Marquis de Sade: His Life and Works  

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Neue Forschungen über den Marquis de Sade und seine Zeit. Mit besonderer Berücksichtigung der Sexualphilosophie de Sade's auf Grund des neuentdeckten Original-Manuskriptes seines Hauptwerkes (1904) is a book on Marquis de Sade written by Iwan Bloch under the pseudonym Eugen Dühren. Bloch had written it after finding the original manuscript of The 120 Days of Sodom.

It is in the first place a source on 18th century French sittengeschichte, rather than a biography, "The Life of The Marquis de Sade " is a merely a total of 28 pages.

The book was translated into English by Solomon Malkin as James Bruce. There is an online version, probably based on Malkin's translation. Google for "The fire of passion is always ignited on the torch of philosophy."

Excerpt:

"Ausgehend von einem „Toren", der da „beichtete" — er ist oder war vielmehr wirklich ein Tor, Herr August Strindberg, trotz aller Genialität — und wahrscheinlich beeinflusst durch die doch mit einer gewissen weisen und schüchternen ..."

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Full text[1]

eue Forschungen

über den

Marquis de Sade

und seine Zeit


Mit besonderer Berücksichtigung der Sexualphilosophie de Sade's auf Grund des neuentdeckten Original-Manuskriptes seines Hauptwerkes „Die 120 Tage von Sodom"

Von Dr. EUGEN DÜHREN


Mit mehreren bisher unveröffentlichten Briefen und Fragmenten

10.3-51


BERLIN 1904 VERLAG VON MAX HARRWITZ


Herrn Dr. med. Julius Leopold Pagel

a. 0. Professor der Geschichte der Medicin an der Königl. Friedrich -Wilhelms -Universität zu Berlin


in Verehrung und Dankbarkeit


Der Verfasser


Hochg'eehrter Herr Professor!

Gestatten Sie, dass ich bei Erscheinen meines neuen Werkes über den Marquis de S a d e dem längst empfun- denen Bedürfnis nachkomme, Ihnen für soviel fördernde Teilnahme, wissenschaftliclie Anregung und geistvolle Belehrung, die Sie mir in den beinahe sieben Jahren unseres persönlichen Verkehrs zuteil werden Hessen, auf- richtigen und herzlichen Dank abzustatten. '

Ich darf Sie in der Tat, wenn ich Ihnen auch erst nach vollendeter Studienzeit nähergetreten bin, als meinen Lehrer betrachten, sei es, dass ich jener ersten unvergesslichen Stunden gedenke, wo wir gleichsam im Fluge das unermessliche Gebiet der medicinischen Ge- schichtsforschung, ja der ganzen Kulturwissenschaft überhaupt, durcheilten, sei es in der Erinnerung an die vielen, vielen späteren ernsthaften Erörterungen über einzelne Probleme der Historia medicinae, der Philo- sophie und der Sittengeschichte.

Nachdem Heinrich Haeser, August Hirsch, Theodor Puschmann dahingegangen, haben Sie glücklicherweise noch in voller jugend- licher Kraft die schwere Aufgabe auf sich " ge- nommen, als Nachfolger von August Hirsch die Gesamt Wissenschaft der medicinischen


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Geschichtsforschung an der ersten Universität des Reiches zu lehren. Wer den Umfang dieses Wissens- gebietes kennt, das Labyrinth seiner verschlungenen Wegf, die so häufig in andere Gebiete der Kultur führen, wird die Bedeutung Ihrer Leistungen zu wür- digen wissen. Früh erkoren Sie sich sogar den dunkel- sten und schwierigsten Teil dieser Disziplin, die mittelalterliche Medicin zum Lieblingsgegen- stande Ihrer Forschungen aus, zogen Jahrhunderte lang verborgene Handschriften ans Licht, dank deren scharf- sinniger Entzifferung und Herausgabe nunmehr die interessante Gestalt des grossen Heinrich von Mon- d e V i 1 1 e , dem Guy de Chauliac ebenbürtig, uns deutlich vor Augen steht, und viele andere Aerzte des Mittelalters, wie Johannes von St. Am and, Congeinna, Jamerius, Agulinus, Alcoa- tim u. a. m. uns jetzt bekannt geworden sind. Wie wenig Sie aber in einseitiger Beschränkung auf diese Epoche der medicinischen Geschichte befangen sind, beweisen Ihre auf alle Zweige und Zeiten derselben sich erstreckenden unzähligen litera- rischen, bibliographischen und biographischen Unter- suchungen, das beweist die Aufmerksamkeit, die Sie neuerdings dem unsterblichen G a 1 e n u s zugewandt haben, das beweist vor allem Ihr grossartiges, mit Max N e u b u r g e r gemeinsam in Angriff genommenes Unternehmen des imposanten ,, Handbuches der Ge- schichte der Medicin" (Jena, G. Fischer 1901 ff.), das für immer in der Geschichte der medicinhistori sehen I^itera- tur Epoche machen wird.

Spricht aus diesen Arbeiten die eine Cirundnote Ilires Wesens uns an, die Sie auch Ihren Schükrrn unauf- Jiörlich einzuprägen sich bemilhen: di(^ IM e t ä t vor der


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Yergangenheit, vor dem geschichtlich Gewordenen, so erweisen Sie nicht weniger durch Ihre übrigen Schriften, dass die Liehe zum Neuen, die Liehe zum Leben überhaupt, das ja ewig neu ist, eine zweite Triebfeder Ihres Schaffens bildet. Es ist eine Fabel, dass der Histo- riker dem Leben fremd sei. Wer das Geschehen in der Vergangenheit überblickt, in den Zusammenhang, die Bedingungen aller Entwickelung überhaupt eingedrun- gen ist, der gewinnt damit einen sicheren Massstab für das Geschehen in Gegenwart und Zukunft. Er erkennt, dass alle Vervollkommnung nur eine organische Weiter- entwickelung der Wesenheit des Bestehenden ist, dass der vielverspottete Satz der Hegel sehen Dialektik, dass alles Wirkliche vernünftig sei, nur dann einen Sinn hat, w^enn man dieses ,, Vernünftige" in allen Dingen, dieses Wesentliche und W^ert volle in ihnen, als das einzig Dauerhafte betrachtet, das allein lebenskräf- tige Keime einer neuen in der Zukunft vor sich gehen- den Entwickelung in sich birgt. Hierin liegt das ein- fache Geheimnis aller Anwendung der Geschichtsfor- schung auf die Wirklichkeit. Sie haben in der schönen Einleitung zu Ihrer ,, Einführung in das Studium der Geschichte der Medicin" diesen innigen Zusammenhang «der Historie mit dem Leben und Sein des Menschen eindrucksvoll beleuchtet und in Ihrer ,,Deontologio", der ,, Einführung in das Studium der Medicin", Ihren Schriften zur Geschichte der sozialen Medicin diesem Gedanken noch lebhafteren Ausdruck verliehen.

Unter diesem Gesichtspunkte, so hoffe ich, werden Sie auch mein neues, gewissermassen unter Ihren Auspi- zien in die AYelt gehendes Werk über den Marquis de S a d e beurteilen, über diesen seltsamen Menschen, der fortan, worauf ich gleich zu sprechen komme, auch


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in der Medicingeschichte genannt werden mnss als Ver- fasser des ersten systematischen Werkes über das Gebiet der Psychopathia sexualis.

Nachdem in Deutschland zuerst Herr Geheimrat Prof. Dr. A. E u 1 e n b u r g in einem geistreichen Essay in der Zukunft" auf die Persönlichkeit des divin mar- quis aufmerksam gemacht hatte, hatte ich vor vier Jahren den ersten Versuch einer Darstellung des Lebens und der Ideen dieses erstaunlichen Schriftstellers im Rahmen einer allgemeinen Sittengeschichte des 18. Jahr- hunderts gemacht. Dieses Werk gründete sich wesent- lich auf die Lektüre der Justine und Juliette", die damals noch für das am meisten charakteristische Werk des Marquis de S a d e galt, sowie auf die kleineren Vorarbeiten von Uzanne, Brunet und M a r c i a t , und stellte immerhin das erste grössere und in biblio- graphisch-literargeschichtlicher Beziehung vollständige wissenschaftliche Buch über den Marquis de S a d e dar. Seitdem ist diese wissenschaftliche S a d e - Forschung auch in Frankreich mit Eifer betrieben worden. Männer in hervorragender Stellung haben die Persönlichkeit und Lebensgeschichte ihres merkwürdigen Landsmannes zum Gegenstande sehr intoiessanter und gediegener Untersuchungen gemacht. Vor allen ist da Herr Paul Ginisty zu nennen, der Leiter des staatlichen ,,Theätre de l'Odeon" in Paris, mit seiner durch die subtile psychologische Analyse bedeutsamen Schrift über die Marquise de S a d e und ihre traurige Ehe (Paris 1901), sowie mit einem im Journal" (Juli 1902) veröffentlichten bemerkenswerten Artikel über den älte- sten Sohn des Marquis de S a d e. Ferner hat Dr. C a - banes, der als Herausgeber der ,,Chronique medicale'^ das Interesse für Geschichte der Medicin emsig zu ver-


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breiten sucht, einen Abschnitt des 4. Bandes seines „Cabinet indiscret de l'Histoire" (1900) dem Marquis de S a d e gewidmet. Diese Studie beruht wesentlich auf den im Archiv von Charenton aufbewahrten handschrift- lichen N'achrichten. — Als dritte, weniger originelle Schrift ist die umfangreiche Monographie des Dr. J a - c 0 b u s X. ,,Le Marquis de Sade et son Oeuvre devant la Science Medicale et la Liter ature Moderne" (Paris 1901) zu nennen (vergl. über dieselbe S. 275 — 276 des vorliegenden Werkes). Auch Frankreichs angesehenster Eomanschrif tsteller, Herr Anatole France, hatte sich früher eingehend mit der Persönlichkeit de S a d e s beschäftigt, eine Erstausgabe seiner Novelle ,,Dorci" veranstaltet und dieser eine wertvolle literarische Ein- leitung vorausgeschickt (Paris 1881). Endlich ist noch der berühmte Dramatiker Victorien Sardou zu nennen, der neuerdings (Dezember 1902) auf Grund per- sönlicher Erinnerungen an Männer, die de Sade ge- kannt haben, in der ,,Chronique medicale" einige Nach- richten zur Lebensgeschichte desselben veröffent- licht hat.

Sie sehen, dass Männer von weithin sichtbarer Stel- lung im öffentlichen, wissenschaftlichen und künstle- rischen Leben Frankreichs, dass Theaterdirektoren, Aerzte, Eoman- und Bühnenschriftsteller der rätsel- haften Persönlichkeit des Marquis de Sade eingehende Aufmerksamkeit zugewendet und dieses Charakterpro- blem zu lösen versucht haben.

Seit dem Erscheinen meines ersten Werkes über den Marquis d e S a d e hatte die Persönlichkeit desselben mich fortdauernd beschäftigt. Manches Rätselhafte seines Charakters war noch aufzuklären, Wesen und Inhalt seiner Schriftstellerei noch genauer zu erfor-


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sehen. Yielfaeli angeregt diireh die erwähnten neueren französischen Untersuchungen, habe ich mich bemüht, auch meinerseits neues Material herbeizuschaffen, auf Grund dessen das vorliegende Werk entstanden ist. Sie wissen, dass ich ,,olle Kamellen" nicht liebe, weder im Leben noch in der Wissenschaft. So stellt auch diese neue Schrift über d(^n Marquis de S a d e ein völlig originales Werk dar mit durchweg neuen, hisher noch unveröffentlichten Tatsachen, die in dem ersten Werke gänzlich fehlen. Das gilt nicht nur von dem ersten sittengc schichtlichen Teil, der die neuesten a r c h i v a 1 i s c h e n Forschungen französi- scher Autoren verwertet, sondern auch in demselben Masse von dem zweiten, der meine neuen Untersuchun- gen über den Marquis de S a d e enthält. Ich habe auf S. 277 — 279 meine neuen Funde kurz zusammengestellt. Der wichtigste von ihnen ist die Entdeckung des Oi'iginalmanuskriptes des berühmten Hauptwerkes des Marquis de Sade, das ihm für immer auch in der Geschichte der Medicin eine Stelle sichert. Denn die ,,120 Tage von Sodom" — so lautet der Titel desselben — müssen als der erste V e r - s u c h einer Darstellung des gesamten Gebietes der so- genannten Psychopathia sexualis betrachtet werden. In der Einleitung hat de Sa d e ausdrücklich auf die AV i s s e n s c h a f 1 1 i c h e Bedeutung eines solchen Unternehmens hingewiesen. Seine Schrift ist in der Tat das erste, zwar noch in bezug auf die Einteilung etwas primitive System einer Psychopathia sexualis, das aber bereits eine vollständige Sammlung der verschiedensten Fälle von sexuellen Ano- malien darstellt, wie sie so erschöpfend selbst von dem fast genau 100 Jahre s p ä t e r e n v. K r a f f t - E b i n g


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nicht ziisaminengestellt worden ist. Es sind 600 sexu- elle Per Versionen, die de Sade in systematischer Reihenfolge aufführt, darunter zahlreiche, die spezi fisch ,, modern" anmuten. Wie Sie aus meiner im Texte gegebenen Analyse erkennen werden, muss der Medicin- historiker fortan diesem erstaunlichen Opus einen ersten Platz in der Geschichte der Psychopathia sexu- alis einräumen, deren ers'^'.os wissenschaftliches Doku- ment die berühmte Beschreibung der homosexuellen Effemination in des Hippokrates Schrift ,,üeber Luft, AVasser und Oertlichkeiten" bildet. Ein nicht ge- ringeres Interesse als der medicinische Geschichts- forscher werden der Irrenarzt, der Anthropologe, der Kulturhistoriker diesem Hauptwerke des Marquis d e Sade entgegenbringen. Sie werden daraus ersehen, dass dieselben psychosexualen Erscheinungen, die man be- sonders in ärztlichen Kreisen gern als eine Folge der europäischen Kultur der Gegenwart anzusehen geneigt ist, in ihrer Wesenheit schon damals und gewiss zu allen Zeiten zutage getreten sind, und sie werden sich der Erkenntnis nicht verschliessen, dass es auf sexuellem Gebiete nichts Neues gibt> Es ist alles schon dagewesen und es wird alles wieder- kehren, mag man dagegen tun, was man will, mag^ auch eine gewisse moderne Sophistik in dem naiven Glauben befangen sein, den Menschen als ,, Geschlechts- wesen" durch die blosse theoretische Analyse aus- schalten zu können.

Ausgehend von einem „Toren", der da ,, beichtete" — er ist oder war vielmehr wirklich ein Tor, Herr August Strindberg, trotz aller Genialität — und wahrscheinlich beeinflusst durch die doch mit einer gewissen weisen und schüchternen Zurückhaltung vor-


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getragenen Keuschheitsleliren des Verfassers der Kreutzersonate", des altersschwachen Leo Tolstoi, hat ein Jüngling von 23 Jahren, diese Vorgänger noclir überhietend, den unglaublichen Versuch unternommen, " das Weib überhaupt als Vertreterin des ,, Nichts", des radikal Bösen" in der Welt hinzustellen, deren In- dividualität und Wesenheit vernichtet werden müsse. Geschrieben und gedruckt worden ist im Jahre des Herrn 1903 das seltsame Buch ,, Geschlecht und Charakter" des Wiener Doktors der Philosophie Otto Weininger. Die Theorie von der NotAvendigkeit der Asexualität ist in diesem literarischen Kuriosum konsequent bis zu ihren letzten Schlussfolgerungen durchgeführt worden, die in der Tat in das — Nichts einmünden.

Was bleibt noch übrig, wenn der Mensch als Ge- schlechtsw^esen eliminiert ist ? Ist nicht die Tatsache, dass der unglückliche Philosoph seine Theorie, ähn- lich wie der Held in Paul Bourgets Eoman ,,Le Disciple", mit dem Leben bezahlte, eine traurige, aber leider nur zu gerechtfertigte Antwort auf diese Frage ?

W e i n i n g e r ist in gewissem Sinne der Antipode des Marquis de Sade. Wie jener der Apostel der Asexualität ist, so möchte dieser die Sexualität in alle Dinge hineintragen, die Welt allein und ausschliess- lich mit ihr erfüllen. Nach de Sade kann das Wesen der Welt nur durch das Sexuelle erfasst und begriffen werden, nach W e i n i n g e r kann dies nur durch Aus- schaltung alles Geschlechtlichen erreicht werden. Er proklamiert als höchsten Typus des Menschen den un- geschlechtlichen, der alle Sexualität ,, verneint". Je- doch ist auch de Sade der Gedankengang W e i n i n - gcrs nicht ganz fremd geA\csen. Auch er lässt kon- -


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sequeiite Erauenhasser in seinen Werken auftreten, frei- lich nicht um die Sexualität zu verneinen, sondern um sie zu bejahen mit — Personen des eigenen Ge- schlechts, wie denn auch dem Dr. Weininger die Päderastie bedeutend sympathischer ist als die natür- liche, normale Liebe zwischen Mann und Weib. Auf eine andere sehr merkwürdige Uebereinstimmung zwischen den Ideen de S a d e s und Weiningers habe ich auf S. 362 des vorliegenden Buches hinge- wiesen.

Diese beiden seltsamen Figuren der Literatur- geschichte werden aber deshalb immer für den Philo- sophen eine gewisse Bedeutung behalten, weil sie meines Wissens die einzigen bedeutenden Vertreter einer konsequenten Sexualphilosophie sind, Schriftsteller, die einzig und allein auf der Grundlage des Geschlechtlichen eine Weltanschau- ung aufbauen. Das sexuelle Problem wird ihnen zum AVeltproblem, die Erotik erweitert sich zur Metaphysik. Von dem ,, Brennpunkte des Willens" aus suchen sie beide die Mysterien des Lebens zu entschleiern.

Ich will an dieser Stelle nicht die Möglichkeit und. den Wert einer solchen Sexualphilosophie" unter- suchen. Richtig aber ist daran die Tatsache, die d e S a d e durch seine positiven Thesen, W e i n i n g e r so- gar erst recht durch seine Bekämpfung alles Geschlecht- lichen erweist, dass das Sexuelle, wie ich schon früher einmal sagte, den Kern und die Achse alles Lebens, des individuellen wie des sozialen, ausmacht. Sie werden, hochgeehrter Herr Professor, mit mir den Satz unterschreiben : Entweder ist der Mensch ein geschlechtliches Wesen oder er ist über- 11 a u p t nicht. Wir wissen, dass das Sexuelle Ursache


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furchtbarer Laster und ^"erbrechen, unsäglichen Uebels in der ÄVelt ist, wir wissen aber ebenso sicher, dass aus ihm auch unendlich viel Herrliches entspringt, dass es mit allen Schöpfungen der Kunst, der Poesie, mit aller Geistestätigkeit, mit den höchsten Lebensgefühlen überhaupt aufs innigste verknüpft ist. -

Das Leben selbst straft die alte und die moderne Sophistik Lügen. Es wird einen de S a d e und einen W e i n i n g e r überwinden. Die besonnene Wissen}schaf t wird über des ersteren Hypersexualität und über des letzteren Asexualität zur Tagesordnung übergehen, sie wird auch weiter dem ,, Sexuellen im guten und edlen Sinne als Hebel aller Entwicklung den ihm gebührenden Platz in der Geschichte des menschlichen Fortschritts einräumen und jene merkwürdigen Apostel höchstens unter die grosse Schar der ,,fous litteraires aufnehmen, die zu allen Zeiten die Welt durch ihre paradoxen Theorien in Erstaunen setzten.

AVenn Sie, hochgeehrter Herr Professor, die vor- liegende Schrift zu denen rechnen, die eine derartige besonnene Würdigung des Sexualproblems anbahnen, und dieses Urteil auch von den übrigen Lesern geteilt würde, so würde damit der Wunsch erfüllt werben, den ich bei der Abfassung dieses neuen Werkes über de S a d e hegte.

In Treue

Hir allzeit ergebener

Dr. E u g e n D ü h r e n.


Berlin W., den 2. Januar 1904.


InhaltsYerzeichnis.


i


ErsterAb schnitt.

Zur Sittengeschichte Frankreichs im 18. Jahrhundert.

S. 1—272

I. Geist und Wesen der Aufklärung.

S. 3—26

Positive und negative Tendenzen des 18. Jahrhunderts S. 3 — Die Eomane des Marquis de S a d e als Ausdruck beider S. 4 — Die „absolute G-esellschaft" S. 5 — Herr- schaft des theo're tischen G-eistes S. 5 — 7 — Die Jagd nach Ideen S. 7 — 8 — Die Salons S. 8 — 9 — Die gesell- schaftliche Konversation S. 9 — Obscönitäten der Unter- haltung S. 10 — Der Briefwechsel als Mittel des Ideenaustausches S. 10 — 11 — Die Liebesbriefe der Mlle. de Lespinasse S. 11 — 12 — Erotik in den Korre- spondenzen S. 12 — M i r a b ea u s Briefe an Sophie de M o n n i e r und Julie Dauvers S. 12 — 13 — Andere erotische Briefe S. 13 — 14 — Die anthropologische Richtung der Interessen S. 14 — 16 — Anfänge der Anthropologie S. 16 — Die psychologische Selbstzergliede- rung S. 16 — Literarische Dokumente dafür (Rousseau, Retif, Bachaumont) S. 17 — Die Skandalsucht und Spionage S. 17, 18 — Konstruktion des idealen Menschen S. 18 — Die französischen Staatsromane des 18. Jahr- hunderts S. 18 — 19 — Reformierende und pädagogische Ten- denzen der Zeit S. 19 — Die Erscheinung des h omme sensible" S. 19 — 20 — Sentimentale Lite- ratur S. 20 — Erotischer Jargon der Sentimentalen S. 21 — Die materialistisch-pessimistische Weltanschauung der Encvklopädisten S. 21 — Theologische Tischgespräche S. 22 — Atheismus der Frauen S. 22—23 — Naturgefühl S. 23 — Herrschaft des Wunderbaren S. 24 — Fr. T h. V i s c h e r s Charakteristik der Aufklärung S. 24 — 26.

II. Die Liebe im 18. Jahrhundert.

S. 27—72

Allgemeine Bedeutung der Liebe für die höhere Gesellschaft S. 27 — 28 — Verbreitung der


— XX —


g-eschleclitliclieii Korruption unter dem Volke S. 28 — Der galanthomme S. 28 — 29 — Zerrüttung des ehelichen Lebens S. 29 — Heiratsannoncen und Heiratsbureaus S. 30 — 31 — Andere zweideutige Annoncen S. 32 — Die Liebe als Objekt S. 32 — 33 — Seltenlieit treuer Liebe S. 33 — Das Hahnrei- tum S. 34 — Freiwillige Hahnreie S. 34 — Eigentümliches Mittel gegen Kinderlosigkeit S. 34 — 35 — Eifersüchtige Lieb- haber S. 35 — Unerw^ünschte Freundesdienste S. 35 — 36

— Häufiger Wechsel der Maitressen S. 36 — Zur Ge- schichte der französischen Lebewelt im 18. Jahrhundert S. 37 ff — Neuere archivalische Forsch- ungen S. 37 — 38 — Existenz einer männlichen und weib- lichen Lebewelt S. 38—39 — Die Lebemänner S. 39 — Der Graf von A r t o i s S. 39 — 40 — Der Herzog von C h a r - t r e s S. 40 — Ein Sonderling in der Liebe (Graf von C h a - rollais) S. 41 — 42 — Der Prinz von Soubise S. 42

— Sein Serail S. 43 — Seine Theaterliaisons S. 43 — Der „Heros der Galanterie" (Herzog von Eichelieu) S. 44 — Jugendstreiche desselben S. 44 — Seine Lust- häuser S. 44 — 45 — Berüchtigt als Verführer S. 45 — Geschichte seiner Liaison mit Madame delaPopeliniere S. 45 — 47 — Beschäftigt allein eine Kupplerin für sich S. 47 — 48 — Libertin bis ins höchste Alter S. 48 — Sein Sohn, der Herzog von F r o n s a c ihm ebenbürtig S. 48 bis 49 — Die Galanterien des Marschalls Moritz von Sachsen S. 49 — Seine Kivalität mit dem Dichter M a r - montel S. 50 — Der „Herkules der Liebe" (Prinz von Conti) S, 50 — Der „miroir ä putains" (Marquis de L e t o r i e r e) S. 50 — 51 — Die Extravaganzen des Herzogs von Grammont, des Marquis de Duras und des Her- zogs von L a u z u n S. 51 — Das Liebesleben Mirabeaus S. 51 — 52 — Seine neu aufgefundene erotische Korrespon- denz S. 52 — Seltsame Magie seines Wesens und seiner Worte S. 52 — Sein Verhältnis zu Julie Dauvers S. 52 — Zu Sophie de Monnier S. 52 — 53 — Seine ob- scöne Schrift stellerei im Gefängnisse S. 54 — Lascivität seiner Briefe an Sophie de Monnier S. 54 — 55 — Ausländische Libertins S. 55 — Der Graf d'Aranda S. 55 — 56 — Die Engländer und Amerika.ner in Pa-ris S. 56 bis 57 — Galanterien der französischen Geist- lichkeit S. 57 — Die „fredaines de jeunesse" des Abbe de Terray S. 57 — Ein Couplet auf den Abbe de C 1 e r m o n t S. 57—58 — Der Erzbischof de G i r a c S. 58 — Die gelehrte Lebewelt S. 58 — Die Philo- sophen Voltaire, Diderot, Montesquieu, Buf- f o n im Bordell S. 58 — 59 — Marmontels Galanterien S. 59 — 60 — d'Argensons Selbstbekenntnisse über seine Jugendzeit S. 59 — 60 — Die Lebemänner aus der


— XXI —


Finanzwelt S. 60 — Der Hof bankier B e* a u j o n S. 60 — Erheiteruagen während seiner Giclitkur S. 60 — 61 — Seine „berceuses" S. 61 — Der rinanzkontrolleur Bert in S. 61 — Der Greneralpäcliter de la Popeliniere S. 61 bis 62 — Seine Vorliebe für „fruits verts" S. 62 — Seine „asiatischen Nächte" in Passy S. 62 — Die lukullischen Mahle des Generalpächters B o u r e t S. 62 — 63 — Die Asso- ciation bei galanten Vergnügungen S. 63 — Orgien und Bordellskandale S. 63 — Ein Brief des Marquis de N e s 1 e S. 64 — Das „changer de maitresse" S. 64 — 65 — Der Genuss in der Untreue S. 65 — Der ,,homme superieur" in der Liebe S. 65 — Gewaltsame Entfiihrungen S. 65 — 66

— Eabre d'Eglantines 13 Entführungen S. 66. Weibliche Wüstlinge S. 66 ff — Auftauchen

aggressiver weiblicher Charaktere S. 66 — Salacität der Hofdamen S. 67 — Die ,,passades" der vornehmen Frauen- welt S. 67 — Die männlichen Maitressen der Lebedamen S. 67 — 68 — Eigene petites maisons dieser Libertinen S. 68 — Die Liebesabenteuer der Marquise de Pierre court S. 69 — Die Polyandrie der Baronin de Vaxheim S. 69, der Baronin L e B 1 a n c S. 69 — Besuch vornehmer Damen in Bordellen S. 69 — Die „Legion" der Gourdan S. 69 bis 70 — Das Bordellabenteuer der Madame d ' 0 p p y S. 70 — Die „französische Messaline" (Herzogin von P o 1 i g - n a c) S. 71 — Die Ausschweifungen der Gräfin von E g ^ m o n t S. 71 — 72 — Vornehme Damen als Bordelldirnen S. 72 — Eifersuchtsscenen S. 72.

III. X euere Eorscliungen über die Lusthäuser (petites maisons) der Vornehmen.

S. 73—87

0 a p 0 n s grundlegende archivalischen Studien über die französischen Lusthäuser des 18. Jahrhunderts S. 73 — 74

— Ursprung der petites maisons S. 74 — Die „Eolies" der Eegentschaft S. 74 — Charakter und Zweck der „petites maisons" S. 74 — 75 — Kostspieligkeit derselben S. 75 — 76

— Literarische Dokumente aus dem 18. Jahrhundert S. 76 — 78 — Erwähnung der Lusthäuser in de S a d e s Schriften S. 78 — Lusthäuser in der Provinz S. 78 — 79 — Schilderung eines solchen in der „Venus en rut" S. 79 — D i e berühmtesten petites maisons des 18. Jahr- hunde r t s S. 79 ff — „Titonville" S. 79—80 — Die „Folie Genlis" S. 80—81 — Der Pavillon de la Bouxiere S. 81-^82

— Der „Tempel der Terpsichore" S. 82 — 83 — Das Lust- haus der Düthe S. 83 — 84 — Der Garten der petite mai- son des Grafen von V a 1 1 e v i 1 1 e S. 84 — C a'm i 1 1 a Veroneses Liebesheim S. 84 — 85 — Die petites mai»-


— XXII —


sons als Filialen der Bordelle S. 85 — Das jjCabaret M a g n y " und seine Klientel S. 85 — 86 — Die Lusthäuser der Bordellwirtinnen Brissau It und F i 1 1 o n S. 86 — Ein interessanter Brief der F i 1 1 o n S. 85 — 86.

IV. Zur Geschichte der Prostitution im 18. Jahrhundert.

S. 88—159

Erstaunliche Entwicklung des Kuppeleiwesens S. 88 — Weibliche und männliche Kuppler S. 88 — 89 — Der Kuppler Brissault S. 90 — 91 — Ein Augustinerpater als Kuppler S. 91 — 92 — Eltern als Kuppler S. 92 — Die ,,maitresses du roi" S. 92 — 93 — Geschichte des Fräulein Roman S. 93 — Polizeiberichte über die Kuppelei der Mütter S. 94—95 — Der „Dossier Ricard" S. 95—96 — Vorfüh- rung von Mädchen vor Ludwig XV. S. 96 — 97 — Gran- dios-schauerliche Schilderung des Kuppeleiwesens in de Sa des „120 Tagen von Sodom" S. 97.

Raffinierte Ausbildung des Bordell- wesens S. 97 ff — Rekrutierung der Bordelle S. 98 — ..Filles de la maison" und „Filles etrangeres" S. 98 — Deutsche Freudenmädchen S. 98 — Negerinnen S. 98 — Nonnen S. 98—99 — Die Bordellreklame S. 99 — Strassen- zettel S. 99 — Bordellführer S. 99 — Geld und Prostitution S. 99—100 — Bordelltaxen S. 100 — Der Tarif der J u s t i n e Paris S. 100 — Preise der Maitressen S. 100—101 — Geldgeschäfte der Bordellinhaberinnen S. 101 — Das Glücks- spiel in den Bordellen S. 101 — de Sade über den sexuellen Eeiz des Spieles S. 101—102 — Das Spielhaus der Tänzerin B e a u V o i s i n S. 102 — 103 — Diebstahl und Prostitution S. 103 — Das Zuhältertum S. 103—104 — Vornehme Zu- hälter S. 104 — Einrichtungen der Bordelle S. 104 ff — Bezeichnungen der Bordellwirtinnen S. 104 — Das tägliche Leben im Bordell S. 105 — Toiletten der Mädchen S. 105 — Der Salon S. 105 — Die Stammgäste S. 105 — Die anderen Besucher S. 106 — Geheime Türen und Treppen S. 106 — Das „Buch der Schönheiten" S. 106 bis 107 — Das „Register der Passionen" S. 107 — Das Instrumen- tarium Veneris, die „breuvages", „fauteuils" und „trappes" S. 107 — 108 — de Sades Schilderung dieser Verhältnisse in den „120 Tagen von Sodom", dem typischen „Bordell- roman" des 18. Jahrhunderts S. 108—109 — Lärmscenen im Bordell S. 109.

Capons archivalische Forschungen über die Bordellberichte des 18. Jahrhunderts S. 109 — 110 — Die Wochenberichte der Kupplerin Dhos- mont S. 110 — Auszüge daraus S. 110 — 115 — Das Journal


— XXIII —


der B a 11 d o i n S. 115—118 — Die Originalbriefe der Bordell- wirtin Lafosse an den Polizeiinspektor M e u n i e r S. 118—120 — Das „Bordellregister" der Babet Des- marets S. 120.

Die berühmtesten Besitzerinnen von Freudenhäusern S. 121 ff — Die Präsident in" (Anna Fillon) S. 121 — Sammlung ihrer Briefe S. 121 — Zahl- reiche Couplets über sie S. 122—123 — Ihre politische Betätigung S. 123 — Ihre starken sexuellen Bedürfnisse S. 123 — Neues über die ,,Bonne-Maman" (Justine Pari s) S. 124 ff — Ihr Freudenhaus im Faubourg Saint-Ger- main S. 124 — 125 — Klagen der Geistlichkeit über dasselbe S. 125 — 126 — Beziehungen der Paris zur vornehmen Welt S. 126 — Clements Schilderung des Hotel du Eoule" S. 127—128 — Das Hotel Montigny S. 129 — Eigen- artiges Serail in demselben S. 129 — 130" — Trauriges Ende der Montigny S. 130 — Cajpons neue Forschungen über die ,,petite comtesse" (Gourdan) S. 131 — 133 — Der Polizeibericht über das Bordell der Hericourt S. 133

— Spezielle Freudenhäuser für Geistliche S. 133 — 134 — Bordellspezialitäten zur Zeit der Eevolution S. 134 — Bör- del des pucelles S. 134 — B. des elegantes S. 134 — B. des bourgeoises u. a. m. S. 134 — 135 — Das ,,bordel mixte" der Madame B 1 o n d y S. 135 — Vermehrung der Freudenhäuser unter dem Direktorium S. 135 — Schilde- rung der Goncourts S. 135 — 136 — Die Mädchenlisten" ö. 136—137.

Oeffentliche Liebesbörsen S. 137 ff — Das Palais Eoyal S. 137 — 138 — Seine „raccrocheuses" S. 138 — Ihre Wohnungen S. 138—139 — 5 Klassen der Lustmäd- chen des Palais Royal S. 139 — Typen der ersten Klasse S. 139 — Die „Bacchantin" S. 139—140 — Die „Venus" S. 140—141 — Typen der zweiten Klasse S. 141 — Die „drei Teniers" S. 141 " — Orte der Prostitution im Palais Royal S. 141—142 — Die Modeläden desselben S. 142 — Treiben der Strassennymphen S. 143 — 145 — Eine dem Tuileriengarten eigene Gattung von Freudenmädchen S. 145 — Die galan- ten Promenaden S. 145 — Die öffentlichen Vergnügungs- gärten S. 145—146 — Die Kaffeehäuser S. 146 — Die Guin- getten S. 147 — Die heimliche Prostitution S. 147 — Die ..Beiles de nuit" und „Venus tenebreuses" S. 147 — 148 — Die geheimen sexuellen Klubs S. 148 — 149.

Polizei und Prostitution S. 150 ff — Die Po- lizei als Dienerin der Korruption S. 150—151 — Die „lieu- tenants generaux" S. 151 — Paulmy d'Argenson S. 151

— B e r r y e r, der Erfinder der Bordeilspionage S. 152 — Sein Inspektor M e u s n i e r S. 152 — Dessen Nachfolger Louis Marais S. 152—153 — Der Polizeipräfekt de Sartines


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S. 153 — Lenoir S. 153 — Seine Ausdehnung der Spionage auf die Familien S. 153—151: — Seine Rolle als Vermittler galanter Intrigen S. 154—155 — de Sade über die Sitten- polizei und Bordellspionage S. 155—156 — Polizeiliches Ver- fahren gegen Prostituierte S. 156 — Das Hospital" S. 157 — Die Prostituiertengefängnisse S. 157 — Die Magdalenen- häuser S. 157—159.

V. Ausartungen des Geschlechtslebens.

S. 160-182

Bedeutung der sexuellen Korruption des 18. Jahrhunderts für die wissenschaftliche Auffassung der sexuellen Ano- malien S. 160 — 161 — Allmähliche Entwicklung und Ab- wechslung der verschiedenen Passionen S. 161 — üeber- wiegen der perversen Handlungen S. 161 — 162 — Fellatrices, Figurae Veneris, nackte Bälle S. 162 — Grosse Zahl der ,,Voyeurs" S. 162 — Vorrichtungen dafür in den Bordellen S. 162 — Das Teleskop des Erzbischofs von C a m b r a i S. 163 — Entwicklung des Geschmackes für Negerinnen S. 163 — Friedrich von Matthissons Bericht über die Negerinnen des Palais Royal S. 163 — 164: — Der Neger der du Barry S. 164 — Der seltsame Fetischismus des Bankiers Peixotte S. 164 — Statuenfetischismus S. 164 bis 165 — Der Incest, eine charakteristische Erscheinung des Rokoko S. 165 — Ansichten der Philosophen darüber S. 166 — Berühmte Incestfälle in der vornehmen Welt S. 166 — 167 — Mirabeaus eigentümlicher Plan S. 167—168 — Sadismus S. 168 — Die sadistische Orgie des Marquis de Breteuil S. 168 — 169 — Die sata- nistischen Ausschweifungen zweier Opernsängerinnen S. 169 bis 170 — Epidemischer Sadismus während der Revolution S. 170 — Die Deflorationsmanie S. 171 — Bericht des Polizeiinspektors Marais über die grosse Verbreitung des Flagellantismus S. 171 bis 172 — Das Instrumentarium der Laferriere S. 172 — Fälle von Flagellomanie S. 172 — Der Philosoph Hel- vetius ein Flagellomane S. 172 — 173 — Andere sexuelle Perversitäten S. 173.

Die Päderastie S. 174 ff — Ausserordentliche Zu- nahme der Zahl der Homosexuellen im 18. Jahrhundert S. 174 — Ursachen (Nachahmung, Mode) S. 174 — Strafen S. 175 — Knabenbordelle und Knabenkuppler S. 175 — Als Knaben verkleidete Dirnen S. 175—176 — Ver- breitung der Homosexualität unter der Geistlichkeit S. 176 — In der adligen Lebewelt S. 176—177 — Die Tribadie S. 177 ff — Schriften über dieselbe S. 177 bis 178 — Die Mannweiber S. 178—179 — Die TribadeÜ"


— XXV —


C a r e 1 und Hamilton, Dumesnil und L e m o i n e S. 179 — Marais über die Verbreitung der Tribadie um 1760 S. 180 — Die tribadisclien Abenteuer der Tänzerin H e i n e 1 S. 180 — Die Eaucourt, eine „echte" Tribaxie S. 180 — 181 — Schilderungen ihres Treibens und ihrer Er- scheinung S. 181 — 182 — Die Neigung der Villers zu einer Negerin S. 182.

VI. Verschönern ngs-, Reiz- und Heilmittel in der galanten Welt.

S. 183—210

Die Kunst zu gefallen als Teil der Ars amandi S. 183

— Kostüm des Rokoko S. 184 — Heinzmann über die französische Frauentracht des 18. Jahrhunderts S. 184 bis 185 — Häufiger Wechsel der Mode S. 185 — Treiben in den Modemagazinen S. 185 — 186 — Die Theaterdamen als Urheberinnen neuer Moden S. 186 — Raffinement der Euss- und Haartracht S. 186—188 — Das Rokoko-Neglige S. 188

— Die galanten Metamorphosen der Pompadour S. 188 bis 189 — Die männlichen Stutzer S. 189—190 — Die 30 An- züge des Herrn von Dogeron S. 190 — Die ,,Musca- dins". ihre Tracht und Sprache S. 190—191.

Die Bäder S. 191 ff — Prachtvolle Privatbäder S. 191

— Geringe Entwicklung des öffentlichen Badewesens S. 191 bis 192 — Die öffentlichen Bäder als maisons passes S. 192

— Die ,,bains chinois" S. 192 — 193 — Geheime Badekabinette S. 193 — 194 — Kosmetische Toilette S. 194 — Die ,,marchan- des de rouge" S. 194 — Die Parfümhändler und Läden S. 194 — Kosmetische Aderlässe S. 194 — Erotische Reiz- mittel S. 195 — Entwicklung der Gourmandise im 18. Jahr- hundert S. 195 — 196 — Der ,,Almanach des Gourmands" S. 196 — Souper und Liebe S. 196 — Die ,,petits soupers" S. 197 — 198 — Die ,,repas adamiques" des Herzogs von Richelieu S. 198—199 — Alkoholismus S. 199 — Die

Salles de preparations" S. 200 — Die Kanthariden und ihre verhängnisvolle Wirkung S. 200 — 201 — Andere Aphro- disiaca S. 201 — Mechanische Stimulantien S. 201 — Die .,boules erotiques" S. 201 — 202 — Die „Liebesschaukel" 's. 202 — Der sexuelle Magnetismus S. 202—203 — Heil- mittel S. 204 ff — Das „mal philosophique" S. 204 — Nicolardots Verzeichnis der syphilitisch infizierten Oelebritäten S. 204—205 — Ein Bonmot über die Heine 1 und ein Epigramm über d ie C 1 a i r o n S. 205 — L i n - g u e t s Brief an Eräulein Landumier S. 205 — Ein „Bulletin" über Mlle de Granville S. 206 — Die

Wanderungen" der Syphilis S.' 206—207 — Die Svphilis im Hause L a m b a 1 1 e S. 207 —Ludwigs XV. Beschäf-


— XXVI —


tigimg mit Schriften über venerische Leiden S. 208 — C^ratisbehandlung der Syphilis S. 208 — Bertrands Lasterkabinett" S. 208—209 — Prophylaktische Mass- regeln S. 209 — Condom, Arzneien, „Gesmidheitsbücher" S. 209 — Bordellärzte S. 209 — Galante Kurpfuscherei S. 210.

VIL Sittengeschichtliches aus dem T h e a t e r 1 e b e n.

S. 211—236

Korrujption des Theaterwesens S. 211 — 212 — Prostitu- tion vor, auf und hinter der Bühne S. 212 — Die Prostitu- tion in den Theatern S. 213 — Das Theater Montansier S. 213—214 — Erotik auf der Bühne S. 214 — Nuditäten S. 214 — Die Habitues der Ankleideräume der Opernsänge- riimen S. 214 — 215 — Kulissengalanterien S. 215 — l3ie Ünsittlichkeit bei den Opernproben S. 215 — Die ,,Theätres Clandestins" des 18. Jahrhun- derts S. 216 ff — In den petites maisons S. 216 — 217 -— Die indecenten Theatervorstellungen bei der G u i - mard S. 217 — 218 — Von Offizieren im Theater Audi- n o t S. 218 — Aufführung schmutziger Theaterstücke am Hofe S. 218—219 — In den Bordellen S. 219 — Die obscönen Kindervorstellungen im Theater Audinot S. 219 — 220 — Der Affe im Theater Nicolet S. 220 — Sadistische Theaterstücke während der Revolution S. 220 — 221,

Der Tanz S. 221 ff — N o v e r r e über die Erotik im Tanze S. 222—223 — Galante Tänze S. 223 — Die Masken- bälle der grossen Oper S. 223 — Die ,,bals de bois" S. 223

— Die öffentlichen Bälle unter dem Direktorium S. 224

— Schilderung eines solchen Balles S. 224 — Die Königin des Tanzsalons (Madame T a 1 1 i e n) S. 225.

Das Ballett S. 225 ff — Seine Ausbildung durch N o - V e r r e , V e s t r i s u. a. S. 225 — Der zweite Akt aus N o - verres Ballett ,,Der Nachttisch der Venus" S. 226 bis 227 — A. V. K o t z e b u e s Schilderung des erotischen Bal- letts ,,Telemacli und Psyche" S. 227 — Die Tracht der Ballerinen S. 227 — Berühmte Tänzerinnen S. 227 — Die Camargo S. 227—228 — Erfinderin der Entrechats" S. 228 — Die Heinel, Erfinderin der Pirouette" S. 228

— Die Familie Vestris S. 228.

Die galanten G r ö s s en der T Ii e a t e r w e 1 1 S. 228 ff — Die ,,filles d'oi^era" S. 228 — Die Dervieux S. 229 — Ihre Galanterien und tribadischen Beziehungen zur Raucourt S. 230—231 — Die Guimard S. 231 bis 232 — Die Clairon S. 232 — Eine frühe Skandalschrift über sie S. 232 — Heldin zahlreicher Epigramme und Anek-


— XXYII —


doten S. 233 — Die Levasseur S. 233—234 — Andere Messalinen unter den Tlieaterdamen S. 234 — 236.

VIII. Beiträge zur Geschichte der Erotik in Literatur und Kunst.

S. 237—272

Die französische Literatur des 18. Jahrhunderts als- Spiegel der Sitten S. 237 — Grosse Zahl ungedruckter ero- tischer Schriften berühmter Männer S. 237—238 — Exzen- trizitäten der Rokokoliteratur S. 238—239 — de Sa des Werke, ein Komplex der verschiedenen Literaturgattungen S. 239—240 — Zwölf Gattungen der Rokokoschriften S. 239 1. Der eigentliche ,.p o r n o g r a p h i s c h e Roman" S. 240

— Haupt Vertreter : de S a d e und Nerciat S. 240 — 241

— 2. Die galante Boudoirliteratur S. 242 — Die Verbindung des Erotischen mit dem Sentimentalen in dem- selben S. 242 — Die ,,Contes" S. 242 — Jouys „Galerie des femmes" S. 242—244 — ,,Themidore", „Grigri" und andere Boudoirromane S. 244—246 — Die „Bibliotheken" S. 246 bis 247 — 3. Der erotische R e i s e r o m a n S. 247 — 248 —

4. Der gelehrte Roman S. 248—249 — 5. Erzählungen nach Art des D e k a m e r o n e S. 249 — 6. Der B r i - gantenroman S. 249—250 — 7. Antireligiöse Schriften mit erotischem Charakter S. 251 — Der ,,Coni- pere ]\Iattliieu" S. 251 — Diderots antireligiöse Schrif- ten S. 251 — 252 — Die antiklerikalen Pornographica S. 252

— 8. Die obscönen a n t i r o y a 1 i s t i s c h e n Schriften

5. 253—254 — 9. Die Skandal- und Klatschlite- ratur S. 254 ff — Die ,,Chronique scandaleuse du genre humain" S. 255 — Die .,Memoires secrets" S. 256 — Der ..englische Spion" und Imberts „Skandalchronik" S. 256 bis 257 — Die übrigen „Espions", ,,Chroniques", ,, Porte- feuilles", ,,Anecdotes", ,,Nouvelles ä la main" usw. S. 257 bis 258 — Der König der Pamphletisten : Thevenot de Morande S. 258 — Verzeichnis seiner Schriften S. 258 bis 259 — Eine Klatsch schrift des Marquis d e Sade S. 259

— 10. Die „Schlüsselroanane" S. 259—260 — 11. Die erotischen Lieder und poetischen ,,0 e u v r e s b a d i n e s" S. 260—262 — 12. Die ..galanten Alma na che" S. 262 bis 263.

Die Erotik in der Kunst S. 264 ff — Bestellung lüsterner Sujets bei den Malern S. 264 — Die Nuditäten des Salons S. 264 — Heinzmanns Wanderung durch das Pariser Museum S. 265 — Illustrationen zu porno- graphischen Schriften S. 265—266 — Die privaten pornogra- phischen Gemäldegalerien S. 266 — Die Schmutzbilder in petites maisons. Bordellen und Läden S. 267 — Dar-


— XXVIII —


Stellung aller sexuellen Beziehungen und Perversitäten S. 267

— Bouchers Venusbilder S. 267 — Die Nuditäten von Watteau, Laueret, Fragonard, Saint - Aubin u. a. S. 268 — Darstellung kallipygisclier Kelze (B o u c h e r , Fragonard u. a.) S. 268 — Klystierscenen S. 268—269

— Kostümpikanterien S. 269 — Liebesscenen S. 269 — Fragonard als Maler der Küsse S. 269—270 — Andere Liebesscenen S. 270 — Darstellung von Yoyeurs S. 270

— Badescenen S. 270 — Fragonards ,, schaukelndes Mädchen" und andere ähnliche Darstellungen S. 270 — 271

— Masturbation S. 271 — Bordellscenen S."271 — Saint - A n b i n s „Medailles spinthriermes" S. 271 — 272.

Zweiter Abschnitt.

Neue Forschungen übei den Marquis de Sade.

S. 273—465

IX. Neue Beiträge zur Lebensgeschic Ii te des Marquis de Sade.

S. 275—380

Aufschwung der Sade- Forschung in den letzten vier Jahren S. 275—277 — Meine neuen Funde S. 277—279

— Die Rolle der Phantastik in der Biographie des Marquis de Sade S. 279 — Die autobiographischen Nachrichten in „Aline et Valcour" S. 279—280 — Der handschriftliche Nachlass S. 280 — Neue Nachrichten aus der Familien- geschichte S. 280 — Die Legende von Fabrice de Sade und der schönen Sibylle de P u 3^ m a u r e S. 280 — 281

— Ein interessanter Brief Voltaires an den Abbe de Sade S. 281 — 282 — Ginistys Forschungen über Louis Marie de Sade S. 282 — Merkwürdige Lebens- geschichte desselben S. 283 — 285 — Illustriert die obscönen XVerke seiner Vaters S. 283 — Teilnahme an den napoleo- nischen Kriegen S. 284 — Einzelheiten seiner Ermordung in Otranto S. 285.

Neues über Kindheit und Jugendzeit des Marquis de Sade S. 285 ff — Was er selbst darüber erzählt S. 286 bis 287 — Kriegsleben in Deutschland S. 288 — Reminis- cenzen daran in seinen Schriften S. 289 — Bericht über seine Bordellbesuche S. 289 — Brutalitäten gegen die Freu- denmädchen S. 289 — Bericht über «eine päderastischen Neigungen S. 289 — 291 — Seine Vergötterung durch die Frauen S. 291 — Literarische Neigungen S. 291 — Besuch bei Rousseau S. 291 — 292 — Aufenthalt in Lyon S. 292 — Heiratsanzeige S. 293 — Die Orgien in der petite maison S. 293 — 294 — Liaison mit der Beauvoisin S. 294 bis 295 — Ihr galanter Hof in La Coste S. 295—296 — Zwei bisher unveröffentlichte Briefe de S a d e s an den


— XXIX —


Nota.r Sage zu Apt S. 296 — 299 — Autobiographische Ele- mente darin S. 298—299 — Ein neuer Bericht über die Affäre Keller S. 299—305 — Neuer Aufenthalt in La Coste S. 306 — Unveröffentlichter Brief an seine Erau S. 306—307 — Unveröffentlichter Brief an die Schwä- gerin S. 308 — 309 — Brief an den Gouverneur von Miolans S. 309 — 310 — G i n i s t y s Eorschungen über die Mar- quise de Sade S. 311 ff" — Obscönitäten in de Sades Briefen an seine Erau S. 314 — Vorherrschen sexueller Ideen in denselben S. 314—317 — Scheidung der Ehe S. 318 — Eine platonische Liebe des Marquis de Sade S. 319 ff — Eräulein von Kons s et S. 319 — Ihre Bekanntschaft mit de Sade und seiner Gattin S. 319 bis 320 — Ihre Ereundschaft mit der letzteren S. 320 — Ihre Vermittelung zwischen den Gatten S. 321 • — Ihre Korrespondenz mit dem Marquis S. 321 — 322 — Ihr Ein- fluss auf denselben S. 323 — Ein Liebesroman in Briefen S. 323—327 — Bruch S. 327 — Die Notizen aus dem Archiv der Bastille über de Sade S. 328—330 — de Sades Interesse für das Theaterleben während der Revo- lution S. 331 — • Zwei bisher unveröffentlichte Briefe an die Direktion der Comedie Eran9aise S. 332 — 333 — Neues über das Pamphlet „Zoloe" S. 334 — 335 — Die Anstalt Cliai'enton nach C a s p e r s Schilderung S. 335 — 336 — Die Denkschrift des Direktors Palluy S. 336—337 — Der Prozess des Armand de Sade gegen die Irrenanstalt Charenton S. 337.

Die Persönlichkeit des Marquis de Sade S. 338 ff — Der Schriftsteller und der Mensch S. 338 — Baudot s Urteil S. 338—339 — Vielseitigkeit der Inter- essen und Schilderungen S. 339 — 340 — Doppelte literarische Plwsiognomie de Sades S. 340 — 341 — Seine aus- gebreitete Lektüre S. 341- — 348 — Polyhistorische Interessen S. 348 — Eülle der Ideen und Projekte S. 349

— Bericht über neue Manuskripte S. 349 — Eine briefliche Reklamation seiner in der Bastille zurückgelassenen Manu- skripte S. 350—351 — Arbeitsweise de Sades S. 352 — Niederschrift der ersten Konzeption des Romans ,,Les jour- nees de Florbelle" S. 353—360 — Ein zweiter interessanter literarischer Entwurf über verschiedene moralische Gegen- stände S. 360—363 — Stil seiner Schriften S. 364 — Namen S. 364 — Milieu S. 364—365 — Personen S. 365 — Er- scheinung der Natur im Menschen- S. 365 — de Sade der Vorläufer des naturalistisch-experimentellen Romans S. 365—366 — Das Sexuelle als Zentralproblem S. 366—367

— Zusammenhang zwischen Verbrechen und geschlechtlicher Korruption S. 367 — Randnoten und Schlussbemerkungen in seinen Schriften S. 367—368.


— XXX —


De Sa de als Mensch S. 368 — Nicht geisteskrank S. 369 — Konzeption der Idee des Sadismus" vor der Revo- hition S. 369—370 — Urteil der Irrenärzte S. 370 — Von Anatole Franoe S. 370—371 — Was lehrt der Fall D i p p o 1 d über den Geistes^iustand des Marquis de S a d e ? S. 371 — 373 — de Sade als abnorme Persönlichkeit S. 372 — Ursächliche Rolle des Sexuellen S. 372—373 — de Sade als Libertin S. 373 — 374 — Das Obscöne als „Fetisch" S. 374—375 — Ein Brief von Victor ien Sardou S. 375 — 377 — Merkwürdige Schicksale des Schädels des Mar- quis de Sade S. 376 — Ein sadistischer Akt in Charen- ton S. 377 — de Sade als Menschenkenner S, 378 — Die Sophisten des Lasters S. 378 — 379 — Die Wirkung des Unglücks auf den Menschen S. 379—380 — Nationale Eigentümlichkeiten S. 380.

X. Das neuentdeckte Hauptwerk des Marquis de Sade: Die „120 Tage von S o d o m ".

S. 381—414

Konzeption der Idee S. 381— 381^ — Wissenschaftlicher Zweck der Schrift S. 382 — Erster Versuch einer syste- matischen Darstellung sämtlicher sexueller Anomalien S. 382 — Geschichte des Manuskriptes S. 383 ff — Nieder- schrift in der Bastille an 37 Abendjen S. 383 — Verlust des Manuskriptes bei der Entlassung S. 384 — Wahrschein- liche zweite Ausarbeitung des Themas S. 384 — R e t i f de la Breton nes Erwähnung des Werkes im „Mon- sieur Nicolas" S. 384 — 389 — Schicksale des Originalmanu- skriptes S. 389 — Armoux de Saint Maximin S. 389 — Im Besitz der Familie de Villen euve-Trans S. 389 — Wiederentdeckung und Verkauf an einen deut- schen Amateur S. 390 — Erste Beschreibung durch P i - sanus Fraxi S. 390 — Neue Beschreibung S. 390 — Handschrift des Marquis de Sade S. 391 — Vergleichung mit einem Briefe aus derselben Zeit S. 392 — Inhalt und Stil S. 392 — Eigenartige Aufbewahrung S. 392 — Ent- zifferung und Kopie S. 393.

Titel S. 393 — Grundidee S. 393—394 — Einteilung S. 394 — Analyse der Schrift S. 394 ff — Die Gesellschaft der vier Wüstlinge S. 394 — 395 ■ — Vorbereitende Soupers S. 395—396 — Der Herzog von Blangis S. 396—398 — Seine Sklaven- und Herrenmoral S. 398 — Seine geistige und körperliche Persönlichkeit S. 399 — 400 — Sein Bruder, der Erzbischof S. 400—401 — Der Präsident von Curval S. 401 — Der effeminierte Durcet S. 401—402 — Die vier Gattinnen: Konstanze, Adelaide, Julie, Aline S. 402 — 404 — Der Plan des Werkes S. 405 — Eine Erzählung samt-


— XXXI —


lieber sexueller Perversioiieii S. 405 — Die vier Erzähle- rinnen S. 405—407 — Die „objets luxurieux" S. 407—408

— Ankunft in dem gebeimnisvollen Scblosse S. 408 — Beschreibung desselben S. 408 — 410 — Ausarbeitung der Hausordnung S. 410 — 411 — Ansprache des Herzogs S. 411

— Beginn der „120 Tage von Sodom" S. 412 — Reihen- folge der Erzählerinnen S. 413 — Der furchtbare „Compte du total" S. 413 — Charakter dieser Hauptschrift de S a d e s S. 413—414.

XI. Die anthropologische Betrachtung der Psychopathiasexualis in de Sades Schriften.

S. 415—450

Zvi^eierlei Möglichkeiten der Auffassung der sexuellen Anomalien S. 415 — Die klinische S. 415 — 416 — Die anthro- pologische S. 416 — 417 — de Sade ein Vertreter der letz- teren S. 417 — Physische Grundlage der Liebe S. 417 — 418

— Ethnologie der Vita sexualis S. 418 — Verschiedene Schönheitsideale S. 418 — Künstlicher Ursp»rung der Scham S. 419 — Bedeutung klimatischer Verhältnisse S. 419 — 421

— Lebensalter S. 421 — Leugnen einer Notwendigkeit der Reciprocität in der Liebe S. 421—422 — Einfluss der Einsam- keit S. 422 — Der Grossstädte S. 423 — Der Suggestion, Mode und Verführung S. 423 — 424 — Sitten und Gewohnheiten S. 424 — Cölibat. Inquisition, Satansmesse S. 425 — Stellung der Frauen bei primitiven Völkern S. 425 — 426 — Gefährlichkeit öffentlicher Gerichtsverhandlungen S. 426 bis 427 — Bedeutsame Rolle der Phantasie S. 427 — Sexuelles Variationsbedürfnis des Menschen S. 427 — 428 — Die Sexualphilosophie des Libertins S. 428 — 429 — de Sades E r r e g u n g s t h e o r i e der Liebe S. 429 — Wirkung starker Affekte auf die sexuellen Vorgänge S. 429 — 430 — Die Differenzierung als Vorbeding'ung des Genusses S. 430

— Zusammenhang zwischen Schmerz und Wollust S, 430 bis 431 — Erklärung der Koprolagnie aus der Erregungs- theorie S. 432 — Aesthetische Ursachen sexueller Perver- sionen S. 432—434 — Die Misogynie als Ursache der Päde- rastie S. 434 — Die naturalistische Erklärung der Homo- sexualität S. 435 — 437.

Das System der Psychopath ia sexualis S. 437 ff — Bedeutung der ,,120 Tage von Sodom" in der Ge- schichte der wissenschaftlichen Erforschung der sexuellen Anomalien S. 438 — de Sades 4 Gruppen der sexuellen Perversionen S. 439 — Die 150 Eälle der ,,passions simples" S. 440—448 — Fälle von Masturbation S. 440 — Exhibi- tionismus S. 440 — 441 — Voyeurs S. 441 — Fetischismus S. 441 — Haar- und Kleidungsfetischismus S. 442 — Die Masochisten S. 442 — Die interessanten Fälle von ideellem


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und symbolischem Masochismus S. 442 — 444 — Die Flagel- lanten S. 444 — Andere Formen des Masochismus S. 445 bis 446 — Die Koprolagnisten S. 446 — Die leichteren Formen des Sadismus S. 446 — 448 — Neki'ophilie S. 449

— Die zweite Gruppe, passions plus singulieres S. 448 ff

— Deflorationsmanie S. 448 — Incest S. 449 — Satanis- mus (25 Fälle) S. 449 — Die diitte Gruppe, passions crimi- nelles S. 449 ff — Homosexuelle Praktiken und Pädikation S. 449 — Kombinierte Perversionen S. 449 — Die vierte Gruppe, passions meurtrieres S, 449 — 450.

XIL Sociologische und politische Anschau- ungen des Marquis de Sade.

S. 451—465

Materialistischer und individualistischer Standpunkt in der Behandlung derselben S. 451 — Die natürliche Un- gleichheit der Menschen und Passen S. 452 — Der Ursprung des Adels S. 453 — Die ,, Herren- und Sklavenmoral" S. 453 — Abhängigkeit der Moral von der Macht S. 453 bis 455 — Der Kampf ums Dasein in der Natur S. 455 — 456

— Die Lehre von den ,,Vielzu vielen" S. 456 — Das Leben als Schuld S. 456 — Kelativität von Gut und Böse S. 456

— de Sades Lehre vom ,,delinquente nato" S. 456 — 457 — • Seine Bekämpfung der Vergeltungstheorie S. 457 — Auf- forderung zum wissenschaftlichen Studium des Verbrechens S. 457 — Verbrechertypen S. 457—458 — Die Quellen des Volkswohlstandes S. 458 — de Sade als Agrarier S. 458

— Bekämpfung der Kolonial- und Einfuhrpolitik S. 459 — Politische Streiflichter S. 459 — Die Abhängigkeit Portu- gals von England S. 459 — 460 — Merkwürdige Prophezeiung der grossen Zukunft der Vereinigten Staaten S. 460 — Plan einer Teilung Europas in vier Kepubliken S. 460 — 462.

Ein utopisches Staatswesen S. 462 — Die Geschichte Zames in „Aline et Valcour" S. 462 — Kurze Analyse dieses Staatsromanes S. 462 — 465.

Bibliographie.

S. 467—479

Namenregister.

S. 481—488


Erster Abschnitt.

Zur Sittengeschichte Frankreichs im 18. Jahrhundert


Dühren, Xeue Forsehimg-en über de Sade.


1


I. Geist und Wesen der Aufklärung.

(Einfluss der Theorie, Konversation, Briefwechsel, anthropo- logische Richtung der Interessen, Sentimentalität, Materia- lismus, Aberglauben.)

Gewöhnlich wird der Hauptcharakter, die Haupttendenz des achtzehnten Jahrhunderts in Prankreich als eine ausschliesslich auf die Zer- störung alles Bestehenden gerichtete bezeich- net. Man weist in der Philosophie, in der Eeligion, in der Politik, in den Sitten die negative, destruk- tive Natur dieser Zeit, die durchweg vom Zwei- fel beherrscht war, nach. Der an Gott und sich selbst zweifelnde Skeptizismus, der Atheismus der Materialisten, die Annahme einer allgemeinen Schlechtigkeit und Verderbtheit der Menschen im Zustande der Zivilisation, die Korruption in Staat und Gesellschaft, das tiefe Misstrauen, welches man in die Gedanken und Tat seines Nebenmenschen setzte und noch viele andere Offenbarungen der auf blosse Zerstörung gerich- teten Stimmung der Zeit werden als Beweise liierfür angeführt.

Und doch wäre dies eine einseitige Auf- fassung, wäre hiermit nicht das letzte Wort übei

1*


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die eigentümliche Natur des Jahiimnderts der Aufklärung gesprochen.

Gribt es einen krasseren literarischen Aus- druck der zerstörenden Tendenzen des Jahrhun- derts in Beziehung auf Eeligion, Eecht, Gesetz, Liebe, geschlechtliche Moral als wir sie in den berüchtigten Eomanen des Marquis de S a d e be- sitzen? Ist ihnen irgendwo anders eine ebenso verruchte Darstellung zu Teil geworden? Und gerade in diesen scheinbar das non plus ultra an satanischer Zerstörungslust darbietenden Schriften ist überall ein starker Hauch des Posi- tiven, eine durchaus aufrichtige, ehrliche Sehn- sucht nach neuen, dauerhaften, beglückenden Grundlagen des sozialen und staatlichen Lebens zu spüren. An die Stelle der alten sollen neue Werte gesetzt werden. So spiegeln sogar diese Schriften neben der negativen auch die positiven Tendenzen des Jahrhunderts wieder. Alles ist im Flusse, rettungslos scheint der einzelne Mensch in den über ihm zusammenschlagenden Wogen der einander bekämpfenden Meinungen zu ver- sinken. Neben dem Zweifel beherrscht ihn blin- dester Glaube an das Wunderbare. Die Welt ist ein Spiel des Zufalls, der Mensch eine Maschine, das System der Natur löst sich in lauter Be- wegung auf; aber auf der anderen Seite feiern Mystik und Wunderglauben und die dunkle Vor- stellung geheimnisvoller überirdischer Mächte, die in das Geschick des einzelnen vermittelst unbekannter Kräfte eingreifen, unerhörte Tri- umphe.


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Alle diese Gegensätze konzentrierten sich fast ausschliesslich auf die höhere Gesellschaft, die privilegierten Klassen, die allein ein Gegen- stand der französischen Sittengeschichte sein können. Es war die ,, absolute Gesellschaft",!) welche die Ideen des Jahrhunderts verkörperte, von der alle geistigen und materiellen Strömun- gen der Zeit ausgingen, die dann schliesslich, die grosse Masse des Volkes ergreifend, ihr selbst zum Verderben werden sollten. In allen Schriften des Marquis de Sa>de sind nur die Verhältnisse, Ideen und Sitten dieser vornehmen Gesellschaft Gegenstand der Darstellung. Das Volk selbst erscheint nur ab und zu im Hintergrunde dieses Eildes als eine gleichartige Masse ohne höhere Differenzierung, als unglückliches, aber doch in seinem noch schlummernden Groll grandioses Objekt der tyrannischen Macht- und anderen Gelüste der Privilegierten.

Versuchen wir es, ganz kurz die diese Ge- sellschaft bewegenden Momente und Ideenrich- tungen zu kennzeichnen.

Charakteristisch für die geistige Entwick- lung in der französischen Aufklärung ist die grosse Herrschaft des theoretischen Geistes, das Ueberwiegen und Ueberwuchern der Theorie, die das ganze Leben in jenen grauen, kimmerischen Schleier einhüllte, dessen Goethe


1) So nennt Paulus Cassel treffend die privilegierten und korrumpierten Klassen des französischen ~\^olkes. A'ergl. seine Ausgabe von A. v, K o t z e b u e s Meine Flucht nach Paris", Berlin 1883. S. 25.


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in seiner Dichtung und Wahrheit" bei Erwäh- nung von Holbachs „System der Natur" ge- denkt.

„War je," sagt Taine, „eine Gesellschaft begieriger nach erhabenen Wahrheiten, kühner in der Erforschung, rascher in der Entdeckung, feu- riger in der Erfassung derselben? Diese duften- den Marquis, diese bebänderten Gecken, diese ganze anmutige, geschmückte, galante, frivole Welt eilt zur Philosophie wie zur Oper ; der Ur- sprung der lebenden Wesen und die Aale von Needham, die Abenteuer von Jacques dem Fata- listen (von Diderot) und die Streitfrage über den freien Willen, die Prinzipien der Nationalöko- nomie und die Berechnungen des Mannes mit den vierzig Thalern (,,L'Homme aux quarante ecus" von Voltaire), alles bietet ihnen Stoff für para- doxe Behauptungen und Entdeckungen. Alle die schweren Steine, welche die zünftigen Gelehrten mühevoll in der Stille ausgruben und behauten^ rollen fortgerissen und geglättet zu Myriaden in dem öffentlichen Strome, sie stossen aneinander in lustigem Getöse und stürzen dahin in einer immer reissender werdenden Strömung. Es gab keine Schranke, keine Kollision; man ist nicht gehemmt durch die Praxis ; man denkt, um zu denken; die Theorien können sich gemäch- lich entfalten. 1)

Diesen starken Einfluss der Theorie findet auch Heinrich von Sybel charakteristisch

1) H. Taine Geschichte der englischen Literatur", Deutsche Ausgabe, Leipzig 1878. Bd. IL S. 212.


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für die französische Gesellschaft des 18. Jahr- hunderts. Die Parlamente, diese fossilen Ueber- reste des Feudalsystems erfüllten sich im Kampfe gegen die Jesuiten mit aller Frivolität der Vol- taireschen Schule und verkündeten laut die Aus- rottung des Aberglaubens. Unter Choiseul fand der freie Geist Eingang in die Kreise des Hofadels, der später den radikalsten Anschau- ungen huldigte und die Materie auf den Thron erhob.i)

Es entwickelte sich im Laufe des Jahrhun- derts immer mehr eine förmliche Jagd nach Ideen. Denken, vor allem rasch denken war damals wie ein Fest, wie ein schönes Spiel, als welches man ja neuerdings etwas einseitig alle Wissenschaft überhaupt definiert hat (K. B r e y- sig). „Jedermann in Paris will Verstand haben, heisst es in einem alten Werke aus der Zeit, 2) jeder wollte den Gelehrten, den Philosophen, den tiefsinnig mit seinem Denken die Welt Durch- dringenden spielen. Das Undenkbare wurde denk- bar. Die Wissenschaft betrat den Salon, damit entwickelte und bereicherte sich die gesell- schaftliche Konversation in eigentüm- licher Weise und wirkte ihrerseits wieder auf die Sprache der Gelehrten zurück.


„Jede Wahrheit, die dornigste oder die hei- ligste, muss ein reizendes Sä^lonspielzeug werden, wie ein vergoldeter Ball von zarten Frauenhän-

1) Vergl. H. V. S v b e 1 „Geschichte der Revolutionszeit von 1789 bis 1795", Düsseldorf 1859. Bd. I. S. 16.

2) „Die Sitten von Paris", S. 29.


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den hin und hergeworfen, ohne die Spitzenärmel, aus denen ihre zarten Arme schmachtend empor^ tauchen, ohne die Girlanden zu beflecken, welche die rosigen Liebesgötter in dem Tafelwerk auf- rollen. Alles soll glänzen, funkeln oder lächeln. Beim Anbruche des Jahrhunderts entwickeln die Damen unter ein paar Verbeugungen erkünstelte Bilder und scharfsinnige Dissertationen; sie ver- stehen Descartes, würdigen Nicole, billigen Bossuet. Bald werden die kleinen Soupers ein- geführt, und beim Nachttisch diskutiert man die Existenz Gottes. Sind Theologie und Moral, in feinem oder in pikantem Stile behandelt, nicht Genüsse des Salons und Zierden des Luxus? Die Phantasie findet dabei ihren Platz, sie wogt und funkelt wie eine leichte Flamme über all diesen Gegenständen, von denen sie sich nährt. So hat man in Frankreich immer konversiert. Man spielt hier mit den allgemeinen Wahrheiten ; man liest behend eine heraus aus dem Haufen der Tatsachen wo sie verborgen liegt, und entwickelt sie ; man schwebt über der Beobachtung in der Vernunft und Ehetorik; man fühlt sich unbehaglich und durch Trivialitäten gelangweilt, solange man nicht in der Eegion der reinen Ideen ist."i)

Zentren dieser Art des Spieles mit wissen- schaftlichen Ideen waren die „Salons", die im 18. Jahrhundert ihre gross te Bedeutung erlang- ten und als deren eigentliche Schöpferinnen die Frauen, vor allem die berühmte Madame du


1) Taine a. a. 0., Bd. III. S. 211, 212.


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Deffand, die Freundin Horace Walpoles,i) zu betrachten sind. Meist gehörten diese Göt- tinnen des Salons der Klasse der „galanten Damen" an, zeichneten sich durch G-eist, Schön- heit, Witz, aber auch durch eine sehr laxe Auf- fassung der Moral aus. Madame du Deffand selbst war die Geliebte des Eegenten und des Herzogs von Orleans gewesen und wurde die in- time Freundin Walpole s. Feodor Wehl er- klärt die berühmte ,,Causerie" der Franzosen für die Erfindung der du Deffand. Ihre Konver- sation spiegelte in ihrer Spottlust, Ironie und Zerstörungslust ganz die Stimmung der Zeit w^ieder. ,, Eingeweiht in die Ideen der Enzyklopä- disten wird sie, wenn auch nicht das Orakel, doch die Sibylle von mehr als zwei Menschenaltern, deren innerste Geheimnisse sie ausplaudert und verrät, ohne eigentlich ihren Inhalt und ihre Bedeutung zu verstehen. Sie ist durch und durch revolutionär, ohne selber eine Ahnung da- von zu haben. Die Langeweile der Vornehmen ist ihr Fatum. Sie denkt, weil sie keine andere Beschäftigung findet oder für sich angemessen erachtet. Sie denkt, weil sie ohne zu denken ver- zweifeln müsste. Und doch ist auch dies Denken verzweifelt genug. "2)

Der Salonton war witzig und geistreich, da- neben aber auch bisweilen recht derb bis zur


1) Vergl. darüber mein Werk ,,Das Geschlechtsleben in J^ngland", Berlin 1903, Bd. II. S. 92—93.

2) Feodor Wehl ,,Aus dem früheren Frankreich", llinden 1889. S. 60.


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Obscönität. Das erotische Moment spielte stark in diese Unterhaltungen hinein. Selbst die Frauen, waren darin recht frei. Madame de Saint- Julien z. B. fluchte wie ein Kutscher und ge- brauchte sogar in der Unterhaltung mit geist- lichen Herren, wie Imbert in der „Chronique scandaleuse" berichtet, oft :

Ce mot des francais revere : Mot energique au plaisir consacre Mot que souvent le profane vulgaire Indignement prononce en sa colere.

Ihr hübscher Mund wusste diesem Wort eine solche Anmut zu geben, dass seine Gemeinheit ganz verloren ging, im Gegenteil dasselbe die- Zuhörer in pikanter Weise erregte. Eine Fülle von anderen Beispielen solcher Pikanterien in der Unterhaltung findet man in den Denkwürdig- keiten von Bachaumont, in Imberts Skan- dalchronik, im ,, englischen Spion" u. a. m.

Aus den zahllosen Korrespondenzen, die aus- dem 18. Jahrhundert teils gedruckt, teils noch im Manuskript vorliegen und allmählich von der kulturgeschichtlichen Forschung erschlossen werden — jedes Jahr fördert eine oder die andere dieser bedeutsamen Briefsammlungen ans Licht — ersehen wir, welche wichtige Kolle der Brief- wechsel als Mittel des Ideenaustausches, des- Umlaufes geistiger Münze gespielt hat. In Briefen Hess man seinen Gedanken freien Spiel-


1) Imbert ,.La chronique scandaleuse", Paris 1791. Bd. V. S. 101.


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räum, sie spannen sich oft zu ganzen gelehrten. Abhandlungen aus, wie glänzt und leuchtet e& von G-eist und Witz in diesen französischen Brie- fen des 18. Jahrhunderts ! Männer und Frauen^ handhabten den Briefstil mit gleicher Meister- schaft. Er war so verbreitet und beliebt, dass auch zahlreiche fingierte Brief Sammlungen, veröffentlicht wurden, dass viele Eomane und Erzählungen in Briefform erschienen wie z. B. die Liaisons dangereuses von Choderlos de- Laclos und de S a d e s ,, Aline et Yalcour".

Ein grosses Interesse bieten die französischen Frauenbriefe dar, über die F. Wehl nach Eu- gene Crepets ,, Tresor epistolaire de la France"- eine kleine Monographie veröffentlicht hat.i). Fast in allen erkennen wir die lebhafte Anteil- nahme des weiblichen Greschlechtes an den Fra- gen und Bestrebungen der Zeit. Auch hier ist- Liebe ein oft erörtertes Thema, das einigen Korre- spondenzen die Signatur aufdrückt. Alle Stadien, der Liebesleidenschaft werden in den wunder- baren Briefen der MUe. de Lespin asse durch- messen, die Stendhal für die schönsten aller Liebesbriefe erklärt. Diese Briefe sind an den. jungen Grafen de Guibert gerichtet, den Nach- folger des Herrn de Mora in der Gunst der de Lespinasse. Sie atmen die leidenschaftlichste Hingebung, es sind ,, Gemälde, in denen alles. Feuer, Flamme, Licht und Schimmer ist und in.


1) F. Wehl 5, Französische Frauenbriefe" in: Aus demi früheren Frankreich, S. 1 — 1-20.


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denen selbst die xlsche noch wie leuchtender Karfunkel wirkt.

Auch die eigentliche Erotik fand in vielen Korrespondenzen einen oft erschreckend real- istischen Ausdruck. So sind durch die Publi- kation von Paul Göttin in diesem Jahre (1903) die Liebesbriefe bekannt geworden, die Mira- b e a u an seine Geliebte, Frau SophiedeMon- nier, in den Jahren 1775 bis 1789 gerichtet hat. 2) Ebenso haben M e u n i e r und L e 1 o i r die . Briefe Mirabeaus an Fräulein Julie Dau- vers in eben demselben Jahre herausgegeben.^) Bemerkenswert ist, dass Mirabeau die leiden- schaftlichen Briefe an beide Frauen schrieb, während er in der Festung Yincennes gefan- gen sass. Wir werden in den weiter unten ab- gedruckten neuen Beiträgen zur Lebensgeschichte des Marquis de S a d e einen ganz ähnlichen vom Oefängnisse aus geführten Liebes-Briefwechsel kennen lernen. Auch sonst weisen beide Männer in ihrem Liebesleben grosse Aehnlichkeiten auf, von denen später die Rede sein wird. Hier sei nur auf die starke Erotik in diesen Korrespon- denzen hingewiesen. Selbst die Frauen scheuen sich nicht vor obscönen Ausdrücken imd An-


1) Man vergleiche die Auszüge bei Wehl a. a. O., S. 67 bis 76.

2) Paul Göttin ,,Sop]iie de Monnier et Mirabeau d'apres leur correspondance secrete inedite", Paris 1903.

Mirabeau „Lettres ä Julie, ecrites du donjon de Vincennes, publiees et commentees d'apres las manuscrits originaux et inedits par Dauphin M e u n i e. r avec la oollaboration de Georges Leloir", Paris 1908.


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spielungen. So ist Sophie de M o n n i e r selbst der Meinung, dass man die stärksten Dinge ,,honnetement" sagen könne. Sie gibt sich in ihren Briefen Eeflexionen hin, deren Wiedergabe- nach dem Herausgeber Göttin unmöglich ist,, die aber der Leser sich leicht vorstellen könne,, wenn er die rohesten Ausdrücke eines erotischen Lexikons zu Hilfe nähme. Sie suchte mit Er- folg ihren Herrn und Meister Mirabeau, der sich doch auch auf das Obscöne und die Liber-^ tinage verstand, zu übertreffen. Als er sie ein- mal bittet, ihre Briefe mit einer ,,caresse neuve",. einer neuartigen Liebkosung zu beschliessen,. antwortet sie : 5,Ah, der Herr will neue Lieb-- kosungen ! Ein zärtlicher Kuss genügt ihm nicht I Er will Neuigkeiten ! Ich bin aber doch fürs- Alte, weisst Du. Indessen, um Deinen Wunsch für heute zu erfüllen." Hier folgt eine so obscöne Schilderung des versprochenen neuen Liebes- genusses, dass Göttin sich zur Auslassung dieser Stelle genötigt sieht.i) Allein durch den Zauber seiner Briefe gelang es Mirabeau, vom Ge- fängnis aus das Herz von Julie Dauvers, die ihn nie gesehen hatte, zu erobern.

