind, beginnt man bei einiger Civilisation in dieser Hinsicht meistens rücksichtsvoller zu verfahren . Unter allen Culturvölkern denkt man schon daran, dass Heiterkeit des Gemüths, Reinlichkeit, Mässigkeit in allen Genüssen die besten Vorsichtsmaassregeln in dieser Beziehung sind und dass insbesondere alle heftigen Affecte vermieden werden müssen. Schon die altindischen Aerzte beginnen ihre guten Rathschläge für Schwangere damit, dass sie ihnen empfehlen. beständig „ vergnügt" zu sein ; und die Autoren unserer ältesten Hebammenbücher (aus dem 16. Jahrh. ) sagen, die Schwangere solle „ in Freude und Wollust" leben. Jene rathen, Alles, was übel riecht, zu vermeiden, und auch diese meinen, die Schwangere müsse dem Gestank ausweichen. Der altindische Arzt Susruta warnt vor Grabstätten , und ein chinesischer Arzt (v . Martius) sagt : „ Eine Schwangere vermeide solche Orte, wo man ein Grab bereitet, eine Leiche begräbt u. s. w. " Das Verbot, sich bei Gräbern aufzuhalten und Leichen zu sehen, ist ein weitverbreitetes. Wir begegnen ihm im malayischen Archipel auf Seranglao und Gorong und ebenso auch in Schlesien , Pommern , Thüringen und dem Voigtlande. Hier nimmt man übrigens auch an, dass der Besuch des Kirchhofes dem entstehenden Kinde zeitlebens eine Leichenfarbe oder gar der Schwangeren selber den Tod zu bringen vermöchte. Ganz ähnliche Beweggründe sind es wohl, welche zu folgender, uns von Katscher berichteten Sitte führen: In manchen Gegenden Chinas erleidet, wenn weibliche Mitglieder der trauernden Familie schwanger sind, das Leichenbegängniss einen Aufschub bis nach der Vollziehung der erwarteten Geburten. Die Grossmutter eines intimen Freundes Gray's blieb mehrere Jahre lang unbeerdigt, weil immer eine oder die andere Verwandte schwanger war. Streit und Zank muss die Schwangere meiden, und sie darf vor allen Dingen selbst nicht schelten oder gar jähzornig werden, weil sonst auch ihr Kind böse werden würde (Ost - Preussen , Archangel, Luang- und Sermata- Inseln, Seranglao und Gorong) . Dass vielleicht die Sorge, der Schwangeren eine ruhige und fröhliche Stimmung zu erhalten, die Ursache ist, dass sie bei so verschiedenen Völkern nicht als Zeugin vor Gericht erscheinen darf, wurde bereits früher erwähnt. Auch das Verbot für die Schwangeren, Thiere zu tödten, muss wohl mit hierher gerechnet werden. Wir finden dasselbe auf Seranglao und Gorong und auch im bayerischen Franken. Hier darf sie keine jungen Katzen oder Hunde ins Wasser werfen, um sie zu ersäufen ; thut sie es dennoch, so wird sie kein lebendes Kind zur Welt bringen. Auf den Inseln Ambon und den Uliase- Inseln darf sie nicht einmal rohes Fleisch schneiden. XXIII. Die Gefahren und der Schutz der Schwangeren. 125. Das Versehen der Schwangeren. Der Glaube, dass das plötzliche Sehen von etwas Hässlichem oder gar Verkrüppeltem und Missgestaltetem, über das die Schwangere erschrickt, in sympathetischer Weise dem Embryo Schaden bringe, indem das Kind an irgend einer Stelle seines Körpers eine an das Gesehene erinnernde Missbildung bekomme, ist über ganz Deutschland verbreitet, er findet sich aber ebenfalls auch bei manchen aussereuropäischen Völkern. Es ist noch nicht sehr lange her, dass nicht allein das gebildete Publikum, sondern sogar die Aerzte jede Monstrosität aus dem Versehen zu erklären sich bemühten, und natürlicher Weise gefiel es einer jungen Mutter, welche ein missgebildetes Kind zur Welt gebracht hatte, sich zu erinnern , dass sie innerhalb der neun Monate ihrer Schwangerschaft einmal etwas Widerwärtiges gesehen oder sich über etwas erschreckt habe, dem sie dann bereitwilligst die Schuld an der Anomalie ihres Kindes in die Schuhe schob. So glaubt man allgemein in Deutschland , dass die Feuermäler entstehen, wenn die Schwangere vor einem Feuer erschrickt, oder wenn sie einen Schreck bekommt, weil sie plötzlich Jemanden bluten sieht. Immer soll dann das Feuermal das Bild der blutüberströmten Stelle wiedergeben. Auch das Erschrecken vor Thieren ist höchst gefährlich, weil die Schwangere sich ebenfalls daran versieht und dann die Kinder je nach der Thiergattung mit behaarten Muttermälern, mit Hasenscharten, mit Schweineschwänzen oder Ziegenklauen, und wenn das Thier, welches den Schreck eingejagt hat, zufällig ein frischgeschlachtetes war, auch mit offenem Bauche und vorliegenden Eingeweiden geboren werden. Wenn die Mutter vor einem Hasen erschrickt und sich dabei in das Gesicht fasst, so bekommt das Kind eine Hasenscharte ; es kann aber auch einen Hasenkopf bekommen (Spreewald) . Wenn die schwangere Serbin in das Blut eines frischgeschlachteten Schweines tritt, so bekommt ihr Kind rothe Flecke. An das Versehen der Schwangeren glaubt man auch in KleinRussland , wo man es für besonders gefährlich hält, wenn sie ein brennendes Haus sieht, denn dann bekommt das Kind auf der Stirn einen schwarzen Strich oder einen dunkelrothen Fleck am Leibe. Im Gouvernement Charkow vermeiden Schwangere den Anblick sehr hässlicher Menschen, besonders solcher, welche Narben oder etwas Aehnliches im Gesicht haben. Vielleicht hatten auch die alten Inder den Glauben an das Versehen der Schwangeren, denn Susruta warnte Schwangere, schmutzige und „ ungestaltete" Dinge zu berühren. Der oben genannte chinesische Arzt sagt : 520 XXIII. Die Gefahren und der Schutz der Schwangeren. Man hüte sich, eine Schwangere Hasen, Mäuse, Igel , Schildkröten, Ottern, Frösche, Kröten und dergl. sehen zu lassen . Ebenso muss auf Ambon und den Uliase - Inseln die schwangere Frau vorsichtig vermeiden , auf ihren Ausgängen Schlangenoder Affen zu begegnen. Auch unter den Urvölkern Amerikas ist der Glaube an das Versehen heimisch, z . B. unter den Indianern am Orinoco - Strom in SüdAmerika. (Gilli.) Auch ist den Wakamba in Ost - Afrika nach Hildebrandt das Versehen eine sehr bekannte Erscheinung. Empfindet die Frau rechtzeitig, dass sie sich versehen hat, so muss sie die Arme nach hinten bewegen und dazu sprechen weggesagt", dann wird das Versehen unschädlich. In Altpreussen herrscht, um das Versehen zu verhüten, die Vorschrift, dass die Frau, sobald sie einem Krüppel u. s . w. begegnet, nach dem Himmel oder auf ihre Fingernägel schauen soll. .. Die Siebenbürger haben gegen das Versehen folgende Mittel. Sie fordern die Schwangere auf, den Gegenstand, oder die Person, an welcher sie sich etwa versehen könnte, genau anzusehen und sich davor nicht zu erschrecken, oder den Blick sofort davon abzuwenden (im Unterwald und Schässburg). Fürchtet die Frau, sich an etwas zu versehen, so soll sie sich sogleich an den Hinteren greifen und sich in Erinnerung bringen, sich nicht versehen zu wollen, dann wird es keine Folge haben , oder das Kind wird das „ Mal" an diesem Körpertheil erhalten (ebendaselbst) . Hat ein Versehen" schon stattgefunden, und ist in Folge dessen das Neugeborene mit einem Schaden behaftet, so sucht man denselben zu vertreiben und den Folgen des Versehens entgegenzuwirken : 1. Jeden Freitag in der Zeit der Wochen setzt sich die Wöchnerin, die sich während der Schwangerschaft an etwas versehen, auf die Thürschwelle, mit den Füssen auf einen Besen tretend und mit dem Gesichte einwärts (ins Zimmer) gekehrt und denkt nach, was ihr Hässliches begegnet ist . Schliesslich betet sie ein Vaterunser (in Rätsch). 2. In Minarken und St. Georgen muss die Wöchnerin, die sich versehen , sieben aufeinanderfolgende Freitage auf der Thürschwelle mit dem Gesicht gegen die Gasse gekehrt sitzen, wenn sie ihr Kind von dem betreffenden Gebrechen befreien will. 3. Wenn sich eine Schwangere versehen hat, so muss sie an jedem Sonntage während des Glockenläutens in der Zeit der Wochen auf der Thürschwelle sitzen, das Kopftuch abnehmen, die Zöpfe auf den Rücken herabhängen lassen und wünschen, dass das Gebrechen dem Kinde vergehe. (Hillner. ) Es steht ja nun natürlich ausser allem Zweifel, dass Schreck und Gemüthsbewegungen einer schwangeren Frau auf deren Nervensystem und auf ihre Blutcirculation eine alterirende Wirkung haben müssen, die sehr wohl zu Störungen in dem Wachsthum des Embryo zu führen vermögen, und ganz neuerdings verficht der Leipziger Gynäkologe Hennig die Schädlichkeit eines Erschreckens der Mutter für das Kind im Uterus : Dagegen werde ich wieder zu einer schon früher in meinen Vorlesungen vertheidigten Ansicht hingezogen, welche eine heftige, unvorbereitet die Schwangere treffende Gemüthsbewegung , hier den Schreck bei einer abergläubischen Person als primum anspricht . Meine Theorie ist folgende : während der körperlichen Erschütterung , welche jeden Schreck begleitet, trifft ausser dem bekannten präcardialen Irradiationsgefühle ein centrifugaler (Hirn- ) Strom die bei Frauen so leicht erregbaren Verbindungsstränge, welche aus dem Rückenmarke zum Uterusgeflechte hinstreichen. Dass dieser psychische Reiz zunächst nicht den plexus spermaticus trifft, wird durch die Thatsache erhärtet, dass die von heftiger Gemüthsbewegung betroffenen Frauen meist nicht hypogastrische Schmerzen, sondern einen kurzen centrischen Schmerz oder Krampf in der Gegend der 126. Abergläubische Verhaltungsregeln während der Schwangerschaft. 521 Gebärmutter angeben, der gern reflectorisch die Beinmuskeln lähmt, zunächst vorübergehend. Sitzt nun im Uterus ein junges Ei, so stelle ich mir vor, dass die vorzeitige Wehe eine Welle im Fruchtwasser erregt. Diese Welle stürzt gegen den Scheidentheil, drückt entweder die Frucht abwärts, oder stösst im Rückprall gegen den Grund des Uterus, gelegentlich nochmals von oben abprallend . Hierbei werden die noch zarten Gebilde des Embryo leicht gezerrt, Spalten am Verschlusse gehindert oder wieder gesprengt, die Haltung der Gliedmaassen verschoben, ihr Wachsthum gestört. “ Was der Lehre von dem Versehen der Schwangeren in der Allgemeinheit, wie man sie früher aufgestellt hatte, aber mit Recht den Boden entzogen hat, das ist der Umstand, dass der von der Mutter mit aller Bestimmtheit angegebene Schreck, der dem Kinde die Missbildung gebracht haben sollte, in den meisten Fällen in den letzten Monaten der Schwangerschaft der Mutter begegnet war, während die betreffenden Monstrosiäten, wie die Entwickelungsgeschichte in unbestreitbarer Weise darthut, bestimmten Stadien unserer Entwickelung im Mutterleibe entsprechen, welche in die allerersten Wochen des embryonalen Lebens fallen. Diese Stadien sind durch eine Hemmung der weiteren Ausbildung in diesen Monstrositäten erhalten geblieben. 126. Abergläubische Verhaltungsregeln während der Schwangerschaft. Wir haben in den vorigen Abschnitten schon so vielerlei kennen gelernt, was die Schwangere thun und was sie vermeiden soll , dass man glauben möchte, die Verhaltungsregeln seien nun damit erschöpft. Dem ist aber keineswegs so. Es ist besonders noch mancherlei, vor dem sie sich zu hüten hat, wenn sie sich oder ihrem Kinde keinen Schaden zufügen will. Erscheinen uns nun auch manche von diesen Bestimmungen ganz absurd, so können wir doch wieder bei anderen den Gedankengang ahnen, welcher die Leute zu diesen Vorschriften veranlasst hat. Alles Knüpfen, Knoten und Verbinden verursacht einen Verschluss und muss daher von der Schwangeren unterlassen werden, wenn sie nicht selbst verschlossen sein will oder mit anderen Worten , wenn sie einer schweren Entbindung ausweichen möchte. Darum darf sie auch auf den Luang- und Sermata- und den Babar-Inseln keine Stoffe weben und auf den letzteren auch keine Matten flechten. In Franken darf die Schwangere aus dem gleichen Grunde nicht über eine Pflugschleife hinwegschreiten, oder wenn sie es aus Versehen dennoch gethan hat, so muss dieselbe wieder zusammengeharkt werden. Alles Kriechen und Sichwinden macht dem Kinde Umschlingungen der Nabelschnur. (Majer. ) Daher vermeidet in der Pfalz die Frau, unter einer Waschleine hindurchzuschlüpfen ; auch darf sie weder spinnen , haspeln, noch zwirnen. (Pauli. ) Im bayerischen Franken darf sie ebenfalls nicht unter einem Seile oder einer Planke hindurchschlüpfen, und dieselbe Besorgniss ist bei den Esthen die Ursache, dass Schwangere beim Waschen und Abspülen der Kleidungsstücke nicht kreisförmig drehen. In Oldenburg darf die Schwangere nicht unter dem Halse des Pferdes hindurchkriechen, nicht über eine Egge schreiten und nicht über eine Wagendeichsel kriechen. Einen Wasserkopf bekommt das Kind, wenn die Mutter sich am Wasser zu thun macht ( Preussen) . Damit das Kind nicht schielend werde , darf in Preussen die Schwangere durch kein Ast- oder Schlüsselloch oder in eine Flasche sehen , in Serbien die Frau nicht über eine Heugabel schreiten (Petrowitsch), und auf der Insel Ambon 522 XXIII. Die Gefahren und der Schutz der Schwangeren. und den Uliase- Inseln die Schwangere nicht auf Riffen fischen und nicht Leute, die mit Lepra und bösen Geschwüren behaftet sind, hinter ihrem Rücken vorbeigehen lassen . Auf den letzteren Inseln darf sie nicht mit dem Rücken gegen einen Kochtopf gekehrt sitzen, weil sonst das Kind schwarz werden würde, während die Wendin in Hannover Male und Sommersprossen macht, wenn sie gelbe Rüben schabt oder etwas kocht , was spritzt. Rothe Haare bekommt das Kind im Spreewalde , wenn die Schwangere, um den Flachs zu trocknen, in den Backofen kriecht. Hält sich die Wendin in Hannover und im Spreewalde bei etwas Uebelriechendem die Augen zu, so bekommt das Kind einen stinkenden Athem, und zu einem Bettnässer macht die letztere ihr Kind, wenn sie ihr Wasser bei einer laufenden Dachtraufe abschlägt. Wenn die Schwangere einem armen Sünder auf seinem letzten Gange folgt, so wird das Kind einst denselben Weg gehen. (Bayern. ) Sie darf nicht Jemandem etwas fortnehmen oder heimlich essen, weil sonst ihr Kind die Neigung zum Stehlen bekommt (OstPreussen) ; aus dem gleichen Grunde darf sie auf Ambon und den Ulia se - Inseln nichts heimlich verbergen. Eine verkehrte Lage giebt es dem Kinde, wenn auf den Luang- und Sermata - Inseln und in Esthland das Brandholz verkehrt oder gegen den Ast in das Feuer geschoben wird . Eine besonders grosse Gefahr bringt es dem Kinde auf Ambon und den Ulia se - Inseln, sowie auf Seranglao und Gorong und auf den Watubela - Inseln , wenn die Frau über Blinde, Missgestaltete und Verkrüppelte ihren Spott treibt. Will die Frau auf Seranglao und Gorong gesunde und wohlgestaltete Kinder gebären, so darf sie, wenn sie schwanger ist, nicht vor der Thüre sitzen , kein Holz aufsammeln, nichts Stachliges fischen und nicht auf dem Rücken liegen . Auf den Luang- und Sermata - Inseln darf nicht gekocht werden, wo eine Schwangere im Hause ist . Die Esthin glaubt beim Anschneiden eines Brodes ihren Kindern dadurch einen wohlgeformten Mund zu verschaffen, dass sie zunächst nur ein kleines Stück abschneidet. Bei den Serben darf die Schwangere das Kreuz nicht küssen, weil sonst ihr Kind von Epilepsie befallen wird, sie darf sich keinen kranken Zahn entfernen lassen, weil ihr Kind sonst sterben würde, und endlich küsst sie auch kein fremdes Kind, aus Furcht, dass ihr dies eine Superfötation verursachen könnte. Mit unbedeckten Haaren gehen und Katzen oder Hunde mit Füssen stossen verursacht in Böhmen und Mähren Fehlgeburt. In Bayern schlafen die Schwangeren auf Garn, welches ein noch nicht sieben Jahre altes Mädchen gesponnen hat, weil das glückbringend ist. Bei den Zelt- Zigeunern in Siebenbürgen drohen nach r. Wlislocki's Berichten der Schwangeren ebenfalls mancherlei Gefahren. Sieht sie das aufgesperrte Maul eines verendenden Thieres, so bekommt das Kind einen hässlichen Mund; trägt sie Hirse , Hanfsamen , Perlen oder sonstige kleinkörnige Dinge in ihrer Schürze, so bekommt das Kind einen schwer zu heilenden Hautausschlag ; spritzt ihr zufällig das Blut eines abgeschlachteten Thieres ins Gesicht , so treten ihrem Kinde an derselbe Stelle rothe Flecken hervor, wenn sie die angespritzte Stelle ihres Gesichtes nicht bei abnehmendem Monde mit Salzwasser einigemale befeuchtet. Im Modenesischen darf nach Riccardi die Schwangere (ähnlich wie in der Pfalz) nicht unter einer ausgespannten Leine oder unter einem Pferdekopf hindurchgehen, denn so oft sie darunter durchgeht, so oft schlingt sich die Nabelschnur um den Hals des Fötus. Auch muss in demselben Theile Italiens bei Beschwerden in der Schwangerschaft der heiligen Liberata eine Messe gelesen werden, weil sonst das Kind später auf die Galere oder an den Galgen kommen würde. Eine Reihe anderweitiger schädlicher Einwirkungen auf den sich entwickelnden Embryo werden wir noch im folgenden Abschnitte kennen lernen. Wenn eine eingeborene Frau in Algerien, nachdem sie schon eine schwere Entbindung erlitten hat, fürchtet, abermals einer schweren Geburt entgegenzugehen, so trägt sie zur Erleichterung derselben während der Schwangerschaft in den Falten ihres Haïks eine Mischung von Oel mit Asche von Eicheln (bellouth), oder sie bindet sich auf den einen ihrer 127. Die Pflichten des Ehemannes während der Schwangerschaft. 