In die Kategorie dieser erotischen Briefe ge- hören auch die von der ,,Societe des bibliophiles'^ im Jahre 1831 veröffentlichten 13 Briefe des französischen Marschalls Moritz von Sachsen aus dem Jahre 1747, in denen u. a. ein ganzer Harem dieses galanten Kriegsmannes sehr rea-


1) C o 1 1 i n a. a. O., S. CLXXV.II— CLXXVIIL


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listiscii uns vorgeführt wird. Ferner seien er- wähnt die „Lettres familieres et galantes de Fahre d'Eglantine'V) darunter 59 Briefe an ■seine Maitresse Marie J., eine Schauspielerin, ^us den Jahren 1787 und 1788, die mit glühen- der Leidenschaft geschrieben sind. Die ,,Lettres de Mistress Fanny Butler ä Milord Charles Al- fred de Caitombridge" der Madame E i c c o - boni^) sollen authentisch sein und die erste Liebe der Verfasserin darstellen, vielleicht gilt das Gleiche von den Briefen, die Madame de S t a e 1 als Fräulein N e c k e r im jugendlichen Alter von 18 Jahren schrieb^) und die von An- fang bis zu Ende Gefühle einer leidenschaftlichen Liebe wiederspiegeln. Durchweg o b s c ö n end- lich, von einer „mehr als kreolischen Nacktheit" sind die „Lettres de Mme. P., nee C. etc." (Au Cap Frangais 1782), die auch für authentisch gehalten werden.*)


Unter den geistigen Tendenzen des 18. Jahr- hunderts, wie sie durch das Salonleben, durch die Konversation und die Briefe in Umlauf ge- setzt wurden, nachdem sie in den Schriften der


1) Lettres familieres et galantes de Fabre d'Eglantiiie", Hambourg et Paris, Palais Egalite 1799. 3 Bände.

2) Paris 1756.

3) „Lettres de Nanine ä Sinphal", Paris 1818.

Vergl. J. Gay „Bibliographie des ouvrages relatifs ä Tamour", Turin und London 1872. 3. Aufl. Bd. IV. S. 28G bis 287.


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Philosophen und Naturforscher ihren ersten Aus- druck gefunden hatten, sticht ein Moment be- sonders hervor, welches mir als charakteristisch für diese ganze Zeit erscheint. Das ist die anthropologische Eichtung der Interessen. Was in der Eenaissance begonnen und kräftig -angeregt, aber nie bis zur letzten Konsequenz durchgeführt worden war, wird jetzt vollendet. Der Mensch stellt sich ganz auf eigene JFüsse und zugleich in den Mittelpunkt •der Welt. Die Lebens- und Weltauffassung wdrd anthropozentrisch. Plötzlich gibt es nichts Interessanteres als das Studium des Menschen in individueller, sozialer und politischer Be- ziehung. Der einzelne Mensch wird jetzt zum ersten Male ein Gegenstand der Beachtung. Da- juit wird auch die Welt unte'r dem Gesichts- punkte ihrer Bedeutung für den Menschen be- trachtet. Ueberau," sagt H. von Sybel, ,,trat die Ueberzeugung hervor, kein Bestehendes mehr ohne Ausweis seines inneren Wertes anzuer- kennen, dafür aber ohne Eücksicht auf äussere Schranken jedem echten Leben nachzuforschen und es sich anzueignen. Hatte sich das Mittel- alter von der Welt abgewandt, so ergriff man jetzt von der Natur wie von etwas ganz neu Ent- decktem jubelnd Besitz: hatte die alte Kirche die Nichtigkeit alles Irdischen verkündet, so wandten sich jetzt alle Triebe der Entwicklung des materiellen Zustandes zu : hatte das religiöse Weltalter vor allem die Sündhaftigkeit des Men- schen betont, so trat jetzt der Gedanke


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des göttlichen Bildes im Menschen^ der Würde und des Wertes des mensch- lichen Geistes in den Vordergrund. Das traf in das Herz des alten Staates, der von dem Menschen als solchem niemals Notiz genom- men, sondern ihn nur nach Stand und Zunft geschätzt hatte."!) Man besann sich auf sein Menschentum.

Osons etre ce que nous sommes : Hommes, osons penser en hommes.^)

Die Idee vom Menschen wird bestimmter ausgebildet, die Anfänge der Anthropologie, des- wissenschaftlichen Studiums des Menschen^ reichen bis in diese Zeit zurück. Verschiedene Erscheinungen bezeugen dieses lebhafte Interesse für Wesen und Eigenart des Menschen.

Hierher gehört z. B. die ausserordentlich ver- feinerte psychologische Selbstzergliede- rung in den Memoiren und „Confessions" der Zeit. Mit einer skrupellosen G-enauigkeit, einem leidenschaftslosen wissenschaftlichen Interesse werden uns in den Autobiographien alle Schwächen, Laster und Absonderlichkeiten des Schreibers enthüllt. An Eousseaus ,,Confes- sions", wo wirklich das Intimste „bekannt", das Leben des grossen Denkers in seiner ganzen Nacktheit vor uns ausgebreitet wird, braucht der Leser kaum erinnert zu werden. Aber auch viele


1) H. V. Sybel a. a. 0., Bd. 1. S. 14.

2) ,,Les soupirs du cloitre" in: Collection d'Heroides^ Tome VI, Lüttich 1769. S. 23.


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I

andere Männer haben in der Schilderung ihres Lebens, ihrer Entwicklung nichts zu beschönigen. So hat Eetif de la Breton ne im „Monsieur Nicolas" eine Geschichte seines Lebens hinter- lassen, wie sie offenherziger kaum geschrieben werden kann ; insbesondere erfahren die Entwick- lung und die Verirrungen seines Greschlechts- lebens die breiteste Darstellung, die zu naiv ist, um obscön genannt werden zu können. i) Ein drittes Beispiel liefern die Denkwürdigkeiten des Bachaumont, der seine ganze Familie gleich- sam nackt vor alle Welt hinstellt und kaltblütig die Frage weitläufig untersucht, ob er wirklich der Sohn seines Vaters sei I^)

Dieser Selbstverhöhnung entspricht auf der anderen Seite die Sucht nach Skandal, die Neugierde in die innersten G-eheimnisse anderer Menschen einzudringen, sich seinen lieben Näch- sten am liebsten in seiner Blösse vorzustellen, die eigene Schlechtigkeit, die eigenen Laster auch bei ihm zu entdecken. Daher die ungeheuerliche Verbreitung der polizeilichen und X3rivaten Spio- nage, von der weiter unten noch die Kede sein wird, und die namentlich die sexuellen Verhält- nisse betraf, die Verleumdungen, pikanten Anek- doten und schadenfrohen Zischeleien, von denen

1) Eine Monographie über Ketif de la Breton ne, sein Leben und seine Werke, die in Vorbereitung ist, wird diese neben de Sade ohne Zweifel merkwürdigste litera- rische Persönlichkeit des 18. Jahrhunderts in ihrer kultur- geschichtlichen Bedeutung beleuchten.

2) E. u. J. de Goncourt jjPortraits intimes du 18 me siecle", Paris 1903, S. 48.


Dühren, Neue Forschungen über de Sade.


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die „geheimen" Memoiren der Zeit wimmeln, endlich die ausgebreitete Literatur der „Espions", die ein Thema für eine eigene Monographie bil- den könnte (z. B. ,,L'espion turc", „L'espion chinois" u. a. m., vor allem der „Espion anglais"). Alles dieses deutet auf das Behagen am Zer- gliedern des Menschen nach allen Kichtungen hin.

Der „ideale Mensch", den man konstruierte und in Frankreich nicht fand, lenkte das Inter- esse auf ferne Völker, namentlich solche in pri- mitiven Zuständen, die eben damals, namentlich durch Cooks Eeisen in der Südsee, Gegenstand einer allgemeinen Aufmerksamkeit waren. Das Innere Afrikas, die Südseeinseln, Florida und andere Teile des amerikanischen Festlandes wur- den der Phantasie zu Sitzen stillen Menschen- glückes, idealer gesellschaftlicher Zustände. Tahiti war am meisten das Ziel solcher Träume- reien.i) Das Ungewöhnliche, Fremdartige er- schien ohne weiteres als das Bessere.

Solche Träume von glücklichen Völkern und seligen Inseln gewannen feste Gestalt in den Staats romanen und sozialistischen Utopien, die eben damals in Frankreich zuerst aufkamen, als ein Symptom der allgemeinen Sehnsucht nach Umgestaltung der unerträglichen gesellschaft- lichen Zustände. Fenelons „Telemaque" (1700), des Abbe de Terrassen „Sethos" (Paris 1732), Lesczynskis „Entretien d'un Europeen

1) „Les Tahitiens, comme oii sait, etaient alors fort ä la mode, et on leur pretait toutes les vertus primitives." Paul Ginisty „La marquise de Sade", Paris 1901. S. 132.


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avec un insulaire du royaume de Dimocala" (1752)j Morellys ,,Naufrage des iles flottantes ou Basiliade du celebre Pilpai" (1753), „La repu- blique des philosophes (1768), Merciers ,,L'an 24:4:0" (Amsterdam 1770), Ketif de la Bre- tonnes ,,Decouverte australe" (1781) sind die berühmtesten Schriften dieser Art. Auch der Marquis de Sade ist der Verfasser eines solchen Staat sromanes, der in den Eoman ,,Aline et Val- cour" eingeschalteten ,,Histoire de Zame", der Schilderung eines Südsee-Utopien, die wir später eingehend analysieren werden.

Auch die reformierenden und pädago- gischen Tendenzen jener Zeit, die in Kous- seaus Emile", in den zahlreichen Keformwer- ken des Ketif de la Bretonne ihren bekann- testen Ausdruck fanden, hängen mit der er- wähnten anthropologischen Kichtung der öffent- lichen Interessen zusammen. In den ,,Idees sin- gulieres" des letzteren Schriftstellers sollen die Männer, Frauen, Sprache, Gesetze, ' Sitten, Theater u. a. m. verbessert werden. Wir erkennen hier überall den zerstörenden, aber auch wieder- a,ufbauenden Geist des Menschen. Nicht allein die Negation kommt in Frage, das Schöpferische, Neue steht immer dahinter, wenn auch oft nur in Gestalt eines Traumes oder der blossen Sehn- sucht.

Neu ist auch im 18. Jahrhundert die Erschei- nung des ,,h o mm e sensible", des empfind- samen Menschen. Es ist der Mensch, der alles um und in sich mit seinen Gefühlen durchwebt.

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I / Die Sentimentalität ist englischer Her- kunft. i) Taine schildert uns diesen .,homme sensible".

,,Ohne Zweifel," sagt er, merkt man dieser empfindsamen Persönlichkeit die Orte an, die sie besucht hat. Sie ist verfeinert und fade, wird ge- rührt bei dem Anblick junger Lämmer, welche die aufsprossenden Grashälmchen abfressen, seg- net die kleinen Vögel, die ihr Glück in fröhlichem Gesänge preisen. Sie ist emphatisch und wort- reich, ergeht sich in langen Tiraden über das Gefühl, in Schmähungen gegen die Zeit, in Apo- strophen an die Vernunft, die Tugend, die Wahr- heit und die abstrakten Gottheiten, die man in feinen Kupferstichen auf die Titelblätter graviert. Wider Willen bleibt sie ein Mensch des Salons und der Akademie ; nachdem derselbe den Damen süsse Artigkeiten gesagt hat, sagt er sie auch der Natur und deklamiert in gefeilten Phrasen über die Gottheit."^)

Das tiefe Naturgefühl eines K o u s s e a u hat schon einen leichten Beigeschmack von Senti- mentalität, welch letztere in den Schriften eines Baculard d'Arnaud, des Hauptvertreters dieser Literaturgattung (man vergl. besonders seine ,,E23reuves de sentiment") sich bis zur Empfindelei verzerrt, de Sade hat in ,,Aline


1) Ueber Entwickelung und Erscheinungsweise der Sen- timentalität in England vergleiche die ausführliche Dar- stellung in meinem Werke j.Das Geschleclitsloben in Eng- land", Berlin 1903. Bd. II. S. 95—104.

2) Taine a. a. O., Bd. iL S. 191.


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et Yalcour" einen typischen sentimentalen Eoman geliefert. Da gibt es oft ,,jene Momente, jene köstliciien Augenblicke, wo man die ganze Welt flieht, sich in ein dunkles Zimmer einschliesst oder im dichtesten G-ehölz verbirgt, um dort nach Herzenslust zu weinen."^) Die Sentimentalen hatten auch ihre eigene Sprache der Liebe. Hier war das rohe, obscöne Wort verpönt. Die Um- armung war eine ,, Unvorsichtigkeit" oder eine ,, Gunst", im schlimmsten Falle eine „Schwäche". Leidenschaftlichkeit war ,, empfindsam sein", sich mit einem Manne begnügen, hiess ,,sich gut auf- führen", ihn zum Hahnrei machen, war ein ,, un- verzeihliches Unrecht". 2) Der Sentimentale er- laubt sich alles, nennt aber nie die Dinge beim rechten Namen, verschleiert und verschönert sie durch seine Gefühle.

Man kann diese sentimentale Auffassung des Lebens als ein von den natürlichen Instinkten eingegebenes Gegengewicht gegen die materia- listisch-pessimistische Weltanschauung betrachten, wie sie von dem Kreise der Enzy- kloiDädisten ausging, in der die Welt als Spiel des Zufalls erschien^) und in den theologischen Debatten, die bezeichnenderweise meist b e i


1) d e S a d e ,,Aline et Valcoiir", Neuausgabe. Brüssel 1883. Bd. I. S. 228.

2) ^^Le Petit Fils d'Hercule", 1701 (d. i. 1781). S. 103. ^) j.Icli könnte glücklich sein, wie ich unglücklich

bin, es ist eine Sache des Zufalls," lässt de Sa de sogar die fromme Madame de Blamont in ,,Aline et Valcour" (Bd. I. S. 228) sagen.


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Tische geführt wurden,!) der Atheismus sogar von den Frauen als einzige Gewissheit verteidigt, wurde. Ein paar Stellen aus den Briefen der Ma-^ dame du Deffand mögen die aus solchen An- schauungen resultierende trostlose Stimmung: illustrieren.

Sie schreibt in einem Briefe vom 23. Mai. 1767 an Horace Walpole:

5, Sie wollen, ich soll hoffen, neunzig Jahre alt zu werden. Ach, du mein lieber Himmel, welck entsetzliche Hoffnung das ! Vergessen Sie denn,, dass das Leben mir zur Last ist und dass ich. schon untröstlich bin, so lange gelebt zu haben,, als ich lebe . . . Ach, teurer Freund, man mag: sich drehen und wenden in diesem Dasein, wo- hin man will, überall begegnet uns das Nichts- und dies Nichts, von dem ich soviel Aufhebens, mache, weil das Gefühl desselben mich so. schmerzlich trifft, ist nur gut, wenn man es nicht, mehr fühlt.

In mir finde ich nichts, als das Nichts, und es ist ebenso schlimm, sich in das Nichts zu finden, als es glücklich sein muss, ihm nie ent- stiegen zu sein.2)

Von der Herzogin von Aiguillon, einer anderen geistreichen Dame, sagt Bachau- mont, dass sie sehr ,,entichee de la philosophie moderne, c'est-ä-dire de materialisme et d'athe-


1) Taine a. a. O., Bd. II. S. 212.

2) F. Wehl a. a. 0., S. 65—66.


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isme" sei. Sie protegierte die Enzyklopädisten und schützte sie gegen Verfolgungen.^)

Andere, besonders erotisch stark veranlagte Frauen, verstiegen sich bis zur Gotteslästerung und sakrilegischen Handlungen. So liest Sophie de Monnier während der Messe Kousseaus ..Neue Heloise", lacht über die ,,m6meries" der Nonnen und spottet über die Katschläge ihres Priesters. Sie glaubt an nichts. 5,Ich weiss zur Genüge", schreibt sie, ,,dass der Zufall allein regiert."^)

Aus einer Stelle in de Sades jjAline et Val- cour (Bd. III S. 78) ersehen wir, dass sogar junge Mädchen sich bereits eifrig mit theolo- gischen Fragen beschäftigten und wie Leonore dadurch zum Atheismus gelangten.

Trotz dieser materialistischen Anschauungen oder vielmehr wegen derselben suchte man um so inniger die Natur und die Eeize des Land- lebens, die uns z. B. auch der Marquis de S a d e in anmutigen Farben schildert (Aline et Val- cour I, 61). Nicht erst Eo u s s e au brauchte daö Naturgefühl zu wecken. Es lag in der Stimmung der Zeit, die seiner bedurfte wie der Schiff- brüchige der rettenden Planke. s)


1) „Anecdotes piquantes de Bacliaumont, Mairobert etc. pour servir ä l'histoire de la societe fran^aise ä la fin du regne de Louis XV (1762—1774)", ed. J. Gay, Brüssel 1881. S. 156.

2) C o 1 1 i n a. a. 0., S. CLXXVI— CLXXVII.

3) Man vergleiche den Hymnus auf die Natur in den j.Soupirs du cloitre". S. 30.


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Was die Natur, die die Menschen ganz mit ihrem Gefühle durchdrangen, versagt, das such- ten sie zuletzt trotz ihres Unglaubens im Eeiche des Wunderbaren, dessen geheimnisvolle Kräfte man gläubig verehrte. Daher sehen wir mit Stau- nen diese Gesellschaft in den Banden eines Cagliostro, St. Germain, Mesmer und ähnlicher Charlatane, die geschickt Natürliches mit Uebernatürlichem, Tatsächliches mit Schwin- del zu mischen verstanden, doch immer so, dass der Eindruck des Geheimnisvollen, Magischen der vorherrschende blieb. Wir werden sehen, wie de Sade auch dieser Seite der menschlichen Natur grosse Beachtung schenkt, an der Stelle in „Aline et Valcour", wo er uns von den Zauber- künsten der Manichäer und Zigeuner ausführlich berichtet.

Dies wären im allgemeinen die am meisten charakteristischen Züge in dem geistigen Bilde der französischen Aufklärung, welches also aus den verschiedenartigsten Farben sich zusammen- setzt. Aehnlich wie wir hat auch Friedrich T h e o d o r Vi s c h e r in seiner berühmten „ Aesthe- tik" den Charakter der Aufklärung erfasst, wes- halb diese Schilderung als kurzes Eesume des Gesagten hier passend ihren Platz finden möge.^)

,,Die Aufklärung, sagt er, ,,die wie ein ätzender Geist alles Objekt in die verständig den- kende, aber auch in die willkürlich geniessende


1) 1^^ r. T h. V i s c h e r „Aestlietik", 1844. Bd. II. S. 281 bis 282.


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Subjektivität auflöst, ist das französische Surro- gat für die Keformation. Ihre wahre Schneide, ihre ganze negative Kraft vv^irkt jetzt noch nicht, zunächst ist sie ganz hoffähig, Geist des Adels, der Fürsten. Da sie aber das Kind mit dem Bade ausschüttet, so ist sie gestraft mit der Abhängig- keit von dem, v^omit sie fertig zu sein meint. 80 war die Aufklärung keine wahre Kritik der Eeligion und ebendaher Hess sie diese stehen . . Aber nicht nur dies, die zersetzende Aufklärung geht nicht nur vom Hurenhaus und frivolen Ge- spräch direkt in die Messe, sondern sie macht sich auch, da die Kirche doch nur als ganz hohle Form stehen bleibt, ihre eigenen Wunder: Wun- der am hellen Tag, öffentliche Geheimnisse, Frei- maurerei und anderes geheimes Ordenswesen, sie liebt Kartenschlägerei, Wahrsagerei und der- gleichen. Betrüger, wie Cagliostro, beuten dies SMS. Hier ist eine eigentümliche Mystik, mit der Ironie ihrer selbst behaftet, voll pikanter Stoffe. Der freie Wille als einzelnes, gesetzloses, leiden- schaftliches Subjekt ist Angel der Welt. Noch werden die Konsequenzen nicht geahnt ; mit* die- ser Philosophie werden Missbräuche, welche durch das entgegengesetzte Prinzip, das Positive, das Monopol geheiligt sind, in der frevelhafte- sten Ausbeutung beschönigt und die Höfe über- sättigen sich im Marke des Volkes. Die Lieder- lichkeit, so beschönigt, ist wesentlich frivol, sie macht sich ihre Metaphysik und sieht sich mit boshaftem Lächeln im Spiegel zu wie sie geniesst. Ks ist nicht Naturfrische mehr in diesem Genuss,


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er ist reflektiert,!) reizt sich galvanisch, ist mer- kurialisch, spricht boshaft jedem wohlbekannten Eecht Hohn. Maitressenwirtschaft, Verführung^ Hoffest auf Hoffest, Jagden, Feuerwerke bei rat- losen Finanzen, schamlose Ballette, Quieken von Kastraten, raffinierte Wollust, Casanova. 2) Die Stoffe aus diesem Element haben alle ihren spe- zifischen, aristokratischen Hautgout lüsterner Grazie und stechen noch heute vornehmen Lieb- habern des Schönen sehr in die Nase. In Wahr- heit aber muss man sie mit ihrem Ende, das sie in der Eevolution strenge genug fanden, zusam- mennehmen, sonst hat man nur die eine Hälfte ;. die Guillotine gehört auch dazu."

Man ahnte das nahende Verderben schon. lange,3) aber man wollte es nicht sehen, und sO' musste bei diesem drohenden Zusammensturze die Materie als das ewig Bleibende und alles Geistige Ueberlebende erscheinen, eine rein sinn- liche Auffassung des Lebens gewann schliesslich die Oberhand, die Freuden der Liebe imd der Tafel galten als das einzige Undiskutierbare, Man war unermüdlich, sie zu raffinieren und zu vari- ieren, in der Wirklichkeit und in der Phantasie.


1) Ich erinxiere daran, dass de S a d e wiederholt erklärt,, dass es überhaupt keinen Genuss oline Reflexion gibt.

2) Und füge ich hinzu : Der Marquis de Sade!

2) Vergl. über diese Ahnungen der Revolution besondersi P. Cassel a. a. 0. S. 11—23.


n. Die Liebe im 18. Jahrhundert.

(Ehe, Heiratsbnreaus, sinnlicher Charakter der Liehe, Hahn- reitum, männliche und weibliche Lebewelt.)

Die Liebe im gröberen Sinne des Wortes gewann im 18. Jahrhundert eine allbeherrschende Bedeutung in der höheren Gresellschaft Frank- reichs. Nur für diese Kreise war die Liebe der Angelpunkt des Lebens, spielte das sexuelle Moment überall mit hinein, so dass eine allge- meine Entsittlichung, eine förmliche geschlecht- liche Vergiftung des Lebens die Folge war. ,,Ein einziger Gredanke," sagt J. Falke, ,, belebte diese Welt, das Vergnügen, die Liebe. Die Genuss- sucht leuchtet aus aller Augen; die Liebesgötter spielen auf den ewig lächelnden Lippen; sie schauen uns leibhaftig an aus den Schnitzereien der Geräte, aus den Stuckaturen der Plafonds,, aus den Malereien der Wände, aus allen Werken des Pinsels und des Meisseis. Die reizenden Bou- doirs, die bequemen, breiten, einladenden Möbel,, das leichte Kostüm der Frauen, alles atmet, lebt^ spricht und erinnert an Liebe. "i)

1) J, Palke „Geschichte des modernen Geschmacks 'V Leipzig 1862, S. 293.


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Die grosse Masse des Volkes selbst blieb ■ziemlich unberührt von dieser auf das blosse Sinnliche in der Liebe gerichteten Zeitstimmung, wenn sie sich ihr sicherlich auch nicht ganz hat •entziehen können. Neuerdings hat noch J. J. David in einem hübschen Essay^) den tiefen Gegensatz zwischen Volk und vornehmer Gesell- schaft namentlich aus Kunstwerken der Epoche erweisen wollen. Aber die Bilder sogar solcher Künstler wie Watteau und Fragonard, die Szenen innigsten Familienlebens zur Darstellung bringen, beweisen höchstens, dass letzteres aller- dings noch in weiten Kreisen des Volkes ver- breitet war, nicht aber, dass dieses, wie David meint, von der Fäulnis der oberen Schichten über- haupt nicht berührt wurde. Wenigstens für Paris und andere grossen Städte kann dies nicht gelten, da die Sittengeschichte zahlreiche Beispiele da- für liefert, dass die Korruption auch niedere Kreise ergriffen hatte. Immerhin gaben die privi- legierten Klassen, der Hof- und Parlamentsadel, die Geistlichkeit, die reichen Finanziers den Ton a.n. Das Volk beschränkt sich auf eine mehr oder weniger unvollkommene Nachahmung.

Man kann sagen: Liebe begleitete den fran- zösischen galanthomme des 18. Jahrhunderts von den ersten Eegungen erotischer Gefühle an bis zum Grabe. Als der General Graf von Mau- giron im Jahre 1767 auf dem Sterbebette lag, da wies er geistlichen Beistand ab, dachte nur

1) J. J. David ,,Vom Eokoko" in Vossische Zeitung

No. 497 vom 23. Oktober 1901.


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an Liebe und machte eine Stunde vor seinen^ Tode die folgenden von Bacliaumonti) mit* geteilten Verse:

Yoici donc mon lieure derniere ! Yenez bergeres et bergers, Yenez me fermer la joaupiere. Qu'on murmure de vos baisers Tout doucement mon äme soit eteinte. Finir ainsi dans les bras de l'amour, C'est du trepas ne point sentir l'atteinte ; C'est endormir sur la fin d'un beau jour!

Dieser Wunsch scheint einem anderen nach, einer von Davenport^) mitgeteilten zynischen. Grabschrift in Erfüllung gegangen zu sein:

Je suis mort de l'amour entrepris Entre les jambes d'une dame, Bien heureux d'avoir rendu Täme, Au meme lieu oü je Tai pris.

Da die Liebe mehr ein Gegenstand des sinn- lichen Vergnügens als seelischer Neigung war,, so war das eheliche Leben der höheren Stände- fast durchweg zerrüttet. Die Ehen wurden fast, ausschliesslich aus äusseren Gründen geschlossen. Meist waren es Geldheiraten. Heiratet man. heute aus Liebe?" fragt der Präsident de Bla- mont in de Sades ,,Aline et Valcour" (I, 8) und antwortet : ^^Nein, aus Interesse. Allein dieses.


1) Aiiecdotes piquantes etc. S. 49.

2) J. Dave np ort 5,Aphrodisiacs and Anti-aplirodi- siacs"; London 1869. S. 115.


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darf das Band Hymens knüpfen. Was schert uns die Liebe, wenn wir nur reich sind. Liebe gilt nichts in der Welt, nur Geld verschafft Eang und Stellung."

Diese weit verbreitete Spekulation auf reiche Heiraten begünstigte auch in Frankreich das Aufkommen der Heiratsannoncen und Heiratsbureaus, die schon seit dem 17. Jahr- hundert in England existierten, i) in Frankreich aber erst seit 1790 in Aufnahme kamen. Ein ge- wisser Liardot soll die Idee des Heiratsver- mittelungsinstituts im Jahre 1794 zuerst ver- wirklicht haben. Es scheint nach einer Notiz in Heinzmanns Schrift ,, Meine Frühstunden in Paris", dass schon vor der Schreckensherrschaft im Jahre 1790 ein solches Heiratsbureau gegrün- det wurde, das bis 1793 existierte und dann in- folge des ,,Terreur" eingehen musste.-) Die eigentliche, dauernde Begründung dieser Insti- tute durch Liardot, über die die G-oncourts ausführlich berichten,^) hat neuerdings dieWiener Schriftstellerin Leo Norberg zum Gegenstande einer interessanten kulturgeschichtlichen Novelle „Das erste Heiratsbureau" gemacht, die sich

genau an die historisch überlieferten Tatsachen

•anschliesst und eine der drei Novellen des kul- turgeschichtlichen Zyklus ,, Unter dem Direk-

1) Vergl. darüber mein Werk „Das Geschleclitsleben in England", Berlin 1901. Bd. I. S. 110—159.

2) Heinzmann „Meine rrülistunden in Paris", Basel 1800, Beilage S. 17.

3) E. u n d J. de G o n c o u r t ,,Histoire de la societe frangaise pendant le directoire", Paris 1879. S. 171 — 175.


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torium" bildet (Zürich, Cäsar Sclimidt 1903, S. 118 — 200). Dieser Liardot gab aucli eine „Hei- Tatszeitung" heraus, den ,,Indicateur des Mari- a^ges", der an den Mauern von Paris angeschlagen ivurde. Es mögen nach Heinz mann (a. a. O.) •ein paar Annoncen daraus angeführt werden:

1. Un Homme veuf, sans enfants, äge de 58 ans, retire du commerce, ayant 2800 fr. de Tente viagere, bien hypothequee, un bon mobilier •et 10 000 fr. comptant, est ä marier.

Avec une Fille ou Yeuve, sans enfans, ägee •de 40 ä 48 ans, qui auroit un revenu proportionnel.

2. Une Citoyenne bien elevee et alliee, agee de vingt-six ans, ayant ete dans le commerce, disposant de 500 f. par an, pendant six ans, et ayant une bonne garde-robe, desire se marier.

Avec un Gargon ou Homme veuf, sans enfans, age de trente ä quarante ans, qui auroit un etat solide, ou qui seroit dans le commerce.

Der bekannteste Nachfolger Liardots war Yilliaume, der sogar über seine Unterneh- mung ein Buch erscheinen liess.i)

Heiratszeitungen gab es bald auch in der Provinz. Schon 1795 taucht ein ,,Indicateur des mariages" in Bordeaux auf. Er wurde von einem Notar, Namens Morin redigiert und erschien einmal in der Dekade, musste aber schon nach sechs Monaten sein Erscheinen einstellen.^)


1) j.Extrait du portefeuille de M. Villiaume, precede d'un opuscule Sur son agence et ses mariages", Paris 1813.

2) Gay „Bibliographie etc " Bd. IV. S. 126.


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Schon damals verirrten sich nicht selten, wie ja auch heute noch, unter diese Heiratsannoncen andere Annoncen zweideutigen Inhalts. So z. B. fand K o t z e b u ei) die folgenden beiden petites- äff iches angeschlagen :

1. Ein junger Mann von 30 Jahren, guter Geburt, durch Umstände genötigt, sich in eine kleine, niedliche Wohnung zurückzuziehen, eine Meile von einer angenehmen Stadt, und 20 Meilen von Paris gelegen, wo er eine Eente von 100 Louis verzehrt, wünschte eine Person zu finden, von guter Erziehung und einem Vermögen ungefähr halb so gross als das seinige, welche ihre Tage mit ihm verleben wollte, nicht als Gattin, sondern als Gesellschafterin usw.

2. Ein junges Frauenzimmer, von angeneh- mem Umgange, das lesen, schreiben und mit der Wäsche umzugehen versteht, wünscht als Gesell- schafterin bei einem einzelnen Herrn anzu- kommen.

,,In Deutschland," bemerkt Kotzebu e da- zu, ,, würde man mit Fingern auf eine Person deuten, die sich öffentlich als Gesellschafterin eines einzelnen Herrn, zu deutsch Maitresse, aus- bietet."

Wurden die Ehen damals in der vornehmen Gesellschaft fast nur aus materiellen Beweg- gründen geschlossen, so wurde auch in den lose- ren Liebesverhältnissen die Stimme des Herzens-


1) A. V. K o t z e b 11 e Meine Fluclit nach Paris", ecL Cassel S. 94 und S. 143. '


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nicht gehört. Sehr bezeichnend sj)richt de S a d e in seinen obscönen Eomanen von Menschen als blossen „Objekten" der Liebe. Das Subjektive, Individuelle, Seelische wurde in der Liebe nicht verlangt, man wollte blosse, willenlose Objekte zur Befriedigung einer mehr oder weniger schnell vorübergehenden Lust. Eine auf wirkliche innige Zuneigung sich gründende Treue wurde als etwas Ungewöhnliches, Seltenes angestaunt. ,,In Paris würde man einen Mann besingen, der nach Verlauf eines Monats nach der Hochzeit noch in seine Frau verliebt wäre" (Aline et Yalcour I, 70). Die sel- tenen Beispiele treuer Liebe wurden sorgfältig registriert wie z. B. jenes der Geliebten des Leib- arztes Dr. Commerson, die als Matrose ver- kleidet ihn auf einer Schiffsreise begleitete, um immer bei ihm zu sein.i) Wenn wirklich von den Lebemännern alte Liebschaften erneuert wurden, so war es weniger das Gefühl ehemaliger Zu- neigung, als eine besondere Art des Raffinements. So nahm z. B. der Prinz von Conti seine Liaison mit der Madame Larrivee nach mehreren Jah- ren wieder auf, weil er ,, wahr scheinlich so sehr die Freuden ihrer Liebe vergessen hatte, dass sie wieder etwas Neues für ihn geworden war. "2) Die geringe eheliche Treue führt eine Blüte- zeit des Hahnreitums herbei. Eigentlich konnte man oft von einem solchen kaum reden, da die Ehemänner nicht heimlich, sondern mit


1) Anecdotes piquantes, S. 239.

2) Ibidem, S. 214—215.

D Uhren, Neue Forschungen über de Sade. 3


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ungenierter Offenheit betrogen wurden und oft wohl sahen, aber nicht sehen wollten, was d e S ade als eine allgemeine Regel hinstellt (Aline et Valcour I, 178). Ja, einzelne verkündigten oft sogar coram publico ihre Schande. Der Herzog von Chartres hatte Madame de S e n a c wieder- holt zu kleinen Liebespartien in sein Lusthaus geführt. Herr d e S e n a c wusste sehr wohl darum, und sagte eines Abends im Foyer der Oper: Meine Herren, ich will Ihnen eine Neuigkeit er- zählen. Meine Frau ist eine H . . . Wissen Sie, wo- hin sie ihre Promenaden macht ? In das Lusthaus des Herzogs von Chartres." Freilich tröstete sich Herr de Senac selbst mit einer anderen. i) Diese Frau betrog ihren Gatten übrigens auch mit dem Grafen de la March e und dem Her- zog von Fitz-James. 2) Selten dürften aller- dings Ehemänner sich selbst freiwillig zum Hahn- rei gemacht haben, wie in dem folgenden merk- würdigen Falle.

Zu der Bordell wirtin Montigny kam im April 1764 Herr von R o h a n - 0 h a b o t und ver- langte von ihr die Beschaffung eines jungen, gesunden und kräftigen Mannes von geringem Stande für eine; sehr schöne Dame von hohem Range, die bisher nur mit ihrem Gatten verkehrt habe, die aber ,,etoit curieuse de goüter des plai- sirs d'un autre homme". Er wolle diesen Mann


Anecdotes piquaiite.s, S. 105. ^) G. Ca 2)0 11 ,,Les petites maisons galantes de Paris au XVIII e siecle", Paris 1902. S. 54—55. (Nach dem Be- richt des Polizeiinspektors Marais.)


dann selbst abholen und mit verbundenen Augen zu der Dame führen, die er in seiner Gegenwart befriedigen müsse. Es dürfe aber kein Mann von der Leibgarde oder den Musketieren des Königs sein, damit er die Dame nicht wiedererkenne, wenn sie zu Hofe gehe. Am besten sei ein Mann aus der Provinz. Nach der Vermutung des Polizei- inspektors, den die Montigny über diese ge- heimnisvolle Angelegenheit unterrichtete, wollte Herr de Chabot, der mit seiner Frau keine Kinder hatte, sich solche auf diese eigentümliche Weise verschaffen I^)

Manchmal waren Liebhaber eifersüchtiger als Ehemänner. So liess ein gewisser A Ilain seine Geliebte, die A r b i g n y , die früher eine gewöhn- liche Prostituierte gewesen war, in seiner ,,petite maison" in der rue Gracieuse förmlich einsperren und durch eine alte Frau bewachen. Oft schloss er selbst sie alle beide ein, um ganz sicher zu sein, dass kein Unberufener zu ihnen gelange. 2)

Weniger vorsichtige Lebemänner wurden oft von ihren eigenen Freunden betrogen. So hatte zwar z. B. ein Herr d e la Va 1 1 e e seine Maitresse Fräulein De L o r m e verpflichtet, sich nie aus dem ihr zur Verfügung gestellten Hause ohne seine Einwilligung zu entfernen. Das hinderte aber nicht, dass einer seiner intimen Freunde, der Schriftsteller de la Place sich dort ein-


1) P. Manuel ,,La police de Paris devoilee", Paris 1791. Bd. I. S. 243.

2) Gr. Capon ,,Les petites maisons galantes", S. 148 bis 149.


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schlich und ,,fit l'ouvrage de son ami sans que celui-ci s'en aper9usse."i) Noch schlimmer war es, dass manche Liebhaber, ohne es zu wissen, die Kosten für den Unterhalt ihrer Nebenbuhler mitbezahlen mussten, wie z. B. ein de Yinti- m i 1 1 e , der Verehrer der Schauspielerin L y o - m o i s den Chorsänger Favier, ihren Grünstling, der mit Frau und Kind bei ihr wohnte, miter- nähren musste.2)

In weiser Voraussicht solcher unangenehmen Erlebnisse suchten viele Don Juans ihre Mai- tressen häufig zu wechseln, ja, der Herzog von Richelieu erklärte es für besonders pikant, freiwillig die Geliebten miteinander auszutau- schen. Ganz wie de Sade in seinen Romanen es so oft ausführt, erklärte er die Beständigkeit in der Liebe für eine Art von Sklaverei. Es gäbe nichts Faderes als sein Glück immer von dem- selben Gegenstande (Objekt) zu erwarten. Jedes Weib verdiene einen Tribut, den man nur durch Unbeständigkeit entrichten könne. Die ,,hommes superieurs" — so eine Art ,,Uebermensch" in der Liebe — dürften in Dingen der Galanterie keine Vorurteile haben. So bewirkte dieser in der Libertinage tonangebende Wüstling in der Tat, dass ein allgemeiner Austausch der Maitressen zwischen den vornehmen Roues stattfand.^)


1) Ibidem, S. 12.

2) Ibidem, S. 123—124.

3) Eulhiere ,,Aiiecdotes sur Riclielieu", ed. Asse, Paris 1890. S. 18.


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Die Geschichte der geschlechtlichen -Kor- ruption der französischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts harrt noch ihres Prokop. Selbst die Gon Courts haben in ihren stellenweise breit ausgeführten Detailmalereien nur einzelne Eausteine dazu geliefert. Es erfordert eine Lebensarbeit, aus den zahllosen Memoiren, Brief- wechseln, Anekdotensammlungen, Satiren, Sittengemälden aus französischer und fremder Peder, die uns fast jedes Jahr dieses galan- ten Jahrhunderts getreu abspiegeln, alles das zu- sammenzutragen, was als Grundlage für eine ein- heitlich aufgefasste, kritische Sittengeschichte dieser Epoche dienen könnte. Erst jetzt hat man in Frankreich begonnen in sittengeschichtlichen Monographien bestimmte Bilder und Er- scheinungen des Lebens jener Zeit in zusammen- hängender Darstellung vorzuführen. Erst jetzt würdigt man die grosse Bedeutung des in den Archiven und Bibliotheken vergrabenen und bis- her ungedruckten Materiales. Zahlreiche Manu- skripte harren noch der Y eröffentlichung, die neues Licht über die damaligen Zustände ver- breiten können. Wie lebendig tritt uns jetzt erst die Persönlichkeit Mirabeaus entgegen, den wir eigentlich erst seit dem Jahre 1903 recht kennen, nachdem Göttin, Me unier und L e - 1 0 i r seine Liebeskorrespondenz herausgegeben haben. Aehnliche Publikationen werden vorbe- reitet und liefern fortgesetzt neues unschätzbares Material für die Kenntnis der gesellschaftlichen Yerhältnisse des 18. Jahrhunderts. Eine andere


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wichtige Quelle stellen die Berichte der Polizei und der Bordellwirtinnen dar, die neuerdings ein junger Pariser Autor, Graston Capon. nach dem in der Bibliothek des Arsenals aufbew^ahrtem Archiv der Bastille und den in der Bibliotiieque Nationale befindlichen Manuskripten durch- forscht hat. Das Resultat dieser Forschungen liegt bisher in zwei Werken vor, von denen das eine die Lusthäuser (petites maisons) der Vor- nehmen, das andere die Geschichte der Bordelle im 18. Jahrhundert bis zur Eevolution behandelt. Weitere Bände sollen folgen. Arbeiten wie die von Capon gewähren uns erst die Möglichkeit, die richtige Einsicht in und einen deutlichen Ueberblick über die Sittenzustände zu gewinnen, die der französischen Gesellschaft jener Zeit eigentümlich waren.

Im Folgenden soll versucht werden, eine kurze Darstellung der wichtigsten Ergebnisse der erw^ähnten Forschungen unter Heranziehung noch anderer Quellen zu geben.

Man kann in der französischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts eine männliche und weibliche Lebewelt unterscheiden. Denn das ist charakteristisch für jene Epoche, dass die Frauen der oberen Stände verhältnismässig stark von der allgemeinen geschlechtlichen Korruption infiziert waren. De S a d e kommt in seinen Ro- manen auch hierin der Wahrheit ziemlich nahe. In der Justine" und „Juliette" ist zwar die Zahl der männlichen Libertins bedeutend grösser als


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die der Weiber von Messalinennatur, aber er ver- fehlt nicht, öfter hervorzuheben, dass auch die Frauen in grösserem Masse als bisher zu ge- schlechtlichen Ausartungen neigen und er lässt demgemäss mehrere ausgesprochene weibliche Wüstlinge auftreten, was, wie wir sehen wer- den, durchaus der Wirklichkeit entsprach. Eben- so werden solche ausschweifenden Weiber in dem neu entdeckten Eoman de Sades ,,Die 120 Tage von Sodom" vorgeführt, wenn auch hier ebenso wie in der ,, Justine und Juliette" die Männer in dieser Beziehung die Prävalenz haben.

Wir wollen uns der Wirklichkeit zuwenden, einige „Grössen" dieser Lebewelt, möglichst ty- pische Gestalten, ins Auge fassen, um daran die Eichtigkeit der Angaben des Marquis de Sa de zu prüfen.

Als der König der adligen Libertins galt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Bru- der des Königs Ludwigs XYL, der Graf von Artois, spätere König Karl X. (1757—1836). Er war nach Capon die Seele dieses vornehmen Wüstlingskreises. Mit 16 Jahren verheiratet, empfand er bald das Bedürfnis nach anderen Frauenreizen. Er hatte überall Maitressen, von der Guimard und Düthe an bis zu den höch- sten Mitgliedern des Hofes. Man behauptete so- gar, dass er bei den Ausschweifungen der be- rüchtigten Herzogin von Polignac beteiligt war. Er besass mehrere Lusthäuser in Bagatelle, in Bel-Air in der Vorstadt St. Antoine, wo er


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u. a. eine Liaison mit der schönen Madame de Polastron unterhielt.

Ein anderes in der galanten Welt sich betäti- gendes Mitglied des königlichen Hauses war der Herzog von Chartres, der spätere Herzog von Orleans (seit 1785) und „Philippe Ega- lite" der Eevolution (1747—1793). Er wurde schon mit 14 Jahren durch die auf dem Gebiete der Prinzenerziehung offenbar viel bewanderte Düthe in die Greheimnisse der Liebe eingeweiht und richtete sich noch in demselben Jahre 1761 in der rue Saint-Lazare No. 10 eine petite maison ein, wohin ihm die Kupplerin B r i s s a u 1 1 ein ,5gesundes und hübsches" Mädchen schicken musstCj das denn auch in der Person des Fräulein D e 1 i s 1 e beschafft wurde, von der der Prinz ent- zückt war, so dass er sie sehr grossmütig bezahlte. Philipp hatte eine besondere Vorliebe für kleine Pürgermädchen, Hess sich aber öfter von den Kupplerinnen düpieren, indem ihm Prostitu- ierte als sittsame Bürgerstöchter verkleidet zu- geführt wurden. Später hatte er an der Barriere Monceau ein Lusthaus mit herrlichem Garten, ein wahrer ,,sejour de volupte", wo er oft feine Soupers gab, bei denen der Adel sich mit der Demi-monde vereinigte. 2)


1) G. Cap on ,,Les petites maisons galantes", Paris 1902. S_ 30 — 31. — Vergl. auch 5,Vie privee de Charles Plilippe de Prance, ci-devant comte d'Artois", Turin 1790.

2) Ibidem, S. 54—56. — Vergl. auch „Vie privee de tres- serenissime Mgr. le duc de Chartres", London 1784.


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Seltsame Eigentümlichkeiten in seinem liiebesleben bekundete ein anderer königlicher Prinz, der Graf von Charollais, Prinz Karl von Bourbon-Conde (f 17 60), Liest man die Berichte über diesen Sonderling in der Liebe, so wird man lebhaft an gewisse Typen erinnert, die der Marquis de S ad e in seinen Komanen gezeich- net hat, der häufig nur die Wirklichkeit abkonter- feit hat. Der Marquis d'Argenson hat uns in seinen Denkwürdigkeiten die folgende Schilde- rung des G-raf en von Charollais hinterlassen :

,,Er war schön und tapfer wie alle Bourbonen, ^ber auch ein Narr wie diese. Sobald er gross- jälirig geworden war, fachte er seine zornige, leidenschaftliche Natur durch den G-enuss von reinem Wein an, ohne Wasser hineinzutun. Das trieb ihn zu wilden und grausamen Handlungen, die ihm den Kuf eines Ungeheuers eintrugen, und bald kultivierte er dieses Misstalent (metalent), indem er sich aus Menschenhass und Ungesellig- keit von der Welt abschloss, welche düstere und schwarzgallige Neigungen seine Gesundheit stark schädigten. Im Grunde ist er ein guter, sogar tugendhafter Mensch, geistreich, unter- haltend, begierig nach fruchtbringender Tätig- keit. Er neigte stets zur ,,Einhurerei" (monopu- tanisme) d. h. dazu, eine einzige Dirne zu lieben und zwar beständig zu lieben, und fordert auch von ihr unvernünftigerweise unbedingte Treue. Er- fährt er das Gegenteil, so richtet seine Wut sich ^ber mehr gegen die Verführer als gegen die Ver- führte. Dann wird er rasend und hat gegen 20


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blutige Zusammenstösse mit seinen Nebenbuh- lern gehabt."!)

Ausserdem liebte er sehr die gewaltsamen Entführungen von Frauen, für welchen Zweck er ein einsam gelegenes Lusthaus immer bereit- hielt. Immer war seine Liebe mit etwas Gewalt- samem, Leidenschaftlichem, Finsterem verbun- den. Er starb 1760, am Tage seiner Beerdigung in der Familiengruft zu Montmorency war ein. so höllisches Wetter, dass die Bauern meinten, alle Teufel seien losgelassen, um dem Begräbnis des Grafen de Charollais beizuwohnen. 2)

Offenbar gehörte dieser Libertin zu jenen abnormen Charakteren, die wir heute mit dem Namen ,, psychopathische Minderwertigkeit" be- zeichnen und die fast stets irgend welche bizarren Züge und Yerirrungen auch in ihrem Geschlechts- leben aufweisen.

Einen entgegengesetzten Charakter hatte ein anderes Mitglied des höchsten Adels, der aus dem siebenjährigen Kriege wenig rühmlich be- kannte Prinz Karl von Soubise (1715 — 1787). Nur das Sanfte, Zärtliche der Liebe lockte ihn. Er war ganz in weichlich-wollüstiges Genuss- leben versunken. Er ist einer von den Männern, die dem Marquis de Sade, der ihn ja auch in den Krieg nach Deutschland begleitete, als Vor- bild für Leben und Lebensauffassung gedient haben.

1) Memoires du marquis d'A r g e n s o n , Paris 1860. Bd. II. S. 406—407.

2) Ca poii a. a. O., S. 40^-43.


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In seinem Hotel, No. 12 rue de TArcade^ unterhielt der Prinz von S o u b i s e ein förmliches Serail reizender Houris. Die innere Ausstattung des Hauses war herrlich, namentlich war der Speisesaal mit feinstem künstlerischen G-e- schmacke eingerichtet und enthielt Meisterwerke der Skulptur.!) Das wollüstige und ausschwei- fende Leben, welches der Prinz in diesem Hause führte, veranlasste ein heftiges Pamphlet gegen ihn, in dem er als ,, eingefleischter Sultan" an- gegriffen und sein Lusthaus als ,,celebre dans les fastes du libertinage" bezeichnet wurde. 2)

In späteren Jahren hatte der Prinz ein be- sonderes Faible für die Damen vom Theater, w^ar eine Zeit lang der erklärte Liebhaber der Opern- tänzerin D e r V i e u X, für die er im Jahre 1770 ein prachtvolles Haus erbauen Hess. Auch an andere Schauspielerinnen verschwendete er Unsummen^ zahlte z. B. der Mlle. Audinot 3000 Livre& monatlich, dasselbe zur gleichen Zeit der D e r V i e u X , der C o s t e und der G- u i m a r d I^) Hierbei sind die zahlreichen vorübergehenden Liaisons des Prinzen nicht mitgerechnet.

Dennoch wurde er in Beziehung auf Zahl der Maitressen und die Summe der an dieselben ver- schwendeten Gelder von dem „Heros der Galan-

1) St. Fargeau ,,Dictionnaire historique de la France'^ Paris 1847. Bd. III. S. 152.

2) Bachaumont „Memoires secrets", Bd. XXVIIL S. 207, 217 (März 1785).

3) C a p o n a. a. 0., S. 100 (Polizeibericht des Inspek- tors Marais).


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terie", dem ersten Don Juan des 18. Jahiiiimderts übertroffen, dem berühmten und berüchtigten Herzog von Richelieu (1696 — 1788). Dieser typische Vertreter des Rokoko und glänzende Hofmann hat in Beziehung auf die bis ins höchste Alter andauernde Unersättlichkeit der ge- schlechtlichen Begierde grosse Aehnlichkeit mit •einem englischen Lebemann, dem Herzog von •Queensberry (1724 — 1810), von dem ausführ- lich an anderer Stelle die Rede war.^)

Schon mit 15 Jahren musste der Herzog von Richelieu vom Hofe entfernt werden, weil er 'einer königlichen Dame gefährlich geworden war. Han schickte ihn in die Bastille ,,pour avoir .glisse sa main sous la jupe de la jeune duchesse •de Bourgogne qui etait penchee sur le balcon de Marl}^, cette noble demoiselle eut sans doute par- •donne, si on ne l'avait vu."^) Er war einer der ■ersten, der die Sitte der ,,petites maisons" ein- führte. Das seinige befand sich (seit 1726) in •der rue Cadet, später besass er ein anderes in •der rue de Clichy No. 5 (mit vier Ausgängen auf •die rue Blanche), dort, wo heute ein anderes der Oalanterie geweihtes G-ebäude sich erhebt : das ,,Casino de Paris". Hier befand sich damals das Generalquartier für die galanten iTnternehmun- .gen des Herzogs von Richelieu, hier empfing er auch trotz oder vielleicht wegen derselben den Besuch des Königs Ludwig XY. in Begleitung

1) Mein Werk 5,Das Gcsclileclitsleben in England", Bd. IT. 172.

^) im b c r t ,,La chronique scandaleuse", Bd. III. S. 145.


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der Pompadour, die hier öfter soupierten.^) Der Herzog war in jüngeren Jahren berüchtigt als Verführer junger Mädchen, als Ueberwinder aller Frauentugend. Sein Euf in dieser Beziehung war so gross, dass man von einem, der grosse Erfolge bei Frauen hatte, sagte : ,,Das ist ein Richelieu". 2) Verheiratet oder unverheiratet war ihm gleich, falls er nur seine unersättliche Be- gierde nach ewig neuen Reizen, nach Abwechse- lung befriedigen konnte. Mit welcher Skrupel- losigkeit und Schlauheit er oft dabei verfuhr, möge ein Beispiel beweisen, die Geschichte seiner Liaison mit Madame de la Popeliniere, der Gattin des reichen Generalpächters.

,,Müde seiner Duchessen, selbst der Bouff ~ 1er s, die er, bloss um seine Allgewalt über die Weiber zu prüfen und von sich reden zu machen, für einige Zeit ihrem Luxembourg abgewandt hatte, ersah sich der Duc die schöne, vielgehul- digte Generalpächterin zur vergnüglichen Ab- wechselung aus, und wusste sie alsbald mit so heisser Leidenschaft zu erfüllen, dass bestochene Türhüter ihm nächtlich das Haus öffneten und eine vertraute Zofe, Mademoiselle Dufour, ihn auf den Thron der Wollust geleitete. Schon im Winter 1745 — 46 muss die Annäherung begonnen haben; denn um diese Zeit lieh Richelieu dem verzwei- <^^-\ feiten Genfer Musiker im Hause Popeliniere s seinen Schutz. So dauerte zwischen den flan-

1) „Journal du M. d ' A r g e n s o n", Paris 1864. Bd. VI. S. 20.

2) Memoires de Besenval, Paris 1805. Bd. I. S. 92.


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drisclien Feldzügen das schändliclie Verhältnis mehrere Jahre fort. Eichelieus Kamnierdiener Stephano musste zur Sicherheit mit jener Zofe einen Liebeshandel anknüpfen, und harrte nachts mit dem Wagen in entlegener Strasse auf den zu Fusse heimkehrenden Grebieter. So argus- äugig Monsieur de la Popeliniere, durch namenlose Briefe von seiner Schmach in Kennt- nis gesetzt, die Treulose bewachte, konnte er den Eeleidiger doch nicht ertappen, zumal diesem ohne Lebensgefahr der Aufpasser nicht nachge- späht werden durfte ; selbst auf der Villa des Generalpächters zu Passy wusste der Entehrer Mittel sich zu erschleichen. List begegnete der List ; Stephane musste sich einmal mehrere Nächte hindurch in eine leere Wassertonne ver- stecken, weil sein Herr gegen seine Geliebte Ver- dacht gefasst hatte. Um sich den Genuss so mühe- und gefahrlos, so bequem als möglich zu machen, kaufte Eichelieu unter einem falschen Namen ein Haus, welches dicht an das des Herrn de la Popeliniere stiess, fand bei der Be- sichtigung, dass das eine Zimmer nur durch eine dünne Mauer vom Kamin im Kabinett der Dame geschieden war ; Hess durch wohlbezahlte Hand- werker, welche mit verbundenen Augen einge- führt wurden, die Stelle durchbrechen und die Oeffnung so geschickt durch die Kaminwand wie- der verschliessen, dass er, wie durch eine auf unmerkbaren Angeln stehende Tür, beliebigen Eingang zum Boudoir seiner Geliebten gewann. Dieses Kunststück hatte der Duc unter gefähr-


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lichereii Umständen schon dreissig Jahre früher ersonnen und mit Erfolg benutzt. Ueberdrüssig •der Zärtlichkeit, welche um 1715LouiseAnne, Mademoiselle de Charolais, die Tochter iudwigs III. von Bourbon und Urenkelin -des grossen C onde, ihm gewidmet, hatte er die Neigung der Charlotte Aglae, Mademoiselle ♦de V a 1 o i s 5 Tochter des Kegenten, bei ihrem •ersten Eintritt in die Welt zu erwecken verstan- den und in allerlei sinnreicher Verkleidung, bald ^Is Kauf mannsbur sehe, bald als bettelnder Ga- leerensklave, ja selbst in der Tracht der fille de

garderobe, verstohlen seine unreine Flamme ge-

nährt, als er verwegen genug war, ein Haus, wel- ches an das Palais royal und an das Zimmer der Prinzessin stiess, zu mieten, die Mauer zu durch- brechen, mit einem grossen Konfitür enschrank ÄU versetzen, und so allmählich die Schande in -den Palast des Eegenten von Frankreich zu tragen."!)

Mit zunehmendem Alter versagten die Ver- führ ungskünste des berüchtigten Libertins. Er musste Geld und Kupplerinnen zu Hilfe nehmen. Eine gewisse Surville, genannt ,,la Mule", musste beinahe ausschliesslich für den Herzog von Eichelieu, Mädchen herbeischaffen und -das Material für seine geheimen Vergnügungen liefern. Oft kosteten ihn dieselben grosse Sum- men, so dass er einmal auf seinen mit Diamanten

1) r. W. Bart hold „Die geschichtlichen Persönlich- keiten in Jacob Casanovas Memoiren", Berlin 1846. Bd. I. S. 205—207.


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besetzten Degen 20 000 Livres leihen musste, um ein Eräulein D e 1 o r m e für ihre Gefälligkeit zu. entschädigen. 1)

Im höchsten Alter, als er nur noch eine aus- getrocknete, nach Moschus duftende Mumie war,, erhielt er äusserlich dennoch die alten Lebens- gewohnheiten aufrecht, soupierte meist in Ge- sellschaft mehrerer Lebedamen, wobei er oft selbst über seine Impotenz zynische Witze machte. 2) Zuletzt vergnügte er sich nur noch als ,,Voyeur", indem er tribadische und andere- sexuelle Praktiken durch Schlüssellöcher beob- achtete. 3)

Als würdiger Sohn eines solchen Vaters tritt uns der Herzog von Fronsac entgegen, der in den Annalen der Bordellgeschichte bis auf den heutigen Tag fortlebt als Erfinder verschiedener Utensilien zum Kaffinement des Liebesgenusses. Er war der einzige Sohn des Herzogs von Riche- lieu, mit dem ihn aber, wohl infolge frühzei- tigster Konkurrenz im Reiche der Galanterie,, keinerlei zärtliche Bande verknüpften. Stets war er von einem Schwarme ausgelassener Lebe- männer und ausschweifender Weiber umgeben.. In seiner petite maison in der rue Popincourt wurden wüste Orgien gefeiert, die bis zum Mor- gen dauerten und gewöhnlich mit einigen ,,hor- reurs" ganz ä la Sade abschlössen. Mit Vor-

1) Bericht des Polizei-Inspektors M e u n i e r bei C a p o iL „Petites maisons galantes", S. 90 — 91.

2) Imbert ,,Clironique scandaleuse", Bd. I. S. 41.

3) Manuel „La police devoilee", Bd. II. S. 335.


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liebe zeigte er als erster jungen Schauspielerinnen den Weg Cytherens wie z. B. der MUe. Dubois von der Comedie Frangaise. Auch vornehme Damen versagten ihm ihre Gunst nicht. Im Jahre 1763 kam die Präsidentin deBoulainvilliers zwei- bis dreimal wöchentlich in sein Lusthaus. Die Heirat, im Februar 1764, störte den Herzog von Fronsac nicht im geringsten in seinem Wüstlingsleben. 1)

Mit dem Herzog von Eichelieu wetteiferte als Verführer und Lüstling G-raf Moritz von Sachsen, der französische Marschall und Sohn der berühmten Aurora von Königsmark. ..So riesig stark von Leibe," sagt Barthold, ,,ein Karl XII. in persönlicher Tapferkeit seit seiner stürmischen Laufbahn in Kurland, war G-raf Moritz waffenlos schwächlich den Buhl- künsten, zumal der Theaters chönheiten, biossge- stellt. Die erbärmlichsten Liebesintrigen gingen daher Hand in Hand mit seinen Grosstaten; wo irgend wir tiefer in sein sittliches Leben ein- dringen, Stessen wir auf die schmutzigsten, un- würdigsten Geschichten, auf die lächerliche Ki- valität mit kleinen Poeten und Pastetenbäcker- jungen, auf den abscheulichsten Despotismus. Die Posaune seines Euhmes bliesen liederliche Dirnen, welche sich seit seiner frühesten Jugend an seinen Hals hingen und ihn, ohne Keue, in ein frühes Grab zogen. "2) Bekannt ist Moritzens Verhältnis mit der edlen Adrienne Lecouv-

1) Polizeibericht bei Oapon a. a. 0., S. 21 — 23.

2) Barth old a. a. O., Bd. 1. S. 169.

Dühren, Xeue Forschungen über de Sade. 4


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r e u r 5 vielleicht der einzigen idealen Erscheinung- unter seinen zahlreichen Maitressen. Später war er in den Banden der Schauspielerin L a m o 1 1 e , liess sich Von der Choristin C a r t o n in das Lust- lager von Mühlberg begleiten und kämpfte später mit dem Dichter Marmontel um den Besitz zweier anderer Demimondänen. Auch verpflanzte er die Bordelle in das Feldlager ,,disant que les Frangais n'alloient jamais si bien que lorsqu'on les menoit gaiement et que ce qu'ils craignoient le plus ä la guerre c'etoit l'ennui".!) So hatte er immer einen Harem in seinem Hauptquartiere bei sich, und liess durch liederliche Weiber Schlachten ankündigen ! Frühzeitig wurde durch diese Ausschweifungen seine Kraft gebrochen. 2)

Mehr Widerstandskraft zeigte trotz zahl- reicher auf dem Felde der Liebe empfangener Wunden der Prinz von Conti, dem man daher den Beinamen eines „Herkules der Liebe" gab, obgleich er, wie in den jetzt durch Capon ver- öffentlichten Berichten des Polizeiinspektors Marais zu lesen ist, diesen Euf lediglich seiner grossen G-ewandtheit im „Fraudieren" verdankte. Nichtsdestoweniger unterhielt dieser Libertin in Pantin ein förmliches Serail, und zahlreiche Mäd- chen liefen in Paris umher, von denen man sagte : ,,elle est du serail de M. le prince de Conti".^)

Ein anderer Lebemann führte den schönen Beinamen: der Hurenspiegel" (miroir ä pu-

1) Marmontel ,,Memüires", Bd. I. S. 285.

2) B a r t h o 1 d a. a. O., Bd. I. S. 170—172. ^) Capon a. a. 0., S. 60.

I


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tains"). Es war dies der Marquis deLetoriere, dessen Tod die Pariser Freudenmädchen im Mai 1774 aufrichtig beklagten.^)

Ferner machten sich der Herzog von Gram- me n t (geb. 1722), ein wilder Don Juan, der ein- mal im Zorne seine Maitresse im Hemde über die Strasse führte,^) der Herzog von Lau zun, stets umgeben bei seinen petits soupers von mehreren G-eliebten^), bekannt als unübertroffene Lebemänner.

Der Marquis de Duras verliess seine Frau und seine Familie, um in den Armen von Dirnen der Libertinage zu fröhnen. An seinen Soupers beteiligte sich sogar sein eigner Bruder, während ihr Vater, der Marschall von Duras, mit Vor- liebe die Bordelle aufsuchte.^)

Eine eigentümliche Aehnlichkeit mit dem Liebesleben des Marquis de Sade weist das- jenige des G-rafen Mirabeau auf. Beide waren Lieblinge der Frauen, wurden von ihnen ver- göttert. Beide vermochten vom G-efängnisse aus stärkste erotische Wirkungen auszuüben. De Sade freilich war ein schöner Mann, von weib- lich-zartem Körperbau, Mirabeau dagegen sehr hässlich, mit blatternarbigem Gesichte, aber von herkulischer Konstitution. Durch die Heraus- gabe der oben erwähnten Korrespondenzen haben


^) ,,Anecdotes piquantes de Bachaumont etc.", S. 251.

2) Capon a. a. 0., S. 85.

3) Ibidem, S. 119.

Ibidem, S. 29, 110—111 und „Les maisons closes", S. 196 und 213.


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wir einen Einblick in das Liebesleben Mira- beaus bekommen, dem auf Grund dieser Briefe ein ungenannter Verfasser in der „Neuen freien Presse" (No. 14 004 vom 23. August 1903) eine genauere Untersuchung gewidmet hat.

Aus dieser erotischen Korrespondenz erkennt man, dass er auch in der Liebe ganz der Volks- tribun war. Diese Briefe scheinen für die Oeffentlichkeit geschrieben zu sein. „Wenn er seiner Natur folgte, er würde lieben, küssen, der schaumgeborenen Göttin opfern, ,,coram populo". Dabei ist die Gewalt seines Wortes, seiner Leiden- schaft so gross, dass er allein durch Briefe Fräu- lein Julie Dauvers, die ihn nie gesehen, vom Gefängnisse in Vincennes aus erobert. Diese ero- tische Telepathie war um so erstaunlicher, als- Julie bereits einen Geliebten hatte, dessen An- walt Mirabeau mit soviel Feuer und Leiden- schaft spielte, dass er allmählich in der Phan- tasie des Mädchens an die Stelle jenes trat.

Noch interessanter war Mirabeaus Liebes- verhältnis mit Sophie de Monnier, der Gattin des Präsidenten de Monnier, einer sehr nervösen jungen Dame,i) die Mirabeau, obgleich selbst verheiratet, entführte. Sie wur- den aber festgenommen und er im Festungsturm zu Vincennes, sie im Kloster interniert. Es be- gann nun zwischen ihnen der früher erwähnte


1) Vergl. darüber die Abhandlung „Une nevrosee mon- daine au XVIII e siecle, Sophie de Monnier. Etüde de Psych- ologie morbide", par P. Göttin in : La Chronique Me- dicale 1902, No. 19, S. 613—623.


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geheime Briefwechsel, der mehrere Jahre dau- erte und nicht mit den schon 1792 veröffent- lichten offiziellen Briefen Mirabeaus an Sophie de Monnier zu verwechseln ist, welche letztere er unter der Aufsicht der Ge- fängnisbehörde schrieb.

Man muss diese Briefe lesen, um zu begreifen, mit welcher elementaren Naturgewalt die poten- zierte Männlichkeit Mirabeaus auf die Frauen wirkte. Sophie erscheint in denselben förmlich im Banne einer sinnlichen und geistigen Ver- zauberung, wilde erotische Ekstase klingt aus ihren leidenschaftlichen Apostrophen an den ge- liebten Mann uns entgegen. Sie zergliedert ohne Scheu und Scham sein geheimstes Wesen, ent- hüllt seine und ihre Nacktheit, geht ganz in ihm auf und fühlt sich mit Wonne als seine Sklavin. So sehr, dass sie sogar in seinen zahlreichen Liebesabenteuern nur einen Umstand erblickt, der ihn ihr begehrenswerter erscheinen lässt. Sie findet die Ursache seiner Erfolge in seinem Geiste, seinem hinreis senden Wesen, dem ein Weib nur Liebe und Hingebung entgegenbringen könne. Es ist eine Art dämonischer Wirkung, die sie in die Worte kleidet: „Du bringst sie weiter, als sie wollen. Du packst sie bei ihrem Tempera- ment, Du hast sie, ohne dass sie es wünschen, oft ohne dass Du ihnen gefällst". Oefter freilich hat sich auch Mirabeau wohl fälschlich seines Glückes bei Frauen gerühmt. So ist jetzt durch Cottin, Meunier und L e 1 o i r festgestellt worden, dass seine angeblichen Beziehungen zur


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Prinzessin Lamballe nicht bestanden haben. Ebenso beruhten die Liebschaften mit der Fürstin Gruemenee und anderen Damen des höchsten Adels, von denen er in den Briefen an Sophie spricht, auf Prahlerei.

Nichtsdestoweniger verfehlte die glühende Erotik, die das Wesen dieses Mannes ausströmte, nicht ihre Wirkung auf gewisse Frauen. Die bru- tale Sinnlichkeit Mirabeaus musste schwache und leidenschaftliche Herzen unterjochen. Es besteht auch nach den neuen Untersuchungen der Herausgeber der genannten Korrespondenzen kein Zweifel darüber, dass Mirabeau sich, in gleicher Weise wie de Sade, im Grefängnisse mit der Abfassung höchst obscöner Schriften be- schäftigte, um so den Bedürfnissen seines leiden- schaftlichen Temperamentes eine Art von Be- friedigung zu verschaffen, da ihm der wirkliche Verkehr mit Frauen versagt blieb. Oefter ge- schieht in den Briefen an Sophiede Monnier dieser pornographischen Komane Erwähnung. Er schickt ihr z. B. ,,Ma Conversion",i) diese be- rüchtigte, erst 1783 im Drucke erschienene Schrift, ja, er hat teilweise die Idee, die Ge- schichte seiner Liebe zu Sophie in ,, Dialogen" darzustellen, ausgeführt, die demnächst nach C ottin s Mitteilung veröffentlicht werden.^) Die laszive Sprache dieser Werke übertrug er auch auf seine Briefe an Sophie, und diese

1) Brief vom 9. November 1780 vergl. P. C o 1 1 i n a. a. 0., S. 177.

2) C o 1 1 i 11 a. a. 0., S. XLI.


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erwies sich als eine nur zu gelehrige Schüle- rin. Es ist schade, dass Göttin alle diese, Stellen in den Briefen unterdrückt hat. Die Aehnlichkeit Mirabeaus mit dem Marquis de S a d e würde dann noch mehr hervorgetreten sein. Wir werden später noch sehen, dass er auch in Hinsicht der Proklamation merkwürdiger sexueller Freiheiten dem divin marquis" glich.


An die adligen Lebemänner französischer Herkunft schloss sich gewöhnlich eine grosse Zahl ausländischer Libertins an, die durch vornehme Geburt oder Eeichtum in den Stand gesetzt waren, in der Welt der Liebe und Ga- lanterie ebenso oder sogar noch mehr zu glän- zen und zu repräsentieren als ihre französischen Genossen.

Sehr bekannt war z. B. in Paris der spanische Diplomat und Minister Graf d'Aranda (geb. 1717), der Urheber der Vertreibung der Jesuiten aus Spanien (im Jahre 1762). Dieser immens reiche Edelmann erregte besonders im Jahre 1753 Aufsehen durch seine grandiosen sexuellen Ausschweifungen, die wir aus dem von Capon veröffentlichten Berichte der Bordell wirtin B au d o i n kennen gelernt haben. Er wechselte seine meist aus Operntänzerinnen und Bordell-


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dirnen sich rekrutierenden Geliebten wie Hem- den" und fand nur in diesem Wechsel Genus s.^)

Wie noch heute spielten damals die vorneh- men und reichen Engländer und Ameri- kaner eine bedeutende Eolle in der Pariser ga- lanten Welt. Als Lord Bentinck sich einmal einem Landsmanne gegenüber über die Untreue seiner Geliebten, der Gemahlin des holländischen Gesandten in Paris beklagte, erwiderte der eng- lische Freund: ,,Ich habe es Dir immer gesagt, mache es so wie ich, ich amüsiere mich, ohne mich zu binden und ich finde für 3 oder 4 Louis sehr hübsche Mädchen, die mehr wert sind als Deine Dame und die nicht mehr H . . . sind als diese. Ich werde Dich zur Brissault (einer da- mals bekannten Bordellwirtin) führen, und wir werden uns gut unterhalten."

Lord Bentinck nahm den Vorschlag an und verzichtete seitdem auf die Frau des Gesandten.^)

Ein anderer englischer Lebemann und Ha- bitue der Pariser Bordelle war Lord North, Minister unter Georg III. ;2) auch die Ameri- kaner lieferten bereits damals ein zahlreiches Kontingent zur Pariser Lebewelt.*) Auch Deutsche fehlten nicht. In dem Bericht der B a u d o i n wird ein Baron Horst erwähnt, s) und in denen der Lafosse eines jungen Deut-

1) G. Capon „Les Maisons Closes au XVIII e siecle", Paris 1903. S. 116—117; S. 119.

2) Ibidem, S. 162—163.

3) Ibidem, S. 120.

4) Ibidem, S. 121 ii. 122, 123, 127. ^) S. 120.


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sehen Namens Schmidt gedacht, der sich mit keinem geringeren als . — Casanova in die Freude des Besitzes der Demimondaine Quin- s on teilte. 1)

Neben dem Adel ist auch die französische Geistlichkeit des 18. Jahrhunderts verrufen wegen ihrer galanten Neigungen, die sogar in derartiger Verbreitung auftreten, dass für sie Spezial-Institute erforderlich waren, wo ihre Be- tätigung ungenierter erfolgen konnte. In den zahllosen antiklerikalen Schriften vor und wäh- rend der grossen Eevolution findet man ein ko- lossales Material gerade nach dieser Eichtung hin aufgespeichert, das freilich nicht immer zu- verlässig ist, jedoch im allgemeinen wirk- liche Zustände enthüllt.

So war der Abbe de Terray (1715—1778), der Günstling der Marquis e de Pompadour berüchtigt wegen seiner ,,fredaines de jeunesse", die in der oft aufgelegten Schrift des Chevalier de la Morliere ,,Les Lauriers ecclesiastiques, ou Campagnes de l'abbe de T . . . (Paris 1748)" geschildert werden.

Der Abbe de Noroyne unterhielt in der rue de la Madeleine ein förmliches Serail, 2) und auf den Abbe de Clermont, der erst die be- rühmte Tänzerin C a m a r g o , dann die L e D u c als Maitressen unterhielt, machte man das Couplet :


1) Ibidem, S. 146—147.

^) Les petites maisons galantes, S. 113.


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Tout le public vous rit au nez,

Monsieur l'abbe; Tout le public vous rit au nez.

C'est une farce

De voir une garce Dans un beau char, oü vous la promenez.

Qui l'aurait jamais clevine,

Monsieur l'abbe? Qui l'aurait jamais devine

Qu'une donzelle

Tourna la cervelle Au petit fils du grand Conde.^)

Der Erzbischof Barreau de Girac von St. Brieuc bekam einmal bei einer galanten At- tacke auf eine verheiratete Dame in dem Augen- blicke, als der Gatte beide in zärtliclien Präli- minarien überraschte, einen Degenstich. 2) Zahl- reiche ähnliche Skandalgeschichten, in denen der Klerus eine wenig rühmliche Kolle spielt, lassen sich aus den zeitgenössischen Sittenannalen bei- bringen.

Auch die Gelehrten und Philosophen waren keineswegs über derartige Schwächen des Fleisches erhaben. Die Türinschrift über dem bekannten Bordell der Paris rührte von Vol- taire her! Sie lautete: ,,Sunt mihi bis Septem praestanti corpore nymphae" und war von ihm


1) Ibidem, S. 114—115.

2) B a c h a u m o n t „Anecdotes iDiquantes", S. 38 — 39.


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bei einem seiner heimlichen Bordellbesuche ver- fasst worden. Er war aber nicht der einzige Philosoph und Schriftsteller, der solche Orte auf- suchte. Diderot schreibt z. B. an die Kaiserin von Kussland: „Als wir jung waren, gingen wir bisweilen ins Bordell, Montesquieu, Buf- fon, der Präsident de la Brosse und ich."^) lieber den Dichter Marmontel (1723 bis 1799), den Verfasser der ,, moralischen Erzählun- gen" (lucus a non lucendo), ,,ce petit insolent poete" klagte der Marschall von Sachsen selbst beim Könige, dass er ihm alle seine Maitressen wegschnappe. 2) Marmontel hätte den wahren ,,paysan perverti" des Eetif de la Bretonne vorstellen können. G-eboren und auferzogen in einem idyllischen und uns chulds vollen Landleben war er 1745 im Alter von 22 Jahren nach Paris gekommen und wetteiferte bald mit alten Roues in der kecken und feurigen Eroberung der ga- lanten Damen. Casanova hätte, wie Bar- thold meint, noch von ihm lernen können. ,, Paris war von der Art, dass ohne den Weibern zu ge- fallen, selbst das Talent mit der Zeit doch bet- teln musste. Marmontel ersetzte was ihm an Tiefe und Grossartigkeit des Genies gebrach, durch empfehlenswerte Eigenschaften bei den Damen

Ergötzlich schildert ein anderer berühmter Schriftsteller in seinen Lebenserinnerungen das


1) „L'espion devalise", Paris 1784. S. 135.

2) Marmontel „Memoires", Bd. 1. S. 288.

3) Barthold a. a. 0., Bd. 1. S. 136.


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galante, halb auf dem Lager der Wollust, halb bei den Freuden der Tafel verbrachte Leben seiner Jugend: „Une vie parfaite avec sa maitresse serait celle-ci d'avoir une petite maison dans un faubourg ou dans la ville meme, un appartement ferme oü Ton serve par un trou par un couvent, d'y entrer tete a tete quelques seances par se- maine selon Tage, la force et la sante. Chaque seance de six heures, de une heure ä sept heures ; les premieres trois heures au lit, les secondes trois heures a table, et sans tiers. Se rhabiller, quitter sa robe de chambre et le reste de la se- maine que l'on passe desoccupe ä l'amour. Voilä comment j'ai vecu dans ma jeunesse".^)

Am beliebtesten waren bei den ihre Liebe sich mit Gold aufwiegen lassenden Damen natur- gemäss die der Finanzwelt angehörigen Lebe- männer.

An der Spitze stand der unermesslich reiche Hofbankier Nicolas Beaujon (1718—1786), der Mäcen aller hübschen Schauspielerinnen, aber nicht nur in Sachen der Liebe äusserst wohltätig, da auf ihn die Gründung des heutigen Hospitals Beaujon zurückgeht. Er hatte im Faubourg Saint-Honore ein herrliches von Gärten umgebe- nes Lusthaus, in welches irdische Paradies eine Menge schöner Frauen kamen, um den Finanzier, der dort eine strenge Kur gegen seine Gicht und andere Leiden durchmachen musste, zu erheitern und zu zerstreuen. Während sie an auserlesenen


1) d'A r g e n s o n Journal et memoires", Paris 1859. Ed. I. S. 20.


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Gerichten sich zu gute taten, sass B e a u j o n unter ihnen und verzehrte die ihm von seinem Arzte Bouvard vorgeschriebene karge Speise. Um 9 Uhr abends verliess er die fröhliche Gesell- schaft und zog sich in sein Schlafzimmer zurück. Sobald er im Bette lag, kamen alle Weiber her- ein, streichelten ihn und erzählten ihm Geschich- ten, bis er unter ihren Liebkosungen einschlief. Er nannte diese Damen seine „Einschläferinnen" (berceuses). Sie gehörten z. T. der besten Ge- sellschaft an. Diese Phantasie kostete Beau- j o n 200 000 Livres jährlich. Wenn er einge- schlafen war, begaben sich die Damen zu ihrem splendiden Mahle zurück und schmausten und vergnügten sich bis zum frühen Morgen, wo sie gegen 4 oder 5 Uhr ihren Amphitryo wecken mussten.i)

Ein anderer den Kreisen der Finanz weit ent- stammender grosser Verehrer weiblicher Eeize war der Generalkontrolleur der Finanzen Ber- tin, der in einer petite maison in der rue Basse zahlreiche Maitressen unterhielt u. a. DUe. Hus s von der Comedie Frangaise, die berühmte So- phie Arnould, Mlle. Camille u. a. Auch nach seiner Verheiratung ,,il pratiquait la poly- gamie".2)

Bis zur Verheiratung mit seiner ihm später so untreuen Frau huldigte auch der reiche Fi-


1) Memoires piquantes, S. 212 — 213; Les petites maisons galantes, S. 115—116.

2) Larchey „Journal des inspecteures de M. de Sar- tines". Paris 1863 S. 39, 44, 87, 279.


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nanzier de la Popeliniere einem sehr aus- schweifenden Lebenswandel, da sein Geist, seine Liebenswürdigkeit und Freigebigkeit ihm zahl- reiche Erfolge bei den Frauen verschafften. Schliesslich verstand es eine seiner Maitressen Frl. Deshayes sich zu seiner rechtmässigen Gattin emporzuschwingen, der er bis zu ihrem Ehebruche mit dem Herzog von Eichelieu in treuer Liebe zugetan war. Darnach freilich nahm er sein früheres galantes Leben wieder auf, unter- hielt einen eigenen Agenten für die Befriedigung seiner allmählich immer unersättlicher werden- den Liebesbedürfnisse. Unter seinen Maitressen in dieser späteren Zeit werden genannt: die Schauspielerin Clairon, die Opernsängerin Dalliere, Fräulein Beauchamps u. a. Spä- ter liebte er die „fruits verts" und liess sich von dem Agenten Mädchen im Alter von 13 bis 14 Jahren zuführen. Er umgab sich gern mit Künstlerinnen, für die er in seinem herrlichen Landhause in Passy ,, asiatische Nächte" veran- staltete, bei welchen die musikalischen Genüsse mit denen der Liebe abwechselten, weshalb man die Villa zweideutig die „Academie de Passy" nannte.i)

Berühmt durch seine Verschwendungssucht war auch der Generalpächter B o u r e t , der in seiner Villa in Chaillot den Damen lukullische Mahle gab und u. a. einmal, um die Gelüste einer

1) Biographie generale 1862. Bd. 38. S. 868; ferner die Berichte von M e u s n i e r bei C a p o n ,,Petites maisons", S. 132—136.


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der Milch-Diät huldigenden Frau zu befriedigen, eine Kuh nur mit Erbsen ernähren liess, damit die Milch besonders delikat sei.^)

Nachdem wir so die hauptsächlichsten Typen der männlichen Lebe weit geschildert haben, muss als Ergänzung noch hinzugefügt werden, dass das Prinzip der Assoziation damals mit beson- derer Vorliebe auf die galanten Vergnügungen angewendet wurde. Man genoss doppelt mit anderen zugleich. Man vereinigte sich daher häufig zu „bandes joyeuses", welcher Ausdruck öfter in den Berichten der Bordell Wirtinnen und der Polizei vorkommt. Diese Lebemänner zogen gemeinschaftlich aus, um der Venus zu huldigen, und- veranstalteten in den Bordellen häufig scheussliche Orgien, die meist mit grossem Skan- dale endigten. Dabei wurde nicht selten das ganze Mobiliar zertrümmert, die Mädchen miss- handelt u. a. m. Eine solche ,, bände joyeuse" erwähnt z. B. die Brissault, ihr gehörten der Herzog von F r o n s a c , die Herren C o i g n y , De Lavaupolliere, Vaudreuil und Per- sennat an, alle „trop bruyants dans leurs plai- sirs".2) Herr von Curis war der Führer einer anderen Gesellschaft von Wüstlingen, die eines Tages, am 10. Januar 1751, in Begleitung vieler galanter Damen das Bordell der Gar Ii er be- suchten, s)

1) Imbert „La Chronique scandaleuse", Paris 1791. Ed. II. S. 85.

2) Capon „Maisons closes", S. 166.

3) Capon „Petites maisons", S. 19 — 20.


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Häufig wurden auch in den petites maisons der G-rossen solche gemeinschaftlichen Orgien gefeiert. So erhielt eines Tages die berüchtigte Grourdan den folgenden Brief des Marquis de Nesle:

„Paris, den 28. December 1773.

Ich muss zwar zugeben, meine liebe Gour- dan, dass die von Ihnen in meine petite maison gesandten Mädchen hübsch sind, aber sie haben Schwierigkeiten gemacht und sich nicht für die ,, Phantasien" der Gesellschaft hergeben wollen. Ich bitte Sie, mir ein anderes Mal nicht solche Prüden zu schicken. Donnerstag brauche ich etwas Hübsches und Eaffiniertes erster Klasse. Ich habe nämlich dann den Herzog von Fron- s a c und den Grafen von G . . . bei mir. Das sagt wohl genug. Adieu, liebe Gourdan, bedienen Sie mich gut, Sie wissen, dass ich ein guter Kunde bin."i)

Bei diesen gemeinschaftlichen galanten Unternehmungen wanderten öfter die Objekte der Lust von einem zum anderen, d. h. man machte sich einen besonderen Genuss daraus, die Maitressen zu wechseln. Als einst der Herzog von Eichelieu, der in Gemeinschaft mit dem Grafen von Charlus und dessen Geliebten en partie carree soupierte, den Vorschlag machte, ,,de changer de maitresse" und letzterer dies ab-


1) „Le portefeuille de la Gourdan'*, Paris 1783 nacli Capon „Maisons Closes", S. 178 — 179,


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lehnte, bemerkte jener : „Was ! Sie sind auf Treue erpicht ! Sie sind ein Narr. Die Treue ist eine Art von Sklaverei, es gibt nichts Taderes als immer sein G-lück von derselben Person zu er- warten. Jedes G-esicht verdient einen Tribut, den man ihm nur durch Untreue entrichten kann."

Grlaubt man nicht den Marquis de Sade reden zu hören, der ganz dieselben Theorien von dem aus der Untreue hervorgehenden Genüsse verficht ?

Der Herzog von Eichelieu nahm dann den G-rafen von Charlus beiseite und gab ihm zu verstehen, dass ,,hommes superieurs" — man sieht ganz wie bei de Sade auch bei de Eiche- lieu den „ Uebermenschen" Nietzsche s^) bereits hier eine KoUe spielen — von Vorurteilen in Dingen der Galanterie frei sein müssten, was denn auch den gewünschten Eindruck machte. 2) Kichelieus Beispiel fand häufige Nachahmung.

Freilich wollten manche nicht freiwillig ihre Geliebte einem anderen überlassen. Dann wusste sich dieser entweder durch List heimlich Zugang zu ihr zu verschaffen, oder er griff zu dem Mittel der gewaltsamen Entführung, welches Vorkommnis damals an der Tagesordnung war. Wohl am ausdauerndsten in dieser Hinsicht war

1) Hiermit soll nicht gesagt sein, dass Nietzsche nun auch in Beziehung auf die sexuelle Moral solchen An- schauungen gehuldigt habe, sondern nur, dass schon damals die allgemeine Idee eines Uebermenschen konzipiert wurde, der der grossen Menge als Ausnahmeerscheinung, als höchster Typus gegenübergestellt wurde.

2) Eulhiere „Anecdotes sur Eichelieu", 1890. S. 18.

Dühren. Neue Forschungen über de Sade. 5


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der Lustspieldichter und spätere Kevolutions- mann Fahre d'Eglantine (1755 — 1794), dem man nicht weniger als dreizehn Entführungen zur Last legte.


Als ein charakteristisches Zeichen tiefeinge- wurzelter Sittenverderbnis haben schon die Gr o n- Courts das Auftauchen eigentümlicher ag- gressiver weiblicher Charaktere in dieser Zeit hervorgehoben, deren ausschweifende Neigungen die im ganzen doch nur gewissen Epochen ange- hörende G-eschichte des weiblichen Wüst- lingtums um ein interessantes Kapitel be- reichern. Es sind die „certaines femmes", deren M e r c i e r in seinem ,,Tableau de Paris" gedenkt^) und die Monrose in Andrea de Nerciats gleichnamigem Eomane zu der Behauptung der Felicia gegenüber veranlassen, dass es einer Frau immer Vergnügen mache, sich jedem beliebigen Manne hinzugeben. 3) Messalina, die ins Bor- dell ging, die selbst die Männer zur Befriedigung ihrer Lust herbeiholte, fand damals zahlreiche Nachfolgerinnen in der vornehmen Frauenwelt von Paris. Meist entstammten sie dem Kreise der Hofdamen . . . Der Verfasser des Sittenge-


1) Gay „Bibliographie de Tamour", IV. 292.

2) J. S. Mercier „Le Tableau de Paris", Paris 1889. Seite 72.

3) „Monrose ou Suite de Telicia", Paris 1800. Bd. III.

Seite 3. ,


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mäldes „ILe petit fils d'Hercule" nennt die „femmes. de cour" allen übrigen Vertreterinnen der galanten Welt an Salazität überlegen. „A la plus legere apparence leur oeil s'allume, et elles seraient capables de vons arracher — (je ne sais quoi, ou plntöt je le sais bien; mais les livres decents n'admettent point de tout dire)."i)

Oft griffen sich diese Libertinen irgend einen gewöhnlichen Mann auf der Strasse auf ,,pour une p a s s ad e" in irgend einem Bordelle oder Ab- steigequartier.2) So hatte die Kupplerin P r e - V i 1 1 e in ihren späteren Jahren in der rue Maza- rine ein solches Haus, wo die „dames de con- dition viennent faire des passades".^) Die Bor- dellwirtin D u p o n t teilt in einem Briefe vom 5. Juni 1751 der Polizei mit, dass die Frau des Bankiers Lambert ihr den Vorschlag gemacht habe, ihr für ihre „parties secretes" ein Zimmer zur Verfügung zu stellen, worauf sie sich bei ihr mit einem Pfarrer öfter ein Eendezvous ge- geben habe.^)

Ganz wie die Koues unterhielten auch diese Lebedamen ihre Geliebten, ihre männlichen Mai- tressen. Schon 1716 entstand das hierfür be- zeichnende Lied:

Eien n'est plus doux, plus familier, Que nos dames au grand collier,


1) „Le petit fils d'Hercule", 1701. (Paris 1781.) S. 102.

2) Her Gier a. a. 0., S. 72. Les Maisons closes, S. 29.

3) Les Maisons closes, S. 212.

4) ibidem, S. 224.

5*


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Vulgairenient dites princesses ; Elles remuent croupieres et fesses Mieux qu'oncques ne fit la Fillon Et donnent encore pension.i)

Ja, einzelne Frauen gingen so weit in der Nachalimiing ihrer männlichen Vorbilder, dass sie sogar eigene petites maisons für ihre geheimen Vergnügungen besassen ! Ein solche» Lusthaus stand z. B. der Madame de Saint- Julien, jener schon oben erwähnten, auch im derben Tone der Unterhaltung männlichem Ge- schmacke huldigenden Phryne, zur Verfügung, wo sie ihre Geliebten empfing, die den höheren und den niedrigen Schichten der Gesellschaft angehörten.2) Voltaire nennt sie in einem Gedichte zwar ,,assez solide en amitie", aber ,,dans tout le reste un peu legere".^) in einem anderen bemerkt er ironisch, dass sie ihre An- beter gerne das Gebet des heiligen Julian (St. Julien) hersagen lasse.^)

Aus der grossen Zahl vornehmer Frauen, ■ welche diese weibliche Lebewelt repräsentierten, seien hier nur die bekanntesten Namen genannt. Die Sittenpolizei scheint auch diese Damen genau im Auge behalten und ihr Tun und Treiben sorg- fältig überwacht zu haben, nicht um dieses zu inhibieren, sondern um die eigene Neugierde zu

1) ibidem, S. 32.

2) Les Petites Maisons galantes, S. 102.

3) Contes en vers, satires et poesies melees de Vol- taire", Paris 1801. S. 231.

4) ib., S. 232.


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befriedigen und vor allem um daraus das Material für jene pikanten Skandalberichte zu entnehmen, die täglich dem darnach lüsternen Könige Lud- wig XY. vorgelegt wurden.

So erfahren wir aus dem Berichte des Poli- zeiinspektors Marais, dass die Marquise de Pierrecourt das Lusthaus der Kupplerin Erissault für ihre ausserehelichen Liebesaben- teuer benutzte. 1) Ebenderselbe erzählt uns von der Polyandrie der Baronin de Yaxheim, die nacheinander den Herzog von Yilleroy, den Marquis de Prie, die Herren von Cramayel, von Launay zu Geliebten hatte,^) sowie von der Baronin von Burmann, die die Bordelle mit Yorliebe als Absteigequartiere benutzte. Sein SpezialkoUege Meusnier schildert die Erfolge der schönen Baronin Le Blanc, die den Erzbischof von Beauvais, den Herzog von Grammont, Herrn de Bernage und viele andere ihre Gunst gemessen liess.*)

Am meisten leistete die berüchtigte Kupp- lerin Gourdan den Gelüsten der vornehmen Libertinen Yorschub. Sie hatte nämlich ausser ihrem offiziellen Bordell noch ein inoffizielles, ambulatorisches, das man die ,, Legion" der Gourdan nannte und das sich aus den Cho- ristinnen, Statistinnen, Tänzerinnen der Oper und der Comedie Erangaise und aus depravierten

1) Capon „Les Maisons closes'", S. 168.

2) Les petites maisons galantes, S. 33.

3) ibidem, S. 84.

  • ) ibidem, S. 185.


Damen der vornehmen Gesellschaft zusammen- setzte, zu denen z. B. die genannten Madame de Saint - Julien, Saint -Formin, de Fresnay, Beaupre, Beauvoisin u. a. ge- hörten.i)

Madame d'Oppy, die Gattin eines Edel- mannes aus Douai, eine, wie es in einem gleich- zeitigen Berichte heisst, sehr „den Akt der Venus" liebende Dame, besuchte, um ihre sexu- ellen Gelüste zu befriedigen häufig die Bordelle, namentlich diejenigen der Montigny, der Yarenne und der Gourdan. Im Jahre 1775 gelang es aber ihrem argwöhnischen Gatten, sie in flagranti zu ertappen, und zwar in einem der Häuser der Gourdan, wo sie festgenommen und ins Gefängnis geführt wurde, während die drei genannten Kupplerinnen dasselbe Schicksal ereilte. Frau d'O p p y wurde gegen den Einspruch ihres. Gatten nach drei Monaten freigelassen, auch der Gourdan gelang es dank ihren vor- nehmen Verbindungen frei zu kommen, die M o n- tigny und Varenne wurden zu der damals üblichen entehrenden Strafe verurteilt, rück- wärts auf einem Esel durch die Stadt zu reiten, wovor die Montigny sich schliesslich durch Zahlung von 300 000 Livres noch rettete. 2)


1) Theveneau de Morande ,,Le Pliilosophe cy- nique", Paris 1778. S. VI u. 26.

2) „Les Serails de Paris etc.", Paris 1802. (Brüsseler Neudruck.) S. 51 — 53; Correspondance de Metra", Bd. III. S. 169—195; Les Maisons Closes, S. 179—180; S. 200.


Als unersättliche Messaline sjoielt auch die Herzogin von Polignac (1749 — 1793) in un- zähligen Schriften eine EoUe. In vielen Eroticis wird sie als eine Art von Muster hingestellt. So hat sich auch Juliette in der 5,Histoire de Juliette" des Marquis de Sade diese berühmte Libertine als Vorbild für ihre Polyandrie genom- men und zitiert ein derb-zynisches Wort der- selben über ihr ausschweifendes Leben (Histoire de Juliette, Bd. III, S. 284 des Neudrucks). Dieser Polignac hatte man bei einem Balle das Wort ^^Hure" entgegengerufen, was sie ganz wie die Heldinnen d e Sades mit einem wohl- gefälligen Lächeln acceptierte, sie hatte sich in Versailles mit Türken eingelassen, soupierte oft mit Eichelieu und seinen Genossen und spielte als weiblicher Wüstling dieselbe Polle wie jener als männlicher.!)

Aehnlich der Herzogin von Polignac war die Gräfin von E g m o n t , deren Tod, wie Bachaumont sagt, von den Grazien, den Musen und den Göttern der Liebe in gleicher Weise be- trauert wurde. Sie war die Tochter des Herzogs von Eichelieu und Schwester des Herzogs von Fronsac und verleugnete nicht das leiden- schaftliche Blut ihrer Familie, sondern war diesen beiden ebenbürtig in Bezug auf wilde sexuelle Ausschweifungen. „II parait qu'un attrait invin- cible pour le plaisir a abrege les jours de cette


1) Vergl. Virgile Josz „Watteau. Moeurs du XVIIIe siecle", Paris 1903. S. 342—343.


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femme tres voluptueuse," meint Bachau- mont.i)

Nicht selten kam es vor, dass solche galan- ten Frauen aus dem höchsten Stande, wenn sie in Not gerieten, gewöhnliche Bordelldirnen wur- den, welcher Schritt ihnen ja nicht schwer wurde, da sie ja schon in ihren besseren Zeiten oft genug ihre Liebesabenteuer ins Bordell verlegt hatten. So verdiente sich Madame de Senneville im Bordell der Brissault für eine einmalige Hingabe an den Rat Delalive und an den Marquis de Monroy je 10 Louisdors.^)

Oft kamen auch solche Damen bei ihren Ga- lanterien einander ins Gehege. Es gab Eifer- suchtsszenen oder auch zynisch-ironische Bemer- kungen, wie z. B. diejenige, die Bachaumont von einem solchen Eencontre mitteilt : ,,Entre putains nous nous connaissons toutes".^)

1) Anecdotes piquantes, S. 208.

2) Les JVIaisons Closes, S. 163.

3) Anecdotes piquantes, S. 190.


III. Neuere Forschungen über die Lust- häuser (petites maisons) der Vornehmen.

{Literatur, Geschiclite, Sdiilderung' der berühmten Lusthäuser.)

Durch das schon öfter erwähnte, im Jahre 1902 erschienene Werk des jungen Pariser Ge- lehrten G-aston Gapon haben wir, man darf sagen den ersten wirklichen und lebendigen Ein- blick in jene dem Rokoko eigentümliche und für diese galante Zeit so charakteristische Einrich- tung der Lusthäuser bekommen, die sich die vor- nehme französische Gesellschaft ausschliesslich für die Zwecke ihres Vergnügens, für Liebe und Lust und den Genus s von Weib und Wein er- bauen liess. Aus überall verstreuten Quellen, ge- druckten und ungedruckten, hat C a p o n mit an- erkennenswertem Eleisse die Topographie, die äussere und innere Architektur und Ausstattung Tind endlich die Schicksale der petites maisons in erschöpfender Weise dargestellt und so ein für die Kenntnis des Rokoko äusserst schätzbares W^erk geschaffen.!)


1) Leider ist dieses mit 16 schönen Tafeln geschmückte Werk bereits vergriffen, und der ursprüngliche Preis von 10 Francs ist auf 20 — 25 Tr. gestiegen.


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Wertvoll in historischer und literarischer Hinsicht ist auch die von K. Y v e - P 1 e s s i s dem Buche C a p o n s beigegebene Einleitung, die Seite I — XVI einnimmt.

Der Ursprung der petites maisons geht bis auf die Zeit der Eegentschaft zurück, als die ernsten, monumentalen Paläste, die unter Lud- wig XIV. den Zusammenkünften der vornehmen Gesellschaft gedient hatten, dem lebensfrohen, heiteren, genusssüchtigen Sinne der neuen ,,Eoues", dieser Erfindung des Regenten, nicht mehr entsprachen. Man sehnte sich nach einer gefälligeren Einkleidung seiner Liebesabenteuer,, man wollte leichte, sonnige Eindrücke dabei um sich haben. Und so erbauten sich diese im Lande der Venus umhertändelnden Kavaliere hübsche^ kokett im G-rün versteckte, von grossen Gärten umgebene Lusthäuser, wo sie, befreit von den Eesseln der Stadt, Eeste feiern, der Liebe pflegen und tausend Tor- und Tollheiten begehen konn- ten, weshalb man diesen ersten ,, petites maisons"" auch den bezeichnenden Namen ,,folies" beilegte. Die „Eolie-Rambouillet" in der heutigen Eue de Charenton war das berühmteste Lusthaus, wel- ches dieser älteren Epoche angehört.

Bald wurde es Mode, dass jeder Rone oder Petitmaitre, der in der Welt der Galanterie mit- sprechen wollte, sein eigenes Lusthaus, wenn es auch nur ein kleines, eine wirkliche ,,petite'^ maison war, hatte, entweder als Eigentümer oder

1) Capon „Les petites maisons galantes", S. III; S. 2—3 mit Abbildung auf Tafel III.


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auch als Mieter. Diese meist draussen in Wald und Grärten versteckten Villen machten geheime Zusammenkünfte und die Veranstaltung ero- tischer Soupers in ganz besonderem Masse mög- lich. Gewöhnlich begaben sich Damen vom Stande in einfachen Equipagen dorthin, um weniger die Blicke der Gaffer auf sich zu lenken. Der Herr des Hauses kam eben so heimlich hin und das Liebespaar konnte ungestört sein Bei- sammensein gemessen. Höchstens waren das Kammerkätzchen von Madame oder der Diener von Monseigneur die Vertrauten dieses zärtlichen Geheimnisses. Das waren die noch halbwegs an- ständigen Eendezvous in den petites maisons. Oefter vereinigten sich in denselben mehrere Herren und Damen zu einer mehr priapischen Orgie, wo man alle Scham verbannte und sich in der schmutzigsten Unzucht wälzte, häufig in adamitischem Kostüm und unter dem Einflüsse des Alkohols. Eine Spezialität der Lusthäuser bildeten die vom Herzog von Eichelieu ein- geführten ,,petits Soupers", von denen weiter unten in anderem Zusammenhang die Eede sein wird.

Den Besitz einer petite maison konnte sich nur ein sehr wohlhabender Mann leisten, wes- halb ein ingeniöser Finanzpolitiker, der Abbe C o y e r , den Vorschlag machte, die Steuern dar- nach zu bemessen. Er meinte, dass man als Be- sitzer eines gewöhnlichen Hauses (grande mai- son) 30 000 Livres Rente haben müsse, als sol- cher eines Lusthauses (petite maison) aber


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100 000. Denn dieses sei gewöhnlich ,,un azile de plaisir et d'abondance". Deshalb müsse man es besonders besteuern. Er berechnete dann diese Steuer in scharfsinniger Weise aus der Zahl der wöchentlich in einem solchen Lusthause verkeh- renden Frauen I^)

Yve-Plessis führt vier literarische Doku- mente über die petites maisons aus dem 18. Jahr- hundert an. Das erste ist ein Lustspiel des Präsi- denten Henault, „La Petite Maison" (Paris 1749 mit schönem Bilde von Eisen). Der Ver- fasser führt uns in das Lusthaus eines gewissen Valere, der das Vertrauen seines Freundes Cli- tandre mit der koketten Cidalise, der Maitresse des letzteren täuscht. Auch Julie, die verlassene Geliebte des Clitandre, spielt eine Polle in dem Stücke, welches uns einen Einblick in das Trei- ben in den petites maisons gewährt.

In den 1763 erschienenen „Contes moraux" des J. F. Bastide findet sich eine Erzählung ,,La Petite Maison" mit folgendem Inhalt : Tremi- cour besitzt am Ufer der Seine ein herrliches Lusthaus. Er zeigt dieses eines Tages seiner Freundin Melite, in der nicht unberechtigten Hoffnung, dadurch leichter die Tugend einer schönen Frau zu besiegen, wenn man sie an einen Ort führt, wo alles auf Wollust deutet. Die bos- hafte Melite errät diese Absicht, geht scheinbar •darauf ein und bittet, dass er ihr alle Einzel-


1) J. C o y e r ,,Decouverte de la pierre pliilosophale", Paris 1748. S. 9.


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heiten erkläre, indem sie vor den Intimitäten der Wohnung ein leidenschaftliches Vergnügen heu- chelt. So lernen wir genau das reiche Inventar einer petite maison, in Bezug auf Architektur, Malerei, Skulptur, Möbel und Nippsachen kennen.

In den „Contes de l'abbe de Colibri" von Cailhava (1771) wird ein Souper in einer petite maison beschrieben, auch das Innere des letz- teren geschildert. ,, Jedes Stück Möbel atmet Wollust; man fühlt beim Betreten dieses ent- zückenden Ortes, dass er der Tempel des Genusses ist und man wird von der Begierde verzehrt, darin zu opfern, sollte man auch selbst das Opfer sein."

Das vierte literarische Produkt über die Lust- häuser stammt von Merard de Saint -Just und führt den Titel: ,, Oeuvres de la Marquise de Palmareze. L'Esprit des moeurs du XVIIIe siecle ou la Petite Maison, proverbe en 2 actes et en prose. Traduit du Congo. II fut represente ä la cour du Congo et il devoit l'etre en 177G le jeudi de la premiere semaine de Careme sur le theätre de Mlle. Guimard, s'il en faut croire le manuscrit trouve ä la Bastille, le 15 juillet de 1789, nie edition."

Die Marquise von Palmareze benutzt die petite maison ihres Liebhabers, des Präsidenten de Guibraville, um dort mit anderen Männern der Liebe zu pflegen. Dabei wird sie vom Präsi- denten überrascht, der in Begleitung von Stutzern und Opernmädchen erscheint. Nach einer pro


forma erfolgten Abbitte, lässt sich die vornehme Dame dazu herab, sich an der nun folgenden ge- meinschaftlichen Orgie zu beteiligen, als plötz- lich ihr Gatte, der Marquis von Palmareze ein- tritt und sie verhaften lässt.

Auch de S a d e erwähnt öfter die petites mai- sons in seinen Komanen. In ,,Aline et Valcour (I, 152) haben der Präsident de Blamont und sein Freund Dolbourg ein Lusthaus zu gemeinschaft- lichem Gebrauche, in der Nähe des Montmartre, wo sie dreimal in der Woche dinieren ent- sprechend den drei Soupers in einem zweiten, eben- falls ihnen gehörigen Lusthause. Auch befindet sich im ersteren ein Harem von zwölf kleinen Mädchen.

Die vier Helden in dem von mir neuerdings aufgefundenen, bisher unveröffentlichten Komane de Sa des ,,Les 120 journees de Sodome ou l'Ecole du Libertinage" (vergl. über denselben weiter unten) haben in den vier verschiedenen Himmelsrichtungen von Paris vier Lusthäuser, in denen die Orgien gefeiert werden.

Uebrigens beschränkte sich die Sitte der petites maisons durchaus nicht auf Paris, son- dern fand auch in der Provinz Nachahmung. So wird in einem seltenen erotischen Komane ,, Venus en Eut ou Vie d'une celebre Libertine (Luxur- ville = Paris 1790 Bd. II S. 35—37) ein solches Lusthaus ,,Bellevue" bei Lyon beschrieben, mit seinen „meubles voluptueux, decoration bril- lante, jardins soignes", und vor allem einem den


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erotischen Genüssen dienenden herrlichen Spie- gelzimmer. i)

Capon hat in seinem Werke fast alle Pariser Liisthäuser des 18. Jahrhunderts zusam- mengestellt und so der Vergessenheit entrissen, indem er, gestützt auf alte Dokumente und Bau- berichte in systematischer Weise die einzelnen Stadtteile und Strassen von Paris durchging, so dass wir über die topographische Verteilung der petites maisons die genauesten Nachrichten er- halten.

An dieser Stelle sollen nur einige der be- rühmtesten petites maisons, die in der franzö- sischen Sittengeschichte des 18. Jahrhunderts eine EoUe gespielt haben, genannt werden.

In der rue de Montreuil erhob sich „Titon- ville" oder ,,rolie-Titon, ein dem Maximilian T i t o n gehörendes grosses und prachtvolles Lust- haus, das durch hervorragende Künstler, wie C o- lignon, Fontenay-Lafosse, Kousseau,

1) jjCe joli reduit," heisst es von diesem „cabinet de glaces", ..plus grand qu'un boudoir ordinaire, est entoure d'un lit ä la turque qui laisse entre lui et le mur, une distance d'un pied; ce mur est couvert de glaces galamment peintes, en quelques endroits ; cet Intervalle est pratique afin qu'on puisse tourner autour et former des groupes. Le matelat de ce lit, peu eleve, etait de satin puce. II y avait au milieu de la piece une sorte de toilette, basse aussi, pour ne pas borner le coup-d'oeil des acteurs : sur cet autel de la sensualite etaient les parfums les plus agreables : les uns brulaient dans une grande cassolette, les autres en pätes, en eaux, en pomades- etaient dans de tres-jolis vases de cristal ou de porcelaine. Une porte de glace s'ouvrait ä volonte, et on entrait dans une garde-robe, oü on trouvait ce qui peut etre necessaire aux ablutions."


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Jouvenet, den älteren Boulogne, Poerson reich ausgeschmückt wurde. Der Nachkomme des ersten Besitzers, Titon du Tillet lebte nach Barbier^) hier in einer beständigen Unzucht mit Mädchen, die alle Tage mit ihm speisten. Er hatte auch ein Theater hier eingerichtet, auf dem die Ballettänzerin Fräulein Leclair ent- zückende Tänze aufführte. 2) Später fanden in dem zu Titonville gehörenden Garten die ersten Versuche mit der Mongolfiere statt. Am 21. Ok- tober 1783 erhob sich der kühne erste Pionier der Luftschiffahrt, Pilätre de Bozier, 300 Fuss hoch in die Lüfte. Beim Beginne der Revo- lution, am 28. April 1789, wurde das Haus ge- plündert, die Möbel zerschlagen und ein Teil des Gebäudes in Brand gesteckt.*)

In der rue des Amandiers No. 28 waren noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Reste der „Folie-Genlis" sichtbar, welches Lusthaus, bevor es in den Besitz des Herrn von Genlis über- ging, von dem Prinzen von Carignan mit Skulp- turen und Gemälden herrlich ausgeschmückt wor- den war. Auch ein kleiner griechischer Tempel mit Statuen war dabei. Hier führten später Herr und Frau von Genlis ein sonderbares Leben. Er verbrachte jede Nacht hier mit seinen zahl-


1) Journal de Barbier, Paris 1866. Bei. IV. S. 259.

2) Girant de S a i n t - P a r g e a u ,,Dictiomiaire geo- graphique de la France", Paris 1847. Bd. III. S. 250.

3) Tournon de la Chapelle „La, vie et les me- moires de Pilätre de Kozier", Paris 1786. S. 29.

4) V orgl. Capon a. a. O., S. 18—19.


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reichen Geliebten/) sie trieb ab und zu allerlei Kurzweil in einem nahe gelegenen Nonnenkloster oder führte auch die ihrer Erziehung anvertrauten Prinzen von Orleans in dieses Lusthaus, von wo aus sie ebenfalls sich unter ihrer Führung bei den Nonnen einschlichen.^)

Eines der schönsten Lusthäuser war auch der Pavillon de la Bouxiere in der rue de Clichy, Eigentum des gleichnamigen Generalpächters. Dies Gebäude war von dem Architekten des Königs Charpentier in römisch - ionischem Stile erbaut worden, mit herrlicher Säulenfassade, prachtvollem Entree und Treppenauf gang. 3) In dem ersten Stockwerk war ein einziger Glanz von Skulpturen, Malereien und Vergoldungen ; ein grosser kreisrunder Saal, der ,,salon d'ete" war ganz mit Marmor ausgekleidet und mit acht ko- rinthischen Säulen mit bronzierten Kapitälen herrlich geschmückt. Dann kam man in das acht- eckige ,, italienische" Zimmer, das rechts auf das Schlafzimmer, links auf den „salon d'hiver" ging. Dahinter lag ein runder Saal, der ,, salon de stuc". Aus dem „salon d'ete" führten fünf prachtvolle Glastüren auf einen die ganze Breite des Gebäu- des einnehmenden Balkon, von dem aus man über Bosketts und mit Blumenkörben besetzte Easen- plätze hinweg ganz Paris überschauen konnte. Im


1) Journal des inspecteurs de M. de Sartines, Paris 1863. S. 62, 280, 298.

2) L e f e u V e ,,Les anciens maisons de Paris", 1858. Bd. I. S. 337.

3) T h i e r r y „Le Voyageur ä Paris", 1781. Bd. I. S. 141.

Döhren, Neue Forschungen über de Sade. Q


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Garten erhob sich inmitten herrlicher Alleen eine von zwölf in Form von Arkaden angeordneten Linden umgebene Statue des Apollo. Etwas weiter zurück bildeten siebenundzwanzig solche Bäume eine grosse Eotunde. Im Bassin der Orangerie stand eine Andromeda-Statue, und am Ende des Gartens verlor der Spaziergänger sich in die schattige Wildnis eines Wäldchens.

Dieses Meisterwerk der Bau- und Garten- kunst wurde allgemein bewundert. Der König und die Prinzen kamen oft dorthin. Aber nicht minder empfing der weiberfrohe Besitzer die sämtlichen Insassinnen des Bordelles der H e c - quet, die sich hier nach Herzenslust umher- tummelten.i)

Bis zum Anfange des 19. Jahrhunderts diente dieses herrliche Lusthaus seinem ursprünglichen Zwecke, dann wurde es nach dem Tode seines letzten Eigentümers, des Grafen de Greffulhe in ein öffentliches Vergnügungslokal umgewan- delt, „Tivoli" genannt. 2)

Von ähnlicher Pracht war die petite maison der Tänzerin Guimard in der Chaussee d' Antin, der sogenannte ,, Tempel der Terpsichore", über dessen aus vier Säulen gebildetem Eingange die von Apollo gekrönte Terpsichore schwebte. Hinter diesen Säulen stellten Bas-Keliefs den Triumph der auf einem von iVmoretten gezogenen Wagen sitzenden Muse des Tanzes dar, die von

1) Capon a. a. O., S. 87—88.

2) Vergl. den Artikel ,,Les Tivolis" im „Bulletin de la Societe du Vieux-Montmartre", 1er semestre 1901.


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Bacchant innen und Faunen umgeben und von den Grazien der Tanzkunst begleitet war.i) lieber der Eingangstür befand sich ein hübsches Theater, dessen Plafond von dem Hofmaler Taravel gemalt war. Es hatte ein Parterre, offene und verdeckte Logen und fasste nicht weniger als 500 Personen. Die übrigen Zimmer waren sehr galant und reich eingerichtet. Es waren ein Schlafzimmer, ein Salon für das Ver- gnügen und ein Speisesaal, in dem zwei Wasser- bassins mit Najaden Frische und Kühle verbrei- teten. Auch der kleine G-arten hatte sein beson- deres Gepräge.

Ein anderes berühmtes Lusthaus, das vor 1789 den Sammelpunkt der jungen, reichen und glänzenden Hof-, Militär- und Finanzwelt bildete, war dasjenige der in den Annalen der Galanterie eine so grosse Polle spielenden MUe. Düthe, einer Courtisane von Fach. Sie hatte sich dieses kokette Häuschen für alle Schliche und Zwecke versteckter Liebe einrichten lassen. Es enthielt alle möglichen mysteriösen Winkel, dunklen Wan- delgänge, geheimen Ausgänge und verborgenen Treppen. Hier erteilte die in der Ars amandi er- fahrene Lehrmeisterin dem jungen Herzog von Chartres die ersten Lektionen. Mit beson- derer Vorliebe zeigte sich Fräulein Kos alle Düthe auf dem auf den Boulevard gehenden Balkon dieses in der rue Basse du Eempart ge- legenen Hauses, wo man sie fast täglicn sehen

1) Thierry Guide des amateurs'*, Paris 1787. Bd. I. Seite 147.


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konnte, auf einem kleinen Sofa sitzend und den elegant beschuhten Fuss auf ein Tabouret aus- streckend, oder auch auf ihren Arm sich stützend, in weicher, hingegebener Haltung. So bezauberte sie die Männer, die sich wie Herr von Genlis- für sie ruinierten, und hatte einen männlichen Harem um sich wie der Prinz von Soubise einen weiblichen. 1)

Besonders sehenswert wegen des Gartens war die in der rue de la Rochefoucauld gelegene 23etite maison des Grafen von Yatteville. Dieser Garten war ein bezauberndes Idyll von Statuen, Bosketts, Waldpartien, Terrassen. Der Salon in der ersten Etage war mit den herrlich- sten imd kostbarsten Möbeln ausgestattet, feen- haft erleuchtet, welcher Glanz durch grünseidene Vorhänge gemildert wurde, so dass der Blick mit Ruhe auf marmornen Konsolen und antiken Vasen verweilen konnte. Eine ebensolche verschwende- rische Pracht bot der Speisesaal dar. In dem mit Chinapapier tapezierten Toilettenzimmer be- fanden sich alle notwendigen Utensilien für die ,,ablutions intimes". 2)

Camilla Veronese, eine anmutige, aber sehr galante Schauspielerin am Theätre Italien besass in der rue Royale (heutigen rue Pigalle) ein niedliches Lusthaus mit dazu gehörigem Garten. Der nach dem letzteren hin gelegene Salon war mit Sofas, mit rot-weissen FauteuilSy

1) Capon a. a. 0., S. 108—109. Vergl. das Bild der D u t h e ebendas. Tafel X.

2) Capon a. a. 0., S. 78—79.


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grossen Spiegeln mit vergoldeten Trumeaux aus- gestattet, das Boudoir ganz in dem koketten und graziösen Stile Louis XY. ausgeschmückt.

Hier überliess sich Camilla allen Keizen eines leichtfertigen Lebens, gab herrliche Feste imd petits soupers, an denen die berüchtigsten Libertins teilnahmen. Die Freude war aber nur kurz, schon nach einem Jahre starb die Eigen- tümerin im Alter von 33 Jahren. Man erklärte ihren Tod aus ,,den Folgen eines zu wollüstigen Lebens, wie es häufig diesen Damen begegnet, die das Leben kurz, aber gut haben wollen. "i)

Neben diesen Lusthäusern der vornehmen und galanten Welt, von denen nur einige beson- ders bekannte genannt werden konnten, gab es auch sehr hübsche petites maisons, die den Zwecken einer ausgedehnteren Prostitution dien- ten, die in ihrer Eigenschaft als Eendezvousorte für zahlreiche Personen geradezu als Filialen der fashionablen Bordelle bezeichnet werden können.

Solcher Art war das ,,Cabaret Magny", an der Ecke der rue de Clichy und der rue St. La- zare, bestehend aus Haus, Pavillon und Garten, da wo heute der Platz der Trinite-Kirche ist. Der grosse Garten enthielt in dichten Gebüschen ver- borgen lauschige und geheimnisvolle Winkel für Liebespärchen. Die Zimmer des Pavillons waren sehr sorgfältig für galante tete-ä-tetes und Sou- pers eingerichtet. Die Zuvorkommenheit und Verschwiegenheit des Besitzers Magny führten


1) ibidem, S. 71.


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ilim viele reiche Finanziers und Kentiers zu, die einen diskreten Ort für ihre galanten Abenteuer suchten. Auch viele Ausländer kamen dorthin^ In den Berichten des Polizeileutnants Marais kommen diese galanten Intrigen im Cabaret Magny häufig vor. Eine noch geheimere Klientel dieses Lusthauses war die Geistlichkeit, die allerdings öfter von dem Polizeipräf ekten d e Sartines bei ihren unpriesterlichen HandluhT gen überrascht wurde. ' - f:.';!

Auch die Inhaberinnen der eleganteren Bbr^ delle verfügten gewöhnlich über eine petite mai- son als Dependance ihres grösseren Hauses. So hatte die Brissault ein solches an der Bar- riere Blanche, das sie vornehmen Herren und Damen für heimliche Zusammenkünfte zur Ver-^ fügung stellte. 2) In einem Briefe der Bordell- wirtin F i 1 1 o n , die ebenfalls ein solches Lust- liaus besass, an einen Baron heisst es : ,,Ich muss. Ihnen noch den Ort des Kendezvous mitteilen. Es ist in meiner petite maison des Carrieres. Ich werde Sorge dafür tragen, dass Sie daselbst ein galantes Souper vorfinden. Ein einziger Diener, der weder Sie noch die Dame kennt, wird alles besorgen. Morgen wird sich die Gräfin bei einbrechender Dämmerung dahin begeben. Sie werden mit dieser Anordnung zufrieden sein, allein ich bin noch mehr Ihre Freundin als Sie denken. Die Gräfin, so liebenswürdig sie auch ist, kann Ihr Bedürfnis nach Vergnügen nicht

1) ibidem, S. 92—93.

-) Capon ,,Les Maisons Closes", S. 167; 8. 169.


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allein befriedigen. Ich kenne sie. Zuerst ist sie ganz Hingebung und Wollust, dann wird sie in- dolent und gleichgültig. Nach Tische muss sie sich zurückziehen, und Sie können sie nicht be- gleiten, ohne sie blosszustellen. Was werden Sie nach ihrem Fortgange tun? Werden Sie voll von Wünschen allein in der petite maison sich zur Euhe begeben? Das hiesse Ihnen einen hässlichen Streich spielen.

Bewundern Sie daher meinen Eifer für Sie. Ich werde Anordnungen treffen, dass Sie nicht lange allein bleiben. Eine junge Person wird die G-räfin ersetzen. Da sie lebhaft und geistreich ist, können Sie die Unterhaltung mit ihr so weit führen wie es Ihnen gefällt. Ich werde Sie am folgenden Tage beim Frühstück darnach fragen. Leben Sie wohl. Wieviel Erkenntlichkeit schul- den Sie mir

Dieser Brief gibt uns in der Tat eine sehr anschauliche Vorstellung von dem Treiben in diesen zu den Bordellen gehörigen Lusthäusern.

1) Coustellier ,,Lettres de la Eilion", Paris 1750. Seite 30.


IV. Zur Geschichte der Prostitution im 18. Jahrhundert.

(Kupplerinnen und Kuppler, Kekrutierung der Bordelle, Mädchenhandel, allgemeines über Bordellwesen, Zuhälter, Einrichtung der Bordelle, die offiziellen Bordellberichte, berühmte Bordelle, Bordellspezialitäten, öffentliche Liebes- börsen und galante Promenaden, heimliche Prostitution und geheime sexuelle Klubs, polizeiliche Verhältnisse der Prosti- tution und Magdalenenhäuser),

Der Verfasser der „Sitten von Paris" erwähnt als eine charakteristische Tatsache die grosse Zahl der Personen, die dort von der Liebe und was damit zusammenhängt, ihren Lebensunter- halt fristen.i)

Das Kuppeleiwesen erreichte in der Tat in jener Zeit eine ganz erstaunliche Entwicklung, da nicht bloss die alten gewerbsmässigen Kupple- rinnen daran beteiligt waren, sondern Personen aus allen Berufen und Ständen, männliche und weibliche, gelegentlich die Kuppelei und Ver- führung zur Unzucht als willkommenenen Neben- erwerb betrieben.

Die eigentlichen Kupplerinnen von Beruf waren meist gleichzeitig die Inhaberinnen der

1) ,,Die Sitten von Paris", Gotha 1750. Vorrede S. IV.


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-Bordelle, beschränkten aber ihre Tätigkeit durch- aus nicht auf diese niedere Sphäre, sondern spiel- ten eine sehr aktive Rolle bei den galanten In- trigen der vornehmen Welt, die fast ausschliess- lich durch sie vermittelt wurden. Sie lieferten JFrauen aus allen Kreisen, unterhielten in allen •Gegenden A^'erbindungen. Die in dem Eomane ^, Venus en rut" (S. 46) vorkommende Kupplerin Thibaut ist ,, nicht nur in ganz Frankreich,

Sondern auch in einem Teile Europas bekannt".

Sie erklärt: ,,Was es nur Schönes an galanten Frauen gibt, habe ich immer vorrätig. Wenn ich v^ill, habe ich die hübschesten Bürgermädchen, 'ohne zu prahlen, oft genug vornehme Damen. Bei mir verkehren nur Männer der besseren Ge- -sellschaft : Prälaten, Lords, Magistratspersonen, Offiziere, Generäle, reiche Kaufleute". Die Rich- tigkeit dieser Behauptung geht aus den Forsch- Aingen C a p o n s über die Dienste der Kupple- rinnen zur Genüge hervor.

Aber auch Männer wandten sich gelegent- lich diesem fragwürdigen Berufszweige zu. So war der Türhüter des Gouverneurs des Palais - iRoyal ein unter den vornehmen Lebemännern

sehr bekannter Kuppler. Er kannte alle der Un-

-zucht ergebenen Frauen und Mädchen und wusste sie herbeizuschaffen. Gewöhnlich waren die von ihm im Palais -Royal bewohnten Räume auch der «Ort der ,,assez jolies parties" dieser Mädchen mit ihren Liebhabern.


1) Capon ,,Les Maisons Closes au XYIII c siecle", S 112—113.


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Der berüchtigste Kuppler war der Schneider B r i s s a u 1 1. Er hatte zwei Häuser, das eine im freien Felde an der Barriere Blanche, das andere in der Stadt in der rue Tire-Boudin, gegenüber dem kleinen Ausgange der Comedie Frangaise.. Zu ihm kamen die Mädchen jäger, die Edelleute,. Stutzer, Libertins und Eoues, um die oder die- Schönheit zu besitzen. Er allein verstand es, sick eine gefällige Miene zu geben, sich bei den femmes ä la mode Eingang zu verschaffen und ihnen den Wunsch einzuflössen, sich einige Louisdor mehr zu ihrer gewöhnlichen Rente hin- zuzuverdienen.

Anfangs 1762 berichtete der Polizeiinspektor Marals, dass ,,die Herren so knapp an Geld seien, dass die hübschesten Mädchen sich in dem Absteigequartier des Brissault einfänden und ihn um seine Vermittelung bäten."i)

M a r a i s bezeichnet Brissault in seinen. Berichten als ,,le plus habile, mais aussi le plus fourbe courtier d'amour de l'epoque.^)

Dieser Mann war keineswegs unempfindlich, gegen die Reize seiner menschlichen Ware. So' verliebte er sich einmal sterblich in seine schönste Pensionärin", Fräulein Dangeville und wollte sie, die Geliebte von Marquis und anderen vornehmen Männern, für sich allein haben, wes- halb er sie in einer besonderen Wohnung unter-^ brachte. Diese aber lief zur Polizei, und Marais- erzählt in seinem Berichte: ,,Das Mädchen kam

1) ibidem, S. 1G2. ■

2) ibidem, S. 164.


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in Tränen zu mir, um mich um Kat zu fragen und mir mitzuteilen, dass B r i s s a u 1 1 in sie ver- liebt sei und Gunstbezeugungen von ihr verlange, die sie zur Verzweiflung brächten. Zweimal hätte sie dieselben schon gewähren müssen, aber dieser Wunsch flösse ihr Abscheu ein, da er ebenso ab- stossend wie hässlich sei."i)

Eine noch eigentümlichere Erscheinung war das Auftreten eines — Augustinerpaters als Kuppler. Dies war Pere E ab r e , der im geheimen einen flotten Handel mit Mädchen betrieb, wo- von ein Beispiel erzählt werden möge, um die Art des Vorgehens dieses würdigen G-eistlichen zu illustrieren.

Als er einmal erfahren hatte, dass die Witwe B o i s s e 1 e t eine hübsche Tochter, eine Spitzen- macherin, besässe, führte er sich unter dem Vor- wande der Empfehlung einer Dame bei ihnen ein und. gab als Grund seines Besuches an, dass er ihnen sehr viel Verdienst verschaffen könne. Wenn sie ihn wünschten, hätten sie sich nur für den folgenden Tag, Donnerstag, den 6. August 1761, bereit zu halten. Er würde ihnen dann einen Brief an den Marquis de Pertuis in der rue Saint-Louis-au-Marais mitgeben.

Am folgenden Tage kam der Pater um 7 Uhr morgens im Eiaker zu ihnen und erbot sich, da die Mutter noch zu tun hatte, selbst das Töchter- chen hinzuführen und Herrn de Pertuis vor- zustellen. So fuhr denn das junge Mädchen allein


1) ibidem, S. 164.


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mit dem Geistliclien zu dem Marquis, vor dessen Hause der Pa;ter eine dringende Abhaltung vor- schützte und das junge Mädchen bat, allein, nur versehen mit seinem ,, Empfehlungsschreiben" •dem Herrn Marquis seine Aufwartung zu machen. Als ihr dieser letztere aber bald so unzweideutige Beweise seiner wirklichen Absichten gab, er- kannte sie, in welche Falle sie geraten war, und •entging derselben glücklich nach einer ziemlich heftigen Auseinandersetzung mit dem Wüstling, der diese Keuschheit gar nicht begreifen konnte.

M a r a i s , der dies berichtet, fügt hinzu, dass •der Mönch bei dieser ,,traite des blanches" sehr viel verdiene und bereits die Eifersucht des Erissanlt erregt habe.i)

Erschreckend und bezeichnend für diese Epoche der Korruption ist auch die Tatsache, dass oft die nächsten Anverwandten der jungen Mädchen diese verkuppelten und einem Leben der Unzucht zuführten. Bekannt ist ja vor allem, wie der grosse Weiberbedarf des Königs Lud- wig XV. einen wahren Wetteifer französischer Eltern herbeiführte, ihren Töchtern zu der grossen Ehre einer ,,maitresse du roi" zu verhelfen. Es sei hier nur an die Geschichte des Fräulein K o m a n erinnert, in der auch Casanova eine Eolle als Kuppler spielt.

Barthold erzählt: ,,Im Heimatlande des Kitters ohne Furcht und Tadel ist es nicht „der -Scharlach des französischen Adels", dessen Ver-


1) ibidem, S. 171


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sunkenheit Casanova uns anschaulich macht, son- dern wir erfahren an einem Beispiele, welches. Ludwigs XV. Privatleben in einer bisher unbe- kannten Partie beleuchtet, wie das Grift auch den ehrbaren Bürgerstand der Provinz durch- drungen hatte. So sicher konnte der Chevalier de Seingalt auf den lüsternen Gaumen des Sul- tans rechnen, dessen Kennerschaft kein ,, Königs- bissen" in seiner Nähe entging; und so untrüg- lich waren die Schlüsse des Italieners auf fran- zösische Weiberherzen, dass er es wagen durfte, einem jungen, noch unverführten Mädchen, so- wie dessen nächsten Angehörigen die Nativität zu stellen: das schöne Kind würde, ginge es vor- dem achtzehnten Jahre nach Paris, die Geliebte- des Königs werden, und, überhäuft mit Keich- tümern, einen Sohn zu fürstlichen Ehren, einen zweiten Duc de Maine, gebären. Herr Morin, Ad- vokat, und seine Gattin ermassen in dieser frechen Vorherbestimmung das neidenswerte^ übers chwängliche Glück ihrer Nichte ; diese- selbst, Mademoiselle Roman-Coupier, nahm mit einem Freudenschauer die hohe Berufung auf und war nur um die Mittel verlegen, bei ihrer Armut die Wege des Schicksals anzutreten. Grossmütig half der Prophet, diesmal uneigennütziger als je, mit seinem Golde ; Mademoiselle Roman reiste- im nächsten Winter im gläubigsten Vertrauen zu einer Tante nach der Hauptstadt, und stand bald auf dem Gipfel ihrer jungfräulichen Wünsche !"0

1) Barth old a. a. O., Bd. II. S. 167—168. Vergl.


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Ausserordentlich gross war in Paris die Zahl der Mütter, die ihre Töchter verkuppelten, meist ^uf offener Strasse. Wo die galante Welt prome- nierte, da konnte man auch diese unnatürlichen Frauen sehen, die ihre Töchter, oft noch in recht jugendlichem Alter, schamlos anboten und trotz «der scharfen polizeilichen Ueberwachung recht häufig ihr Ziel, die Kinder als hauptsächliches Mittel des G-eldgewinnes zu benutzen, erreichten.

Es hat sich über das Treiben einer gewissen E i c a r d ein Bericht an den Polizeipräf ekten H e r a u 1 1 erhalten, der ein grelles Licht auf diese Zustände wirft. Der Polizist Guillotte berichtet :

,,Seit ungefähr sechs Monaten beobachtete ich auf dem Pferdemarkte eine Frau, ein junges Mädchen und einen Mann. Die Frau hat mich heute angesprochen, als ich mit einem Freunde hinter der Mauer der Salpetriere promenierte. Sie erzählte mir, dass sie Kicard heisse und dass das junge Mädchen ihre 17 jährige Tochter ^ei. Die Tochter unterhielt sich unterdessen allein mit meinem Freunde, während der Mann, der Vater dieses Mädchens, einige Schritte vor uns ging.

Nachdem sie mir die Kelze ihrer Tochter auf- .gezählt und ihre grosse Jugend gepriesen hatte, erzählte sie mir, dass Herr E e n ar d , der Direktor der Münze ihr 900 Livres für die Jungfrauschaft

ferner E. und J. de G o n c o u r t ,,Mademoiselle de Ro- mans" in : ,,Port.raits intimes du XVIII e siecle", Paris 1903. ^. 257—264.


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derselben habe geben wollen, dass diese Summe ihr und ihrem Gratten genehm sei, dass aber ihre Tochter dem Herrn Eenard diese G-unst nicht hätte gewähren wollen, da er zu hässlich sei — so hätte er sich mit einigen Liebkosungen begnügen müssen."

Die Frau machte dann dem Guillotte das- selbe schamlose Anerbieten, auf das dieser schein- bar einging, wobei die Eeize der Jungfrau von der Mutter mit zynischer Ausführlichkeit ge- schildert wurden. Endlich erhielt der Polizist den folgenden geschriebenen und vom Vater unterzeichneten Kontrakt, der noch heute in der JBibliothek des Arsenal unter der Bezeichnung Dossier Kicard" als merkwürdiges sittenge- schichtliches Dokument aus dieser Zeit aufbe- wahrt wird.

Dieser Vertrag lautet :

,,Wir Unterzeichnete, Frangois Kicard und seine Frau Perrine Eicard geborene Boette, ver- sprechen dem Herrn Frangois Jacques Guillotte, ihn nicht wegen der Kinder zu behelligen, die er von unserer jüngeren 18 jährigen Tochter Marie Anna Eicard haben könnte, und willigen ein, dass er mit ihr verkehre als wenn sie seine Frau wäre, vorausgesetzt, dass er vorher 300 Livres zahlt, ihr den Unterhalt gibt und ebenso uns, die wir schon bejahrt sind, nämlich beide 62 Jahre alt, und dass er sich auch der Kinder, die er von unserer Tochter haben wird, annimmt. Geschehen zu Paris mit unserer gemeinschaftlichen Zu- stimmung, am 13. Mai 1729."


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Dieser Vertrag wurde dem Polizeipräfektei^ H e r a u 1 1 übergeben, und am 20. Mai wurde das- würdige Paar verhaftet, blieb aber nur kurze Zeit im Grefängnis, da solche sehr häufig vorkommen- den Fälle mit grosser Nachsicht behandelt wurden. 1)

Wenn die Kupplerinnen auf Mädchen stiessen, die sich durch besondere Schönheit aus- zeichneten, pflegten sie nicht selten, wie schon oben erwähnt wurde, den Versuch zu machen, sie dem Könige vor Augen zu bringen, um auf diese Weise den Kupplersold bedeutend zu er- höhen. So empfing eines Tages die Kupplerin La B r e z e in der rue Saint-Anne den Besuch eines Fräulein Marie Dascher, deren sie be- gleitende Mutter den Wunsch aussprach, sie möge für ihre Tochter irgend einen hohen Herrn ausfindig machen. Die B r e z e fand, dass das Mädchen schön genug sei, um Ludwig XV. vorgeführt zu werden. In der Tat reisten Mutter und Tochter nach Versailles, die Tochter in nor- männischer Tracht höchst galant herausgeputzt^ um dem Monarchen aufzufallen. Sie promenierten lange in der Galerie. Endlich schien das Geschick ihnen günstig zu sein. Seine Majestät bemerkte- sie, aber ach ! schenkte den sorgsam zur Schau gestellten Keizen des jungen Mädchens keiner- lei Aufmerksamkeit. Indessen war sie bald von mehreren Adeligen umgeben, unter diesen befand sich auch der Marquis de Villeroy ,,qui ä ce


1) Capon „Les Maisons Closes", S. 235—238.


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que Ton croit fit une passe avec eile". Kurz, Fräulein D a s c Ii e r kehrte in Bezug auf den König enttäuscht von Versailles zurück und musste sich mit den gewöhnlichen Kunden der B r e z e begnügen.^)

Eine grandios-schauerliche Schilderung des gewissenlosen Treibens der männlichen und weib- lichen Kuppler, die in erschöpfender Weise alle Beziehungen dieses schrecklichen Berufes vor- führt, findet sich in dem wieder aufgefundenen, bisher unveröffentlichten Romane des Marquis de Sade „Die 120 Tage von Sodom", wo 16 Kupplerinnen ganz Frankreich bereisen, um die unglücklichen Objekte der Gelüste der vier Wüst- linge herbeizuschaffen, während eine siebzehnte ihr schändliches Metier in Paris ausübt. Ihnen entsprechen 17 männliche Kuppler als ,,agents de Sodomie". Wir werden später bei den Aus- führungen über die Päderastie im 18. Jahrhundert sehen, dass auch die Knaben-Verkuppelung da- mals schwunghaft betrieben wurde.


Das Bordellwesen hat wohl niemals eine so raffinierte und bis ins einzelne geregelte Aus- bildung erfahren wie im 18. Jahrhundert, wo der Epikuräismus im Bunde mit der schöngeistigen Richtung alle Annehmlichkeiten des Salons von diesen Stätten der Lust verlangte. Je mehr


1) ibidem, S. 240.

Dühren, Neue Forschungen über de Sad-


7


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Einzelheiten durch die neueren Forschungen über das französische Bordellwesen in dieser Zeit auf- gedeckt werden, desto mehr erstaunt man über das einheitliche Ineinandergreifen so vieler kom- plizierter Faktoren, die aber alle auf das eine Ziel hinarbeiteten, Cytherens Pfade für den be- sonders schön zu bekränzen und zu ebnen, der das meiste G-old ausschüttend sie betrat.

Die Rekrutierung der Bordelle erfolgte in möglichst mannigfaltiger Weise. Es gab „filles de lamaison", die ständig im Hause waren und ,,filles et ränge res", die ausser- halb des Bordelles w^ohnend, mit diesem in stän- digem Connex waren und auf besonderen Wunsch des Klienten schnell herbeigeholt werden konn- ten (vergl. de Sade ,,Les 120 journees de So- dome" Manuscript, 12e journee).

Neben Französinnen waren alle romanischen Völker in den Bordellen vertreten, von den ger- manischen am häufigsten Holländerinnen und deutsche Mädchen. So wird aus dem Bordell der B a u d o i n eine Deutsche, Fräulein S t a i m - berg erwähnt, die die Aufmerksamkeit des Mar- quis de Montmorin erregte. Auch Nege- rinnen waren öfter in Bordellen anzutreffen. Ja, die Brissault dehnte ihre Kupplertätigkeit auch auf die Klöster aus und holte sich z. B. ihre Mädchen von den Ursulinerinnen.^) Weitere Angaben über die verschiedenen Bordellin-


0 ibidem, S. lOG— 107. -) ibidem, 8. 1G5.


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sassimjaen werden weiter unten bei den Mittei- lungen, über die ,,Bordellspezia.litäten" gepaaclit werden. , _

Die Vorzüge der einzelnen Bordelle wurden den in Paris ankommenden Fremden durch eine sehr ausgedehnte Bordellreklame begreiflich gemacht.

M e r c i e r de C o m p i e g n e berichtet in seinem „Manuel des Boudoirs", dass Leute auf den Strassen standen, die den Vorübergehenden unter dem Verwände, ihnen die Adressen von Wäscherinnen oder Modistinnen zu geben, ge- druckte Zettel mit den Adressen einzelner Borr delle und Angaben ihrer Vorzüge, übermittelten.^)

Häufig steckten auch die Dirnen selbst den Passanten ihre Adressen zu. v. Kotz ebne er- zählt : ,,Eine davon steckte meinem G-efährten ihre Adresse in die Hand, die ich zum Scherz genau kopieren will: MUe. Adelaide, an, -palais royal, No. 88. par le derriere. Wer Lust hat sie zu suchen, der mag es tun."^)

Es gab aber nicht bloss gedruckte, sondern auch lebende Bordellführer, Männer, die am Abend auf den Boulevards umherliefen, um den Liebhabern die Bordelle für beide Ge- schlechter zu zeigen. 3)

Geld ist ja von jeher die Parole in der Welt


1) Mercier de Compiegne „Manuel des Boudoirs" (Brüsseler Neudruck), S. 183.

2) A. V. Kotzebue Meine Flucht nach Paris*', ed. Cassel, S. 76—77. ,

3) M e r c i e r de Co mp i e g n e a. a. O., S. 187.

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der Prostitution gewesen. Aber in dieser Epoche ganz besonders. Unsummen wurden hier ver- schwendet. Sebastian Mercier schätzt das in Paris an die Prostituierten vertane Geld auf jährlich 50 Millionen Francs I^)

Jedes Bordell hatte seine eigenen Taxen^ die natürlich wohl nur die Minimalpreise für die Besucher aus der nicht allzu reichen Mittelklasse darstellen, und auf die vornehme Klientel nicht angewendet wurden, welche nach dem Grund- satze ,, Noblesse oblige" noch mehr geschröpft wurde oder oft freiwillig exorbitante Summen in den Bordellen zurückliess.

Der Tarif der JustineParis war nach B a r- bier der folgende: ,,0n donne douze livres ])o\ir s'amuser dans la journee avec une de ces demoi- selles, et vingt-quatre livres par tete d'homme pour y souper. Pour chacun son louis, on a bien ä souper et une jolie fille. On dit que le prix est augmente ä trente-six livres et qu'il y aura des carosses de remise pour reconduire ces messieurs."2)

Höher waren natürlich die Preise für die von den Bordellen aus auf Zeit gelieferten Maitressen, die meist 500 Livres pro Monat nebst Beköstigung und Wohnung und mehr betrugen, wovon natür- lich ein grosser Teil in die Taschen der vermit- telnden Kupplerinnen floss, deren Habgier öfter zu unangenehmen Differenzen mit ihren Kunden führte, wie z. B. ein von Capon mitgeteilter

1) L. S. Mercier „Le Tableau de Paris", S. 79.

2) Journal de Barbier, ed. 1851. Bd. III. S. 122.


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Briefwechsel zwischen der Baudoin und dem Marquis de Ximenes beweist. i)

üebrigens machten die Bordellinhaberinnen auch vielfach Geldgeschäfte anderer Art.

In den Bordellberichten der Dhosmont heisst es unter dem 14. März 1751 : „Um 7 Uhr ein junger Mann, den ich schon mehrere Male ge- sehen habe, dessen Wohnung ich aber nicht kenne. Er fragte mich, ob ich ihm nicht 10 bis 11 Louisdor auf einen 1000 Thaler-Wechsel von Eouen leihen könne, der in wenigen Tagen fällig sei."

Sie tat dies vorsichtigerweise zwar nicht selbst, verwies ihn aber an mehrere andere Kupp- lerinnen, die Berne, The venin, die ebenfalls Geldverleiherinnen waren. 2)

Manchmal freilich gerieten sie selbst in Schulden, mussten Wechsel aufnehmen wie z. B. die Montigny und fanden nicht immer wie diese einen galanten Schuldner, der den Betrag des Wechsels auf andere Art einlöste,^) sondern mussten ins Schuldgefängnis wandern.

Eine andere Art der Bereicherung war für viele Freudenhäuser das in ihnen stattfindende Glücksspiel, das ja in einer merkwürdigen Weise von jeher mit der Prostitution und dem Treiben der galanten Welt verknüpft gewesen ist. de Sade meint in der „Juliette" (I, 221), dass das Betrügen beim Spiel einen eigenen wollüsti-


1) Capon a. a. 0., S. 128.

ibidem, S. 71. •3) ibidem, S. 199.


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g'eü.j Nervenreiz ausübe. Er habe einen Grafen ge- kannt, der beim Spiel eine ^jirritation decid.ee" empfunden habe und nur beim Spiel sexuell er- regt wurde. An einer anderen Stelle freilich lässt er das Spiel als den ^^divines passions du liber- tinage" unzuträglich verboten werden (Juliette III, 25).i)

Tatsache ist, dass das Karten- und Glücks- spiel in allen Bordellen und der Venus geweihten Institutionen schwunghaft betrieben wurde. Die Polizei übte aber eine scharfe Ueberwachung aus und bedrohte z. B. einmal die Dubuisson mit dem Gefängnis, wenn sie ferner das hohe Hazard- spiel in ihrem Bordelle dulden würde.^) Die durch ihre Galanterien berüchtigte Tänzerin Beau- V o i s i n , die auch in der Lebensgeschichte des Marquis de Sade eine Bolle spielt, musste ihre Stellung an der Oper aufgeben, da sie seit' meh- reren Jahren ein Spielzimmer eingerichtet hatte. Ihre Schönheit, ihr Luxus und das Zusammen- strömen reicher Spieler hatten ihr Haus berühmt gemacht. Aber es kamen, wie es damals üblich war, viele Betrügereien vor, und Szenen, die die Aufmerksamkeit der Polizei erregten. Man zi- tierte die Besitzerin vor Herrn von Sartines, der ihr einen scharfen Verweis erteilte und' rhit schwerer Strafe drohte, falls diese Dinge nicht aufhörten. Sie hatte geglaubt, sich der Ueber-

^ ) Yergl. über den eigentümlichen Zusammenhang zwischen Spiel und Vita sexualis mein Werk „Das Ge- schlechtsleben in England". Bd. I, S. 403. (

2) Capon a. n. O., S. 201—205.


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wachung durch die Polizei entziehen zu können, indem sie sich als überzählige Tänzerin für die Yersailler Feste einschreiben liess. Aber als neue Klagen über die Halsabschneiderei in ihrem ga- lanten Hause einliefen, wurde sie verhaftet und nach Sainte - Pelagie geführt, einem Inter- nierungsort für gewisse Nymphen, die man nicht ins Gefängnis bringen wollte.^)

Schliesslich wurde den Besuchern der Bor- delle noch auf eine höchst einfache Weise G-eld und Gut abgenommen, nämlich durch Dieb- stahl. Bei de S a d e betrachten die Dirnen das geschickte Stehlen als einen notwendigen Be- standteil der Ausbildmig zur „putain", und wir finden diese Auffassung in Capons Buche be- stätigt, wo Diebstähle in Bordellen öfter be- richtet werden. 2)

Die grossen auf so verschiedene Weisen der Prostitution zugeführten Summen lockten natür- lich eine grosse Zahl Zuhälter an, deren jede Dirne gewöhnlich einen besass ; am häufigsten war es ihr Coiffeur, irgend ein Lakai oder Limo- nadenverkäufer. Diese Männer, fast durchweg Yerbrechernaturen, beherrschten wie ja allgemein bekannt, ihre Mädchen mit einer absoluten Ge- walt. Ja, selbst die Bordellwirtinnen standen bis- weilen unter dem dämonischen Einflüsse dieser Elenden. So liess sich die Kupplerin Hecquet noch in hohem Alter den Kopf von einem jungen

1) Bachaumont ,,Anecdotes piquantes' S. 98 — 99 (30. April 1770).

2) B. S. 176.


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Zuhälter verdrehen und ihr ganzes Vermögen von ihm durchbringen. 1)

Ganz wie heute gab es auch Zuhälter aus vornehmem Stande. So machte sich der Graf von F o d o a s einen Lebensberuf daraus, sich von seinen adligen Geliebten ernähren zu lassen und ihnen möglichst viel Geld abzunehmen. Die alte Prinzessin von Nassau erleichterte er in sehr kurzer Zeit um 30 000 Francs. Die 50 jährige Gräfin von Schinfeldt musste noch mehr für seine Liebesbezeugungen bezahlen. Er selbst er- zählte öffentlich alle Details seiner Liebschaften und rühmte sich des Geldes, das er auf so scham- lose Art erpresste.2)


Die Pariser Bordelle des 18. Jahrhunderts wiesen im allgemeinen die gleichen Einrichtungen auf. Sie standen gewöhnlich unter der Leitung einer Bordellmutter („matrone", „mere-abbesse"), meist einer früheren Prostituierten. Sie führte ausser ihrem Familiennamen noch einen Spitz- namen wie Präsidentin", ,, Gräfin", „Mauleselin" (La Mule) u. a. m.

Die ihr in jeder Beziehung sklavisch unter- gebenen Mädchen des Hauses waren fast alle sehr hübsch, aber von äusserster Schamlosigkeit,


1) Vergl. über das Pariser Zuliältertum 5,Les Serails de Paris", Paris 1802 (Brüsseler Neudruck 1885.) S. 71—72; über die H e c q u e t ibidem, S. 156 — 157.

.Journal des iiispoctenrs de M. de Sartincs.


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die unter Aufsicht und Leitung der Bordellwir- tinnen zu einem wahren Eaffinement entwickelt w^urde. Etwas grösserer Freiheit erfreuten sich die ausserhalb des Bordelles, nur mit ihm in Ge- schäftsbeziehungen stehenden „filles etran- geres."!)

In den feineren Bordellen erhoben sich die Mädchen gewöhnlich um 8 Uhr morgens und nahmen zunächst das vorgeschriebene Bad. Um

9 Uhr fand das gemeinsame Frühstück statt. Um

10 Uhr erschienen die Coiffeure. Um 11 Uhr war die einfache, aber sehr elegante Toilette beendigt. 8ie trugen leichte, durchsichtige Kleider. Arme, Schultern, Busen, Beine, Füsse blieben nackt. Ein seidenes Korsett, ein leichtes Trikot von Fleischfarbe hob die Körperformen in raffinierter Weise hervor, ausserdem hüllte eine leichte Gaze den Körper ein, die durch die Bewegungen sich entfaltete und hier und da intimere Eeize er- blicken liess.2)

Alle Mädchen begaben sich dann in einen herrlichen Salon, beschäftigten sich dort mit ver- schiedenen weiblichen Arbeiten, wie Stickereien, Spitzenanfertigung u. dergl. Andere spielten Guitarre oder Harfe und sangen dazu. Dies waren die Beschäftigungen vor und nach dem Diner. Am Morgen wurden die Stammgäste vorgelassen, die besonderen Liebhaber jedes Mädchens, unter dem Vorbehalt, nicht eifersüchtig zu werden und sich bei einem gegebenen Zeichen zurückzuziehen.

1) Vergl. „Les Serails de Paris", S. 15—16.

2) ibidem, S. 16.


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Nach dem Diner erschienen die täglichen iBesucher, entweder zur Zeit des Kaffee oder am Abend beim Tee oder dem Umherreichen von Er- frischungen. Dann wählte man nach Belieben seine Sultanin aus, und von dem Augenblicke an, wo man der Bordellmutter drei Louisdor für das Souper und das Nachtlager bezahlt hatte, durfte die erwählte Favoritin keinen anderen bis zum Morgen empfangen und musste nach den Vor- schriften des Hauses allen Phantasien, Kaprizen und Extravaganzen ihres Liebhabers entgegen- kommen. Sie gehörte ihm, war sein Gut, er konnte darüber nach Belieben verfügen. i)

Gewöhnlich begab sich an jedem Abend eine gewisse Zahl der Mädchen in die verschiedenen Theater, so dass diese dann nach dem Essen nicht im Salon erschienen.

Hatte ein Besucher Gründe sein Inkognito zu wahren, so trat er, ohne gesehen zu werden, durch eine geheime Tür ein, während die ,,m^re- abbesse" ihm den Weg zu einem für sich' allein gelegenen Empfangszimmer zeigte, an dessen Wänden verschiedene Klingelzüge sich befanden. Jedes Mädchen hatte einen für sich. Nach der üblichen Begrüssung, übergab die Bordellwirtin dem heimlichen Besucher ein grosses, in Maroquin gebundenes, mit Eückenvergoldung versehenes Buch, das sogenannte ,, Buch der Schön- heiten" (Livres des beautes). Es enthielt die genaue moralische und physische Schilderung^


1) ibidem, S. 16—17.


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jeder Dirne. Er durchblätterte es und bezeich- nete diejenige, die ihm am besten gefiel.^)

Die Matrone empfing dann im voraus das Honorar, das gewöhnlich einen Louisdor für den Besuch (die Erfrischungen einbegriffen) betrug. Wenn der Herr generös war und z. B. zwei Louis- dor gab, überreichte ihm die Bordellwirtin das „Kegister der Passionen" (registre des passions), ein Verzeichnis der in dem Bordell be- kannten und dargebotenen verschiedenen Arten des Genusses, wofür alle nötigen ,, Utensilien" sich in den einzelnen Boudoirs befanden. Hatte die Bordellwirtin die Neigungen und Passionen ihres Klienten erfahren, so zog sie die G-locke des gewünschten Mädchens und diejenige, die die betreffende Passion (oder besser Perversität) an- zeigte. Bei diesem Zeichen begab sich das' Mäd- chen sofort durch einen geheimen Gang in das bezeichnete Boudoir und erwartete hier den Lieb- haber.2)

Charakteristisch für das französische Instru- mentarium Yeneris im 18. Jahrhundert waren vor allem drei Einrichtungen: erstens die ,,breu- vages", Getränke zur E ins chläf er üng , besonders sich gegen die Bizarrerien ihrer Lieb- haber sträubender Mädchen, zweitens die „fau- teuils", deren Erfindung auf den Duc de Fronsac zurückgeführt wurde und die einem ähnlichen Zwecke dienten, da sie ebenfalls die

1) C a p o n „Les Maisons Closes", S. 23 ; Les Serails, de Paris, S. 17.

2) C ap o n a. a. 0., S. 24 : Les Serails de Paris, S. 17—18.


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darin gefesselten Mädchen wehrlos machten, ohne ihnen doch das Bewusstsein zu rauben,^) und drittens die „trapp es" oder Fallböden, wie sie von dem Verfasser des „Petit Fils d'Hercule" ge- schildert werden. 2)

Hier konnten alle Neigungen und Triebe be- friedigt werden. Ein gleichzeitiger Autor sagt : ,,Lä, l'homme le plus indecis ou le plus volage, peut donner carriere ä son inconstance ; tous ses goüts sont satisfaits successivement. Attraits precoces, beautes müries par l'experience, blondes attendrissantes, amüsantes brunes, les objets pas- sagers de l'amour venal, dans ces ateliers de Venus, sont aussi varies que les caprices humains. Les voulez-vous parees comme Junon, ou dans le deshabille des Gräces? On prend ä votre gre €es differentes formes."^)

Alle diese Verhältnisse, die ganzen raffi- nierten Einrichtungen und Prozeduren in den Bordellen dieser Epoche werden in den ,,120 Tagen von Sodom" des Marquis de Sade ge- schildert. Es ist dies der typische Bordell- roman par excellence, da alles, was darin er- zählt wird, sich fast ausschliesslich in Bordellen abspielt. Die ganze hier konzentrierte Korrup- tion wird uns vor Augen geführt, und die Ver- irrungen der Psychopathia sexualis mit einer so erschöpfenden Vollständigkeit geschildert, dass

1) Mercier de Compiegne „Manuel des Boudoirs", S. 188—189. , ;

2) Le Petit Fils d'Hercule, S. 9.

3) Les Serails de Paris, S. 18.


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selbst die „Justine" und „Juliette" desselben Autors als ein unvollständiges Fragment gegen- über dieser systematischen, in mehr als einer Beziehung an ein modernes Lehrbuch erinnern- den Darstellung erscheint.

Wilde Orgien und Lärmszenen waren häu- fig in den Bordellen. So drangen einmal sechs junge unbekannte Männer in das Bordell der Dhosmont, veranstalteten dort einen grossen Skandal, erbrachen die Schränke und stahlen verschiedene Gegenstände. Ein anderes Mal zertrümmerten vor demselben Bordelle mehrere Leute die Fenster von dem Verdecke einer Droschke aus und wollten mit Gewalt ins Haus eindringen. 2)


Ohne Zweifel die wichtigste Quelle für die Kenntnis des Bordellebens im 18. Jahrhundert stellen die Wochenberichte einiger Bordell- inhaberinnen dar, die sie über alle Vorkommnisse in ihrem Hause an die Polizei erstatten mussten. Sie sind durch Capon jetzt aus dem Dunkel der Archive ans Licht gezogen worden und bilden wohl das interessanteste Kapitel der Sittenge- schichte dieser Epoche, da sie in ihren bestimm-


1) Capon a. a. O. S. 80.

2) ibidem, S. 87—88.


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ten Angaben imcl in ihrer Beziehung auf ebenso bestimmte Persönlichkeiten eminent authen- tische Dokumente repräsentieren, durch deren Veröffentlichung Capon sich ein grosses Ver- dienst erworben hat.

Die Kupplerin Dhosmont hat wohl die um- fangreichsten Berichte dieser Art geliefert, die in Capons Buche beinahe 50 Seiten in Petit- druck einnehmen.

Sie hatte in der rue des Deux-Portes-Saint- Sauveur ein Bordell und erstattete jede Woche dem Polizeipräf ekten B e r r y e r einen genauen Bericht über alle Vorkommnisse in demselben. Diese Notizen wurden von dem ersten Sekretär Duval in eine leserliche, orthographische Form gebracht und so Herrn B e r r y e r vorgelegt. Diese Hefte sind nach Capon so umfangreich, dass sie ein Werk von mehreren Bänden bilden würden. Er hat nur den Bericht über das erste Halbjahr 1751 mitgeteilt. Das ganze Manuskript befindet sich in der Bibliothek des Arsenals, unter der Eubrik „Archives de la Bastille No. 10 253".

Es seien einige für die Art der Berichter- stattung charakteristische Stellen daraus mit-, geteilt:

„15. Januar 1751.

Mir fällt ein, dass ich mich über die Adresse des Fräulein B r e z e getäuscht habe. Ich hatte auch vergessen, zu sagen, dass sie in der rue Mazarine gewohnt hatte, sodann bei einer Papier- händlerin im dritten Stockwerke eines Hauses in


der rue des Fosses-Saint-Germain, wo sie Herr H e 1 Y e t i u s^) öfter besucht hat.

Seit dem 30. Dezember haben mich folgende Personen besucht: am 31., um IIV2 Uhr abends kamen die Herren de Lauzac und Boissy,^) die im Hotel de Toulouse wohnen, und blieben bis zum folgenden Morgen des 1. Januar, wo sie nach einem ihrer Freunde schickten, um zu di- nieren, worauf sie noch bis 5 Uhr abends blieben.

Um 6 Uhr kam Herr von M o n d o r g e ,3) um 7 Uhr Herr von Longannay mit einem Freunde, dem Chevalier de Saint-Louis.

Am 2. Januar Herr Angot und zwei Freunde, die mit der kleinen D u f r e s n e und Fräulein A u b r y dinierten, welch letztere in der rue des Vieux-Augustins eine Chambre garnie in dem ersten Stockwerk hat, und mit Fräulein de L o r m e , die bei uns wohnt. Gingen um 7 Uhr fort.

7. Januar. Zur selben Stunde kamen Herr le P i 1 e u r d'A p 1 i g n y und Herr Chycoineau d e 1 a Ya 1 e 1 1 e die den Musiker E o m a i n und zwei andere Männer bei sich hatten, denen sie ein Souper gaben. Sie gingen um IV2 Uhr früh wieder fort.


1) Der berühmte Philosoph.

-) Louis deBoissy, Dichter und Schriftsteller, ge- boren 1694, gestorben 1788 ; Eedakteur der ,, Gazette" und des j.Mercure de France".

3) Stallmeister des Königs. Zwei Parlamentsräte.


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Am 10. Januar um 6 Uhr Herr de la Place. Am selben Tage haben die Herren B e r- t i n^) und C u r i s in Popincourt mit anderen Herren soupiert, in Gesellschaft des schönen Fräuleins de Villeneuve, der Jacobine, der MUes. des Oranges, Constance und Simon, welch letztere früher die Maitresse des Herrn du Harle y war. Ich weiss aber nicht, wer diese Mädchen den Herren zugeführt hat.

Am 14. Januar Herr de la Vallee, der Fräulein de L o r m e^) mitbrachte, die in einer Sackgasse der Strasse La Koquette wohnt in einem ihm gehörigen kleinen Hause. Um 4 Uhr nachmittags wurden die Bedingungen des Unter- haltes auf 200 Francs für den Monat festgesetzt, unter der Voraussetzung, dass sie sich nicht aus dem Hause entferne.

24. Januar. Um 8 Uhr der Graf d'Aunay, der mir nicht mehr zürnt, trotzdem belästigt er die Mädchen und will nichts bezahlen.

Am 27. Januar, 2 Uhr nachmittags kam Fräulein C a u s o n , von Fräulein Lambert be- gleitet, um mich zu fragen, ob ich sie in Pension nehmen wolle, bis ihre Angelegenheiten besser geordnet seien und sie Herrn Bourgoin de Villepare verlassen habe, mit dem sie 5 bis 6 Tage sehr intim gelebt habe. Er habe ver- sprochen, sie zu unterhalten, aber sei zuletzt,


1) Oberkontrolleur der Finanzen.

2) Diese Dame war in der galanten AVolt successive unter den Namen D e 1 o r m e , De L o r m e und de L o r bekannt.


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sichtlich ihrer überdrüssig, nicht darauf zurück- gekommen. Sie selbst sei verheiratet, sei aber von ihrem Gatten verlassen worden, der ihr empfoh- len habe, für sich zu sorgen, wie es ihr beliebe.

Ihre Begleiterin Lambert ist eine alte Prostituierte, die Tante der MUe. Beauf ort,^) Schauspielerin an der Oper; da sie mit Herrn B o u r g o i n in demselben Hause wohnt, wo ich früher gewohnt habe, so haben sie ohne Zweifel an mich gedacht, um sich des Mädchens zu ent- ledigen. Sie ist sehr hübsch und erst 20 Jahre alt. Da ich allein war und die Mädchen des Tages (les demoiselles de journee) ihr Gewerbe ausüben, habe ich sie behalten. Seitdem erfuhr ich, dass sie unter dem Namen Eichemont einige Monate bei Madame Paris^) war.