523 Schenkel einen Flintenstein auf, auch trägt sie vielleicht noch auf ihrem rechten Schenkel ihren eigenen Haarkamm, auf welchem die Worte aufgeschrieben sind : „ Derjenige, dessen Name in Wahrheit besteht, sei günstig gesinnt dem Kinde , das in deinem Leibe ist, und Alles wird gut gehen. Heil sei der Mutter" (dazu der Name der letzteren). Es verdient hier noch erwähnt zu werden, dass in den Gebieten von Treviso und Belluno nach Bastanzi dem Jäger die Begegnung mit einer Schwangeren ebenso unheilvoll ist, als diejenige mit einem alten Weibe, und in Bari glaubt man, wie Karusio berichtet, dass wenn eine Schwangere eine trächtige Stute oder Eselin besteigt, diese abortiren müsse. 127. Die Pflichten des Ehemannes während der Schwangerschaft. Der Eintritt der Schwangerschaft legt nun aber nicht nur der Frau, sondern bei manchen Völkern sogar auch dem Manne ganz bestimmte Verpflichtungen auf, und zu diesen muss man ja eigentlich auch schon die bereits erwähnte Vorschrift rechnen, dass der Gatte während der Gravidität den Coitus und bisweilen sogar jeglichen Umgang mit der Ehefrau zu meiden hat. Bei den Pschawen (Transkaukasien) geht die Unreinheit der Frau während der Schwangerschaft auch auf den Mann mit über, der dann ebenso wie die Frau von allen Festlichkeiten ausgeschlossen wird. Bei mehreren südamerikanischen Indianerstämmen enthalten sich sowohl die Frau als auch der Mann während der Schwangerschaft des Genusses der Fleischspeisen ; bei den Guaranis geht der Mann nicht auf die Jagd, so lange seine Frau schwanger ist . Bei anderen Stämmen, z . B. den Manhees (nach v. Spir) , muss der Ehemann fasten und nur von Fischen und Früchten leben. Schon die alten Peru aner im Inca Reiche liessen den Mann fasten, um Zwillings- oder Missgeburten zu verhüten. Am Amazonenstrom giebt es nach Chandless Stämme, die den Ehemännern Schwangerer Fische, männliche Schildkröten und Schildkröteneier zu speisen, ausserdem aber auch angestrengte Arbeit verbieten . Besonders sind die Cariben, bei denen auch das Männerkindbett Sitte ist, in dieser Hinsicht für das Wohl des zu erwartenden Kindes besorgt. Der Arbeit muss sich der Ehemann auch in Grönland bis zur Geburt enthalten, weil sonst das Kind sterben würde. Und in Kamtschatka machte man den Ehemann für die falsche Lage des Kindes bei der Geburt verantwortlich, weil er zur Zeit der Niederkunft seiner Frau Holz über das Knie gebeugt hatte. (Steller.) Selbst die ungemein rohen Eingeborenen der Andamanen- Inseln halten nach Man an dem Gebrauche fest, dass die Schwangere weder Honig, noch Schweine , Marder (Paradoxurus) und Eidechsen (Iguaja) geniesst. Diese beiden letzteren Speisen vermeidet auch der Gatte, weil sonst der Embryo beunruhigt würde. Der wilde Land- Dajak auf Borneo darf vor der Geburt des Kindes nicht mit scharfen Instrumenten arbeiten , kein Thier tödten und keine Flinte abfeuern. 522 XXIII. Die Gefahren und der Schutz der Schwangeren. und den Uliase - Inseln die Schwangere nicht auf Riffen fischen und nicht Leute, die mit Lepra und bösen Geschwüren behaftet sind, hinter ihrem Rücken vorbeigehen lassen. Auf den letzteren Inseln darf sie nicht mit dem Rücken gegen einen Kochtopf gekehrt sitzen, weil sonst das Kind schwarz werden würde, während die Wendin in Hannover Male und Sommersprossen macht, wenn sie gelbe Rüben schabt oder etwas kocht , was spritzt. Rothe Haare bekommt das Kind im Spreewalde , wenn die Schwangere, um den Flachs zu trocknen, in den Backofen kriecht. Hält sich die Wendin in Hannover und im Spreewalde bei etwas Uebelriechendem die Augen zu, so bekommt das Kind einen stinkenden Athem, und zu einem Bettnässer macht die letztere ihr Kind, wenn sie ihr Wasser bei einer laufenden Dachtraufe abschlägt. Wenn die Schwangere einem armen Sünder auf seinem letzten Gange folgt, so wird das Kind einst denselben Weg gehen. ( Bayern. ) Sie darf nicht Jemandem etwas fortnehmen oder heimlich essen, weil sonst ihr Kind die Neigung zum Stehlen bekommt (OstPreussen) ; aus dem gleichen Grunde darf sie auf Ambon und den Uliase - Inseln nichts heimlich verbergen. Eine verkehrte Lage giebt es dem Kinde, wenn auf den Luang- und Sermata - Inseln und in Esthland das Brandholz verkehrt oder gegen den Ast in das Feuer geschoben wird. Eine besonders grosse Gefahr bringt es dem Kinde auf Ambon und den Uliase- Inseln, sowie auf Seranglao und Gorong und auf den Watubela - Inseln , wenn die Frau über Blinde, Missgestaltete und Verkrüppelte ihren Spott treibt. Will die Frau auf Seranglao und Gorong gesunde und wohlgestaltete Kinder gebären, so darf sie, wenn sie schwanger ist, nicht vor der Thüre sitzen, kein Holz aufsammeln, nichts Stachliges fischen und nicht auf dem Rücken liegen. Auf den Luang- und Sermata - Inseln darf nicht gekocht werden, wo eine Schwangere im Hause ist . Die Esthin glaubt beim Anschneiden eines Brodes ihren Kindern dadurch einen wohlgeformten Mund zu verschaffen, dass sie zunächst nur ein kleines Stück abschneidet . Bei den Serben darf die Schwangere das Kreuz nicht küssen , weil sonst ihr Kind von Epilepsie befallen wird, sie darf sich keinen kranken Zahn entfernen lassen, weil ihr Kind sonst sterben würde, und endlich küsst sie auch kein fremdes Kind, aus Furcht, dass ihr dies eine Superfötation verursachen könnte. Mit unbedeckten Haaren gehen und Katzen oder Hunde mit Füssen stossen verursacht in Böhmen und Mähren Fehlgeburt. In Bayern schlafen die Schwangeren auf Garn, welches ein noch nicht sieben Jahre altes Mädchen gesponnen hat, weil das glückbringend ist. Bei den Zelt - Zigeunern in Siebenbürgen drohen nach v. Wlislocki's Berichten der Schwangeren ebenfalls mancherlei Gefahren. Sieht sie das aufgesperrte Maul eines verendenden Thieres, so bekommt das Kind einen hässlichen Mund; trägt sie Hirse , Hanfsamen , Perlen oder sonstige kleinkörnige Dinge in ihrer Schürze, so bekommt das Kind einen schwer zu heilenden Hautausschlag ; spritzt ihr zufällig das Blut eines abgeschlachteten Thieres ins Gesicht , so treten ihrem Kinde an derselbe Stelle rothe Flecken hervor, wenn sie die angespritzte Stelle ihres Gesichtes nicht bei abnehmendem Monde mit Salzwasser einigemale befeuchtet. Im Modenesischen darf nach Riccardi die Schwangere (ähnlich wie in der Pfalz) nicht unter einer ausgespannten Leine oder unter einem Pferdekopf hindurchgehen, denn so oft sie darunter durchgeht, so oft schlingt sich die Nabelschnur um den Hals des Fötus. Auch muss in demselben Theile Italiens bei Beschwerden in der Schwangerschaft der heiligen. Liberata eine Messe gelesen werden, weil sonst das Kind später auf die Galere oder an den Galgen kommen würde. Eine Reihe anderweitiger schädlicher Einwirkungen auf den sich entwickelnden Embryo werden wir noch im folgenden Abschnitte kennen lernen. Wenn eine eingeborene Frau in Algerien, nachdem sie schon eine schwere Entbindung erlitten hat, fürchtet, abermals einer schweren Geburt entgegenzugehen, so trägt sie zur Erleichterung derselben während der Schwangerschaft in den Falten ihres Haïks eine Mischung von Oel mit Asche von Eicheln (bellouth), oder sie bindet sich auf den einen ihrer 127. Die Pflichten des Ehemannes während der Schwangerschaft. 523 Schenkel einen Flintenstein auf, auch trägt sie vielleicht noch auf ihrem rechten Schenkel ihren eigenen Haarkamm, auf welchem die Worte aufgeschrieben sind : „ Derjenige, dessen Name in Wahrheit besteht, sei günstig gesinnt dem Kinde , das in deinem Leibe ist, und Alles wird gut gehen. Heil sei der Mutter" (dazu der Name der letzteren) . Es verdient hier noch erwähnt zu werden, dass in den Gebieten von Treviso und Belluno nach Bastanzi dem Jäger die Begegnung mit einer Schwangeren ebenso unheilvoll ist, als diejenige mit einem alten Weibe, und in Bari glaubt man, wie Karusio berichtet, dass wenn eine Schwangere eine trächtige Stute oder Eselin besteigt, diese abortiren müsse. 127. Die Pflichten des Ehemannes während der Schwangerschaft. Der Eintritt der Schwangerschaft legt nun aber nicht nur der Frau, sondern bei manchen Völkern sogar auch dem Manne ganz bestimmte Verpflichtungen auf. und zu diesen muss man ja eigentlich auch schon die bereits erwähnte Vorschrift rechnen, dass der Gatte während der Gravidität den Coitus und bisweilen sogar jeglichen Umgang mit der Ehefrau zu meiden hat. Bei den Pschawen (Transkaukasien) geht die Unreinheit der Frau während der Schwangerschaft auch auf den Mann mit über, der dann ebenso wie die Frau von allen Festlichkeiten ausgeschlossen wird . Bei mehreren südamerikanischen Indianerstämmen enthalten sich sowohl die Frau als auch der Mann während der Schwangerschaft des Genusses der Fleischspeisen ; bei den Guaranis geht der Mann nicht auf die Jagd, so lange seine Frau schwanger ist . Bei anderen Stämmen, z. B. den Manhees (nach v . Spir), muss der Ehemann fasten und nur von Fischen und Früchten leben . Schon die alten Peruaner im Inca- Reiche liessen den Mann fasten, um Zwillings- oder Missgeburten zu verhüten. Am Amazonenstrom giebt es nach Chandless Stämme, die den Ehemännern Schwangerer Fische, männliche Schildkröten und Schildkröteneier zu speisen, ausserdem aber auch angestrengte Arbeit verbieten. Besonders sind die Cariben, bei denen auch das Männerkindbett Sitte ist , in dieser Hinsicht für das Wohl des zu erwartenden Kindes besorgt. Der Arbeit muss sich der Ehemann auch in Grönland bis zur Geburt enthalten, weil sonst das Kind sterben würde. Und in Kamtschatka machte man den Ehemann für die falsche Lage des Kindes bei der Geburt verantwortlich, weil er zur Zeit der Niederkunft seiner Frau Holz über das Knie gebeugt hatte. (Steller.) Selbst die ungemein rohen Eingeborenen der Andamanen - Inseln halten nach Man an dem Gebrauche fest, dass die Schwangere weder Honig, noch Schweine , Marder (Paradoxurus) und Eidechsen ( Iguaja) geniesst. Diese beiden letzteren Speisen vermeidet auch der Gatte, weil sonst der Embryo beunruhigt würde. Der wilde Land- Dajak auf Borneo darf vor der Geburt des Kindes nicht mit scharfen Instrumenten arbeiten , kein Thier tödten und keine Flinte abfeuern. 524 XXIII. Die Gefahren und der Schutz der Schwangeren . Während der Schwangerschaft einer Frau der Kota im NilghirriGebirge lässt sich ihr Ehegatte weder die Haare noch die Nägel schneiden . (Mantegazza.) Ueber die Einwohner der Insel Nias besitzen wir von dem Missionar Thomas die folgenden Angaben : „Ist eine Niasser- Frau schwanger, so muss sie sowohl als ihr Mann sich einer solchen Menge Dinge enthalten , die an und für sich durchaus nicht böse sind , dass man meinen sollte , sie müssten in steter Angst leben während der ganzen Zeit der Schwangerschaft. Sie dürfen nicht an solchen Orten vorübergehen, wo früher eine Ermordung eines Menschen, oder Schlachtung eines Karabau, oder Verbrennung eines Hundes (wie letzteres bei gewissen Verfluchungen geschieht) stattfand , weil sich sonst bei dem zu erwartenden Kinde irgend etwas finden wird von den Krümmungen und Windungen des sterbenden Menschen oder Thieres. Aus demselben Grunde (und noch anderen) stechen sie kein zahmes oder wildes Schwein, noch zerschneiden sie sie, es sei denn, es hätte ein anderer vorgeschnitten, noch schlachten sie ein Huhn. Und wenn sie das Unglück haben , ein Hühnchen todtzutreten, dann ist das natürlich etwas Böses und es muss der Fehltritt durch Opfern wieder gut gemacht werden so wie jeder andere Fehltritt . Sie dürfen an keinem Hause zimmern, noch es decken, noch Nägel einschlagen , sich in keine Thür und auf keine Leiter stellen, weder Tabak noch Siri- Blatt im Betel- Sack abbrechen , sondern dasselbe erst herausnehmen, das alles, weil sonst das Kind nicht zur Welt geboren werden kann. Dennoch hatte ein freisinniger Niasser bei mir gezimmert; als aber seine Frau nicht gebären konnte, kam er und fragte mich, ob er einen Nagel ausziehen dürfe ; er erhielt von mir angemessene Belehrung, aber auch die Freiheit, nach seinem Glauben thun zu dürfen ; er zog also einen Nagel aus und bald war er glücklicher Vater. Sie gucken in keinen Spiegel und in kein Bambusrohr, weil sonst das Kind schielen wird ; sie essen keinen bujuwu (Art Vogel) , denn sonst spricht das Kind nicht, sondern krächzt gleich diesem Vogel. Sie packen keinen Affen an, weil sonst das Kind Augen und Stirn bekommt, wie ein Affe. Sie gehen nicht in das Haus, worin ein Todter liegt, weil sonst die Frucht des Leibes stirbt ; essen nichts von dem zu einer Beerdigung geschlachteten Schweine, weil sonst das Kind Krätze bekommt, pflanzen keine Pisangbäume, weil das Kind sonst Geschwüre bekommen wird. Sie essen keinen era (Art Holzkäfer) , weil sonst das Kind brustleidend wird. Sie fassen keinen baiwa (gewisser Fisch) an, noch schlagen sie eine Schlange, weil sonst das Kind magenkrank wird ; keltern auch kein Oel , denn sonst bekommt das Kind Kopfschmerzen in Folge dieses Pressens. Auch kochen sie kein Oel , weil es sonst einen wehen Kopf bekommt. Sie gehen an keinem Ort vorbei, wo früher der Blitz eingeschlagen hat, weil sonst der Körper des Kindes schwarz sein wird. Sie stecken kein Feld in Brand, denn dabei möchten Ratten und Mäuse verbrennen und das Kind krank werden . Sie treten nicht über die ausgestreckten Beine eines anderen, weil sonst das Kind nicht kann geboren werden. Sie essen keine Eule, weil sonst das Kind ebenso schreien wird, wie diese. Sie werfen kein Salz ins Schweinefutter, weil das Kind sonst krank werden wird; eben aus demselben Grunde essen sie kein Aas und schwören nicht. Aus dem Kochtopf essen sie nicht, weil sonst das Kind an der Nachgeburt fest- hängen wird. " Auf Neu- Britannien muss der Ehemann zu Hause bleiben (nach Powell) . Merkwürdig ist hierbei, wie häufig sich bei sehr verschiedenen Völkern die abergläubischen Anschauungen wiederfinden : Auf Massaua im arabischen Meerbusen hütet sich, wie mir Brehm mündlich mittheilte, der Ehemann einer schwangeren Frau, ein Thier zu erschlagen, weil sonst die Frau das Kind leicht verlieren könne, Auf Ambon und den Uliase- Inseln darf der Ehemann der Schwangeren nicht im Mondschein uriniren, denn dadurch, dass er seine Scham entblösst, beleidigt er die auf dem Monde befindlichen Frauen, was für seine Gattin eine schwere Entbindung zur Folge haben würde. Dies Alles sind abergläubische Vorstellungen, welche zeigen, wie zauberhaft man sich Wirkung und Einfluss des Vaters und seiner Lebensweise 127. Die Pflichten des Ehemannes während der Schwangerschaft. 525 auf das Kind und sein Wohl denkt. Der Vater soll schliesslich nach diesem Volksglauben die Verantwortung für das Gedeihen des Kindes im Mutterleibe tragen. Es möchte aber auch hier dem Herausgeber scheinen, als wenn wenigstens hinter einem Theil dieser abergläubischen Handlungen halb bewusst, halb unbewusst ein tieferer Sinn verborgen läge. Es handelt sich hier mit grosser Wahrscheinlichkeit um ganz ähnliche Verpflichtungen, wie wir sie in der Sitte des Männerkindbettes erkennen müssen, dass nämlich der Vater das Anrecht auf das Kind dadurch zu erwerben bestrebt ist, dass er an den Leiden und Entbehrungen, welche die Schwangerschaft und das Wochenbett der Frau auferlegen, in annähernd gleicher Weise wie die Gattin Antheil nimmt. Von grossem Interesse ist es, dass wir bei den Cariben diese Gebräuche neben dem Männerkindbette antreffen. XXIV. Die Therapie der Schwangerschaft. 