Am 4. P e b r u a r , um 9 Uhr die Herrei} P r a n c o e u r3) und Briden, denen ich ein Mäd- chen zum Soupieren bei den Herren Mondorge und Bert in mitgab.

11. Pebruar. Um 7 Uhr Herr Seguier, der zwei Mädchen wünschte, um mit ihnen und zwei Preunden zu soupieren. Ich habe ihm Präulein de Bonnevaux gegeben, die bei ihrer Tante in der rue Guillaume wohnt, welche, wie es scheint, ihre Nichte am Tage ruhig ausgehen lässt. Ihr Vater ist Koch und sie hat keine Mutter. Sie führt seit zwei Jahren dieses ungeregelte Leben. Vor einem Monat führte ein Lakai

^) Ballettänzerin an der Oper. -) Eine berüchtigte Bordellinliaberin. 3) Intendant und Direktor der Oper. Uühren, Neue Forschungen über de Sade. 8


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D u p r e , nachdem er den Tag mit ihr zugebracht hatte, sie zu mir. Er hatte sie von einem anderen Lakaien, dessen Namen ich nicht kenne. Dieser Dupre wohnt in der rue de Bussy im ersten Stock. Das Mädchen ist blond und etwa 18 Jahre alt.

15. Mär z. Um 5 Uhr Herr von M o n d o r g e. Zur selben Zeit ein Herr aus Montpellier, wohn- haft in der rue des Petits-Champs, dessen Namen ich nicht kenne, der sich aber vom Morgen bis zum Abend nur damit beschäftigt, die Bordelle zu besuchen.

16. März. Um 5 Uhr ein sehr ruhiger Herr de Rougemont, der nur dem Glücksspiel hul- digt und zur Gesellschaft des Fontaine und des Y i 1 c 1 o s gehört, zwei spitzbübischen Spielern.

23. Juni. Um 8 Uhr habe ich Nanette zu dem Prinzen von Würt tembergi) nach Passy geführt, wo er den Brunnen trinkt. Er hatte mir die Ehre erwiesen, mich brieflich um ein Land- mädchen, keine andere, zu bitten. Ich habe Nanette als Bauerndirne verkleidet und sie für die Tochter eines Gärtners ausgegeben. Sie schlief bei dem Prinzen, der sie bat, nach zwei Tagen wiederzukommen, ohne es mir mitzuteilen. Er würde sie nach seiner Rückkehr von Com- piegne für sich; behalten und ihr die Frau seines Kammerdieners zur Gesellschafterin geben. Aber


1) Ludwig Eugen, l'riiiz von Württemberg, zweiter Sohn der Herzogin von W ü r 1 1 e m b e r g.


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da das Mädchen bei ihm nur deutsch reden hörte, wollte sie nicht wieder dahin gehen.

1. Juli. Ich habe um 9 Uhr eine gewisse Madame Cruchotel. die Frau eines jungen Pe- rückenmachers in der rue Mauconseil zu dem Prinzen von Württemberg nach Passy geführt, mit dem sie für zwei Louisdors die Nacht zu- gebracht hat. Es ist der zweite der drei Brüder."

Schon aus diesen wenigen Auszügen aus den Berichten der Dhosmont gewinnen wir ein anschauliches Bild von dem Leben und Treiben in einem solchen Bordell, von den mannigfaltigen Obliegenheiten der Inhaberin gegenüber den ver- schiedenen Wünschen ihrer Besucher.

Ostern 1752 verlegte die Dhosmont den Schauplatz ihrer Tätigkeit in ein kleines Haus in der rue Saint-Fiacre, das früher von einer Witwe Michelet als Absteigequartier für die ,,amoureux de passage" benutzt worden war, aber nicht den gewünschten Grewinn gebracht hatte. Die Klientel folgte der Dhosmont, denn die- selben Personen, meist Lebegreise, erscheinen auch dort wieder in den Berichten. i)

Eine andere Berichterstatterin über die Er- eignisse in ihrem Freudenhause finden wir in der Demoiselle Baudoin, deren Serail im Jahre 1752 in der rue Saint-Thomas-du-Louvre im zwei- ten Stocke eines einem Weinhändler gehörigen Hauses sich befand. Ihre an den Polizeiinspektor Durocher gesandten Berichte wurden von


1) Capon a. a. O., S. 55—102.


8*


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diesem überarbeitet und durch ihre Biographie vermehrt. Er lässt sie in der dritten Person sprechen, als wenn er selbst alles gesehen hätte.

Aus der Biographie lernen wir zunächst die Entwicklung der Baudoin vom Ereudenmäd- cheh zur Kupplerin und Dirnenlieferantin ken- nen. Sie lieferte Mädchen „ohne Greräusch und Skandal" und zwar nur an Männer von einem gewissen Alter, die gut bezahlten. Auch führte sie' gewöhnlich ihre Mädchen auf die öffentlichen Promenaden und in die Theater, um sie zu zeigen. Häufig fanden in ihrem Hause galante Soupers statt. D u r o c h e r rühmt die Baudoin als Erau von feinem Benehmen. ,,Elle est moderee et con- nait bien son Paris."

Die von Dur o eher umredigierten Berichte der Baudoin beginnen mit dem 3. November 1752. Unter diesem Tage heisst es: „Die Bau- doin hat einen vom 30. Oktober datierten Brief von Herrn von Montmorin,^) Generalleutnant und Grouverneur von Eontainebleau bekommen, den ich gelesen habe. Er bittet sie, ihm eine Mai- tresse zu suchen, da er seit einigen Tagen Witwer sei, indem die Tochter des Prokurators, welche sie ihm vor 5 Monaten verschafft habe, ihn ver- lassen habe. Er werde am 10. November in Paris sein, in seiner petite maison auf den Boulevards.

17. November. Sie führte ihm (dem Mar- quis de Montmorin) am letzten Sonntag' das

1) ibidem, S. 102.

2) J. B. EraiiQois de Montmorin (1704—1779), Gouverneur des Schlosses Eontainebleau.


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Eräulein K o z i e r e s zu, das bei der C o n s t a n- tin in der rue l'Eveque in Chambre garnie wohnt. Dies Mädchen stammt aus Metz, ist 19 Jahre alt, 5 Fuss hoch und hat ein hübsches ovales G-esicht, schöne Zähne, dunkelbraune Haare, ebensolche Augen, wenig Busen und ist gut gewachsen. Sie gehörte vor einem Jahre dem Chevalier de Joyeuse, der sie zwei Monate bei sich im Hause hatte und wie eine Sklavin hielt. Ausserdem ist sie von verschiedenen I'rauen bei Soupers benutzt worden, die Fl o r e n c e^) hat sie acht Tage gehabt."

Es folgen dann weitere Berichte über die zahlreichen Liebesintrigen, die die Band o in dem älteren Herrn de Montmorin in den nächsten Monaten vermittelte. Ein anderer Klient war der schon erwähnte spanische Graf d'Aranda, über den es unter dem 9. März 1753 heisst:

..Der Graf d'Aranda kam am letzten Sonn- abend und vergnügte sich mit der Demoiselle B Ours et, der er 4 Louisdors gab, am folgen- den Tage kam er wieder, dieses Mal zu Fräulein Morfi,2) einer von fünf schönen Schwestern gleichen Namens.

28. September 1753. Am letzten Freitag kam Herr Gaffaron, ein Amerikaner, nach-


1) Eine Kupplerin.

^) Ohne Zweifel eine Schwester der kleinen in Casa- novas Memoiren eine Kolle spielenden M o r f i , die später unter dem Namen O'M u r p h i die Maitresse Ludwigs XV . wurde.


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mittags zu der Baudoin. Da diese Frau noch liübsch ist, vergnügte er sich mit ihr und gab ihr einen Louisdor."i)

Einen höchst interessanten Inhalt hat ein in der Bibliothek des Arsenals aufbewahrtes Paket von Originalbriefen, die die Kupplerin L a f o s s e in den Jahren 1752 bis 1755 an den Inspektor M e u s n i e r über die Vorgänge in ihrem Bordelle schrieb. Der Stil dieser Briefe ist zwar sehr unorthographisch, indem die Worte rein phonetisch geschrieben werden, aber die darin mitgeteilten Tatsachen sind um so be- merkenswerter, da mit grösster Offenheit die in- timsten Beziehungen ihrer Klienten, ihre Laster, ihre Anforderungen an die Mädchen auf das ge- naueste verzeichnet werden. Mit zynischer Auf- richtigkeit bedient sich die L a f o s s e bei ihren Schilderungen der obscönen termini technici.

Die L a f o s s e übte ihr Handwerk in den Jahren 1750 — 1760 in der rue des Poulies und der rue de Champfleury aus. Da sie das Wohl- wollen des Herrn Meusnier und den Schutz ihres Hauptklienten, des Marquis Paulmy d'A r g e n s o n genoss, so scheint sie während der ersten Jahre von der Polizei nicht belästigt wor- den zu sein. Nach dem Tode des Meusnier jedoch, im Jahre 1757 hat sein Nachfolger Marais wohl nicht dieselbe Nachsicht gegen sie geübt, da sie einen ihrer letzten Briefe an eine anonyme Korrespondentin vom Gefängnisse


1) Vergl. Capon a. a. O., S. 102—134.


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Etat remis par les Maitresses de maison au lientenant de police, Babet dit Desmarets.


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du soir, sortis



M. Marigny


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Couche.


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aus schreibt. Aus dem Inhalt ihrer Briefe wird in dem Abschnitte über die sexuellen Yerirrun- gen, die bei ihr die breiteste Darstellung finden, noch einiges mitgeteilt werden. i)

Ein anderes eigenartiges Bordellregister" legte sich eine gewisse Babet Desmarets an, die Inhaberin eines Freudenhauses in der rue du Faubourg-St.-Honore. Alle Besucher wurden sorg- fältig auf einer Tafel verzeichnet, wo das Datum, der Name des Klienten, die A^on ihm gewählten Mädchen und die Dauer der Unterhaltung" der Habitues des Hauses mit den Insassinnen ver- merkt waren. Als Beispiel sei die vorstehende Eubrik (S. 119) aus diesem merkwürdigen, in der Bibliothek des Arsenals handschriftlich aufbe- wahrten ,,Calendrier de Venus" mitgeteilt.

Wie man aus diesem Berichte ersieht, war besonders die Celle ein vielbegehrtes Mädchen, deren zahlreiche Freunde der Bordellmutter oft lästig wurden, wie eine von Capon mitgeteilte ausführlichere Klage vom 24. December 1754 beweist.

Im Jahre 1754 etablierte sich die Babet im Zentrum von Paris nahe dem Kloster des Ora- toriums, so dass sie eine grosse Zahl dieser Mönche zu Klienten bekam, was eine häufige Nachforschung des Inspektors Marais bei ihr zur Folge hatte, der allerlei interessante Szenen bei ihr zu sehen bekam. 2)

1) Capon a. a. 0., S. 134—157.

2) La chastete du clerge devoilöe, Paris 1791. Bd. I. S. 259, 287; Bd. II. S. 196—228.


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Unter den Besitzerinnen von Freudenhäusern, deren Namen uns in der französischen Sitten- geschichte des 18. Jahrhunderts auf Schritt und Tritt begegnen, ist zunächst aus dem Anfang dieses Jahrhunderts als die älteste die Anna rillon zu nennen, die im Bordell jargon aucli die „Präsidentin" genannt wurde und ihre Tätig- keit, die sich auch auf das G-ebiet der Politik erstreckte, unter der Regentschaft begann. lieber ihr Treiben sind wir ausser durch Mitteilungen in den zeitgenössischen Annalen vor allem durch die Sammlung ihrer Originalbriefe von C o u s t e 1- lier und durch diejenige der Volkslieder im Chansonnier historique" unterrichtet, da sie wohl von allen Kupplerinnen überhaupt die volks- tümlichste gewesen ist, wie die zahlreichen auf sie bezüglichen Chansons und Couplets bezeugen.

Die erwähnte Briefsammlung hat den Titel : „Lettres de la Fillon" par Coustellier, Co- logne (Paris) 1750, chez Pierre Marteau (12 o). Als Motto dienen die Verse :

Toujours compatissante aux faiblesses humaines, Mon art sgut aplanir la route des plaisirs ; L'amour ne forma plus d'inutiles desirs, Je reformai ses lois, je supprimai ses peines.^)

Den Beinamen Präsidentin" erhielt die P i 1 1 o n , weil einmal eine vornehme Dame zu ihr statt zu der eben in Paris angekommenen Präsidentin F i 1 1 o n aus Alencon gekommen war,


1) Vergl. Ga y Bibliographie de ramour", Bd. IV. S, 285.


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was zu einem unangenehmen Kencontre geführt hatte. Der neue Name wurde schnell populär in Paris, der Herzog von Orleans, der sich häufig der F i 1 1 o n für seine zahlreichen ,,caprices amou- reux" bediente, war davon entzückt, weniger die zahlreichen wirklichen Präsidentinnen in Paris, die sich beim Polizeipräfekten d'A r g e n s o n über diese Schändung ihres Namens beklagten, worauf er trocken erwiderte : ,, Stören Sie nicht diese Präsidentin in ihren Funktionen, sie wird Sie ja auch nie in den Ihrigen stören." Der wirk- liche Präsident F i 1 1 o n veränderte seitdem seinen Namen in de Villemur.i)

Die Nachsicht des Polizeipräfekten hatte ihre guten G-ründe, da er sich der F i 1 1 o n selbst öfter bediente, worüber das Lied umging :

Kene de Voyer d' Argens on A dit ä Madame Fillon Allez, partez, depechez-vous donc D'apporter au grand Bourbon Le dixieme des C

La Fillon lui a repondu Ma foi, Monsieur, tout est f . . . . Les officiers n'ont plus d'argent Et les bourgeois d'ä present Ne bandent pas souvent.^)


1) B u V a t „Journal de la Regence", Paris 18G5. BtL II. S. 343—344.

2) Chansonnier historiqiie, bei Capon a. a. 0., S. 31.


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Die F i 1 1 o n diente in den Liedern der Knei- pen und Cabarets als Yergieichsobjekt mit allen möglichen zweideutigen Dingen.^)

Auch in die Politik wurde sie verwickelt, in- dem sie bei der Entdeckung der Verschwörung des Cellamare beteiligt war. Seitdem wurde ihr Bordell von den vornehmsten Männern auf- gesucht. Ihre Taxe war 1 Louisdor für das „lit garni" ohne Mahlzeit, die, stets vorzüglich, extra bezahlt werden musste.^) Sie selbst hatte noch bis ins Alter starke sexuelle Bedürfnisse. Noch mit 60 Jahren schrieb sie folgendes Billett an einen alten Freund, den Chevalier de * * *:

,, Lieben Sie mich immer, Ihr Andenken ist mir teuer. Sie sollten Ihre Einsamkeit verlassen und mich besuchen. Ich stelle Ihnen mein Haus zur Verfügung, und wenn die G-icht Ihnen augen- blicklich Euhe lässt, können Sie auch auf etwas mehr rechnen. Adieu, Chevalier, ich werde alt und bin immer noch verliebt." .

Der Chevalier nahm diese freundliche Ein- ladung an, was die Matrone zu einem zweiten entzückten und noch zärtlicheren Briefe veran- lasstes)

Gegen ihr Lebensende verheiratete sie sich noch mit einem veritablen Grafen und beschloss


1) Vergl. die 9 Couplets bei C a p o n a. a. O., S. 31 — 34.

2) Boisjourdain „Melanges historiques", Paris 1807. Bd. I. S. 426—436.

3) Coushllier „Lettres de la Fillon", S. 54.


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ihr Leben in der Auvergne als vornehme Dame, ja sogar im Gerüche der Heiligkeit. i)

Nach der Fi Hon war die Paris, genannt die „B onne - Maman" die berühmteste Kupp- lerin von Paris. Neuerdings hat Capon über sie ganz neue Materialien zusammengebracht, aus denen hier das Wichtigste mitgeteilt sei. Ihre Blütezeit fällt ungefähr in die Jahre 1740 bis 1750. Auch ihr Haus ist Gegenstand längerer poetischer Ergüsse geworden. Schon 1743 war eine ,,Kequeste de la Paris, maquerelle, ä M. de Marville, lieutenant general de police" im Umlauf, die in Versen die Konkurrenz besang, die das Bordell der Paris durch die Galan- terien der Schauspielerinnen, namentlich der. C 1 a i r o n , erfuhr.^)

Das Freudenhaus der Paris befand sich zu- erst in der rue de Bagneux, im Faubourg Saint- Germain. Es enthielt 12 hübsche Mädchen, einen Portier, einen Koch, vier Kammerfrauen. Ausser- dem kamen Schreib-, Tanz- und Musiklehrer da^ hin, um die Mädchen zu unterrichten, und ein Arzt untersuchte sie alle zwei Tage auf ihre Ge- sundheit. Dank diesen Vorzügen erfreute sich das Bordell eines lebhaften Besuches von Seiten der Lebewelt, namentlich der ausländischen.^) Der Pfarrer von St. Sulpice, in dessen Kirchspiel das Haus gelegen war, beschwerte sich über die da-

1) Dufey, Artikel über die F i 1 1 o n im ,,Dictionnaire de la Conversation"^ Bd. IX. S. UO.

2) Abgedruckt bei Capon a. a. 0., S. 42—45.

3) Journal de Barbier, ed. 1851. Bd. III. S, 122.


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durch veranlassten Aergernisse beim Polizeileut- nant de Mar vi 11 e, der ein Einschreiten ab- lehnte, worauf der Erzbischof von Paris sich direkt an den Staatssekretär d'Argenson wandte. Dieser jedoch gab ebenfalls den Be- scheid, dass nirgendwo bessere Ordnung herrschte als in diesem Hause, so sehr, dass ,,Sie, Monseig- neur, und ich dorthin gehen könnten" I^)

Dieser Zwischenfall gab Veranlassung zu einem poetischen ,,Cantique spirituel a l'usage des Dames hospitalieres de la rue de Bagneux", in dem es u. a. heisst:

Le couvent le plus doux de Paris,

Est celui de Madame Paris:

On y voit fourmiller des novices

Suivant la regle avec docilite

Au prochain rendant plus de Services

Que trois cents soeurs de charite.

Toute abbesse est un facheux tyran: Celle-ci, c'est la bonne maman. Son troupeau se trouve si facile ! . . . Mais une part demeure en faction; L'autre va repandre dans la ville La bonne odeur de la devotion.

D'un beau zele un moliniste epris, Fit quereile a Madame Paris: Sur son nom il la crut janseniste ;


1) ibidem, S. 122.


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Mais il revint de ses preventions Quand il vit que la maison subsiste Sans fanatisme et sans convulsions.i)

Die Paris hatte auch sonst ausgezeichnete Eeziehungen. Die meisten Gesandten verkehrten bei ihr. Einmal am 2. März 1750 sah man sie im Palais Eoyal mit zwei Mädchen in der Be- gleitung des Prinzen Karl von B o u r b o n , Grafen von Charolais „ce que ce prince exe- cutait avec une dignite non pareille". Sie hatte eine Karosse mit vier Lakaien, und sie besuchte als grosse Dame mit ihren Mädchen die öffent- lichen Promenaden, so dass der Marquis d'A r g e n s o n entrüstet ausruft : ,, Man hat nie- mals mit soviel Schande ein Etablissement sich so triumphierend zur Schau stellen sehen wie dieses berüchtigte Bordell. Man ruft mit Grund : O Sitten ! in einem christlichen Polizeistaate. "2)

Der Polizeileutnant Berryer galt für den besonderen Protektor der Paris, als welcher er in der sittengeschichtlichen Schrift ,,Le Cosmo- polite ou le Citoyen du monde" des Fougeret de Monbron (Paris 1753) ausdrücklich er- wähnt wird. 3)

Im Juli 1750 hatte die Paris die Absicht, sich ganz vom Geschäfte zurückzuziehen, da sie


1) ibidem, III. 122.

^) M6moires du marquis d'Argenson, ed. 1865. Bd. VI. S. 238.

3) y. i) r u j o n „Los livres ä clef", Paris 1888. Bd. I. S. 182.


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glaubte, genug Geld verdient zu haben/) aber sie änderte bald ihre Absicht und wechselte den Schauplatz ihrer vom Pfarrer von St. Sulpice be- drohten Tätigkeit und bezog im Faubourg Saint- Honore am Eingang der elysäischen Felder das berüchtigte Hotel du Eoule, welches ihr ..char triomphal" wurde. 2)

Von diesem damals als das fashionabelste Bordell geltenden Hause erzählt Clement in seinen 1755 erschienenen Literarischen Nach- richten" :

5, Es gibt keinen jungen Mann von Stande, der dort nicht vorspricht, keine vornehme G-es ell- schaft, in der davon nicht die Kede ist, beson- ders keinen Ausländer in Paris, der nicht dort- hin geht, um gegen gutes Gold die Erlaubnis zu lieben sich zu erkaufen.

In diesem beständigen Kiosk (Kiosque per- petuel) beschäftigt sich ein Dutzend junger Priesterinnen Cythereris Tag und Nacht damit den einfachsten Geschmack zu unterhalten oder anzufeuern.

Man sieht sie bisweilen in einer Art Refek- torium, das Serail genannt, in adretter, leichter Xleidung, um einen langen Tisch sitzen und spielen, singen, plaudern und lachen, oft sehr laut über nichts. Von da begeben sie sich in die verschiedenen Zellen des Klosters und selbst in die verschiedenen Stadtviertel, je nach dem ihnen

1) Memoires d'Argenson, ed. 1865. Bd. VI. S. 236.

2) Journal de Barbier, ed. 1851. Bd. III. S. 122, An- merkung.


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zugeworfenen Taschentuche. Im Parterre nimmt man 12 Francs, einen Louisdor in dem zweiten und zwei im ersten Stockwerk, oder auch 12 Francs für einen vorübergehenden Besuch, einen Louisdor für das einfache Souper und zwei für das Souper mit Nachtruhe.

Tanz-, Gesang-, Klavier- und Literaturlehrer unterrichten die schönen Mädchen. Die weise Gründerin, die berühmte Madame Paris, ist un- gefähr 50 Jahre alt, hat ein jovial lächelndes Gesicht, ist mager und gross, hat einen kupfer- farbigen Teint, schielt auf einem Auge, und macht mit Geist und Würde die Honneurs. Sie empfängt und führt die Besucher herum, erteilt von ihrem Sofa aus Befehle und erhält Ordnung und An- stand aufrecht. Es ist die ,,gute Mama", andere Titel begehrt sie nicht.^)

Man gelangte nicht direkt von der Strasse aus in diesen Harem, sondern musste erst durch ein Tor und eine Allee hindurchgehen. Diese Ab- geschlossenheit ermöglichte auch vornehmen Be- suchern, ein gewisses Mysterium über ihre Es- kapaden auszubreiten, so dass sich nicht selten Männer und Frauen der besseren Gesellschaft hier ein durch die Paris vermitteltes Eendez- vous gaben. 2)

Am 12. Februar 1752 nahm die Herrlichkeit plötzlich ein Ende, die Paris wurde verhaftet

1) M. Clem e n t „Nouvelles Litteraires", Paris 1755,Bd.l, S 368..

2) Vergi. Kochon de Chabannes und M o u f 1 e d'Angerville „Les Cannevas de la Paris, ou Memoires pour servir ä l'histoire de Tliotel du Eoule", Paris 1750.


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und im Gefängnis interniert, weil sie ein Bürger- kind von 12 Jahren zur Prostitution verführt hatte. 1) Seitdem hörte man nichts mehr von ihr. Das Hotel du Eoule wurde von der Kupplerin Carlier übernommen. 2)

Einen ähnlichen Euf wie das Hotel du Roule genoss das Hotel Montigny in der rue du Pon- ceau, genannt nach der gleichnamigen Besitzerin. Diese, ein Fräulein D u p u i s , genannt Mon- tigny, stammte aus Amiens, wo sie in früher Jugend durch einen Offizier verführt worden war, der sie nach Paris mitnahm und dort eine Zeit- lang unterhielt, bis er durch zahlreiche Nach- folger abgelöst wurde. Sie hatte nacheinander einen Arzt, einen Finanzmann, einen Musketier, und selbst einen Abbe. Dieses bewegten Lebens müde, dachte sie an die Errichtung eines Freu- denhauses, dessen Neuheit die Lebe weit der Hauptstadt anziehen sollte.

Sie ersann ein Serail, in dem 50 Houris, eine noch schöner als die andere, sich zu Paaren vonvieren nach der Farbe ihrer Bandschleifen voneinander unterscheiden sollten. Bei diesem Gedanken mochte wohl eine Art Spekulation auf fetischistische Instinkte ihrer Klientel mit- spielen. Dieser Schwärm hübscher Mädchen stand den Besuchern nach Belieben zur Verfügung. Sie brauchten nur den Tarif zu konsultieren, um den Preis ihrer Eeize zu erfahren. In diesem Hotel Montigny kehrten bald zahlreiche junge

1) Memoires d' Argens on, Bd. VII. S. 109. ,

2) Capon a. a. O., S. 52.

Dühren, Neiie Forsohung-en über de Sade. 9


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Leute, namentlich Offiziere ein, und die laszivsten Orgien und Skandale spielten sich hier ab. Die Polizei kümmerte sich wenig darum, da sogar der König entschuldigend von diesen Dingen ge- sagt hatte : ,,Comment voulez-vous que Ton soit des Catons chez la Montigny?"i)

Auch hatte die Montigny eine petite maison an der Barriere Sainte-Anne, die sie ihren Kunden zur Verfügung stellte. 2)

Später verlegte sie ihr Bordell nach der rue Saint-Honore, wo ihr Gatte, ein gewisser Saint- Louis, selbst das Haus seiner Frau mit Mäd- chen versorgte, die er in Paris aufspürte,^) sie selbst verschwendete damals grosse Summen an einen Geliebten Dubouloir, der ihr aber un- treu wurde, indem er sich reich verheiratete, aber dennoch die Schamlosigkeit hatte, die Beziehun- gen mit der Montigny fortsetzen zu wollen.^) Obgleich ihr Etablissement prosperierte, geriet die Montigny durch die schon erwähnte Affäre d'Oppy in arge Bedrängnis, da sie 300 000 Livres zahlen musste, um sich vor der Strafe des Keitens auf einem Esel zu retten. Fortan suchte sie ihre Einkünfte durch Zuhilfenahme geistlicher Klientel zu vermehren, endigte aber schliesslich in elendester Weise. Eines Tages fand man sie tot in einer Gasse liegen.^)

1) Les Serails de Paris, S. 173—176.

2) Archives de la Bastille im Arsenal bei C a p o n a. a. O., S. 196.

3) Bericht des Marais, ibidem, S. 196.

4) ibidem, S. 197.

5) Les Serails de Paris, S. 176.


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Auch zur Geschichte der berüchtigten G o u r- dan. der kleinen Gräfin" (petite comtesse) haben C a p o n s Forschungen viel Neues beige- bracht. Sie liiess ursprünglich Margarethe Stock und war Modistin in Beziers, ihrem Ge- burtsorte, ergab sich aber in Paris bald einem ausschweifenden Leben, verheiratete sich trotz- dem aber mit Frangois Gourclan, einem Pächter, der bald darauf starb, worauf sie im Jahre 1759 ein Freudenhaus in der rue Sainte- Anne etablierte^) und bereits Männer wie den Grafen D u b a r r y und den Herzog von Eiche- lieu zu ihren Kunden zählte, ebenso den Her- zog von Chart res. 2)

1763 verzog sie nach der rue Comtesse-d'Ar- tois, wo sie länger blieb und aus diesem Grunde wahrscheinlich den Beinamen petite Comtesse empfing. Sie selbst verstand es noch, durch ihre Peize Besucher anzulocken wie z. B. einen reichen Engländer Fauske(?), worüber M a r a i s berich- tet.3) Sie verstand sich so gut auf das Geschäft dass sie mit 45 Jahren einem Edelmanne aus der Picardie 3000 Livres Jahresrente ablockte, welche sie in den Stand setzten, ihre Tochter in ein vor- nehmes Erziehungsinstitut zu senden.^)

Nachdem sie von 1763 — 1774 in der rue Com- tesse d'Artois gewohnt hatte, zog sie nach der


1) Bericht des Polizeiinspektors M a r a i s bei Capon a. a. O., S. 177.

2) Dasselbe bei Capon a. a. O., S. 178.

3) ibidem, S. 178.

Imbert „Chronique Scandaleuse", Bd. Y. S. 13.

9*


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rue des Deux-Portes-Saint-Sauveur, wo die Affäre d'0pp3^ ihr bald grosse Ungelegenheiten be- reiten sollte.

Neben dem Pariser Hause besass die Gfoiir- d a n noch eine ländliche Besitzung in dem Dorfe Villiers-le-Bel, bestehend aus Villa, Terrasse^ Gärten und Stallungen, mitten in einem Gehölze mit vergittertem Tore, so dass dieses Asyl der Unzucht völlig vor der xlussenwelt geschützt war. Mit Vorliebe lockte die Gourdan die Bauermädchen aus der Umgegend hierher, um sie der Unzucht zu überliefern. Ferner diente dies Landhaus als eine Art Hospital für die mit galanten Krankheiten behafteten oder im Zu- stande der Gravidität befindlichen Insassinnen ihres Pariser Bordelles. Ausserdem wurden hier alle geheimen Machinationen und das Licht scheuenden Handlungen vorgenommen. Sie war wohl die abgefeimteste Kupplerin des 18. Jahr- hunderts und berühmt ,,pour ses le9ons dans l'art de la volupte". Die ,, Blüte" der Pariser Grisetten und Arbeiterinnen fiel ihr anheim. Sie hatte männliche und weibliche Emissäre und Agenten in ganz Frankreich. Diese ,,coureuses", ,,cher- cheuses" und ,,marcheuses" der Gourdan waren stets an der Arbeit. Dabei wurde die Gourdan durch die Protektion mächtiger und einfluss- reicher Lebemänner unterstützt und entging so stets den ihr häufig drohenden Strafen. i) Auf diese Weise übte sie ihr lukratives Handwerk bis


1) Les Serails de Paris, S. 29.


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zu ihi'em am 3. Dezember 1783 erfolgten Tode aus. Es hat sich handschriftlich eine genaue Eeschreibung der nach ihrem Ableben vorgenom- menen Inventaraufnahme ihres Bordelles er- halten, die von Capon ausführlich mitgeteilt v^ird.i)

Interessant ist der polizeiliche Bericht des Jahres 1755 über das Bordell der Hericourt durch die genaue Beschreibung seiner Insas- sinnen.2) Dieses Freudenhaus befand sich in der rue des Boucheries an der rue Saint-Honore, wo es noch 1781 existierte, weil damals eine Skan- dalschrift sich noch auf dieses Bordell bezieht.

Da Geistliche nicht selten die Bordelle heim- lich besuchten, so kamen einige Kupplerinnen auf die Idee, spezielle Bordelle für sie einzu- richten, in denen noch besondere Yorsichtsmass- regeln getroffen wurden, damit die würdigen Herren nicht entdeckt würden. Solch ein Spezial- institut leitete die Dubuisson in der rue du Battoir im ersten Stockwerk eines dem Cheva- lier de Chamoy gehörigen Hauses. Die Berichte des Polizeiinspektors M a r a i s geben eine inter- essante Auskunft über die verschiedenen geist- lichen Besucher und ihre sexuellen Praktiken.^)


1) Capon a. a. O., S. 190—194.

2) Capon a. a. O., S. 245—246.

3) „Portefeuille d'un dragon ou recueil galant ä l'usage des filles de la rue Saint-Honore, dedie ä iMadame d'Ericourt. mere du serail militaire de Paris", Londres (Paris) 1781, vergl. Gay a. a. O., Bd. VI. S. 116.

4) Capon a. a. O., S. 203—204.


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Ein ebensolches Freudenhaus für Geistliche hatte die Babet D e s m ar e t s.^)

Im Beginne der Kevolution war das Eaffine- ment im Bordellwesen so sehr entwickelt worden, dass der Verfasser einer Schrift ,,Les Bordeis de Paris" (1790) eine grosse Zahl solcher B o r - dellspezialitäten aufzählen konnte.

So gab es ein Bördel des pucelles", in dem freilich die Virginität meist Schein war. Dieses „jungfräuliche" Etablissement lag am Eingange des Faubourg Montmartre und wurde von Ma- dame Morgan geleitet. 2)

Die berühmte ehemalige Schauspielerin Dervieux hatte in der rue Chantereine ein 5, Bördel des elegantes" errichtet, in dem nur Courtisanen ersten Ranges zugelassen wurden, die mit den stets reichen Herren herrlich sou- pierten, um dann mit ihnen der Liebe zu pflegen. 3)

Madame D u c r a i in der rue cV Amboise war Inhaberin eines Bördel des bourgeoises", Mlle. Andre im Palais-Royal leitete ein ,,Grisetten- und Modistinnenbordell" ; bei Madame D e 1 a u- nay in der rue Croix-des-Petis-Champs fand man nur Mädchen aus der Provinz, flandrische Mäd- chen im Nationalkostüm, Mädchen aus Arles usw.^)

Sogar ein Freudenhaus speziell für — Impo- tente war von einer gewissen Lafcrriere in


1) ibicleni, 8. IGl.

2) C a p o n a. a. O., S. 256.

3) ibidem, S. 256.

4) ibidem, S. 257.


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der rue de Eichelieu eingerichtet worden, wo diese Invaliden der Venus durch stimulierende Getränke, Flagellation und manuelle Kunstgriffe zu alter Kraft gestärkt wurden.^)

Die zwei Häuser der Madame Blondy in der rue Bonne-Nouvelle und im Palais-Eoyal stellten ein ,,bordel mixte" dar, indem in beiden sowohl französische als auch fremde Mädchen und Frauen, junge und alte der Klientel zur Ver- fügung standen. 2)

Unter dem Direktorium fand wieder eine starke Vermehrung der Bordelle statt. Es war die Zeit, wo die obscönen Komane de Sades reissenden Absatz fanden, wo nach der Schreckensherrschaft alle der Liebe und dem sinnlichen Genüsse des Lebens sich mit erneuten Kräften, mit doppelter Lust zuwandten. Da stan- den in dem Cour Saint-Guillaume die Lastertempel der Victoire, der Sophie, der C a r 1 i n e ; in der rue de la Loi war das Hotel du Cercle" ein beliebter Wallfahrtsort der Libertins, die rues Helvetius, d'Argenteuil und des Moineaux wur- den von den Bordellen der Lavalle, der Hen- riette, der ,,Maison du Pas-de-Calais" und der ,,Maison de France" okkupiert. Die rue de Rohan hatte ihre E o s a 1 i e , die rue de Chartres ihre Ciaire, aus den Fenstern des „Hotel de la Chine" in der rue Neuve-des-Petits-Champs boten die Celeste, die Betzi, die Maxe nee ihre Eeize zur Schau, in der rue du Bouloi lockte die


1) ibidem, S. 251,

2) S. 257—258.


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„maisoii de Clermont" an, in der rue Croix-des- Petits-Champs das Freudenhaus ,,Grand-Balcon" und das Hotel du Mans" und „Hotel de la Liberte."!)

Mehr als je bedurfte der Fremde der Nach- weisung, der Führung durch dieses Labyrinth von Freudenhäusern. Diesem Bedürfnisse dien- ten ausser den erwähnten gedruckten Zetteln und Bordellführern die Mädchenlisten z. B. die „Liste de toutes les jolies femmes qui se trouvent ä Longchamps" (Paris 1790), die ,, Liste des femmes et des filles d'emigres qui trafiquent ouvertement de leurs charmes pour avoir du pain, leurs noms, leurs demeures et leurs prix" (Paris o. J.), die „Nouvelle liste des plus jolies femmes publiques de Paris, leurs demeures, qua- lites et savoir-faire" (Paris 1800). In dem letz- teren Verzeichnis finden sich 108 Namen mit Angabe der Wohnung eines jeden Mädchens und der Beschreibung ihrer körperlichen Reize und geistigen Eigentümlichkeiten z. B. : ,,A n n e 1 1 e , au Perron, No. 93. C'est une blonde ägee de ringt ans, d'une jolie f igure ; sa peau est blanche et du plus beau salin; sa gorge et son corps sont passables mais passes ; sa taille est avantageuse, son caractere doux et af fable; eile est un peu interessee, mais pourrait rendre heureux celui qui saurait la captiver" — Laurance, divine friponne, qu'on ne peut voir sans la desirer ; yeux

1) E. und J. de Goncourt „Histoire de la societe fran^aise pendant le Directoire", Paris 1876. 4 e edition, S. 81—82.


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noirs et tres expressifs, nez ä la Eoxelane, dan- ^ant avec gräce, chantant avec goüt, aimable a table."

Jedoch werden auch Fehler und Krankheiten .aufgezählt, zur etwaigen Warnung des Besuchers. So heisst es von „Fifine", dass sie seit 15 Jah- ren ( !) krank sei, und „Eosine" wird mit den lakonischen Worten abgetan: ,,Sie hat die Krätze."


Der Prostitution in den maisons publiques, d.ie durch ihre Bezeichnung darauf hindeuten, -dass sie nie die Beziehung zur Oeffentlichkeit verleugnen wollten, stand auf der einen Seite ^eine solche von noch grösserer Oeffentlich- ieit, auf der anderen eine heimliche Unzucht .gegenüber.

Die erste durch alle Teile der Stadt weit verbreitete Form hatte in den zahlreichen 'öffentlichen Liebesbörsen und auf den .galanten Promenaden ihre Zentren. Das bedeutendste derselben und am meisten aufge- suchte war das berühmte Palais Poyal. Denn jaicht weniger als 1500 Freudenmädchen versammelten sich dort jeden Tag !i) Es war der .grösste Schauplatz der Prostitution, den die W^elt je gesehen hat, der daher auch das Interesse und •die Neugier aller Fremden, selbst der in Venere .zurückhaltendsten erregte.


1) Capon „Les Maisons Closes", S. 260.


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Die zahlreichen und weiten Galerien dieses prachtvollen Gebäudes mit ihren herrlichen Mode- IMen, Eestaurants, Theatern waren von einer ungeheuren Schar dieser leichtgeschürzten Priesterinnen der Venus erfüllt, von diesen As- pasias, Floras, Aglaes, Sempronias, Agathes,. Fatimes, Zephirinen, Eosinen und mit anderen antiken und orientalischen noms de guerre aus- gestatteten Schönheiten. In der Mitte lag der ,, Zirkus", diese ,, Chimäre der Architektur" mit seinen Bäumen, Blumen, Vasen und Springbrun- nen, mit Musik und Tanz, wohin alles zusammen- strömte.

Diese ,,raccrocheuses" des Palais Royal, wie- schon Bachaumont sie nennt^) hatten zum Teil in diesem grossen Gebäudekomplex, dieser Stadt in der Stadt, ihre Wohnungen, die sie meist sehr teuer bezahlen mussten. Häufig waren in diesen ,,pensions" zwei oder drei vereinigt. 2) ,, Mädchen bei dem Restaurateur Mauduit,. Mädchen im Hotel de la Paix" über dem Cafe- des Aveugles, Mädchen über dem Cafe d'Hercu- lanum, in dem Hause der chinesischen Schatten- spiele und des französischen Puppentheaters,. Mädchen in No. 18, No. 45. In No. 93 eine der berüchtigtsten Frauen des Palais, Theodora, ge- nannt Fanchonnette Daudin. Mädchen in No. 81,. 88, 104, 105, 108, 113, 114, 123, 127, 148, 156,.


1) Anecdotes piquantes, S. 161 — 162.

2) Friedrich Schulz „üeber Taris und die Pa- riser", Berlin 1791. Bd. I. S. 501.


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167, 179. Die Galerie du Perron beherbergt die Emilies, Wallet, Lolotte, Victoire, Emee und die volkstümliche Fanchon usw."i)

Hinzu kamen noch die von auswärts jeden Tag das Palais Royal besuchenden Dirnen, weit- aus die grosse Mehrzahl.

Schulz unterscheidet 5 Klassen der Lust- mädchen des Palais Royal, zwei vornehme und drei geringere. Die zur letzteren gehörigen Mäd- chen gehörten meist dem Stande der ,,ouvrieres"' und ,,marchandes" an. Die. vornehmsten Hessen sich gewöhnlich als ,, junge Witwen", die von. ihrem Gelde lebten, einschreiben. 2) Als Typen, dieser ersten vornehmsten Klasse schildert. Schulz die ,, Bacchantin" und die ,,yenus".

,,Die Bacchantin hat ihren Namen von. einer Aehnlichkeit, die man zwischen ihr und einer in der Gemäldeausstellung vom vorigen. Jahre erschienenen .Bacchantin gefunden haben, will. Es ist ein grosses, schwarzes, gedrungenes^ Mädchen, mit Amazonen-Augen und einem Haar- wüchse, den ich nie so ungeheuer gesehen habe. Er ist schwarz wie Ebenholz, von Natur gekräuselt, und bildet, wenn er flattert, ein ganzes wogen- des Meer von Haaren über Schulter, Brust und Rücken, und wenn er zusammengeschlagen ist, einen dicken, wulstigen Chignon, der kaum die Schultern sehen lässt. Sie ist mehr fett als- schmächtig, aber fest und regelmässig gebaut,,


1) E. u n d J. de G o n c o u r t a. a. O., S. 79 — 80.

2) Schulz a. a. O S. 502.


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xait kleinen Händen und wie gedrechselt runden Armen. Die Gesichtsfarbe etwas gelb, die Zähne weiss, der Mund klein, der Anzug immer neu, immer geschmackvoll. In der Tat, ihrer zwei könnten den stärksten Orpheus unserer Zeit in Stücke zerreissen — sie tun es aber nicht. — -Ein Zug von Gutherzigkeit hat ihr einen grossen Namen und grossen Zulauf verschafft. Sie nahm sich eines armen, durch einen Pistolenschuss "verwundeten Schauspielers an, was sie sehr po- pulär machte."

Dieses etwa 26 — 28 Jahre alte Mädchen hatte -eine Wohnung von 5 Zimmern im Palais Eoyal.^)

,,Die Venus trägt diesen Namen nicht mit Unrecht. Es ist eine zarte, frische Brünette von zwei- bis vierundzwanzig Jahren, mit sehr feinen -Zügen, schönen Zähnen, kleinen runden Händen, nettem Fuss und vollem Busen. Sie zeigte sich •diesen Sommer beständig in einem schwimmen- den Neglige vom feinsten Musselin, der ihren Bau sehr leicht umwehte, und das Spiel der schlanken Taille, der Hüften und Schenkel bei jeder Bewegung und bei jedem Schritte verriet. Ihre Wohnung ist bei weitem die prächtigste, ihre Liebhaber sind die reichsten und schönsten. Sie singt und spielt sehr gut und tanzt trefflich. 'Sie ist aber sehr kostbar und dabei in der Wahl ihrer Kunden sehr ekel. — Es ist unmöglich, •dieses Mädchen anders als mit einem sehr leb- haften Interesse anzusehen. Sie ist selten allein,


1) ibidem, S. 512—513.


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und Männer von höchstem Eange schämen sichi nicht, mit ihr am hellen Tage in den Alleen auf- Tind abzugehen. Man hat mir Züge von ihr er- zählt, die sie zu einem passenden Seitenstücke der griechischen Aspasia machen."^)

Als zu dieser ersten Klasse gehörig nennt Schulz noch die ,, Sultanin" und die ,,0range".2)^

Als Vertreterinnen der zweiten Klasse, die- nur zwei bis drei Zimmer bewohnten, macht er die ,,drei Teniers" namhaft.

,,Drei Mädchen von diesen Klassen, die von. einem Wüchse und von einer Farbe waren, sich beständig gleich kleideten und nie einzeln im Palais Eoyal erschienen, waren diesen Sommer hindurch die berühmtesten, und wurden es mit durch diese Gleichheit und ünzertrennlichkeit.. Man nannte sie die ,,Teniers", weil sie haupt- sächlich von Holländern unterhalten wurden,, und weil hier Niederlande und Holland einerlei ist. Es sind drei kleine und niedliche Figuren. "s),

Die vierte und fünfte Klasse der Lustmäd- chen des Palais Eoyal befand sich ganz in der Grewalt ihrer Kupplerinnen, der „Bonnen", die- ihnen Logis und Kleidung gaben.*)

Alle diese Mädchen promenierten Tag und Nacht bis zum frühen Morgen in den Alleen und Galerien des Palais Eoyal oder sassen in den. Eestaurants, Kaffeehäusern, Konzertlokalem


1) ibidem, S. 513—515.

2) ibidem, S. 515.

3) ibidem, S. 516. ibidem, S. 516.


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8pezialitätentheatern desselben, wo überall Ge- legenheit zur Unzucht durch Chambres separees oder durch die direkt an diese öffentlichen Lokale sich anschliessenden, meist über ihnen im ersten oder zweiten Stocke gelegenen W ohnungen der Dirnen gegeben war.^)

Etwas weniger ambulant war die Prostitution in den Modeläden des Palais Koyal. Alles was sich aus Band und Seide und Flor und Federn bauen lässt, bietet sich hier Ihren Blicken dar. Fünf oder sechs junge Mädchen, leicht und mit Geschmack gekleidet, sitzen hier unter grossen Haufen von zarten Materialien und stecken mit eben so zarten Fingern die künstlichen Gebäude zusammen, die zum Teil bis nach Eussland und •der Türkei halten müssen. Ihre Blicke wechseln zwischen der Nadel und den Vorübergehenden, und laden diese oft genug ein, bei ihnen zu kaufen, was nicht bezahlt werden kann, wenn •es verweigert wird, und ohne allen Wert ist, wenn man es anbietet. Man hat diese Moden- gewölbe oft genug mit Serails verglichen, aber diese Vergleichung hinkt gerade in dem wich- tigsten Zuge : denn hier ist Sultan wer will und bezahlt, und Verschnittene werden gar nicht .gelitten.^)

Sehr anschaulich schildert August von K o t z e b u e das Leben und Treiben der Prosti- tuierten im Palais Eoyal, ein Rencontre mit


1) ibidem, S. 451—455, 465, 467—474 ii. a.

2) ibidem, S. 430—431.


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mehreren und seinen Besuch bei einer der- selben.i)

So war das Palais Eoyal, wie Y e r o n sagt, der es noch in seiner Glanzzeit gekannt hatte, das belebte Gremälde, die fieberhafte Darstel- lung der Sitten der Zeit", so zu sagen ein ,, Olymp in seiner guten Laune". ,,Man ass, man trank, man sang, man spielte, man liebte. — In den Galerien, in den Cafes mit Theatern, des Som- mers auch in den düstern Alleen des Gartens ellbogte man sich auf jeden Tritt mit einer Masse von Aphroditen, welche die Haltung von Köni- ginnen hatten, rot und weiss bemalt waren und weniger durch ihr kupfernes und gläsernes Ge- schmeide als durch ihre glänzenden Nacktheiten blendeten. "2)

Neben diesem Zentrum der Prostitution kamen die grossen Boulevards, die T u i - 1er ien, die Promenaden von Long- c h a m p s , die Vergnügungs gärten, Theater und Eestaurants als öffentliche Liebesbörsen in Betracht.

Die mannigfaltigen Arten und Kniffe dieser Strassennymphen hat Schulz in einem interessanten Augenblicksbilde festgehalten :

,,Die öffentlichen Mädchen von der mittleren Klasse gehen hier mit ihren ,, Müttern" auf und ab und drehen entweder den Lorgnetten fun- kelnde Augen zu, oder streichen, den Blick

1) A. V. K o t z e b u e a. a. 0., S. 87—92.

2) L, Ver on ,, Memoiren eines Pariser Bourgeois", Stutt- gart 1854. Bd. I. S. 65.


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schüchtern auf den Boden geheftet, mit ver- stellter Eil durch das Getümmel. Beyde Arten finden ihre Kenner. Andere von höheren Klassen kommen in Fiakern oder gar in Eemisen hier- her gefahren und gehen in eins der Theater, ge- fallen sie beim Aussteigen, so geht man ihnen in die Loge nach, die sie wählen, wird mit ihnen bekannt, und wenn man nicht einen ganzen Abend daran setzen will, hier schon vertraut, so viel es die Augen der andern in den Logen erlauben^ und die erlauben viel. Andre, die von der letzten Klasse, machen Jagd auf die Hand werksbur sehen und führen sie durch enge Gänge, die zwischen den Theatern und Kaffeehäusern hier und da an- gebracht sind, in ein Hintergebäude ab, um wenig Augenblicke nachher auf ihrer alten Laufbahn wieder zu erscheinen, während der Compagnon menuisier oder serrurier mit hangenden Ohren sich hinter eine Flasche Märzbier setzt, um über die Freuden seines Kuhetags mit klopfendem Herzen nachzudenken.

Aber wenn es mit den Mädchen, die man vor sich sieht und mustert, genug wäre ! Andre, die nicht da sind, werden den Spaziergängern noch gefährlicher. Sie wissen, dass gewisse Dinge durch die Phantasie schöner ausgemalt werden, als man sie in der Wirklichkeit vor sich sieht, und dass oft Neugier, mit den Taschenspieler- streichen der Einbildungskraft verbunden, hef- tiger drängt, als sinnlicher, durch Auge oder Gefühl aufgeregter Reiz."

Nach dieser nicht üblen Theorie wurden die


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Reize einer nicht anwesenden „Jungfrau" von Kupplerinnen den Vorübergehenden geschildert, oder es wurde eine Schönheit gepriesen, die sich angeblich für den Betreffenden inter- essiere u. a. m.i)

Im Tuileriengarten promenierten vorzüglich Mädchen, die durch sittsame Kleidung und Hal- tung den Eindruck ehrbarer Bürgerstöchter er- weckten, meist in Begleitung einer älteren Dame. Diese Bilder der Unschuld verloren sich aber, wenn sie die Aufmerksamkeit eines Mannes er- regt hatten, in Seitenwege, um hier die Aner- bietungen zweideutiger Art zu empfangen.^)

Die vornehme Demimonde bevölkerte die Pro- menade von Longchamps, wo Prinzen und Edel- leute als ihre Bewunderer sich versammelten und die Guimard in einer Karosse von auserlese- nem Geschmack an der Spitze dieser Kurtisanen am meisten der Anbetung würdig schien, 3) falls sie nicht durch die Diamanten einer anderen Schönheit überstrahlt wurde.

Die öffentlichen Yergnügungsgärten hatten sich geradezu in Gefilde Cytherens verwandelt. Im „Vauxhall d'hiver" drängte sich Kurtisane an Kurtisane, mit allen natürlichen und künstlichen Reizen ausgeschmückt, etwa 200 an der Zahl. ,,Sie sitzen in stillen Gruppen auf den Bänken der Galerien umher oder gehen zwei und zwei darin herum, sprechen mit Bekannten oder mit

1) Schulz a. a. O., S. 311—313.

2) ibidem, S. 348.

3) Anecdotes piquantes, S. 64 — 65.

Diihren, Neue Forschungeu über de Sade. 10 '


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Unbekannten, die sie anreden, sehr anständig und bescheiden, lassen sich aber freilich Wünsche ins Ohr zischeln, die sehr bedeutend sind, die aber hier ihre Befriedigung nicht finden, sondern bis zur Nachhausekunft vertröstet werden. In dem Garten herrscht jenes schauerliche Hell- dunkel, von dem Crebillon und andere Kenner uns so viele Wunderdinge zu erzählen wissen."^)

In diese Vauxhalls verlegten die Bürger mit '\^orliebe, dabei die vornehme Welt nachahmend, ihre petits soux3ers, die sie gewöhnlich in Ge- sellschaft von Freudenmädchen einnahmen. 2)"

An der Ecke der rue du Temple befand sich ein ähnliches Vergnügungslokal, „Paphos" ge- nannt,3) andere lagen draussen vor der Stadt wie Tivoli, Ruggieri, das Elysee usw.^)

Viele Kaffeehäuser waren voll von Dirnen, da hier meist hübsche Chambres sepa- rees zu ungestörtem Genüsse einluden. So be- fanden sich in dem hierfür berüchtigten Cafe des Aveugles ,, zwanzig kleine geschmackvoll verzierte Abteilungen" für solche heimlichen Venus- opfer.ö)

1) S c h u 1 z a. a. O., S. 246—251. . -0 ibidem, S. 253.

3) „Et au coin de la nie du Temple, cet Eden, illumiiic et tout sonnant de musiques : — courez, appareilleuses. filles vetues de soie, les pieds trempes de boue, petites ouvrieres prostituees — courez le long de ces arcades ä joür, passez cette maisön ä balcon, l'ancienne maison de l'Hopital, montez l'escalier qui mene ä ces arbres tailles : c'est Pap Ii OS." E. u. J. de G-oncourt a. a. 0., S. 62.

4) ihiaem, S. 207 ff.

•0 Paris wie es j(izt ist, Chcmnilz J810. S. I.T-Il.


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Der niederen Prostitution dienten die G u i n- getten, ausserhalb der Barriere der Stadt ge- legene Wirtshäuser mit grossen Sälen und Wein- stuben. Solche befanden sich z. B. zu Yaugirard, Gros-Caillou/) Saint-Aubin. Letztere ist durch das Gemälde Watteaus „Ketour de Guingette" verewigt worden. Das Lied:

Tu es, guingette, le canton

Le plus joli du monde

Tu nous fais naitre des amants

Les plus jolis du monde,

Qui font dessus l'herbe des tours

Les plus jolis du monde

kennzeichnet die Galanterien in diesen Guin- getten.2)

Von der Prostitution in den Theatern wird an anderer Stelle die Eede sein; hier sei nur noch der grossen Verbreitung der heim- lichen Prostitution gedacht, die überhaupt die Oeffentlichkeit scheute oder auch nur gelegent- lich aufsuchte. Ihr gehörten jene ,, Belies de nuit", jene Venus tenebreuses" an, die nur bei Nacht und Nebel ihre Schlupfwinkel verliessen, um teils ^us Armut, teils aus Laster der Venus vulgivaga zu fröhnen. Man traf sie in den dunkelsten Par- tien des Tuileriengartens und der elysäischen eider, 3) wo sie oft sich bis zur Unkenntlich-


1) Schulz a. a. O., S. 224—225.

Vergl. V. J o s z „Watteau. Moeurs du 18 e siecle", Paris 1903. S. 175—176.

3) Les Serails de Paris, S. 60—62.

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keit \ eiiiüllten und immer Liebhaber fanden, die von diesem auch von de Sade so hoch geprie- senen Mysterium beim Liebesgenusse besonders- entzückt waren, ^fiette maniere est meme, pour certains amateurs, la rocambole du plaisir".i) Auch Droschken mit dicht verhängten Fenstern und Badeanstalten dienten dieser heimlichsten Unzucht. 2)

Stätten der clandestinen Prostitution waren auch die geheimen sexuellen Klubs, die ,,societes badines", die eine charakteristische Erscheinung des Kokoko darstellen. Diesem ge- heimen Kultus der Venus waren z. B. geweiht der Ordre de la Felicite" und ,,des Aphrodites'V die 5jSociete des Culottins et des Culottines". Die Herzogin von Gr e s v r e war Mitglied des- ..Medusenordens", in dem Madame de Eavoye als „Schwester Glouglou", Madame de la Fare als ,, Schwester Ploton d'Amour", Madame M a i 11 7 du Breil als ,,soeur Amüsante", die Gräfin von Canillac als ,,soeur Effective", die Mme. de Cambray als ,,soeur Solide", der Präsident de Lamoignon als Bruder Degourdy" und der ]\larquis de Pressigny als ,,sehr empfindsamer Bruder" tätig waren. 3)

Auf einer Liste der Mitglieder eines Ordens mit einem sehr obscönen Namen lässt sich Mme.


^) ibidem, S. Gl.

-) M e r c i c r d o C o in p i e g n e Manuel (lt\s Boudoirs", S. 190.

3) J o s z „Watteau", S. 34 1—345.


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de Villefranche .,sainte Facile" nennen, die Parabere heisst „sainte Mtouche", Madame de Goureillon ^^sainte Modeste", die Mar- schallin d'Estrees ,,sainte Contente", Madame de G-ace ,,sainte Fringante", die Herzogin von Kohan .,sainte Accroupie, demeurant ä la Gruin- gette, rue de l'Egoütie" und endlich die Herzogin von Berry ^^sainte Commode".i)

In dem Lusthause des Herzogs von L a u z u n in der rue Saint-Pierre wurde der Ordre de la Perseverance" gegründet, dem 90 Herren und Damen der vornehmsten Gresellschaft angehörten und der sich in diesem Lusthause alle vierzehn Tage zu galanten Orgien vereinigte. 2)

Auch in der Provinz gab es solche geheimen Klubs. In dem alten Schlosse von Chaource bei Bar-sur-Seine hatte man die Statuten eines alten, von der Gräfin von Champagne gegründeten Ordens, des „ordre de la Constance" aufgefunden. Die Edelleute der Gegend taten sich nun zu- sammen, um diesen galanten Kitterorden zu neuem Leben zu erwecken und wählten zu ihrer „Grossherrin" die Dame des Ortes, die nun ganz im Sinne der altritterlichen Galanterie Beweise ihrer Gunst an die männlichen Mitglieder ver- teilte.3)

Die Gesellschaft der vier Wüstlinge in dem neuen Komane des Marquis de S a d e stellt eben- falls einen solchen geheimen sexuellen Klub dar.

1) ibidem, S. 345.

2) Capon „Les petites maisons galantes", S. 119.

3) Anecdotes piquantes, S. 115.


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Höchst eigentümlich und bezeichnend für die Korruption in dieser Epoche war das Ver- hältnis der Polizei zu der Prostitution und den Vorgängen in der galanten Welt. Mit Eecht hat der Verfasser der „Mysteres de la Police" den Ausspruch getan, dass die französische Sittengeschichte des 18. Jahrhunderts in den Polizeiarchiven bereits voll- ständig niedergelegt se i.i) C a p o n s doch immer nur erst fragmentarische Ausgrabungen haben die Eichtigkeit dieses Wortes A'ollauf be- stätigt.

W^ohl zu keiner Zeit ist die Polizei mehr eine Beschützerin und Mitschuldige des Lasters ge- wesen als damals. „Es gibt eine Hand, die alle Fäden der Unzucht vereinigt, einen Mittel- punkt, auf den sie hinlaufen : das ist die P o 1 i z e iy die Polizei, die sie beobachtet und begünstigt, die sich des Lasters für ihre geheimen Zwecke bedient, die für die Könige und die Grossen die Kupplerin spielt, in gefälliger Vermittelung und geschickter Herbeischaffung, die den Kleinen nur als befehlende Herrscherin erscheint, deren scharfes Auge bis in die dunkelsten Winkel dringt und Gehorsam, stummen Gehorsam heischt. "2) So wurde die ganze Welt der Prostitution der Geheimpolizei untertänig. Die Dirnen wurden eben so viele Agenten und Spione derselben. Wir haben ja schon einige Berichte der Bordell-


1) „Les Mysteres de la Police", Paris o. J. Bd. I. S. 235.

2) ibidem, S. 235—236.


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Wirtinnen an die Polizei über die Vorgänge in ihren Häusern kennen gelernt. Die Polizei war im 18. Jahrhundert die Dienerin derKorruptionindenhöherenKreisen. Kein Wunder, dass Mercier ausruft: „Oui, il y a des etres au-dessous de ces femmes de mau- vaise vie, et ces etres sont certains hommes de police".!) Eben so bezeichnet der Marquis de Sade die Pariser Polizisten als Verbrecher und misst ihnen die Hauptschuld an der Ver- breitung des Lasters bei. 2)

Diese Verderbtheit ging von den obersten Polizeibehörden aus. In der Tat spielen die „lieutenants generaux" und die „inspecteurs de police" des 18. Jahrhunderts eine höchst eigen- tümliche und zweideutige Eolle in der franzö- sischen Sittengeschichte.

Schon der erste Polizeichef am Anfange des 18. Jahrhunderts Marc Eene de Paulmy, marquis d'Argenson Hess sich für seine ge^ heimen Vergnügungen die schönsten der unter seiner Aufsicht stehenden Freudenmädchen aus- suchen, verpflanzte seine Maitressen in das Kloster du Trainel in der rue de Charonne, wo er als ein wahrer Sultan über die Nonneii herrschte.^)

Unter seinen Nachfolgern verdient zunächst


1) Mercier „Tableau de Paris", S. 76.

2) de Sade „Aline et Valcour", Brüssel 1883. Bd. IT. S. 313—314.

3) Les Mysteres de la Police. Bd. I. S. 12. ^) ibidem, S. 18—21.


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Berryer eine Erwähnung, der von 1747 bis 1757 Polizeipräfekt von Paris war. Er ist der Erfinder der eigentlichen Bordell- spionage und kam hiermit einem AVnnsche der Marquise de Pompadour entgegen, die dem Könige durch tägliche Berichte über die in den Ereudenhäusern vorkommenden Ereignisse ein Amüsement verschaffen wollte. Für die Ueberwachung der Dirnen und der Galanterien der männlichen und weiblichen Lebewelt, die mit dem Jahre 1748 ihren Anfang nahm, hatte sich Berryer einen G-ehilfen in der Person des In- spektors Meusnier zugesellt. Dieser legte den Bordellbesitzerinnen die Pflicht einer periodi- schen Berichterstattung über die Vorkommnisse in den Ereudenhäusern auf, die bis auf die Stunde genau abgefasst sein musste und deren Unrichtig- keiten er selbst verbesserte. Diese täglichen Berichte wurden von Berryer durchgesehen und dem Könige Ludwig XV. dann vorgelegt.-) Meusnier hatte, wie sich aus den Akten nach- weisen lässt, häufig geschlechtlichen Verkehr mit den Dirnen. 3)

Nach dem Tode Meusniers im Jahre 1757 wurde Louis Marais sein Nachfolger. Er kannte die galante Welt von Grund aus und war der Schrecken der Stutzer und Wüstlinge aller Art. Sie alle fürchteten, wie er selbst schreibt, das Lever des Königs, weil diesem dann sofort

1) Les Mysteres de la Police. Bd. I. S. 48.

2) Capon „Les Maisons Closes", S. 14 — 15.

3) ibidem.


alle ihre Streiche mitgeteilt würden. i) Weitaus die grösste Zahl der geheimen Polizeiberichte stammt aus der Feder dieses gefürchteten Mannes, der namentlich ein scharfes Auge auf die Galanterien der Greistlichkeit hatte, wie die berühmte Schrift ,,La chastete du clerge de- voilee" (Paris 1790, 2 Bände) beweist, die sich fast durchweg auf die Berichte des Marais stützt.

Herr de Sartines, ein Spanier von G-eburt, der im Jahre 1759 Polizeipräfekt von Paris wurde, brachte das System der polizeilichen Spionage auf den höchsten Grad der Vollkommenheit. Er wurde der ,, Gross -Inquisitor der Polizei genannt. Nichts entging ihm, alle Mittel waren ihm recht. Er wollte alles sehen, weil er alles wissen wollte, und er verbot alles, um alles erlauben zu kön- nen, sagt Manuel von ihm.^) Besonders die Prostitution nahm unter ihm eine geradezu un- geheuerliche Entwickelung,3) de Sartines ist in de Sades Eomanen einer der bestgehassten Menschen. De Sade lässt keine Gelegenheit vorübergehen, ohne seinem Grimm gegen diesen Mar • in scharfen Worten Luft zu machen (vergl. z. B. Aline et Yalcour III, 158; IV, 226).

Der würdige Nachfolger des de Sartines war Lenoir, der die Spionage sogar auf die Fa- milien der Pariser Bürger ausdehnte, wobei er


1) ibidem. ;

2) Manuel „La police devoilee", Paris 1791. S. 359.

3) Les Mysteres de la Police. Bd. I. S. 64.


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einen grossen Einfluss auf die intimsten ^Familien- angelegenheiten gewann.^) Lenoir war einer der grössten Betrüger und Aussauger und daher äusserst verhasst. Dabei missbrauchte er seine einflussreiche Stellung zu zahlreichen galanten Abenteuern. Ein junger Chevalier de la Bruyere unterhielt ein schönes Mädchen, das ihn viel kostete, womit seine Familie unzufrieden war. Sie wandte sich an L e n o i r , der den jungen Mann kommen Hess, von „bonnes moeurs" sprach, das Mädchen aufheben Hess und zu eigenem Gebrauche sechs Monate lang eingesperrt hielt. 2) In einem Vaudeville heisst es mit An- spielung auf diese Libertinage des Lenoir:

Lorsque je vois ma Glycere En juste blanc de satin, Qui, sur sa taille legere, . S'allie avec son beau sein; Oui, je crois etre ä Cythere Et je ne puis concevoir, Comment on souffre — Le Noir.^)

Die schändliche Eolle, die Lenoir als Ver- mittler galanter Intriguen spielte, wird am besten durch den folgenden kleinen Briefwechsel*) be- leuchtet :


^) Vergl. die Beispiele in den ,,Mysteres de la Police", S. 74—79.

2) Schulz „Ueber Paris und die Pariser", S. 160.

3) ibidem, S. 162.

4) ibidem, S. 168—169.


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„Billet einer Kurtisane an einen vor- maligen Minister.

Wir haben nicht so viel Geld, uns ein Bonnet zu kaufen, um morgen bei Ihrer Audienz zu er- scheinen. Kommen Sie entweder heute abend, oder machen Sie, dass Herr Le Noir, dem wir die Ehre Ihrer Bekanntschaft danken, uns erlaubt, wenn auch nur für zwei Tage für „Biribi" oder „Gage du Tarif" Bank zu halten."

Antwort des Ministers.

,, Heute abend kann ich nicht kommen; aber schickt mir morgen gegen neun Uhr dieKleine. Geld kann ich ihr nicht geben, aber sie soll eine Ordre für Le Noir mitbringen, dass er euch Geld schickt und einen von unsern Bankiers, der die Partie macht. Er wird nicht anstehen, mir zu Willen zu sein."

Auch über Lenoir giesst der Marquis de Sade öfter die Schale seines Zornes aus (z. B. Aline et Valcour lY, 227 : „le scelerat Lenoir"). Ueberhaupt ist das ganze Institut der Sitten- polizei und der Bordellspionage Gegenstand seiner scharfen Angriffe. Er meint, dass die Polizei und die Eichter, die mit brünstiger Gier die Berichte über die Unzucht und sexuellen Ausschweifungen von den Prostituierten und Bordell Wirtinnen entgegennähmen, sowie das Publikum dadurch nur zum Laster angefeuert


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würden. Es sei doch besser, dass man hundert Libertins ruhig gewähren lasse als dass man zehntausend durch solche Skandale züchte. Vor der Regierung Ludwigs XV. habe man diese infame Kunst, die Jugend auf solche polizeiliche Art zu korrumpieren, nicht gekannt. Es gab keine Spione, keine Journale der Kurtisanen. Dank dem Sartines wisse heute ein Mensch mit 15 Jahren, was er früher noch nicht mit 40 ge- wusst habe. ,,yoilä comment, pendant que vous chantiez et couriez vos catins, on enchainait votre liberte, comme on grevait vos goüts et vos fantaisies les plus simples ; comme on mettait des entraves sur vos besoins les plus naturels, et comme on gangrenait vos enfants ; et tout cela sous le specieux pretexte d'une excellente police."!) Der Präsident de Blamont freilich rühmt in ,,Aline et Valcour" die Verpflichtung der Dirnen, genauen Bericht über die mit ihnen vorgenommenen unzüchtigen Akte zu erstatten als eine der ,,plus belies institutions frangaises" (Aline et Valcour IV, 49).

Dass die Prostituierten unter diesen Verhält- nissen der Polizei gegenüber völlig rechtlos waren und man nach Belieben mit ihnen verfuhr und wenn es passte, der Freiheit beraubte, bedarf keiner weiteren Ausführung.^)

Widerspenstige Freudenmädchen oder solche, die sich irgend eines Vergehens schuldig gemacht

1) de Sa de „Aline et Valcour". Bd. III. S. 266.

2) Vergl. darülDer M e r c i e r „Tableau de Paris". S.- 76 bis 77.


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hatten, wurden gewöhnlich nach dem „ H 6 p i - tal" gebracht, wie man dieses speziell für solche Insassinnen bestimmte Grefängnis nannte, wahr- scheinlich mit Kücksicht auf die fast stets nötige Behandlung wegen venerischer Krank- heiten, i) Auch die Grefängnis se ,,Chätelet", „St.- Martin", „Ste.-Pelagie" beherbergten öfter Prosti- tuierte.

Endlich gab es Anstalten zur Rettung dieser Verlorenen, die Magdalenenhäuser. Die ältesten Institute dieser Art reichen bis in die Zeit Ludwigs des Heiligen zurück, er- langten aber allmählich eine andere Bestimmung. Hierzu gehörten die ,,Filles-Dieu", die „Filles de Saint-Magloire" u. a. Um 1790 existierten noch die folgenden vier Magdalenenhäuser in Paris :

1. Couvent des Filles penitentes et volontaires, in der rue Yendome. Dieses Institut nahm nur eine gewisse Anzahl reuiger Mädchen auf, die mit geistlichen Uebungen und Arbeiten beschäftigt wurden, kein Gelübde taten und daher wieder fortgehen konnten, wenn sie wollten.

2. Die Communaute des Filles peni- tentes de Sainte-Valere, in der Vorstadt St. Germain, mit der Ueberschrift über ihrem Hause: Si scires donum Dei, welche witzige Köpfe lächerlich und zweideutig interpretierten


1) Vergl. die Beschreibung des „Hopital" in: Les Serails de Paris, S. 93—95.


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ebenso wie den Namen der religiösen Schwester- schaft „Filles de la Conception".

3. Die Communaute du bon Paste ur, in der rue Cherche-Midi, mit 60 Insassinnen, wäh- rend die beiden obengenannten Häuser nur 40 bis 50 hatten. Mehr waren im Hause der

4. Filles de la Madeleine oder M a d e- 1 o n e 1 1 e s , in der rue des Fontaine s, gegründet im 17. Jahrhundert auf Veranlassung eines reichen Weinhändlers. Die Büsserinnen dieses Hauses waren in drei Klassen eingeteilt, deren erste ,,de la Madeleine" hiess und solche Mäd- chen enthielt, an deren aufrichtiger Bekehrung kein Zweifel mehr war. Die zweite Klasse ,,Sainte- Marthe" umfasste solche, die noch „auf die gänz- liche Befreiung von sinnlichen Lüsten warteten," in der dritten Klasse waren die noch ganz Un- bussfertigen, die mit mehr Strenge behandelt wurden. Dieses Haus beherbergte etwa 150 Mädchen. 1)

Die Erkenntnis, dass diese Magdalenen- häuser stets ihren Zweck völlig verfehlen, war schon damals verbreitet. Der erfahrene Polizei- inspektor Marais philosophiert einmal in einem seiner Berichte in höchst bemerkenswerter Weise über die nicht auszurottende Neigung der Dirnen zur Unzucht. 2) Auch Schulz erklärt, dass der Zweck dieser Institute stets verfehlt werde. Die meisten Mädchen suchten nur aus Not dieselben


1) Schulz „lieber Paris und die Pariser", 8, 195 — 2()0.

2) Vergl. Capon „Les Maisons Closes", S. 210.


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auf. Aber nach dem Sprichwort : Der Bär wagt seine Nase immer wieder an den Honig, kehrten fast alle bald wieder zum Laster zurück.^) Die einzige Folge des Aufenthaltes in den Magda- lenenhäusern war grössere Vorsicht und Heuche- lei in der Ausübung ihres Gewerbes .


1) Schulz a. a. O., S. 201.


V. Ausartungen des Geschlechtslebens.

(Voyeurs, Fetischisten, Incest, Sadismus, Flagellantismus, Masochismus, Homosexualität.)

Die Geschichte der sexuellen Verirrungen, der Erscheinungen auf dem Gebiete der Psycho- pathia sexualis in dieser Zeit grösster Korrup- tion und verfeinertster Kultur bietet sowohl in medizinischer als auch in kulturgeschichtlicher Hinsicht ein eigentümliches Interesse dar, indem sie über grundsätzliche Fragen auf diesem Gebiete, die noch heute Gegenstand der wissen- schaftlichen Diskussion sind, wertvolle Beleh- rungen gibt, die auch für unsere heutige Zeit noch Geltung beanspruchen können.

Wir sehen, dass man nach dem Grundsatze : Le plaisir, le plaisir par dessus tout^) die Ge- nüsse auch auf sexuellem Gebiete möglichst zu vervielfältigen, zu variieren suchte, dass die Be- gierde nach Neuem in der Liebe allmächtig wurde und alle moralischen Bedenken und physi- schen Abneigungen überwucherte. In dem Liebes- leben der einzelnen Individuen können wir so die


1) Der Schlusssatz von ,J.o petit fils d'Hercule", Paris 1781. S. 194.


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allmähliclie Entwickelung gewisser Pas- sionen genau verfolgen, sogar die eine auf die andere folgen oder beide nebeneinander existieren sehen. Dies ist wichtig für die grundsätzliche Frage von dem Angeboren- oder Erworbensein der sexuellen Anomalien. Es gab z. B. nur wenige Männer oder Frauen mit angeborener Homo- sexualität, die meisten wandten sich der gleich- geschlechtlichen Liebe als etwas Neuem in ihren erotischen Erlebnissen zu und gaben deshalb durchaus nicht leidenschaftliche Beziehungen zu dem anderen Greschlechte auf. Ja, die meisten Libertins erschöpften das ganze Eegister der Psychopathia sexualis und glichen darin den vier Wüstlingen in de Sades „120 Tagen von So- dom", die das Tableau aller sexuellen Perversi- täten vor sich aufrollen lassen, um diese alsbald nachzuahmen.

Man kann daher in dieser Zeit nur von homo- sexuellen, sadistischen, masochistischen Hand- lungen, nicht Personen reden. Es gab relativ wenige sexuelle Monomanen in Vergleichung mit den durch und durch, im ganzen ge- schlechtlich korrumpierten Individuen. Es ist ein Franzose, Nicolardot, der da sagt, dass seit der Zeit der Cäsaren kein Jahrhundert dem achtzehnten in Beziehung auf diese geschlecht- liche Verderbtheit vergleichbar ist.i) In de Sades neuentdecktem Eomane haben wir ein die Justine und Juliette" an Vollständigkeit

1) Louis Nicolardot „Les Cours et les Salons au dix-huitieme siecle", Paris 1879. S. 300—301.

Dühren, Neue Forsctiungen über de Sade. H


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bei weitem . übertreffendes, aber doch nur die düsteren Färben der Wirklichkeit wiedergeben- des Gemälde dieser sexuellen Korruption vor uns.

Nur einzelne charakteristische Erscheinungen derselben wollen wir berühren und absehen u. a. A'on den mannigfaltigen Arten der Masturbation, denen in den Bordellen eine ganze Schar von 7,Fellatricieö*' diente,!) absehen auch von allen den raffiniei^ten Figurae Veneris, die in der Lite- ratur eine^ so grosse Kolle spielen, von der weit verbreiteten Vorliebe für die kallipygischen Reize j,cette pärtie si interessante parmi les libertins du 3 Our", wie es in de Sades neuem Romane (12e journee) heisst, von den nackten Bällen" und exhibitionistischen Orgien in Spiegelsälen, die z. B. in der petite maison des Herrn von M e n- do r g e stattfanden. 2)

Die im Dunklen schleichende Brut der so- genannten ,.Yoyeurs" gewann in dieser Zeit eine grosse Zahl von Anhängern, die alle Bordelle und Schlupfwinkel der Oalanterie unsicher machten und für deren eigenartige Passion die raffinier- testen Vorrichtungen in den einzelnen Freuden- häusern angebracht waren. So bat der Marquis de Paulmy d'Argenson die Bordellinhaberin Lafosse ,,de lui faire une ouverture ä cette porte afin. que si il se trouvait quelqu'un chez moi je le laisse regarder ce qu'il se passait chez moi".3) Ergötzlich ist der Bericht des Polizci-


1) Capon „Les Maisons Closes", S. 223.

2) ibidem, S. 146—148. •0 ibidem, S. 145.


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Inspektors M cl/ 1' 1 s über den Erzbischof von C a m. b r a i , der im Freudenhause der Y i e r - ville von einem Zimmer aus „des parties con- jointes d'hommes et de femmes" mit dem — Teleskop beobachtete l^)

Zur Zeit der Eevokition und imter dem Direk- torium entwickelte sich der Greschmack für Negerinnen unter den Lebemännern in einer höchst auffälligen, nur durch psychische Con- tagion erklärlichen Weise. Aber schon 1753 heisst es in den Berichten der L a f o s s e , dass der Geschmack des Jahrhunderts sich gänzlich ge- ändert habe, die europäischen Frauen seien zu bekannt, man wolle sie nicht mehr und ziehe die exotischen vor. So habe sie der Marcjuis d'A s - feldt, der französische Feldmarschall, beauf- tragt, ihm eine Negerin zu verschaffen. 2) Am 5. Mai 1763 speisten nach dem Berichte des JVI a r a i s der Marquis de Begrinvilliers und einer seiner Freunde im Bordell der Brissau It mit dem Negermädchen Fanchon, einer Insassin des Bordells. 3) Wie erwähnt, verbreitete sich dieser Geschmack später auch in den weiteren Kreisen des Volkes. Friedrich von Mat- thisson erzählt in seinen ,, Erinnerungen" von der Zeit des Direktoriums : ,,In den Galerien des Palais Koyal schwärmten mit einbrechender Dämmerung eine Menge wohlgekleidete Negerinnen umher, unter welchen sich auch

1) ibidem, S. 253.

2) ibidem, S. 140.

3) ibidem, S. 170.

II*


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Kinder befanden, die schwerlich älter als zwölf Jahre sein konnten. Leroy belehrte mich, dass der afrikanische Greschmack jetzt an der Tages- Ordnung sei, und dass diese schwarzen Prieste- rinnen Cytherens bei weitem einträglichere Ge- schäfte machten, als die weissen."^)

Umgekehrt gab es auch Frauen, die für Negerreize schwärmten. So hatte die Du Barry ständig einen kleinen Neger bei sich, an dem sie mit leidenschaftlicher Liebe hing. 2)

Neben diesem Eassenfetischismus gaben sich allerlei andere fetischistische Neigungen kund. Ein reicher Bankier Peixotte, qui ne haissait pas les jolies femmes, mais qui ne les aimait que d'un certain cote, begnügte sich mit dem blossen Anblicke eines an dieser Stelle mit einer — Pfauenfeder geschmückten Weibes. Dieser seltsame Fetischismus ist G-egenstand einer sel- tenen Schrift ,,Le Banquier Peixotte et la Dervi- eux, Histoire peu morale, extraite du Parc aux Cerfs" 1790 (Brüssel 1867). Aus dem neuen Romane des Marquis de Sade ersehen wir, eine wie grosse Verbreitung der Kleiderfetischismus, schon zur Zeit des Rokoko hatte, da dieser die Farbe und Art der Kleidung in mannigfaltigster Weise variieren lässt, um daraus eine Steigerung des sexuellen Genusses zu schöpfen.

Sogar ,, Statuenfetischismus" war nichts Sel- tenes in dieser Epoche. In der 1710 erschienenen

1) Erinnerungen von F r i e d r i o h v o n M a 1 1 h i s s o n > Wien 1815. Teil II. S. 165.

2) Anecdotes piquantes, S. 205.


— 165 —


Schrift ,,L'art de plumer la poule" wird S. 45 ff erzählt, wie zwei junge Offiziere sich in eine schöne Bildsäule der Venus im Park zu Versailles verlieben und dieselbe täglich aufsuchen und lieb- kosen, ja allmählich anfangen, sie für ein leben- des Wesen zu halten, das ihre feurige Liebe erwidern könne. Es scheint diese Erzählung auf einem wirklichen Vorfall zu beruhen. Dass solche Dinge vorkamen, geht aus einem Bericht des Verfassers von ,, Paris wie es jetzt ist" hervor. Er erzählt von einer Apollostatue in Paris: 5,Ich kann Ihnen nichts Besseres zum Lobe dieser herr- lichen Statue sagen, als wenn ich Ihnen eine seltsame, aber ganz wahre Tatsache mitteile, die sich vor einigen Jahren in Paris zugetragen hat. Ein schönes, junges, liebenswürdiges Mädchen ^us der Provinz verliebte sich in den del- phischen Gott, jeden Tag brachte sie ihm Blumen, die sie ihm zu Füssen legte. Wenn sie sich von der Statue trennen musste, zerfloss sie in Tränen ; sie verlor den Verstand und glaubte eine Prie- sterin des Apollo zu sein. Ihre Anverwandten brachten sie weit von Paris weg; aber ihre Ver- nunft kehrte nicht zurück, und sie starb wahn- sinnig."!)

Als eine für die Zeit des Kokoko geradezu •charakteristische psychosexuelle Erscheinung kann die eigentümliche Neigung zu blut- schänderischen Verbindungen ange- sehen werden, die in einer erschreckenden Häufig-


1) Paris wie es jetzt ist, S. 149.


166 —


keit, gieiclisam wie durch Masseii.suggestion her- vorgerufen, damals zu Tage trat. Alles was der Marquis de Sade in der Justine und Juliette"^ und in den ,,120 Tagen von Sodom" über den Incest sagt, alle Möglichkeiten und Kaffinements, die er für denselben ersinnt, waren damals längst vor ihm verwirklicht worden ! Nicola rdot sagt, man müsse den Incest ,,le peche philoso- phique" nennen, da die Philosophen dieser Zeit ihn rechtfertigten. Im Supplement zur Reise des Bougainville erklärt Diderot den Incest für eine gleichgültige Sache.

Schon der berüchtigte Eegent, Philipp von Orleans, verkehrte geschlechtlich mit seinen beiden Töchtern, der Herzogin von Berry und Mlle. de Valois,^) ebenso mit Madame de Segur, einer seiner illegitimen Töchter. 3) De T e r r a i genoss die Grunst eines jungen Mädchens^ das die Frucht seines Verkehrs mit seiner früheren Maitresse gewesen war.^) Wie oft preist de Sade gerade diese ,, Phantasie" als den Gipfel der psy- chischen AVollust ! Der berüchtigte Marschall Eichelieu hatte in ähnlicher Weise Beziehun- gen zu seiner eigenen Tochter, der Madame Rousse, die er selbst im illegitimen Verkehre mit der Madame Capon erzeugt hatte. 0) Der


1) Nicola rdot ,.Los Cours et les Salons au dix-hiri- tieme siecle", S. 305.

2) ibidem, S. 307. ibidem, S. 308.

  • ) ibidem, S. 309.

•0 ibidem, S. 309—310.


— 167 —


Kardinal de Tencin, Erzbischof von Lyon,, hatte lange Zeit seine eigene Schwester zur Mai- tresse. Das Ideal de S ad es aber verwirklichte: Herr deFleurien. Er war der Liebhaber von drei aufeinanderfolgenden weiblichen Genera- tionen. In seiner Jugend pflegte er Verkehr mit. einer viel älteren Frau, dann mit deren Tochter, die Herrn von Mondorge, seinen Onkel hei- ratete, dann mit der Tochter dieser letzteren, die er schliesslich heiratete. 2) Ueber den Herzog von Choiseu.1 wurde im Jahre 1764 das Couplet verbreitet :

Apres avoir detruit l'autel de Ganymede,

Venus a quitte l'horizon; A tes malheurs encore, France ! il faut un remede ;

Chasse Jupiter et Junon.

,, Jupiter" war Choiseul, ,,Juno" seine Schwester, die Herzogin von Gramm ont, mit der er in einer mehr als brüderlichen Intimität lebte.3)

Wie sehr diese Idee des Incestes die Geister damals fascinierte, ersehen wir aus dem seltsamen Plane, le plan plus secret et plus cheri, den M i- rabeau in seinen geheimen Briefen an Madame de Monnier entwickelte und dessen schauer- liche Blasphemie den Herausgeber Göttin von der Wiedergabe abhält. Mirabeau wollte, dass


1) ibidem, S. 311.

2) ibidem, S. 306—307. s^Anecdotes piqnantes, S. 22 — 23.


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nicht nur seine mit Sophie erzeugten Kinder, sondern auch deren Kinder und Kindeskinder in beständiger Blutschande miteinander lebten, da- mit jeder ,,melange de sang" vermieden werde und ihm stets eine Sophie, ihr stets ein Gr a b r i e 1 erhalten bliebe !i) Auch hierin gleicht also, wie wir sehen, die Phantasie Mirabeaus derjenigen des Marquis de Sade.

Dass aber dieser auch in seinem sonstigen Leben und Denken nicht vereinzelt dasteht, be- weisen auch Vorkommnisse spezifisch sadisti- scher Natur, die lebhaft an gewisse Ereignisse aus dem Leben des ,, divin marquis" erinnern.

Ein solcher Nebenbuhler oder vielmehr Yor- läufer des Marquis de Sade war der Marquis de Breteuil (1715—1775), der am Mittwoch, den 9. Januar 1754 sich von der Kupplerin Na- mur zwei Mädchen, Eleonore und Agathe nach Saint-Denis schicken liess, wo sie bis zum Sonn- abend im Hotel zum goldenen Löwen festgehalten wurden. Während dieser Zeit veranstaltete Herr de Breteuil mit einem Freunde einen schreck- lichen Skandal in der Stadt. Sie spazierten nächt- licher Weile nackt, nur von einer Decke umhüllt, den Degen in der Hand, durch die Strassen. Der rfarrer drohte mit Verhaftung. Sie wurden ge- zwungen, die Mädchen zurückzuschicken, aber in welchem Zustande !, Agathe war ganz mit Wun- den bedeckt, die Folge von Euten- und Stock-


1) P. Göttin Sophie de Monni(M- ot Mirabeau", S. CXXII.


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schlagen, und Eleonore hatte einen Messerstich bekommen I^)

Nicht besser kann de Sade eine sata- nistische Orgie schildern, jene so häufig bei ihm vorkommende Form des ideellen Sadismus, als sie im Jahre 17 45 von den Damen E a m o n t und La Yerite, Sängerinnen an der Opera Comique, in ihrem Lusthause veranstaltet wurde. Der Polizeipräfekt erhielt darüber den folgenden in der Bibliothek des Arsenals aufbewahrten, vom 29. Mai 1745 datierten Bericht:

,,Mit schmerzlichem Bedauern fühle ich mich verpflichtet, Sie von dem skandalösen und gott- losen Betragen der Eräulein Ramont und La Yerite, Schauspielerinnen an der komischen Oper, in Kenntnis zu setzen. Sie bewohnen ein Haus im Faubourg Saint-Lazare neben dem Markte.

Man hat mich benachrichtigt, dass sie in ihrer Wohnung zahlreiche junge Männer em- pfangen, mit denen sie Unzucht treiben et quos usque ad ossa exsugunt und mit denen sie son- stige Dinge treiben, die in gleicher Weise die Eeligion und die öffentliche Moral verletzen. Mehrere Personen haben sie im Hemde im Garten promenieren sehen, und aus einer seltsamen Neigung, die nur die brutale Passion ersinnen kann, hatten sie sich hinten das emporgeschla- gene Hemd an den Schultern mit Nadeln be- festigt. Aber das schauerlichste ist, dass eine

1) Ravaisson „Archives de la Bastille", Paris 1882. Bd. XIL S. 411.


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von ihnen an einem Freitag auf einen Brunnen im Garten gestiegen ist, nur mit einem Hemde bekleidet imd ein Kruzifix in der Hand, und den Jesuitenpater Duplessis nachmachte, wie er am Ende der Passion das Kruzifix zeigt."

Unter der Eevolution gewannen die sadis- tischen Neigungen eine epidemische Verbreitung, nicht bloss Misshandlungen und andere G-rausam- keiten, nein selbst Mordtaten traten im Gefolge der Liebe auf. In unserer ersten Schrift über den Marquis de Sade ist hiervon ausführlich die Kede gewesen. Unter dem Direktorium hatten besonders die Stutzer, die sogenannten Musca- d i n s , derartige brutale Passionen. Heinzmann erzählt darüber :

,,Sie suchen durch Gefälligkeit, freundschaft- liche Dienste und Artigkeit, die Liebe und das Zutrauen reicher Mädchen zu gewinnen, laden dieselben bald in die Komödien, bald auf Lust- partien, bald zu einer Ma.hlzeit ein, öfters gehen sie mit ihnen, oder fahren in Kabriolets, an einen abgelegenen Ort, spielen und halten Banquets ; nach vollendetem Genus s — welche Ungeheuer ! ermordeten sie die Töchter, einige sogar auf dem Wollust-Lager! hierauf nahmen sie ihnen die Schlüssel, gingen in ihre Wohnungen, und raubten, was ihnen gefiel. Auf eine solche satanische Weise hatten seit 7 Wochen eilf junge Frauenzimmer ihren Tod gefunden, und ein Mann, der zur Hülfe herbeieilen wollte, wurde gleich- falls erstochen. "1)

1) H e i 11 z m a n n a. a. O., S. 48 — 19.


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Eine andere, weniger eingreifende Form des Sadismus, die Deflorationsmanie, fand so zahl- reiche Anhänger, dass, wie schon erwähnt, eigene .,bordels de pucelage" den G-elüsten dieser Wüst- linge dienten. Ein solcher ,,grand amateur de pucelage" war z. B. der Marschall Herzog von Biron (1700—1788) im späteren Alter. Er ver- langte, wie ein Bericht des Marals besagt, von der Kupplerin Denerville Jungfrauen im Alter von 14 bis 15 Jahren, für jede wollte er aber nur 60 Livres bezahlen, was die Denerville bei der Gefahr zu gering fand.^) Ein anderer Jung- frauenliebhaber war der Marquis de Bandol e.^)

Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts konstatierte der Polizeiinspektor Marals die grosse Verbreitung der sadistisch-masochis- tischen Passion des Flagellantismus, des aktiven und passiven Gebrauches der Eute zu aphrodisischen Zwecken.

,, Heute," sagt er, ,,gibt es keine öffentlichen Häuser, wo man nicht ein grosses Bündel Euten findet, die für die impotenten Lebemänner bereit liegen. Diese Leidenschaft beherrscht in merk- würdiger Weise die Männer der Kirche. Ich fand eine grosse Zahl von Geistlichen in diesen Häu- sern, die sich tüchtig mit Euten bearbeiten lassen, u. a. den Bibliothekar der Petits Peres von der Place des Victoires, bei dem zwei Frauen, nach- dem sie an seinem Körper zwei ganze Bündel Euten zerschlagen hatten, sich noch genötigt

1) Les maisoiis Closes, S. 242.

-) Les petites maisons galantes, S. 50.


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sahen, aus Mangel an Kuten ein Kohrmatten- geflecht zu Hilfe zu nehmen, nachdem sie es zer- schnitten hatten. Als ich das Zimmer betrat, rieselte das Blut am ganzen Körper herunter."^) Die Laferriere hatte in ihrem Freuden- hause in der rue de Kichelieu alle möglichen Arten von Kuten, solche mit Pfriemen, mit Knoten, mit redern.2)

Als passive Flagellomanen werden erwähnt : B o s s o r t , der Oberst des Leibkarabinierregi- mentes, ein 60 jähriger Mann, der alle paar Tage ins Bordell kam, um sich ,,tres fortement" von einer Dirne flagellieren zu lassen,^) Herr von Boullongne, Finanzkontrolleur und Schatz- meister der französischen Kolonien, der sich jedes Mal von einer anderen Dirne die Kute geben liess,^) der Priester Jean Galzard aus Keims, der sich bei der Kupplerin C a z i n der Flagel- lation unterwarf.^)

Auch eine sehr interessante Persönlichkeit treffen wir unter den zahlreichen Flagellomanen dieser Zeit. Es ist der berühmte Philosoph Hel- vetius, der bereits mit 38 Jahren dieses Keiz- mittels bedurfte, um die Freuden der Liebe ge- messen zu können. Die Lafosse sandte regel- mässig zu ihm und dem Malteserritter Judde Mädchen, so die Julie, die Lamothe, die


1) Les Maisons Closes, S. 24 — 25.

2) Ibidem, S. 257.

3) Ibidem, S. 223.

4) Ibidem, S. 140.

5) La chastete du clerge devoilee. Bd. II. S. 237.


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A n i c o und La Tour, die diesen beiden grossen Herren die Eute applizieren mussten. Helve- tius musste stets vor dem Verkehre mit seiner Frau Dienste solcher Art von deren Kammerfrau in Anspruch nehmen, was er aber auch tat, ,,lors- qu'il s'amuse chez les autres femmes".i)

Der Chevalier de Boe.me war zugleich ak- tiver und passiver Flagellomane (II ne voit point les filles, il vient toujours seul et aime beaucoup ä etre fouette, ensuite il les fouette et finit ses plaisirs dans lintervalle des deux filles fouettees).2)

In de Sades ,,120 Tagen von Sodom" wer- den die verschiedenen Arten der Flagellation in systematischer Weise abgehandelt, wobei auch hier die sadistischen und masochistischen Fak- toren in dieser Perversität meist nebeneinander hergehen. Ueberhaupt waren die Typen des Masochismus, die Koprolagnisten,^) Wortmaso- chisten,^) Cunnilingi^) u. a. niemals als solche rein ausgeprägt, sondern wiesen stets auch sadis- tische Züge auf, wie de Sade selbst in seinen Romanen.


1) Les Maisons Closes, S. 139.

2) Ibidem, S. 229.

3) Ibidem, S. 140.

Le petit fils d'Hercule, S. 112. ^) Der Herzog von Richelieu war einer der „plus grands gamahucheurs du royaume", Les petites maisons, S. 91.


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Der Verfasser des .,petit fils d'Hercule n^nrit die Franzosen die Nachfolger der Griechen, weil sie deren Laster angenommen hätten, nament- lich die Päderastie.!) Auch nach Bachau- mont wurde die Homosexualität damals ,,de plus en plus en vogue".^) Wie in den Denkwürdig- keiten von P e u c h e t berichtet wird, kannte die Polizei in Paris seit 1726 mehr als 20 000 der Päderastie ergebene Individuen, darunter 3 Prin- zen, 7 oder 8 Herzöge und mehr als 600 Edel- leute. Das ,, Journal de Barbier" (Bd. I S. 425) berichtet über dieses Jahr Einzelheiten, die die Angaben Peuchets bestätigen. Unter Lud- wig XVL verbreitete sich das Laster so sehr, dass die Polizei in einem einzigen Jahre 1785 mehr als 700 Personen in flagranti ertappte ! Wie Nicolardot ganz richtig sagt, war es Mode geworden, Päderast zu sein. Nur durch diese Nachahmung konnte die plötzliche massen- hafte Verbreitung homosexueller Neigungen er- klärt werden. Im Tuileriengarten, im Jardin du Luxembourg, am Hofe und in Versailles traf man die Päderasten. In Paris waren alle Gesellschafts- klassen inficiert. In den Mansarden wie in den Palästen der Vornehmen machte sich die Päde- rastie breit. Die Memoiren von Bachaumont bezeugen unter dem 13. Oktober 1783, dass in den Registern der Polizei mehr als 40 000 Homo- sexuelle verzeichnet seien. 3)


1) Le petit fils d'Hercule, S. XII.

2) Anecdotes piquantes, S. 211.

3) Vergl. Nicolardot a. a. 0., S. 301—302.


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Und diese Zunahme erfolgte trotz der über- aus strengen Strafen, welche gegen dieses Laster festgesetzt waren. Noch in den Jahren 1726 und 1759 wurden Päderasten lebendig ver- brannt und mit ihnen die Prozessakten, damit jede Spur des Verbrechens getilgt werde. Nur wenige Jahre vor der Eevolution soll noch ein Kapuziner Pascalin in Paris hingerichtet wor- den sein. Ebenso berichtet Voltaire, dass zu seiner Zeit ein gewisser Deschaufours wegen homosexuellen Verkehrs verbrannt wurde. i)

Mercier de Compiegne schlägt die — Infibulation und Verbannung der Päderasten vor. Er ruft aus : Soyons tres intolerants pour les here- tiques de ce genre".^)

Schon unter der Regentschaft gab es offizielle Knabenbordelle und Knabenkuppler wie Morel und den ,,Coureur", welch letzterer in der Oper seine Ware feilbot und häufig ins Schloss kam, um seine jungen Knaben den Hof- leuten anzubieten.^) Auch das G-arderegiment stand in dem Rufe, den Lüstlingen das Material für ihre perversen und widernatürlichen Genüsse zu liefern.^) Lustobjekte dieser Art waren so ge- sucht, dass Dirnen bessere Geschäfte zu machen glaubten, wenn sie sich als Knaben verkleideten und am Abend die Strassen auf- und abpatrouil-

1) Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, Leipzig 1899. Bd. I. S. 129—130.

2) Mercier de Compiegne „Manuel des Boudoirs", S. 189—190.

3) Josz „Watteau", S. 225—226. Anecdotes piquantes, S. 68.


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lierten.i) Sie konnten um so eher hoffen, die Männer zu täuschen, als tatsächlich viele Päde- rasten wie z. B. der päpstliche Nuntius Herr von Branciforte das Weib ebenso auf widernatür- liche Weise benutzten wie ihre Lustknaben.^)

Unter der Geistlichkeit waren es besonders die Jesuiten,3) die derartiger Neigungen beschul- digt wurden. Als im Jahre 1762 das College Louis- le-Grand geschlossen wurde, wurde folgender Spottvers auf die Jesuiten geprägt:

Vous ne savez pas le latin.

Ne criez pas au sacrilege,

Si Ton ferme votre College ;

Gar vous mettez au masculin

Ce qu'on ne met qu'au feminin.^)

Wie erwähnt, war dies Laster unter der vor- nehmen adligen Lebewelt stark verbreitet. In einem Berichte an die Polizei erzählt die Bordell- wirtin Preval, dass der Marquis de Salints von ihr einen kleinen Knaben haben wollte, namens Ma reschal, der Violinspieler an der Oper war.ö) Der Graf von Lowendal, der 1764 unter den Demimondänen sehr in Mode kam und seine Maitressen wie die Hemden wechselte, war


1) Les Maisons Closes, S. 64.

2) Ibidem, S. 126.

3) Vergl. darüber die „Anecdotes jesuitiques, ou le Phi- lotanus moderne", La Haye 1740.

4) Anecdotes piquantes, S. 4. — Vergl. auch das ähn- liche Epigramm S. 21.

5) Les Maisons Closes, S. 230.


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nichtsdestoweniger ein enragierter Knabenlieb- liaber.i)

Als der für einen grossen Päderasten geltende Marquis du T e r r a i 1 sich zum zweiten Male verheiratete, machte man auf ihn das Epigramm :

Un enfant de Elorence, Le Marquis du Terrail, Tout bouffi d'arrogance Se presente au berceil.

Plutot que de vous marier Yous feriez mieux d'aller Vous chauffer ä Sodome.^)

Auch dem Herrn de Yillette wurde in einem Epigramm seine Neigung zur gleichge- schlechtlichen Liebe vorgeworfen. Nach Vol- taire sollten sogar Herr de la Tremouille und der Graf von Clermont von Ludwig XV., freilich vergeblich, ,,des faveurs socratiques" zu erlangen versucht haben. ^)

Auch die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Weibern, die Tribadie, verbreitete sich im 18. Jahrhundert in ungewöhnlichem Masse, obgleich schon eine Schrift aus dem An- fange des 17. Jahrhunderts ,,Le Premier acte du Synode nocturne des tribades" von G. Keboul (Paris 1608) auf die frühere Existenz


1) Les petites maisons galantes, S. 84.

2) Anecdotes piquantes, S. 18.

3) Ibidem, S. 46. ^) Ibidem, S. 23.

i Dilhren. Nene Forschungen über de Sade. 12


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tribadischer Geheimbünde hinweist, die übrigens auch im 18. Jahrhundert ihr Unwesen trieben. Auch der 1799 erschienene Eoman ,,C lerne n- tine, ou la Jeune Lesbienne, histoire ga- lante et philosophique" beschäftigt sich mit der weiblichen Homosexualität.

Heinzmann fielen bei seinen Wanderungen durch Paris die vielen Mannw^eiber auf. Er sagt über diese Yiragines : ,,Auch etwas fiel mir auf, dass viele Frauenzimmer einen so rauhen Ton reden, wie die Männer; ich sah oft hinter mich zurück, und glaubte einen Mann sprechen zu hören, und es war ein Weib."i) Ob aber diese Viragines Tribaden waren und sich nur zum eige- nen Geschlechte hingezogen fühlten, erfahren wir nicht. Dagegen ist es sicher, dass die meisten wirklichen Tribaden echt weibliche, mit allen Eeizen der Anmut geschmückte Erscheinungen waren, die gewöhnlich ein Leben der Galanterie mit Männern hinter sich hatten und aus Ueber- druss oder Sehnsucht nach echter Liebe sich den tribadischen Genüssen zuwandten oder auch neben ihren heterosexuellen Abenteuern der homosexuellen Liebe fröhnten. Oftmals ge- schahen tribadische Schaustellungen nur auf den besonderen Wunsch der dadurch stimulierten Wüstlinge. So mussten in der petite maison des reichen M e r c i e r die Kurtisanen Deschamps und H i m b 1 o t sich in Gegenwart des Grafen von Charollais, des Marquis de Benonville,

1) H e i n z m a n n Meine Friilistuiiden in Paris"', Bei- lage S. 32.


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de S e i g 11 e 1 a y , des Grafen de laMarche, des Parlamentsrates Cliaillon de Joinville u. a. sich den Verirrungen der Tribadie hingeben.^)

Freilich gab es einzelne Frauen, von denen es stadtbekannt war, dass sie miteinander lebten und mit leidenschaftlicher Liebe aneinander hingen.

Zwei englische Mädchen, Miss Carel und Miss Hamilton wohnten in der rue Cherche- Midi zusammen und waren unzertrennlich. Man behauptete, dass Fräulein Carel eine zweite La- batte sei, und dass Miss Hamilton, die jede Nacht bei ihr schlief, soviel Vergnügen daran fände, dass sie mehrere ihr sich darbietenden glän- zenden Partien ausgeschlagen habe. 2)

Eine völlig depra vierte Tribade war die Kupp- lerin L e m o i n e , die mit einem Fräulein D u - m e s n i 1 in einem Hause der rue Bourg-l'Abbe zu- sammenlebte. Diese letztere war eine ,,veritable bisexuee", da sie auch die Männer ,,mit Leiden- schaft" liebte und ihrem Hange für dieselben be- sinnungslos nachgab. Marais berichtet über ihre verschiedenen Liebschaften mit Offizieren, Bankiers usw. Trotzdem besuchte sie oft die Lemoine, bei der sie die Nächte verbrachte et qu'elle aime ä la fureur, so sehr, dass die Le- moine davon krank wurde und nur noch ,,Haut und Knochen" war.^)


1) Bericht des Polizeiinspektors M e u n i e r bei C a p o n , Les petites niaisons, S. 39 — 40.

2) Ibidem, S. 144.

3) Les Maisons Closes, S. 226.

12*


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Bei Grelegeiiheit dieses Berichtes fügt der Polizeiinspektor M a r a i s hinzu, dass es um diese Zeit (1760) sehr viele Weiber dieser Art gäbe, qui s'aiment ä la rage, und die sich bei Untreue prügelten, die Hab und Gut mit ihrer ,,Bonne" — so nannte man die Teilnehmerin an diesen Mysterien — teilten, i)

Als die berühmte Tänzerin H e i n e 1 (von der grossen Oper) im Jahre 1773 nach England reiste, erzählte man sich, dass ,,le genre de plaisir qu'elle aime est une raison puissante pour l'y retenir", denn ihre Passion für W eiber könne sie am besten in London befriedigen, und obgleich Paris sehr viele Tribaden liefere, sei London ihm darin über- legen. 2) Von derselben Heinel erzählt aber auch Imberts Skandalchronik allerlei galante Aben- teuer mit Männern. 3)

Die berüchtigtste und wahrscheinlich eine echte Tribade war Marie Antoinette Eau- court, die berühmte Schauspielerin (1756 bis 1815). Sie scheint sich von früh auf durch eine gewisse Gleichgültigkeit gegen die Männer aus- gezeichnet zu haben. Als sie zuerst in der Comedie Frangaise auftrat (1773) und die verlockendsten Anträge von selten der vornehmen Lebemänner bekam, blieb sie kühl bis ans Herz, selbst als ein ,, Amateur" ihr 100 000 Livres für ihre \^ir-


1) Ibidem, 8. 226.

^) Anecdotes piquantes, S. 177.

3) La Cliroinque Scandaleuse, ed. Octave Uzanne, raris 1879. S. 278—279.


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ginität bot.i) Bald aber enthüllten sich ihre Nei- gungen für das eigne Geschlecht, die in zahl- reichen Couplets, Epigrammen und dergl. aus dieser Zeit verspottet wurden.^) Sie wurde ,, Gross- meisterin des Ordens der Tribaden".^) Sie raffi- nierte die antiphysische Liebe bis zu einem sol- chen Grade ,,qu'elle ne recevait chez eile que des disciples de Sapho ou des monstres tels que de Sade",^) war also auch eine Masochistin. Ja, nach dem Verfasser des ,, Petit fils d'Hercule" huldigte sie der passiven Päderastie.^) Freilich auch sie konnte sich nicht ganz den Galanterien der Män- ner entziehen, namentlich mit dem Prinzen d'Henin unterhielt sie lange Jahre ein intimes Verhältnis. 6) Unter dem Direktorium entfaltete sie in ihrem prächtigen Hause in der rue Eoyale, wo sie mit ihrer unzertrennlichen Freundin, Fräu- lein L i m o n e t zusammenlebte, einen unerhör- ten Luxus.

In sx)äterer Zeit muss die Raucourt in der Tat den Eindruck einer Virago gemacht haben. Der Russe Karamzin schildert sie im Jahre 1790 folgendermassen : ,,Sie hat eine majestä- tische Figur, grosse schwarze Augen, die unter den dichten Brauen wie Blitze in der Nacht leuch- ten, Haare wie ein Rabenflügel, regelmässige aber anmutlose Gesichtszüge, eine Schönheit ohne

1) Anecdotes piquantes, S. 176.

2) La Chronique Scandaleuse, 116, Anmerkung 1.

3) Ibidem, S. 116. Ibidem, S. 118.

5) Le petit fils d'Hercule, S. 69.

^) Les petites maisons galantes, S. 75.


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Reiz, eine Strenge sogar noch im Lächeln, eine scharfe, durchdringende Stimme. "i) Der Ver- fasser von ,, Paris wie es jetzt ist" erzählt von der Eaucourt : ,,Man sieht sie noch zuweilen auf der Bühne ; allein bei ihrer Bejahrtheit und ihrem kupfrigen Teint, werden ihr selten Rollen, welche Interesse einflössen könnten, zu Teil. Nur als Athalie, deren Charakter und Verbrechen ganz unweiblich sind, steht sie mit ihrer rauhen Stimme und ihrer mannhaften Natur an der rechten Stelle."2)

Auch Tribaden hatten oft absonderliche Pas- sionen. Die V i 1 1 e r s verkehrte mit einer — Negerin, und der Herzog von Richelieu machte sich ein Vergnügen daraus, sie durchs Schlüssel- loch bei ihren Intimitäten zu beobachten. 3)


1) Karamzin ,.Voyage eii France 1789 — 1790", tracL par Le grelle, Paris 1885, S. 122.

2) Paris wie es jetzt ist, S. 72—73.

3) Manuel ,,La j^olice devoilee", Bd. II. S. 335.


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VI. Verschoneruiigs-5 Reiz- und Heilmittel in der galanten Welt


In der Zeit des Eokoko bestand ein grosser Teil der Kunst zu lieben in der Kunst zu ge- fallen. Eine Charakteristik des Liebeslebens dieser Zeit wäre unvollständig ohne die Er- wähnung aller dieser äusseren Mittel, deren sich damals Männer und Frauen bedienten, um die^ graziöse G-alanterie dieser Epoche in ihrer Person vollkommen darzustellen, um schön und be- gehrenswert zu erscheinen. In der Vorrede zu seinen reizenden, ,,Quatre Heures de la Toi- lette des Dames," einem echten Eokokogedichte,, sagt de Favre: ,,Die Dichter, die den Gebrauch der Zeit gefeiert haben, haben die glücklichen Augenblicke der Liebe besungen ; aber in der Ver- teilung der Stunden des Vergnügens haben sie diejenigen vergessen, welche die Liebenden der Kunst der Verschönerung weihen, die un- zertrennlich ist von der Kunst zu gefallen. "i)

Die Kleidung, die ja überhaupt so innig ver- flochten ist mit dem gesamten Sexualleben des


1 j,Les Quatre Heures de la Toüette des Dames. Poeme Erotique", Paris 1779. (Neudruck Paris 1880.) S. 9.^


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Menschen, 2) nahm unter diesen Mitteln der ge- schlechtlichen Anlockung die erste Stelle ein. Das Schönheitsideal des Rokoko wurde wesent- lich durch das Kostüm bestimmt. Diese hohen, fragilen, gepuderten Haartrachten, das ge- schminkte Gesicht mit dem berühmten Schön- heitspflästerchen" (mouche), die garnierten, in ein Fischbeinkorsett eng eingeschnürten Roben, die spitz auf den ,,endroit suggestif" zuliefen, wo sie sich plötzlich korbartig zum Reifrock er- weiterten, gehören ebenso zum Bilde der Frau wie die kokett auf hohen Schuhen mit roten Absätzen dahintänzelnden parfümierten und ge- puderten Petitsmaitres mit dem Dreimaster unter dem Arme, ein leichtes Spazierstöckchen in der Hand, den Typus des galanthomme jener Zeit re- präsentieren.

Ueber die von der Kleidung der französischen Trauen ausgehenden Reize sagt H e i n z m a n n : ,,Man kann beinahe mit keinem Frauenzimmer reden, ohne die Augen nieder zu schlagen, oder mit den wollüstigsten G-edanken erfüllt zu wer- den. — Kopfputz, Perrucken ä la coquette, feine Schminke, hoher, teils offener Busen, wallende, rauschende Kleidung, halb aufgestutzte Röcke, tanzmässig zierlich gestellte Füsse, mit ge- stickten Bändern angeheftete spitze Modeschuhe — alles soll uns einladen — der Y e n u s , dieser


1) Vergl. darüber J. Bloch Beiträge zur Aetiologie der Psychopathia sexualis", Dresden 1902. Bd. I. S. 139 bis 166.


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Göttin der Faulheit, der Intrige und der Schande, als Gottheit der Welt zu huldigen. "i)

Trotz der Stabilität des Gesamthabitus des Eokoko-Kostüms gewährleistete der schnelle Wechsel der Mode in den Details immer neue Ueberraschungen und pikante Eindrücke. Schon im Jahre 1750 erklärt der Verfasser der Moeurs d.e Paris" : ,,Es ist wohl keine Stadt in der Welt, wo die Mode so viel Gewalt hat als in Paris. Die ältesten Männer kleiden sich schön und artig, sie setzen blonde Perücken auf, damit Liebe und Preude aus ihren Augen blitzen solle. Sie glauben, dass sie eine Schöne in diesem kostbaren Aufputze für verjüngt halten wird. Die Neigung, welche die Frauens -Personen in Paris zur Mode haben, ist nicht auszudrücken. Ihre Kleider-Schränke mögen noch so voll seyn, so bald sich die Mode verändert so müssen sie neue Kleider haben. Sie sparen nichts, dieselben zu kriegen. Sie wollen Staat machen, es koste auch, was es wolle. Sie suchen sich selbst, und noch mehr andern zu ge- fallen."'2)

Ein interessantes Bild von dem Leben und Treiben in den Modemagazinen, von der unauf- hörlich Neues ersinnenden Tätigkeit der ,,mar- chandes de modes" zeichnet M e r c i e r im ,,Tableau de Paris". Schon damals vergötterten die Frauen die glückliche Erfinderin neuer Moden, schon damals überstieg die jährliche Ausgabe


1) Heinzmann a. a. 0., Beilag-e S. 8 — 9.

2) Die Sitten von Paris, S. 25.


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für die Kleidung die Kosten des Lebensunter- haltes und der Equipagen usw. um ein bedeuten- des. Mit dem neuesten Kostüm bekleidete Mode- puppen wurden bereits damals von Paris nach. London, Petersburg, ja nach Konstantinopel ge- sandt. In der rue Saint-Honore war das Zentrum der Mode.i)

Den Ton gaben in der Mode gewöhnlich die Theaterdamen an, Sängerinnen und Schauspiele- rinnen erfanden alle die lockenden, verführe- rischen Kostüme oder wagten es, sich zuerst in den von den Modehändlerinnen erfundenen ko- kett - schamlosen Trachten zu zeigen. Nach Heinzmann waren die Schauspielerinnen die ersten, die die Schminke auflegten, falsche hohe Brüste ausstopften, die Reifröcke, Gourgandines,; Culbutes, Tatez-y, Boutes en train, Güls de sac, die retroussierten langen Röcke und die halb- angespannten, den Schenkel zeigenden und jede Bewegung mitmachenden Roben tragen lehrten.-)

Besonderes Raffinement wurde auch auf Haar- und Tusstracht gelegt. Man weiss ja, dass die Französinnen von jeher sich meisterlich auf die Koketterie des Fusses verstanden haben und ihre Ghaussure zu einem sexuellen Reizmittel ersten Ranges auszubilden verstanden. Der Ver- fasser von Paris wie es jetzt ist" sagt : ,,Ein Talent, was die Pariserinnen in der höchsten Voll- kommenheit besitzen, ist das, ihre Füsse vortreff-


1) Mercier „Tableau de Paris", S. 54—56.

2) H e i n z m a n n a. a. O., Beilage S. 10 — 11.


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lieh zu kleiden; man sieht nichts als blendend weisse Strümpfe und sehr reine Schuhe ; vielleicht, verdankt die ausgezeichnete Sorgfalt, welche die- hiesigen Frauenzimmer diesem Teil ihres Anzugs widmen, den fast allgemeinen Vorzug, einen, kleinen und wohl gebauten Fuss zu haben. "i)

Von den mannigfaltigen Coif füren des Rokoko^ seien nur die beiden berühmtesten erwähnt: der .,Q u e s a c o", eine Haartracht, die hinten in einen, veritablen Federbusch auslief, der wohl eine recht grosse Anziehungskraft auf die Männerwelt aus- übte, da die Du Barry ihn sehr goutierte,^) und der ,,Pouff aux sentiment s", wohl die kom- plizierteste Coiffüre, die je existiert. ,,0n l'appelle p o u f f , ä raison de la confusion d'ob- jets qu'elle peut contenir, et au x s e n t i m e n t s , parce qu'ils doivent etre relatifs ä ce qu'on aime; le plus." Die Beschreibung des „pouff aux senti- ments" der Herzogin von Chartres wird diese^ Definition deutlich machen. In demselben sass- eine Frau auf einem Fauteuil und hielt einen. Säugling. Rechts von ihr erfasste ein Papagei eine Kirsche mit seinem Schnabel. Links stand ein kleiner Neger, als Bild des Lieblingsnegers der Herzogin. Das Ganze wurde gekrönt von Haar-^ büschein des Herzogs von Chartres, ihres G-atten, des Herzogs von Penthievre, ihres- Vaters, des Herzogs von Orleans, ihres Schwie- gervaters und anderer Verwandten. Diese gro-


1) Paris wie es jetzt ist, S. 23.

2) Anecdotes piquantes, S. 240.


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teske Geschmacklosigkeit fand grossen Beifall, ^Ue Trauen wollten einen solchen ,,pouff" tragen. 1)

Intimere, weniger ungeheuerliche Reize bot das damalige Neglige dar, die Boudoirtracht der vornehmen Damen. In ,,Themidore", einem graziösen galanten Eomane, der 1745 zuerst er- schien, wird uns eine solche verführerische Ge- •stalt in lebendigster Weise vor Augen geführt : ,,Elle me regut ä sa toilette ; les devotes en ont une moins brillante que celle des co- ■quettes du monde, mais mieux composee. Les •odeurs qui remplissaient les boites n'etaient pas fortes et en grande quantite, mais elles repandaient un parfum suave qui embau- mait legerement la chambre. Son linge de nuit, garni d'une petite dentelle, etait travaille avec goüt ; sa robe de perse, son jupon de satin pique, ses bas extremement fins, ainsi que sa diaussure, enfin tout son deshabille accompag- nait bien sa taille et sa figure. Tandis qu'on nous preparait le chocolat, je m'approchai d'elle et •cueillis mille baisers sur ses belles mains."^)

Wie man aus dieser Schilderung ersieht, ver- standen es schon damals die Frauen auf die klei- •dungsfetischistischen Instinkte der Männer zu wirken. Von der Pompadour wird berichtet, •dass sie ihre Schönheit beständig in ein neues Licht setzte und die Neigung des Königs stets


1) Ibidem, S. 240—241.

2) Charles Moiiselet ,,Les Galanteries du XVIIfe •siecle", Paris 1862. S. 96—97.


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dadurch neu belebte, dass sie beständig ihre Kostüme wechselte. Bald erschien sie ihm im Kostüm der Sultanin, bald als Gärtnerin im Stroh- hut mit blauem Bande und in blauem Kleide, wie sie überhaupt in blauer Gewandung am schön- sten war. Dann entzückte sie das Auge des Königs durch das reizende ,,neglige de la Pompadour", eine eng anschliessende türkische Weste", die alles zeigte, was sie sehen lassen wollte, und alles andeutete, was sie verbarg.i)

Auch die Männerwelt des Eokoko legte mehr Wert auf äussere Schönheit als innere Gediegen- heit. Die Abbes, petitsmaitres, adligen Tauge- nichtse, der ganze Schwärm, der die galante Damenwelt ständig umgab, verwandten nicht weniger Sorgfalt auf ihre Toilette als ihre an- gebeteten Göttinnen.

Diese Helden der Galanterie bestreben sich überaus sehr, schön auszusehen. Da sie glauben, dass sie ihre Gesichter verschönern können, so waschen sie dieselben mit destillierten Säften und abgezogenen Wassern. Wenn es nötig ist, so ver- sehen sie sich mit falschen Waden und Haar- locken. Da sie für Leute von Verdienst angesehen seien wollen, so legen sie sich darauf, Moden zu erfinden. Sie halten diese Erfindungen für Taten^ die mit einer güldenen Feder aufgezeichnet zu werden verdienen . . .

Er ziehet täglich zwei bis drei Kleider von besonderen Farben und einem guten Geschmacke

1) Edmond et Jules de Goncourt „Madame de Pompadour", Paris 1878. S. 127—128.


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an. Er lässt seine Haare veränderlich una schön frisieren. Er macht anch, dass er ein ansehn- liches Gespann hat. Seine Klepper sind mit Bän- dern Und Blumen geziert, damit sie die Galanterie ihres Herrn anzeigen. "i)

Herr von D o g e r o n , der in der rue de la Muette ein schönes Lusthaus besass, hatte „mehr als dreissig Anzüge, einen immer noch schöner ^Is den anderen", um damit in der Welt zu glänzen. 2)

Eingehend wird die raffinierte Toilette eines Lebemannes im ,, Petit fils d'Hercule" geschildert, in der sogar Schminke, Parfüme und Spitzen nicht fehlen. 3)

Unter dem Direktorium, wo bei den Frauen die bekannte griechische Tracht sich dem Ideale der Nacktheit näherte, wurde das männliche Stutzertum durch die sogenannten ,,,,M u s c a - dins" repräsentiert, die für ,, Luxus und Wol- lust" schwärmten und auch ,,Incroyables und Merveilleux" genannt wurden.

Ihre Tracht bestand namentlich in auffallen- den Brustlätzen und in Krawatten, deren zu- nehmende Weite und Breite das Gesicht bis über das Kinn versinken liess, in der Versorgung mit allem möglichen Schmuck als kostbaren Chemi- settnadeln und Federn, Augengläsern und in dem Kokettieren mit einem Eiechfläschchen und mit


1) Die Sitten von Paris, S.32 — 3o ; S. 3G.

2) Les petites maisons, S. 15.

3) Le petit fils d'Hercule, S. 4—5, S. 17.


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einem ganz kleinen Knotenstock. Ihre Sprache war geckenhaft bis aufs äusserste. Sie verschluck- ten die Konsonanten und sprachen von ,,paole d'honneu", „incoyable", j^hoible" usw. Statt .,qu'est-ce que c'est que 9a" sagten sie : „Sexa" 1 Deshalb nannte man diese Stutzer die an der -„Sexa"-Krankheit Leidenden. Diese in eine Wolke von Ambraduft eingehüllten Grestalten machten einen unwiderstehlichen Eindruck des Bizarren und Lächerlichen.!)

Neben der Kleidung spielten die Kosmetika im engeren Sinne des Wortes eine sehr bedeutende EoUe. Die täglichen Bäder gehörten zu der notwendigen Toilette einer galanten Dame. Die Badezimmer waren oft herrlich ausgeschmückt, mit Marmor ausgelegt, mit schönen erotischen Bildern verziert. Berühmt war z. B. das von dem Architekten Bellanger erbaute Badezimmer der Kurtisane Dervieux, wovon in Capons Buche über die petites maisons eine Abbildung gegeben wird (Tafel YIII).

Die in solchen Privat bädern herrschende Ueppigkeit wird in dem Eomane Venus en rut" in anschaulicher Weise geschildert.

Weniger entwickelt war das öffentliche Bade- wesen. Es gab verhältnismässig wenige grosse Badeanstalten, dagegen zahlreiche kleinere, von einem einzelnen ,,Baigneur" verwaltete Bade-

1) Vergl. A. Schmidt Pariser Zustände während der Eevolutionszeit von 1789—1800", Jena 1874. Bd. I. S. 261, S. 290—295, E. und J. de Goncourt „Le Directoire", 130—132.


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häuser, wo man ,,Eeinlichkeits-" bezw. Schön- heit s-" und Gesundheitsbäder" nehmen konnte^ die ersten zu 8 bis 15, die letzteren zu 4 bis 6 Livres. Wohlgerüche, sanfte Reibungen, wol- lüstige Betten und Möbel finden sich schon häufig darin, aber Badegäste destoweniger."i) Es waren also mehr galante maisons passes als Badehäuser.

Das grösste und prachtvollste öffentliche Badeetablissement waren die ,,bains chinois" auf dem Boulevard gegenüber der Chaussee d'Antin,. ein ganz in chinesischem Geschmacke angelegtes Gebäude mit kleinen Türmen, Pavillons, Fähn- chen, Laternen, Pagoden usw. Die hellsten Far- ben, hellrot, hellblau, schwefelgelb, hellgrün in buntem, schreiendem Kontraste bildeten mit wun- derlichen Schnörkeleien an Mauern, Galerien und Ballustraden ein widersinniges, krauses Ganze. Der eine Flügel des Gebäudes enthielt die Bäder für die Männer, der andere diejenigen für die Frauen.

Schulz beschreibt die Einrichtung eines, einzelnen Kabinettes in diesem chinesischen Bad folgendermassen :

,,Das Zimmer war 2 Schritte breit, 15 Schritte lang, und war, um die Idee der Kühle zu erwecken,, marmoriert, wie die kupferne Badewanne selbst,, deren Form die gewöhnliche war. Ueber derselben hingen sehr feine baumwollene Vorhänge herab, für verschämte oder Dampf brauchende Per- sonen. Zwey Röhren, eine mit kaltem, die andre


1) Schulz „Ueber Paris und die Pariser, S. 255--256.


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mit warmem Wasser traten hereiiij und wurden aufges ehr oben, sobald die Wanne mit einem feinen Laken ausgelegt worden war. . Man stellte eine Art von Hütsche, mit einer sauberen Ser- viette überbreitet, vor die Wanne, zum Ein- und Aussteigen. Neben derselben war eine Schellen- schnur, dem gargon zu klingeln, wenn man seiner bedürfte. Vor dem Fenster waren feine, baum- wollene Vorhänge, damit man nicht, ich weiss nicht, in das Frauenzimmerbad hinüber oder von dort herüber sehen und gesehen werden könnte. Ueber der Türe des Kabinetts war ein Klapp- fenster, damit der Wasserdampf heraus konnte. Ein Stuhl zum Ausziehen, ein Tischchen von Mahagony, die Nippes, als Ringe, Schnallen, Dosen etc. darauf zu legen ; ein Uhrhaken neben der Wanne, Pantoffeln, ein Schwamm zum Ab- trocknen, ein Kleiderträger, ein Thermometer, Zahnpulver, Zahnbürste, wollene Handschuhe zum Frottieren und endlich ein Grefäss, was in allen Kammern anzutreffen ist und davon den Namen hat : alle diese Dinge standen, hingen und lagen in dem kleinen Kabinett in der schönsten Ordnung umher, und waren alle sehr sauber und geschmackvoll gearbeitet. "i)

Nach dem Bade nahm gewöhnlich ein Bade- diener das G-eschäft des Frottierens vor. Die ein- zelnen Badekabinette waren durch leicht zu öffnende Klappen verbunden, durch welche hin- durch man sich von der Wanne aus mit dem


1) Schulz a. a. O., S. 259—260.

Dühren, Neue Forsohung-en über de Sade.


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Badegaste nebenan unterhalten konnte. Oefter besuchten auch Liebespaare gemeinschaftlich diese Badekabinett e."i)

Für die kosmetische Toilette der Damen kamen ferner die zahlreichen Mittel zur Er- frischung und Verschönerung des Teints in Be- tracht. Es gab eigene Händlerinnen für die zahl- losen Schminken. Eine ,,marchande de rouge" war z. B. die MUe. Martin, die der Königin, der Gräfin d'A r t o i s, Madame Elisabeth, der Herzogin von Orleans die Schminken lieferte, daneben aber auch ihren Laden für Galanterien und geheime Zusammenkünfte hergab. 2) Dazu kamen die mannigfaltigsten Puder und Parfüme. Im Palais Koyal hatten ,, Geruchskünstler" grosse Gewölbe inne, wo sie Handschuhe, die wie Jas- min, Pomaden, die wie Veilchen, Waschwasser, das wie Lilien, Zahnpulver, das wie Jonquillen, Eäucherpulver, das wie ein ganzes Blumenbeet, Sprengwasser, das wie Maiblumen roch, in grosser Menge verkauften. Im Tempelviertel befand sich eine ganze Strasse mit Parfümläden, daher „rue odorante" genannt^) ; Moschus war das be- liebteste erotische Parfüm in jener Zeit.

Die Puder dienten vielfach zur Herstellung einer blassen Gesichtsfarbe. Damals kam diese ,, interessante Blässe" als Attribut der modischen


1) Ibidem, S. 261-

2) Les Maisons Closes, S. 170 — 171.

3) Seil alz a. a. O., S. 432—433.

4) E. u. J. cl e G 0 11 c o u r t Directoire, S. 90.


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Schönheit auf. Man suchte sie auch durcli wieder- holte — Aderlässe herbeizuführen. i)

Alles in allem, war die Toilette, namentlich die der Frauen, der Schlüssel zu dem grossen Ge- heimnisse, um in der Welt zu glänzen, bewundert zu werden und zu erobern. Nicht unzutreffend heisst es in einem zeitgenössischen Gedichte :

Dieux ! faites parier les toilettes. Et nous saurons le secret'des Etats.


Die durch Kostüm und Kosmetik darge- botenen Anreizungen zur Liebe und Liebesstim- mung wurden durch die eigentlichen erotischen Heizmittel, die Aphrodisiaca ergänzt, die damals ebenfalls in systematischer Weise angewendet woirden.

Vor allem die in Speise und Trank verbor- genen Zauberkräfte aus dem Eeiche Cytherens wurden mit Eaffinement, mit Delikatesse im Dienste der Venus verwertet, die eigentliche ,,Gour.mandis e" wurde ausgebildet, ein ver- schwenderischer Luxus über die Genüsse der Tafel ausgebreitet. ,,0n ne sait manger delicate- ment que depuis un demi-siecle," sagt Mer- cier.2) Die auserlesene Küche der Zeit Lud- wigs XY . war noch unter Ludwig XIV. völlig


1) Vergl, Friedrich S. K r a u s s „Die Anmnt des ]Fra.uenleibes", Leipzig 1903. S. 28—29.

2) Tableau de Paris, S. loG.


13*


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unbekannt.!) Interessante Nachrichten über die Verbreitung der Teinschmeckerei finden sich in Grimod de la Keynieres berühmtem Alma- nach des Gourmands", einem jetzt selten ge- wordenen gastronomischen Jahrbuche. Speziell sei auf das ,,Itineraire nutritif ou Promenade d'un Gourmand dans divers quartiers de Paris'*" verwiesen. 2) Selbst Prinzen versuchten sich in der Erfindung deliciöser Gerichte. So hatte der Graf von A r t o i s , ein feiner Gourmet, eine neue Art der Zubereitung von Kalbsmilch (ris de veau) erfunden, die sehr viel Beifall bei den Kennern fand. 3)

Die erotische Wirkung auserlesener Speisen und Getränke kam besonders bei den „petits Sou- pers" in den Lusthäusern zur Geltung. Der Her- zog von Eichelieu hatte diese kleinen und feinen Soupers, wo Eros den Ton angab, an die Stelle der grossen Prunkmahlzeiten gesetzt. Grimod de la Keyniere gibt eine sehr hübsche Erläuterung der Beziehungen zwischen dem Souper und den Ereuden der Liebe, die nach seiner Meinung zu dieser Mahlzeit am besten. ]Dassen.*) Magny sagt in seiner Schrift über die


1) Ibidem.

2) Grimod de la Ileyniere ,.Almaiiacli des Gour- maiids", Bd. 1. 3. Aufl. Paris 1804. S. 173 ff.

3) Les petites maisons, S. 31.

4) „Le Souper," sagt er, ,,appartient priiicipalement a TAmour. Son heure, la plus voisine de celle du berger, son moment qui est celui du repos et de la cessation des devoirs. et des affaires, enfin le doux eclat qu'il re^oit des bougies, tout couoourt ä le reiidre favorable aux amants. Ajoutons.


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,,Spectacles nocturnes de Paris" (1756), dass es in ,.CYtheropolis" (= Paris) keinen Menschen in der besseren G-esellschaft gäbe, der nicht zwei- oder dreimal in der Woche ein solches ,,petit souper" in seiner ,,petite maison" seinen Freun- den nnd Freundinnen darböte. Eine glänzende Schilderung der „petits soupers", besonders der- jenigen der Greldaristokratie, findet sich in M e u s n i e r d e Q u e r 1 o n s Schrift ,,Les soupers de Daphne et les dortoirs de Lacedemone" (Paris 1740), wo der Autor zwischen zwei schönen Frauen sitzend, entzückt die Herrlichkeiten des Gastmahles, der wollüstigen Ausstattung des Speisesaales und der Tafel, und die Vorahnung der seiner harrenden Liebesfreuden geniesst.i) In ,,Themidore" wird das lustige und tolle Trei- ben der galanten Mädchen bei diesen Soupers gar ergötzlich geschildert, wie sie schöne Lieder singen, umherspringen, die Grläser mutwillig zer- brechen imd sich in einen süssen Wein- und Liebesrausch versetzen. 2)

Berühmt waren die Soupers, die der Herzog de la Tremouille in seiner in der rue des Martyrs gelegenen petite maison der galanten Welt gab, und die bis zum frühen Morgen dauerten.3) Der Baron von Wangen mietete

aussi que les femmes sont plus aimables ä souper, qu'ä toute autre epoque du jour." Almanacli des Gourmands, 2 e annee, S. 59.

1) Capon, Les petites maisons galantes, S. IV — V. -) Yergi. die Abbildung eines solchen galanten Soupers bei Capon, Les petites maisons (Tafel II). 3) lindem, S. 43—44.


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das Lusthaus der Kupplerin B r i s s a u 1 1 an der Barriere-Blanche und schickte seinen Koch dorthin, der drei Tage gebrauchte, um ein Souper vorzubereiten. Dafür war es aber auch herrlich. Ebenso wurde in ausgiebiger Weise für die An- wesenheit einer genügend grossen Zahl von Mäd-. chen gesorgt, da solche Liebeshelden wie der Herzog von G r a m m o n t , der Graf von C h a r o- 1 a i s u. a. an dem Souper teilnahmen. Der Baron selbst reservierte sich allein drei Mädchen ,,aveo lesquelles il s'amusait completement".i)

Auch die Bordellwirtinnen wussten die aphro- disische Bedeutung der petits soupers zu schätzen. vSo übten die von der H e c q u e t gegebenen Abend- mahlzeiten eine grosse Anziehungskraft auf die Lebewelt aus. 2) Berühmt waren zur Zeit der Revo- lution die splendiden Soujoers in dem Bordell der D e r V i e u x.s)

Eine weiter^ Etappe in der Geschichte der galanten Soupers stellen die ebenfalls vom Her- zog von Richelieu erfundenen ,,r e p a s a d a - miques" dar. Als einmal der Graf von Char- lus mit seiner Maitresse Madame de Duras mit dem Herzog und dessen Geliebten, Madame de Y i 1 1 e r o i , in seiner petite maison in der rue de Clichy speisten und die Hitze unerträglich war, schlug Richelieu vor „de souper nus". Diese cynischc Idee wurde mit Beifall aufge-

1) Bericht des M a r a i s bei Capon, Les Maisons Closes, S. 171.

2) Les Maisons Closes, S. 208.

3) Ibidem, S. 25G.


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nommen, und die vier ergötzten sich in adami- tischem Kostüm an den erlesensten Speisen und seltensten Weinen.^) Diese Neuerung fand zahl- reiche Anhänger. So erschien z. B. Madame de Eaiz völlig nackt bei einem solchen Souper des Herzogs von Richelieu, 2) und der Herzog von Grrammont Hess beim Dessert seine Geliebte^ Träulein Humbio t, sich eben so hüllenlos der Gesellschaft vorstellen.^)

An diesen Ausschreitungen hatte freilich meist der im Uebermass genossene Alkohol schuld. Der Genuss geistiger Getränke hatte sich in ungeheurem Masse verbreitet. Selbst die vornehmsten Frauen verfielen der Trunksucht. Die Herzogin von Gesvre schrieb an den Rand einer vom Herzog von Orleans empfangenen Einladungskarte: „Viel trinken". In den ge- heimen sexuellen Klubs war der Hauptzweck neben der Liebe die Herbeiführung eines starken Alkoholrausches. Erst betrank man sich gehörige dann schritt man zu den „autres exces".*) Einst hatten Herr Yoyer d'Argenson, seine drei Freunde und drei Mädchen soupiert wie Schweine und getrunken wie Teufel", so sehr ,,qu'il y en avait trois saouls comme des dogues" und dass das letzte Mädchen den — Lakaien überliefert wurde. ^)


1) Les petites maisoiis, S. 89. -) J o s z „Watteau", S. 343. 3) Les petites maisons, S. XIV. 4 J o s z „Watteau", S. 344—345. ^)Les petites maisons, S. XIV.


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Ausser diesen gastronomischen Eeizmitteln wurden auch andre Aphrodisiaca verwendet. Viele petites maisons enthielten solche erotischen Prä- parierzimmer, die sogenannten „Salles de prepa- rations". Dort fand der Liebesschwache ,,vinai- gres qui retrecissent, les pommades qui nouris- sent la peau, les elixirs qui rendent la vigueur, les parfumes qui entretiennent la volupte. On y voyait des bidets d'une forme nouvelle ; ils re- presentaient les bains de Diane. Un petit Endy- mion qui faisait partir un ressort venait avec une douce eponge caresser plutot qu'essuyer le siege de l'amour."!)

Von den medikamentösen Liebesmitteln seien die Kanthariden erwähnt, über deren G-ebrauch und dessen verhängnisvolle Folgen mehrfach be- richtet wird. Im Jahre 1783 wurde Herr von Senneterre, Oberst im Eegiment Haynault in Grenoble, von einer leidenschaftlichen Liebe zu der Operntänzerin Adel ine ergriffen und hatte einmal drei Tage und drei Nächte mit ihr ver- bracht. Um eine so lange Zeit auszudauern, hatte er Kanthariden genommen, wurde danach von einer heftigen Entzündung befallen, der er schnell erlag. 2)

Selbst ein berühmter Arzt und Mitglied der medizinischen Fakultät, Herr Boy er, starb an den Folgen des Kantharidengenusses. Mit 68 Jahren verliebte er sich leidenschaftlich in die

1) Le petit fils d'Hercule, S. 76 — 77. -) ßachaumont, Memoires secrets, Bd. XXIII., 12. Sept. 1783.


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Gräfin d'E s t und griff, um seiner Impotenz ab- zuhelfen, zu wiederholtem Kantharidengenusse, den er übrigens 6 Jahre lang ertrug.

Häufig wurden die Kanthariden auch in Kuchen und Biskuits eingebacken. In einem Drama „Les deux biscuits" (Paris 1751) von G-randval werden zwei Biskuits verwechselt:

L'un etait compose de mouches cantharides, Qui redonnent la force aux amants invalides ; Dans l'autre dominaient l'bpium et le pavot Qui font, par leurs vertus, dormircomme un sabot.

Auch den Yanillebiskuits schrieb man, wie aus einer Stelle in der ,, Venus en rut" (II, 82 bis 83) hervorgeht, aphrodisische Wirkungen zu. Als die Marquis e de Pompadour in ihrer spä- teren Zeit nicht mehr feurig genug war und L u d- wig XY. nicht mehr befriedigen konnte, der sie ,,kalt wie eine Wasserente" fand, suchte sie Eros dadurch von neuem zu entflammen ,,en se faisant servir du chocolat ä triple vanille et ambre, ä son de jeuner; eile mangeait des truffes et des potages au celeri".^)

Eine grosse Rolle spielten ferner gewisse mechanische Stimulantien. Anaphrodisische Frauen bedienten sich der von einem Reisenden aus Ostindien mitgebrachten ,,boules ero- tiques". ,,Elle est de la grosseur d'un oeuf de pigeon, d'une ecorce, ou peau extremement douce


1) Anecdotes piquantes, S. 62 — 63.

4 Barth Ol d a. a. O., Bd. L S. 249—250.


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et lisse ; eile est doree ; on Tintroduit dans la. partie naturelle du sexe ; eile y acquiert ä Tin- stant une espece de mouvement continu qui occa- sionne ä la femme une titillation, prurit plus vif que celui du doigt ou du membre viril, et lui IDrocure des extases multipliees jusqu'ä ce qu'elle veuille terminer cet exercice qui pourroit ä la longue lui devenir funeiste/'^)

Eine andere ingeniöse Vorrichtung war die- ,,L i e b e s s c h a u k e r' (balancoire), die während des Genusses die betreffende Person in Bewegung- setzte, bei Musikbegleitung, was nach dem Mar- quis de Sade, der auch diese „voluptueuse machine" genau beschreibt (Juliette IV, 109 bis III) den Gipfel aller erotischen Ekstase dar- stellen sollte.

Eine dritte Eorm der E/eizung zur Liebe stellte- der ,,Magnetismus" dar, den Mesmer irt Paris einführte und der nach Heinz mann gar keinen anderen Zweck hatte als die Unsittlich-- keit aufs höchste zu befördern und ,,alle reichen Leute zu Maschinen der Wollust zu machen". Man darf hier „nur einen Fingerzeig geben, um alles übrige dabei empfinden zu lassen". 2)

Mesmer versetzte in der Tat durch seine magnetischen Experimente alle in Ekstase, die wesentlich erotischer Natur war. Seine Theorie^ dass wie der Magnet das Eisen anziehe, so ein. animalischer und moralischer Magnetismus die


1) Anecdotes piquantes, S. 202—203.

2) H e i n z ni a n n a. a. O., S. 88.


203 —


Menschen zueinander zöge, musste die damalige Welt bezaubern. Crusenstolpe sagt: ,,Man. kann sich denken, dass gerade in Paris diese Doktrin von moralischen Attraktionen ungeheure- Propaganda machen musste ; stellte sie doch der übersättigten und nach Abwechslung gierigen Menge völlig neue Grenüsse in Aussicht ! Wie süs& musste es nicht für die hohen Würdenträger sein, durch Doktor Mesmer in Eapport mit einem schönen Bürgerweibe zu kommen, und umgekehrt für diese, durch den Magnetismus zur Gemein- schaft mit einem der Grrossen des Staates er- hoben zu werden ! Jeder, der es nur irgend ver- mochte, gab gern Mesmer hundert Louisdor, um. magnetisiert zu werden, oder von ihm die Kunst zu erlernen, selbst zu magnetisieren . . . Ein alter Wollüstling des Hofes fand es angenehm, einen seiner Abende bei einem schwelgerischen Mahle mit Semiramis zu verbringen, an einem anderen Cleopatra, oder Sappho und Julia bei sich zu sehen. Eine Herzogin war entzückt, eine Nacht mit Alexander oder Cä^ar, man weiss nicht wie intim, zu verbringen. Dass es sich dabei nicht um die ägyptische Königin Cleopatra oder den: macedonischen Alexander, sondern ganz einfach; um sehr anrüchige Personagen des Palais Royal, handelte, begreift man wohl ohne weiteres. "i)


1) M, J. von Crusenstolpe ,,Der Versailler Hof"., Hamburg 1856. Bd. IV. S. 163 und S. 168.


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Den Yerschönerungs- und Reizmitteln im Dienste der Venus standen die Heilmittel •gegenüber, deren man damals in Menge bedurfte für die Blessuren und Schäden, die man auf dem Schlachtfelde der Liebe davontrug. Denn die Verbreitung der „galanten Krankheiten" war eine geradezu ungeheuerliche. Kein Ritter der Venus, der nicht nach längerer oder kürzerer Zeit mit ,5 Blumen" — so nannte man in der Sprache •der Galanterie euphemistisch die Syphilis — ge- schmückt die Hilfe der Aerzte und Afterärzte in Anspruch nehmen musste.i) Mädchen liefen Gefahr, bei der ersten geschlechtlichen Berüh- rung mit einem Manne venerisch infiziert zu werden. Defloration war häufig gleichbedeutend mit Gonorrhoe oder Syphilis acquirieren 1-) Man lachte über diese Kleinigkeiten.

JSTous n'en rougissons point, c'est le mal des heros JSJ"ous l'avons jusque dans les os.

Dieses ,,mal philosophique" suchte nach Nicolardots interessantem Verzeichnis L u d- w i g XV., den Marschall von Sachsen, den Herzog von Aiguillon, von Brienne, Ame- 1 o t , den Marquis d'A r g e n s , den Grafen von Tilly, Mirabeau, den Dichter Gentil Ber- nard, die Schriftsteller La Harpe, Linguet und Chamfort heim. ,,0n pourrait faire une


1) Die Sitten von Paris, S. 3.

2) Vergl. den Fall des 13 jälirigen MiUlcliciis bei C ap o n , Xes Maisons Closes, S. 17d — 175.


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liste aussi longue que celle des amours de Don Juan."!)

Natürlich zollte die gesamte galante Welt im engeren Sinne der Syphilis oder Gronorrhoe den obligaten Tribut. Die Syphilis der berühm- ten Tänzerin He ine 1 gab zu dem Bonmot Ver- anlassung, dass sie aus ihrem von ihr infizierten Liebhaber, dem G-rafen de Lauraguais, einen 5,prince de Galles" gemacht habe. 2) Auf, die C 1 a i r o n ging das Epigramm :

Quoi ! mille francs pour ma veröle,

Disait Dubois^) ä son frater?

Fretillo n^) pour beaucoup moins eher.,

A fait Cent tours de casserole.

Eh donc ! repliqua le Keiser ;^)

Saudis, c'est un exemple unique :

La belle alors de tout Paris

Etoit la meilleure pratique,

J'aurois du la traiter gratis ;

C'etoit l'espoir de ma boutique.^)

Als der erwähnte Advokat und Schriftsteller Linguet Ende 1772 von der Opernfigurantin Fräulein Landumier syphilitisch angesteckt worden war, veröffentlichte er einen humoristi- schen Brief an sie, in der er ihr diese ,, bitteren Früchte" ihrer Liebe vorhielt.'^)

1) Nicolardot a. a. 0., S. 303—304.

2) Anecdotes piquantes, S. 71.

3) Schauspieler der Comedie frangaise.

4) Deckname für die C 1 a i r o n.

5) Spezialist für venerische Leiden.

6) Anecdotes piquantes, S. 30. ^) Ibidem, S. 183—186.


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Während der venerischen Erkrankung des IFräuleins de Granville verbreiteten einige ■Satiriker an den Schauplätzen ihrer öffentlichen Tätigkeit, im Coliseum, in den Theatern und Pro- menaden ein angebliches „Bulletin" der sie be- handelnden Aerzte, in dem die Verunstaltungen ihrer Eeize durch die Syphilis mit cynischem Be- hagen beschrieben wurden. i)

So sehr v^ar man über die galanten Leiden seines Mitkämpfers auf dem Schlachtfeld der Liebe orientiert, dass man genau wusste, von wem und zu wem Uebel dieser Art weiter getragen wurden. Es ist interessant, die Berichte über •diese Wanderungen" der Syphilis zu lesen. Herr La Borde schenkte der berühmten G-uimard ■eine solche ,, Galanterie", diese gab sie an den Marschall Prinzen von S o u b i s e weiter, der Marschall an die Komtesse de l'Hopital und die Komtesse an . . — Hier verlor sich diese Genea- logie ins Dunkle, wie Bachaumont sagt. 2)

Herr Baron von Warseber g holte sich im Bordell der Y a r e n n e von der Dirne Dorville die Syphilis und steckte seinerseits Fräulein Laforest an, die damit dem Offizier Saim- son ein Danaergeschenk machte, welcher es eiligst an die Schauspielerin L a f o n d weitergab, von der Herr de la Ferte, der Intendant der „Menus-Plaisirs" es empfing, der wieder Fräu- lein E o s e 1 1 i damit beglückte, von der als letzter


1) Ibidem, S. 163—167.

2) Ibidem, S. 197.


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Herr de Fontanieux das Leiden erhielt. i) Dieser aber liess es durch den genannten Arzt K e y s e r kurieren.

Die Operntänzerin B e z e liess in kurzer Zeit tiefe Spuren ihrer Eeize unter den jungen Hof- ieuten zurück. Die Prinzen von L a m b e s c und von Gruimenee und der Marquis von Lian- 'Court waren die „unglücklichen Opfer" ihrer .Liebe. 2)

Furchtbare Verheerungen richtete die Sy- philis in dem hocharistokratischen Hause Lam- balle an. Die junge Gemahlin des Prinzen von Lamballe bekam bereits kurze Zeit nach der Verheiratung diese Krankheit von dem Herzog von C h a r t r e s 5 während ihr Gemahl sich an den Folgen einer ,,galanterie trop hasardee" in «einem Hotel garni heimlich behandeln liess, wo er die Gesellschaft einer berüchtigten Kurtisane La Cour, genannt ,, Palais d'or", genoss, die ihren Beinamen dem angenehmen Umstände ver- dankte, dass sie infolge der Syphilis einen Gau- mendefekt erlitten hatte, den man durch einen goldenen Obturator verdeckt hatte. Unter ihrer Pflege und derjenigen verschiedener berüchtigter Oharlatane starb denn auch der Prinz am 6. Mai 1768 eines sanften Todes.s)

Der Prinz von Conti acquirierte im Bordell der Montrival einen ,,clou de saint Come",


1) Les jDetites niaisoiis, S. 6 — 7. -] Anecdotes piquantes, S. 121. 3) Ibidem, S. 51—52, 59, 66, 68—69.


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wie man auch spöttisch die Syphilis nannte, und steckte seine Frau an.i)

Auch der König Ludwig XV. hatte viel«  leicht Ursache, sich genauer mit den venerischen Krankheiten zu beschäftigen. Dr. Gab an es hat wenigstens festgestellt, dass er sich eifrigst mit der Lektüre von Lalouettes ,, Neuer Methode der Behandlung der Syphilis mittelst Käuche-^ rung" beschäftigte. 2)

Zuletzt nahm die Verbreitung der venerischen Krankheiten so überhand, dass die Kegierung sich genötigt sah, durch Anschläge an den Strassenecken eine Gratisbehandlung der ärmeren Patienten anzukündigen und alle für venerisch befundenen Frauen und Kinder in einem Hospital in Vaugirard unterzubringen. 3)

Auch sonst liess man es nicht an Belehrung" und Abschreckung des Volkes fehlen. Heinz mann erzählt: ,,Um von dem Teufel der Wol- lust und der Verführung in Paris nicht zu stark geplagt zu werden, rate ich allen jungen und un- erfahrnen Freunden an, ihren Kitzel abzukühlen in dem anatomisch - naturhistorischen Kabinett des Professor Bertrand; da wird er die Früchte der Wollust, die Bilder sehen — die Schreckens- szenen der sittlichen Verwüstung ! wie die Wol-^ lust ihren Günstlingen lohnt ! Das Laster hat sich hier ganz entlarvt und zeigt seine natür-

1) Les Maisons Closes, S. 39 — 40.

2) Cabanes ,,Les Indiscretions de rilistoire", Paris. 1903. S. 142.

3) N i c ü 1 a r d 0 t a. a. O., S. 303.


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liehe Blosse, die Schmerzeiij die Sclimacli, das Elend, die Eeue und Verzweiflung." In diesem ..Cabinet tres curieux" konnte man alle ,,mala- dies qui sont la fruit du libertinage" sehen, alle in Wachs täuschend nachgebildet.

Aus einem Epigramme ersehen wir, dass der Gebrauch des ,,Condomes" immer noch als sicherster Schutz gegen die venerische An- steckung galt und dass man allen prophylak- tischen Wässern und von Charlatanen angeprie- senen Mixturen und Salben miss traute. 2) Die un- zähligen ,,Gresundheitsbücher", z. B. Doppets ..Medecin de l'amour" (Paris 1787), G-oulins. ,,Medecin des dames" (Paris 1771) u. a. m. ver- fehlten auch meist ihren Zweck.

Nützlicher war die damals aufkommende Einrichtung der Bordellärzte, die von den vornehmeren Freudenhäusern gehalten wurden. So musste im Bordell der Paris der Arzt alle zwei Tage die Mädchen auf ihre Gesundheit unter- suchen,3) Brissault hatte einen eigenen Haus- arzt, der die Gesundheit der Dirnen peinlich über- wachte.*) Ebenso Hessen die vornehmen Liber- tins ihre Maitressen durch Aerzte untersuchen wie z. B. der Marquis de Montmorin das an Leukorrhoe leidende Fräulein K o z i e r e.^)


1) H e i n z m a n 11 a. a. 0., Beilage S. 21- — 23.

2) Vergl. Anecdotes piquantes, S. 220—221.

3) Les Maisons Closes, S. 41'. Ibidem, S. 162.

^) Les petites maisons, S. 35 — 36.

D Uhren, Xetie Forschnngen über de Sade. 14


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Bei alledem blühte das Geschäft der After- ärzte und Kurpfuscher. Ihr Hauptquartier war das Palais Eoyal, wo sie durch alte Weiber und zweideutige Mädchen Zettel verteilen Hessen, die ihre Kunst, alle galanten Krankheiten in kür- zester Frist schmerzlos zu heilen, aufs höchste priesen und als besondere Empfehlung hinzu- fügten, dass man bei der Behandlung mit dem oder dem antisyphilitischen Syrup getrost seine alte ausschweifende Lebensweise fortsetzen könne.i)


1) Vergl. „Neues Paris", Altona 1801. S. 12—43 und „Paris wie es jetzt ist", S. 59.


TU. Slttengeschiclitliches aus dem Theaterleben.

(Prostitution in den Theatern, Erotik auf und hinter der Bühne, Tanz und Ballett, Galanterien berühmter Theater- damen.)

Die Gescliichte der Unsittlichkeit im 18. Jahrhundert ist eng verknüpft mit der G-eschichte des Theaterwesens. Im Theater, im Schauspiel nnd der Oper war der Hauptsitz der Unzucht in ihren eleganteren Formen. Namentlich seit dem Ende des 17. Jahrhunderts, als zahlreiche ita- lienische Schauspieler, Komödianten, Sänger und Sängerinnen, Tänzerinnen und Musiker Frank- reich überfluteten, fiel das Theaterleben einer zügellosen geschlechtlichen Korruption anheim. Yon hier aus wurde eigentlich erst die vornehme Gesellschaft inficiert. Die meisten Theaterdamen, besonders die italienischer Herkunft, verstanden sich auf die Anreizung und Verführung zu allen möglichen geschlechtlichen Perversitäten und widernatürlichen Lastern. Die Primadonnen und Haupttänzerinnen waren nach Barthold in der Eegel die berüchtigtsten Kurtisanen. In dem Leben der Musiker und Schauspielkünstler des

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18. Jahrhunderts erwies sich mit wenigen Aus- nahmen, dass Musik und Theaterwesen ihre Aus- über keineswegs veredelten, sondern häufig mit den grössten Lastern erfüllten.

Frankreichs Hauptstadt namentlich war das Eldorado italienischer Schauspieler und Tänze- rinnen. Denn nirgends, sagt Barthold, bot analoge Genussliebe und gleich gesteigerte Un- sittlichkeit so unausbleiblichen Lohn für die ver- dorbene Natur der gesamten Histrionenzunft als Paris nach der Eegentschaft. Sie war zwar immer noch nicht ganz gesellschaftsfähig, aber „bett- fähig" geworden und bildete ein integrierendes Element der französischen galanten Welt, ohne welches diese nicht mehr bestehen konnte. i)

Jeder vornehme Libertin musste unter seinen Maitressen wenigstens einige Damen vom Theater haben, wenn es auch nur Statistinnen, Choris- tinnen oder Tänzerinnen niederen Eanges waren.

Die Theater selbst waren Ausgangspunkte und Schauplätze der verschiedensten Arten der Unzucht iUnd Prostitution. Es gab gewissermassen eine Prostitution vor, auf und hinter der Bühne.

In den Logen, dem Parterre und den Foyers der grösseren und kleineren Theater drängten sich eine Menge von Freudenmädchen. Namentlich in den kleineren Boulevardtheatern, bei A u d i - not und N i c o 1 e t wimmelte es von diesen käuf-


1) Vergl. B a r t h o 1 d a. a. O., Bd. I. S. 33—15.


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liehen Yenuspriestermnen.i) Berüchtigt als öffentliche Liebesbörse war vor allem das Theater der Madame Montansier, der Vereinigungs- ]punkt einer grossen Zahl öffentlicher Mädchen. 50 von ihnen hatten überhaupt stets freien Zutritt.

jjDies ist eine Spekulation der Unternehmer, welche dadurch Zuschauer herbeiziehen wollen. Sonach darf ein anständiges Frauenzimmer dieses Schauspiel wenigstens öffentlich nicht besuchen. Treibt sie jedoch die Neugierde dahin, so bleibt ihnen nichts übrig, als die vergitterten Logen oder die sogenannten Theaterlogen zu besuchen, wo man weniger gesehen wird, und nicht unter die Lustmädchen gerät, welche vorzüglich den ersten Eang in Beschlag genommen haben, wo sie ganz zwanglos, je nachdem ihr Spekulations- geist sie leitet, aus einer Loge in die andere gehen. Es fällt jedoch in diesem Saale selbst durchaus nichts Unanständiges vor, und man beobachtet aufs strengste die dem Publikum schuldigen Eücksichten, obgleich das Parterre, die Galerien und Treppen während der Pausen von den oben erwähnten Damen und jungen Leuten vom sogenannten guten Ton bis zum Er- sticken angefüllt sind. Hier wird wegen der Zu- sammenkünfte und parties fines sowohl für den- selben Abend als den folgenden Tag das Nötige verabredet. — Die weiblichen Schützlinge dieses Theaters bilden sich ein, mehr zu sein, als die

1) Mercier de Compiegne Manuel des Boudoirs". S. 185.


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anderen öffentlichen Mädchen im Tribunats- Palaste. Sogar in den Logen affektieren sie einen, gewissen Anstand und nennen sich untereinander Madame."!)

Von der Bühne selbst gingen unzählige ero- tische Eeizungen aus. Die Schauspielerinnen und Tänzerinnen kargten, wie wir noch an einzelnen Beispielen sehen werden, nicht mit der möglichst drastisch-raffinierten Preisgebung ihrer Reize. Unter dem rigorosen Ludwig XVI. mussten die weiblichen Mitglieder der Theater zwar eine Zeitlang Unterhosen tragen. Schulz erzählt nämlich, dass eine Schauspielerin das Unglück hatte, dass bei einem schnellen Dekorations- wechsel ihr Rock mit ergriffen und aufgehoben und sie dem Parterre eine äusserst komische, aber auch anstössige Blosse gab. Seit der Zeit erging^ ein Polizeibefehl, dass alle Schauspielerinnen aller Theater nie anders als in Unterhosen auf der Bühne erscheinen sollten, von der Operntänzerin an bis zur ersten Heldin im Trauerspiel.-)

Doch war dies nur eine vorübergehende Neue- rung, die bald den alten Nuditäten auf der Bühne wieder Platz machte.

Eine andere Ordonnanz, die aber von Lud- wig XV., allerdings in seinen letzten Lebens- tagen herrührte, verbot den Habitues den Zu- gang zu den Ankleidezimmern der Opernsänge- rinnen und Tänzerinnen. Bisher hatten die Ama-


1) Paris wie es jetzt ist, S. 63 — 64.

2) S c h VI 1 z a. a. O., S. 1 15.


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teurs und Lebemänner vor und während der Vor- stellungen ungehindert die Garderobezimmer der Theaterschönen betreten. „On les voyait s'ha- biller, on jouissait de tout le coup-d'oeil sedui- sant que pouvait presenter leur toilette, et les gens propres ä l'impromptu y pouvaient faire des coups fourres tres agreables . . . Oes demoiselles seront desormais obliges de reserver le spectacle de leurs charmes secrets pour le tete-ä-tete de leurs amants."!)

Freilich war das Unwesen der Kulissenga- lanterien zu arg geworden und hatte dieses Ver- bot mit Notwendigkeit herbeiführen müssen. So war eine junge Choristin, die La Guerre, wäh- rend einer Probe in flagranti mit einem Manne ertappt worden.^) Ebenso war Fräulein Martin ,,en galante posture dans les coulisses de l'Opera" überrascht worden.^) Diese Opernproben waren überhaupt, wie Bachaumont bemerkt, ,,deli- cieuses pour les amateurs". Es herrschte dabei eine unglaubliche sexuelle Freiheit und Zügel- losigkeit. Vornehme Männer von hoher Stellung wie z. E. der Präsident der Kechnungskammer Meslay verlegten den Schauplatz ihrer ,,extase amoureuse" mit Vorliebe hinter die Kulissen der Oper.^)

Eros herrschte auch auf der Bühne. Die


1) Anecdotes piquantes, S. 238.

2) Les Maisons Closes, S. 43. — Vergl. auch die ähn- liche Affäre der Mlle Petit, Anecdotes piquantes, S. 168.

3) Ibidem, S. 167.

4) Anecdotes xoiquantes, S. 168.