128. Mechanische Vorkehrungen während der Schwangerschaft. Wir haben gesehen, wie selbst bei vielen rohen Völkern die Einsicht sich Bahn gebrochen hat, dass körperliche Ueberanstrengungen während der Schwangerschaft der Mutter sowohl als auch ihrem Kinde zum Schaden gereichen. Aber andererseits lässt sich auch nicht verkennen, dass eine zu grosse Verweichlichung während der Gravidität die Entbindung zu erschweren pflegt. Der englische Geburtshelfer Rigby wies schon darauf hin, dass Schwangerschaft und Geburt gerade dort am besten verlaufen , wo die Schwangeren ihre gewohnte Beschäftigung bis zur Niederkunft fortsetzen ; auch lehrt uns die tägliche Beobachtung, dass unsere Arbeiterfrauen die Entbindung leichter überstehen, als die in der Schwangerschaft sich möglichst ruhig verhaltendeu vornehmen Damen. Auch Martin³ sagt : „Nul n'ignore que plus la femme se rapproche des conditions de la nature , plus aussi la fonction génératrice s'accomplit sans bruit , et sans ces troubles synergiques des fonctions physiques et morales qui sont souvent poussées jusqu'à l'exaltation chez la femme civilisée. " Immer und immer tauchen aber sofort, wenn ein Volk einen gewissen Civilisationsgrad erreicht, wenn sich besonders Geburtshelferinnen und Aerzte um das Wohl und Wehe der Schwangeren bekümmern, die Gedanken an Schutzmaassregeln auf hinsichtlich der Haltung, Stellung und Lage, welche die Frau während der Schwangerschaft einnehmen soll. Den altindischen Frauen rieth Susruta, sich in der Schwangerschaft als Lager eines mit Schranken versehenen Bettes zu bedienen, in welchem sie in mehr sitzender Stellung schlafen mussten. Ein chinesischer Arzt (v. Martius) giebt der Schwangeren den Rath, wechselweise auf beiden Seiten zu liegen, nie aber allein auf einer Seite zu schlafen. Auf dem Rücken zu liegen, sei nachtheilig, auf dem Bauche aber höchst schädlich. In einem früheren Abschnitte haben wir bereits von der Anwendung der Leibbinde gesprochen, wie sie namentlich bei den Japanerinnen in Gebrauch gewesen ist. Durch diese wird auf den Unterleib der Schwangeren ein stetiger, ziemlich gleichmässiger Druck ausgeübt. Bei vielen anderen Völkern ist es Sitte, einen periodischen, unterbrochenen Druck anzuwenden durch Manipulationen, welche in das Gebiet des Knetens und des Massirens gehören. In den meisten Fällen ruht dieses Geschäft in den Händen derjenigen Personen , welche gewerbsmässig der Gebärenden später die nöthige Hülfe zu leisten pflegen. Gewöhnlich handelt es sich um solche Volksstämme, bei welchen überhaupt die Knetungen des 128. Mechanische Vorkehrungen während der Schwangerschaft. 527 Körpers bei allen möglichen Zuständen ein sehr beliebtes Verfahren abgeben. Nicht selten allerdings liegt bei der uns an dieser Stelle interessirenden Massage die ausgesprochene Absicht vor, dem Embryo im Mutterleibe eine günstige Lage zu erwirken. In Java wird von den Matronen, welche Hebammendienste leisten, der Unterleib der Schwangeren geknetet ; dieses Verfahren heisst nach Kögel „ Pitjak", nach Hasskarl „ Pidjed " . Das sind gewiss dieselben Manipulationen, welche bei den Alfuren auf Celebes (in Limo lo Pahalaa) während der Schwangerschaft ununterbrochen vorgenommen werden, um dem Kinde die rechte Lage zu geben. (Riedel. ) Von den Bewohnerinnen der Insel Nias berichtet Modigliani, dass , wenn sie sich in gesegneten Umständen befinden, sie sofort die Hülfe einer Dorfgenossin aufsuchen, welche in dem Rufe grosser Erfahrenheit steht. Sie sind nämlich der festen Ueberzeugung, dass diese im Stande ist, ihnen zu sagen, ob das Kind in ihrem Leibe sich in der richtigen Lage befinde, und dass sie, falls die Kindeslage eine fehlerhafte sein sollte, sie dieselbe in eine richtige umzuwandeln und ihnen eine glückliche Niederkunft zu sichern verständen. Das Letztere geschieht durch Massiren des Leibes und durch Einreibungen desselben mit Cocos- Oel. Vielleicht erklären sich hieraus die für diese Hebammen gebräuchlichen einheimischen Namen : salomo talu und sangamãi talu ; denn talu bedeutet Bauch, salomo heisst reiben und sangomai heisst der Hersteller (fabbricatore). Von einem ähnlichen Gebrauche der Hebammen in Mexiko berichtet v. Uslar. Auch wird in der Republik Guatemala der Schwangeren von der Hebamme allmonatlich der Unterleib gerieben und geschüttelt, ,,um der Frucht die gehörige Lage zu geben. " (Bernouilli. ) Den russischen Frauen in Astrachan wird im Falle einer zu frühen Senkung des Fötus oder einer ungünstigen Lage desselben " der Leib eingerichtet (im Russischen heisst es pravit ") . Diese Operation verrichten alte Weiber, indem sie mit der rechten Hand nach oben und mit der linken nach unten sanft drücken und stossen. (Meyerson.) In Japan behandelt man er den Unterleib durch das sogenannte Ambuk. In einem Berichte (Engelmann) heisst es : Dort bearbeitet der Heilgehülfe den Bauch der an seinem Nacken hängenden Schwangeren ; stemmt seine Schultern an deren Brüste und seine Knie zwischen ihre, so dass er sie fest im Griff hat. Dann beginnt er von der Seite her mit den Händen zu kneten, reibt vom siebenten Halswirbel an nach unten und vorne, auch die Hinterbacken und Hüften, mit seinen Handflächen und wiederholt diese Behandlung nach dem fünften Monat jeden Fig. 99. Massage einer schwangeren Japanerin. Nach einem japanischen Holzschnitt. Morgen 60 bis 70 Male. Es lehren uns jedoch japanische Abbildungen, dass die Massage der Schwangeren auch in hockender Stellung ausgeführt wird, wie es in der Fig. 99 dargestellt ist. 528 XXIV. Die Therapie der Schwangerschaft. Man geht in der mechanischen Hülfeleistung zur Vorbereitung auf die Geburt selbst bei wenig civilisirten Völkern bisweilen aber noch viel weiter und versucht sogar eine künstliche Eröffnung der Geburtswege vorzunehmen. Die hierbei in Anwendung gezogenen Mittel gehören bereits in das Gebiet der Gebärmutter-Chirurgie. Schon die römischen Hebammen pflegten, wie wir oben gesehen haben, während des neunten Monats Pessarien von Fett einzulegen und mechanische Reizungen des Muttermundes vorzunehmen. Auf der Insel Yap werden der Schwangeren schon ungefähr einen Monat vor der Geburt aufgerollte Blätter einer nicht überall auf Yap wachsenden Pflanze in den Muttermund eingeführt und immer gegen neue, dickere Rollen gewechselt. Dieselben sollen den Zweck haben, den Muttermund zu erweitern, um die Geburt schmerzloser zu machen. (v . Miklucho- Maclay. ) Sie wirken also in ganz ähnlicher Weise wie die Pressschwämme oder wie die Laminaria- oder Tupelo-Quellstifte in der modernen Gynäkologie. 129. Das Baden und Einsalben während der Schwangerschaft. Der Gedanke, dass Bäder und Oeleinreibungen der Schwangeren nützlich sein können, liegt sehr nahe und so finden wir dieselben auch vielfach in Anwendung ; insbesondere sind sie während der letzten Zeit der Schwangerschaft bei den Orientalen sehr gebräuchlich ; doch auch viele andere Völker benutzen dieselben . Wie noch jetzt in Indien , so wird auch wohl in der frühesten Zeit im Lande des Ganges von diesen Mitteln Gebrauch gemacht worden sein. Allerdings möchte es nach der im Allgemeinen unvollkommenen Uebersetzung des schon vielfach erwähnten, von Susruta geschriebenen Werkes Ayurveda in das Lateinische , welche wir Hessler verdanken, scheinen, als ob jener alte Autor der Schwangeren Einsalbungen überhaupt verboten habe. Allein Vullers übersetzt dieselbe Stelle: Sie soll sich nicht selbst einsalben. " Nach dieser letzteren Lesart hielt es also Susruta nur für schädlich, wenn die Schwangeren dergleichen Manipulationen eigenhändig besorgten. Nicht nur bei den höheren Kasten Indiens ist das Baden in der Schwangerschaft sehr beliebt, sondern auch die Nayer- Frau nimmt, wenn sie schwanger ist, mehrfach Bäder und sorgt überhaupt für das gute Befinden des Körpers. Die Anwendung von Bädern, das Einlegen von Pessarien und noch. andere, nicht zu billigende mechanische Reizungen des Muttermundes, ausserdem aber auch Einreibungen des Leibes mit Fett wurden von den Hebammen und Aerzten des alten Rom während des neunten Monats der Schwangerschaft in Anwendung gezogen ; auch später liessen die altarabischen Aerzte, wie Rhazes, während der letzten vierzehn Tage Bäder und Oeleinreibungen benutzen. In China werden den Schwangeren Bäder von kaltem Wasser und Seebäder angerathen ; doch fürchtet man in anderen Gegenden, durch das Baden den Schwangeren zu schaden. Auch sehr uncultivirte Völkerschaften haben ganz ähnliche diätetische Gebräuche. Auf den Tonga- Inseln reiben die Weiber den schwangeren Leib mit einer Mischung von Oel und Gelbwurz ein, um sich vor Erkältung zu schützen. (de Rienzi. ) Ebenso müssen die schwangeren Frauen auf Seranglao und Gorong , sowie auf Ambon und den Uliase - Inseln 130. Die Blutentziehungen während der Schwangerschaft. 529 sehr viel baden, und auf den letzteren Inseln müssen sie ihren Körper täglich zweimal mit feingestampften Pinen- und Warear - Blättern bestreichen. Während französische Geburtshelfer, unter Anderen schon Paré, während der Schwangerschaft zur Erleichterung der Geburt fette Stoffe in die Schenkel, die Schoossgegend, das Mittelfleisch und die Geschlechtstheile einzureiben empfahlen, finden wir in dem ältesten deutschen Hebammenbuche von Roesslin das Verbot : „Auch darf sie keine Schwitzbäder, Salbungen des Leibes und Kopfes vornehmen. " Dagegen sind jetzt in Deutschland bei den wohlhabenden Städterinnen laue Bäder am Ende der Schwangerschaft sehr beliebt, um die Geburtstheile zu erschlaffen und die Spannung der Bauchhaut zu mindern. 130. Die Blutentziehungen während der Schwangerschaft. Bekanntlich hat das Blutlassen lange Zeit hindurch bei den Culturvölkern eine ganz besondere Rolle gespielt ; und auch während der Schwangerschaft war es noch bis vor gar nicht zu entfernter Zeit ein sehr beliebtes, vorbeugendes Volksmittel. Aber auch bei rohen Völkern finden wir vereinzelte Spuren von der Anschauung, dass das Blutlassen nützlich in der Schwangerschaft sei. In Brasilien bringen sich unter den MauheeIndianern aus diesem Grunde manche schwangeren Frauen an den Armen und Beinen Wunden bei. (v . Martius. ) Schon früh begann der Kampf der Aerzte gegen die Unsitte dieses Volksgebrauchs. Da Susruta die Blutentziehungen in der Schwangerschaft als schädlich verbietet, und da die alten Inder in allen solchen Dingen den Brahmanen-Aerzten und ihren Rathschlägen gewiss grosses Vertrauen schenkten, so ist anzunehmen, dass sie das Blutlassen der Schwangeren wirklich vermieden . Wenn aber dann der altarabische Arzt Rhazes vor dem unnöthigen Aderlassen der Schwangeren warnt, so ist es wahrscheinlich, dass es zu seiner Zeit schon im Volke recht gebräuchlich war, während der letzten Periode der Schwangerschaft häufig Ader zu lassen . Der Aderlass ist auch heute noch bei manchen Völkern des Orients sehr beliebt und namentlich bei den Persern wird er von dem weiblichen Geschlechte häufig angewendet. Auch während der Schwangerschaft wird zur Ader gelassen, besonders im sechsten und im siebenten Monat. Ein Aderlass aber in den ersten Schwangerschaftsmonaten, namentlich gegen das Ende des dritten, wird von den Persern für schadenbringend angesehen. .. Mitunter wird auch in China während der Schwangerschaft ein Aderlass gemacht, eine Operation, welche erst durch Missionäre in China eingeführt wurde und deshalb das Mittel der Fremden" genannt wird. Das Volk glaubt, dass eine Schwangere sich nie von einem Manne die Ader öffnen lassen dürfe, und die Hebammen erhalten dasselbe natürlich in diesem Glauben zu ihrem eigenen Vortheil. (Hureau. ) Sehr beliebt ist das Aderlassen während der Schwangerschaft unter den Dalmatinern. Dort müssen, wie Derblich berichtet, die schwangeren Weiber, wenn die Geburt ohne üble Zufälle vor sich gehen soll, zweimal sich die Ader öffnen und wenigstens einige Pfund Blut entziehen lassen. Das eine Mal geschieht innerhalb der ersten fünf Monate, falls Erbrechen, Schwindel, Kreuz- oder Brustschmerzen, Harndrang, Zahnweh u. dergl. sich Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 34 530 XXIV. Die Therapie der Schwangerschaft. einstellen. Zeigen sich aber diese Zufälle nicht, oder nur in sehr geringem Grade, dann muss man erst recht zum Aderlass seine Zuflucht nehmen, um diesen üblen Symptomen vorzubeugen. Das zweite Mal findet dann in den letzten Wochen der Schwangerschaft statt ; man hält es für ein Präservativmittel gegen Krämpfe, Blutfluss und Apoplexie, wenn die Schwangere mit der Aderlassbinde sich in das Wochenbett begiebt. In Deutschland glaubte man lange, dass die Schwangeren ihrer Gesundheit wegen vor der Niederkunft Blut lassen müssen. Chirurgen, Bader und Hebammen hielten streng auf die Befolgung dieses Vorurtheils . Die alten Hebammen-Ordnungen verboten das Aderlassen nur in der ersten Schwangerschaftsperiode. Nach der Hebammen-Ordnung des Lonicerus zu Frankfurt a. M. ( 1573) soll die Schwangere „, in den ersten vier Monaten nicht Blut lassen, auch nicht Purgiren, denn es sind in diesen Monaten die Bande der Frucht gar weich, zart und schwach. " Noch in den letzten Jahrzehnten glaubten die Frauen im Frankenwalde, während der Schwangerschaft den wiederholten Aderlass nicht entbehren zu können ; sie halten es für ganz gut getroffen, wenn die letzte Aderlassbinde mit ins Wochenbett genommen wird. (Flügel.) Dasselbe ist in der Pfalz der Fall, wo nach Pauli die Schwangeren auf dem Lande fast ohne Ausnahme Aderlässe vornehmen. Im Anfange des 17. Jahrhunderts hat aber bereits Hippolytus Guarinonius in seinem grossen Werke vor dem Schaden gewarnt, der für Mutter und Kind aus dem Aderlass erwächst. Er betitelt das entsprechende Kapitel : Von dopelt Tyrannischen, dopelt verwegenen, aller gebür straffwürdigen Aderlass - Grewln der schwangern Weibern. 131. Die medicamentöse Behandlung der Schwangeren. In Deutschland , wo sich von jeher eine grosse Neigung zur Quacksalberei geltend machte, hatten während des 16. Jahrhunderts die Hebammen einen reichhaltigen Medicamenten- Apparat gegen die kleinen und grossen Leiden der Schwangerschaft : Wenn die Schwangere gefallen oder erschreckt ist , so dass man einen Abortus fürchtet, so soll sie nach der Anweisung alter Hebammenbücher zur Verhütung desselben sich die Geschlechtstheile beräuchern lassen und den Leib vorn waschen mit Wasser, in welchem Alaun, Galläpfel, Schwarzwurz, Wein und Essig gesotten wurde. Frauen, welche gewöhnlich zu früh niederkommen , sollen während der Schwangerschaft sich alle Tage ein Fussbad bereiten lassen aus Odermennig, Camillenblumen , Dill , Steinbrech und Salz zu gleichen Theilen , und darin eine Stunde vor dem Nachtessen und drei Stunden nach demselben die Schenkel erwärmen und mit warmen Tüchern abtrocknen , auch etliche Tage nüchtern einen Goldgülden schwer von der gedörrten inneren Haut des Hühnermagens mit Wein einnehmen. Bei Verstopfung musste die Schwangere nach Angabe der Hebammenordnung des Adam Lonicerus ( Frankfurt a. M. 1573) Biretschkräutlein mit Butter oder Lattichmüslein" gebrauchen , nöthigenfalls auch Stuhlzäpflein aus Honig und Eidotter oder von Venetianischer Seife ; wenn das nicht half, so wurde mit Rath eines Medici eine Purgation aus Manna und Cassia ( Senna) gereicht. Wenn die Frau viel Ohnmacht und Beschwerniss nach der Empfängniss empfindet, so soll sie einen Morettrank“ oder einen Trank von Rosenwasser, Ampferwasser, Zimmet und Manuchristiküchlein gemacht trinken. So sie ,, Unlust zur Speise" hat , soll sie des Morgens ein Trünklein von Granatensyrup, Zimmetröhren und Ampferwasser oder einen guten ,, Morettrank" gebrauchen, ein Magenpflaster legen und die Herzgrube mit Mastixöl , Balsamöl, Wermuthöl , Quittenöl u. s . w. schmieren. So eine Frau ihre gewöhnliche Blume" (die Menstruation) bekommt, soll sie folgenden Schwaden unten an sich gehen lassen und davon schwitzen : von grossem 32 131. Die medicamentöse Behandlung der Schwangeren. 