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Galanterie und erotische Sentimentalität^) spielen in den Theaterstücken des Rokoko die hervor- stechendste Rolle. Am meisten kam die grobe Erotik auf ihre Kosten in den „Theätres C 1 a n d e s t i n s" des 18. Jahrhunderts, einer dem Rokoko eigentümlichen Erscheinung. Es waren dies durchweg obscöne und indecente Theater- vorstellungen, die meist auf Privatbühnen ge- geben wurden und nicht selten mit geschlecht- lichen Orgien in Verbindung standen oder auch gelegentlich grösserer prunkvoller Feste der vor- nehmen Welt dargeboten wurden.

Gewöhnlich wurden diese unzüchtigen Theaterstücke in den petites maisons des Adels und der Kurtisanen, öfter sogar auch in den — Bordellen aufgeführt.

Grandval, der mit der berühmten Schau- spielerin Dumesnil (von der Comedie Fran- gaise) in einem Lusthause der rue Blanche zu- sammenlebte, hatte sich dort ein kleines Theater eingerichtet, für das er selbst äusserst obscöne Stücke schrieb, wie ,,L'Eunuque ou la fidele in- fidelite" (1750), „La nouvelle Messaline, die schon erwähnten ,,Deux biscuits" u. a. m., die vor einem erlesenen Publikum von Libertins auf- geführt wurden. 2)

Aehnliche Vorstellungen fanden in der ,,Aca- demie de Passy" des Herrn La Poxoeliniere


1) Vergl. über diese H. W e 1 s c Ii i u g e r „Le Tlirätre de la Eevolution", Paris 1880. S. 353—354.

2) Les petites maisons galantes, S. 82.


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statt, wo man am Schlüsse angenehm überrascht war ,,de voir la divine Salle, la vive Lany, la jeune Pluvigne quitter la table et former mille pas Yoluptueux".!)

Der Herzog von Gramm ont hatte in seinen beiden petites maisons in der rue de Clichy und in Puteaux Bühnen eingerichtet, auf denen ,,re- presentations legeres" gegeben wurden, wo er selbst und seine Maitresse Fräulein Faucon- nier die Hauptrollen spielten. 2)

Die Tänzerin Guimard veranstaltete in ihrem herrlichen Lusthause in Pantin ebenfalls Theatervorstellungen von einem sehr indecenten Charakter. Man spielte dort ,,avec toute la ga- lant erie possible", führte u. a. eine berüchtigte „Parade" unter dem Titel ,, Madame Engueule" auf, welches ,,spectacle licencieux" selbst die Auf- merksamkeit der Polizei auf sich zog.^) Einmal kündigte sie den Schluss ihrer Vorstellungen auf •eine höchst zweideutige Weise an.^) Marmon- tel und de la Borde schrieben für dieses von ■der reichen Lebewelt stark besuchte Theater Stücke, und die Guimard, eine Kurtisane, die Epoche machte par son art dans le rafinement des voluptes et dans les orgies qui se cele- brent souvent chez cette nymphe, wusste der


1) Ibidem, S. 134.

2) Ibidem, S. 85.

3) Anecdotes piquantes, S. 167,

  • ) Ibidem, S. 111—113.


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gespielten Erotik eine immer neue Würze zu geben. 1)

Obgleich der Erzbischof von Paris wieder- liolt energischen Einspruch gegen die obscönen Theatervorstellungen bei der Gruimard erhobt gelang es ihm doch nicht, diese gänzlicli zu in- hibieren, da die Prinzen nicht so leicht auf einen solchen Genuss verzichten wollten. Im Gegen- teil wurde bald darauf das Stück „Pygmalion"" gegeben, wobei die Zuhörerschaft „charmante par la quantite de filles du plus joli minois et radieuses de diamants" war, und auch der Her- zog von Chart res und der Graf de 1 a M a r c h e- auf ihre Kosten kamen.^)

Im Theater Audinot spielten einmal Offi- ziere in höchst anstössiger Weise Theater, so dass- der der Vorstellung beiwohnende Kriegsminister gegen die Darsteller disziplinarisch einschreiten wollte, was indessen der ebenfalls anwesende,, freier denkende Herzog von C h a r t r e s ver- hinderte,

Der Hof selbst fand viel Gefallen an Stücken dieser Art. Namentlich unter der Herrschaft der Gräfin Du Barry wurden öfter solche schmutzi- gen Theaterstücke aufgeführt, z. B. am 2. No- vember 1771 der „Falke" (Faucon), piece si in- decente et si ignoble que tout le monde en a ete revolte.*) Mitte Dezember 1771 ,,Die Wahrheit


1) Ibidem, S. 80.

2) Ibidem, S. 173.

3) Ibidem, S. 128—129.

  • ) Ibidem, S. 149.


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im Wein", wobei anständige Frauen, denen diese ,,comedie orduriere" noch niclit bekannt war, so- ihre Haltung verloren, dass die Gräfin D u B a r r y dadurch besonders amüsiert wurde.

Wie erwähnt boten auch manche Bordelle ihrer Klientel solche zweifelhaften theatralischen Grenüsse dar. So Hess die Bordellwirtin L a c r o i x zur Anlockung von Kunden obscöne Stücke in ihrem Freudenhause aufführen, die grossen Er- folg hatten. Der Titel eines solchen Stückes, allein genügt, um den Inhalt dieser Schauspiele-

anzudeuten: ,,L'art de f ou Paris f . ..

tant, ballet sur la musique de ,,rEurope galante".. Comedie en 1 acte et en vers, reprise aux Por- cherons dans le bordel de MUe. Delacroix (fa- meuse maquerelle) le 1er janvier 1741, avec une- epitre dedicatoire ä M. DDDM en 19 vers Paris,, dom Bougre impr. de tous les f . . teurs et tous- les cocus du royaume." Als Darsteller fungierten die MUes Petit, Lesueur, Duplessis,. Rosette, Mouton Lempereur u. a., alle- Freudenmädchen I^)

In dem schon öfter erwähnten Theater A u - d i n o t fanden besonders raffinierte VorstellungeiL statt. Hier spielten Kinder die obscönsten Stücke mit einer naiven Grazie, welches pikante^ Schauspiel der Lebe weit einen unerwartet neuen. Genuss bot. ,,Les filles se sont portees en fouler de ce c6te-lä, et beaucoup de libertins, d'oisifs,,


1) Ibidem, S. 160.

2) Les Maisons Glos es, S. 54.

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de freluquets avec elles. Ce monde en a attire d'un autre genre. Les femmes de la Cour, qui en cette qualite se croient au-dessus de tous les prejuges, n'ont pas dedaigne, d'y paraitre, et ce theatre est la rage du jour." Natürlich fanden sich bald zahlreiche Amateure dieser Kinder, in der wohl allzu berechtigten Annahme, dass aus diesem Seminar des Lasters gelehrige Schüle- rinnen für ihren Harem hervorgehen würden. i)

Ein gewisser N i c o 1 e t , der ein ähnliches Theater hatte, in dem sich allabendlich die Kur- tisanen versammelten, liess sogar einen — Affen sich an den Obscönitäten auf der Bühne betei- ligen, was die vornehmen Damen in ,, Ekstase" versetzte I^)

Unter der Eevolution kamen besonders Stücke sadistischer Natur, entsprechend der nach Blut und Mord lechzenden Zeitstimmung auf. Welschinger gibt darüber in seinem Werke über das Theater während der Eevolution aus- führlichere Nachrichten, auf die hier verwiesen sei. Der Hamburger Domherr Friedrich Jo- hann Lorenz Meyer, der im Jahre 1796 in Paris war, berichtet darüber:

„Der Geschmack des Publikums ist, in Ab- sicht der Früchte dramatischer Kunst, dort völlig so verderbt, wie in Deutschland; nur schweift er von einer andern Seite aus, wohin ihm aber auch unser, so gern nachäffendes Publikum noch


1) Anecdotes piquantes, S. 145 — 146.

2) Ibidem, S. 81.


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vielleicht einst folgen wird. Es sind nicht, wie bei "ans, die lärmenden Eitterstücke und faden Opern, die dort ihr G-lück machen würden : denn die ausschweifende Einbildungskraft ihrer dra-^ matischen Dichter und des republikanischen Publikums nimmt einen kühnern Elug in die Regionen des Ungeheuren und G-rässlichen. Ein junger, nicht genieloser Dichter, Lemercier, machte viel G-lück mit seinem neuen Stück ,,le Levite d'Ephraim", dessen Ekel und Grauen er- regender Gegenstand, die Schändungs- und Mord- geschichte im 19ten Kapitel des Buches der Richter ist. Die mehr als kannibalische Szene, in welcher das Weib zu Tode geschändet wird, und der, aus Rachedurst rasend gewordene Levit sich über den entehrten Leichnam seiner Geliebten hermacht, ihn in zwölf Stücke zerfetzt, und diese den Stämmen zuschickt, — erzählt der Levit mit den kleinsten, bis zum höchsten Ekel und Abscheu ausgemalten Umständen : — er er- zählt sie, — wem ? dem Vater der Ermordeten V'^}


Zur höchsten, raffiniertesten und den Sinnen schmeichelnden Kunst wurde im 18. Jahrhundert der Tanz ausgebildet. Dieses dem Wollüstling unentbehrliche Schauspiel war ja in hohem Grade geeignet, vielseitigste erotische Empfindungen zu erwecken, das Gemüt für die Ereuden der

F. J. L. Meyer Fragmente aus Paris", Hamburg; 1798. Bd. I. S. 81—82.


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Xfiebe empfänglicher zu stimmen. Daher die .grosse Bedeutung, die damals dem Tanze und JBallette beigemessen wurde. Der berühmte Choreo- graph Noverre sagt in seinen „Briefen über die Tanzkunst" : ,,Tanz und Ballett wird heut- zutage eine Modeseuche. Man läuft mit einer Art von Easerei darnach, und nie ist eine Kunst durch den Beifall mehr aufgemuntert worden als unsere. Der Geschmack an Balletten ist allgemein und geht sehr weit; alle Eegenten zieren ihre Schauspiele damit aus, nicht sowohl um sich nach unseren Gebräuchen zu richten, als viel- mehr, um sich das Vergnügen zu verschaffen, welches diese Kunst gewähret. Der kleinste her- umziehende Trupp schleppt einen Schwärm Tänzer und Tänzerinnen mit sich ; ja, die Possen- reisser und Marktschreier rechnen mehr auf die Tugend ihrer Ballette als ihrer Tropfen und Pulver; sie blenden die Augen des Pöbels mit Entrechats."!)

Dass die Tänzerin wesentlich auf die ero- tischen Instinkte der Zuschauer wirken sollte, geht ebenfalls aus den Anforderungen hervor, die Noverre an Wuchs und Haltung einer solchen stellt. .,Der Wuchs," sagt er, „der sich am besten für den wollüstigen Tanz schickt, ist der mittlere ; er kann alle Schönheiten des zierlichen Wuchses zugleich haben. Was tut die Länge, wenn aus allen Teilen des Körpers das schöne Verhältnis

i) N o V e r r e „Briefe über die Tanzkunst rind über die Ballette", Aus dem Französischen. Hamburg u. Bremen 1769. 38—39.


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gleich stark hervorleuchtet. — Das Gesicht muss für die Wollust und Zärtlichkeit gebildet sein."i)

Tanzen nannte man damals mit Eecht ^^tracer des chiffres d'amour", die Beine schrieben ,,die Hunensprache der Liebe auf den Boden". 2) Dies

galt schon für die Lieblings tänze in der Gesell-

schaft, für das Menuett, diese Königin aller Tänze, und die im engeren Sinne ,, galanten" 'Tänze, die Canarie", und die ,, Gail- l a r d e",3) und die „M a s k e n b ä 1 1 e" der grossen Oper, deren erster im Dezember 1715 stattfand.^) Da diese Maskenbälle erst nach Mitternacht be- gannen, boten sie der Neigung zur Unzucht und Prostitution desto mehr Eaum. In der ,, Venus en rut", in den zahlreichen Berichten der Polizei- inspektoren M a r a i s und Meusnier finden wir diese Anknüpfung von galanten Beziehungen auf den grossen Opernbällen häufig erwähnt.

Seit 1745 wurden auch grosse öffentliche Balllokale errichtet, die eine allgemeinere Beteili- gung des Volkes an den Tanzlustbarkeiten er- möglichten. Die ersten Etablissements dieser Art waren die ,,bals de bois", die ihren Namen davon hatten, weil sie ganz aus Holz gebaut waren. ^) Die Blütezeit dieser öffentlichen Bälle war die Epoche des Direktoriums, wo die Bälle

1) Ibidem, S. 175.

2) Karl Storck „Der Tanz", Bielefeld 1903. S. 95.

3) Ibidem, S. 97—99.

4) Ibidem, S. 92.

5) 'Man vergl. die Schrift des G-rafen von 0 a y 1 n s „Quelques avantures curieuses et galantes des bals de bois", Paris 1745.


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von W e n z e 1 , bei K u g g i e r i , im Tivoli, im ..Pavillon d'Hanovre", die berühmtesten waren, wo aber auf hundert Anschlagzetteln von allen Farben hundert Bälle angekündigt wurden, im ganzen aber nicht weniger als 644 solche Ball- lokale existierten ! Ausserdem tanzte man in Ballkränzchen, im Mondlichte und bei Fackel- schein. Der Walzer war damals der allgemein beliebte Tanz.i) In dem herrlichen Salon des Hotel Longueville konnten 30 Kontretänze zu je 16 Personen zu gleicher Zeit stattfinden und ausserdem tanzten noch nahe dem Eingang zwei Quadrillen von Negerinnen. 300 parfümierte Frauen schwebten in ihrem Deshabille als Yenusse dahin und Hessen schamlos alle Eeize sehen ,,jambe fine, pied fripon, corsage elegant, main errante, gorge d'Armide, forme de Callipyge", die durch hohe Spiegel noch vervielfacht wur- den. 2) Aehnlich waren die Grötterfreuden von 5,T i- voli", „Paphos", ,,Idalie", des ,,J ardin de l'Hermitage", des „Pavillon d'Hanovre", wo Madame Tallien, die Grazie des Direk- toriums in all ihrer griechischen" Schönheit er- blühte, umgeben von einem Kranze gleich nackter Frauen, ein Bild ,,voll Liebe, Lascivität und — Unaussprechlichkeit". Das Auge verlor sich trun- ken in diese doppelten Keihen hoher königlicher Gestalten. Horch! die Tanzmusik beginnt. Ma- dame Tallien erhebt sich.

1) E. u. J. d e G 0 n c o u r t , Directoire, S. 137 ff. : Neues Paris", S. 291—296.

2) E. u. J. de Goncourt a. a. 0., S. 143—114.


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,,Eiiie stolze, schöne junonisclie Frau, reich mit funkelndem Schmucke am Arm und G-ürtel geziert, eröffnete den Ball. Der schönste Tänzer schwang sich mit ihr durch die Keihen hin. Leich- tigkeit, Ausdruck, Anmut, Präzision, Grazie und Delikatesse sprachen aus jeder Bewegung, weh- ten auf den rauschenden Tönen der Instru- mente daher."!)

Längs der Boulevards und in den Vorstädten befanden sich zahlreiche Tanzhäuser, die von der guten Gesellschaft nicht besucht wurden. Es waren die ,, Tempel der Untergöttinnen und ihrer Anbeter".2)

Den Gipfelpunkt des erotischen Tanzes stellte das Ballett dar, das im 18. Jahrhundert durch Noverre, Yestris und andere Grössen der Tanzkunst aufs höchste ausgebildet wurde. Die Balletts der grossen Oper gehörten zu den feen- haftesten, berückendsten Schauspielen, in denen sich eine verschwenderische Pracht mit den raffi- niertesten Erfindungen der Wollust vereinigte, um eine fascinierende Wirkung hervorzubringen und die Zuschauer in eine leidenschaftliche, ero- tische Aufregung zu versetzen.

Ein Beispiel möge dies verdeutlichen; die Schilderung des zweiten Aktes aus Noverres Ballett „Der Nachttisch der Venus oder die List des Liebesgottes".


1) Neues Paris, S. 68 — 69 ; Groncourt, Directoire, S. 293—301.

2) F. j. L. Meyer a. a. 0., S. 104.

Dühren, Neue Forschungen über de Sacle. 15


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„Der zweite Akt wird ganz zum Ankleiden der Venus angewandt. Jedes Stück wird ihr von den Grazien angelegt ; ein Teil der Nymphen be- schäftigt sich, den Nachttisch wieder in Ordnung zu bringen, indessen dass die übrigen den Gra- zien die nötigen Kleidungsstücke zureichen. Die Spiele und Scherze, welche nicht weniger be- flissen sind, die Göttin zu bedienen, halten die Schmuck- und Mouchendosen, den Blumenstrauss, das Halsband, die Armbänder usw. Amor in einer niedlichen Stellung bemächtigt sich des Spiegels xmd flattert dergestalt beständig um die Nymphen herum, welche, um sich für seinen Leichtsinn zu rächen, ihm seinen Köcher und seine Binde weg- reissen. Er verfolgt sie, wird aber in seinem Laufe durch drei von eben diesen Nymphen aufgehalten, welche ihm sein Kaskett und einen Spiegel brin- gen ; er setzt es auf und bespiegelt sich, er fliegt in die Arme seiner Mutter und sinnt seufzend auf das Vorhaben, sich wegen dieser Art von Be- leidigung zu rächen. Er bittet und plagt Venus, ihm zu seinem Vorhaben dadurch, dass sie ihre Seelen durch die Gemälde alles dessen, was die Wollust Einnehmendes hat, zur Zärtlichkeit ge- neigt macht, behilflich zu sein. Venus enthüllt hierauf alle ihre Liebreize ; ihre Bewegungen, ihre Stellungen, ihre Blicke sind das Bild des Vergnügens der Liebe selbst. Die innigst be- wegten Nymphen bemühen sich, es ihr nachzu- machen und alle die feinen Schattierungen zu treffen, welche sie anwendet, sie weich zu machen. Amor, der den Eindruck bemerkt, nützet den


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Augenblick. Er schiesst seine Pfeile auf sie ab, und in einem allgemeinen Entree las st er sie alle Leidenschaften malen, welche er einflösst."i)

Man sieht, dass diese Ballette nichts weiter waren als Darstellungen, lebende Gemälde der wollüstigsten Leidenschaft, die alle Sinne auf- regten. August von K o t z e b u e sagt von dem Eallett „Telemach und Psyche", das er in der Grossen Oper sah: ,,Wie die hübschen Mädchen herumwimmeln, wie göttlich sie tanzen, wie wol- lüstig und doch grazienvoll jede ihrer Bewegun- gen, welch reizendes Ineinanderverschlingen, welcher süsse Wirrwarr, welche Gruppen ! — Für ein Eaffinement von Koketterie halte ich es, dass die Unterhosen der Damen von fleischfarbner Seide gemacht sind. "2)

Auf dem Pariser Ballett kam zuerst als Tracht der Ballerinen jenes kurze Röckchen auf, das „bis auf den heutigen Tag das Ent- setzen der Sittenrichter und die Wonne der Opernglas fabrikanten ist".^) Seine Erfinderin war die grösste französische Tänzerin Anna de Camargo (1710 — 1770), eine Spanierin von Geburt, verewigt durch Lancrets be- rühmtes Bild, die seit 1726 ihre Triumphe feierte und die lebhafteste Sinnlichkeit in die Tanzkunst einführte. Sie war auch die Erfinderin


1) Noverre a. a. O., S. 302—303.

2) A. V. Kotzebue a. a. O., S. 128—129.

3) S t o r c k „Der Tanz", S. 83.

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der 5,Eiit r e Chat s", der Springtänze auf der Bühne.i)

Eine andere graziöse Tanzform, die „Pirou- ette" wurde von Fräulein Heinel, einer aus Stuttgart gebürtigen Tänzerin, auf der Bühne der Grrossen Oper eingeführt. 2)

Für die theoretische Ausbildung der Ballett- kunst leistete ausser Noverre am meisten die Familie Y e s t r i s , deren Haupt Gr. A. B. Y e s - tris (1729 — 1808) mit dem Beinamen der ,,G-rosse", sich selbst stolz als den ,,dieu de la danse" bezeichnete. Ihm ebenbürtig war sein Sohn August Yestris (1759— 1840).3)


Yon den galanten Grössen der Theat erweit ^ unter denen die „filles d'opera" ohne Zweifel die übrigen Schauspielerinnen an Erfolgen be- deutend übertrafen,^) mögen an dieser Stelle nur die berühmtesten oder berüchtigtsten genannt sein, die in der französischen Sittengeschichte des 18. Jahrhunderts eine mehr oder weniger hervor- stechende Kolle gespielt haben.


1) Ibidem, S. 82—83; vergl. ferner G. Klemm „Die Frauen", Dresden 1859, Bd. V. S. 14.

2) Storck a. a. 0., S. 83.

3) Vergl. die Schilderung des herrlichen Tanzes des Vestris in dem Ballett „Telemach und Psyche" bei J. F. L. Meyer a. a. 0., S. 85—89. — Ueber die Familie Vestris, vergl. Barthold a. a. O., Bd. II. S. 136 ff.

  • ) Vergl. darüber Mercier ,,Tableau de Paris", S. 68

bis 69.


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Zwei ständige Eivalinnen waren die Der- vienx und die Guimard, zwei Tänzerinnen von der Grossen Oper. Erstere stand um 1770 auf dem Gipfel ihres Kuhmes als 5,dame galante". Damals war sie die Maitresse des Prinzen von S 0 u b i s e 5 der für sie in der rue de la Victoire ,,un merveilleux petit hoterVim Stil eines korin- thischen Tempels erbauen liess, mit einem präch- tigen Garten dabei. Die Dervieux vermehrte aber ihre Einkünfte durch die Zahl ihrer Lieb- haber, indem sie nur die grossmütigsten Liber- tins wählte. Diese „troupe doree" der Dervieux bestand aus dem englischen Lord Bentinck, dessen Ausgaben für sie seinen Bankier Lam- bert beunruhigten, dem Grafen von War- k o w s k i , dem Chevalier de Launay, dem Mar- schall Richelieu, dem sie mehr Besuche machte als sie empfing, dem Herrn M a r q u e t de P e y r e , dem Herzog von Chartres, der ihr ein Diamantenhalsband schenkte und dem Mar- quis de Eitz James, dem geizigsten dieser Liebhaber. Endlich liess sie der Tanzmeister L a- val, der Liebling aller Operndamen, diese zahl- reichen käuflichen Liaisons vergessen, indem er ihr nur seine Liebe bot.i) Die Dervieux ver- stand es, ihre Liebhaber auszuplündern. Dem Herzog von Alba, der sie eines Morgens zu sich in sein Hotel entbot, liess sie antworten, das koste 6000 Erancs, billiger pflege sie nicht zu früh- stücken.2) Auf Veranlassung der Guimard, die

1) Les petites maisons, S. 100 — 101. ' 2) Manuel „La police devoilee", Bd. II. S. 117.


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ihrer Eivalin diese Erfolge nicht gönnte, machte man auf die Dervieux das Couplet :

J'suis un milord

Tout cousu d'or

Arrivant d'Angleterre

JVeux connaitre le plus fameux bordeL

Helas ! dites-moi dans lequel.

Chez la Dervieux Aux beaux yeux bleus Chez sa putain de mere,

Comment entrer

Se presenter Comment faire pour lui plaire?

worauf die G-uimard die gebührende Antwort erhielt :

Actrice au pays des pantins, Devote et courant l'aventure, Buvant du vin contre mesure, Devant ä Dieu comme a ses saints, Elle se fait bätir un temple, Sur le fronton de son hotel On mettra pour servir d'exemple A la deesse du bordel. Guimard en tout n'est qu'artifice Et par dedans et par dehors Otez lui le fard et le vice Elle n'a plus ni äme ni corps.i)


1) E. de Goiicourt ,,La Guimard", Paris 1893. S. 62.


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Vor allem sicherte sich die Dervieux einen unbegrenzten Einfluss durch ihre galanten Beziehungen zu hohen Polizeibeamten. Sie war die Geliebte des Herrn von Sartines und später des berüchtigten Lenoir, der ihr mehr als 800 000 Livres zukommen liess I^) Nachdem sie 1789 noch die Maitresse des Grafen von Ar- 1 0 i s gewesen war, verheiratete sie sich mit dem Architekten Bellanger, errichtete ein fashio- nables Freudenhaus und wandte sich im späteren Alter den ,,delices" der gleichgeschlechtlichen Liebe zu, worin sie von MUe. Eaucourt unter- richtet wurde. Man sah häufig die berühmte Tra- gödin sich nächtlicher Weile durch die kleine Tür der Bibliothek aus dem Hause der Der- vieux schleichen und zu ihrem Wagen gehen. Sie war dann als Mann verkleidet, dessen KoUe sie bei ihrer zärtlichen Freundin spielte. 2)

Die Tänzerin Marie Madeleine Gui- mard (1743—1816), der Edmond de Gon- c o u r t eine eigene Monographie gewidmet hat^) war mässiger in ihren Galanterien als die Der- vieux, da sie wesentlich mit einem Liebhaber, dem Prinzen von Soubise sich begnügte, aber sie entfaltete einen unerhörten Luxus, gab herr- liche Feste, unterhielt ein eigenes Theater, eine eigene Jagd.*) Sie gab jede Woche drei Soupers,


1) Les Maisons Closes, S, 256.

2) Chronique Aretine, Paris 1790. S. 61.

3) E. de G o n c o u r t „La Guimard", Paris 1893. Anecdotes piquantes, S. 205.


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das eine für den Hof und Leute von vornehmem Stande, das zweite für Künstler und Gelehrte, das dritte endlich, eine wahre Orgie der Lebe- welt, zu welchem die „verführerischesten und lascivsten Mädchen" eingeladen wurden, und wo die ,, Wollust und Unzucht bis zum Aeussersten" getrieben wurde. Eine solche freigebige Kur- tisane konnte man, wie Bachaumont sagt, in Paris nicht zum zweiten Male finden. 2) Später verkaufte die Guimard ihr prächtiges Haus in der Chaussee d'Antin und starb in Armut. 3)

Die C 1 a i r o n (1723—1803), berühmte Schau- spielerin der Comedie Frangaise, begann schon mit 13 Jahren ihre galante Laufbahn, indem sie ein Liebesverhältnis mit dem Schauspieler Gail- lardde laBataille anknüpfte, der später sich an ihrer Untreue durch die Erzählung ihrer zahl- reichen Liebesabenteuer gerächt hat, deren erster Teil bereits erscheinen konnte, als sie erst 16 Jahre zählte (,,Histoire de la vie et des moeurs de Mademoiselle Cronel, dite Fretillon", Paris 1739) und bis 1750 eine Fortsetzung in vier Teilen erfuhr.^) Ihr ganz der skandalösesten Unzucht gewidmetes Leben hat der Verfasser der ,,Fou- tromanie" mit den Versen gegeisselt :


1) Ibidem, S. 60.

2) Ibidem, S. 171.

3) Les petites maison, S. 101 ; Anecdotes piquantes,

s. 287. i ; : '

Das Ganze ist neu herausgegeben unter dem ■ Titel „Vie et moeurs de Mademoiselle Cronel, dite Fretillon", ed. Gay, Brüssel 1883, 2 Bände.


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Yit-oii jamais sous la Celeste voüte Plus de debaucbe, un plus facile ton Que n'en offrit l'illustre Fretillon.i)

Als G a r r i c k eine Medaille auf die C 1 a i r o n hatte schlagen lassen, kursierte das Epigramm:

De la fameuse Fretillon,

A bon mar che se va vendre le medaillon:

Mais ä quelque prix qu'on le donne,

Füt-ce pour douze sols, füt-ce meme pour un,

On ne pourra jamais le rendre aussi commun

Que le fut toujours sa personne. 2)

Die Skandalchroniken und Denkwürdigkeiten der Zeit wimmeln von pikanten Anekdoten über die Clairon. Im späteren Alter hatte sie eine grosse Yorliebe für schöne Knaben. 3)

In allen Lastern der Unzucht, der natürlichen und widernatürlichen, wälzte sich Fräulein R o - salie Levasseur, Sängerin an der Oper. Im Dezember 1770 wurde ein Gedicht über sie ver- breitet, aus dem einige bezeichnende Verse mit- geteilt seien :

Le sot Orgueil, un jour, Convoita l'Impudence Un monstre ä cet amour Dut bientot sa naissance : Ce chef-d'oeuvre heureux Fut bien digne d'eux.


1) Vie et moeurs de Mlle. Cronel etc. Bd. I. S. XXII.

2) Anecdotes piquantes, S. 28.

3) Ibidem, S. 49.


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Jugez-en par sa vie !

Le crime excite tous ses sens,

L'appät de Tor fait ses penchans,

Son nom manque ä ces traits touchans ;

Eh bien! c'est Kosalie.

Priape est le seul Dieu

Que cette nymphe adore,

Mais son sceptre plait peu

Si Plutus ne le dore.

Un mystere affreux

Fait cacher ses feux;

C'est un Giton femelle.

Si l'on vous disait que Cypris

Prive d'une nuit Adonis

Pour la passer avec Lais,

Eh bien! c'est encore elle.i)

Die „experience amoureuse" der Tänzerin Adeline wurde so berühmt, dass man eine witzige Annonce darüber zirkulieren liess.^)

Die Schauspielerin Astraudi von der ita- lienischen Komödie schenkte nacheinander dem Grafen E g m o n t , dem Chevalier de B o n n a c ^


1) Anecdotes piquantes. S. 123 — 124.

2) „La Dlle. Gonorrliee l'ainee, dite Colombe et la. Dlle. Gonorrliee la jeiine, dite A d e 1 i ii e , ont ouvert un. cours d'experience priapique, tant masculin que feminin en leur demeure rue de l'Egoüt, ä l'enseigne de Messaline: elles s'y proposent d'y resoudre tous les problemes de TAr^tin, 11 y aura deux seances par jour, les dames entreront Sans payer et la livree en payant." Les petites maisons ga- lantes, S. 69.


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Herrn d'E t i o 1 1 e s , dem Baron von Breteuil^ dem Herzog von Montmorency, Herrn Le Feron, de Bresle, de Montregard, dem Grafen d'Egre ville, PajotdeYilliers usw. usw. ihre G-unst. Man sang daher mit Eecht von ihr:


Astraudi dans son jeune äge Des catins prit la legon Natnre la fit peu sage, Sans cesse aussi la voit-on; Au sein du libertinage Preter a chacun son c .


Eine ganze Keihe solcher Messalinennaturen Hesse sich noch namhaft machen, viele andere pikante Details über das Privatleben der Theater- damen noch beibringen, wie z. B. die Wirkung der üppigen — Beine der Tänzerin Asselin, 2) die allzu häufigen Graviditäten ihrer Kollegin,, der A 1 1 a r d (Mutter von Auguste Ye s t r i s,^) die Vereinigung des Berufes einer Kupplerin mit dem einer Opernsängerin durch die Carton,^) das vielsagende Couplet auf die Tänzerin M i r e^) die exorbitante Preistaxe der Tänzerin G r a n d 1,^) die galanten Erfolge des jungen Larive bei


1) Les petites maisons, S. 106.

2) Anecdotes piquantes. S. 68.

3) Ibidem, S. 240.

  • ) Les Maisons Closes, S. 221—222.

Anecdotes piquantes, S. 24 — 25. 6) Ibidem, S. 62.


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den Schauspielerinnen der Comedie Fran- 9aisei) u. a. m.

Das Berichtete dürfte genügen, um die von der Theaterwelt ausgehende Korruption in ihrem vollen Lichte zu zeigen und Bartholds Aus- spruch, dass das Theater des Rokoko die Haupt- pflanzstätte der Unzucht war, durchaus zu be- stätigen.


1) Ibidem, S. 110.


VIIT. Beiträge zur Geschichte der Erotik in Literatur und Kunst.

(Allgemeines, verschiedene Gattungen der erotischen Lite- ratur, die Erotik in der Kunst.)

Der sichtbarste und dauerndste Ausdruck des Gresellschaftslebens einer bestimmten Epoche ist die Literatur, in der alle Tendenzen, Stim- mungen, Empfindungen, Triebe und Lebensauf- fassungen am deutlichsten zu Tage treten und fixiert werden. Die französische Literatur des 18. Jahrhunderts ist ein getreuer Spiegel der Sitten und der Lebensführung. Ein einziger Geist der Korruption durchzieht alle Unterhal- tungsschriften dieser Zeit, die doch nur zu einem Teile sich erhalten haben. Nach Nicolardot kann diese gedruckte Literatur noch nicht ein- mal eine Idee davon geben, was es noch an obs- cönen und lasterhaften ungedruckten Werken aus jener Zeit gibt, die teils indem „enfer" der öffent- lichen Bibliotheken, teils in den eisernen Schrän- ken der Archive verborgen sind. Von Voltaire bis auf Maurepas haben die meisten Philo- sophen beider Geschlechter Manuskripte hinter- lassen, deren Veröffentlichung die Sittenpolizei


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aller Länder verbieten würde. Wenn Personen, denen die Grediegenheit und Strenge ihrer ge- lehrten Studien eine Art von Zurückhaltung hätte auferlegen sollen, solche zügellosen Schriften verfassten, so kann man daraus auf die geistige Debauche der der Wissenschaft ferner stehen- den Autoren schliessen, der rein belletristischen Schriftsteller.

Auch die Briefe berühmter Männer, wie die „Lettres familieres" des Präsidenten de B r o s s e s , die j enigen von Montesquieu, deren Mitteilung bisher von den Nachkommen verweigert vnirde, von Mirabeau, die auch heute noch nur kastriert herausgegeben werden konnten, strotzen von den schlimmsten Obscöni- täten.i)

Der Verfasser des „Petit Fils d'Hercule" nennt unter den berühmten französischen Auto- ren, die ,,aimaient le c . . avec fureur" und das erotische Element in ihren Schriften vor allem gepflegt haben : Diderot, Vergier, Vol- taire, Eousseau, La Fontaine, Gre- court, Kobe (de Beauveset), Piron, Ger- vais und Crebillon le fils.^)

In eigentümlicher Weise durchdrang und im- prägnierte das Erotische alle Gattungen der Lite- ratur, das Sexuelle fand in alle Lebensverhält- nisse Eingang. Oft gab dies eine barocke Misch-

1) Vergl. Nicolardot „Les Cours et les Salons au dix-huitieme siecle". S. 301.

2) Le petit fils d'Hercule. S. XIII.


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img. Dicht neben, vor oder nach der erotischen Ekstase taucht eine ernsthafte wissenschaftliche Diskussion auf. Theologie und Liebe, wie oft be- gegnen sie uns damals in einem ähnlichen Neben- einander, wie in Deutschland erst beinahe ein Jahrhundert später in Gutzkows „Wally".

Diese seltsamen Exzentrizitäten der Rokoko- literatur hatte ein merkwürdiger Mann in sich -aufgenommen und so in sich verarbeitet, dass seine Schriften einen Komplex dieser verschie- denen Literaturgattungen darstellen. Es ist dies der Marquis de Sade. Wir werden sehen, wie alle wesentlichen Darstellungs typen bei ihm ver- treten sind. Seine Romane sind ein Kaleidoskop der zeitgenössischen Literatur, die er als uner- müdlicher Leser in allen ihren Richtungen gründ- lichst kannte.

Der Reichtum und die Mannigfaltigkeit der erotischen Literatur des 18. Jahrhunderts spricht sich vor allem in der grossen Zahl der verschie- denen Gattungen dieser Schriften aus, aus denen ich als die am meisten charakteristischen die folgenden hervorheben möchte: 1. den eigent- lichen pornographischen Roman, 2. die galante Boudoirliteratur, 3. den ero- tischen Reiseroman, 4. den pikanten gelehr- ten Roman, 5. Erzählungen nach Art des De- kamerone, 6. den Brigantenr oman, 7. antireligiöse Schriften mit erotischem Cha- rakter, 8. antiroyalistische pornogra- phische Schriften, 9. die erotische Skandal- undKlatschliteratur, 10. die Schlüssel-


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romane, 11. die erotischen Lieder und poe- tischen „Oeuvres badines", und endlich 12. die galanten Almanache.

Das 18. Jahrhundert war die Blütezeit der eigentlichen pornographischen" Literatur; die tiefeingewurzelte geschlechtliche Korruption, die immer neuer äusserer Reizmittel bedurfte, för- derte eine Hochflut solcher Schriften an den Tag, die lediglich das Greschlechtliche um seiner selbst willen behandelten, ohne zunächst irgend einer anderen Tendenz dienen zu wollen. Meist war die Form dieser Schriften der Eoman, die Erzäh- lung. Aber sie wurden öfter auch in die Form von Memoiren, Autobiographien, Dialogen ein- gekleidet. Den obscönen Dialog hat z. B. N e r - ciat sehr ausgebildet.

Die bedeutendsten Geister verschmähten es nicht, ihre Jugend oder auch ihr Alter durch die Abfassung obscöner Romane zu beflecken; der G raf von Caylus, Mirabeau, der Minister Calonne u. a. haben als Verfasser solcher Schriften sich einen zweifelhaften Ruhm erwor- ben. In meinem ersten Werke über den Marquis de Sade ist bereits von einem grossen Teile dieser Schriftsteller die Rede gewesen.

Als die beiden Hauptvertreter des rein porno- graphischen Romans müssen der Marquis de Sade und Andrea de Nerciat betrachtet werden.

Besonders zwei Schriften des letzteren müssen hier erwähnt werden, da sie grosse Aehn- lichkeit mit solchen des Marquis de Sade haben


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und vielleicht nicht ohne Einfluss auf diese ge- wesen sind.

„L e D i a b 1 e a u c o r p s , oeuvre posthume du tres-recommandable docteur Cazzone, mem- bre extraordinaire de la joyeuse faculte phallo- coiro - pygoglottonomique" (s. 1. 1803, 6 Bände) ist eins der obscönsten Produkte des aus- gehenden 18. Jahrhunderts und in bezug auf Umfang und Inhalt mit den Schriften des Marquis de Sade zu vergleichen. Freilich fehlt völlig die jene beherrschende Grund- idee der Verknüpfung von Grausamkeit und Wollust. Dafür aber lässt de Nerciat die Personen des Romans, die Marquise, die Kom- tesse, Philippine, den Prälaten und die Nicole in den obscönsten Situationen erscheinen, die der Phantasie eines de Sade alle Ehre ge- macht haben würden. Häufig unterbricht der Dialog die Handlung.

In der zweiten Schrift ,,Les Aphrodites" (A Lampsaque 1793, 8 Hefte zu je 80 Seiten mit Gra- vüren) haben wir ein ähnliches Opus vor uns, wie die ,,120 Tage von Sodom" des Marquis de Sade.

Die ,, Aphroditen" sind eine Gesellschaft von Personen beider Geschlechter, die sich zum Zwecke sexueller Vergnügungen vereinigt haben. Frauen vom Hofe, Abbes, Prinzen, reiche Aus- länder, ehemalige Nonnen treten in einer Reihe höchst obscöner Tableaux auf. Auch hier spielt der Dialog eine bemerkenswerte Rolle. Vielfach wird man an die geheime Assoziation der Wüst-

Dühren, Neue Forschvmgen über de Sade. 16


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linge und ausschweifenden Weiber in de Sades erwähntem neuen Eomane und ihre Gespräche erinnert.

In der überaus umfangreichen galanten Boudoirliteratur spiegelt sich die eigentüm- liche Zeitstimmung wieder in der Verbindung des Erotischen mit dem Sentimen- talen. Die Liebe ist nicht grob, roh wie in den pornographischen Schriften, sie wird nicht so brutal-deutlich in ihrer physischen Betätigung geschildert, sondern schwebt verklärt, idealisiert und doch recht greifbar und lockend nahe über dem gewöhnlichen Treiben der Menschen. Dcis Seelische in ihr tritt mehr hervor, der Nachdruck wird auf ihre zarteren Wonnen gelegt. Man ver- legt sie wie eine herrliche Fata Morgana in däm- mernde Fernen, in Feenlande, in orientaliscli- exotische Gefilde. Crebillon fils und die zahl- reichen Verfasser der galantes ,,Contes" ent- rücken mit besonderer Vorliebe die Liebe so aus dem Bereiche der V/irklichkeit.

Der typische Eepräsentant der sentimentalen Erotik in dieser Boudoirliteratur ist Joseph EtienneJouy (1764 — 1847), der Verfasser der berühmten Galerie des Femmes" (Paris 1799, 2 Bände), wunderbarer, wie hingehauchter Gemälde der Liebe, i) in deren Ausführung K o u s- seaus Einfluss, namentlich in der sentimen- talen Schilderung der Natur und Landschaft, un-

1) „ecrits avec une finesse incomparable", Charles Mon seiet „Les Galanteries du 18e siecle". Paris 1862. S. 107.


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"verkeniibar ist. So ist z. B. Bd. I, S. 154 ein Motiv aus Eousseaus Neuer Heloise" ver- "^vendet.

x4.1s BeisiDiel für die Darstellungart J o u 3' s möge der Inhalt des ersten G-emäldes j^Adele ou Xi'Innocente (Bd. I, S. 1 — 24) mitgeteilt werden.

Adele, ein junges adeliges Fräulein von 15 Jahren ergeht sich in der Abenddämmerung (die mit feinstem impressionistischem Pinsel hinge- malt wird) eines schönen Sommertages im elter- lichen Parke, träumend, von unklarer Sehnsucht erfüllt. Da sieht sie im Teiche den jungen Sargi- Jies baden, den sie für ein Mädchen hält. Er ver- -stellt sich, gibt sich für Pulcherie, die Tochter des benachbarten Schlossherrn aus, verlockt sie zum Baden, lehrt sie schwimmen, enthüllt sich dann als Mann und verführt das junge Mädchen .alsbald am Ufer des Teiches. — Ueber diese ■Schwimmscene (S. 11 — 14) und die Yerführungs- .scene (S. 19 — 22) hat der Dichter alle farbigen Heize einer malerischen Erzählungskunst aus- gebreitet. Alles ist süsse Zartheit, weiche Orazie.

Ebensolche Perlen der Darstellung sind die folgenden Tableaux : II. ,, Elisa ou la Femme Sen- sible" (I, 25 — 51); III. ,,Corine, ou. la Femme a Temperament" (I, 52 — 76); TV. „Zulme, ou La Femme Yoluptueuse (I, 77 — 118); Y. „Eulalie ou La Coquette" (I, 119—170); YL „Deidamie, ou La Femme Savante" (II, 1—53); YII. „Saplio <ou les Lesbiennes (II, 54 — -.93, glühende Schikh'-

1 {■,


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Tung einer tribadisclieii Scene) ; YIII. ,jSophie ou L'Amour" (II, 94—154).

Aehnliche graziöse Schilderungen sind irt ..Themidor e" enthalten, einem berühmten. 1745 zuerst erschienenen, oft wiedergedruckten. Rokokoromane von G o d a r d d'A u c o u r t , der später von Jules Janin in der Revue de Paris" im Auszuge unter dem Titel ,, Rosette" wie- der veröffentlicht wurde. ,,Themidor e", sagt Oharies Mon seiet ,,est ecrit avec une plume de veritable gentilhomme, fretillante, parfumee^. a demi mythologique, effleurant tout et depas- sant le pastiche ä force de bei air et d'imper- tinente individualite." Der Roman schildert di& galanten Abenteuer Themidores, eines jungen. Paxlamentsrates und der ,,divine Rozette". Auck hier wird die Wollust nur ä petits traits delicats. et precis angedeutet.^)

Im gleichen Jahre wie Themidor e" erschien G r i g r i " von 0 ah u z a c , eine der schon er- wähnten erotischen Feengeschichten im Stile des jüngeren Crebillon, die dieses Mal nach Japan verlegt wird. Grigri ist ein schüchterner -lüngiing, der um die Hand der Königin Ametiste freit und von einer gütigen Fee darin unterstützt wird. Der Roman enthält zahlreiche freie Scenen»

Reich an solchen leichten Galanterien ist. auch „Le Zinzolin", Jeu frivole et morale (Amsterdam 1769), der dem Lüne au de Bois-


J) Man vergl. die treffliclie Analj^se des Romans bei M o n s e 1 e t a. a. ( ). 8. . 93- -98.


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j e r m a i n und dem Toustain de Loimery zugeschrieben wird.

Charakteristisch für diese Art von Komanen ist auch Huerne de la Mothes „L'enfan- tement de Jupiter, ou la fille sa mere" (Amsterdam 1743, 2 Bände). Er schildert die Schicksale einer natürlichen Tochter, um deren Kindschaft sich drei Frauen aus dem Faubourg Saint-Marceau streiten, entrollt inter- essante Scenen aus dem Pariser Bürgerleben; ausserdem kommen Entführungen, eine Keise nach Holland, ein Aufenthalt im Kloster, Spielscenen, die Polizei und die Conciergeric darin vor. Yon Interesse für den Sexualpsy- chologen ist die Schilderung eines Beamten, der ausschliesslich in den ~ Ellenbogen der Heldin verliebt ist und, um sich diesen Anblick

zu verschaffen, in sechs Monaten 25 000 Livres

ausgibt. Noch origineller ist der offenbar maso- chistische Ursprung dieses Körperteilfetischis- znus. Dieser Ellenbogen ist nämlich sehr spitz und die Besitzerin desselben hatte mit demselben dem Liebhaber einmal so heftig gegen die Zähne gestossen, dass drei oder vier zerbrachen! Auch wissenschaftliche Erörterungen fehlen nicht in diesem sonderbaren Eomane, ganz wie bei de Sade. Die Erziehungslehre Rousseaus wird ■einer eingehenden Kritik unterzogen.

,,Les Confidences reciproques, ou Anecdotes de la societe de Madame de B . , (Paris 1774, 3 Bände) werden Crebillon fils oder dem Grafen von Caylus zugeschrieben.


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Die Comtesse de B . . soll Fanny de Beau- harnais (geb. 1738) sein. Darnach könnte nur Crebillon der Verfasser dieser sentimental- wollüstigen Erzählungen sein.

Eine Reihe von vulgären Liebesabenteuern, werden uns in M a J e une s s e " (4 Teile o. u. J.) vorgeführt. Die Freudenmädchen des Palais Royal marschieren nacheinander auf : Leonore^ Lise, Ninon, Ursule, Sezine, Victoire, Bibiane> Dann folgen die Nonnen ! Der Held schleicht sich^. als Arzt verkleidet, ins Kloster ein.

Zu dieser galanten. Boudoirliteratur gehören, auch die zahlreichen ^.Bibliotheken", Samm- lungen von galanten, sentimentalen, komisch- frivolen Erzählungen und Novellen und Nach- richten über das Treiben der galanten Welt. Er- wähnt seien:

,,Bibliotheque des Petits-maitres,. ou Memoires pour servir ä l'histoire du bouton^ etc.*' (Paris 1741 und 1762, 8 o, VI, 208 Seiten).i>

,,Bibliotheque amüsante", herausge- geben von C a z i n. Diese Sammlung brachte ver- schiedene berühmte Romaine im Neudruck, in der bekannten Cazinschen Ausstattung, z. B, „Gri- gri", ,,Histoire de Manon Lescaut", ,,Le Souper'^ ..Caprices de l'Amour et de la fortune", ,,Contes. des Fees", ,,Les Confessions du comte de . . (von Duclos), ,,La Pouj)ee", ,,La nuit et le mo- ment" (von Crebillon fils) ,,Le Sopha" (von_ demselben), ,,Ta.nzai et Neadarne" (von dems.)^


1) Vergl. Monselet a. a. 0. S. 110—117.


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„Les Egarements du coeur et de l'esprit", „The- midore", „Les Egarements de Julie" usw., im ganzen 89 Bände in Duodezformat.

„Bibliotheque choisie et amüsante (Amsterdam 1746, 6 Bände, 12 o), darin: „Me- moires du Chevalier D . . (par le Marquis d'Ar- gens), ,,L'Epouse infortunee", ,,Caprices roma- nesques", „L'art d'aimer" (von Bernard), „Le Genie ombre, et la Salagno silph-ondine, conte", ,,Bok et Zulba", „Les Moeurs de Paris", „Fan- fiche, ou les Memoires de MUe. de . . „Mal- heurs de l'amour" u. a. m.

,,Bibliotheque des boudoirs", eine Sammlung kleiner galanter Eomane von Mer- cier de Compiegne (Paphos, 4 Bände, 12 o).

,,Bibliotheque nouvelle de cam- pagne, ou Choix d'episodes interessantes et curieux" (Amsterdam 1769, 4 Bände, 8^), enthält u. a. : ,,La Grlaneuse", ,,La Baigneuse", ,,Aven- tures d'une jeune personne enfermee dans le creux d'une chene", „l'Isle de la Felicite", „L'Epoux ex- travagant", ,,le Jaloux trompe", „l'Isle enchan- tee", ,,La bonne avanture d'une jeune fille".

Die in der Einleitung erwähnte starke Ent- wickelung des Sinnes für das Leben und die Sitten fremder Völker brachte die Gattung der pikanten Reiseromane hervor. Als ein Spezimen der- selben seien die „MemoiresdeM. deVolari, ou l'amour volage et puni" (La Haye, 1746, 2 Bände) genannt, deren Held seine Geliebte ent- führt und mit ihr reist, wobei sie sich unter- wegs die Geschichte aller ihnen begegnenden


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I^eute erzählen lassen. Auch der Marquis de Sade folgt den Spuren dieser damals beliebten Eeiseromane in ,,Aline et Yalcour", wo Sainville und Leonore die ganze Welt durchstreifen und bei ihren galanten Abenteuern Zeit finden, fremde Sitten eingehend zu studieren und von ihrer Lebensanschauung aus zu beurteilen.

Eigentümlich ist auch der Literatur des 18. Jahrhunderts die seltsame Vereinigung von Ob- scönität und Wissenschaft in den gelehrten Eomanen, die offenbar dem Marquis de Sade als hauptsächliches Vorbild in seiner Schrift- stellerei gedient haben. Denn alle seine Schriften bieten diese Mischung von Pornographie und wissenschaftlicher Diskussion über alle mög- lichen Fragen dar.

Der Typus eines solchen gelehrten Komans ist „L e E o m an d u j o u r. Pour servir ä Thistoire du siecle" (Paris 1754, 2 Teile). Die galanten Schilderungen darin werden plötzlich durch theo- logische Diskussionen und alchemis tische Expe- rimente unterbrochen. Dabei ruht Madame Saint - Earre in einer reizenden blauen Seidenrobe auf ihrer Chaiselongue, die Komtesse de Liges wird uns in der Nachtjacke und im Musselinunter- rock präsentiert. Diese galante Szene veranlasst den Autor zu Digressionen über den Stein der Weisen, die orientalischen und occidentalischcn Schismen, wobei er Paulus D i a c r i u s , J o r - nandes, Aeneas Sylvins, Damasus, Oecolanipadius, Leo den 1 s a u r i e r und K z y d e s , den König der Araber, citiert. Es ist


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ein G-elehrter, dem man die Aufgabe gestellt hat, einen obscönen Eoman zu schreiben, der aber mitten in den lüsternen Szenen immer wieder zu seinen dogmatischen Studien zurückkehrt.

Auch Erzählungen nach Art von Boccac- cios „Dekamerone" waren sehr beliebt, in denen mehrere Personen sich ihre frivolen Aven- türen erzählten. De Sades ,,120 Tage von So- dom" gehören zu dieser Gattung, indem der Autor vier Frauen ihre verschiedenen Erlebnisse im Dienste der Yenus vulgivaga vor der Gesellschaft der Wüstlinge erzählen lässt.

Ein solches Werk ist ,,Le Soupe des Petits-Maitres" (Londres o. J. 2 Teile), ein Souper, bei dem jeder Teilnehmer seine Ge- schichte erzählt. Die Personen sind Persac, Saint- Val, der Präsident, das Blumenmädchen, die Mo- distin, die Tänzerin usw. Es sind „peintures cou- leur de rose" nach Mon seiet. Von dem Titel der einzelnen Kapitel seien genannt : ,,La petite maison" — ,,Le Bain" — „Les Vers ä soie" — ,,L'Actrice de province raconte son histoire" usw.

Die dem Marquis de Sade zuge- schriebene Schrift „L'Etourdi" (Paris 1784) ist zum Teil dem ,, Soupe des Petits-Mai- tres" entlehnt.

Die Briganten und Strassenräuber werden in den obscönen Eomanen des Marquis de Sade häufig verwendet, um seine Theorie von der Steigerung der W^ollust durch Grausamkeit an ihrem Treiben zu erhärten. Auch scheint er hierin Yorbilder in den Brigantenromanen gehabt


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zu haben, die zu seiner Zeit viel gelesen wurden. So erschien ein Roman über das Leben des be- rüchtigten Eäubers C a r t o u c h e , von dem mir ein Neudruck vorliegt ,,M e m o i r e s du f a m e u x C a r t o u c h e , chef de brigands, ecrits par lui- nieme, trouves apres sa mort etc." (Paris 1835^ .12 0, 147 8.). In diesem kommen typisch sadis- tische Charaktere vor, wie Cartouche und eine schöne, blutdürstige Engländerin Miss Clive Hart, die möglicherweise das Vorbild der grau- sam-wollüstigen Engländerin Clairwil in de Sades ,,Juliette" war. Wenigstens hat sie, eine unersättliche Messaline, auch ähnliche Schand- taten wie diese auf sich geladen, ihre Liebhaber in die Themse werfen lassen oder vergiftet oder er- schossen, und sie tut den Ausspruch, den man genau ebenso von der Clairwil und Juliette hört : tous les goüts sont dans la nature (S. 128), wo- mit sie ihre G-rausamkeit und Wollust recht- fertigt. Dieser ganze Eoman ist eine Aufeinander- folge von Gemälden dieser beiden Leidenschaften. — In ähnlicher Weise wurde das Leben anderer berüchtigter Briganten beschrieben, wie das von Man drin (,,IIistoire de Louis Man drin, avec un detail de ses cruautes etc." Amsterdam 1756) und D e s r u e s.i)

1) Man vergl. die Analyse des ersteren Romans bei D u Roure „Analectabiblion". Paris 1837. Bd. IL S. 456 bis 161. — ,;Peu de livres", sagt dieser ,,ont eu plus de cours cliez noiis que les vies de Desrues, de Cartouche et de Mandrin. II n'est guere de cliaumiere oü elles n'aient penetre et fait eprouver les for'tes emotions qui laissent dans la. memoire des traces ineffagables".


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Ueberaus gross war die Zahl derjenigen ero- tischen Schriften, in denen die geschlechtliche Korruption durch ausgeprägt atheistische und antireligiöse Theorien gerechtfertigt wurde, wie ja die Diskussion über die Berechti- gung des Atheismus selbst oberflächlichen Geistern geläufig war. Die Schriften der Materia- listen, namentlich Holbachs „Systeme de la nature" hatten seit der Mitte des 18. Jahrhun- derts den Boden hierfür vorbereitet, und namentlich zwei berühmte Autoren hatten sich als Vorkämpfer des Atheismus bekannt gemacht und eine tiefgehende Wirkung ausgeübt : der Abbe Dulaurens (1719—1797) und Diderot. Der erstere, von dem man sagte, dass er Gott nur von Hörensagen kenne, ist der Verfasser des berühmten ,,Compere Matthieu" (Paris 1772, 3 Bände), in dem die Religion als etwas Unnatürliches hingestellt, die Relativität von Gut und Böse hervorgehoben und der Staat als Quelle aller Uebel verdammt wird. 2) Es ist an- zunehmen, dass diese in Paris öffentlich durch Henkershand verbrannte Schrift den Marquis de Sade nachhaltig beeinflusst hat, wie dies auch mit Recht der Verfasser der deutschen Schrift ,, Justine und Juliette" (Leipzig, Minde ca. 1880, S. 27—28) annimmt.

Zwei andere ,, Breviere des Unglaubens" waren Diderot s Romane ,, Jacques le fata-

^1) Vergl. Heinzmann a. a. O. S. 192.

2) Verg-l. E. XL. J. d e G o n c o u r t „Portraits intimes etc. S. 175—184.


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liste" und ..La Eeligieuse", über deren ver- derbliche Wirkung die Goncourts sich aus- führlich verbreiten.!)

Unter dem Einflüsse dieser beiden Schrift- steller entstanden jene zahlreichen atheistiscli- antiklerikal-obscönen Schriften, mit denen der französische Büchermarkt des 18. Jahrhunderts geradezu überschwemmt wurde. In vielen Fällen waren Geistliche, wie ja D u 1 a u r e n s selbst ein solcher war, die Verfasser dieser frivolen Pro- dukte. 2) Von diesen seien genannt: ,,L'Aretin moderne etc." (Amsterdam 1763, 2 Bände) eine obscöne Kritik der Bibel imd der religiösen Ge- bräuche ganz ä la Marquis de Sade, ,,Les Lau- r i e r s e c c 1 e s i a s t i q u e s" (Paris 1748), „H i c et h a e c , ou l'Art de varier les plaisirs de Ta- mour" (Paris 1798), „L e s P u t a i n s C 1 o i t r e e s" (Paris 1797), „Les Exercices de devotion de M. Henri Roch avec Madame la Duchesse de Condor" (Paris 1780, von Voisenon) u. a. m. Es ist dies das Material, aus dem der Marquis de Sade seine antireligiösen, antiklerikalen, satanistischen Ausfälle in seinen obscönen Eo- manen entnommen hat. Es ist derselbe Geist dieser Schriften in die seinigen übergegangen : die Schändung alles Religiösen durch das Geschlechtliche.

1) E. und. J. de G o n c o 11 r t , Le Directüiro. S. 2.*>.> bis 236.

2) Man vergleiclie darüber die „Bibliographie clerico-galante". (Paris 1879, 8», 178 S.) ein Ver- zeichnis aller erotischen Bücher, die von Geistliclien ge- schrieben wurden.


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Die Kevolutionsepoche brachte eine Fülle höchst obscöner antiroyalistischer Schrif- ten, die namentlich die wirklichen und angeb- lichen sexuellen Ausschweifungen der männlichen und weiblichen Mitglieder des königlichen Hauses in den grellsten Farben schilderten und sich mit Vorliebe die unglückliche Marie Antoinette als Objekt ihrer wüsten Beschimpfungen auser- koren. V. K o t z e b u e erwähnt mit V erachtung diese elenden foUiculaires", die das Publikum mit Broschüren gegen den Hof übers chwemmen^ worin die Königin ,,rexecrable Antoinette" und ,,la miserable femme du roi" genannt wird".i) Den blasphemischen Ton in diesen obscönen Eevo- lutionspamphleten hat sich offenbar der Marquis de Sade in seinen Ausfällen gegen die Monar- chie zum Vorbild genommen, mit denen er die späteren Umarbeitungen der Justine" und ,,Ju- liette" bereichert hat. Sie fehlen noch in dem 1785 beendigten pornographischen Romane „Die 120 Tage von Sodom".

Als Spezimina dieser obscönen antimonar- chischen Schriften sind zu erwähnen: ,,Vie privee, libertine et scandaleuse de Marie-Antoinette d'Autriche, reine des Frangais, depuis son arrivee en France jusqu'ä ce jour." (Mit 26 obscönen Kupfern, Paris 1792, 3 Bände, 12 o, 144, 142, 138 S.)

„LaMessalineFrangaise, oules Nuits de la duchesse de Polignac, et aventures myste-


1) A. V. K o t z e b u e a. a. O. S. 79.


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rieuses de la princesse d'H(enin) et la K(eiiie)" (Paris 1790; Neudruck 79 S.), eine der gemein- sten Schmähschriften gegen Marie A n t o i - nette und ihre Freundin, die „Messaline", Her- zogin von Polignac. Auf S. 32 schildert der Verfasser seinen angeblichen geschlechtlichen Verkehr mit der Königin selbst !

Aelmlichen Inhalt hat : ,.Le Boudoir de laduchesse de P(olignac), ou rapport des scenes les plus curieuses, publiees par un mem- bre de cette academie de lubricite". (Paris 1789, 8 S.)

V ie secrete de Louise-Marie-Ade- 1 a i d e de B o u r b o n - P e n t h i e v r e ^ d u - chesse d' Orleans" (Paris 1790, 8o).

Gregen die ganze Hofgesellschaft richtet sicli das sehr seltene Pamphlet jjBibliotheque de la cour et de la ville" (Paris 1789, 8^ 16 S.), in dem jede Persönlichkeit durch den Besitz eines skandalösen Werkes charakterisiert wird, z. B. der Kardinal de Kohan: ,,Les liaisons dange- reuses", der Chevalier oder die Chevaliere d ' E o n : -,Description de l'ile des hermaphrodites", der Erzbischof von Autun (T alle j r a n d) : ,,Traite Sur l'apostasie", der Erzbischof von Lyon: ,,rArt de peter", die Aebtissin von Polignac: ,,Trait6 öur les accouchements" usw.

Diese Eevolutionspamphlete waren eigentlich eine nur durch ihre politische Tendenz bemer- kenswerte Fortsetzung der vorrevolutionären ob- scönen Skandal- und Klatschliteratur. Wohl keine Epoche hat diese literarische Gift-


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pflanze üppiger blühen und gedeihen sehen als die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Schon in der Einleitung ist diese Tatsache berührt und erklärt worden. Durch die von oben begünstigte allgemeine Spionage, die in der schon gekenn- zeichneten Bordellspionage ihren drastischsten Ausdruck fand, wurde die Skandalsucht, die Ma- lice und boshafte Verleumdung in weite Kreise getragen. Trotzdem darf nicht geleugnet werden, dass wir in diesen Klatschschriften eine noch bei weitem nicht genügend ausgebeutete Quelle zur Kenntnis der Sittengeschichte der Zeit besitzen.

Bis in die höchsten Kreise hinein befasste man sich mit der Niederschrift derartiger Scan- dalosa. In seinen Memoiren erwähnt der Herzog von Richelieu einer im Manuskript vorhan- denen ,,Chronique scandaleuse du genre humain", einer Darstellung der obscönen Hand- lungen aller Libertins bis zum 18. Jahrhundert. Sie war von Madame deTencin verfasst worden, zum Gebrauche für den berüchtigten Kardinal Dubois und den Regenten. ,,Les peintures vo- luptueuses sont si bien exprimees dans cet ouvrage, que le Duc d' Orleans, habile dans l'art de juger de la beaute dans tous les genres, ap- plaudit et permit ä Dubois et ä Broglio de s'oc- cuper de la repetition des fetes ä St. Cloud, sui- vant l'usage."!)

Der Herzog von Richelieu hatte seine


1) Yerg;!. Gay, Bibliographie de Tamour Br^ TT. g. 228.


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Jugenderfahrungen am Hofe des Regenten in der „Clironique scandaleuse de la Cour de Philippe d'O r 1 e an s , r e g e n t" niedergelegt.

Das berühmteste Werk dieser Art waren die geheimen Denkwürdigkeiten von Bachau- m o n t , die von Pidansatde Mairobert und M o u f 1 e d'A ngerville fortgesetzt wurden und die Jahre 1762—1784 umfassen: „Memoires secrets pour servir ä l'histoire de la republique des lettre s" (Londres-Holland, 1777—1789, 36 Bände, 12 o). Ihr Ursprung führt in den Salon der Madame Doublet, wo diese Tagesgeschichten von den geistreichen Be- suchern, zu denen u. a. Madame de Tencin, Du Deffand, Geoffrin, Mlle. de Lespinasse, Voisenon, Piron gehörten, erzählt und von Bachaumont täglich aufgezeichnet wurden, und zwar erst dann, nachdem Lüge und Wahr- heit genau voneinander geschieden waren.^) Sie bilden daher eine im allgemeinen zuverlässige Quelle, die auch wir häufig benutzt haben.

Nächst Bach a u m o n t s Memoiren sind zwei andere Werke der Klatschliteratur als die be- deutendsten zu nennen ; der ,, Espion anglais (Observateur anglais), ou Correspondance secrete entre milord All'Eye et milord All'Ear"


1) Abgedruckt in den ,,rieces iuoditcs sur les iegnes de Louis XIV., Louis XV. et Louis XVI.". Paris 1809. 2 Bände.

2) Vergl. Eugene Hat in „Histoire politique et litte- räire de la presse en France", Paris 1859. Bd. III. S. 469 ff.


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von Pidansat de Mairobert (Amsterdam 1777—78, 4 Bände, 8^) und Imberts berüch- tigte „Chronique scandaleuse, ou Me- moires pour servir ä Thistoire de la generation presente etc." (Paris 1784, kl. 8°; 1786, 2 Bände, 1791 6 Bände).!)

Hier reihen sich als ähnliche Skandalchro- niken an: der fälschlich dem Mirabean zuge- schriebene, in Wirklichkeit von Ba udoin de Quemadeuc verfasste, interessante „ L ' E s - pion devalise (Londres-France 1782, 8 o und 1783, 12 0, 302 S.)^ über den Du Eoure ausführ- liche Nachrichten gibt, 2) die „Chronique Aretine" (Paris 1789, 8«, 104 S.), „ein Verzeich- nis von Skandalgeschichten über galante Pariser Damen", Barbiers wichtige „Chronique de la regence et du regne de Louis XV.", kürzer ,,J our- nal de Barbier" genannt, die Jahre 1718 — 1763 umfassend (Paris 1857, 8 Bände), die grosse Zahl der „Portefeuilles" wie z. B. „Porte- feuille d'u n exempte de police (Londres 1785, 80, 86 S.), das „Portef euilled'un talon rouge" des Crafen von Parade s (178* 8^, 42 S.), die „Anecdotes echappees ä l'Ob- servateur anglais et aux Memoires se- crets" (Londres 1783, 3 Bände, kl. 80), die

1) Diese Schrift ist in ihrer ursprünglichen Form wieder herausgegeben von Octave Uzanne in einer Pracht- ausgabe mit herrlichem Frontispiz von L a I a u z e. (Paris 1879, Quantin, Lex. 8 0, XIV., 325 S.)

2) Du Koure „Analectabilion". 1837. Bd. IL S. 464 bis 470; vergl. ferner J. Lamoureux in „Bulletin du bibliophile". Paris 1855. S. 179—185.


Bühren, Neue Forschxingen über de Sade.


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,,Anecdotes secretes du XYIIIe siecle, pouT faire suite aux Memoire s de Bachaumont" (Paris 1808, 2 Bände, 8o, 404 u. 401 S.), die „Me- moires Turcs" (Paris 1743)i), ,,Tant pis pour lui, ou Les Spectacles Nocturnes" von Magny (Paris 1764, 2 Bände),2) ,,La Bigar- rure, ou G-azette galante" (La Haye 1750, 11 Bände, 8^), die ,,Cassette verte de M. de Sartines, trouvee cliez Mlle. Du The" (La Haye 1779, 80, 71 S.), die „Nouvelles ä la main", der „Espion des boulevards" usw. usw.

Als der berüchtigtste, unermüdlicliste, cy- nischeste Verfasser von Skandalschriften muss ein Mann genannt werden, dessen Werke dieser Art allein eine Bibliothek füllen: Thevenot de Morande. Seine obscönen Pamphlete rich- teten sich gegen einzelne Personen und gegen die Korruption der ganzen vornehmen Gesell- schaft. Zu nennen sind von seinen Schriften : ,,L e C h r o n i q u e u r d e s o e u v r e , ou l'Espion du Boulevard du Temple" (Paris 1782—83, 2 Bände, 176 u. 183 S.), „Le Philosophe cynique, pour servir de suite aux anecdotes scandaleuscs de la cour de France" (Londres 1771, 8^, XVI, 93 f XX S.); gegen den Herzog von Ghartres verfasste er die „Vie privee de tres-sere- nissimeprince Mgr. le duc de Ghartres" (Londres 1784, 8», VI, 101 S.), gegen die Du Barry die „ V i e d'u ne courtisane dudix-

1) Vergl. die Analvse bei M o n s e 1 e t a. a. 0. S. 88 bis 90.

2) Ibidem. S. 118—119.


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iiuitiemesiecle" (1776, 8 o), die er schon 1774 durch einen Prospekt ankündigte und wofür ihn die Du Barry durch die Polizei in London ver- folgen liess.i) Thevenot de Morande ist ^luch der Verfasser der berüchtigten „Grazette n o i r e" (Londres 1784, 8 und des noch frecheren Gazetier cuiras s e" (Londres 1771). Ausser- dem war er professioneller — Dieb und bestalil auch noch die von ihm der Welt denunzierten Libertins ! Er war daher ein äusserst gefürchtetes Individuum, den selbst Ludwig XY. nicht vor den Kopf zu stossen wagte. 2) Erst 1784 geisselte de P e 1 1 e p o r t in seinem ,,D i a b 1 e d an s u n benitier, ou la Metamorphose du Gazetier •cuirasse en mouche" das schamlose Treiben des Abenteurers.

Auch der Marquis de Sade hat ja bekannt- lich zu diesem Zweige der Literatur einen Bei- trag geliefert in Gestalt des Pamphlets „ Z o 1 o e et ses deux Acolythes" (Paris 1800), das gegen Bonaparte, Josephine Beauhar- jLi a i s , Madame Tallien u. a. gerichtet ist und ^n Cynismus und obscönen Schimpfereien nichts -ZU wünschen übrig lässt.

Anhangsweise sei hier noch einer besonderen J'orm der Klatschschriften gedacht, nämlich der .,, Schlüsselroman e", in denen die Namen der ■einzelnen Personen unter einem Pseudonym oder Anagramm verborgen werden. Diesen ,,livres ä

1) Vergl. „Les Femmes Galantes". Paris 1837. S. 14;> bis 144.

2) Vergl. Gay a. a. 0. Bd. VI. S. 408.


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clefs" hat F. Drujon eine eigene Monographie gewidmet (Paris 1888). Zu diesen Schlüssel- romanen gehören „Les Mille et une Fa- veurs" von de Mouhy, der „Prince Ap- prius", „Cleon" u. a. m. Poinsinet de Sivry schrieb in dieser Form die geistreiche Satire auf die Sitten seiner Zeit .^La B er lue'*" (Londres 1759, 12 o, X, 166 S.) in der die Laster der Zeit einer scharfen Kritik unterzogen, werden. 1)

Von den Prosa-Schriften wenden wir uns zu einer kurzen Betrachtung der Erotik in der Poesie. Diese stand im 18. Jahrhundert völlig unter dem Zeichen des Priapus. Eine Unzahl von erotischen und obscönen Liedern, Couplets, Epigrammen ist in der Literatur dieser Epoche aufgespeichert.. Jedermann machte solche pornographischen Verse. Es war eine förmliche Manie. Man .schwelgte in Bordellpoesie. Alle möglichen Gegenstände, die Wände und Mauern wurden mit. diesen Ergüssen zweifelhafter Natur verunziert. 2) Keine in der galanten Welt bekannte Persönlich- keit entging einer Apostrophe in dieser Form> Bachaumont berichtet, dass es gebräuchlich, sei, bei jedem Jahresanfänge die „filles d'opera"" durch Couplets zu besingen, in denen ihre Ta- Jcnte, ihre Galanterien und Liebesaffären aus- führlich geschildert würden, kurz alles „ce qui


1) Z. B. S. .42 ; „0 r g a n arrive dans une Ville ; il s'inf orme a la porte s'il y a des filles ; il entre dans l'Auberge, et dejä il s'est efforce d'embrasser les servantes."

2) \-f>r<rl. ,J.a Berlne". S. 42.


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peut interesser les paillards sectateurs de ce spec- tacle", so dass diese „tableaiix tres-mouvants de ces demoiselles" grossen Beifall bei den Liber- tins fanden. 1) Diese Couplets wurden dann in J'orm eines Almanachs ,,E trenne s aux pail- lards" gesammelt und herausgegeben.^) Aehn- lich waren die „Tablettes des paillards" (1763), die so giftige imd scha^mlose Angriffe «enthielten, dass die Operndamen ein polizeiliches Verbot erwirkten.^) Aber schon 1771 erschien -wieder ein Heft mit 50 obscönen Couplets über die Opernmädchen, zur Freude der Amateurs.*) Ferner gab es kein galantes Souper ohne erotische Chansons und poetische Scherze im Stil des Eabelais. Bei einem Souper des Herzogs von Orleans sang man das Lied :

Voulez-vous que de Fanchette Je Yous parle, mes enfants? La petite est si drolette, Ses appas sont si friands ; C'est que je la baise, C'est que je suis aise, C'est que je suis, ma foi, Plus content qu'un Koi.

Hierauf werden in den folgenden Strophen die intimsten Eeize der Fanchette beschrieben, und das Lied schliesst :


1) Anecclotes piqiiantes. S. 225.

2) Ibidem. S. 9—10.

3) Ibidem. S. 11.

4) Ibidem. S. 128.


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Fanchette, reconnaissante, Me rend amour pour amour,^ Avec un air qui m'enchante Dans mes bras eile a son tour; C'est qu'elle me baise etc. Im Chans omiier Historique de la France ist eine grosse Zahl dieser leichten Lieder und improvisierten erotischen Poesien gesammelt worden. 1)

Ausserdem haben berühmte Dichter des 18.. Jahrhunderts ihren Namen mit dieser Art von l^oesie verknüpft. Die Oeuvres badines"" von Piron, Robe de Beauveset, G-re- court, Dorat, Parny u. a. sind Sammlungen, solcher erotischen Lieder. Namentlich P i r o n ist der wahre Pornograph unter diesen Dichtern und dem Italiener B a f f o in Beziehung auf Kru- ditäb seiner Ausdrücke ebenbürtig. Unter dem Direktorium erschienen die ,,Quatre M e ta- rn orphoses" von Lemercier (1799), ein ähn- liches Produkt.2)

Viele Chansons erschienen zuerst in den ..galanten Almanachen", die meist nur diese Lieder und Betrachtungen über Liebe ent- hielten. Monselet gibt die folgende Liste der galanten Almanaclie, die 1789 im Laden des I kichhändlers Langiois vorrätig Avaren :

1) Man vcrgl. auch die obsoönen Chansons im ,, Petit Fils d'Hercule". S. 47—58, ferner Gay a. a. O. Bd. IL. S. 104.

2) ^'crgl. die Analyse bei Monselet a. a. O. 17S bis 183. — VergL über die erotischen Gedichte ,nock M e r c i e r a. a. O. S. 33—34.


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L e Nanan des curieux", „L'af faire du moment", ,,Le Portefeuille des fem- mes galantes", ,,L'Almaiiacli bien fait", ,,L'Almaiiach sans titre", „Le Petit Choti- Chou", „Les Hymne s de Pap hos", „On ne veut que celui-1 ä, „Pierrot-Gaillar d, ,,M erlin -Bavard", „Les Fast es de Cy- there", ,,La Recolte des petits riens", 5,Le Loto magique", ,,Le Plaisir sans fin", ,,Mon petit savoir-f air e", ,5Le G-ri- m o i r e d'a m o u r", ^^Les Mois a lamode, ou l'An des plaisirs".i)

Von 1765 — 1784 erschienen bereits 20 Jahr- gänge eines ^jAlmanach chantant", der später unter dem zweiten Kaiserreiche wieder aufleben sollte. 2) Der Abbe Q u e s n e 1 verfasste einen „Almanach du diable" (1737) mit Skandalgeschichten, dem ein frommer Autor einen ,,Almanach de Dieu" (1738) gegenüber- stellte, ohne freilich den noch stärkeren „Al- manach de Priape" (1741) verhindern zu können.3)


1) Monselet a. a. O. "S. 155—157.

2) Gay „Bibliographie de l'amour. Bd. 1. S. 63.

3) Ibidem. S. 66, 71. — Ein sehr interessantes, die obigen Angaben vielfach ergänzendes Verzeichnis erotischer lind galanter französischer Schriften findet sich in Eduard Cr r i s e b a c h s gediegenem „Weltliteraturkatalog eines BibHophilen". Berlin 1898. S. 121 — 132 und Supplement, Berlin 1900. S. 48 — 54, noch vermehrt in einer demnächst erscheinenden neuen Ausgabe.


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Wie die Literatur war auch die bildende Kunst völlig ein Werkzeug der Erotik gewor- den. Ihr Gegenstand war die Darstellung der Galanterie, der geschlechtlichen Erregung in ihren verschiedenen Stadien, Präludien und Nach- spielen. Inwieweit die Kunst berechtigt sei, das rein Geschlechtliche in den Bereich ihrer Dar- stellung zu ziehen, habe ich ausführlich an anderer Stelle erörtert. Es soll nicht geleugnet werden, dass bei dem Ursprünge eines Teiles der galanten Bilder des 18. Jahrhunderts rein künst- lerische Motive obwalteten; namentlich gilt dies von den grossen Meistern, Watteau, Laueret, B o u c h e r , und zum Teil auch von Fragonard, obgleich freilich dieser letztere zahlreiche las- cive Sujets auf Bestellung darnach lüsterner Libertins malte. Jedenfalls war die rein erotische Produktion eine erschreckend grosse. Schon 1765 sagt Bachaumont von der Ausstellung des Salon, dass sie „pleine de nudites les plus scanda- leuses et de postures en tous les genres" sei,-') und am Ende des Jahrhunderts konnte Heinz - mann nach einer Wanderung durch das Pariser Museum erklären: ,,Es sind hier vortreffliche Malereien und Büsten von grossen Männern : doch immer vermischt mit den Bildern und Gemälden imbedeutender Leute, und zwischen Scenen der grössten Unsittlichkeit. Denn hier findet man


1) Mein Werk „Das Geschlechtsleben in England". Ber- lin 1903. 3d. III. Kap. 9 (Die Kunst). S. 235— -237. -) Aiiecdotes piqua.ntes. S. 31.


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die Liebesintriken in den lüsternsten Abbildun- gen, nackte und halbnackte Prostituees, Stellungen der äussersten Galant erie und Ver- führung, gerade im gleichen Saal — neben Generalen und grossen Männern hingepflanzt. Hier siehet man, wie alle Eeize der Kunst ver- schwendet werden, der Ueppigkeit ihr Eeich zu sichern, alle Kräfte der schwärmerischen Ein- bildungskraft in Bewegung sind, den Menschen recht sinnlich, recht lüstern zu machen ! — Was die Fürsten und Eeichen mit ihrem Gold aus dem Gehirn und Pinsel des mutwilligsten Dichters und Malers hervorlocken konnten, was Italiens Prunk- Säle und geheime Kabinette ver- schlossen hatten, stehet jetzt in Paris f ü r j e d e r- mann! zu sehen, zu betrachten ausgestellt! . . So findet man bekannte Hurenhistörchen, die sich daselbst zugetragen, in Bildern; jedes Produkt des leichtsinnigsten Kopfes wird auf- gehängt; man hat keine Achtung vor sittlicher Anständigkeit und Nationalwürde. "i)

Eine weitere Ursache der grossen Produktion und Verbreitung erotischer Bilder war die kolos- sale Zunahme der pornographischen Schriften mit Illustrationen. Hervorragende Künstler ver- schmähten es nicht, dieser priapischen Dicht- kunst dienstbar zu sein. Boucher und Lau- eret gaben den pikanten „Contes" von La F on- t a i n e stark erotische Bilder bei. Eisen illu- strierte Dorats ,, Baisers", stach die Vignetten


1) Heinz mann a. a. O. S. 107—108.


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und Kupfer zu dem berüchtigten ,,Tableau de la Volupte" von B u i s s o n und zu N e r c i a t s ,5Fe- licia", Bin et lieferte die Kupfer zu Eetif de 1 a B r e t o n n e s zahlreiclien Schriften, M o n - net stattete Nerciats „Diable au corps" mit obscönen Kupfern aus, die galanten Almanache enthalten eine grosse Zahl von erotischen Kup- fern von Dambrun, Eisen, Saint - Au bin u. a. Auch die obscönen Romane des Marquis de Sade wurden zum Teil von ersten Künstlern illustriert.