531 Wegerich, Eichenlaub, Brombeerlaub, Fünffingerkraut, Taubenmist, Bohnenstroh und Haberstroh von jedem gleich viel in Wasser gesotten; auch soll sie all ihre Kost mit Wasser bereiten lassen, darin ein Stahl gelöscht ist. Jetzt kennt man in Deutschland unter dem Landvolk allerlei Mittel gegen die Beschwerden der Schwangeren. In der Pfalz rathen gegen das Erbrechen die Hebammen gewöhnlich Camillen- , Pfefferminz-, Zimmetthee, einen Löffel voll Malaga- Wein, auch aromatische Aufschläge von Lebkuchen , Branntwein , Nelken, Zimmet, Muskatnuss oder Fliesspapier mit Kirschenwasser. Auch sympathetische Mittel werden hier und da nicht verschmäht. Die in der letzten Zeit der Schwangerschaft bisweilen eintretende Verstopfung bekämpft man durch ein Glas Honigwasser, Abends vor dem Schlafengehen getrunken, oder durch Sennisblätter und kleine Rosinen mit Zwetschenwasser infundirt, des Morgens getrunken ; zuweilen auch durch Bittersalz in Fleischbrühe ; auch nimmt man zu Klystieren seine Zuflucht. Gegen Urinbeschwerden brauchen die Schwangeren Dämpfe von Camillen, Kleien und Hollunder in knieender Stellung , auch Einreibungen von weissem Lilienöl , sowie Trinken von Mandelmilch. Bei varicösen Venen werden spirituose Einreibungen angewendet ; bei Oedem der Schamlippen trockene aromatische Fomentationen, auch örtliche Dampfbäder. Beim Herzklopfen Schwangerer wenden die Hebammen ein Getränk von kaltem Wasser oder Zuckerwasser an. (Pauli. ) Abführmittel waren bei den Schwangeren in Deutschland fast überall zur Blutreinigung“ sehr beliebt . Nicht nur die oben erwähnte Frankfurter Hebammenordnung verbietet schon ausdrücklich das Purgiren der Schwangeren in den ersten vier Wochen wegen der abortiven Wirkung ; vielmehr wurde schon im Talmud (Tr. Pasachim) angedeutet, dass starke Abführmittel Abortus zur Folge haben können ; und auch schon der altarabische Arzt Rhazes warnte vor dem Missbrauch der Purgantien gegen das Ende der Schwangerschaft hin. Die im bayerischen Franken wohnenden israelitischen Frauen pflegen in der Schwangerschaft die Stiele der Paradiesäpfel abzubeissen, um eine leichte und glückliche Entbindung zu erlangen. (Mayer.) Bei den Römern genossen die schwangeren Frauen zur Vorbereitung auf eine glückliche Geburt und theils auch um den zu frühen Abgang der Frucht zu verhindern, Schnecken und einen Trank von Diptam und Granatapfelschalen ; unter den abergläubischen Mitteln befanden sich ferner Asche vom Ibis , Steine , die sich in Bäumen befanden, das Auge eines Chamäleon , das einem Kinde zum ersten Male abgeschnittene Haar , Harn- steine u. s. w. Im jetzigen Griechenland ist es nicht Sitte, der schwangeren Frau eine besondere Behandlung angedeihen zu lassen . Selbst wenn sie an irgend einer acuten oder chronischen Krankheit leidet , so ruft man deshalb doch keinen Arzt, weil man im Volke von jedem Arzneimittel glaubt, dass es unfehlbar einen Abortus herbeiführen müsse. (Damian Georg.) Bei den Naturvölkern wird nur selten, nach den Berichten der Reisenden , in der Schwangerschaft von Arzneien Gebrauch gemacht. Doch sind einige Beobachtungen in dieser Hinsicht immerhin bemerkenswerth. Einen sonderbaren Zweck bei der Verabreichung von Medicamenten in der Schwangerschaft verfolgen die Neger zu Old - Calabar in Ost - Afrika (Hewan) : sie prüfen nämlich die Empfängniss mittelst Arzneien. Es gelten ihnen drei Arten von Schwangerschaft für verhängnissvoll , das sind Zwillinge, eine abgestorbene Frucht und ein bald nach der Geburt absterbendes Kind . Die Entwickelung solcher dem Untergange geweihten Früchte sollen nun die Arzneien stören , wobei man sich vorstellt , dass eine jenen Arzneiprüfungen widerstehende Frucht gesund und stramm sei. Wird darauf das Ei ausgestossen, so gilt es als unter die unglückliche Rubrik gehörig. Die Mittel werden zuerst durch den Mund und den Mastdarm beigebracht, dann aber durch die Scheide, und in dem Falle , dass den ersteren ein blutiger Abfluss nachfolgt, werden sie auf den Muttermund selbst applicirt. Zu diesem Behufe bedienen sie sich dreier Kräuter : einer Leguminose, einer Wolfsmilchart (Euphorbia) und eines Amomum. Der Stengel der Wolfsmilch wird, vom Safte triefend , in die Scheide hinaufgeschoben; auf den Leguminosenstengel wird etwas gekauter und eingespeichelter GuineaPfeffer gestrichen, und darauf erfolgt in wenigen Tagen die Fehlgeburt. Die angewandten Mittel wirken nicht selten so heftig, dass allgemeines Uebelbefinden, bisweilen sogar der Tod eintritt. 34* 532 XXIV. Die Therapie der Schwangerschaft. Ein Volksmittel, welches in China bei der Schwangerschaft sehr gebräuchlich ist . wenn die Bewegung der Leibesfrucht Ungelegenheiten verursacht , ist Ning kuen- tschipao-tan (Mennigroth) und ausserdem ein Absud vom Seekohl und der weissen Bergdistel. (Schwarz.) Wenn in China eine Schwangere von einer Krankheit befallen wird, so hüten sich die Aerzte, diejenigen Mittel zu verordnen, welche im normalen Zustande Hülfe leisten ; denn sie glauben, durch die Schwangerschaft sei die Natur der Frau völlig umgekehrt. Deshalb verordnen sie derselben auch eine besondere Arznei. Nur einige dieser bei Schwangerschaft angewendeten Mittel sind uns bekannt : Ginseng als Tonicum; Pfeffer und Ingwer als eröffnendes Mittel ; Rhabarber als Purgans. Das Erbrechen der Schwangeren bekämpfen die Chinesen mit Erfolg, wie sie sagen , durch das arsenigsaure Schwefeleisen, das sie auch als Abführmittel benutzen ; ausserdem geben sie, obgleich in kleinerer Gabe, die arsenige Säure, welche sie im Wechselfieber höher schätzen als Chinin. Gegen den Medicamenten - Unfug während der Schwangerschaft eifert auch ein chinesischer Arzt (v . Martius) ; am unschädlichsten, sagt er, sei noch die Arznei Dschah-wa- ru-rah. Hat die Schwangere Schmerzen in der Gebärmutter oder in der Lumbargegend, so wendet die Hebamme die Acupunctur an, wobei sie die Nadeln selbst bis in die Gebärmutterhöhle einsticht ; ja sie sucht sogar den zu lebhaften Fötus dadurch zu beruhigen, dass sie ihn ansticht. (Hureau. ) XXV. Die Fehlgeburten und die unzeitigen Geburten im Allgemeinen. 132. Die Arten der unzeitigen Geburten. Bekanntermaassen führt nicht jeder in normaler Weise ausgeführte Coitus zu einer Empfängniss, aber ebensowenig führt jegliche Empfängniss und Schwängerung nun auch zu einer normalen Geburt. Wie die Früchte an dem Baume nicht alle ihre vollständige Reife erreichen, sondern ein Theil derselben bereits vorzeitig abzufallen pflegt, so kommt es auch verhältnissmässig nicht selten vor, dass die menschliche Frucht bereits vor abgelaufener Reifungszeit aus dem Mutterleibe ausgestossen wird. Tritt dieses Ausstossen der unreifen Frucht in einem Stadium ein, wo dieselbe unter ganz besonders günstigen Verhältnissen noch am Leben erhalten werden kann, so spricht man von einer Frühgeburt. Eine Fehlgeburt (Abortus) dagegen nennt man das zu Tage Treten des Kindes zu einer Zeit, in der es ausserhalb des Mutterleibes ein selbständiges Leben fortzuführen noch ausser Stande ist. Nicht allein äusserliche Umstände sind es, welche die Fehlgeburten und Frühgeburten veranlassen, sondern auch solche, die im Organismus nicht nur der Mutter, sondern gar nicht selten auch des Vaters begründet sind. Aber beide , Arten der vorzeitigen Geburt werden auch absichtlich hervorgerufen, theils aus verbrecherischer Absicht von den Müttern selber, theils , um das Leben der letzteren zu erhalten, durch die ärztliche Kunst. Wir müssen nun zuerst die Frage aufwerfen, wann ist denn eigentlich der Fötus lebensfähig ? Diese Frage soll in dem nächsten Abschnitte ihre Erörterung finden und wir werden dann sogleich die Besprechung der Frühgeburten und der Todtgeburten anschliessen. Den zufälligen und den absichtlichen Fehlgeburten, bei denen eine grössere Reihe von Gesichtspunkten zu erörtern sind, sollen dann die beiden folgenden Kapitel vorbehalten bleiben. 133. Wann ist die Frucht lebensfähig ? Es hat nicht unwesentlich zu der Entschuldigung der absichtlichen Fehlgeburten mit beigetragen, dass man in der ersten Zeit der Schwangerschaft den Embryo als einen unbelebten Gegenstand betrachtete. Lange Abhandlungen sind darüber geschrieben worden, von wann an die Frucht 534 XXV. Die Fehlgeburten und die unzeitigen Geburten im Allgemeinen. als belebt zu betrachten sei, oder mit anderen Worten, zu welcher Zeit ihr die Seele gegeben würde. Luigi Bonaciolo ist der Meinung, dass der männliche und weibliche Same 45 Tage gebraucht, um Saft, Blut, Fleisch und die übrigen Theile des Embryo zu bilden. Tunc anima rationalis it sublimi Deo creatur, creataque infunditur. Die Aerzte haben ziemlich früh Abnormitäten an dem weiblichen Körper kennen gelernt, welche die Frau in die höchste Lebensgefahr bringen mussten, wenn sie zu normaler Zeit einer Entbindung unterliegen sollte. Daher scheuten sie sich, und zwar mit vollem Rechte, nicht, in solchen Fällen den künstlichen Abortus einzuleiten . Dieses schreibt auch Moschion vor: , Wenn die Schwangere einen festen Auswuchs oder sonst ein Hinderniss am Muttermunde hat, so soll die Fehlgeburt erregt werden ; denn die reife Frucht , die sie nicht gebären könnte, müsste absterben, und sie selbst würde in die grösste Lebensgefahr ver- setzt werden. " Nun war es natürlicherweise nicht mehr fernliegend, zu überlegen, von welcher Zeit der Schwangerschaft an denn wohl ein zu früh geborenes Kind am Leben erhalten werden könne. Es ist interessant, zu sehen, was für eine lange Lebensdauer ein falscher Lehrsatz haben kann, wenn eine grosse Autorität ihn aufgestellt hat. Hippokrates hatte die Ansicht, dass eine im 8. Monat geborene Frucht (Foetus octimestris) nicht lebensfähig sei, eine siebenmonatliche dagegen fortleben könne. Aristoteles fühlt sich in der Sache nicht ganz sicher ; denn obgleich er die Octimestres für lebensfähig erklärt, so setzt er doch hinzu : zumal in Aegypten, dagegen weniger in Griechenland. Galenus schliesst sich in seiner Abhandlung περὶ ἑπταμήνων βρεφῶν der hippokratischen Ansicht an. Diese Meinung über die Lebensunfähigkeit eines achtmonatlichen Kindes theilten auch die Talmudisten. Da sich in der Erfahrung diese Theorie jedoch nicht bewährte, so halfen sie sich dadurch aus der Verlegenheit, dass sie ein Kind, welches im 8. Monat lebend geboren wurde, nur für ein siebenmonatliches erklärten, welches nur einen Monat zu lange im Uterus verweilt habe. Noch lange hielt man an der Lehre des Hippokrates fest. So finden wir sie bei dem arabischen Arzte Avicenna wieder. Auch Bernard von Cordon zu Montpellier trug sie in seinem 1305 verfassten „ Lilium medicinae" vor und suchte sie aus planetarischen Gründen zu beweisen. Noch weiter aber in der Astrologie und in dem Glauben an den Einfluss der Gestirne auf das Leben des Fötus in den verschiedenen Schwangerschaftsmonaten ging der um 1400 als Lehrer zu Padua lebende Jacob von Forli, in seiner Expositio zu Avicenna's Kapitel de gener. embryonis meint er : Im 1. Monat herrscht Jupiter quasi juvans pater als Geber des Lebens ; im 7. Monat die Luna als Beförderin des Lebens durch ihre Feuchtigkeit und das von der Sonne empfangene Licht ; dagegen im S. Monat Saturn, der Feind des Lebens, welcher die Kinder auffrisst ; deshalb kann kein um diese Zeit geborenes Kind leben bleiben ; im 9. Monat regiert wieder der erhaltende Zeus und erhält das Kind am Leben. Wir sehen also, wie lange unter den Aerzten die falsche Ansicht bestehen blieb und wie sehr sich aber auch der Aberglaube einer späteren Zeit noch mit der Mythologie der Römer vermischte. Selbst noch der aufgeklärte französische Arzt Paré huldigte der hippokratischen Ansicht über die Lebensunfähigkeit der achtmonatlichen. Früchte, während er diejenigen von 7 Monaten für lebensfähig erklärte. Man hatte auch eine natürliche Erklärung für dieses eigenthümliche Verhalten aufgestellt, und zwar wurde das Stürzen des Kindes dafür ver- 134. Die künstliche Frühgeburt. 535 antwortlich gemacht. Mit sieben Monaten sollte dieses Stürzen erfolgen und dann konnte das Kind sofort geboren werden und am Leben bleiben. Wenn es aber nach dem Stürzen noch ferner im Mutterleibe verharrte, dann konnte es sich von der Erschütterung im Laufe nur eines Monats noch nicht wieder soweit erholt haben, um die Strapazen der Geburt überleben zu können : dazu waren zwei volle Monate erforderlich. Bei dem Volke in Philadelphia herrscht nach einer Angabe von Phillips auch heute noch die Ansicht, dass ein Siebenmonatskind lebensunfähig sei, während dagegen ein Embryo von sechs Monaten am Leben bleiben könne. Bei den Kabilen gilt die Frucht mit dem 7. Monat für lebensfähig. Nach Schroeder sieht man Kinder, welche vor der 29. Woche geboren werden, ganz regelmässig zu Grunde gehen, aber auch die Mehrzahl der vor der 32. Woche geborenen Kinder pflegen in den ersten Tagen nach der Geburt schon wieder zu sterben. Später Geborene können jedoch am Leben bleiben, wenn man ihnen eine ganz besonders sorgfältige und vorsichtige Pflege angedeihen lässt. 134. Die künstliche Frühgeburt. Wir können es bei den Erörterungen über die unzeitigen Geburten nicht unterlassen, ohne mit zwei Worten der künstlichen Frühgeburt zu gedenken. Liegt bei den Kindesabtreibungen, mit welchen wir uns nachher beschäftigen. werden, fast immer die bewusste Absicht vor, das Leben des sich bildenden Kindes zu vernichten, so ist es der wesentliche Zweck der künstlichen Frühgeburt gerade, das Leben des Kindes womöglich zu erhalten. Dieser operative Eingriff befindet sich daher auch nicht, wie die Einleitung der absichtlichen Fehlgeburten, in den Händen der Pfuscher, sondern ganz ausschliesslich in denjenigen der Aerzte. Stets handelt es sich nur um solche Fälle, in denen die mechanischen Verhältnisse in dem Körperbau der Schwangeren das Austreten eines ausgetragenen Kindes unmöglich machen und die Mutter daher unfehlbar bei der Entbindung zu Grunde gehen würde. Allerdings haben gewichtige ärztliche Stimmen noch im vorigen Jahrhundert unter diesen Bedingungen den künstlichen Abortus vertheidigt. Und auch jetzt noch muss derselbe bei gewissen plötzlichen Erkrankungen der Mutter zu ihrer Lebensrettung eingeleitet werden. Aber für gewöhnlich macht man heute den Versuch, ausser dem Leben der Mutter auch noch dasjenige des Kindes zu erhalten. Und so lässt man der Schwangerschaft ungestört ihren Gang, bis die Zeit herangekommen ist, in welcher man hoffen darf, dass das Kind schon seine Lebensfähigkeit erreicht hat, wie wir gesehen haben, also nicht vor der zweiunddreissigsten Woche. Für die Ausführung sind verschiedene Methoden empfohlen, die in den Lehrbüchern der Geburtshülfe nachzusehen sind. Die erste Empfehlung der künstlichen Frühgeburt ging um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von England aus, namentlich von Denman und Macaulay; in Deutschland wurde sie im Jahre 1804 zum ersten Male von Menzel ausgeführt. Ablehnend verhielten sich die Franzosen unter der Führung von Baudelocque gegen die Operation, aber seit 1831, wo Stoltz in Strassburg sie zum ersten Male im Lande in Anwendung zog, ist sie auch allmählich dort zum Gemeingut aller Gynäkologen geworden. 534 XXV. Die Fehlgeburten und die unzeitigen Geburten im Allgemeinen. als belebt zu betrachten sei, oder mit anderen Worten, zu welcher Zeit ihr die Seele gegeben würde. Luigi Bonaciolo ist der Meinung, dass der männliche und weibliche Same 45 Tage gebraucht, um Saft, Blut, Fleisch und die übrigen Theile des Embryo zu bilden. Tunc anima rationalis a sublimi Deo creatur, creataque infunditur. Die Aerzte haben ziemlich früh Abnormitäten an dem weiblichen Körper kennen gelernt, welche die Frau in die höchste Lebensgefahr bringen mussten, wenn sie zu normaler Zeit einer Entbindung unterliegen sollte. Daher scheuten sie sich, und zwar mit vollem Rechte, nicht, in solchen Fällen den künstlichen Abortus einzuleiten . Dieses schreibt auch Moschion vor : Wenn die Schwangere einen festen Auswuchs oder sonst ein Hinderniss am Muttermunde hat, so soll die Fehlgeburt erregt werden; denn die reife Frucht , die sie nicht gebären könnte, müsste absterben, und sie selbst würde in die grösste Lebensgefahr ver- setzt werden. " Nun war es natürlicherweise nicht mehr fernliegend, zu überlegen, von welcher Zeit der Schwangerschaft an denn wohl ein zu früh geborenes Kind am Leben erhalten werden könne. Es ist interessant, zu sehen, was für eine lange Lebensdauer ein falscher Lehrsatz haben kann, wenn eine grosse Autorität ihn aufgestellt hat. Hippokrates hatte die Ansicht, dass eine im S. Monat geborene Frucht (Foetus octimestris) nicht lebensfähig sei, eine siebenmonatliche dagegen fortleben könne. Aristoteles fühlt sich in der Sache nicht ganz sicher ; denn obgleich er die Octimestres für lebensfähig erklärt, so setzt er doch hinzu : zumal in Aegypten, dagegen weniger in Griechenland. Galenus schliesst sich in seiner Abhandlung περὶ ἑπταμένων βρεφών der hippokratischen Ansicht an. Diese Meinung über die Lebensunfähigkeit eines achtmonatlichen Kindes theilten auch die Talmudisten. Da sich in der Erfahrung diese Theorie jedoch nicht bewährte, so halfen sie sich dadurch aus der Verlegenheit, dass sie ein Kind, welches im 8. Monat lebend geboren wurde, nur für ein siebenmonatliches erklärten, welches nur einen Monat zu lange im Uterus verweilt habe. Noch lange hielt man an der Lehre des Hippokrates fest. So finden wir sie bei dem arabischen Arzte Avicenna wieder. Auch Bernard von Cordon zu Montpellier trug sie in seinem 1305 verfassten Lilium medicinae" vor und suchte sie aus planetarischen Gründen zu beweisen. Noch weiter aber in der Astrologie und in dem Glauben an den Einfluss der Gestirne auf das Leben des Fötus in den verschiedenen Schwangerschaftsmonaten ging der um 1400 als Lehrer zu Padua lebende Jacob von Forli, in seiner Expositio zu Avicenna's Kapitel de gener. embryonis meint er: Im 1. Monat herrscht Jupiter quasi juvans pater als Geber des Lebens ; im 7. Monat die Luna als Beförderin des Lebens durch ihre Feuchtigkeit und das von der Sonne empfangene Licht ; dagegen im 8. Monat Saturn, der Feind des Lebens, welcher die Kinder auffrisst ; deshalb kann kein um diese Zeit geborenes Kind leben bleiben ; im 9. Monat regiert wieder der erhaltende Zeus und erhält das Kind am Leben. Wir sehen also, wie lange unter den Aerzten die falsche Ansicht bestehen blieb und wie sehr sich aber auch der Aberglaube einer späteren Zeit noch mit der Mythologie der Römer vermischte. Selbst noch der aufgeklärte französische Arzt Paré huldigte der hippokratischen Ansicht über die Lebensunfähigkeit der achtmonatlichen Früchte, während er diejenigen von 7 Monaten für lebensfähig erklärte. Man hatte auch eine natürliche Erklärung für dieses eigenthümliche Verhalten aufgestellt, und zwar wurde das Stürzen des Kindes dafür ver- 134. Die künstliche Frühgeburt. 535 antwortlich gemacht. Mit sieben Monaten sollte dieses Stürzen erfolgen und dann konnte das Kind sofort geboren werden und am Leben bleiben. Wenn es aber nach dem Stürzen noch ferner im Mutterleibe verharrte, dann konnte es sich von der Erschütterung im Laufe nur eines Monats noch nicht wieder soweit erholt haben, um die Strapazen der Geburt überleben zu können ; dazu waren zwei volle Monate erforderlich. Bei dem Volke in Philadelphia herrscht nach einer Angabe von Phillips auch heute noch die Ansicht, dass ein Siebenmonatskind lebensunfähig sei, während dagegen ein Embryo von sechs Monaten am Leben bleiben könne. Bei den Kabilen gilt die Frucht mit dem 7. Monat für lebensfähig. Nach Schroeder sieht man Kinder, welche vor der 29. Woche geboren werden, ganz regelmässig zu Grunde gehen, aber auch die Mehrzahl der vor der 32. Woche geborenen Kinder pflegen in den ersten Tagen nach der Geburt schon wieder zu sterben. Später Geborene können jedoch am Leben bleiben, wenn man ihnen eine ganz besonders sorgfältige und vorsichtige Pflege angedeihen lässt . 134. Die künstliche Frühgeburt. Wir können es bei den Erörterungen über die unzeitigen Geburten nicht unterlassen. ohne mit zwei Worten der künstlichen Frühgeburt zu gedenken. Liegt bei den Kindesabtreibungen, mit welchen wir uns nachher beschäftigen werden, fast immer die bewusste Absicht vor, das Leben des sich bildenden Kindes zu vernichten, so ist es der wesentliche Zweck der künstlichen Frühgeburt gerade, das Leben des Kindes womöglich zu erhalten. Dieser operative Eingriff befindet sich daher auch nicht, wie die Einleitung der absichtlichen Fehlgeburten, in den Händen der Pfuscher, sondern ganz ausschliesslich in denjenigen der Aerzte. Stets handelt es sich nur um solche Fälle, in denen die mechanischen Verhältnisse in dem Körperbau der Schwangeren das Austreten eines ausgetragenen Kindes unmöglich machen und die Mutter daher unfehlbar bei der Entbindung zu Grunde gehen würde. Allerdings haben gewichtige ärztliche Stimmen noch im vorigen Jahrhundert unter diesen Bedingungen den künstlichen Abortus vertheidigt. Und auch jetzt noch muss derselbe bei gewissen plötzlichen Erkrankungen der Mutter zu ihrer Lebensrettung eingeleitet werden. Aber für gewöhnlich macht man heute den Versuch, ausser dem Leben der Mutter auch noch dasjenige des Kindes zu erhalten . Und so lässt man der Schwangerschaft ungestört ihren Gang, bis die Zeit herangekommen ist, in welcher man hoffen darf, dass das Kind schon seine Lebensfähigkeit erreicht hat, wie wir gesehen haben, also nicht vor der zweiunddreissigsten Woche. Für die Ausführung sind verschiedene Methoden empfohlen, die in den Lehrbüchern der Geburtshülfe nachzusehen sind. Die erste Empfehlung der künstlichen Frühgeburt ging um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von England aus, namentlich von Denman und Macaulay; in Deutschland wurde sie im Jahre 1804 zum ersten Male von Menzel ausgeführt. Ablehnend verhielten sich die Franzosen unter der Führung von Baudelocque gegen die Operation, aber seit 1831, wo Stoltz in Strassburg sie zum ersten Male im Lande in Anwendung zog, ist sie auch allmählich dort zum Gemeingut aller Gynäkologen geworden. 536 XXV. Die Fehlgeburten und die unzeitigen Geburten im Allgemeinen. 135. Die Todtgeburten. Da in den nächstfolgenden Kapiteln, wie gesagt, in ausführlicher Weise über die todten Früchte, wie sie durch den natürlichen oder durch den willkürlich, sei es in verbrecherischer, sei es in therapeutischer Absicht, herbeigeführten Abortus geboren wurden, gehandelt werden soll, so mag es dem Leser fast als überflüssig erscheinen, wenn wir hier nun noch einmal auf die Todtgeburten zu sprechen kommen. Wenn wir aber auch manches Aehnliche werden berühren müssen, so wird man doch wohl sehr bald herausfühlen, dass diese Wiederholungen in Wirklichkeit dennoch nur scheinbare sind. Von einem Abortus im strengeren Sinne des Wortes pflegt man dem allgemeinen Sprachgebrauche gemäss nämlich nur in denjenigen Fällen zu sprechen, in welchen der innerhalb des Mutterleibes abgestorbene und durch vorzeitige Wehenthätigkeit aus der Gebärmutter ausgestossene und zu Tage geförderte Embryo noch im Ganzen mässige und geringe Körperdimensionen darbietet, wo derselbe also, um es mit anderen Worten auszudrücken , sich noch in einem relativ jugendlichen Alter seiner Entwickelung innerhalb des mütterlichen Organismus befunden hatte. Wenn nun aber die Frucht eine bedeutend längere Zeit im Mutterleibe gelebt hatte, wenn sie bereits den Zeitpunkt erreichte, in welcher normaler Weise der Fötus ausgetragen ist, oder wenn an diesem Termine nicht viel mehr mangelte, oder wenn wenigstens diejenigen Monate der Schwangerschaft bereits herangekommen waren, in welchen unter günstigen Umständen ein zwar zu früh, aber doch lebend geborenes Kind schon am Leben erhalten werden kann, wenn also die körperliche Ausbildung und die Grössendimensionen des Embryo schon einen ziemlich erheblichen Grad angenommen haben, dann pflegt man, wenn die Frucht ohne Leben zu Tage gefördert wird, nicht mehr von einem Abortus, sondern von einer Todtgeburt zu sprechen. Jedes Kind also , was mit gänzlich oder fast vollständig vollendeter körperlicher Entwickelung nicht lebend geboren wird, ist eine Todtgeburt. Naturgemäss haben wir hier aber mancherlei Unterschiede und Abstufungen zu statuiren. Denn es ist , wie wohl kaum erst für uns zu erwähnen nothwendig ist, eine recht erhebliche Differenz, ob das sich entwickelnde Kindchen innerhalb des mütterlichen Organismus abstirbt und ob dann die kleine Leiche noch eine mehr oder weniger lange Zeit von der Mutter getragen wird, oder ob der Fötus zwar lebend und gesund den normalen Abschluss seiner intrauterinen Entwickelung erreichte, dann aber durch das unglückliche Zusammentreffen besonderer unheilbringender Umstände noch während des Geburtsactes oder sogleich nach der Beendigung desselben sein junges Leben wieder einbüssen musste. Sehr mit Unrecht haben bei manchen Völkern die Mütter oder die Hebammen als Todtgeburten diejenigen Geburtsfälle bezeichnet, wo sie das Neugeborene sogleich nach erfolgter Entbindung umgebracht haben. Wir finden solche traurigen Verhältnisse bei gewissen Indianerstämmen , aber auch bei den Hindu, auf den Philippinen und in gewissen Gebieten Central - Afrikas. Eine besonders hochgradige Verbreitung hatte diese Form der gewaltsamen Todtgeburten angeblich im Anfange unseres Jahrhunderts in den Sclavenstaaten des südlichen Nord- Amerika. Hier soll es in gewissen Districten lange Zeit als die Regel gegolten haben, dass die schwarzen Hebammen die neugeborenen Kinder der Sclavinnen bereits während der Geburt durch einen Stich mit der Nadel in das Gehirn tödteten, um sie vor einem ähnlichen grausamen und unglücklichen Schicksale, wie dasjenige ihrer Erzeuger war, zu bewahren. Ein Absterben eines lebenden und bis zu der Zeit der Reife und vollen Entwickelung ausgetragenen Kindes während der Geburt kommt im Uebrigen immer nur bei schweren 135. Die Todtgeburten. 537 Störungen des Geburtsmechanismus und ganz besonders durch lange Zeit hindurch fortgesetzte Compression des Nabelstranges durch die Wandungen der Geburtswege zu Stande . Hierdurch wird die Blutcirculation von dem Mutterkuchen aus in dem kindlichen Organismus unterbrochen und auf diese Weise ein Stillstand seines Herzens und damit naturgemäss sein Tod herbeigeführt. Dass auch bisweilen unglückliche Grössenverhältnisse des Fötus im Vergleiche zu der Weite der Geburtswege der Mutter für die Aerzte die zwingende Veranlassung werden können, das Kind, um seine Geburt zu ermöglichen und das bedrohte Leben der Mutter zu erhalten , innerhalb des mütterlichen Leibes zu tödten , zu zerstückeln und zu zerkleinern, das werden wir in einem späteren Abschnitt ausführlicher zu besprechen haben. Die Ursachen nun, welche das Absterben eines dem Zeitpunkte des Ausgetragenseins bereits nahen Fötus herbeizuführen vermögen, sind sehr mannigfacher Art und decken sich im Grossen und Ganzen mit den Ursachen des natürlichen Abortus. Vor Allem sind es starke Gewalteinwirkungen auf den mütterlichen Organismus oder erhebliche psychische Erregungen und schwere acute Erkrankungen der Mutter, aber auch gewisse constitutionelle Krankheiten der Mutter nicht allein, sondern auch des Vaters. Wenn der Embryo abgestorben ist, so hat natürlicherweise die Schwangerschaft, wenigstens in ihrer physiologischen Bedeutung, ihr Ende erreicht. Es ist damit aber durchaus noch nicht gesagt, dass nun das todte Kind auch sogleich durch die Kräfte der Natur aus dem Mutterleibe herausbefördert würde. Allerdings kann unter Umständen die Ausstossung des abgestorbenen Fötus schon sehr bald nach seinem Tode erfolgen ; in ausserordentlich zahlreichen Fällen jedoch wird er mehrere Wochen und selbst Monate hindurch in der mütterlichen Gebärmutter zurückgehalten. und es kann sogar vorkommen, dass er einen beträchtlich langen Zeitraum über die normale Schwangerschaftsdauer hinaus immer noch eine Stelle innerhalb des Mutterleibes behauptet. Man möchte nun glauben, dass dieses längere Verweilen der kleinen Leiche im Inneren des Uterus bei ihr einen ganz erheblichen Fäulnissprocess hervorrufen müsste. Das ist nun aber keineswegs der Fall. Solch ein abgestorbenes Kind verbreitet, wenn es zu Tage gefördert ist , nicht einen fauligen, sondern nur einen faden Geruch ; es ist matschig weich , und alle seine Theile zeigen eine vollkommene Durchtränkung mit einem röthlichen Blutwasser, während die Oberhaut sich in Blasen oder in Fetzen abhebt. Man bezeichnet diesen Zustand als eine Erweichung, als eine Maceration des Embryo. Ist der letztere sehr lange Zeit über die normale Schwangerschaftsdauer hinaus im Inneren des mütterlichen Organismus zurückgehalten worden, dann kann er durch einen bestimmten Modus, der fettigen Degeneration oder durch die Imprägnirung mit Kalksalzen ein wachsartiges oder selbst ein steinartig verhärtetes Ansehen darbieten, und wir haben dann ein Beispiel eines sogenannten Lithopädion , eines Steinkindes vor uns. Das sind Zustände, welche in das Bereich der Pathologie gehören und die wir an dieser Stelle nicht weiter verfolgen können. Es ist nun wohl ausserordentlich natürlich und begreiflich, dass, wenn einem Weibe in den vorgerückten Monaten der Schwangerschaft irgend eine von den weiter oben auseinandergesetzten Schädlichkeiten begegnet war, unter denen ihr ganzer Organismus und namentlich ihr Nervensystem in erheblicher Weise gelitten hatte, sie selber sowohl als auch ihre Umgebung einige Sicherheit darüber zu haben wünschten, ob der unter ihrem Herzen sich entwickelnde Sprössling durch diese unglücklichen Zufälle getödtet wurde, oder ob er trotz derselben noch am Leben geblieben sei . Bereits vor mehreren Jahrhunderten sind die Aerzte bemüht gewesen, für ein solches Abgestorbensein der Kinder im Mutterleibe untrügliche Kennzeichen aufzustellen . Aber schon die grosse Anzahl dieser Merkmale, die sie zusammengebracht haben, liefert uns den deutlichen Beweis von der 538 XXV. Die Fehlgeburten und die unzeitigen Geburten im Allgemeinen. ausserordentlichen Schwierigkeit, diese Angelegenheit mit unumstösslicher Sicherheit zu entscheiden. So finden wir in Roesslins Rosengarten die folgenden Bemerkungen : „ Durch zwölff zeichen hinunten beschrieben wird erkand ein tod Kind in Mutterleib . Erstlich, so der Frawen brüste welk und weich werden. Das ander zeichen eines todten Kindes, So sich das Kind nicht mehr reget in Mutter leib, und sich doch vorhin gereget hat. Das dritte, Wenn das Kind in Mutterleib liegt , felt von einer seiten zur anderen , wie ein stein, so sich die Frawe umbkeret. Das vierde zeichen . So der Frawen ir leib erkaldet , und der Nabel, und sind doch vorhin warm gewesen. Das fünffte zeichen ist , So aus der Bermutter gehen böse stinkende Flüsse, und besonder, so die Frawen scharpffe hitzige krankheit gehabt. Das sechste zeichen, Wenn den Frawen ihr augen tieff stehen im Heubt, und das weis braun wird, und ihre augen starren, die Lefftzen werden bleifarb und tunckelblaw. Das sibende zeichen eines todten Kindes inn Mutterleib, so die Fraw unterm Nabel und inn den gemechten gros wee hat, ihr angesicht gantz ungestalt und missfarbe. Das achte, So die Fraw begierde hat zu widerwertiger speis und trenck, so man sonst nicht pflegt zu niessen . Das neund, so sie nicht schlaffen mag. Das zehend, so die Frawe die harnwinde on unterlas hat , begirde zu stuelgang mit drängen und nöten, schafft doch wenig oder gar nicht. Das eilffte zeichen , Der Frawen wird gewonlich ihr athem stincken und übel riechen am andern oder dritten tag, nach dem das Kind tod ist. Das zwelffte zeichen, So mercket man, ob das kind tod ist inn Mutter leib, wenn man ein Hand inn warmem wasser gewermet , und geleget auff der Frawen leib , reget sich denn das Kind nicht von der werme, so ist es Tod. Und ihemehr der zeichen funden werden an einer Schwanger Frawen , je gewisser man ist , das das kind im Mutter leib tod ist. " Die Trüglichkeit und Unzuverlässigkeit von einem grossen Theile dieser Zeichen wird auch wohl dem Nichtmediciner sofort einleuchtend sein, und die heutigen Geburtshelfer sind sich über die erheblichen Schwierigkeiten, hier einen absolut sicheren Entscheid zu treffen, vollkommen einig. Noch im Jahre 1886 sagt Karl Schröder: „ Gewissheit von dem erfolgten Tode geben nur die durch den etwa geöffneten Muttermund hindurch deutlich gefühlten schlotternden Kopfknochen. " Allerdings existirt ja nun eine Reihe von Vorkommnissen, welche den Verdacht auf den erfolgten Tod der Frucht in hohem Grade zu erwecken im Stande sind. Das ist namentlich das Aufhören der Kindesbewegungen und das Verschwinden der Herztöne des Embryo. Die Kindesbewegungen haben in der Meinung der Frauen eine ganz hervorragende Bedeutung. Von ihrem ersten Auftreten an rechnen sie die Hälfte ihrer Schwangerschaft, sehr mit Unrecht, denn Busch erwähnt, dass die erste Bewegung bald schon in der zwölften Woche, bald erst in dem siebenten Monat bemerkt wurde. Man glaubte auch , dass die Knaben sich früher bewegen, als die Mädchen. Ja selbst eine kunstgeschichtliche Bedeutung haben die Kindsbewegungen erhalten durch das Hüpfen im Leibe" der Elisabeth von dem embryonalen Johannes dem Täufer als Zeichen der Huldigung bei seiner ersten Begegnung mit dem ebenfalls noch ungeborenen Christus (Lucas 1 , 41) . Dieser in der christlichen Kunst bekanntlich sehr vielfach künstlerisch geschilderte Gegenstand hat eine Fülle von bildlichen und plastischen Darstellungen der Schwangerschaft hervorgerufen. Die Herztöne des Embryo sind von einem geschulten Geburtshelfer deutlich zu diagnosticiren. Verschwinden dieselben gleichzeitig mit den Kindesbewegungen, nachdem sie soeben noch mit Sicherheit nachweisbar waren, dann ist ein gegründeter Verdacht auf ein erfolgtes Absterben der Frucht vorhanden. Aus allen diesen Auseinandersetzungen wird der Leser die Ueberzeugung gewonnen haben, dass eine absolut sichere Entscheidung, ob eine Frucht im Leibe abgestorben sei oder nicht, durchaus keine leichte Sache ist, und dass nur ein geschulter Geburtshelfer im Stande sein kann, hierüber ein endgültiges Urtheil abzugeben. XXVI. Die zufällige Fehlgeburt oder der natürliche Abortus. 