Ferner war es damals der Ehrgeiz jedes Liber- tins, jeder galanten Dame, eine eigene pornogra- ])liische Gemäldegalerie zu haben. Aufträge dieser Art wurden selbst Künstlern von Rang erteilt, wie. die Schrift von J o s z über Eragonard dar- tut, Gewöhnlich wurden die petites maisons der Lebewelt mit Bildern dieser Art geschmückt. Der Verfasser des Petit fils d'Hercule" schildert einen solchen pornographischen Bildersaal eines Lusthauses, in dem u. a. auch eine Darstellung einer tribadischen Scene sich befand,^) wie solche ja auch u. a. Eragonard gemalt hat. In einem anderen Hause waren die 12 Strophen von rirons ,,Ode ä Priape" in Bildern dargestellt l^) Ebenso waren die meisten Salons der fashionablen


1) B 0 u c h 0 r imissio ebenfalls auf Befehl der Marquise (1 e P.o m p a d 0 u r eine ganze Keihe obscöner Bilder malen. Vergl. Pisanvis Fraxi 5,Catena librorum tacendorum". London 1885. S. 188.

2) Le petit fils d'Hercule. S. 73—76.

3) ibidem. S. 60—61.


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Bordelle ,,decores de tout ce que le Lampsaque pouvait imaginer de plus obscene aux mysteres de Cotyto". In einem Freudenhaus e der rue des Petits-Champs gab es Zimmer mit derartig raffi- nierten pornographischen Gemälden, dass Are- tino statt seiner 36 hier die Konzeption von 72 Posituren empfangen hätte. "i)

Endlich waren nicht bloss in den Kunsthand- lungen, sondern auch in vielen anderen Läden obscöne Kupfer aller Art ausgestellt, um die Pas- santen anzulocken. 2)

Man kann sagen, dass es wohl keine Art der geschlechtlichen Perversität gab, die die fran- zösische Kunst des 18. Jahrhunderts nicht dar- gestellt hätte.

Zunächst kommen hier die Nuditäten aller Art in Betracht. Der grosse Boucher malte Venus in allen möglichen Situationen, wo- bei ihre Eeize stets auf eine neue pikante Art enthüllt wurden: die ,, Venus tranquille" mit dem emporgeschlagenen Hemde und den nur halb ver- hüllten Brüsten ist ein gutes Spezimen dieser Boucher sehen Nuditäten, ferner haben wir von ihm eine ,, Venus entrant au bain", Venus sor- tant du bain", „Venus et les Amours", „Venus et l'Amour", ,, Venus se preparant au Jugement de Paris", „Venus sur les eaux", „Venus sur un lit de repos", „Venus et Adonis", ,, Venus couchee


1) M e r c i e r de C o m p i e g n e a. a. O. S. 184. -) Ujidcm. S. 187.


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tenant sa colombe" usw. — Aehnliche mytholo- gische Nuditäten wurden von Watteau, Lau- eret, Fragonard u. a. gemalt. Ferner sind hier zu nennen .^Les oeufs casses" von Mar- tinet, „Le refractaire amoureux" von Saint - Aubin, die pikante Darstellung der Brüste in den Bildern von C halle (Schall) „Le Matin", ,,L'Apres-Midi", in den Vignetten von Dam- brun zum ,,Almanach des Mappemondes", der Brüste und Füsse in ,,Le Soulier" und ,,Le Pan- toufle" von Hu et.

Weiter schwelgte die Rokokokunst in der lascivsten Darstellung üppigster kallipy- gi scher Reize. Berühmte Beispiele davon lie- fern Bouchers ,,Femme couchee" (wozu es auch eine ,,contre-partie" gibt), Fragonards ,,Verre d'eau", Palme s „Venus qui se peigne", Rousseaus ,,Rose d'amour", Saint-Aubins bekanntes Bild, auf dem zwei Mädchen von einem Jüngling ihre Reize von dieser Seite bewundern lassen.

Aus der Vorliebe für diesen Teil des weib- lichen Körpers erklärt sich auch eine andere charakteristische Erscheinung in der erotischen Kunst des 18. Jahrhunderts : die auffallende Häufigkeit der Darstellung von — Klystier- Szenen, die in höchst raffinierter Weise auf- gefasst werden, indem meist eine junge Dame ihre ,,globes d'arriere" in lüsternster Weise dem Kammermädchen für die erleichternde Operation präsentiert, während der Liebhaber diese pikante


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Szene von der Tür aus belauscht. Hierher gehören ,,Le Curieux" von Baudouin, „L'Indiscret" von Borel, „La Soubrette officieuse" von C halle 5 „La chambriere instruite" von St. Aubin. Dieses Sujet war so beliebt, dass die vornehmen Damen es sogar auf ihren Kleidern und Fächern anbringen Hessen.^)

Dass in der Darstellung aller dieser Nudi- täten die Kleidungsstücke in der raffiniertesten Weise verwendet wurden, um eine äusserst pi- kante Halbverhüllung hervorzubringen, geht aus der Betrachtung der Reproduktionen in Grand- Carterets Album „Le DecoUete et le Re- trousse" (Paris 1902) zur Genüge hervor. Man kann hieraus die grosse Verbreitung des Klei- dungsfetischismus im Zeitalter des Rokoko ent- nehmen.

Welche Fülle der verschiedenartigsten Liebesszenen begegnet uns in der Malerei des Rokoko ! Vom einfachen Kusse bis zu den raffiniertesten Darstellungen der ,,Liebesknäuer', der ,,Spinthrien" ! Fragonard war der Maler der Küsse. Der Baiser de l'Amour", der ,, Baiser de l'Amitie'^, der Baiser dangereux", die zahl- reichen „Baisers" der Sammlungen Pichon. Devries, Lasienski, Reiset, der „Baiser ä la derobee" usw. beruhen alle auf eingehenden rea- listischen Studien des Meisters. Alle diese süssen,


0 Vergl. J. Grand-Carteret „Le DecoUete et le Retrousse". Paris 1902. Fascicule III.


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pikanten, lüstemen, scheuen und verstohlenen Küsse liess er sich von den Opernmädchen vor- machen. i) Auch Bonnets schönes Bild „Le Baiser vole" ist hier zu erwähnen.

Andere Augenblicke im Liebesleben führen uns B i n e t s zahlreiche Kupfer zu Eetif de la Bretonnes Werken vor, Eegnaults „Dors, dors" u. a. Den Eindruck der Defloration auf das Mädchen s childert S a i n t - A u b i n s „La perte irreparable", des Aristoteles Ausspruch : Omne animal post coitum triste, illustriert des- selben Künstlers ,,Keflexion tardive".

Besonders beliebt sind ferner Liebesszenen, die von einem Dritten oder einer Drit- ten belauscht werden, durch die Tür, durchs Schlüsselloch, hinter der Portiere. F r a - g o n a r d excelliert am meisten in der Darstellung dieser pikanten Yoyeur-Darstellungen. Auch Baudoins ,,L'Epouse indiscrete" ist hier zu nennen.

S c h 1 ü p f r i g e B a d e s z e n e n sind ebenfalls ein oft verwendetes Motiv, wie in P i c a r t s ,,Bains de la Porte Saint -Bernard", in Wa 1 1 e a u s ,,Baigneurs" u. a. m.

Gern werden auch durch irgend eine äussere Einwirkung unverhofft dargebotene weibliche Kelze gemalt wie z. B. das Herabfallen eines Mäd- chens vom Pferde oder Esel, wobei ihre intimsten Eeize sichtbar werden, wie in dem Bilde zum


1) A'ergl. \' irgileJosz „Fragonard. Moeurs du XYIIIe si^cle". Paris 1901. S. 118—119.


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,,Itineraire descriptif de Paris" (1780) und den ,.Etrennes de TAniour" (1784). Noch häufiger ist die Darstellung sich scliaukelnder Mädchen wie in Fragonards berühmten ,,Hazards heu- reux de TEscarpolette"/) ferner anderer plötz- licher Zufälle wie in desselben Künstlers ,,La chemise enlevee", ,,Ma cliemise brüle", ,,Les pe- tards", „Les jets d'eau" usw.

Fragonard hat auch die Masturbation, die verfänglichen Liebkosungen zwischen Wei- bern und Hunden (namentlich in der äusserst lasziven „La G-imblette", dieser „ravissante in- convenance") dargestellt. Das letztere Sujet fin- den wir auch auf einem Eilde von Ho in ,,L'es- clave heureuse".

Bordellszenen malte B o r e 1 mit Vor- liebe. ,,Le double engagement", „Triple ivresse" gehören z. B. hierher.

Endlich hat Saint-Aubin, dieser Künst- ler des Obscönen par excellence, sämtliche ge- schlechtlichen Yerirrungen und Posi- turen in seinen berüchtigten ,,Medailles spin- triennes" dargestellt, 37 Bilder der Perversitäten des Tiber ins auf Capri. Es sind aber lauter moderne Individuen, Rokokomenschen des 18. Jahrhunderts, die hier in Aktion gesetzt werden-)


1) Vergi. J o s z ,,rragonard". S. 96 Ii. ö.

2) „Les gravures de Saint-Aubiii sont fines, spirituelles, mais ce sont des personnages modernes qii'elles mettent <en jeu; elles ne donnent qu'une idee fausse et fort embellie des medailles antiques. Oes tesseres spinthriennes ont an xevers un nombre au milieu d'une couronne, mais le cote


lind alle Arten der Unzucht verkörpern. Diese pornographischen Kupfer bilden einen Teil des Werkes „Description des pierres gravees du ca- binet du duc d'Orleans" (Paris 1780, 2 Bände, fol.)^


principal, au lieu de portraits ou de sujets ordinaires, offre des representations de sceaes assez libres." Gay, Biblio- graphie de rAmour. Bd. IV. S. 12.


Zweiter A b s c Ii n i 1 1.

Neue Forschungen über den Marquis de Sade.


Dühren, Neue Forschungen über de Sade.


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IX. Neue Beiträge zur Lebensgeschichte des Marquis de Sade.

(Neue Quellen, Neues zur Familiengeschichte, Jugendleben, Gefängniszeit, Lektüre, schriftstellerische Tätigkeit, Cha- renton, Geisteszustand und Charakter).

In den vier Jahren, die seit meinem ersten Yersuche einer Biographie des Marquis de Sade verflossen sind, hat die wissenschaftliche Sade- Porschung einen mächtigen Aufschwung genom- men. Männer in hervorragender Stellung, wie Herr Paul Ginisty, Direktor des staatlichen ,,Theätre de l'Odeon" in Paris, wie Dr. Caba- nes, der kenntnisreiche Herausgeber der „Chro- nique medicale" haben wertvolles neues Mate- rial zur Lebensgeschichte des ,, divin marquis" beigebracht. Herr Ginisty hat derselben ein eigenes Buch und einen interessanten Artikel im „Journal", einer vielgelesenen Pariser Tages- zeitung gewidmet. Endlich hat ein pseudonymer Autor, Dr. Jacobus X . . ., ein Jahr nach dem Erscheinen meines ersten Werkes über den Mar- quis de Sade ebenfalls eine Monographie über diese merkwürdige Persönlichkeit erscheinen

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las seil, 1) die nach der Versicherimg des \^er- fassers ganz unabhängig von der me inigen kon- zipiert und niedergeschrieben sein soll, in Wirk- lichkeit aber, was die erste Hälfte, nämlich die Lebens geschichte betrifft, mit Ausnahme von einigen unerheblichen Einschaltungen oder Wiederabdrucken längst publizierter Stellen (auf die ich unter Angabe der Autoren nur kurz ver- wiesen hatte), fast Wort für Wort -aus meiner Darstellung abgeschrieben ist, und zwar sogar mit Uebernahme der ge- samten Gliederung und Einteilung! Da- bei versichert der Verfasser nicht nur, dass er bereits lange vor mir an dem Werke gearbeitet habe, sondern er hat auch die Unverfrorenheit, gegen mich, dessen Urteile er wörtlich übernimmt, als einen ,,Gallophoben" loszu- ziehen.2)

Die zweite Hälfte dieses Werkes ist etwas, origineller, sie enthält die Analysen des ,,L'oeuvre qu'on peut lire", d. h. der sogenannten ,, mora- lischen" Schriften des Marquis de Sade, näm- lich der ihm fälschlich zugeschriebenen ,,Mar- quise de Ganges", der ,,Idee sur les Komans", der in den ,,Crimes de l'Amour" enthaltenen Er-


1) ,,Le Marquis de Sade et soii Oeuvre devant la Scieuce^ Medicale et la Literature Moderne". Par le Dr. J a c o b u s X. . . Auteur de TEthnologie du Sens Genital. Paris, Charles Carrington 1901, gr. 8«, XIII, 430 S. Preis 40 Francs r

2) Natürlich hat der Verfasser für diese Behauptung eVjensowenig Beweise, wie für seine nngebliche Originalität im ersten Teile seines Werkes.


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zählimgen, der Romane „Pauline et Belval", ,5Dorci" und „Aline et Yalcour".

Reich dagegen an interessanten und origi- nellen Urteilen über den Marquis de Sade ist die literarhistorische Notiz, die der berühmteste zeitgenössische Romanschriftsteller Frankreichs, Herr Anatole France, seiner hübschen Erst- ausgabe von de Sades Novelle ,,Dorci ou la bizarr erie du Sort" (Paris, Ohara vay 1881, S. 33 bis 61) beigegeben hat.

Da ich selbst in den genannten vier Jahren das von anderen neu veröffentlichte Material einer wiederholten Prüfung unterzogen und höchst wertvolles unbekanntes und u n v e r - öffentliches Material aufgefunden habe, das uns zum Teil den Marquis de Sade in einem ganz neuen Lichte erscheinen lässt, so dürften die folgenden neuen Beiträge zur Lebens - geschichte wiederum die zur Zeit vollständigste, abschliessende Biographie auf Grund der neuen Forschungen darstellen.

Es ist mir gelungen, folgende neue Quellen zur Lebensgeschichte de Sades aufzufinden :

1 . Einen bisher unbeachtet geblie- benen Brief Voltaires an den Oheim des Marquis de Sade, mit einem wichtigen Urteile über den Oharakter dieses Oheims, des Abbe de Sade.

2. Die bisher ebenfalls unbeachtet geblie- benen autobiographischen Nachrich- ten in de Sades ,,Aline et Yalcour", die uns


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namentlich über das Jngendleben des Marquis wertvolle Aufschlüsse geben.

3. Vier bisher unveröffentlichte Briefe de Sades aus den Jahren 1767 und 1768, ebenfalls wichtig für die Kenntnis der Jugend- geschichte.

4. Zwei bisher unveröffentlichte Briefe an die Direktion der Comedie Frangaise aus den Jahren 1791 und 1793.

5. Das Manuskript eines politischen Fragmentes aus „Aline et Valcour".

6. Den Entwurf eines grossen pornogra- phischen Komans ,,Les journees de Florbelle ou la nature devoilee etc." aus dem Jahre 1807 nebst einer interessanten brieflichen Reklama- tion seiner pornographischen Manuskripte. Endlich

7. Das vollständige Original- Manu- skript des in der Bastille geschrie- benen und schon 1785 vollendeten ob- scönen Romanes 5,Les 120 journees d e S o d o m e o u l'E c o 1 e du L i b e r t i n a g e ", wohl der all er wichtigsten Schrift die der Marquis de Sade geschrieben hat, da sie nicht nur seine eigenartigen Theorien in kon- densiertester Form enthält, sondern auch eine in dieser Vollständigkeit selbst von V. Krafft-Ebing nicht erreichte Ueber- sieht über sämtliche jemals beobach- teten geschlechtlichen Verirrungen gibt, ja eine Art von Lehrbuchder Psycho-


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pathia sexualis aus dem 18. Jahrhundert darstellt !

Ferner haben die Herren Alfred Begis, gegenwärtig wohl der beste S ade -Kenner, Dr. Cabanes, Paul G-inisty, Georges Mon- val (Bibliothekar des Theätre Erangais) und Octave Uzanne mich durch verschiedene mündliche Mitteilungen zu Dank verpflichtet, die in diesen neuen Beiträgen zur Biographie de Sades verwertet worden sind.

In der Biographie des Marquis de Sade hat bisher die Phantastik eine überaus grosse Eolle gespielt. Namentlich die Romantiker, die sich mit dieser seltsamen Persönlichkeit beschäftigt haben, haben mehr Dichtung als Wahrheit über ihn geliefert. Herr Gr. M o n v a 1 machte mich auf die historische Unzuverlässigkeit dieser noch der romantischen Schule angehörigen Biographen, wie Charles Nodier, Jules Janin und selbst PaulLacroixin seinen früheren Jahren, aufmerksam. Sie hätten vielfach das Leben de Sades nach ihrer Phantasie zurecht konstruiert. Es müssen deshalb die Nachrichten dieser Auto- ren über de Sade mit doppelter Vorsicht auf- genommen werden.

Einen vollen Ersatz für ihre fragwürdigen Mitteilungen gewinnen wir aber in den autobio- graphischen Nachrichten, die de Sade selbst in dem Romane ,,Aline et Valcour", namentlich im ersten Bande desselben, hinterlassen hat und die uns einen interessanten Einblick in die so dunkle Epoche seines Jugendlebens gewähren. Die schon


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von Brun et ausgesprochene Vermutung, class der Autor in Yalcour sich selbst schildere, hat sich mir bei näherer Prüfung als durchaus zu- treffend erwiesen. Weitere sichere Daten zu seiner Lebensgeschichte können dem allmählich ans Licht gelangenden handschriftlichen Nach- lasse und den Briefen entnommen werden. Der wertvollste Bestandteil dieses Nachlasses, der so lange gesuchte Koman ,,Les 120 journees de Sodome ou l'Ecole du Libertinage", den schon Eetif de la Bre tonne als das Hauptwerk des Marquis de Sade erwähnt, in Yergleichung mit dem ,,La Philosophie dans le Boudoir" und ,, Justine" ,, nichts" seien,i) wird zum ersten Male nach dem Manuskripte an dieser Stelle einer Analyse unterzogen werden, die uns die Theorien des Marquis de Sade vielfach in einem neuen Lichte zeigen wird.


Bevor ich auf alle diese neuen Tatsachen zur Lebensgeschichte des Marquis de Sade eingehe, sollen noch kurz einige bemerkenswerte Nach- richten, seine Familiengeschichte betreffend, be- leuchtet werden.

Ich übergehe die von J a c o b u s X . . allzu- breit ausgesponnene^) Legende von F a b r i c e

1) r. L. J a c o 1) (Bibliophil e). Bibliographie de toiis les oLivrages de Ketif de la Bretoune". Paris 1875. 8. 417.

2) a. a. O. S. 5—14.


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de Sa de, dem Sohne des Hugo de Sa de, und seiner schönen Grattin Sibylle de Puy- maure, die wohl nur dadurch bemerkens- wert ist, dass dem Fabrice, dem Sohne von Petracas Laura ein ähnlicher wollüstiger und grausamer Charakter zugeschrieben wird, wie ihn der Marquis de Sade in seinen Schriften und in seinem Leben bekundet hat.

Sicherer scheint, was schon von früheren Autoren und auch von mir in meinem ersten Werke über de Sade hervorgehoben wurde, die Vererbung von Gharaktereigenschaften von selten des Oheims des Marquis de Sade , des bekannten P 6 1 r a r c a-Forschers Abbe FrangoisdeSade stattgefunden zu haben. Ich finde in einem Briefe Voltaires an diesen Oheim eine Bestätigung für die Mitteilungen über stark erotische Veran- lagung dieses Abbe de Sade, der in der Tat der Galanterie, mehr als sich mit seinem priester- lichen Amte vertrug, gehuldigt zu haben scheint. V ö 1 1 a i r e schreibt in einem Briefe an ihn vom 25. November 1733 u. a. : ,,Man erzählt, dass Sie Priester und G-rossvikar werden wollen. Das sind ja reichlich Sakramente auf einmal für eine Fa- milie. Deshalb also sagten Sie mir, dass Sie auf die Liebe verzichten wollten.

Ainsi donc vous vous figurez, Alors que vous possederez Le juste nom de grand-vicaire, Qu'aussitot vous renoncerez A l'amour, au talent de plaire.


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All! tout pretre que vous serez, Mon eher ami, vous aimerez: Fussiez-vous eveque ou saint-perey Yous aimerez et vous plairez, Yoilä votre vrai ministere ; Et toujours vous reussirez Et dans l'Eglise et dans Cythere.i) Man ersieht aus diesen bezeichnenden Wor- ten und Versen, dass der Onkel des Marquis de Sade ein unverbesserlicher galanthomme ge- wesen sein muss, wenn Voltaire ihn so apo- strophieren konnte und dass dieser Lebemann auch später seinem Neffen kein gutes Beispiel gegeben haben wird. —

Durch Grinistys Forschungen haben wir jetzt eine andere interessante und abenteuerliche Episode in der Familiengeschichte des Marquis d e Sade kennen gelernt, und zwar in seiner Deszen- denz, nämlich die merkwürdigen Lebens Schick- sale seines ältesten Sohnes, Louis-Marie de Sade. Grinisty hat in dem Archiv des Kriegs- ministeriums einige allerdings fragmentarische Dokumente über ihn aufgefunden, die es ihm ermöglichen, das verworrene Leben dieses Sohnes des berüchtigten Marquis genauer zu be- leuchten. 2)

Louis-Marie de Sade wurde am 27. Au- gust 1767 als der erste Sohn unseres Marquis

1) Oeuvres Coinxjletos de Voltaire, Tome XV, Basle 1787 p. 61.

2) P. Ginisty „Le Fils du Marquis de Sade" in: ,,Le Journal" No. 3198 vom 3. Juli 1902.


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de Sa de und seiner Gattin Renee de Sade^ geborenen von Montreuil, geboren. Seine Taufpaten waren zwei Personen des höchsten Adels, der Prinz von Conde und die Prinzessin von C o n t i.i) Früh schon erhielt der Knabe einen Einblick in das unleidliche Verhältnis, das von Anfang an zwischen seinem Vater und seiner edlen Mutter bestanden hatte. Im Jahre 1779 schreibt er an seinen Vater einen reizenden Kin- derbrief, in dem er ihm von seinen Fortschritten im Schreiben Mitteilung macht.^) Schon mit 16 Jahren, 1783, trat er als Unterleutnant in das Regiment Rohan-Soubise ein, machte einen Feldzug in den ,,Iles dAmerique" mit, nahm 1791 seine Entlassung^) und kehrte nach Frankreich zurück, wo er unter dem Direktorium und Kon- sulate als — Kupferstecher tätig war, und u. a. den Auftrag erhielt, die obscönen Bil- der zu der ,, Justine" seines eigenen Vaters in Kupfer zu stechen. Diese eigen- artige Verbindung, in die er mit seinem berüch- tigten Vater gebracht wurde, soll nach Gr i n i s t y derartig niederschlagend auf ihn gewirkt haben,, dass er in demselben Jahre 1801, wo sein Vater wegen des Pamphlets ,,Zoloe et ses deux aco- lytes" verhaftet wurde, wieder Militärdienste nahm, um durch den Kampf für das Vaterland

1) PaulGinist}^ „La Marquise de Sade". Paris 1901. S. 16. ,

2) Abgedruckt bei G i n i s t 3' ,,La Marquise de Sade". S. 64—65.

3) Ibidem. S. 65 und ,,Le fils du marquis de Sade" a. a. 0.


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die auf ihm lastende Schmach auszulöschen. Er trat in eine polnische Brigade im Dienste der neugeschaffenen italienischen Eepubliken ein, irrte von Garnison zu Garnison, bis sich der General Beaumont für ihn interessierte und ihn in seinen Generalstab aufnahm. Er zeich- nete sich in der Schlacht bei Jena aus, ohne in- dessen die Beachtung Napoleons zu erlangen. Es wurde ihm sogar die Aufnahme in ein fran- zösisches Eegiment verweigert. Er wurde nur zum zweiten polnischen Infanterieregimente M a 1 e - z e w s k i versetzt, wo er als Kapitän und Adjutant des Generals Marcognet sich bei Friedland auszeichnete und trotz seiner Verwundung weiter kämpfte, bis er ermattet vom Pferde sank. Auch dieser Heroismus machte keinen Eindruck auf den Kaiser, wiederum blieb ein Gesuch um Ver- setzung in ein französisches Eegiment erfolglos. Dagegen wurde er am 3. September 1808 in eine andere Fremdenlegion versetzt, das Eegiment Isenburg, das nach Süditalien bestimmt war. Vorher begab er sich nach Echauffour im De- partement L'Orne, um von seiner damals noch lebenden Mutter Abschied zu nehmen und sich der Mairie dieser kleinen Stadt vorzustellen. Er reiste dann zu seinem neuen Eegimente, wo er wieder nur Leutnant im zweiten Bataillon wurde, das Otranto besetzen sollte. Auf dem Wege da- hin wurde er nahe bei Mercugliano am 9. Juni 1809 von neapolitanischen Eevolutionären über- fallen und nach hartnäckiger Verteidigung mit Pistole und Degen massakriert.


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Die Leichenrede^ die ihm gehalten wurde, be- stand in einem trockenen, bureaukratischen Schreiben des kommandierenden Generals an den Obersten des Kegiments Isenburg, das den Tatbestand feststellte und über die bei ihm ge- fundenen Papiere und seine Uhr berichtete.

Dies war die traurige Lebens odyssee eines Mannes, der nach G i n i s t y das Opfer seines überzarten Ehrgefühles war und den durch seinen Vater geschändeten Familiennamen durch Tapferkeit im Dienste des Vaterlandes wieder im A'oUen Glänze herzustellen suchte.

G i n i s t y gedenkt noch eines zweiten Sohnes des Marquis de Sa de, des 1769 geborenen Do- natien Claude Armand de Sade und einer am 17. April 1771 geborenen Tochter Made- leine-Laure, die nach einem dunklen und traurigen Leben als letzte direkte Nachkommin des Marquis de Sade im Jahre 1844 zu Echauf- four starb. 1)


Die interessantesten und wichtigsten Auf- schlüsse über Kindheit und Jugendzeit des Marquis de Sade (geboren 2. Juni 1740) verdanken wir ihm selbst. Die ,,Histoire de Val- cour" im ersten Bande seines Eomanes „Aline et Valcour" (S. 25 ff) enthält zum grössten Teile autobiographische Nachrichten.


1) P. Ginisty „La Marquise de Sade". S. 17, 18.


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De Sade erklärt hier, dass seine hohe Ge- burt, der eingebildete Stolz auf dieselbe alle Irr- tümer und Verirrungen seines Lebens verschul- det hätten.

« ,, Durch meine Mutter mit dem höchsten

Adel Frankreichs verwandt, durch meinen Vater mit den ausgezeichnetsten Familien des Lan- guedoc in Verbindung, geboren in Paris inmitten von Keichtum und Luxus, glaubte ich, sobald ich denken konnte, dass Natur und Glück sich ver- einigt hätten, um ihre Gaben über mich auszu- schütten. Ich glaubte es, weil man so einfältig war, es mir zu sagen, und dieses lächerliche Vor- urteil machte mich hochmütig, despotisch und aufbrausend. Es schien, dass alles mir nachgeben musste, dass die ganze Welt meinen Launen schmeicheln musste und dass es mir allein zu- kam, mit ihr nach Belieben umzuspringen. Ich erzähle Ihnen nur einen Zug aus meiner Kind- heit, um Ihnen die gefährlichen Grundsätze vor- zuführen, die man mit so viel Einsichtslosigkeit mir einpflanzte.

Geboren und erzogen in dem Palaste des er- lauchten Prinzen,!) dessen Familie meine Mutter entstammte, und der ungefähr so alt war wie ich, wurde ich ihm, den ich seit meiner Kind- heit gekannt hatte, zugesellt, um mich seiner Unterstützung in allen Zufällen meines Lebens zu erfreuen. Aber da meine kindliche Eitelkeit, die derartigen Berechnungen noch nicht zugäng-


1) Es ist dies der Prinz von C o n d e.


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lieh war, sich eines Tages bei unseren Spielen verletzt fühlte, als er mir etwas streitig machte und dabei auf seine hohen Titel und seine grössere Autorität pochte, so rächte ich mich durch tüch- tige und zahlreiche Hiebe, ohne dass irgend eine Ueberlegung mich davon zurückhielt, und konnte nur mit Gewalt von meinem Gegner getrennt werden.

Um diese Zeit musste mein Vater wegen Unterhandlungen ins Ausland. Meine Mutter begleitete ihn, und ich wurde zu meiner Gross- mutter im Languedoc geschickt, deren allzu blinde Zärtlichkeit alle meine eben geschilderten Fehler noch tiefer einwurzeln liess.

Dann kehrte ich nach Paris zurück, um unter der Leitung eines ernsten und geistreichen Er- ziehers, eines für mich sehr geeigneten Pädagogen meine Studien zu beginnen. Leider stand ich nicht lange genug unter seinem Einflüsse. Der Krieg wurde erklärt. Da man den lebhaften Wunsch hatte, mich Kriegsdienste nehmen zu lassen, unterbrach man meine Erziehung, und ich reiste zum Kegimente ab, in das ich in einem Alter eintrat, wo man naturgemäß s erst in eine Akademie aufgenommen werden sollte. "i)

Wir entnehmen aus diesem interessanten Berichte, dass die ganze Jugenderziehung des Marquis de Sade eine oberflächliche, überhastete war, die um so mehr eine Festi- gung seiner zweifellos vorhandenen guten Cha-

1) de Sade „Aline et Valcour". Brüssel 1883. (Neu- druck). Bd. I. S. 25—27.


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raktereigenschaften beeinträchtigen musste, als man bemüht war, ihn auf alle möglichen Weisen zu verhätscheln, zu verziehen, den Hochmut und adlige Vorurteile in ihm zu nähren und so allen späteren Lastern Tor und Tür zu öffnen.

So wurde dieser noch völlig unreife Jüngling mit 17 Jahren im Jahre 1757 den verderblichen Einflüssen des Kriegslebens in Deutschland über- liefert. Er selbst sagt von seiner Teilnahme am siebenjährigen Kriege : ,,Der Eeldzug wurde er- öffnet, und ich wage zu behaupten, dass ich ihn gut absolvierte. Der natürliche leidenschaft- liche Drang (impetuosite) meines Charakters, die F e u e r ,s e e 1 e , die ich von der Natur emp- fangen hatte, gaben der wilden Tugend des Mutes nur noch einen höheren Grad von Kraft und Ge- walt, jener Tugend, die man ohne Zweifel mit Unrecht als die einzige unserem Staate notwen- dige betrachtet. Nachdem unser Eegiment in der vorletzten C a m p a g n e dieses Krieges fast ganz vernichtet worden war, wurde es nach der Normandie in Garnison geschickt. Ich hatte s o e b e n m e i n 22. Lebensjahr erreich t."i)

Diese Bemerkung über die ,, vorletzte Cam- pagne" bezieht sich wahrscheinlich auf den Feld- zug der Franzosen in Hessen und Westfalen im Jahre 1761, zumal da der Marquis de Sade diese Landschaften nach Stellen in der ,,Juliette" ge- nauer gekannt zu haben scheint.

Dieser Krieg und die Teilnahme aii demselben.


1) Ibidem. S. 28.


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spielt überhaupt in den Werken des Marquis de Sade eine grosse Eolle. In dem neuen Romane ,,Die 120 Tage von Sodom" (5e journee) macht er sich über die preussische Uniform lustig, aber spricht an anderer Stelle mit grösster Anerken- nung von dem männlichen preussischen G-rena- dier" (Juliette II, 203). Verächtlich tut er die elenden kleinen Fürsten" Deutschlands ab (Aline et Valcour II, 174), er kennt die G-eschichte Friedrichs des G-rossen und des Müllers Arnold (ibidem II, 267), aber Friedrich ist ihm der ,,Held von Europa" (Juliette V, 59).

Wir dürfen mit ziemlicher Sicherheit an- nehmen, dass der Marquis de Sade im Jahre 1762 bereits wieder in Frankreich v^ar, wo er sich ja im Mai 1763 mit der Tochter des Präsidenten von Montreuil verheiratete. Aber schon da- mals hatte er sich mit obscöner Schriftstellerei beschäftigt und sich wilden geschlechtlichen Ausschweifungen hingegeben. Er war in den Jahren 1762—1764 ein eifriger Bordellbesucher, der wohl schon damals sich gegen die Mädchen allerlei Brutalitäten gestattete, denn der Kupp- ler Brissault weigerte sich einmal, ihm Freu- denmädchen zu liefern. 1)

Das weiblich zarte Aussehen des- Marquis, . das schon in meiner früheren Schrift geschildert wurde, hat Uzanne die Vermutung eingegeben, dass er ein passiver Päderast gewesen sei. In der Tat lief schon damals das Gerücht um, dass

1) Bericht des Polizeiinspektors M a r a i s bei C a p o n , ,.Les Maisons Closes". S. 166.

r)ühren. Xeue Forschung-en über de Sade. 19


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er homosexuellen Neigungen huldige. Ich finde nämlich in Imberts Skandalchronik den fol- genden merkwürdigen Bericht.

,,Man weiss, dass Herr L e M i e r r e , von der französischen Akademie, in der Nähe kein Nar- ciss ist und dass Herr Palissot sich im 6. Ge- sänge seiner ,,Dunciade" über das groteske Aus- sehen dieses Akademikers lustig gemacht hat. L e Mierre befand sich einmal in einer Gresellschaft zusammen mit dem Marquis de S a d e , einem dieser ,,agreables", deren Verdienst darin besteht, die Leute zu mystifizieren und die Frauen mit der Erzählung ihrer wirklichen oder angeblichen Eroberungen zu langweilen. Der Marcjuis, der den Dichter ärgern wollte, fragte ihn, wer der schönste Mann in der Akademie sei. Dieser er- widerte boshaft: ,,Ich habe nie darauf geachtet, da ich glaubte, dass man sich mit Männerschön- heit nur in gewissen Kreisen beschäftigt, die man in guter Gesellschaft nicht nennt." Dieser Witz ist um so beissender, als der Marquis de Sade im Eufe steht, nicht ausschliess- lich die Frauen zu liebe n."i)

Wieviel Wahres an diesem Gerüchte ist, muss dahingestellt bleiben. Jedenfalls kann es aus den Eomanen des Marquis de Sade nur bestätigt werden, da diese das Lob der päderas- tischen Liebe in begeisterten Tönen singen und eine mehr als genaue Kenntnis homosexueller


1) La Chroniqiie Scandaleuse ed. Uzanne, Paris 1879. S. 93.


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Empfindungßweise und Handlungen verraten. Aber für die Beurteilung der Persönlichkeit de Sades ist diese Stelle aus der „Chronique scan- daleuse" auch, insofern interessant, als sie dar- tut, welchen schlechten Ruf in Beziehung auf seinen sexuellen Lebenswandel der Marquis de Sade schon damals genoss.

Zweifellos ist, dass er wenigstens in seiner Jugend von den Frauen vergöttert wurde und eine unheimliche Anziehungskraft selbst auf zurückhaltendere, edlere weibliche Gemüter aus- übt, wie z. B. sein weiter tmten zu erwähnendes Yerhältnis zu Fräulein R o u s s e t bezeugt. i) Er seinerseits liess sich diese Liebe von selten der Frauen gern gefallen und liebte die Abwechse- lung. Dabei war es ihm gleich, ob das von ihm begehrte weibliche Wesen eine Bordelldirne, eine galante Dame oder ein anständiges Mädchen aus vornehmem Stande war. Frauen, die allen drei Kategorien angehören, spielen in seinem Leben eine Rolle und haben ihm wahrscheinlich das Material für seine Urteile über die Frauen und für seine Vergleichungen geliefert.

Mit dieser Neigung für das weibliche Ge- schlecht verband sich eine andere, die schon in dieser frühen Zeit mächtig sich regte, die für die Literatur und die Schriftst ellerei. De Sade erzählt in „Aline et Valcour" (I, 42), dass er Rousseau, der mit seiner Familie be- kannt war, einen Besuch abgestattet habe, von

1) Vergl. darüber auch Ginisty ,,La Marquis e de Sade". S. 94—95.


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ihm sehr freundlich aufgenommen und in seinen literarischen Plänen ermuntert worden sei. Er sei der Eührer seiner Jugend gewesen. ,,Ge fut dans la conversation de ce philosophe profond. de cet ami veritable de la nature et des hommes. que je puisai cette passion dominantequi m'a depuis toujours entraine vers la litter ature et les arts." (Aline et Valcour I, 43.)

Wir wissen jedenfalls, dass de Sade früh- zeitig seine literarische Tätigkeit begann, frei- lich waren es gleich im Anfang pornographische Schriften, mit denen er ähnlich darin dem jungen Mirabeau debütierte, und die wohl auf seinen realistischen Studien beruhten, die er während eines längeren Aufenthaltes in Lyon (Aline et Valcour I, 33) gemacht hatte, welche Stadt da- mals in Beziehung auf Galanterie und geschlecht- liche Korruption eine ernsthafte Kivalin von Paris war. Auch der Verfasser des Eomans ,, Venus en rut" schildert in sehr lebhaften Far- ben die Sittenlosigkeit und das wüste Treiben der Lebe weit in Lyon. Nach de Sade (Aline et Valcour II, 18) gab es keine französische Stadt,, wo der Klerus so korrumpiert war als Lyon. Während die grosse Masse der Pariser Geist- lichen ehrenwert sei, könne man von den Geist- lichen Lyons das Gegenteil behaupten. Hier hauptsächlich mag der Marquis de Sade seine antiklerikalen Neigungen, die sich in seinen ob- scönen und moralischen Schriften in gleichem Masse aussprechen, eingesogen haben.


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Ueber die Heirat des Marquis de S a d e , die sclion in diese frühe Zeit fällt, hat G i n i s t y in seinem vortrefflichen Werke über die Marquise de Sade einiges Neue beigebracht.

,5 Der G-raf und die Gräfin de Sade geben sich die Ehre, Ihnen einen Besuch abzustatten und Ihnen Mitteilung von der Yermählung ihres Sohnes, des Herrn Marquis de Sade mit Fräu- lein von Montreuil zu machen."

Dieses Billett gab im Mai 1763 der schwarz- gekleidete Zeremonienmeister bei den Freunden der beiden Familien ab.i) Man weiss, dass der Marquis de Sade von Anfang an der ungeliebten Frau, die ihn ihrerseits abgöttisch liebte, mit grosser Kälte begegnete und gern die ihm eben- falls zugetane zweite Tochter des Präsidenten von Montreuil geheiratet hätte. Doch scheint die Sentimentalität, die Laer o ix diesem letz- teren Verhältnis andichtet, nicht bestanden zu haben. Vielmehr war diese zweite Tochter nur eine der vielen Frauen, die de Sade damals zur Befriedigung seiner polygamen Leidenschaften gebrauchte. Schon einen Monat nach der Hoch- zeit führte dieses ausschweifende Leben des jungen Ehemannes zu einem ,,abominable scan- dale". Er hatte in einem Lusthause sehr galante Orgien mit ,, seltsamen Phantasien" gefeiert, und mehrere Mädchen hatten sich über die ,,raffine- ments de debauche" und die an ihnen begangenen Brutalitäten beklagt. Bekanntlich führte diese


1) Ginisty „La Marquise de Sade". S. 5.


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erste Skandalaffäre im Leben des Marquis de Sade zu seiner Verhaftung und ersten Inter- nierung in Vincennes, Oktober 1763, die aber nur bis zum Ende des Jahres dauerte, wo er zu seinem Regimente abging. i) Er verliess dieses aber bald wieder und verlebte mehrere Monate auf dem Landgute seines Schwiegervaters in Echauffour, wo sich die ganze Familie de Mont- reuil versammelte. Hier scheint er das Ver- hältnis mit seiner Schwägerin LouisedeMont- r e u i 1 fester geknüpft zu haben, ohne dass seine arglose Gremahlin, die auch in der Skandalge- schichte nur einen tückischen Streich seiner Feinde vermutete, etwas davon merkte.

Kaum war de Sade nach Paris zurückge- kehrt, als er seinem ewig regen Bedürfnisse nach Abwechselung in den Liebesintrigen dadurch genügte, dass er sich mit der durch ihre Debauche

  1. berüchtigten Tänzerin Beauvoisin zu gemein-

samen geschlechtlichen Ausschweifungen ver- einigte. Er fand in ihr mehr als eine Maitresse, nämlich eine ,,camarade de plaisir, une complice de ses curiosites depravees", so dass sie ihm bald unentbehrlich wurde. 2)

Die Beauvoisin war nacheinander die Geliebte von Collet, Dubarry, des Prinzen Ga litzin und vieler anderer gewesen. Darauf war sie auf die Idee gekommen, bei dem Tanz- meister L a n y Unterricht zu nehmen, der ihr eine


1) Ginisty a. a. 0. S. 12—13.

2) Ibidem. S. 10—11.


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vStellung als überzählige Tänzerin an der Oper verschafft hatte. Sie musste die Oper verlassen, weil sie ein von den Libertins eifrig besuchtes Spielhaus eingerichtet hatte, welche Unterneh- mung sie auch einige Male ins Oefängnis brachte. 1) Als sie 1784 starb, war der Verkauf ihrer Einrichtung ein Ereignis für das galante und mondäne Paris. Ihr letzter Liebhaber, der 3Iarineschatzmeister Boudard de Saint- James war der freigebigste von allen gewesen und hatte ihr ausser 20 000 Livres Eente für mehr als 1 800 000 Francs Juwelen gegeben. Das Inventar umfasste 200 Einge mit herrlichen Dia- manten und 80 prachtvolle Eoben, wie sie selbst die Königin nicht hatte !

Zur Zeit ihrer Bekanntschaft mit dem Mar- quis de Sade war sie weniger luxuriös einge- richtet, aber sonst vortrefflich geeignet zu seiner ..compagne de debauche". Bachaumont spricht von ihr um diese Zeit als von einem Mäd- chen mit hübschem Gesicht, „mais sans taille, courte et ramassee".^)

Diese abgefeimte Kurtisane war die Beglei- terin de Sades bei seinen jährlichen Eeisen nach der Provence, wo er Güter besass, nament- lich das ^chiToss La Coste. Hier hielten beide ^ eine Art von^alaHtem Hof, und der Marquis d e Sade galt in der Nachbarschaft dank seiner Schöngeisterei, seinem verführerischen Wesen


1) Vergl. oben S. 102—103.

2) Anecdotes piquantes. S. 98.


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"und den Yon. ihm für die biederen Provenzaien inscenierten Orgien bald als ein „agreable liber- tin".i) E/eminiscenzen an dieses Landleben fin- det man wohl in der Schilderung desselben in ,,Aline et Yalcour" (I, 61). Den Winter verbrachte de Sade gewöhnlich in Paris, von wo aus er sich brieflich mit dem Verwalter seiner Güter, dem königlichen Notar Sage zu Apt in der Provence, in Verbindung setzte. Ich bin in der Lage, zwei bisher noch nicht veröffent- lichte Briefe des Marquis de Sade an diesen Notar Sage aus sehr früher Zeit, nämlich De- zember 1767 mitzuteilen.

Der erste Brief ist datiert Paris, den 3. De- cember 1767", ,,rue neuve Luxembourg nahe den Wällen" und lautet:

,,Es ist mir unmöglich gewesen, lieber Herr, bis heute an die Affäre, mit deren Erledigung- Sie mich beauftragt haben, zu denken. Die Mi- nister sind nicht in Versailles. Ich bin müde und krank angekommen und ausser Stande, sie in Fontainebleau aufzusuchen, wo sie sich befinden. Aber zweifeln Sie nicht an meiner Bereitwillig- keit, Ihren Wunsch, sobald ihre Eückkehr und meine Gesundheit es erlauben, zu erfüllen. Ich bitte Sie, mir sogleich nach Empfang meines Briefes eine Copie der Vollmacht zu schicken, die ich Herrn Ode erteilte. Bei meiner Abreise vergas s ich, Sie darum zu bitten, und ich brauche sie notwendig. Haben Sie auch die Güte meinen


i) Ginist y ,,.La Marqiiise de Sade". S. 15.


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Auftrag an Madame de Martignan auszu- richten. Bitte erneuern Sie ihr meine Empfeh- lung und sagen Sie ihr, dass, wenn sie glaubt, dass ich ihr hier nützen könne, ich sie bitte, über mich zu verfügen, sei es wegen kleiner Lieder der Komischen Oper oder wegen neuer Stücke. Grrüssen Sie auch Herrn St. -Auban, wenn Sie ihn sehen, und empfangen Sie die Versicherung meiner Sympathien, mit denen ich verbleibe Ihr sehr ergebener und gehorsamer Diener

de Sade."

Es handelt sich wahrscheinlich in diesem Eriefe um irgend einen Pachtvertrag, den de Sache abgeschlossen hatte. Ausserdem tritt sehr deutlich ein interessanter Charakterzug hervor : die G-efälligkeit und Dienstfertigkeit, die de S a d e bekannten und befreundeten Per- sonen in ihren Angelegenheiten bewies, wie hier dem Notar und einer provenzalischen Dame, Frau von Martignan. Dies entspricht ganz seinem Eufe als agreable libertin.

Der zweite an den Advokaten und königlichen Notar Sage in Apt gerichtete, ebenfalls un- veröffentlichte Brief, datiert vom 29. Dezember 1767, lautet:

,,Mein lieber Herr Sage, ich beeile mich, Sie dringend zu bitten, von heute an allen von mir geschriebenen und unterzeichneten Briefen keinerlei Beachtung mehr zu schenken. Ja, er- zählen Sie allen Leuten dort : Das ist ein Tauge- nichts, der mit einer Strassendirne, in die er ver-


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liebt ist, hundert nichtsnutzige Streiche auf dem Pflaster von Paris ausgeführt hat. Er könnte viel- leicht in unsere Gregend kommen und den Kre- dit, den er dort hatte, missbrauchen, um hier sein Handwerk zu treiben. Benachrichtigen Sie alle Welt und besonders Herrn Lions. Leben Sie wohl, ich bin in grösster Verlegenheit durch alle die Angelegenheiten, die mir dieser böse Kerl aufbürdet. Glücklicherweise wird mich nichts niederdrücken und brauche ich nichts zu bezahlen. Aber es ist immer sehr unangenehm. Adieu, schicken Sie mir sehr schnell mein Geld und rechnen Sie auf umgehende x4.ntwort auf alle Ihre Fragen, sobald ich es empfangen habe. Dieser junge Mann hat nur das, was Sie ihm vorhergesagt hatten. Ich umarme Sie.

de S ade."

Auch dieser merkwürdige Brief enthüllt uns eine neue Seite in dem bizarren Charakter des Marquis de Sade. Offenbar handelt es sich darin um eine kecke humoristisch - sati- rische Selbstpersiflage. Der junge Tauge- nichts, vor dem er seinen Notar warnt und vor dem dieser seine lieben provenzalischen Lands - leute warnen soll, ist er selbst ! In einem lichten Augenblicke der Selbsterkenntnis führt er dem guten Notar sein wildes, ausschweifendes Leben mit der Beauvoisin vor, denn diese ist ohne Zweifel die ,,gueuse des rues dont il s'est amou- rache" vor und schildert in übermütiger Weise die ihm aus diesen tollen Streichen erwachsen-


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den Ungelegenheiten, zu denen wohl liauptsäoli- lich die ewige Geldnot gehört, der der gute Notar abhelfen soll. Denn die Pointe des Briefes ist der Schluss : die Bitte um Geld !

Der Brief ist jedenfalls ein interessantes Zeugnis dafür, dass der Marquis de Sade ein volles Bewusstsein seines schlechten Kufes hatte, der damals in der Tat sich bereits weit verbreitet hatte und wenige Monate später durch die berüchtigte Affäre Keller am 3. April 1768 für immer befestigt wurde, lieber diese Affäre, die in meinem ersten Werke bereits eingehend dargestellt wurde,i) kann ich einen n e u e n z e i t- genössischen Bericht beibringen, der sich in dem Tagebuch des Pariser Bürgers Hardy ,,Mes loisirs, ou Journal d'un bourgeois de Paris, de 1766 ä 1790" findet lO

,, Freitag, 8. April 1768. Man erfährt, dass der Graf de Sade, Edelmann des Prinzen von Conde und mit diesem sogar durch seine Frau Mutter, eine geborene Maille de Breze ver- wandt, wohnhaft im Karmeliterhofe in der Vor- stadt Saint- Jacques, am Ostertage, dem dritten dieses Monats, als er im Begriffe war, in ein Haus nahe der Place des victoires zu treten, eine junge Frau von etwa 32 Jahren getroffen habe, die Witwe eines kürzlich im Hotel-Dieu verstor-


1) E. Dühren „Der Marquis de Sade und seine Zeit". Berlin 1901. 3. Aufl. S. 308—315.

2) Abgedruckt in : Nouvelle Revue Encyclopedique, publiee par M. M. Firmin Didot freres. Paris 1847. Bd. IV. S. 300—302.


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benen Deutschen, die ihn um ein Ahnosen bat. Er sagte ihr dann, dass sie da ein Handwerk be- triebe, zu dem sie nicht bestimmt sei, dass es viel besser für sie sei, sich eine Arbeit zu suchen, wozu sie Talent hätte und eine Stellung als Wirt- schafterin in einem Schlosse oder Landhause ausfindig zu machen. Wenn er ihr einen Thaler gäbe, könnte ihr das doch nur für kurze Zeit helfen. Hierauf erwiderte die junge Frau, da^s sie vor Hunger stürbe und dass sie zwar völlig imstande sei zu arbeiten und die Art der Stellung, von der der Herr eben gesprochen habe, auszu- füllen, dass sie aber niemanden kenne, an den sie sich behufs Erlangung einer solchen Stellung wenden könne. Der Graf von Sade sagte ihr, dass sie da nicht weit zu gehen brauche, sie solle sich nur am Nachmittag an der von ihm bezeich- neten Stelle und an dem von ihm genannten Orte einfinden. Er würde sie dann in ein ihm gehöriges, nahe bei Paris gelegenes Landhaus führen, wo sie, falls die Stellung ihr behagte, bleiben könne.

Die Erau ging auf seinen Vorschlag ein, begab sich an den bezeichneten Ort und wurde von ihm in einer Droschke nach dem Kreuz von Arcueil gebracht. Während der Fahrt hatte er nur de- cente, anständige und ehrenhafte Keden geführt, so dass sie keinerlei böse Absicht ahnen konnte. Nach Ankunft an dem Kreuz von Arcueil schickte er den Wagen zurück, da es unnötig sei, durch das ganze Dorf zu fahren und sie durch ein Tor in den Garten eintreten könnten. Nachdem sie eingetreten waren, zeigte er ihr den Garten, in


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dessen einer Mauer sie eine Bresche bemerkte, von der sie nicht ahnte, dass sie so bald von ihr Gebrauch machen würde. Darauf führte er sie in den Salon, in das Speisezimmer, die Küche und zeigte ihr die ganze Einrichtung für die Wirt- schaft, von da ging es in das erste Stockwerk^ und am Ende eines Korridors im zweiten Stock- werk sagte er ihr, dass er ihr das für sie be- stimmte Zimmer zeigen wolle. Dieses ziemlich dunkle, weil nur dürftig vom Tageslicht beleuch- tete Zimmer, hatte einen Parkettboden und war ganz mit Holz bekleidet. Von Möbeln waren nur eine Kommode, ein Schrank, einige Stühle und ein nur aus Strohsack, Matratze und darüber gewor- fener Steppdecke bestehendes Bett darin. Kaum hatten sie dieses Zimmer betreten, als der Graf de Sade die Tür doppelt verriegelte und ihr befahl sich bis zur gänzlichen Nacktheit auszu- kleiden. Erschreckt und überrascht weigerte sie sich entschieden, dies zu tun. Er zog seinen Degen und drohte ihr, ihr denselben durch den Leib zu rennen, wenn sie länger Widerstand leistete. Als er aber sah, dass diese Drohungen nichts ausrichteten, warf er sie plötzlich aufs Bett, zog ihr die Kleider mit Gewalt bis auf das Hemd aus, das sie selbst ablegen sollte, worauf er es, als sie dies nicht tat, in Stücke riss. Dann band er ihr beide Hände, steckte ihr einen Holz- knebel in den Mund, damit sie nicht schreien könne, drehte sie um, holte aus der Kommode zwei dicke Eutenbündel hervor, mit denen er ihren ganzen Körper auspeitschte. Hierauf entnahm er


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aus dem Schranke eine Art Feder- oder Eadier- messer, ein Licht und spanisches Wachs, machte ihr Einschnitte in die fleischigsten Körperteile, spannte sorgfältig jede Incision mit zwei Fin- gern auseinander, um leichter das glühende Wachs von dem Lichte herab in dieselbe ein- träufeln zu können. Einige Personen haben be- hauptet, dass es ein Balsam oder Elixier war, dessen Heilkraft er probieren wollte. Nach Be- endigung dieser zweiten Operation, band er sie los, befahl ihr mit sehr ruhiger Miene sich wieder anzukleiden und sich zu erholen. Als sie nun ihr Geschick bejammerte so ohne Trost und Hilfe sterben zu müssen, hatte er sich auf einen Stuhl neben sie gesetzt und sich erboten, ihr die Beichte abzunehmen, wenn sie ihn dafür geeignet hielte. Als die Unglückliche mit grösstem Abscheu diesen Vorschlag zurückwies, sagte er, dass sie an den er- littenen Verletzungen noch nicht sterben werde, dass sie aber trotzdem ihre Seele G-ott empfehlen solle, da er in drei Stunden wieder komme, um ihr den Eest zu geben. Hierauf ging er hinaus und schloss sie ein.

Sich selbst überlassen, an das schreckliche ihrer harrende Schicksal denkend, hüllte sie sich so gut es ging in die Steppdecke ein und es ge- lang ihrem Scharfsinne, sich einem so grausamen Tode zu entziehen, in den Garten zu gelangen und sich durch die bei der Ankunft von ihr be- merkte Bresche in den benachbarten Garten zu retten, von wo sie auf einer doppelten Leiter in der Abenddämmerung auf die Strasse herab-


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stieg. Der Graf de Sa de, der eher als er an- gekündigt wieder zurückgekehrt und ihre Flucht bemerkt hatte, hatte einen Diener zu ihrer Ver- folgung abgeschickt, der sie anrief und ihr von iveitem eine Börse zeigte. Nachdem sie bis zum Erunnen von Arcueil gegangen war — das Haus ■des Grafen lag in Cachant, einem kleinen Dorfe, das an Arcueil anstösst und mit ihm ein einziges Xirchspiel bildet — fragte sie eine dort Wasser holende Frau, wo sie sei und wo sie eine Zuflucht finden könne. Sie enthüllte dann vor der über ihren seltsamen Aufzug erstaunten Frau ihren Körper und zeigte ihr die empfangenen Wunden. Die Frau nahm sie mit sich nach Hause und Hess den Ortschirurgen Lecomte holen, um sie zu verbinden. Dieses Ereignis machte in dem Orte grosses Aufsehen. Herr P i n o n , Parlaments - Präsident, der ebenfalls dort ein Landhaus besass, in dem er sich gerade aufhielt, war aufs äusserste empört. Der von ihm benachrichtigte Befehls- haber der Gensdarmerie, de la Bernardiere, nahm die Klage der misshandelten Frau entgegen und legte das darüber aufgenommene Protokoll beim Gericht des Grand-Chätelet nieder. Die von -dieser unglückseligen Angelegenheit benachrich- tigte Familie des Grafen bemühte sich sofort -durch einen Unterhändler die Sache beizulegen, und es gelang dem damit betrauten Parlament s- anwalt Maitre Boy er die arme Frau zu einem Verzicht auf ihre Klage zu bewegen, gegen eine l^are Entschädigung von 2400 Livres und die Be- zahlung für die ärztliche Behandlung bis zur voll-


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ständigen Heilung, und vier Louisdor für die Frau, die sich ihrer angenommen hatte. Infolge mächtiger Einflüsse soll der Graf de Sade auf Befehl des Königs im Schlosse Pierre en eise interniert worden sein, andere behaupteten da- gegen, dass man ihn ins Ausland hätte entfliehen lassen. Wie dem auch sei, dieser eben so merk- würdige, wie infame und. empörende Vorfall wird, wenn die Justiz keine Kenntnis davon nimmt und den Urheber nicht exemplarisch bestraft, der Nachwelt ein Beispiel mehr für die Straflosigkeit sein, die in unserem Jahrhundert gewöhnlich auf die abscheulichsten Verbrechen folgt, sobald die- jenigen, die sie begehen, das Grlück haben, Edel- leute, Eeiche oder angesehene Männer zu sein.'^

Unter Mittwoch, dem 20. Juli 1768 be- richtet der Bürger Hardy dann noch: ,,Ich er- fühl* auf dem Lande, wo ich mich aufhielt, dass in der unglücklichen und tragischen Affäre, die sich am Ostertage, 3. April in Arcueil, ereignete, der Graf de Sade rechtsgültig in contumaciam zur Verbannung und zur Entschädigung der ver- letzten Frau verurteilt worden ist, und dass der König die von ihm früher erlassenen Befehle zur Internierung des Grafen von neuem bestätigt hat, damit dieser nicht wieder in der Oeffentliclikcit erscheine."^)

Dieser Bericht stimmt im wesentlichen mit demjenigen über ein, den Madame Du Deffand ebenfalls unmittelbar nach dem Ereignisse brief-


1) Ibidem. S. 302.


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lieh an ihren Freund H o r a c e W a 1 p o 1 e er- stattete und den ich schon früher als den glaub- würdigsten bezeichnet hatte. i) Es dürften also alle anderen Berichte, die de Sades Missetat inmitten einer grossen Orgie mit Dirnen und Wüstlingen vor sich gehen lassen, mehr oder ^Yeniger Produkte der Phantasie sein.

Neu und bezeichnend für den Charakter des Marquis de S ade ist in dem Berichte des Bürgers Hard}^ die von ihm geschilderte Scene nach der Auspeitschung und Incision, wie de Sade gerne den Beichtvater bei der jungen Frau spielen möchte, wie er ihr mit einer gewissen grausamen Wollust ihren baldigen Tod ankündigt, um in dem Gedanken ihrer Todesangst zu schwelgen, wie er dies alles mit der grössten Heuchelei durchführt. Denn ich glaube nicht, dass es seine ernstliche Absicht war, die Keller wirklich zu ermorden. Es war ihm nur um die Idee ihrer Ermordung, um die erregende Vorstellung ihrer Todesangst zu tun. Aehnliche Züge finden sich vielfach auch in seinen Romanen.

Uebrigens deutet die ganze raffinierte Ein- richtung jener Schreckenskammer" in Arcueil darauf hin, dass de Sade in derselben öfter derartige grausame Manipulationen zur Befrie- digung seiner eigentümlichen sexuellen Begier- den vornahm. Denn da er die Frau an dem- selben Nachmittage des Tages, wo er sie ge-


^) D ü h r e n a. a. 0. S. 310.

Dühren, Neue Forschungen über de Sade.


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troffen hatte, nach Arcueil führte, hatte er wohl keine Zeit gehabt, das Zimmer für dieses eine Mal so herrichten zu lassen. Auch geht aus Hardys Bemerkung, dass der König schon früher gegen das Treiben de Sades hatte ein- schreiten wollen, deutlich hervor, dass dieser sich bereits vorher ähnliche Vergehen hatte zu schul- den kommen lassen.

Der Marquis de Sade wurde schon nach sechswöchentlicher Haft in dem Schlosse Pierre- Encise bei Lyon dank den Bemühungen seiner ihm leidenschaftlich ergebenen Gattin entlassen, die während und nach seiner kurzen Gefangen- schaft in Lyon blieb, während ihr Gatte sich nach seinem Schlosse La Coste begab, wohin er seine aus dem Kloster entflohene Schwägerin mitnahm. 1)

Aus dieser Zeit stammt wahrscheinlich der folgende bisher unveröffentlichte, charakteris- tische Brief an ,, Madame la Marquise de Sade ä la poste restante ä Lion", der dort am 21. Mai ankam, aber nicht abgeholt wurde, wie ein Ver- merk ,,n'est point venue la retirer" besagt. Der Brief lautet:

„Kehre sogleich nach Empfang dieses Briefes zurück, meine liebe Freundin. Deine Abwesen- heit unter diesen Umständen macht hier einen sehr schlechten Eindruck. Kehre zurück, nach- dem Du Herrn de C a u v i und Herrn de E o c h e-


1) Paul Ginisty ,.La Marquise de Sade". S. 17.


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baron davon überzeugt hast, dass es unter keinem Verwände • möglich ist, dass Deine Schwester vor dem 1. November in ihr Kloster zurückkehre, da sie sicher ist, dass sie im ersten Augenblicke dort nur Unangenehmes erfahren würde, dem sie sich nicht aussetzen will, und dass es gut ist, die G-eister sich erst beruhigen zu lassen. Uebrigens verlangt man von der hün- dischen Aebtissin (cette chienne de l'abbesse) weiter nichts, als dass sie ihr pro forma den ge- weihten Strick (le cordon) aushändigt, den man nach 3 Monaten zurückschicken wird, mit der Meldung, dass man sich verheiraten wolle und dafür 24 000 oder selbst, wenn es gewünscht wird, 36 000 Francs zahlen wolle. Das ist ein guter Schadenersatz. Die Familie ist mit dieser Ent- schädigung der Aebtissin einverstanden, und diese ihrerseits muss zufrieden sein, von jeman- dem 'befreit zu werden, um den sie sich nicht kümmert. Ich habe meine Pläne nicht geändert, seitdem wir Dir schrieben. Präge das also Deinem Kopfe und dem der anderen ein und komme gleich nach Empfang dieses Schreibens." — Gruss und Unterschrift fehlen diesem bemerkenswerten Eriefe, der uns den Marquis de Sade wiederum A^on einer anderen Seite zeigt. Wie er es verstand, unter Umständen zu heucheln, den liebenswür- digen Schwerenöter zu spielen, so geht er hier gegen seine Frau mit brutaler Eücksichts- losigkeit vor und enthüllt ihr mit schamloser Deutlichkeit seine Zukunftspläne mit ihrer Schwester, die er der Gewalt des Klosters ent-

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ziehen will, um sie für sich zu behalten. Dieses Benehmen gegen seine Frau stimmt völlig mit dem überein, was uns durch G-inistys Ver- öffentlichung seiner späteren Korrespondenz mit ihr bekannt geworden ist.

Es scheint aber, als ob er seine Absicht, die Schwägerin dem Kloster zu entreissen, wohin sie zur Sicherheit und um sie vor seinen unzüchtigen Begierden zu schützen von ihren Eltern gebracht worden und von wo sie zu de Sade nach La Coste entflohen war, nicht so leicht verwirk- lichen konnte, da ihm wohl Hindernisse ernsterer Art in den Weg gelegt wurden und polizeiliche Einmischung drohte.

So entschloss er sich, die Greliebte zu ent- führen und mit ihr ins Ausland zu fliehen. Auf diesen Plan bezieht sich der folgende, ebenfalls bisher unveröffentlichte Brief, wahrscheinlich auch aus dem Jahre 1768. Er ist an diese Schwä- gerin selbst gerichtet :

,, Heute Dienstag morgen ist die Abwesenheit meiner Erau günstig. Ich warte bis Donnerstag morgen. Aber ich will keineswegs ohne Sie reisen. Ich erwarte Sie also spätestens Mittwoch abend. Im Namen Gottes, lassen Sie mich nicht warten, ich beschwöre Sie. Ich habe dafür meine stärk- sten Gründe.

Ich bin gezwungen, über Arles zu reisen und ich werde unfehlbar dort übernachten. Ich er- warte Sie also bestimmt Mittwoch abend, da ich keine Minute länger die Sache aufschieben und


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meine Eeiseroute durchaus nicht ändern kann. Man passiert über Orgon, das weiss ich bestimmt. Eis morgen Abend also, bestimmt.

Ich umarme Sie von ganzem Herzen.

de Sade."

Es ist möglich, dass dieser Brief bereits den Plan zur Tlucht enthält, die de S a d e jedenfalls in Gemeinschaft mit seiner Schwägerin nach Italien unternahm, wo sie sich mit ihm einer ..folie de plaisirs" überliess.i)

Es folgte nun der früher schon dargestellte Skandal von Marseille, die berüchtigte Kantha- ridenbonbon-Affäre (Juli 1772), die Flucht und Haft des Marquis de Sade in Piemont, wo er im Schlosse Miolans interniert wurde, von wo er aber durch die Hilfe seiner Gattin entfloh (2. Mai 1773). Er hatte bei seiner Flucht den folgenden Briefe) an den Gouverneur von Miolans, de Launay, geschrieben:

,,Mein Herr, wenn etwas die Freude, die ich über die Befreiung aus meiner Gefangenschaft empfinde, trüben kann, so ist es die Befürchtung, dass Sie für meine Flucht verantwortlich sein werden. Nach allen Ihren Liebenswürdigkeiten und Gefälligkeiten kann ich Ihnen nicht ver- hehlen, dass dieser Gedanke mich beunruhigt. Wenn mein Zeugnis indessen Ihren Vorgesetzten


1) Ginisty „La Marquise de Sade^'. S. 17.

2) C a b a n e s ,,La pretendue f oli© du Marquis de Sa d e" in: Le Cabinet secret de l'Mstoire, Paris 1900 '4e serie. S. 281.


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gegenüber von einigem Gewichte sein kann, so bitte icli dieselben, dieses in meinem authen- tischen Ehrenworte zu finden, dass Sie, weit da- von entfernt diese Flucht zu begünstigen, viel- mehr durch Ihre sorgfältige Ueberwachung die- selbe um mehrere Tage verzögert haben und dass ich sie mit e.inem Worte nur meinen eigenen Be- mühungen zu verdanken habe.

Es bleibt mir nur noch übrig, mein lieber Kommandant, Ihnen für all Ihre G-üte zu dan- ken, wofür ich mein ganzes Leben durch erkennt- lich sein werde. Ich wünsche mir nur Gelegen- heiten, um Sie davon zu überzeugen. Ich hoffe wenigstens, dass einst der Tag kommen wird, wo ich mich ganz den Gefühlen der Dankbarkeit überlassen kann, die Sie mir eingeflösst haben, und mit denen ich die Ehre habe mich als Ihr ergebenster und gehorsamster Diener zu emp- fehlen. Der Marquis de Sade.

Miolans, Freitag, den 30. April."

Nach kurzem Aufenthalte in Italien, wo de Sade trotz der Gesellschaft seiner Gattin bereits wieder nach anderen weiblichen Eeizen auslugte und u. a. eine ,,correspondance abjecte" mit einer Maitresse führte, kehrte er auf seine Güter in der Provence zurück, seine Anwesenheit wurde aber entdeckt und er von neuem verhaftet und nach der Festung Vincennes bei Paris gebracht. Seine edle Gattin zog sich in das Kloster der Karmeliterinnen in der rue d'Enfer in Paris


1) Ginisty „La Marquise de Sade". S. 24.


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zurück, und von diesem Augenblicke an können wir die ganze Tragödie ihres Lebens, die einzig und allein sich auf ihr Verhältnis zu ihrem Gatten gründete, verfolgen, wie sie in Paul Gr i n i s t y s 1901 erschienenem Buche ,,La Marquise de Sade" dargestellt wird und wohl den wichtigsten Bei- trag zur Kenntnis des Charakters des ,, divin marquis" liefert.

In ihren Handlungen und ihren Briefen zeigt sie, dass ihre Liebe, ihr Vertrauen zu dem G-e- fangenen unerschüttert geblieben sind, während er diese Liebe kalt, höhnisch, abweisend entgeg,en- nimmt, ihre reine Zärtlichkeit mit einem rohen Cynismus, ihre harmlose Plauderei mit gemeinen Obscönitäten beantwortet und sie dazu noch fortwährend mit lächerlicher Eifersucht quält. Die Briefe der Marquise de S a d e sind, wie G i n i s t y sagt, die Briefe einer Heiligen, einer Heiligen der ehelichen Liebe. Seine Antworten dagegen entsprechen den in seinen späteren Schriften niedergelegten Grundsätzen. Feigheit, Heuchelei, Lüge, Brutalität, eine obscöne Phanta- sie spiegeln sich in ihnen wieder. Wenn er die Dienste seiner Frau nötig hat, wenn er irgend einen Wunsch erfüllt haben will, gibt er seine aggressive, boshafte Haltung gegenüber seiner Gattin auf und heuchelt Zärtlichkeit. Er weiss, dass die Marquise schon mit sehr wenig zufrie- den ist. Uebrigens behandelt er nur die Leute * schlecht, vor denen er keine Furcht hat. Vor anderen heuchelt er tiefste Ergebenheit. Insge- heim denkt er aber das Schlechteste von ihnen.


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Der Verwalter seiner Güter Gauf ridy, zu dem die Marquise das grösste Vertrauen hat, ist ihm ,,un fripon, un fourbe".i) Seine unaufhörlich wechselnden Launen konnten nur der engelhaften Geduld seiner treuen Gattin erträglich sein. Diese „caprices tyranniques" brachten ihn auf die sonderbarsten Einfälle. Einmal miss fällt ihm plötzlich das Papier, dessen seine Gattin sich für ihre Briefe an ihn bedient. Madame de S ade, wie immer nachgiebig, entschuldigt sich sogar und schreibt :

,,Mein guter Ereund, ich mag nicht, dass Du mir meine Briefe zurückschickst. Ich werde ein anderes Papier benutzen, ich hatte diesen Stem- pel nicht bemerkt und konnte nicht erraten, dass er Dir miss fallen würde. Wenn Du an etwas An- stoss nimmst, so werde ich es sofort anders und besser machen, ich will durchaus allen Deinen Wünschen entsprechen, und selbst in der gering- sten Kleinigkeit zu fehlen, würde ein Verbrechen für mich sein. "2)

Diese Worte bekunden deutlich genug eine gänzliche sklavische Unterwürfigkeit in der Liebe dieser Frau, ein förmliches masochistisches Ver- hältnis zu ihrem brutalen Gatten, der eine merk- würdige Herrschaft selbst über stärkere weib- liche Gemüter zu gewinnen verstand, wie wir gleich an seinem Verhältnis zu Fräulein de Kousset erkennen werden. Ich verweise zur


1) G i n i s t y a. a. O. S. 56.

2) Ginisty a. a. O S. 57.


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Be&tätigung dieses Urteils auf die von Ginisty ausfülirlicli mitgeteilten Briefe der Marquise, in denen alle Bitternisse dieser bis zur Selbstver- niclitung hingebungsvollen Liebe auf eine er- greifende Weise offenbart werden.

Es war den eifrigen Bemühungen der Mar- quise gelungen, im Jahre 1778 eine Wiederauf- nahme des gerichtlichen Verfahrens gegen ihren in Vincennes in Haft befindlichen G-emalil durch- zusetzen. Der Marquis de Sade wurde vor das Parlament in Aix gebracht, das ihn zwar von der Anklage der Vergiftung der Mars eiller Freu- denmädchen freisprach, aber wegen der anderen Vergehen zu G-eldstrafen verurteilte. Indessen wurde er nicht in Freiheit gesetzt, was auf den Einfluss seiner Schwiegermutter zurückzuführen w^ar, und das Parlament verfügte seinen Rück- transport nach Vincennes.

Eine interessante Stelle im vierten Bande •des Romanes ,,Aline et Valcour" beweist, dass de Sade dem Grerichtshofe in Aix diese zwei- deutige Handlungsweise nie vergessen hat. Er zählt nämlich dort mit Behagen alle Schandtaten desselben auf, welches also sehr wohl das Lob eines solchen ,,monstre" wie des Präsidenten von Blamont verdient habe.i)

Nach einem neuerlich misslungenen Flucht- versuche wurde de Sade im September 1778


1) de Sade „Alme et Valcour", Brüssel 1883. (Neu- <iruck). Bd. lY. S. 220.


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wieder in Vincennes interniert. Es beginnt wieder der Briefwechsel zwischen ihm und seiner Frau, in dem nun die Obscönitäten von seiner Seite immer häufiger werden. Als sie ihm einmal schreibt :

„Est-ce que tu as ete mecontent de ce que je t'ai envoye? Est-ce que tu ne veux rien pour ta quinzaine? Ton silence me tue. II n'est sorte de chose que je me fourre dans la tete . .

Neben diesen letzten Satz schreibt der Ge~ fangene die cynische Ergänzung :

„Et moi, dans le c . . (9. September 1779). "0

Und als sie ihn einmal in rührender Weise bittet, sie nicht lange auf Antwort warten zu. lassen, macht er die Eandbemerkung :

5, Welch eine freche Lüge ! Man muss ein Ungeheuer und eine Dirne ohne Ehrgefühl und Scham sein, um so schwarze und unverschämte Lügen zu erfinden. "2)

Wie sehr sich schon damals unzüchtige Vor- stellungen in alle seine Gedanken einschlichen, wie er gewissermassen, was für den späteren Stil seiner obscönen Romane so charakteristisch ist, die harmlosesten Redewendungen geschlecht- lich auffasste, in dieser sexuellen Monomanie schwelgte, beweist die folgende Bemerkung zu einer Stelle aus einem Briefe seiner Gattin, die folgendermassen lautete :


1) Giuisty a. a. O. S. 61.

2) Ibidem.


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„Je suis bien aise de t'apprendre que j'en- graisse de fagon ä ce que je me meurs de peur de devenir une grosse coche. Quand tu me verraSy tu en seras surpris."

Dazu schreibt er au den Eand : ,,A force de te retourner avec mon ,teiiiturier. Gr r o s s e I pour ce mot-lä, que veut-il dire?"

Mit Recht sagt Gr i n i s t y in Hinsicht auf diese Marginalnotiz : .,Der Greist des Marquis de S a d e kann nur noch obscöne Ideen auf - fassen."!)

Ueber die brutalen Misshandlungen, deren Objekt die arme Frau bei ihren persönlichen Be- suchen beim Grefangenen war, ist bereits früher berichtet worden. Einmal schreibt sie ihm voll Schmerz : ,,Wenn Du imstande bist, mich zu er- dolchen, so wäre es unter diesen Umständen ein grosses Glück für mich, nicht mehr zu existieren."

Grosser Gott ! welche Plattheit ! welche Platt- heit !" schreibt der Marquis unter diese Zeilen I^)

Doch trotz aller Leiden, trotz aller Ent- täuschungen bleibt sie ihm ergeben: ,,Mon coeur n'a pas change, il t'adore et t'adorera toujours."^) Sie bricht seinetwegen jeden Verkehr mit ihrer Familie ab, verzichtet auf den Umgang mit ver- schiedenen Freundinnen, bemüht sich mit Hilfe der Madame de S o r a n , der Hofdame der Ma- dame Elisabeth, die Ueberführung ihres


1) Ibidem. S. 63.

2) Ibidem. S. 70—71.

3) Ibidem. S. 74.


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Gatten nach dem Fort Montelimar zu be- wirken, i)

Selbst über ihre Schwester, deren intime Be- ziehungen zu ihrem Gratten ihr nicht verborgen geblieben waren, gibt sie ihm Auskunft, als er dieselbe dringend verlangt hat. Aber es ist nach ihrer Erklärung das erste und letzte Mal, dass sie von dieser Verlorenen spricht. Sie kann aber weder die Strasse noch den Stadtteil angeben, wo diese von den Eltern Verstossene jetzt wohnt. 2) Auch von ihren Kindern spricht sie oft und er- zählt, dass sie ihnen die Liebe zu ihrem gefan- genen Vater tief ins Herz pflanze. ,,Sois sür qu'ils t'aiment. Je les ai portes dans mon sein, et ils ne peuvent y avoir puise que la plus vive ten- dresse pour toi. Comme moi, ils feront toujours ta volonte avec satisfaction."^)

Nach vier Jahren erlangte sie endlich die Erlaubnis, ihren Gatten im Gefängnis wieder be- suchen zu dürfen. Der hierauf sich beziehende Brief des Gouverneurs Baron de Breteuil an den Polizeileutnant Lenoir vom 13. Juli 1786 lautet :

,,Ich habe, geehrter Herr, den Brief empfan- gen, den Sie mir in der Angelegenheit des Mar- quis de Sade geschrieben haben. Ich sehe kein Hindernis mehr, der Madame de Sade zu ge- statten, ihren Gatten nur einmal im Monat zu


1) Ibidem. S. 74.

2) Ibidem. S. 75—76.

3) Ibidem. S. 77.


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besuchen und, wenn der Grefangene dies nicht missbraucht, der Madame de Sade auch häu- figere Besuche zu bewilligen. "i)

Der Marquis de Sade empfing also wieder die Besuche seiner Gattin, aber nur in Gegen- wai't anderer Personen, während er doch gern mit seinem Opfer" allein gewesen wäre. Er spielte sich deshalb in seinen Briefen als den Zärtlichen auf, was die arme Frau entzückt für bare Münze nahm. Sie glaubt, dass sein galanter Brief „peint si bien tes sentiments pour moi" und ist auf dem ,, Gipfel des Glückes".^) Jetzt wird im weiteren Verlaufe dieser zärtlichen Korre- spondenz ein neuer, bemerkenswerter Zug in dem Charakter des Marquis de Sade sichtbar. Er will die fromme Gattin ihrem Gotte, an den sie innig glaubt, abspenstig machen, um ganz im Sinne der in seinen obscönen Schriften ge- predigten Lehren an die Stelle Gottes die Geschlechtslust zu setzen. Mit ,, hölli- scher Kunst" wendet er die Sprache glühender Sinnlichkeit in seinen Briefen an, schickt ihr schon damals einige seiner frivolen Schriften wie .jl'Egarement et l'infortune" ,, Henriette" u. a. m., und als es ihm gelungen ist, das Feuer unreiner Liebe in ihr zu entflammen, da — überhäuft er sie mit den gemeinsten Schmähungen und malt sie nach dem Bilde der monstruösen Heldinnen seiner obscönen Komane aus, erfindet Ehebrüche, die sie begangen hat und spielt den Entrüsteten I


1) Ibidem. S. 78.

2) Ibidem. S. 79.


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Die Geschichte dieser Ehe ist, darin hat G i n i s t y unbedingt recht, der Schlüssel zum Verständnisse des seltsamen Charakters des Marquis de Sade. Das Ende der Ehe bestätigt dies. Denn kurz nach seiner Entlassung aus der Bastille vergalt er die leidenschaftliche Liebe, mit der seine Gattin bis zuletzt an ihm hing, noch durch eine letzte Beschimpfung, indem er die Scheidung ,,von Körper und Wohnung" be- antragte und wirklich durch gerichtlichen Be- schluss vom 9. Juni 1790 erreichte, dass dieselbe ausgesprochen und die Marquise als der schul- dige Teil befunden wurde, während er zu gleicher Zeit die Präsidentin von Fleurieu zur Mai- tresse hatte !i)

Von diesem Tage an hörte die ,, Marquise de Sade" auf zu existieren, sie nahm ihren Familien- namen de Montreuil wieder an. Ihre Söhne wanderten aus. In tiefster Einsamkeit, wohin nur ab und zu das Gerücht von einem neuen durch ihren Gatten provocierten Skandale drang, starb sie zu Echauffour am 7. Juli 1810. ,,Sie hatte reichlich der menschlichen Misere ihren Tribut gezollt", mit diesen treffenden Worten beschliesst Ginisty die tragische Geschichte der Ehe des Marquis de Sade. 2)


1) Ibidem S. 86—87.

2) Ibidem. S. 87.


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Eine andere merkwürdige Episode in dem langen Gefängnisleben des Marquis de S ade ist ebenfalls von Grinisty aufgedeckt worden. Es ist sein Liebesverhältnis mit Fräulein von Rous- s e t , der intimen Freundin seiner Frau.