136. Der natürliche Abortus in seinen Ursachen und seiner Verbreitung. Wenn wir uns unter den Völkern des Erdballs umsehen, so finden wir bei nicht wenigen derselben die natürlichen Fehlgeburten mit einer grossen Häufigkeit auftreten, und gewiss haben wir sehr oft in diesem Umstande den Grund zu suchen, warum bei manchen Stämmen eine so geringe Zahl neugeborener Kinder beobachtet wird. Die Ursachen dieser häufigen Fehlgeburten geben in sehr vielen Fällen unverständige Lebensgewohnheiten ab. Aber den Völkern fehlt meistentheils die Einsicht in die Gefahr. Bisweilen sucht man im volksthümlichen Glauben auch wohl die Ursache des häufigen Vorkommens von Abortus in ganz falschen Dingen. Auf solchem Irrwege scheinen sich schon die Hebräer einst befunden zu haben. So bietet uns bereits das Alte Testament das Beispiel einer Entgiftung der Quellen durch Salz in der Erzählung von dem Wunder des Elisa, welcher eine Quelle, deren Wasser Abortus hervorbrachte, durch Hineinschütten von Salz zu einem gesunden machte. (2. Könige 2 , 19 ff.) Die Quelle in der Nähe von Jericho wird noch gezeigt und soll salzig schmeckendes Wasser haben. (Paulus. ) Allein es liegt doch nahe. anzunehmen, dass nicht der Genuss dieses Wassers, sondern vielleicht das Tragen der dort schwer gefüllten Wassergefässe die häufigen Fehlgeburten veranlasst habe. Ebenso trägt auch ganz gewiss bei vielen Naturvölkern die Ueberlastung der Weiber einen grossen Theil der Schuld an dem Abortus. An der auffallenden Unfruchtbarkeit auf Neu- Seeland ist nicht bloss der dort herrschende Kindermord schuld, sondern wahrscheinlich auch die auf die Frauen einwirkenden Mühseligkeiten ihres beständigen Wanderlebens, ihre schwere Arbeit und der Mangel an Nahrung. Während nach Muret in Europa durchschnittlich von 487 nur 20 Frauen ( 1 : 24,25) unfruchtbar sind, stellte sich bei den Maori- Frauen das Verhältniss wie 155 : 444 oder 1 : 2.86. (Wüllersdorf- Urbair.) Nach Tuke scheint die hauptsächlichste Ursache zum häufigen Abortiren der Maori - Weiber die harte Arbeit derselben, das Tragen schwerer Lasten und die brutale Behandlung von Seiten der Ehemänner zu sein. Allein auch hier suchen die Leute die Ursache in etwas Anderem. Denn die Maori selber meinen, dass die Ursache der Unfruchtbarkeit ihrer Weiber in dem gewohnheitsmässigen Genusse eines gegohrenen Getränkes aus Mais liege. 540 XXVI. Die zufällige Fehlgeburt oder der natürliche Abortus. In Neu- Holland sind (wie Gerland sagt) unter den Eingeborenen bei der schlechten Behandlung der Weiber Fehlgeburten häufiger als bei uns. Aber eine gewisse körperliche Prädisposition dieser Völker für Fehlgeburten muss doch ausserdem noch vorausgesetzt werden. Denn von anderen Naturvölkern wissen wir, dass sie trotz nicht minder grosser Anstrengungen und schlechter Behandlung während der Schwangerschaft dennoch höchst selten zu abortiren pflegen . Auf den Viti - Inseln ist nach Blyth der natürliche Abortus eine sehr grosse Ausnahme. Bekanntlich werden die Indianer-Weiber Nord- Amerikas im Allgemeinen von ihren Männern mit Arbeit überlastet ; allein trotzdem behauptet Rusch, dass bei den Indianer- Frauen Fehlgeburten überhaupt sehr selten, und dass auch ihre Ehen selten unfruchtbar sind. Und James fand das Gleiche. Nach dem mir von Polak gegebenen Bericht ist in Persien, wo derselbe Jahre lang als Leibarzt des Schahs sich aufhielt, der natürliche Abortus ziemlich selten, trotzdem die Frauen während der ganzen Schwangerschaft nach Art der Männer auf den Pferden reiten . Ist aber einmal Abortus entstanden, so hat Polak auch dort bemerkt, dass er sich in der nächsten Schwangerschaft wiederholt (er sah z. B. eine Frau, die 12 mal hinter einander abortirt hatte) . In ähnlicher Weise äussert sich Häntzsche über die persische Provinz Gilan am kaspischen Meere. Eine fernere Ursache für die Hervorrufung von Fehlgeburten müssen wir in gewissen manuellen Behandlungsmethoden suchen, welchen man bei manchen Volksstämmen die schwangeren Frauen unterzieht. Wir haben dieselben später noch genauer kennen zu lernen. So sind z . B. Fehlgeburten und Frühgeburten bei den Mexikanerinnen häufig, als deren Grund v. Uslar in Oajaca (Mexiko) die Unsitte der Weiber anführt, dass sie sich im siebenten Monate durch eine Hebamme am Unterleibe kneten lassen, um eine günstige Lage des Kindes zu erzielen. Auch in Java sind die Ehen, von denen viele illegitime ConcubinatEhen sind, nach dem Berichte Kögel's unfruchtbar, weil viele javanische Frauen unzeitige Leibesfrüchte gebären. Es ist dabei keine absichtliche Abtreibung im Spiele, sondern das auf Ja va übliche Pidjet trägt die Schuld, d. h. die Methode, den Kopf und Leib der Schwangeren zu drücken und sie an den Haaren und den Gliedmaassen zu ziehen. Einen ferneren Grund aber müssen wir darin suchen, dass die Schwangeren wegen der kleinen Leiden und Unbequemlichkeiten, welche mit der Gravidität verbunden sind, von den alten Matronen allerhand Medicinen erhalten, die sie zwar nicht von ihrer vermeintlichen Krankheit befreien, aber die Frucht zu Schaden bringen. Die Unsitte zu heisser Bäder müssen wir nach Ferrin in Tunis und nach Damian Georg in der Türkei als den Grund des häufig auftretenden Abortus bezeichnen. Es kommt aber hier noch der Missbrauch unregelmässiger Diät, das Fahren auf schlechten Wegen, das Trocknen der Wäsche auf der Terrasse der Häuser und das mehrere Stunden lang dauernde Bereiten des Confects hinzu. Auch sollen nach anderer Angabe die Türkinnen sehr häufig in Folge des rohen geburtshülflichen Verfahrens an gewissen Frauenkrankheiten leiden , welche wiederholte Schwangerschaft oder das Austragen gesunder Kinder nicht zulassen. Auch in der Einwirkung eines ungewohnten Klimas haben wir eine Gelegenheitsursache zu erblicken, doch ist hierbei wohl der eigentliche Grund 136. Der natürliche Abortus in seinen Ursachen und seiner Verbreitung. 541 weniger die hohe Temperatur, als vielmehr die in solchen Ländern gewöhnlich nicht fehlende Malaria. Acclimatisirte sind dann minder gefährdet, als Einwandernde. Bei den Eingeborenen in Cayenne und Guiana ist Abortus selten ; dagegen kommt derselbe bei Europäerinnen , die entweder schwanger dorthin kommen, oder alsbald nach ihrer Ankunft schwanger werden, ehe sie das klimatische Fieber überstanden haben, namentlich im 7. und 8. Monat, in Folge des sich dann gewöhnlich einstellenden Fiebers häufiger vor. (Bajon. ) Auch in den Nilländern treten bei Europäerinnen öfter Fehlgeburten auf. (Hartmann. ) Ebenso abortiren die in Indien lebenden Europäerinnen nach dem Zeugniss von Johnson und Martin besonders in der heissen Jahreszeit ausserordentlich häufig. Auch die allerdings seltenen Aborte in der persischen Provinz Gilan werden von Häntzsche dem Sumpffieber zugeschrieben. Die Japanerinnen glaubten , dass der Genuss von Süsswasserfischen Fehlgeburten hervorrufe, ein Aberglauben, welcher von dem japanischen Geburtshelfer Kangawa mit grosser Entschiedenheit bekämpft wird. Es wäre nicht ganz unmöglich, dass wenigstens ein Theil der absonderlichen Speisevorschriften , denen bei vielen Völkern die schwangeren Frauen unterworfen sind, auf ähnlichen Anschauungen beruhe. Die altindischen Brahmanenärzte haben auch eine warnende Zusammenstellung derjenigen Dinge gemacht, durch welche eine Fehlgeburt hervorgerufen werden könne. Durch rohes Betragen, schlechten Gang, durch Fahren, Reiten, Wackeln, Fallen, Quälen, Laufen, Schlagen, schiefes Liegen und Sitzen, durch Fasten, starke Stösse, allzu rauhe, scharfe und bittere Nahrungsmittel aus dem Pflanzenreiche, durch zu viele Aetzmittel, sowie durch Dysenterie, Erbrechen, Abführen, Hin- und Herbewegen, Unverdaulichkeit, Abzehrung des Fötus u. dergl. wird der Embryo von seinen Banden gelöst, sowie die Frucht durch verschiedene Unfälle von den Fesseln des Stieles. Bis zum vierten Monat kann Abortus stattfinden, aber bei einem starken Fötus auch bis zum fünften und sechsten. Ohne Zweifel ist unter manchen Völkern Afrikas eine Fehlgeburt nichts Seltenes. So erfuhren wir, dass bei den Hottentotten Abortus im 2. und 3. Monat häufig ist (Scherzer) ; in Old - Calabar hingegen wird. von den Negerinnen der 7. Schwangerschaftsmonat als ein schlimmer betrachtet ; es heisst, dass in demselben häufig Abortus stattfindet. (Hewan. ) Auf den canarischen Inseln aber gehören Fehlgeburten zu den Seltenheiten. (Mac Gregor. ) Dagegen ereignet sich zu Jaffa in Palästina nach Tobler häufig Abortus und es werden die Hebammen zuweilen dabei zu Hülfe gerufen. Bei den Anna miten - Frauen ist der Abortus äusserst selten, auch kommt es sehr selten vor, dass ein Anna mit en -Weib in Folge von Schlägen oder Verletzungen abortirt. denn derjenige, welcher diese Verletzungen verursachte, erhält 60 Bambus- Hiebe und ein Jahr Kettenstrafe ; eine Magistratsperson, welche eine angeklagte und gefangen gehaltene Schwangere schlagen oder misshandeln lässt, erhält, wie oben schon berichtet wurde, nach annamitischem Gesetz 24 Schläge und 3 Jahre Kettenstrafe. Solche Strafe bei einem durch Misshandlung hervorgerufenen Abortus gilt nur dann, wenn der dritte Schwangerschaftsmonat überschritten ist ; in den ersten 3 Monaten gilt die Misshandlung nur als einfache Verletzung. Die Cambodja - Weiber scheinen Fehlgeburten ziemlich häufig zu erdulden, und auch in China scheint Abortus häufig zu sein und das chinesische Lehrbuch über Geburtshülfe „ Pao- tsan-ta, seng- Pieu" giebt 542 XXVI. Die zufällige Fehlgeburt oder der natürliche Abortus. sich viel Mühe, Maassregeln zur Vorbeugung desselben anzugeben. Allein die den unteren Klassen angehörenden chinesischen Frauen, welche viel mehr als die unserigen sich gewissen Mühseligkeiten, z. B. dem Schifferdienste und Rudern, widmen müssen, abortiren merkwürdiger Weise durchaus nicht so häufig, als man vermuthen sollte ; Uebung und Abhärtung thun hier scheinbar sehr viel. Bei den reichen Chinesinnen disponirt aber die Lebensweise zum Abortus. Denn die Verunstaltung ihrer Füsse zwingt sie zu fast ausschliesslichem Sitzen und zur Verweichlichung. Unter den Europäerinnen hat man namentlich von den Franzö sinnen angenommen, dass sie in hervorragender Weise zu Fehlgeburten geneigt sind. Auch hier wollte man den Grund in dem reichlichen Gebrauche warmer Bäder suchen, jedoch sollen auch gerade bei ihnen Anomalien an den Genitalorganen nicht selten sein. Die Esthinnen dagegen kennen nach Holst (Dorpat) Abort und Frühgeburten fast gar nicht, obgleich sie während der Schwangerschaft sich keinerlei Schonung auferlegen. 99 Die niederen Volksschichten in Deutschland pflegen von einer Fehlgeburt nicht viel Wesens zu machen. Sie sprechen nur davon, dass es einer Frau unrichtig geht", dass sie umgekippt" oder, wie es im Siebenbürger Sachsenlande heisst, dass sie verzettelt " oder verschüttet " hat. Auf der Insel Amrum wird die Fehlgeburt mit dem Worte „ Massgang" bezeichnet, das bedeutet so viel wie ein Missgang, ein vergeblicher Gang. 137. Die Maassregeln zur Verhütung von Fehlgeburten. Gewiss ist, wie wir schon oben andeuteten, ein Theil von alle den verwickelten Vorschriften, denen die schwangeren Frauen nachleben sollen, aus dem Gedanken hervorgegangen, das Eintreten von Fehlgeburten zu verhüten. und gewiss muss wenigstens theilweise auch das Verbot, mit der schwangeren Frau den Beischlaf auszuüben, hierher gerechnet werden. Aber wir begegnen auch bisweilen ganz directen Angaben über die Sache. So muss sich die Frau in Old - Calabar ganz besonders vor dem bösen Blicke zu schützen suchen; denn dieser ist es, der ihr den Abortus zuzuziehen vermag. Auch anderem Zauber und dem Lärmen und den Aufregungen des Dorfes muss sie sich bei vorgerückterer Schwangerschaft entziehen, um nicht einer Fehlgeburt zu verfallen, und deshalb pflegt sie ihre Wohnung in einer stillen Farm aufzuschlagen. Unter den alten Römern herrschte die Sitte, dass die Schwangeren der Juno zur Verhütung des Abortus im Hain am Esquilinischen Hügel Blumen opferten, wobei sie keine Knoten in den Gewändern und in den Haaren haben durften . Es ging in Rom die Sage, dass, als einst der Abortus häufig vorkam, die Frauen die Juno in diesem Haine um Offenbarung eines Verhütungsmittels baten . Die Göttin rief : „ Der Bock muss die italischen Matronen bespringen !" Das erinnert an den oben erwähnten heiligen Bock zu Mendes , der die Fruchtbarkeit schaffen sollte . Wir müssen selbstverständlich zu diesen Verhütungsmaassregeln auch fast alle diejenigen religiösen Ceremonien rechnen, welche mit den schwangeren Frauen vorgenommen werden. Denn ihr ethischer Sinn ist ja doch im Wesentlichen nur das Erflehen einer ungestörten und gesunden Schwangerschaft und einer leichten und glücklichen Geburt. Zur Unterstützung dieser Gebete pflegen, wie wir oben gesehen haben, noch bisweilen gewisse Amulette in Gebrauch und Ansehen zu stehen. 138. Die Anzeichen des beginnenden Abortus. 543 Ein solches Schutzmittel vor Abortus kommt schon im Talmud (Tr. Sabbath 66) vor, der Aetites, Adlerstein oder Klapperstein, welcher von der Schwangeren getragen wurde. Auch Plinius erwähnt die Eigenschaft dieses Steines als Präservativ gegen Frühgeburt. In dem Liber lapidum seu de gemmis des im 11. Jahrhundert lebenden Bischofs Marbodus heisst es von dem Aetites: Creditur ergo potens praegnantibus auxiliari, Ne vel abortivum faciant, partuve laborent ; Appensus laevo solito de more lacerto . Die Hippokratiker liessen zur Verhütung des Abortus viel Knoblauch oder den Stempel von Silphium ( Thapsia Silphium Viv. ?) geniessen, denn der Saft von Silphium galt als blähungerzeugend, und alles was bläht war ihrer Meinung nach für die Schwangerschaft günstig. Auf Nias bringen die Schwangeren dem Adú Sawowo Opfer dar, um sich vor Fehlgeburten zu schützen. Auch müssen sie stets mit einem Messer bewaffnet gehen, um sich gegen die Béchu matiana genannten Plagegeister zu vertheidigen. Das sind die Seelen von Frauen, welche während der Entbindung gestorben sind und welche sich nun bemühen, den Schwangeren die Leibesfrucht zu entreissen und Abort bei ihnen zu verursachen. (Modigliani.) 138. Die Anzeichen des beginnenden Abortus. Als Zeichen eines eintretenden Abortus führt Hippokrates das Weichwerden oder Collabiren der Brüste an. Den Einfluss der Witterung auf den häufigen Abortus kannte er sehr genau. Nach Diokles treten Kälteschauer und Schwere in den Gliedern ein. Genauer ist schon Soranus aus Ephesus in der Semiotik des Abortus : Nach ihm fliesst zuerst wässrige Flüssigkeit aus den Geschlechtstheilen ab, dann folgt Blut, welches dem Fleischwasser ähnlich ist ; ist der Embryo gelöst, so fliesst reines Blut ab, welches in der Höhle des Uterus angehäuft, coagulirt und dann excernirt wird. Bei Frauen, welche Abortiva genommen, besteht Schwere und Schmerz in der Kreuzgegend, im Unterleibe, in den Weichen, an den Augen, den Gliedern, Magenbeschwerden, Kälte der Glieder, Schweiss, Ohnmacht, Opisthotonus, Epilepsie, Schluchzen, Krampf und Schlaflosigkeit. (Pinoff. ) Nach Moschion sind die Zeichen eines eintretenden Abortus : Anschwellen der Brüste ohne bekannte Veranlassung, ein Gefühl von Kälte und Schwere in der Nierengegend, ein Ausfliessen von verschiedenartiger Flüssigkeit aus der Scheide ; dann endlich erscheint die abgehende Frucht unter verschiedenartigen Horripilationen. Nach Hippokrates, sagt Soranus, erdulden die Frauen, welche einen mittelmässigen Körper haben, einen zwei- oder dreimonatlichen Abortus ; denn ihre Cotyledonen seien von Schleim zu sehr erfüllt, wodurch der Fötus nicht in ihnen festgehalten, sondern von ihnen getrennt wird. Es werden daher Mittel empfohlen, welche den Schleim lösen, namentlich Pessi aus Coloquinthen bereitet, wärmende und trocknende Nahrung, Frictionen u. s . w. Alles dieses sind offenbar Mittel, um den Abortus zu beschleunigen. Die talmudischen Aerzte waren hinsichtlich der Fragen, ob sich der Uterus beim Abortus ohne Blutverlust öffnen könne oder nicht , und ob jedesmal der Abortus von Schmerzen begleitet ist, nicht einer Meinung. 544 XXVI. Die zufällige Fehlgeburt oder der natürliche Abortus. "" Sie glaubten, wie Hippokrates, dass der Südwind grossen Einfluss auf die Entstehung des Abortus habe. Der Rabbiner Jehoschuah sagt im babylonischen Talmud : Die meisten Frauen gebären regelmässig, die wenigsten erleiden einen Abortus, und wenn dies der Fall, so sind es Kinder weiblichen Geschlechts . " Letzterer Satz ist falsch, da wir wissen, dass unter den Abortiv-Kindern das männliche Geschlecht noch weit mehr überwiegt , als unter den ausgetragenen Neugeborenen. Diejenige Form der Fehlgeburt. welche die Talmudisten als Samenfluss aus dem Uterus (ἐχούσεις zobos des Aristoteles) erwähnen, wird von ihnen als eine Corruption des männlichen Samens angesehen, welchen der Uterus drei Tage nach dem Coitus wieder ausstösst. Sie nehmen auch einen Abortus secundinarum an. Vorschriften zur Behandlung des Abortus führen die Rabbiner ausser dem vorhererwähnten Amulet nicht an. Nach der Ansicht der chinesischen Aerzte droht bei einer Schwangeren der Abortus, wenn die Frau in den ersten Monaten zitternd ist. Die altindischen Aerzte stellen als Anzeichen einer beginnenden Fehlgeburt Schmerzen im Rücken und in den Seiten, Blutung, Harnretention, Hin- und Herlaufen der Schwangeren, reissende Schmerzen im Uterus und in den Unterleibseingeweiden hin. Sobald diese Symptome sich bemerkbar machten , so verordneten sie ölige und kühlende Mittel. Gegen die Schmerzen liessen sie Wrightia antidysenterica , Phaseolus trilobus , Glycyrrhiza glabra, Flacurtia cataphracta und F. sapida im Getränk mit Zucker und Honig nehmen ; gegen Unterdrückung des Urins gaben sie als Getränk mit Asa foetida , Saurbbala, Allium sativum und Acorus calamus bereitet . Bei heftiger Blutung wurde Pulver von Costus arabicus, Andropogon serratum, Domestica terra, Mimosa pudica. Blüthen von Grislea tomentosa, Jasminum arborescens u. s. w. gereicht, bei Schmerzen ohne Blutung gaben sie Milch mit Glycyrrhiza glabra, Pinus Devadara und Asclepias rosea, auch Milch mit Oxalis, Asparagus racemosus und Asclepias rosea, sowie verschiedene ähnliche Zusammensetzungen. War die Frucht abgegangen, so gaben die altindischen Aerzte eine Speise aus Kuhmilch mit Ficus carica und Sálátú ; war aber der Embryo abgestorben, eine Ptisane von Paspalus frumentaceus . Von den Vorstellungen, die noch jetzt hie und da herrschen, führen wir nur die folgenden an: In manchen Gegenden Deutschlands , namentlich im Frankenwalde (Flügel), ist bei drohender Frühgeburt ganz besonders die Furcht vor dem 9. Tage gross, weil da, wie man glaubt, die Gefahr leicht wiederkehrt. In Galizien suchen die Hebammen durch Schmieren des Unterleibes und durch warme Kataplasmen so lange zu helfen, bis entweder der Tod oder die Ausstossung des Inhaltes die Gebärmutterblutung zum Stillstande bringt. In der Provinz Cayambe in Ecuador war im Jahre 1875 Stübel (aus Dresden, der bekannte Erforscher der Peruanischen Alterthümer) Zeuge, wie eine Peone - Frau wegen eines Abortus Hülfe suchte, worauf ihr ein Mann diese gewährte, indem er bei der Frau, während sie stand, mit seiner Hand in die Scheide einging und die Frucht herauszog (nach mündlicher Mittheilung) . XXVII. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibung der Leibesfrucht. 139. Die Bedeutung der Fruchtabtreibung. Eine Betrachtung der mit Absicht hervorgerufenen Fehlgeburten bietet von verschiedenen Gesichtspunkten aus ein ganz erhebliches Interesse dar und zwar in erster Linie ein culturgeschichtliches , dann aber auch ein staatliches oder rechtliches und ein medicinisches . Durch einen eingehenden Blick, theils auf ethnographische Erscheinungen, theils auf die Geschichte der socialen und moralischen Zustände in den Culturstaaten erkennen wir, wie sich unter den verschiedensten Verhältnissen die Anschauungen über die Kindesabtreibung gestalteten, und wie mit der Läuterung der Sitten, und gleichzeitig mit den platzgreifenden Ansichten über das Leben und das Recht der Frucht, sich allmählich eine Beschränkung der Fruchtabtreibung durch die Gesetze entwickelte. Wir werden finden, dass noch heute unter den in primitiven, ebenso wie unter den in halbcivilisirten Zuständen lebenden Völkern der Brauch des künstlichen Abortus in grösster Verbreitung besteht ; demnach müssen wir schliessen, dass die Fruchtabtreibung keineswegs erst ein Ergebniss degenerirter socialer Verhältnisse ist. Sie wird allerdings, wie beispielsweise im Orient, durch gewisse, das sociale Leben beherrschende Missstände aufrecht erhalten. Doch haben ohne Zweifel recht zahlreiche, auf der niedrigsten Culturstufe stehende Völkerschaften sie mit der grössten Unbefangenheit von jeher ausgiebig geübt und thun das auch heute noch. Vom ethischen Standpunkte aus beurtheilen wir diese Erscheinung als ein Ergebniss des leidigen Kampfes ums Dasein ; und es ist eine schlimme Thatsache, dass der so ausgedehnt vorkommende Abortus zum allmählichen Untergange vieler dieser Urvölker mitwirkt. Erst spät treten religiöse und politische Gesetzgeber der Ausbreitung der Kindesabtreibung beschränkend entgegen . Die Abtreibung der Frucht, dieser dunkle Fleck in der Sittengeschichte der Menschheit, hat ausser seiner schwerwiegenden moralischen auch eine ganz erhebliche rechtliche Bedeutung. Daher ist es nothwendig, die Aufmerksamkeit Aller, welche den bedenklichen socialen Verhältnissen unseres Volkes nicht kalt gegenüber stehen, hinzulenken auf Thatsachen, die in ihren Erscheinungen und Ursachen keineswegs in so hohem Grade, wie sie verdienen, erörtert worden sind . Wir wissen über die Verbreitung der betreffenden Unsitte bei zahlreichen fremden Völkern viel Genaueres, als über dasjenige, was sich bei uns selber zuträgt und nur deshalb verborgen Ploss , Das Weib. I. 3. Aufl. 35 544 XXVI. Die zufällige Fehlgeburt oder der natürliche Abortus. Sie glaubten, wie Hippokrates, dass der Südwind grossen Einfluss auf die Entstehung des Abortus habe. Der Rabbiner Jehoschuah sagt im babylonischen Talmud : „ Die meisten Frauen gebären regelmässig, die wenigsten erleiden einen Abortus, und wenn dies der Fall, so sind es Kinder weiblichen Geschlechts. " Letzterer Satz ist falsch, da wir wissen, dass unter den Abortiv- Kindern das männliche Geschlecht noch weit mehr überwiegt, als unter den ausgetragenen Neugeborenen. Diejenige Form der Fehlgeburt. welche die Talmudisten als Samenfluss aus dem Uterus (ἐχρήσεις zotos des Aristoteles) erwähnen, wird von ihnen als eine Corruption des männlichen Samens angesehen, welchen der Uterus drei Tage nach dem Coitus wieder ausstösst. Sie nehmen auch einen Abortus secundinarum an. Vorschriften zur Behandlung des Abortus führen die Rabbiner ausser dem vorhererwähnten Amulet nicht an. Nach der Ansicht der chinesischen Aerzte droht bei einer Schwangeren der Abortus, wenn die Frau in den ersten Monaten zitternd ist . Die altindischen Aerzte stellen als Anzeichen einer beginnenden Fehlgeburt Schmerzen im Rücken und in den Seiten, Blutung, Harnretention, Hin- und Herlaufen der Schwangeren, reissende Schmerzen im Uterus und in den Unterleibseingeweiden hin. Sobald diese Symptome sich bemerkbar machten , so verordneten sie ölige und kühlende Mittel. Gegen die Schmerzen liessen sie Wrightia antidysenterica , Phaseolus trilobus, Glycyrrhiza glabra , Flacurtia cataphracta und F. sapida im Getränk mit Zucker und Honig nehmen ; gegen Unterdrückung des Urins gaben sie als Getränk mit Asa foetida, Saurbbala, Allium sativum und Acorus calamus bereitet. Bei heftiger Blutung wurde Pulver von Costus arabicus, Andropogon serratum, Domestica terra, Mimosa pudica, Blüthen von Grislea tomentosa, Jasminum arborescens u. s. w. gereicht , bei Schmerzen ohne Blutung gaben sie Milch mit Glycyrrhiza glabra, Pinus Devadara und Asclepias rosea, auch Milch mit Oxalis, Asparagus racemosus und Asclepias rosea, sowie verschiedene ähnliche Zusammensetzungen. War die Frucht abgegangen, so gaben die altindischen Aerzte eine Speise aus Kuhmilch mit Ficus carica und Sálátú ; war aber der Embryo abgestorben, eine Ptisane von Paspalus frumentaceus. Von den Vorstellungen, die noch jetzt hie und da herrschen, führen wir nur die folgenden an: In manchen Gegenden Deutschlands , namentlich im Frankenwalde (Flügel) , ist bei drohender Frühgeburt ganz besonders die Furcht vor dem 9. Tage gross, weil da, wie man glaubt, die Gefahr leicht wiederkehrt . In Galizien suchen die Hebammen durch Schmieren des Unterleibes und durch warme Kataplasmen so lange zu helfen , bis entweder der Tod oder die Ausstossung des Inhaltes die Gebärmutterblutung zum Stillstande bringt. In der Provinz Cayambe in Ecuador war im Jahre 1875 Stübel (aus Dresden, der bekannte Erforscher der Peruanischen Alterthümer) Zeuge, wie eine Peone- Frau wegen eines Abortus Hülfe suchte, worauf ihr ein Mann diese gewährte, indem er bei der Frau, während sie stand, mit seiner Hand in die Scheide einging und die Frucht herauszog (nach mündlicher Mittheilung) . XXVII. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibung der Leibesfrucht. 139. Die Bedeutung der Fruchtabtreibung. Eine Betrachtung der mit Absicht hervorgerufenen Fehlgeburten bietet von verschiedenen Gesichtspunkten aus ein ganz erhebliches Interesse dar und zwar in erster Linie ein culturgeschichtliches , dann aber auch ein staatliches oder rechtliches und ein medicinisches . Durch einen eingehenden Blick, theils auf ethnographische Erscheinungen, theils auf die Geschichte der socialen und moralischen Zustände in den Culturstaaten erkennen wir, wie sich unter den verschiedensten Verhältnissen die Anschauungen über die Kindesabtreibung gestalteten, und wie mit der Läuterung der Sitten, und gleichzeitig mit den platzgreifenden Ansichten über das Leben und das Recht der Frucht, sich allmählich eine Beschränkung der Fruchtabtreibung durch die Gesetze entwickelte . Wir werden finden, dass noch heute unter den in primitiven, ebenso wie unter den in halbcivilisirten Zuständen lebenden Völkern der Brauch des künstlichen Abortus in grösster Verbreitung besteht ; demnach müssen wir schliessen, dass die Fruchtabtreibung keineswegs erst ein Ergebniss degenerirter socialer Verhältnisse ist. Sie wird allerdings, wie beispielsweise im Orient, durch gewisse, das sociale Leben beherrschende Missstände aufrecht erhalten. Doch haben ohne Zweifel recht zahlreiche, auf der niedrigsten Culturstufe stehende Völkerschaften sie mit der grössten Unbefangenheit von jeher ausgiebig geübt und thun das auch heute noch. Vom ethischen Standpunkte aus beurtheilen. wir diese Erscheinung als ein Ergebniss des leidigen Kampfes ums Dasein ; und es ist eine schlimme Thatsache, dass der so ausgedehnt vorkommende Abortus zum allmählichen Untergange vieler dieser Urvölker mitwirkt. Erst spät treten religiöse und politische Gesetzgeber der Ausbreitung der Kindesabtreibung beschränkend entgegen . Die Abtreibung der Frucht, dieser dunkle Fleck in der Sittengeschichte der Menschheit, hat ausser seiner schwerwiegenden moralischen auch eine ganz erhebliche rechtliche Bedeutung. Daher ist es nothwendig, die Aufmerksamkeit Aller, welche den bedenklichen socialen Verhältnissen unseres Volkes nicht kalt gegenüber stehen, hinzulenken auf Thatsachen, die in ihren Erscheinungen und Ursachen keineswegs in so hohem Grade, wie sie verdienen, erörtert worden sind . Wir wissen über die Verbreitung der betreffenden Unsitte bei zahlreichen fremden Völkern viel Genaueres, als über dasjenige, was sich bei uns selber zuträgt und nur deshalb verborgen Ploss , Das Weib. I, 3. Aufl . 35 546 XXVII. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibung der Leibesfrucht. bleibt, weil allerdings Gesetz und öffentliche Meinung dem freieren Auftreten der Sache entgegentreten, weil aber auch bei vielen, selbst recht intelligenten Männern die leidige Anschauung besteht, dass man dergleichen Vergehen doch wohl kaum ausrotten werde. Dagegen halte ich es nunmehr für eine Pflicht wohlmeinender Richter und Gerichtsärzte , aus den Acten, deren Einsicht uns Anderen kaum zu Gebote steht, noch Vieles zu erörtern und weitere Beiträge zur Sittengeschichte aufzusammeln. An solche Erörterungen müsste dann der Gesetzgeber anknüpfen, um auf Grund der gelieferten Unterlagen Material für eine nöthige Revision legislatorischer Maassnahmen zu gewinnen. Es sind ethische Momente, welche uns zwingen, die Bedingungen aufzusuchen, durch welche das sociale Uebel fortwuchert. Und es kann uns nicht genügen, dass es eben Gesetze giebt, die dasselbe einfach unter Strafe nehmen, sondern wir müssen auch fragen, in wieweit sich die bestehende Gesetzgebung bewährt hat, und in wieweit sie noch der Verbesserung bedarf. 140. Die Verbreitung der Fruchtabtreibung unter den jetzigen Völkern. Es wurde bereits darauf aufmerksam gemacht, dass wir in der Fruchtabtreibung durchaus nicht einen krankhaften Auswuchs der Civilisation zu erblicken berechtigt sind, denn wenn wir uns unter den jetzigen Völkern des Erdballs umsehen, so finden wir, dass nicht nur manche nur halbcivilisirte Nationen, sondern auch viele der allerrohesten die Abtreibung der Frucht sehr häufig ausüben. Hieraus geht hervor, dass sie einerseits den Werth eines noch nicht geborenen Kindes sehr gering schätzen , und dass sie auch andererseits die Gefahren, welche sie der Mutter bereiten, nicht gar zu hoch veranschlagen können. Die Bedingungen für die Sitte der Abtreibung mögen im Allgemeinen dieselben sein, wie die, welche den Kindermord veranlassen. Allein bei der Abtreibung fällt auch noch die schwache Schranke hinweg, welche wohl manchmal die Mutter abhält, das Eigenerzeugte zu vertilgen, die Liebe zu dem ebengeborenen lebenden Wesen und die Furcht vor der Schuld, ein Leben zu vernichten. Unter den Naturvölkern stehen in der Civilisation die Oceanier und Australier wohl am tiefsten. In Australien will man bemerkt haben, dass wegen der Schwierigkeit, womit die Auferziehung der Kinder verbunden ist ", die eingeborenen Mütter oftmals Fehlgeburten herbeiführen. (Klemm, Oberlaender. ) In Neu- Süd- Wales unweit Sydney sterben die Eingeborenen wegen der hier gebräuchlichen Abtreibung der Leibesfrucht mehr und mehr aus, wie v. Scherzer berichtet ; die Sprache der Eingeborenen hat für das Abtreiben einen eigenen Kunstausdruck : Mibra. Auf Neu- Seeland war bis vor einiger Zeit das Abtreiben der Frucht nicht minder gebräuchlich, als der Kindermord. Tuke berichtet, dass die Maori-Frauen auf Neu- Seeland häufig abortiren ; bei manchen derselben soll dies, wie er sagt, 2 oder 3 mal, ja sogar 10 bis 12 mal geschehen sein. Er weiss zwar nicht genau, ob der Abortus künstlich hervorgerufen wird oder zufällig ist, doch glaubt er annehmen zu müssen, dass häufig das Erstere der Fall ist. Domeny de Rienzi schildert in seinem 140. Die Verbreitung der Fruchtabtreibung unter den jetzigen Völkern. 547 Werke über Oceanien die Entbehrungen und Qualen, welche den eingeborenen Frauen bei Schwangerschaft und Geburt von den Ihrigen auferlegt werden, und fragt : Darf man sich wundern, dass manche dieser Frauen dem Glücke entsagen, Mutter zu werden, und durch gewaltsame Mittel den Folgen ihrer Fruchtbarkeit vorbeugen? Unter den Eingeborenen Neu-Caledoniens huldigen nach dem Bericht des französischen Schiffsarztes Rochas nicht etwa bloss ledige Dirnen dem Gebrauche des Abtreibens, sondern auch verheirathete Frauen , um der Mühe des Säugens zu entgehen, und um gewisse Körperreize länger zu bewahren. Auch Moncelon bestätigt diese Angabe. Die Loyalitäts - Insulanerinnen trinken nach Samuel Ella das Wasser einer heissen Schwefelquelle, um sich die Leibesfrucht abzutreiben. Dass die Rücksicht auf die Erhaltung der jugendlichen Schönheit wie im. alten Rom so auch der Frauen der Naturvölker als Motiv zur Abtreibung keineswegs fremd ist, wird uns mehrfach berichtet, nicht nur von den soeben genannten ganz rohen Bewohnerinnen Neu- Caledoniens , welche danach. streben, ihre Brüste möglichst lange straff zu erhalten, sondern auch von Samoa, Tahiti , Hawaii und in alter Zeit von den Dariern. Bei den Doresen, einem Papua- Stamme auf Neu- Guinea , ist die Frau das Lastthier des Mannes ; um nicht mit grossen mütterlichen Sorgen beschwert zu werden, betrachten die Frauen zwei Kinder für hinreichend und treiben bei jeder folgenden Schwangerschaft die Frucht ab. Daher erklärt sich die geringe Zunahme der Bevölkerung. Auf den Gesellschafts - Inseln trat nach Bemet die Fruchtabtreibung an die Stelle des früher gebräuchlichen Kindermordes. Auf der zu der Salomon- Gruppe gehörigen Insel Ugi rufen die Frauen oft Abort hervor. Elton's Berichterstatter sind mehrere Fälle bekannt, wo bei Gravidität von 3 bis 7 Monaten Abort verursacht wurde, aber er hat nicht erfahren können, was sie dazu benutzen. Er weiss , dass es ein Trank aus den Blättern eines auf der Insel wachsenden Strauches ist ; auch legen sie feste Bandagen um ihre Taille . Es giebt nur wenige Frauen, welche das verstehen, und diese betreiben damit ein einträgliches Geschäft . Auf den Sandwichs - Inseln , auf denen der Kindermord früher sehr gebräuchlich war, ist jetzt nach Angabe der Missionäre nur die Hälfte der Ehen fruchtbar. Andrew fand von 96 verheiratheten SandwichsInsulanerinnen 23 in kinderloser Ehe, also den vierten Theil. Nach Wilkes ist hier der freiwillige Abortus sehr häufig. Auf den Viti - Inseln , sagt Wilkes, giebt es sehr viele Hebammen, die meistens auch mit dem Geschäfte der hier sehr häufig exercirten Fruchtabtreibung sich befassen. Die eingeborenen Hebammen versicherten Blyth, dass zufälliger Abort unter den Fiji - Frauen vollständig unbekannt ist und dass , wenn Abort vorkommt, er ganz sicher ein absichtlicher ist. Für die Einleitung des künstlichen Abortes scheinen mehrere Beweggründe maassgebend zu sein. Die Fiji - Frauen haben eine ausgesprochene Abneigung gegen eine zahlreiche Familie, und fühlen sich beschämt, wenn sie zu häufig schwanger werden, da sie glauben , dass eine Frau, welche eine grosse Zahl von Kindern zur Welt bringt. zum Gespött der Gemeinde wird. So suchen sie durch den künstlichen Abort die Zahl der Geburten zu verringern, oder es zu vermeiden, dass einer Schwangerschaft zu bald eine andere folge. Auch führen sie häufig die absichtliche Fehlgeburt herbei, um ihre Männer zu ärgern , wenn sie auf diese wegen vermeintlicher Untreue eifersüchtig sind. Das Gleiche ge35* 548 XXVII. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibung der Leibesfrucht. schieht bei illegitimer Schwangerschaft, um der Schande zu entgehen. Auf Samoa ist der Kindermord etwas ganz Unerhörtes, Abtreibung der Frucht dagegen, und zwar mit Anwendung mechanischer Mittel, ist theils aus Scham, theils aus Furcht vor frühem Altern, theils aus Trägheit ausserordentlich in Uebung. Künstlicher Abortus war auf den Gilbert - Inseln wegen der Unfruchtbarkeit des Bodens sehr gebräuchlich . Es scheinen auch die Ulitaos auf den Marianen diese Sitte geübt zu haben, obwohl bestimmte Angaben darüber nicht vorliegen. Auf Buru im malayischen Archipel sind Emmenagoga viel gebraucht, um keine Kinder zu bekommen, und ebenso wird der künstliche Abortus allgemein geduldet und an Mädchen und Frauen vielfach ausgeübt. Die hierzu in Anwendung gezogenen Geheimmittel scheinen dem Körper der Frau keinen bleibenden Nachtheil zu verursachen. Auch auf Ambon und den Uliase -Inseln, auf Babar, Keisar und den WatubelaInseln werden Abortiva vielfach benutzt. Auf Keisar thun es die Weiber gegen den Willen ihrer Männer, um nicht mehr als höchstens zwei Kinder zu bekommen. Die Watubela - Insulanerinnen führen in gleicher Weise das Zweikindersystem durch. Auf Babar greifen schwangere Frauen zur künstlichen Fruchtabtreibung, um nicht vom Coitus ausgeschlossen zu sein, der während der Gravidität auf das strengste verboten ist. Auch die Eetar- Insulanerinnen bedienen sich der Abortiva, jedoch nur ganz im Geheimen. Die Galela und Tobeloresen gebrauchen sie ebenfalls viel. (Riedel¹.) Von den Aaru- Inseln sagt Ribbe : Selten findet man mehr als 3 Kinder bei einem Ehepaare ; wie in ganz Indien , so ist auch hier das Abtreiben der Leibesfrucht etwas Erlaubtes und auch wohl einer der Hauptgründe, dass die Bevölkerung sich von Jahr zu Jahr vermindert. Von den Einwohnerinnen der Philippinen glaubt Montano, dass der Gebrauch von abtreibenden Mitteln bei ihnen nicht besteht. In Brunei auf Borneo sind die Kindesmorde nur deswegen so selten, weil man ihnen durch Abtreibung der Leibesfrucht zuvorkommt, worin die Eingeborenen eine solche Meisterschaft haben, dass sie ihren Zweck ohne Gefährdung des Patienten zu erreichen wissen. Da die Vornehmen ihre Concubinen nach der ersten oder zweiten Geburt in Ruhestand zu versetzen pflegen, so schrecken die gewissenlosen Weiber vor keinem Mittel zurück, um sich in ihrer begünstigten Stellung länger zu behaupten. Ferner bleibt die Hälfte der adligen Töchter unvermählt ; damit sie infolge des unerlaubten Umgangs nicht niederkommen, wird bei Zeiten vorgebeugt. (Spencer St. John.) Bei den Hindu beschäftigen sich sowohl die Hebammen als auch die Barbierfrauen sehr viel mit Fruchtabtreibungen. (G. Smith. ) In keinem Lande der Welt, sagt Allan Webb in Calcutta , sind Kindesmord und künstlicher Abortus so häufig , als in Indien , und wenn es auch der englischen Regierung gelungen ist, die Tödtung der Neugeborenen zu verhindern, so kann sie doch nichts gegen den Missbrauch der Abortusbeförderung ausrichten , die schon so manche Mutter mit ihrem Leben bezahlt hat ; überall giebt es dort Leute, die sich gewerbsmässig mit dem Abtreiben der Frucht beschäftigen. Als besondere Ursache des häufigen Vorkommens von künstlichem Abortus bei den Indern bezeichnet Huillet die Sitte , dass die Mädchen schon im zartesten Alter verheirathet und hierdurch häufig schon früh zu Witt- 140. Die Verbreitung der Fruchtabtreibung unter den jetzigen Völkern. 549 wen werden ; in diesem Wittwenstande ergeben sich viele der Prostitution, um nur ihren Lebensunterhalt zu finden, schreiten dann aber bei eintretender Schwangerschaft zum Abortus, um die Schande von sich selbst und von der Familie abzuwenden. Bei den Munda - Kohls in Chota Nagpore kommt es nach Missionär Jellinghaus vor, dass ärmere Ehefrauen, wenn ihnen die Schwangerschaften zu rasch auf einander folgen, zu alten Weibern gehen und Abtreibungsmittel anwenden. Ja sie lassen sich auch oft ohne Wissen der Männer die Gebärmutter verdrücken und verschieben, um die Plage der Schwangerschaften los zu sein. Es scheint, dass sie diese scheussliche Unsitte von den niederen Kasten der Hindus gelernt haben. Ueber den enormen Umfang, welchen in Indien die Abtreibung genommen hat, berichtet Shortt. Sie wird aus religiösem Vorurtheil sowohl unter den Hindus , die in den englischen Präsidentschaften wohnen, als auch unter den wilden Stämmen getrieben. In Kutsch, einer Halbinsel nördlich von Bombay, fand Macmurdo die Weiber sehr ausschweifend und den künstlichen Abortus allgemein. Eine Mutter rühmte sich der fünfmaligen Abtreibung ihrer Leibesfrucht. Wenn bei den Kafir in Mittel - Asien eine Frau den Abortus vornehmen will mit oder ohne Vorwissen des Mannes, so ist sie straflos, ebenso der Doctor, der den Abortus vollbringt. Das Tödten der Kinder nach der Geburt jedoch gilt als ebenso strafbar wie ein Mord. (Maclean. ) In Cochinchina ist die Abtreibung ein sehr gewöhnliches und dort zu Lande durchaus nicht als verbrecherisch betrachtetes Mittel, der Unannehmlichkeit ausserehelicher Schwangerschaft rasch ein Ende zu machen. (Crawfurd. ) Auch die Chinesen haben Kenntniss von den Abortivmitteln und sie wenden dieselben nicht selten an. Abtreibungen der Frucht sind nach Rutherford Alcock in Japan unter unverheiratheten Frauenspersonen sehr im Schwange. Wie wenig man dort sich vor der Abtreibung scheut, geht aus der Angabe Wernich's hervor. welcher sagt : „ Der Fremde, wenn er eine Japanerin zur Concubine nimmt, erklärt in sehr vielen Fällen von vornherein, dass er nicht Kinder wünsche; wie die Betreffende diesen Wunsch erfüllt, bleibt ihr überlassen. " In Persien soll nach mündlicher Auskunft Polak's bei Verheiratheten der künstliche Abortus nicht vorkommen. Allein Chardin , der früher persische Sitten kennen lernte, versicherte, dass Frauen dann den Abortus zu bewirken suchen, wenn sie bemerken, dass ihre Männer durch die Zurückhaltung , welche sie dem persischen Brauche gemäss während ihrer Schwangerschaft beobachten müssen , bewogen werden , sich mit anderen Frauen einzulassen. Wir schliessen hier gleich die Türken an, weil sie ja eigentlich vielmehr als Asiaten , wie als Europäer betrachtet werden müssen . Bei der Leichtigkeit und Straflosigkeit des künstlichen Abortus giebt es im Orient keine unehelichen Kinder. Der Gebrauch, dass, wenn eine Frau. besserer Klasse zwei lebende Kinder, darunter einen Knaben besitzt , bei jeder folgenden Schwangerschaft mit Wissen des Mannes künstlicher Abortus herbeigeführt wird, gilt speciell nur für höhere Klassen Constantinopels , doch nicht für die Masse der Bevölkerung, auch nicht für Aegypten und andere muselmännische Länder. Der französische Arzt Eram, der ein Werk über die Geburtshülfe in der Türkei geschrieben hat , bestätigt, dass im Orient die Hebammen sehr häufig den Schwangeren die Frucht ab- 550 XXVII. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibung der Leibesfrucht. treiben 99 . Ein englischer Arzt sagt : ...Die Hülfe dieser Hebammen. dieser ungebildeten Frauen aus allen Nationen , welche die unvernünftigsten Manipulationen mit der Gebärenden vornehmen, erstreckt sich nicht bloss auf das Geschäft der Entbindung, sie werden vielmehr auch bei Frauenund Kinderkrankheiten zugezogen, verschreiben Mittel gegen Unfruchtbarkeit und erzeugen so manche Gebärmutterkrankheit. Aber ihr besonderer Beruf ist der künstliche Abortus. Die Türken halten die Abtreibung des Kindes für nichts Schlechtes. Wenn eine Türkin ihre Nachkommenschaft nicht mehr anwachsen lassen will, oder wenn sie fürchtet, dass durch eine erneute Schwangerschaft das Stillen, das gewöhnlich bis in das dritte Jahr fortgesetzt wird, unterbrochen werden könnte, so unterwirft sie sich mit der grössten Ruhe der Behandlung einer Hebamme zur Einleitung einer Frühgeburt, bisweilen mit, andere Male aber auch ohne Vorwissen des Ehemannes. Gefährliche Blutungen, Entzündungen und Verwundungen der Gebärmutter sind die häufigen Folgen solchen Verfahrens. Diese Sitten herrschen in den ärmsten wie in den reichsten Häusern, und die Regierung schreitet nicht gegen sie ein. Im Jahre 1859 brachte die medicinische Gesellschaft zu Constantinopel das Treiben eines übelberüchtigten Gesellen , der sich selbst Doctor nannte und Handel mit Abortivmitteln trieb, zur Kenntniss des Grossvezirs, doch ohne allen Erfolg. Dieser Gebrauch des Abtreibens ist nach der Meinung des Berichterstatters Ursache des schnellen Abnehmens der türkischen Bevölkerung. " Weiter äussert sich auch der deutsche Arzt Oppenheim über diese Verhältnisse : „In der Türkei wird der Abortus häufig versucht und ist bis zum 5. Monat erlaubt, weil nach der Meinung der Mohammedaner bis dahin noch kein Leben im Fötus ist. Es werden häufig von verheiratheten Leuten Abortivmittel öffentlich und ohne Scheu verlangt, vom Manne, um nicht zu viele Kinder zu ernähren, von der Frau mit Bewilligung ihres Gatten aus Furcht, ein Wochenbett möchte ihren Reizen Abbruch thun, oft aber auch vom Manne, der mit einer Sclavin Umgang hatte. " Als häufige Folgen des künstlichen Abortus in der Türkei führt Oppenheim an: Fluor albus, Prolapsus uteri et recti und Mutterkrebs . 99 In Constantinopel wurde auf Veranlassung von Prado eine amtliche Untersuchung über diejenigen Abtreibungen angestellt, welche zu der Kenntniss des Gerichtes gekommen waren. Es ergab sich, dass in zehn Monaten des Jahres 1872 dieses Verbrechen in mehr als 3000 Fällen zu criminellen Untersuchungen Veranlassung gegeben hatte. Die unmittelbare Ursache dieser erschreckenden Erscheinung findet Prado in der Stellung des Weibes im Orient. In erster Linie geschieht es bei den muselmännischen Frauen meist aus Gründen der Gefallsucht, dass das Weib die Frucht seiner Empfängniss zerstört, und zwar lediglich zu dem Zwecke, um die Schönheit seiner Formen so lange als möglich zu erhalten und dadurch der Gefahr einer Ehescheidung zu entgehen, welche die religiöse Gesetzgebung bei den Muselmännern sehr erleichtert. Ein anderer Grund bestimmt dagegen die christliche oder jüdische Frau zu diesem Verbrechen . Um die Spur eines begangenen Vergehens zu verwischen, scheut sie nämlich vor keinem Verbrechen zurück, und sei es selbst um den Preis ihres Lebens, wie solches gewöhnlich der Fall ist. Ein anderer Beweggrund scheint die Schwierigkeit zu sein, mit der die mittleren Klassen für eine zahlreiche Familie den Lebensunterhalt zu beschaffen im Stande sind. Ausserdem spielen Rachsucht, Eifersucht. Nebenbuhlereien und Aussichten auf Erbschaften dabei eine ganz erhebliche Rolle. 140. Die Verbreitung der Fruchtabtreibung unter den jetzigen Völkern. 551 „Zur Schande unseres Berufes, " sagt Prado, müssen wir gestehen , dass es heute selbst noch unter unseren Collegen solche Elende giebt, welche trotz eines Diploms dieses strafbare Handwerk ausüben ; allein ihre Zahl ist glücklicherweise in unseren Tagen eine sehr beschränkte geworden. Dieses ehrlose Gewerbe wird heute beinahe ganz ausschliesslich von gefährlichen Hebammen betrieben, von unwürdigen Lucinen, welche uns an die Abtreibungen alter Zeiten erinnern, deren Thaten Plinius beschrieben hat, wie Olympias, die The banerin , Salpe und Sotira, und wenn wir Beispiele aus der Gegenwart anführen wollen, finden wir sie in den gefährlichen Giftmischerinnen von Marseille u. s . w. Die Zunft der Hebammen besteht mit Ausnahme einzelner Persönlichkeiten, welche ihre Kunst rechtschaffen ausüben , im Allgemeinen aus verrufenen und unwissenden Frauenzimmern, welche vorher die schamlosesten Handwerke ausgeübt haben. Diese unheilvollen und schamlosen Frauenzimmer beflecken täglich die Schwellen angesehener Häuser und entehren durch ihre Gegenwart die achtbarsten Familien, indem sie diejenigen zum Verbrechen auffordern, welche sie vorher zu Fehltritten verleitet haben, und die dann in der Regel damit enden, gänzlich ihr Opfer zu werden. " Auch Prado weist darauf hin, dass dieses niederträchtige Gewerbe der Abtreiberinnen eine der Hauptursachen der Abnahme der Bevölkerung des türkischen Reiches ist . Er fordert die Behörden Constantinopels auf, das Verbrechen mit der äussersten Strenge zu verfolgen ; die Hebammen sollen geprüft und obrigkeitlich überwacht werden. Eine nicht geringe Anzahl der Völker Afrikas huldigt ebenfalls der Unsitte des Abtreibens. Wir werden bei der Besprechung der gebräuchlichen Abortivmittel auf mehrere dieser Völker zurückkommen. Hier erwähnen wir nur einige derselben. Die ägyptischen Frauenzimmer neigen ausserordentlich zur künstlichen Erzeugung des Abortus, durch den sie sich allzu zahlreicher kostspieliger Nachkommenschaft zu entledigen trachten. (Hartmann.) Das Verbrechen des künstlichen Abortus kommt unter den Eingeborenen Algeriens nach Bertherand ebenso häufig vor, wie nach Terier in Constantinopel ; man sieht in Butiken an öffentlichen Plätzen Jüdinnen diese Praxis betreiben. Auf den Canarischen Inseln ist die Fruchtbarkeit der Weiber sehr gross, und selbst Lustdirnen bringen oft Kinder zur Welt, wenn sie keine Mittel anwenden, einen Abortus zu bewirken. Man nimmt oft zu Abortivmitteln seine Zuflucht, und dies ist um so leichter, da auf dem Lande die Pflanzen und Kräuter nur zu gut bekannt sind, durch welche die Abtreibung bewirkt werden kann ; in den Städten ist kein Mangel an alten Weibern, die neben der Kuppelei dieses abscheuliche Gewerbe ungestraft betreiben. (Mac Gregor.) Auf Massaua im arabischen Meerbusen ist das Abtreiben der Frucht sehr häufig , weil die Väter verpflichtet sind, ihre Töchter aufzuhängen, falls sie, ohne verheirathet zu sein, schwanger werden. Solche eigenmächtige Handlung wird von Niemandem gerügt. (Brehm. ) Die Szuaheli in Ost - Afrika , welche auch manchmal die Schwangerschaft durch Medicin zu verhüten suchen, halten bis zum 2. bis 4. Schwangerschaftsmonat das Abtreiben der Frucht für möglich. (Kersten.) Der künstliche Abortus wird bei den Woloff- Negern sehr häufig durch die Marabuts ausgeführt; nach Annahme de Rochebrune's wird in Folge dieser Häufigkeit wahrscheinlich die Erscheinung zu erklären sein, dass am Senegal unter den Negern die Zahl der Sterbefälle diejenige der Geburten übersteigt.

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