Gr i n i s t y fand in dem Archiv der Bastille die gesamte Korrespondenz der Mlle. de Eous- s e t mit dem Marquis de S a d e auf und hat nach derselben diese eigentümliche Verbindung zwischen beiden in einem besonderen Essay be- handelt,

In diesem Romane erscheint der „terrible marquis" als ein veritabler platonischer Lieb- haber, wiederum also in einem neuen Lichte, so dass man erstaunt ist über die sonderbaren Gegensätze in dem Wesen dieses rätselhaften Menschen. Auch bezeugen diese Briefe, dass er trotz aller durch ihn verursachten Skandale immer noch bei seinen Zeitgenossen als ,, salon- fähig" galt. Er war ihnen höchstens ein ,,grand mauvais sujet", nur etwas mehr Lebemann als andere Lebemänner. Man konnte unbeschadet der eignen Ehre mit ihm in Verkehr treten.

Fräulein von R o u s s e t war eine Proven- zalin. Der Marquis de Sade hatte sie während seines Aufenthaltes in dem Schlosse La Coste kennen gelernt. Sie war ein Mädchen von sehr unabhängigem Charakter, reichem Geiste, sehr ,,18. Jahrhundert", mit einem Gran sentimentaler


1) jjUn amour platonique du marquis de Sade in: ,,La Marqnise de Sade". S. 89—134.


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Philosophie, im ganzen aber eine gutherzige, ihren Freunden ergebene Person.

Wahrscheinlich hatten schon früher zwischen ihr und dem Marquis de Sade leichte galante Beziehungen ohne irgend welche Folgen statt- gefunden und sie hatte es auf geistreiche xlrt verstanden, sich gegen ernstere Absichten zu wehren, da ohnehin der Marquis durch andere Weiber zur Genüge in Anspruch genommen war. Eine dauernde gegenseitige Zuneigung hatte diesen galanten Plänkeleien Platz gemacht. Das Missgeschick des Marquis de Sade hatte Fräulein de Eousset nur mit Mitleid erfüllt. Tadel hatte sie nicht dafür. Auch war sie von allen Skandalen genau unterrichtet, da sie nicht zu den Frauen gehörte, die an derartigen freien Geschichten Anstoss nahmen.

Im Jahre 1778 genoss sie die vertraute Freundschaft der Marquise de Sade und war die Vertraute aller ihrer Bekümmernisse wegen des unverbesserlichen Gatten. Sie repräsentierte in diesem Verhältnis den gesunden Menschen- verstand und erteilte der Freundin, deren Leiden- schaft für ihren Gatten sie völlig begriff, sehr vernünftige Eatschläge. Sie ärgerte sich aber darüber, dass die Marquise litt und dass ihr Ge- mahl sie leiden liess und machte der Marquise diese sentimentale Haltung zum Vorwurf. Sie nahm auch keinen Anstand, dem Marquis sein unerhörtes Benehmen gegen seine Frau vorzu- halten. Sie erblickte darin aber entschuldigend nur einen Ausfluss der Langenweile. Sie durch-


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suchte mit der Marquise eifrig alle Magazine von Paris, um alle die Gegenstände, die der Marquis verlangte, herbeizuschaffen. Sie war es auch, die den Briefwechsel mit dem Verwalter der proven- zalischen Güter, Gaufridy, übernahm, mit dem der Marquis unzufrieden war. Sie intervenierte bei den Zerwürfnissen zwischen dem Marquis de Sade und seiner Frau und suchte den Wüten- den zu beruhigen und ihn von der heissen Liebe seiner Gattin zu überzeugen. Auch wachte sie über seine Gesundheit. Als er einmal einen Polizeibeamten sehr schlecht empfangen hatte, machte Fräulein von E o u s s e t ihm heftige Vor- würfe darüber und mahnte ihn zur Ruhe, zur Ver- nunft und Geduld.

Aus alledem geht ein sehr ernstliches Inter- esse hervor, das sie für den Marquis hegt. Sie diktiert ihm sogar die Briefe, die er an sie schrei- ben soll, um ihm die Art und Weise deutlich zu machen, wie er seine üblen Launen bekämpfen müsse. Sie versucht, ihn in ihren Briefen zu zer- streuen, abzulenken, erzählt ihm von allem, was in La Coste vorgeht, plaudert mit ihm über Lite- ratur, berichtet ihre und anderer Frauen Ein- drücke über Richardsons Roman ,,Clarissa Harlowe", die recht interessant sind.^)

1) ,,Dans Glarisse, j'ai parcouru quelques lettres, dans le temps qu'uue de mes connaissances les lisait ä une campagne pres Paris, oü j'etais aussi. Cette femme, remplie d'esprit, mais absolument insensible au plaisir comme ä la peine, au bien comme au mal, je vis que la lecture de Cla risse faisait sur eile une espece de Sensation qu£ m'interessa. Comme je suivais son caractere depuis loug-

Diiliren, Neue Forschung-en über de Sade. 21


Dies führt sie auf die arme, \'on ihrem Manne so schlecht behandelte Marquis e, für die sie ein freundliches Wort erbittet : „Die Frauen sind im allgemeinen freimütig. Wer von Ihnen beklagt sich darüber, meine Herren? Nur der Marquis de Sade will nicht, dass seine Frau ihm sage: ,,Ich bin Dein zweites Ich." Und doch ist es so hübsch und süss. Wenn ich einen Liebsten oder Gatten hätte, müsste er es mir hundert Mal am Tage sagen."

Sie tadelt ihn wegen seiner masslosen Eifer- sucht und schliesst einen ihrer Briefe mit dem Wunsche, dass der Himmel ihn vor einer Leiden- schaft für sie bewahren möge. Sie sei zwar häss- lich, derbe, geradezu, eine ewige Moralpredigerin, aber ihr Wesen habe auch eine Kehrseite, die nicht ohne Anmut sei und etwas Verlockendes für viele Männer habe. Diese könne ihm gefähr- lich werden.

Mit diesen Zeilen, die ihren Eindruck auf den Marquis nicht verfehlten, beginnt der kleine Koman zwischen den beiden, erwacht in dem Marquis eine ganz neue Art der Liebe, eine blosse Liebe des Kopfes. Er wusste übrigens ganz genau, dass Mlle. de Eousset durchaus nicht häss- lich war, sondern ein sehr einnehmendes Aeussere


temps, je jugeai que le roman devait etre ecrit avec force . . Je le feuilletai ; ie caractere de Lovelace est un melange de bon et d'odieux: j'aurais deteste les lioniines si javais con^ tinue la lecture. Celui de la tendre et aimable Ciarisse ine plut davantage ; c'est la premiere fois de ma vie oü je me suis f elicitee d'etra femme." Ginisty a. a. O. S. 104 — lOo.


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liatte. Sie war schlank und gross, von elegantem Wüchse und hatte ein sehr pikantes Gesicht. Sie gefiel den Männern und wusste das sehr wohl.

Die ehemalige Freundin erschien jetzt dem im Gefängnis isolierten Marquis als eine ,,vision aimable", die ihm seine Einsamkeit verschönerte. Ihr Bild beherrschte seine Phantasie. Ihr Ein- fluss aus der Ferne weckt neue, seltsame, nie gekannte Gefühle in ihm. Sein Herz verjüngt sich, in seiner Seele regt sich etwas Frisches, Ursprüngliches. Er wird sentimental, träumt mehr als dass er begehrt. In dieser lyrischen Stimmung verfasst er eine poetische Antwort auf den Brief der Geliebten. Die Empfängerin, heiter und die Absicht dieser geistigen Spielereien nicht ahnend, antwortet im selben Tone, halbironisch. Sie ist völlig im unklaren darüber, dass der j\Iarcj[uis von einer ,,amour troubadouresque" zu ihr ergriffen ist. -Er aber will ernst genommen sein. Es entspinnt sich ein interessanter Liebes- roman in Briefen. Sie schreibt ihm ironisch : ,,Die Frauen, die Sie bisher gekannt haben, liebten und .schmeichelten Ihren Leidenschaften und Ihrem Gelde. Bei der ,, heiligen E o u s s e t" gibt es nichts derartiges zu beissen. Woran wollen Sie sich denn bei der halten ? Sie heucheln zarte Empfindungen und was dazu gehört. 0, ich kenne das. Glauben Sie mir, betreten Sie nicht den Kampfplatz. Es ist noch Zeit. Ich glaube Tantalus am Ufer des Flusses zu sehen. Ich versichere Sie, Sie werden nicht trinken."

Indessen beantwortete Fräulein de R ou s s e t

21*


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alle seine verliebten Briefe und fand selbst Gre- schmack an dieser Korrespondenz, so dass sie dieselbe vor ihrer Freundin, der Marquise de Sade, verheimlichte. Man philosophierte lang^ und breit über die Liebe, und vor allem war die folgende These des Marquis Gregens tand der Spekulation: ,,Ein Geschlecht, das stets falscher und lügnerischer war als das unsrige, zwingt uns- seine Laster nachzuahmen, um seine Reize zu besitzen." Diese sentimentale Dialektik wurde von kleinen Geschenken begleitet. Eines Tages schickte der Marquis — faute de mieux — Zahn- stocher, über welche Idee Mlle. de Eousset ge- rührt ist. ,, Dieses Geschenk," schreibt sie, ,,ist mir mehr wert als 50 Louisdor. Sie bewegen meine Seele auf eine seltsame Weise. Wer hätte mir gesagt, dass Zahnstocher eine solche Wirkung hervorbringen würden?" Ein anderes Billett hat einen noch zärtlicheren Schluss : ,,Ich nehme Ihren Kuss an, oder um Inich besser auszudrücken, ich bewahre ihn nur auf, um ihn Ihnen zurück- zugeben."

Kurz, Fräulein von R o u s s e t , die mit dem Feuer spielte, hat sich arg daran gebrannt. De Sade hat brieflich den Weg zu diesem starken Herzen gefunden. Diese Philosophin ist plötzlich überrascht, sich so heftigen Emotionen zugäng- lich zu finden. Das Unglück und die ,,sensibilite"" des Marquis de Sade haben diesen Sieg vol- lendet. Unter ähnlichen Umständen gewann M i r a b e a u das Herz der Mlle. J u 1 i e D a u v e r s. Die Magie der Worte hat Frl. von R o u s s e t be-


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Tauscht. Sie steht ganz in Flammen. Der Mar- quis erscheint ihr in einem sehr verführerischeil X/ichte, er hat alle, ihr selbst unbewusst in ihr schlummernde Romantik geweckt.

Jetzt wird der Ton ihrer Briefe ernst und schwermütig wie von verhaltenen Tränen. Sie iühlt seine Leiden nun wirklich mit. Weshalb hat er ihr auch von Liebe gesprochen?

Von jetzt an schreibt sie aus Vorsicht und .aus — Raffinement nur noch provenzalisch. Ihre Freundschaft für die Marquise de Sade hat sich nicht vermindert, obgleich sie sie verrät. Im Gegenteil verdoppelt sie ihre Aufmerksamkeiten für dieselbe, während sie den leidenschaftlichen Einflüsterungen des Marquis mehr und mehr nachgibt. Nur zum Scheine erklärt sie, dass sie nur jemanden lieben könne, der in ihrer Nähe .sei und dem sie täglich tausend Küsse geben könne. In Wirklichkeit scheint die Entfernung von dem Geliebten nur stimulierend auf sie ge- vi^irkt zu haben. Merkwürdig ist die Art, wie sich ihr das Bild dieses Libertins verklärt. Sie spricht von seinem ,, Zartgefühl" (delicatesse), sie nennt ihn sogar ihren ,, lieben kleinen Heiligen", ihn — den Verfasser der ,,120 Tage von Sodom" ! Frei- lich hat der ,, divin marquis" sie auch auf pro- venzalisch angedichtet I^) Ihre Briefe, die sie ihm heimlich zustellen lässt, werden immer leiden- schaftlicher, sie duzt ihn und sagt ihm tausend .Zärtlichkeiten. ,,Mein teurer de Sade, Wonne


1) Vergl. die Verse bei G- i n i s t y a. a. O. S. 121.


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meiner Seele, ich sterbe, weil ich Dich nicht sehe. O könnte ich mich doch auf Deine Knie setzen^ meinen Arm um Deinen Nacken schlingen, Dich soviel ich wollte mit Küssen bedecken, Dir tausend hübsche Dinge ins Ohr flüstern, und wenn Du Dich taub stelltest, würde mein Herz, gegen das Deine schlagend Dich wohl fühlen lassen, dass ich eine zärtliche, fein empfindende Seele habe, und gewiss, ich würde die Deinige erheitern. Lebe wohl. Du meinem Herzen Teuer- ster. Ich umarme Dich wie Du es am liebsten magst."

Aus diesen Schlussworten ersieht man, dass der geistige Verkehr mit einem de Sade bereits seine volle Wirkung auf die ursprünglich so zurückhaltende junge Dame ausgeübt hatte. Vielleicht wäre es doch auf irgend eine Weise zu einer physischen Annäherung zwischen den beiden gekommen, wenn nicht die Marquise de Sade eines Tages einen Brief des Fräulein de- Eons s et aufgefunden hätte und so die letztere noch zur rechten Zeit zur Besinnung brachte. Von nun an wird sie wieder ernst und zurück- haltend in ihren Briefen an den Marquis. Dieser aber wittert hinter diesem plötzlichen Umschlage irgend eine Tücke, wird in gewohnter Weise grob^ so dass sie genötigt wird, ihren ,, lieben Heiligen"' von ehedem gehörig abzukanzeln. ..Heute schicken Sie mir zweitausend Küsse, morgen zweitausend Grobheiten. Diese Manier missfällt mir gründlich und ekelt mich derartig an, dass ich am liebsten gar nicht wieder antworten


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möchte." Dieser völlige Brucli erfolgte recht bald. Der Marquis bat nicht um Verzeihung, sondern verletzte sie durch weitere beleidigende Briefe^ bis er im Mai 1779 das folgende kurze Absage- schreiben erhielt:

5, Halt, mein Herr, schreiben wir uns nicht mehr. Es lohnt nicht, dass wir uns Grobheiten sagen. Das verletzt zu sehr das Herz. Ich will niemanden hassen. Sie werden leicht, nicht wahr^ und ohne grosse Anstrengungen vergessen. — Ich meinerseits hoffe Sie darin noch zu übertreffen."

Dieses Schreiben liess der Marquis de Sade ohne Antwort. Grinisty meint, dass sie viel- leicht gern eine solche erwartet hätte und sogar die groben Briefe des Marquis dem gänzlichen Stillschweigen vorgezogen hätte. Jedenfalls schrieb sie im März 1781 wieder an ihn, nachdem sie erfahren, dass er sich nach ihr erkundigt hatte und blieb ihm fortan eine treu ergebene Freun- din. So reiste sie 1782 nach der Provence, um ein wenig Ordnung in den Zustand seines Gutes La Coste zu bringen, wo die Küchen ,,d'une cochonnerie" waren, „ä faire vomir trente-six Chats". Sie empfahl dem Marquis als Nachfolger des Intendanten Gaufridy einen ehemaligen Advokaten Euppert de Roussillon. In einigen weiteren Briefen schildert sie ihm den Park von La Coste und erzählt einige Lokalge- schichten. Dann hört die Korrespondenz auf.

Jedenfalls bildet diese platonische Liebe eine der seltsamsten Episoden in dem merkwür-


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cligen Leben des Marquis de S a d e . von dem man alles eher hätte erwarten können, als dass er in solchen Gefühlen schwelgen und sie einer edlen Frau einflössen konnte.


Am 29. Februar 1784, 7 Uhr abends, wurde der Marquis de Sacle durch den Polizeiinspektor Surbois von der Festung Vincennes in die Bastille überführt, laut königlicher, vom Gou- verneur von Breteuil gegengezeichneter Ordre vom 31. Januar. Der Bericht über diese Ueber- fülirung wurde am 1. März dem Minister und dem Polizeileutnant Lenoir erstattet. Herr Alfred Begis besitzt das interessante Kegister der Bastille, in dem die Notizen über den Mar- quis de Sade während seines Aufenthaltes in diesem Gefängnisse enthalten sind und das bis zum 12. Juli 1789 fortgeführt ist.^) Am 5. März überzeugte sich Lenoir selbst von dem Befin- den des Marquis in seinem neuen Gefängnisse. Aus den von Begis publicierten Notizen seien einige besonders interessante hervorgehoben.

16. März 1784. Die Frau Marquise de Sade kam um 4 Uhr und blieb auf besondere, von diesem Tage datierte Erlaubnis des Herrn Le- noir bis 7 Uhr mit ihrem Gatten zusammen. Sie darf ihn zweimal im Monate sehen und also


Die den Marquis de Sade betreifenden Notizen hat Herr Bögis in der November-Dezember-Nummer der „Nouvelle ]levue". 1880. S. 528 ff . veröffentlicht.


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am 27. wiederkommen. Sie hat ihm 6 Pfund Wachskerzen mitgebracht.

14. April. Der Herr Gouverneur hat es für gut befunden, dass man dem Herrn Marquis de S ad e ein rundes Messer zum Essen lasse, welches er jeden Tag beim Abdecken wieder zurückgeben muss.

20. April. Herr Gerard, Notar, kam, um den Marquis de Sade eine Vollmacht unter- ^leichnen zu lassen. Dieser aber verweigerte die Unterschrift.

24. Mai 1784. Madame Marquise de Sade kam um SVs Uhr und blieb bis 6 Uhr bei dem Marcjuis de Sade, ihrem Gatten. Sie brachte •ein Paar Betttücher, 19 Hefte Papier, 1/2 Pfund Altheenteig (päte de guimauve), eine Flasche Tinte, eine Flasche Mandelmilch und eine Schach- tel Chokoladepastillen.

7. Juni 1784. Die Marquise de Sade kam um 4 Uhr und blieb bis 6 Uhr bei ihrem Gatten. Sie brachte ihm 6 Mützen ( !), 6 dicke zugeschnit- tene Schreibfedern, 6 Gänsekiele, und 21 Hefte liniiertes Papier. Auch hat sie ihm, aber gegen E/ückgabe, zwei broschierte Komödien und drei gebundene Bände der ,, Reisen nach Marokko" und der ,, Reisen zum Loskauf der Gefangenen" mit- gebracht.

24. September. Dem Herrn Präsidenten de M o n t r e u i 1 (aus ihm und dem Herrn L e - noir bekannter Ursache) eine Quittung über 350 Livres für 1 Monat und 23 Tage Pension für den Marquis de Sade gegeben, bis 1. Ok-


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tober. Der Herr Gouverneur hat das Geld in. Empfang genommen.

5. Oktober 1786. Die Herren Gibert der ältere und Girard, Notare, kamen, um Herrn de S a d e nach dem Wunsche seiner Familie eine Vollmacht zur Unterzeichnung vorzulegen, was. dieser verweigerte.

20. Januar 1787. An Madame die Marquise de Sade geschrieben und sie im Namen des Herrn Gouverneurs gebeten, dem Herrn Marquis de Sade Wein zu schicken, denselben, den sie trinkt, wofür wir bezahlen wollen, dieses Ent- gegenkommen geschieht, um dem Marquis de Sade etwas Angenehmes zu erweisen und seinen- Wunsch den Wein, an den : gewöhnt ist, zu. trinken, zu befriedigen."

Man ersieht aus diesen I>'otizen, dass das Leben de Sades in der Bastille ziemlich er- träglich war, dass er seine Lese- imd Schreib- lust dort ungehindert befriedigen konnte und auch durch seine Frau mit der Aussenwelt einiger- massen in Verbindung blieb. Charakteristisch ist das alte Misstrauen, das er seiner Familie gegen- über hegte, wie er es hier in der Verweigerung seiner Unterschrift beweist.

Der Aufenthalt in der Bastille dauerte bis zum 4. Juli 1789. Kurz vor dem Falle dieser Zwingburg wurde er infolge mehrerer Skandal- scenen von dort nach Charenton gebracht (durch den Polizeiinspektor Quidor). Sein Aufenthalt hier dauerte (nach einem dort aufbewahrten alten Aktenstück) vom 4. Juli 1789 bis zum 3. April


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1790. Seine Frau musste 4000 Francs Pension für ihn zahlen.^)

Das Verhalten de S a d e s während der fran- zösischen Eevolution, in deren erstem Jahre er seine Freiheit erlangte, ist bereits in dem frü- heren Werke dargestellt worden. 2)

Neu war das grosse Interesse, das er nun dem Theaterleben zuwandte. In ,, Aline et Valcour", welche Schrift damals eben entstan- den war, tritt er als ein begeisterter Lobredner des Theaters auf und empfiehlt namentlich den Frauen die Schauspielkunst als einen höchst wür- digen und edlen Beruf. ,,Man wird stets mit Ach- tung die Namen der Gr a u s s i n , der D o 1 i g n i ,. der P r e V i 1 1 e (berühmter Schauspielerinnen) aussprechen." Der Schauspieler ist der Held des. Tages, schnell wird er berühmt, ist in aller Leute ]Munde, und die Pforten der Vornehmen stehen ihm offen. 3)

Ebendaselbst gibt er eine interessante Ueber- sicht über die populärsten Theaterstücke seiner- zeit.^)

Er selbst begab sich unter die Theaterschrift- steller und sogar Schauspieler, und spielte in der Geschichte des französischen Theaters während der Eevolution eine gewisse Rolle. Octave U z a n n e hat mehrere Briefe (4 an der Zahl) ver-

1) Gab an es a. a. O. S. 319.

2) „Der Marquis de Sade". S. 327—336.

3) Aline et Valcour. III, 407—408, vergl. auch II, 359.. Ibidem. III. S. 435.

5) Vergl. H. Welscbing-er „Le Theätre de la Revolu- tion", 1880, S. 25.


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off entlicht, die de Sade in Sachen seiner Theaterstücke an die Direktion der Comedie Trangaise schrieb. Dank der gütigen Erlaubnis des Archivars des Theätre - Frangais, Herrn G. Monval habe ich noch zwei weitere, bisher un- veröffentlichte Briefe des Marquis de Sade aus dem Archiv dieses Theaters kopieren und an dieser Stelle zum ersten Male veröffentlichen dürfen.

Der erste vom 17. Februar 1791 datierte JBrief bezieht sich auf die Vorlesung eines Dra- mas vor den Leitern des Theaters, die offenbar grosses Fiasko gemacht hatte. De Sade schreibt :

,, Geehrter Herr, da die Comedie Frangaise mir nicht die Hoffnung gemacht hat, dass sie mich für die sehr wenig verdiente, schlechte Aufnahme entschädigen wolle, die ihre Versammlung kürz- lich dem Stücke bereitete, das ich ihrem Urteile unterbreitete, so bitte ich Sie, geehrter Herr, mich gütigst für eine neue Vorlesung einschreiben zu wollen. Nur noch 2 oder 3 ähnliche Stücke, wie das letzte, und es ist völlig sicher, dass ich nicht mehr lästig fallen werde, weder Ihnen noch der Comedie Frangaise. Ich habe die Ehre, mich Ihnen aufrichtig als Ihr ergebener und gehorsamster Diener zu empfehlen. De Sade."

Die Erlaubnis zu einer neuen Vorlesung muss ihm etwa im September 1791 gewährt worden sein. Hierauf deutet ein zweiter Brief vom 1. März 1793 hin.


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5, Bürger !

Ich habe die Ehre, Ihnen anbei ein Lustspiel in einem Akte und in freien Versen zu über- senden, das ich vor 18 Monaten vor der Comedie Frangaise vorgelesen habe. Ihre Eegister werden bezeugen, dass nur eine einzige Stimme fehlte, damit das Stück angenommen wurde. Die Ver- sammlung willigte in eine zweite Vorlesung ein,, wenn ich die von ihr vorgeschriebenen Ver- änderungen vorgenommen haben würde. Diese sind jetzt ausgeführt. Ich bitte Sie, gütigst die Widmung annehmen zu wollen und lege unter der einfachen Bedingung, dass man das Stück sofort aufführt, in Ihre Hände den Akt des Ver- zichtes auf alle Rechte und Autorenentschädi- gungen nieder. Ich kenne das Zartgefühl der Co- medie Frangaise in bezug auf diesen Punkt. Aber ich bitte Sie, zu beachten, dass ich auch das. meinige m Betracht ziehe und dass es mir vor- schreibt, das Komitee zu bitten, diese Kleinig- keit anzunehmen. Dieselbe Gunst ist Herrn von S e g u r gewährt worden, ich hätte ein Recht, mich, zu beklagen, wenn sie mir verweigert würde. Ich. brauche aber von selten der Herren Schauspieler der Nation eine derartige Verletzung meiner Eigenliebe nicht zu befürchten. Ich empfehle mich Ihnen brüderlich, Bürger, als Ihr Mitbürger

S ade.

Den ersten März 1793, im zweiten Jahre der Republik. Eue neuve des Mathurins No. 20„ Chaussee de Montblanc."


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Die übrige Scliriftstellerei des Marquis de S a d e vor, während und nach der Eevolution wird weiter unten im Zusammenhange behandelt werden. Hier sei nur mit einigen Worten die Schrift jjZoloe et ses deux acolytes" berührt, die im Thermidor des Jahres YIII (1800) erschien und so verhängnisvoll in seinem weiteren Lebens - gang eingriff. Dieses obscöne Pamphlet war gegen die Berühmtheiten des Direktoriums, namentlich gegen die Gattin Bonapartes, die die Zoloe" der Schrift ist, ferner gegen Madame Tallien (,,Laureda"), Bonaparte (jjd'Orsec") u. a. grichtet. Ausdrücklich ver- sichert der Verfasser, dass. seine Geschichte der Wirklichkeit entnommen sei. Es sei nicht seine Schuld, dass sie voll sei von Bildern der Unzucht, der Perfidie und In- trigue. Die Schilderung der ,,Zoloe" (Josephine von Beauharnais, Bonapartes Gattin) und ,,Laureda" (Madame Tallien) mutet wie eine Beschreibung aus der ,,Juliette" an.i) Auch


1) ,,Zoloe a TAmeriquc pour origine. Sur les limites de la quarantaine, eile n'en a pas moins la pretention de plaire comme ä vingt-cinq. A un ton tres Insinuant, une dissimulation hypocrite consommee, ä tout ce qui peut seduire et captiver, eile Joint l'ardeur la plus vive pour les plaisirs, une avidite d'usnrier pour l'argent, qu'elle dissipe avec la promptitude d'un joueur, un luxe effrene, qui en- gloutirait le revenu de dix provinces. Elle n'a Jamals ete belle, mais ä quinze ans sa coquetterie dejä raffinee avait attache ä son char un essaim d'adorateurs. Loin de se disperser par son mariage avec le comte de Barmont (de Beauharnais), ils Jurerent tous de ne pas etre mal- heureux, et Zoloe, la sensible Zoloe, ne put consentir ä


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!

die Laster anderer Personen aus der vorneliinen •Oes ellschaft des Direktoriums werden in diesem Pamphlet scharf gegeisselt. Daher begreift man den Zorn der angegriffenen einflussreichen Per- .sonen. Die Eache Hess nicht lange auf sich warten. Auf Befehl Bonapartes wurde de •Sa de am 5. März 1801 verhaftet, erst nach Sainte Pelagie und Bicetre, dann als unheilbar Verrückter" am 30. August 1803 nach Charenton gebracht, in welcher Irrenanstalt er bis an sein Debensende (2. Dezember 1814) verblieb.

Charenton war damals die Anstalt, wo- hin man alle Individuen, die sich durch ihr Ver- halten in der Gresellschaft unmöglich gemacht -hatten, brachte, auch ohne dass sie geistes- krank waren. ,,Nur noch vor wenigen Jahren,"

sagt Casper, ,,war Charenton ein verbor-

,gener Schlupfwinkel für den moralischen Aus- wurf der bürgerlichen Gesellschaft ; man steckte hier hinein die ,,mauvais su- jets", (im schlechtesten Sinne des Wortes) Menschen, die Laster geübt liatten, deren Offenbarung sich nicht für das öffentliche Gerichtsverfahren schickte, das in Frankreich gebräuchlich ist ; andere, die man wegen grober politischer Vergehen der Verbannung, vielleicht gar dem


leur faü'e violer leur serment . . Laureda justifie l'opi- nion que Ton a congue de la nation espaguole; eile est tout feu et tout amour. Fille d'un comte de nouvelle -date, mais extremement riebe, sa fort Line lui permet de -satisfaire tous ses gouts/'


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Tode entziehen wollte, wieder andere, die sick als schlechte Werkzeuge hoher Kabalen hatten, brauchen lassen."^)

Dann spielt C a s p e r auch auf die ,,b e r ü c h- t i g t e n Komödien" an, die in Charenton früher von den Insassen aufgeführt wurden,^) wo- mit wahrscheinlich die von de Sade dort ver- anstalteten Theateraufführungen gemeint sind.. Interessant ist auch C a s p e r s Schilderung der Einrichtungen für die Annehmlichkeiten der Kranken. 3)

Dr. Cabanes hat neuerdings in dem Archiv der Irrenanstalt Charenton eine Denkschrift des früheren Direktors derselben Maurice P a 1 1 u y gegen Donati en Claude Armand de Sade, den ältesten Sohn des Marquis de Sade aufgefunden.^) Aus dieser geht hervor, dass die Anstalt mit der Familie des letzteren, speziell dem erwähnten Sohne über die Pension des Mar- quis verhandelt hatte. Der Marquis war zuerst in Sainte-Pelagie, dann in Bicetre interniert wor-

1) Joh. Ludw. C asper „Charakteristik der franzö- sischen Medizin", Leipzig 1822. S. 458—459.

2) ibidem.

3) ,,Zur Erheiterung der Kranken dienen jetzt einmal der kleine Garten vor dem Hospital, der auf einem ab- hängigen Hügel gebaut ist, und eine weite, unbegrenzte Aussicht auf die Felder erlaubt, — dann mehrere kleine Refectoirs, die Oefen haben und zu Versammlungspunkten dienen, und endlich eine Bibliothek und zwei mit fran- zösischem Luxus dekorierte Zimmer, in denen sich die Re- convalescenten und die ruhigen Kranken abends mit Karten-, Schach-Spiel und Lektüre die Zeit kürzen sollen." Casper a. a. O. S. 459.

4) Abgedruckt bei Cabanes a. a. 0. S. 315—320.


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den. .jSeine Familie," sagt Palluy, „suchte, um soviel wie möglich die Schande seiner Schriften zu mildern, die Perversität des Marquis für Geisteskrankheit erklären zu lassen und machte alle Anstrengungen, um seine Ueberführung in die maison de sante von Charenton zu bewirken." Die Pension für den Marquis wurde auf jährlich 3000 Francs festgesetzt, in Anbetracht der grossen Vorsichtsmassregeln, die die Polizei für eine Verhinderung der Flucht des Gefangenen verlangt hatte. Hierauf wurde de Sade am 7. Floreal des Jahres XI (30. April 1803) nach Charenton transportiert. Nach Palluy führte sich de Sade hier in den nächsten Jahren so skandalös auf, dass der Polizeiinspektor des 4. Arrondissements am 17. August 1809 die Ueber- führung des Marquis in die Festung Ham ver- fügte, gemäss einer Entscheidimg des Polizei- ministers vom 11. November 1808. Durch Ver- mittlung der Familienangehörigen unterblieb die Ausführung dieser Ordre.

Viele Jahre nach dem Tode des Marquis de Sade entspann sich zwischen der Anstalt in Charenton und dem Sohne Armand de Sade ein Prozess wegen der von dem Marquis hinter- lassenen Schulden an die Anstalt im Betrage von 7534 Livres, die Armand de Sade zu zahlen verweigerte. Er gewann auch schliesslich den Prozess, der nach 17 Jahren, am 24. Juli 1832 zu seinen Gunsten entschieden wurde.i)

1) Vergl. Gab an es a. a. O. S. 318.


TJühren, Neue Forschiingen über de Sade.


22


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Nachdem wir so die neuen Tatsachen, die in den letzten vier Jahren über das Leben des Marquis de S a d e bekannt geworden sind, in ziemlicher Vollständigkeit zusammengestellt haben, wenden wir uns der Betrachtung der P e r- sönlichkeit des divin marquis" zu, wie sie uns als Schriftsteller und als Mensch ent- gegentritt. Kann man den Schriftsteller von dem Menschen scheiden? Ist es möglich, aus seinen Schriften Schlüsse auf seinen Charakter zu ziehen? Wie gross ist die Verantwortlichkeit des Menschen für seine Werke, oder besteht über- haupt eine solche? Diese Fragen verlangen eine Antwort. Leicht ist sie nicht, denn es handelt sich um einen höchst komplizierten Cha- rakter, der in seine einzelnen Komponenten zer- legt werden muss, um ganz begriffen zu werden.

Die schriftstellerische Tätigkeit des Marquis de Sade, die ich in den letzten Jahren einer eingehenden Untersuchung unter- worfen habe, als deren Resultat zahlreiche neue Tatsachen weiter unten mitgeteilt werden, diese literarische Tätigkeit beleuchtet auch vielfach Geistesart und Charakter de S a d e s auf eine neue Weise.

Schon Baudot hat in sehr geistreicher und zutreffender Art in seinen von Madame Edgar Qu in et herausgegebenen ,, Notes historiques" sein Urteil über den Geisteszustand des Marquis de Sade aus der Betrachtung seiner Schrift- stellerei hergeleitet.

Er sagt : ,, I n i h m 1 a g e n K e i m e d e r E n t-


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a^rtung (depravation), aber es bestand keine Geisteskrankheit. Eine derartige Arbeit setzte ein wohl geordnetes Gehirn voraus. Ja sogar allein die Komposition seiner Werke erforderte zahlreiche Forschungen in der alten Tind neueren Literatur und hatte den Zweck zu erweisen, dass die gros st en Depravationen von den Griechen und Eömern gestattet worden seien. Diese Art von Untersuchung war ohne Zweifel nicht moralisch, aber es gehörte Vernunft und üebe riegung dazu, um sie auszuführen und zwar eine gesunde Vernunft, um diese Untersuch- ungen, die er in der Form von Romanen durch- führte, auf deren Tatsachen er eine Art von Dok- trin und System aufbaute, zu vollenden. "i)

Nun wissen wir zwar, dass auch veritable Geisteskranke ihre absonderlichen Ideen in eine Art von System bringen, vielleicht daraus auch -eine Art von Roman oder poetischer Darstellung machen können. Sie würden aber ihre Ansichten einseitig ausspinnen, sich ganz in ihr System •einleben. Es spräche eine durchaus einseitige, nämlich ihre eigene Welt- und Lebensauffassung -allein aus dem Werke. De Sade aber hat sich unter Aufwendung einer erstaunlichen Arbeits- kraft, unter Heranziehung eines mit Sorgfalt und Umsicht verwendeten ungeheuren literarischen Materiales bemüht, wirkliche Gemälde der Welt, des Lebens, der Gesellschaft zu liefern in ihrer ganzen Farbenpracht, in aller Vielseitig-


1) A^erg-l. C a b a n e s a. a. O. S. 295.


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k e i t der Interessen und Meinungen. Ein Mann^ der unmittelbar nach dem furchtbaren Bor- deHroman .,Die 120 Tage von Sodom*' ein so um- fassendes Bild der Ideen und Bestrebungen seiner Zeit, wie es in ,,Aline et Yalcour" enthalten ist, zeichnen konnte, kann nicht geisteskrank im engeren Sinne des Wortes gewesen, sein.

Die literarische Physiognomie des Marquis de Sade ist eine doppelte. Auf der einen Seit& völliges Untergehen, Versinken im bloss Ge- schlechtlichen: ,, Justine und Juliette", ,,Die- Philosophie im Boudoir" und beide hundertfach an grauenhaften Bildern des Lasters übertreffend. ..Die 120 Tage von Sodom". Wenn man diese Romane liest, möchte man beinahe wieder an die Lehre von den Monomanien glauben. Sie sind in der Tat inspiriert und beherrscht von einer- Art von sexueller Monomanie.

Auf der anderen Seite ein weiter, freier Blick über alle Lebensverhältnisse von komparativen. Gesichtspunkten aus, der über alle Gebiete der Erde schweifend, gleich Voltaire, von der ,,geographie morale" aus eine neue Lehre vom. Menschen, neue Grundlagen der menschlichen. Gesellschaft begründen möchte: ,,Aline und Val- cour", welche Schrift mit Recht den Untertitel führt ,,der philosophische Roman", und : die ,,Idee über die Romane".

Und welcher Scharfsinn, welche Kombina- tionsgabe, welches immense Gedächtnis entfaltet sich in allen diesen Schriften, auch den obscönen L


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Sie sind das Ergebnis einer ungeheuren Be- lesenheit, einer encyklopädischen Vielseitig- keit geistiger Interessen, die uns trotz allem zu einer gewissen Bewunderung nötigt.

Die Betrachtung der Greistesnahrung früherer Epochen, der wir überhaupt mehr Aufmerksam- keit zuwenden sollten, gewinnt, angewendet auf den Marquis de Sacle, ein ausserordentliches Interesse. Er muss ein unermüdlicher Leser ge- wesen sein, wie wir nicht nur aus der grossen Zahl der von ihm citierten Autoren, sondern viel- leicht noch mehr aus der universellen Richtung seiner Studien schliessen dürfen.

Seine Lektüre umfasste in der Tat alle Gebiete des menschlichen Wissens, eingehende Citate, häufig mit genauer Angabe der Ausgabe u.nd der Seitenzahl bezeugen, dass er die be- treffenden Werke wirklich gelesen hat. Vieles mag freilich sekundären Quellen entlehnt sein. Aber es bleibt noch genug eigenes Quellenstudium übrig, um de Sade das Epitheton eines un- gemein belesenen Bibliophilen zu erteilen. Wir wissen ja auch aus seiner Lebensgeschichte, dass der Umgang mit Büchern ihm sicher noch unentbehrlicher war als derjenige mit Weibern. Auch im Gefängnisse folgte er mit lebhaftem Interesse der literarischen Bewegung seiner Zeit, über die er selbst in der ,, Id.ee sur les Romans" einige recht gute Bemerkungen gemacht hat. Seine Gattin musste ihn mit den neuesten Er- scheinungen des Büchermarktes versorgen.

Diesem merkwürdigen Geist boten alle


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Zweige der Literatur ein gleiches Interesse dar. Er kennt die Hauptwerke der schönen Literatur,, der Philosophie, der Theologie, der Politik, Socio- logie, der Völkerkunde, der Mythologie und Ge- schichte. Seine Lieblingslektüre bilden Eeise- werke aller Art, die zu jener Zeit auf dem seit- dem nicht wieder erreichten G-ipfel ihrer Beliebt- heit standen. Es ist kein Zweifel, dass alle diese. Werke seinen Geist im höchsten Masse befruchtet haben. Anatole France weist in dieser Be- ziehung auf eine Stelle in d e S a de s ,,Idee sur les- r Omans" hin, wo er sagt, dass die Ideen nur beim Arbeiten kommen, und auf de Sades Beurtei- lung von der ,, Prinzessin von Cleve", von ,,Manon Lescaut" und von ,,Clarissa Harlowe", welche Schriften sich in seiner Seele vollkommen abge- spiegelt hätten.i) De Sade verstand es in der Tat in höchst bemerkenswerter Weise sich das extractum spirituosum der von ihm gelesenen Schriften anzueignen und klar und deutlich wiederzugeben.

Von religiösen und theologischen Schriften erwähnt de Sade am häufigsten die Bibel, die er offenbar sehr oft gelesen haben muss, da er sie bis in ihre kleinsten Einzel- heiten kennt. Er ist neben Astruc einer der ersten, der aus der Chronologie Zweifel an dem göttlichen Ursprünge der Bibel herleitet (Justine I, 168), auch sucht er auf


1) Anatole France in der Vori'odo zu seiner Aus- gabe von de Sades ,,Dorci", Paris 1881. S. 22.


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alle Weisen die Eichtigkeit seiner Bezeichnung der Bibel als einer ,,assemblage ridicule d'imper- tinences, de mensonges et de balourdises" zu er- weisen (Justine I, 162 ff). Ein anderes von ilim vielbenutztes religiöses Handbuch ist die öfter erwähnte Theologie portative" (z. B. Juliette II, 301), ferner kennt er die Werke der berühmtesten Kirchenväter wie Eusebius (Juliette II, 307), Baronius (Juliette TV, 278) u. a. Auch die scholastische Theologie und die Schriften über Inquisition sind seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen. Er citiert eine Stelle aus des Spaniers 31 i g u e 1 de M o n s a r r e Schrift ,,De coena do- mini" nach dem spanischen Original (Aline et Yalcour III, 344) und erwähnt die „Histoire des Inquisitions" (ibidem). Was er über die ver- gleichende Religionswissenschaft sagt, scheint er aus der ,,IIistoire des Ceremonies religieuses des ]3euples du monde" geschöpft zu haben (ibi- dem und Jul. I, 125).

In der Philosophie beschäftigten ihn fast ausschliesslich die materialistischen Denker seiner Zeit. Lamettrie vor allem ist sein Abgott, und zwar nicht nur wegen seiner theoretischen, sondern mehr noch wegen seiner praktischen Lehren, die er besonders an einer Stelle der Juliette" (TV, 198) rühmt. Auch sonst ist Lamettrie einer der am häufigsten citierten Autoren (z. B. Justine TV^ 53; Juliette III, 211; Aline et Yalcour II, 97). Auch Voltaire (Justine I, 298 ; Juliette lY, 327), Montesquieu (die ,,Lettres persanes"


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Juliette IV, 8; Alme et Valcour II, 118). Lin- g u e t (Aline et Valcour I, 224), V a ii v e n a r g u e s (Alme III, 412), Helvetius (Aline II, 97) und andere philosophische Autoren werden erwähnt.

In der Politik und S t a a t s w^ i s s e n - Schaft und politischen Geschichte ist ihm Macchiavelli ein vielbewunderter Autor, dessen „Principe und ,,Discorsi" er offenbar ge- nau studiert hat (Juliette IV, 62; VI, 39; Aline IV, 168), auch Kay na 1 lobt er über die Massen (Aline II, 54). Ferner erwähnt er die ,,Memoires de Fresne (Juliette II, 85), die ,,IIistoire des peuples de l'Europe" (Juliette III, 350), L o b i - neaus ,,Histoire de Bretagne" (Justine IV, 198), die ,,Histoire des conjurations" (Justine IV, 198), Peloutiers ,,IIistoire des Geltes" (Idee sur les romans ed. Uzanne S. 7; Justine IV, 201).

Ein ausserordentliches Interesse bringt de S a d e der Völkerkunde und der Literatur der E e i s e n entgegen. Auf diesem Gebiete muss er eine ungewöhnliche Belesenheit besessen haben, da er in den Sitten und Gebräuchen frem- der Völker aufs genaueste Bescheid weiss. Am häufigsten nennt er den grossen James Gook, der damals gerade die Welt mit seinem Kuhme erfüllte, als seinen Gewährsmann (z. B. Justine I, 325; III, 265; IV, 281; Juliette III, 349; Aline II, 70, 160, 244 u. ö.). Auch Eamusios grosse Sammlung von Eeisewerken des 16. Jahrhunderts hat er studiert (Juliette III, 350), er kemit Bou- gainvilles Fahrten (Aline II, 134), Bridai- nes „Voyage de Sicile" (Justine III, 14) u. a. m.


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Die von ihm gelesenen hauptsächliclien Auto- xen des klassischen Altertums sind M a r- tial (Juliette III, 157), Horaz (Justine III, 201), Virgil und Aeschylus (Aline III, 214), Aesop (JuL II, 309), Herodot (Juliette III, .350), T a c i t u s (Juliette lY, 289), L u c i a n (JuL IV, 291), Seneca (Juliette V, 293), Cicero (Juliette 1, 88), Petronius (Justine III, 207).

Die ,,Idee sur les romans" bezeugt de S a d e s •eifrige Lektüre auf dem G-ebiete der schönen Literatur von Aristides von Milet bis -auf Retif de la Bretonne und den Engländer Lewis. Seine Urteile beweisen, dass er sich ein- gehend mit dem Inhalte dieser Werke bekannt gemacht hat. Hierher gehören aus dem Altertum : die ,,milesischen Erzählungen", der ,, goldene Esel" 'des A p u 1 e j u s, die ,, Liebschaften des Dinias und der Derkyllis" von Antonius Diogenes, die Romane des Jamblichus, „Theagenes und Chariklea", Xenophons ,,Cyropädie", ,,Daph- nis und Chloe" von Longus, ,,Ismenes und Ismenia", das „Satyrikon" des Petronius. Von mittelalterlichen Romanen werden genannt : die .,, Facta et Gesta Caroli Magni",i) alle Romane •des Artuskreises, ,, Tristan", ,, Lancelot" u. a. m., die provenzalischen Romane, Dante, Boc- caccio, 2) Tassoni, Petrarca.


^) Hiervon gibt de S a d e das genaue Citat der ihm vor- liegenden Ausgabe, Paris 1527, 4« (vergl. „Idee sur les ro- juans", ed. Uzanne. S. 12),

^) Er kennt den Ursprung des ,,Decamerone" aus den ^provenzalischen ,,fabliaux". (Ibidem S. 14.)


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Die neuere Zeit beginnt mit D ' U r f e s Astree" und seinen zahlreichen Nachahmern wie Gomberville, la Calprenede, Desma- rets, den Scuderis, namentlich ,,Cyrus und 5,Clelie" der Mlle. Scuderi. Ausführlich wird Cervantes gewürdigt (j^Don Quijote", die 55N0- velas ejemplares"). Dann folgen S c a r r o n s „Eoman comicjue", Madame Lafayettes 5,Zayde" und „Prinzessin von Cleve", Fenelons ,,Telemaque", die „Journees amüsantes" und die. jjCent nouvelles" der Madame de Gromez, die Komane der Damen d e T e n c i n , d e G r a f f i g n i^. de Lussan, Madame Eiccoboni; Crebil^ Ions des Jüngeren ^jSopha", „Tanzai", j^Les egare- ments du coeur et de l'esprit", Voltaires ,,Can- dide" und ,,Zadig", Eousseaus ,,Nouvelle He- loi'se", Marmontels Moralische Erzählungen"" und jjBelisar", Eichardsons ,,Clarissa", Fiel- dings Eomane, Prevosts ,,Manon Lescaut",, 5, Monde moral", ,,Histoire d'une Grrecque mo- derne", Dorat, Marivaux, Bouffiern ,,Eeine de Golconde", die zahlreichen Schriften des Baculard d'Arnaud, dessen düstere und traurige Bilder auf die Phantasie des Marquis de Sade einen grossen Einfluss ausgeübt zu haben scheinen,i) endlich diejenigen des Eetif de la Bretonne, der Engländer Lewis (,,Der Mönch") und Anna Eatcliffe.

Noch einige andere Verfasser von Eomanen


1) Vergl. auch die Bemerkung'en über diesen Autor in:: „Aline et Valcour", Bd. II S. 259 und S. 263.


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imd Dichtwerken werden in den übrigen Schriften erwähnt, so G-recourt (Juliette VI, 144), M i 1- ton (Juliette II, 309), La Fontaine (Juliette- Y, 132), Eabelais (Aline I, 58), Sannazaro- (Juliette IV, 281), Gessner (Juliette I, 199).

Natürlich bemühte sich der Marquis de S a d e auch eifrig um die Kenntnis der erotischen Schriften im engeren Sinne des Wortes. Bran- 1 6 m e s ,,yies des dames galantes" werden häufig von ihm erwähnt (z. B. Juliette II, 135), ferner de Barreaux' priapische Lieder (Juliette IV,. 162), Pirons sotadische Dichtungen (ibidem),, die ,,Academie des Dames", der ,, Portier des. Chartreux" (Juliette III, 96), Mir ab e aus. ,,Education de Laure" (ib. III, 97), des Marquis d' Argens berüchtigte Therese philosophe" (ibidem). Endlich las er mit Vorliebe Werke über Flagellantismus, wie Boileaus ,,IIistoire des. flagellants" und Meiboms Schrift über den Nutzen der Geisseihiebe in der Ausgabe des Mer- cier de Compiegne (Juliette V, 160). Die Geschichte vom Bankier Peixotte wird offen- bar nach der erwähnten erotischen Schrift über diesen erzählt (Just. II, 322).

Als literarische Hilfsmittel nennt, de Sade das ,,Dictionnaire des hommes illustres"' (Juliette II, 85), Huets Werk über die Eomane (Idee sur les romans S. 8) u. a. m.

Offenbar hat er sich während der Lektüre aller dieser Schriften Excerpte gemacht, die er dann in seinen Romanen zur Stütze irgend einer Theorie geschickt verwendet, indem er alle über-


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einstimmenden Beobachtungen zusammenstellt, "welche Methode freilich unausbleiblich zu einer -einseitigen Betrachtung des Gegenstandes führen muss.

Auf Grund dieser ausgebreiteten und mannig- faltigen Lektüre erwarb sich der Marquis de 'S ade eine in der Tat erstaunliche Kenntnis der verschiedensten Wissensgebiete. Sein Interesse [gehörte nicht bloss einseitig der schönen Lite- ratur und dem Theater, sondern wandte sich auch receptiv und produktiv Gegenständen der socialen und politischen Wissenschaften und der Völker- kunde zu. Nach dem Ergebnis meiner neueren ^Forschungen nehme ich an, dass de Sade eine Unmenge Schriften über alle möglichen Fragen im Manuskripte hinterlassen hat, von denen wohl der grösste Teil vernichtet ist, von denen aber doch noch genug erhalten geblieben sind, wenn -auch zum Teil noch verborgen oder unzugäng- lich, um daran die Universalität und die jpolyhistorischen Interessen dieses merkwürdigen Geistes zu ermessen. Ich sah bei einem Pariser Amiiteur einen in dessen Besitze befindlichen, schon am 1. Oktober 1788, also noch wäh- rend der Gefangenschaft in der Bastille be- endigten ,, Catalogue raisonne de mes Oeuvres" aus der Feder des Marquis de Sade, in den mir leider kein näherer Einblick gestattet wurde, der aber bereits eine ausserordentlich grosse Zahl der verschiedenartigsten Schriften verzeichnet. De Sade muss eine unermüdliche Arbeitskraft und Arbeitslust besessen haben, un-


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aufhörlich kamen ihm neue literarische Ideen^. Pläne, Projekte, so dass er selbst von Zeit zu. Zeit das Bedürfnis einer zusammenfassenden. Uebersicht hatte, wie sie in diesem Katalog, dem_ gewiss noch weitere gefolgt sind, vorliegt.

Die Geschichte dieser zahlreichen Manu- skripte, Fragmente, Notizen des Marquis de Sade würde einen wertvollen Beitrag zu seiner Lebensgeschichte und Charakteristik liefern. Das meiste ist noch dunkel. Was wir aber schon jetzt wissen, ist geeignet, die Arbeitsmethode und das geistige Schaffen de S a d e s vielfach in einem neuen Lichte erscheinen zu lassen. Wie das echte Originalmanuskript des Hauptwerkes des Marcjuis de Sade, der ,,120 Tage von Sodom", sich er- halten hat, so dürften wohl noch andere Manu- skripte de Sades existieren und ihre Kenntnis für die Beurteilung dieses literarischen Phäno- mens von Bedeutung sein. Eine grosse Zahl von Fragmenten und Entwürfen aus der Feder de Sades besitzt jener erwähnte Pariser Amateur, der sie mir, ein wenig misstrauisch, nur flüchtig zeigte, so dass ich ihren Inhalt nicht näher prüfen, konnte. Ich bemerkte nur die Bruchstücke von mehreren Eomanen, darunter einen Koman in Briefen zwischen Pholoe und Zeno- crate, ferner die interessante Zeichnung eines Bordelles, in dem alle einzelnen Zim- mer einem besonderen Zwecke dienten, was bei jedem vermerkt ist. Das ist alles, was ich von. dieser allzu flüchtigen Demonstration im Ge- dächtnisse behalten habe. Ich hoffe, noch einen.


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genaueren Einblick in diese liandschriftlichen Schätze zu bekommen und darnach eingehendere JSIachrichten über dieselben geben zu können.

Dagegen ist ein anderes, bisher völlig unbe- kanntes, im Besitze eines Archivars in Mar- seille befindliches Dokument mit handschrift- lichen Notizen aus der Feder des Marquis de 8 ade zu meiner Kenntnis gekommen. Es ent- hält im ersten Teile Bemerkungen über den Eoman de Sades ,,Les journees de Florbelle", Ton dem gleich die Kede sein wird, und in der zweiten Hälfte wichtige Nachrichten über die in der Bastille von ihm verfassten Manuskripte. Man hatte dieselben offenbar bei seiner Ueberführung aus der Bastille nach Oharenton oder an letzterem Orte konfisziert und ihm vorenthalten (1789 oder 1790).

Hierauf bezieht sich ein eigenhändiger Brief des Marquis de S a d e , ohne Jahreszahl, aber mit der Adresse ,,rue neuve des Mathurins 1^0, 20", die wir oben indem Briefe an die Comedie Frangaise vom 1. März 1793 ebenfalls finden. Es dürfte also dieser Brief in die Jahre 1791 bis 1793 fallen. Er lautet:

,,Da haben Sie die Mitteilungen, mein Herr, die von mir zu verlangen Sie mir die Ehre er- wiesen. Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Bemühungen wegen dieser Nachforschungen und tausend Mal mehr noch für die freundliche und höfliche Art, mit der Sie meine Keklamation ent- gegengenommen haben. Nichts kann der Dank- barkeit gleichen, mit der mich eine solche Hand-


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lungsweise erfüllt, und ich kann sie mir den G-e- fühlen der Hocliaclitung vergleichen, die immer für Sie hegen wird Ihr ergebener und gehorsamer Diener de Sade. — Diesen Mittwoch Morgen."

Diesem Billett lag ein viereckiges, rot ge- rändertes Stück Papier in Quartformat bei, auf das der Marquis de Sade die folgenden Bemer- kungen geschrieben hat :

..Die von Herrn de Sade reklamierten AVerke bestellen hauptsächlich aus drei dicken Manu- skriptlieften, von denen zwei kleine humoristische und tragische Komane enthalten. Diese beiden sind in Papier mit blauen Blumen eingeheftet, so weit man sich daran erinnern kann. Sie haben den Titel : ,,Der provenzalische Trouba- dour".

Das dritte Heft ist, soviel man weiss, rot und ist betitelt: ,,Die Brieftasche eines Schriftstellers". Es ist ebensogross wie die beiden anderen und enthält literarische Ab- handlungen.

Diese drei Manuskripte sind auf rot gerän- dertem Papier, das völlig dem vorliegenden gleicht, geschrieben, und die Titel sind alle in roten Buchstaben geschrieben.

Ausserdem sind noch mehrere andere Hefte da, die einen im Konzept, die anderen in Kein- schrift, sowie verschiedene Manuskripte, die auf lange Köllen von feinem Papier geschrieben sind usw. usw.

Meine vorliegende Handschrift wird am besten die Nachforschungen erleichtern.


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Man wird denjenigen den grössten Dank wissen, die sich der Mühe dieser Nachforschungen unterziehen werden."

Diese interessante Eeklamation des Marquis de Sade belehrt uns darüber, dass man ilm in der Tat seiner Manuskripte beraubt hatte. Es ergibt sich ferner aus derselben, dass diese aus zwei G-ruppen bestanden, den nichtporno- graphischen und den pornographischen.. Zu den ersteren zählen offenbar die drei Hefte, deren Inhalt er genauer angibt und die er betitelt hat. lieber die zweite Gruppe schweigt er sich aus. Wir erfahren aber, dass ein Teil von ihnen auf lange Papierrollen geschrieben war. Das trifft wörtlich auf den berüchtigten Eoman ,,Die 120 Tage von Sodom" zu. Es ist kein Zweifel,, dass es wesentlich dieses sein Hauptwerk war,, an das er bei dieser Eeklamation gedacht hat. Wir entnehmen ferner aus derselben, wie umfang- reich bereits seine Schriftstellerei in seiner ersten SchaffensjDeriode, vor der Entlassung aus der Bastille, war, in die schon die Konzeption aller seiner Hauptwerke fiel, des erwähnten Eomanes, des vierbändigen Eomanes ,,Aline et Yalcour" und höchstwahrscheinlich auch der ,, Justine und Juliette".

Grosses Interesse bietet die Betrachtung der Arbeitsweise de Sades dar, die uns zeigt, wie er bis ins kleinste die Komposition seiner Werke durchdachte und den Einzelheiten des Stiles, der Anordnung, der Charakterschilderung, der No- menklatur, des Dialoges u. a. m. die grösste Auf-


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merksamkeit zuwandte. Auch das dramatische Element, die aUmähliche Steigerung und Kom- plizierung der Handlung vernachlässigte er nicht.

Die Niederschrift der erstenKonzeption seines Komanes ,,Les journees de Florbelle ou la nature devoilee suivies des memoires de l'abbe de Modore etc." beleuchtet diese Technik seines literarischen Schaffens in sehr interessanter Weise. Diese Notizen finden sich in demselben Hefte wie die erwähnte Reklamation. Nach einer Angabe auf der Rückseite des Heftes hat das Originalmanuskript dieses Romans des Marquis de S a d e wirklich existiert und ist von dem Poli- zeipräfekten Delavau in Gegenwart und auf Verlangen des Sohnes des Marquis de Sa de, damals Mitglied der Deputiertenkammer, ver- nichtet worden. Herr du Plessis, der Privat- sekretär des Herrn Delavau behielt mehrere Papiere des Marquis de Sade zurück und gab das vorliegende dem früheren Besitzer ,,comme une curiosite". Dies geschah um 1830.

Diese Notizen sind auf blauem holländischen Papier in Quartformat geschrieben und lauten f olgendermassen : Letzte Analysen und letzte Bemerkung über das grosse Werk (grand ouvrage).

Dieses Werk beginnt mit einer Erklärung des Titelbildes, einer sehr kurzen Anzeige des Ver- legers, die das Lob des Autors und die formelle Anerkennung enthält, dass es vom Autor der Justine" verfasst ist. — Es folgen eine Vorrede des Verfassers an die Wüstlinge beider Ge-


Dühren, Neue Forschnngen über de Sade.


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schlechter und jeden Alters, eine Widmung an Gott, eine Einleitung, die Namen der redenden Personen. — Dialog I, enthält 36 Seiten. — Dann kommt die Abhandlung über die Religion vom Abbe de Modore, von Seite 69 bis 130. — Auf Seite 131 beginnt Dialog II, der bis Seite 137 reicht. Hier endigt der erste Tag.

Die Abhandlung über die Seele beginnt Seite 139 und reicht bis Seite 191. — Dann folgt Dia- log III und der zweite Tag endigt Seite 196.

Abhandlung über Gott Seite 198—300. — Dialog ly von drei Seiten. — Ende des ersten Bandes und dritten Tages.

Zweiter Band.

Der Ort der Handlung wechselt. Er ist jetzt ein Boskett von Myrthen und Rosen.

Abhandlung über die Moral in 11 Teilen, 175 Seiten umfassend. — Dialog V, in dem das Aben- teuer des armen Holzhauers vorkommt. Man plant dort die Ermordung des Einsiedlers und er wird zu diesem Zwecke in das Gefängnis des Schlosses geführt. Ende des Dialog Y und des vierten Tages auf Seite 195.

Hierauf beginnt die schamlose Venus oder die Kunst des Genusses, die Seite 197 bis Seite 300 umfasst und in eine Einleitung und 11 Teile zerfällt.

Dritter Band.

Enthält das Projekt von 32 Ereudenhäusern in Paris. — In dem zehnten Teile befindet sich die gelehrte Abhandlung über die Päderastie.


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Der zweite Teil über die verschiedenen Nei- gungen umfasst 6 Teile und die Seiten 138 bis 247. — Dort beginnt Dialog VI, der den dritten Band und sechsten Tag beendigt. Hier wird der Einsiedler ins Jenseits befördert. — Eudoxia wird zwar stark misshandelt, ist aber noch recht frisch.

Der vierte Band enthält die 14 ersten Kapitel der Geschichte des Modore und endigt mit dem siebenten Tage. Es ist kein Dialog darin.

Der fünfte Band enthält 11 weitere Kapitel derselben Greschichte und endigt mit dem achten Tage. Von hier ab wird der Name Adele in Amelie umgeändert. Eudoxia wird arg misshandelt, namentlich die mammae et nates. Kein Dialog.

Der sechste Band beginnt mit dem 26. Kapitel (der Geschichte Modore) und endigt mit dem 34. zugleich den neunten Tag. In dem Dialog . . . der den siebenten Band beginnen soll, wird Eu- doxia getötet.

Projekte.

Nach dem letzten Kapitel dieser Geschichte und dem Ende des neunten Tages, muss Dia- log VII beginnen, in dem der Tod der Eudoxia auf eine selten grausame Weise erfolgt. Nach diesem Dialog wird Modore die Amelie auffor- dern, die Geschichte ihres Lebens zu erzählen, was sie in 4 d i c k e n B ä n d e n ähnlich derjenigen des Modore tun wird. Im Verlaufe dieser Er- zählung kommt kein Gespräch vor . . .

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. Mit dem dritten (Bande) von Amelie soll der zwölfte Tag ohne Dialog endigen.

Mit dem vierten und letzten (Bande) soll der dreizehnte Tag ohne Dialog endigen.

Es sei noch bemerkt, dass ich das 20. Heft der Geschichte von Yalrose für die G-eschichte Ameliens bestimme und dass ich die Frau Amelie alles erzählen lassen muss, was ich dem Manne Valrose in den Mund lege/) — so dass das ganze Werk zusammengesetzt sein wird aus 8 Dialogen von 13 Tagen, aus einer Abhand- lung über die Moral, einer solchen über die Eeli- gion, einer über die Seele, einer über Gott, einer über die Kunst zu geniessen, dem Projekt von 32 Männer- und Frauenbordellen (für Paris), dem Essay über Päderastie und endlich aus zwei Komanen, der Geschichte Modores und derjenigen Ameliens — zusammen 17 dicke Hefte, die beim Drucke wenigstens 20 Bände geben dürften. ( ! ! )

Notizen für die Arbeit.

Die Frau, die (ihn?) im Schlosse tötet, wo- hin er mit seinem Vater geht, ist nicht seine Mutter.

Sophie schildern, wie sie ihn verrät. Sophie sagt, dass sie in keiner Weise von Eadzwill schlecht behandelt worden ist.

Deutlich machen, dass es Sophie ist, die ihre Jungfernschaft bei dem Juden verloren hat.


^) Hier ist an den Rand geschrieben: „Geschehen".


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Notizen über die Greschichte Ameliens.

Icli beginne die Eeinschrift am 5. Mai 1806.

Ich habe gerade ein Jahr gebraucht, um 16 Hefte zu schreiben.

Der Almosenier heisst du Eochet.i)

Euphrasie ist ein hübscher Name, den man wählen muss.^)

Der Titel von Modore muss lauten : jjDer Triumph des Verbrechens oder wahre Greschichte des Abbe de Modore".

Du hast ein Festmahl in dem Saale, wo der Eisenkäfig ist, vor sich gehen lassen, veranstalte auch eines in dem Zimmer, wo der Galgen steht.

Sicherlich kommen grobe Fehler in der Chro- nologie der verschiedenen Alter vor, namentlich in demjenigen Ameliens, und in der Ueberein- stimmung des ihrigen mit demjenigen des Königs, des Charolais und Semarpont.

Das erste Viertel des Werkes ist am 10. Juli 1806 vollendet worden, es enthält 17 Hefte und hat 4 Monate und, 5 Tage in Anspruch genommen.

Der Titel lautet : ,, Denkwürdigkeiten von Amelie und Valrose oder die Ausschweifungen der Unzucht" (mit dem Motto) :

c'est en montrant le vice ä nu que Ton ramene ä la vertu.

Londres 1807.


1) Marginalnotiz : „Nicht verwendet". -) Marginalnotiz: „Gewählt".


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Der Haupttitel ist : ,,Die Unterhaltungen auf dem Schlosse Florber, ein moralisches und philosophisches Werk, nebst der heiligen Greschichte des glückseligen Abbe de Modore und den frommen Denkwürdigkeiten der Amelie de Valrose, geschmückt mit erbau- lichen Kupfern Holland 1807."


Sage im Anfang, dass ihre G-eburt mysteriös ist und dass sie sie nur im Laufe ihrer Geschichte erklären kann, und zwar wegen dieser Mutter und dieser Schwester, die ich sie habe wieder- finden lassen. Der Name Valrose muss überall in Volnange geändert werden.

Sage ja, dass Eudoxia die Tochter eines reichen Marseiller Kaufmanns ist und behalte das bei.

Ich glaube, dass zwei Hinrichtungen ver- gessen worden sind ( M ), erstens diejenige mit dem Tourniquet. Man kann nach Belieben alle Glieder zusammenpressen und sogar allmählich den ganzen Körper des Opfers. Einer setzt das Tourniquet in Bewegung und der Libertin mastur- biert sich dabei.

Die andere Todesart ist diejenige der Por- phyrvase. Sie steht in einer grossen Galerie. Man verfolgt das Opfer mit heftigen Peitschenhieben. Es fällt in eine glühende Kohlenpfanne, wo es verbrennt.


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Yerschiedene Personen.


Männer:


Frauen:


Octave


Gertrude


Theodore


Adelaide


Anastaze


Suzanne


Petit


Laurentia


Leon


Virginie


Jules


Rosa


Maxime


Catherine, femme de


Coeur de riche


Senampont


Yalrose Me de Valrose


Louise ]


Adrienne de Valrose


Jeannemlles de Senampont


Dorvil, ami de Valrose


Marie J


Le Cardinal de Fleury


Zoloe


Le Cte. de Charolais


Angelique


Du Pont, aumonier


La marquise de Roseville


Soubise


Ciaire ^

^ , . vses mies Sophie )


Louis XV,


Sandieu


Clotilde


Joseph


Eudoxie


Sicardi, contrebandier


Neuville Clementine Aglae Cecile


Yalrose hat getötet:

seinen Vater — seine Mutter — seine Schwester

— sein^ Maitresse — die Schwester seiner Mai- tresse — seine Frau — seinen Schwiegervater

— den Vater seiner Maitresse — seine Tochter

— und viele andere.


Aber er ist immer der Freundschaft treu ge- blieben und hat niemals etwas gegen seine bei- den Freundinnen Roxane und Mathilde, auch nichts gegen Frangois unternommen.

Haupttitel.i) ,,Die Tage von Flor belle oder

die enthüllte Natur." Nebst

den Denkwürdigkeiten des Abbe de Modore und den Abenteuern von Emilie de Yolnange, die als Zeugnisse für die Thesen dienen. Mit 200 Kupfern.

„Die wahre Freiheit besteht darin, weder die Menschen noch die Götter zu fürchten."

Seneca.

Ein zweiter interessanter literarischer Entwurf, der aber viel früheren Datums ist und noch vor 1789, während des Aufenthaltes in der Bastille konzipiert wurde, findet sich am Ende des wiedergefundenen Manuskriptes ,,Die 120 Tage von Sodom", hat aber anscheinend mit diesem Werke nichts zu tun. Es ist ein:

„Verzeichnis der verschiedenen moralischen G-e genstände, die in den Briefen des G-rafen behandelt wer- den," und umfasst folgende Kapitel:

,, Stoische Sterbe fälle — Die Missachtung der öffentlichen Meinung — Der Stoicismus — Die


^) Randnotiz: Endgültig angenommen am 25 April 1807 bei dem Abschluss des Werkes.


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Scham — Die Eifersucht — Die Empfindsam- keit (sensibilite) — Das Mitleid — ■ Die Tyran- nei — Die Unterdrückung — Die Möglichkeit der Wollust ohne Liebe und der Liebe ohne Wol- lust — Die Keue — Der Schmerz als aktive Ur- sache der Wollust, sei es dass man ihn zufügt, sei es dass man ihn erleidet — Das Vergnügen

— Das Band der Brüderlichkeit — Kampf zwischen Laster und Tugend — Definition von Laster und Tugend — Dass die schnelle Ent- deckung und Bestrafung eines Verbrechens weder, wie man glaubt, für die Tugend noch gegen das Verbrechen etwas beweist ■ — ■ Ueber das lächer- liche Vorurteil der Ehre - — ■ Wesen des Ver- brechens — Alte Sitten und Grebräuche — Die Humanität ■ — Vorsicht ist immer nötig, um vor- wärts zu kommen — Die Schande — Die Infa- mie — Projekt für 16 öffentliche Häuser der Un- zucht, von denen einige nur für Knaben bestimmt sind — Die Hospitäler — Analyse der Religion

— Beweis, dass die Aerzte, ohne ein Verbrechen zu begehen, über das Leben ihrer Kranken ver- fügen können, wenn man sie dafür bezahlt — Schöne Ausführungen über den Materialismus der Seele — Lächerlichkeit der Duelle, Apologie der Feigheit — Die Ungerechtigkeit als Element jeder Leidenschaft liegt in der Natur — Der Ehebruch — Die Liebe — Die Gesetze — Die menschliche Freiheit — Die Päderastie — Die Schändung — Eine lange Abhandlung über die Wollust der Sinne, betrachtet in allen Erschei- nungen, in der man beweist, dass von den drei


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Arten der Wollust die natürliche die schlechteste ist, die Päderastie die unzüchtigste und die orale Kohabitation die beste — Wesen der Grausam- keit, ihre Begründung durch die Natur — Die Verführung • — Der Egoismus — Die Dankbar- keit — Art der Gefühle, die ein Sohn gegen seine Mutter hegen muss — Der Diebstahl — Der Mord — Beweis, dass die Frauen nach den grossen Ge- sichtspunkten der Natur unnütze Geschöpfe sind, dass diese die ersten Männer ohne Frauen ge- schaffen hat, dass die Frauen von den Männern gefunden (trouvees) worden sind, die sie ge- nossen haben, und dass die Art sich so vermehrt hat, aber dass sie doch nur ein sekundäres Mittel der Natur sind, wodurch sie selbst beraubt wird,, sich ihrer ersten Mittel zu bedienen. Dass in- folgedessen ein ihnen auf wirksame Weise zu- gefügter Schaden, der alle Frauen vernichtete, oder auch der Vorsatz der Männer, nie wieder mit Frauen geschlechtlich zu verkehren, die Natur zwänge, um die Art zu erhalten, wieder zu ihren ersten Mitteln zurückzukehren^) — Die Verleumdung — Die Freundschaft — Zweck- losigkeit der Erfüllung der Wünsche von Ster- benden, da diese Befriedigung, die oft dem Erben lästig wird, den Manen, die man ehren will, keinerlei Genus s bereiten kann, da diese Manen eine Chimäre sind und der Tote weder sich ärgern


^) Ganz ähnliche Ideen von der Priorität des Mannes und der „Mittelbarkeit" des Weibes spricht Otto Weininger in seiner Schrift „Geschlecht und Charakter" (2. Aufl., Wien 1904, 8. 5J)4) aus.


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noch sich freuen kann über das, was man nach seinem Dahingange tut — Es wird in diesem Werke auch gesagt, dass man nicht heucheln soll bis zum Enthusiasmus der Tugend, sondern nur bis zur Verachtung der Laster. Man tut uns nie wegen dieser letzteren Art der Heuchelei etwas zu leide, da sie den Stolz des Nächsten in Ruhe lässt, während die andere Art der Heuchelei ihn verletzt — Ein Verbrechen, das Vergnügen be- reitet hat, wird niemals Reue hinterlassen, weil Reue nur Erinnerung ist, nun aber diese Erinne- rung eine Wollust zurückruft, aus der keine G-e- wissensbisse entstehen können. Wenn aber das Verbrechen nicht von Lust begleitet war oder nur von einem der Gre fühle, die schnell erlöschen^ wie der Lebhaftigkeit (vivacite) oder der Rache, dann resultieren daraus gewisse Zustände von Reue. Wenn es aus Lüsternheit begangen ist, fehlen diese, da die Erinnerungen zugleich Wol- lustzustände sind. — Man muss dem Verbrechen alle mögliche Kraft geben und besonders dafür sorgen, dass es irreparabel sei. Auf diese Weise erstickt man die Reue. Denn wozu würde diese dienen, wenn es sich um ein irreparables Ver- brechen handelt. Die Unmöglichkeit der Reue hebt sie auf. Hieraus kann man ersehen, dass die Reue vor anderen Affekten die Besonder- heit voraus hat, sich in dem Masse aufzuheben als man ihre Ursache vergrössert."

Weitere Beiträge zur Technik seiner Arbeits- weise lassen sich auch aus verschiedenen Stellen seiner übrigen Schriften zusammenstellen.


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Im allgemeinen liebt er einen klaren und deutlichen Stil. Seine Sätze weisen einen einfachen Bau auf, seine Worte sind passend ge- wählt. Nichts hasst er so sehr wie den damals weit verbreiteten Kanzleistil", den er in ,,Aline et Valcour" (III, 3) scharf geisselt. Er meint im Hinblick auf den Stil der gerichtlichen Urteile, Verwarnungen, Zustellungen und der ,,lettres de cachet", dass es „glücklicherweise" in Frankreich unmöglich sei, einen Menschen auf gut franzö- sisch zu töten oder einzusperren.

Welche Sorgfalt er auf die Wahl der Namen der in seinen Schriften vorkommenden Personen legt, haben wir schon aus den Bemerkungen in dem Entwurf über den Koman ,,Die Tage von Elorbelle" kennen gelernt. Euphonie ist ihm da- bei die Hauptsache. Mit Vorliebe wählt er für die grössten Scheusale die schönsten Namen. Auch bringt er gerne durch den Namen den Cha- rakter seines Trägers zum Ausdruck. So führt der spanische G-rossinquisitor, den er in ,,Aline et Valcour" (III, 331) auftreten lässt, den gewiss für seine Tätigkeit sehr bezeichnenden Namen ,,Dom Crispe Brutaldi Barbaribos de Torturen- tia" ! Von obscönen Namen, die irgend eine spe- zialistische Tätigkeit ihrer Träger auf sexuellem Gebiete bezeichnen, wimmeln namentlich die „120 Tage von Sodom".

Der Schauplatz der Handlung, das Milieu spielt in de Sades Komanen eine wich- tige Eolle. Er vergisst niemals, diese Beziehun- gen der Handlungen zu ihrer Umgebung genau


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auszumalen. Cliarakteris tisch dafür ist z. B. in den Schlussnoten zu den „120 Tagen von Sodom" die Bemerkung, dass mit den Persönlichkeiten zugleich der Plan des Schlosses, Zimmer für Zim- mer mit angegeben werden solle, neben jedem Zimmer solle ein leerer Raum für die Aufzeich- nung der Dinge gelassen werden, die in dem be- treffenden Zimmer vorgehen sollten.

In der Schilderung der Personen ver- fährt de Sade höchst realistisch, er sucht aus ihrer körperlichen und geistigen Beschaffenheit, aus ihrer Erziehung und dem Einflüsse ihrer Um- gebung ihren Charakter zu erklären, ihre Hand- lungsweise abzuleiten. An die Stelle des Schicksals setzt er überall die Natur selbst, die durch notwendige G-esetze beherrscht wird. Der Mensch ist ihm nur ein Teil der Natur, der über sie nicht hinaus kann. De Sade erachtet es- deshalb als die vornehmste Aufgabe des Roman- schriftstellers, die Erscheinung der Natur im Menschen möglichst genau festzustellen. In diesem Sinne ist de Sade in der Tat der Vorläufer Z o 1 a s , der Begründer des natura- listischen Romans.

In diesem Sinne ferner sieht de Sade ganz nach Art des modernen experimentellen Romans in der Entwicklung der Handlung ein naturwissenschaftliches Problem, das der Autor gemäss der Natur der in dem Romane auf- tretenden Personen und ihres gesellschaftlichen Wirkens lösen muss, wobei die ,, extreme con-


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nexite entre le moral et le physique" (Justine II, 56) als materialistisches Axiom durchaus festgehalten wird.

Das zu lösende Centralproblem ist das geschlechtliche. Wie verhält sich der Mensch als Sexualwesen innerhalb der ihn umgebenden Welt, wie beeinflussen die sexuellen Beziehungen alle übrigen gesellschaftlichen Verhältnisse, welche Wirkungen haben sie auf den Menschen in moralischer und physischer Hinsicht? Das ist das Hauptproblem, das die meisten Eomane de S a d e s wie ein roter Faden durchzieht, dem er immer neue und eigenartige Gesichtspunkte ab- zugewinnen sich bemüht. Er ist wohl der erste moderne Schriftsteller, der bewusst und metho- disch die Bedeutung der sexuellen Frage" erkannt und untersucht hat, indem er dabei von der richtigen Voraussetzung ausging, dass die geschlechtlichen Beziehungen den Kern und die Achse alles sozialen Lebens ausmachen, gewisser- massen das älteste, erste und dauerhafteste sociale Grundphänomen darstellen.

Man spricht neuerdings von einem sexuellen ,,Ober- und Unterbewusstsein" (v. Ehrenfels). Nun, der Marquis de Sade hat dieses sexuelle Unterbewusstsein, dieses ewig sich regende Tier im Menschen zuerst ans Tageslicht gestellt, zu- erst es nach seiner düsteren und furchtbaren Seite hin beleuchtet und alle antisozialen W^irkungen geschlechtlicher Ausartung mit schärfstem Eea- lismus geschildert, die in seiner den modernen L o m b r o s o schon vorahnenden Thesis von


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dem innigen Zusammenhange zwischen Y e r - brechen und geschlechtlicher Korrup- tion ihren Gripf el erreichen.

Ist es ein blosser Pornograph", i^it dem wir es zu tun haben ? Mag sein, aber dadurch, dass in diesem erstaunlichen Schriftsteller die Konzeption des Greschlechtlichen, ich möchte sagen, eine universelle war und ihm in allen ihren Beziehungen zum Leben und Wirken des Menschen in Staat und Gesellschaft gegenwärtig war, hat er eine ihm vielleicht selbst unbewusste Bedeutung in der Geschichte des Sexualprobleme s erlangt, wie wir noch bei der Betrachtung seines Hauptwerkes genauer erkennen werden.

Dass der Marquis de S a d e mit U e b e r - legung, mit einer ausserordentlichen Denk- schärfe bei der Abfassung seiner zahlreichen Schriften zu Wege ging, beweisen die interessan- ten Kandnoten und Schlussbemerkun- gen, die er nach der Durchsicht des Ge- schriebenen zu machen pflegte. 2) Dieses Yer-


1) Er selbst geisselt in der „Justine" (II, 229) die Absicht des Pornographen mit folgenden Worten: „II est comme ces ecrivains pervers, dont la corruption est si pernicieuse, si active, qn'ils n'ont pour bnt, en imprimant leurs affreux systemes qne d'etendre au delä de leur vie la somme de leurs crimes. Iis n'en peuvent plus faire; mais leurs maudits ecrits en feront commettre; et cette douce idee qu'ils empor- tent au tombeau, les console de l'obligation ou les met la mort de renoncer au mal".

2) Man vergleiche das Verzeichnis der „fautes, que j'ai faites" am Ende des ersten Teiles der „120 Tage von Sodom", der „omissions" am Ende der Einleitung, die Bemerkung über überflüssige Namen in der „Justine" (III, 160).


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fahren spricht ganz entsc^iieden gegen das Yor- ha^ndensein einer wirklichen Geisteskrani^heit. Dass bei dem geradezu riesenhaften Umfange seiner Schriftstellerei einzehie kleine Fehler, Wiederholungen, Auslassungen, Verwechselung gen^) und dergl. vorkamen, ist nicht weiter ver- wunderlich. Manche Hyperbeln und Ausmalungen von Unmöglichkeiten wird man allerdings auf das. Konto einer momentan krankhaft erregten Phantasietätigkeit setzen müssen. Meist aber verfährt er mit subtilster Ueberlegung nach der Notiz am Ende der ,,120 Tage von Sodom" : ,, Alles ist in diesem Plane mehrere Male durchdacht und kombiniert worden, und zwar mit der grössten Genauigkeit." Er denkt immer an den Leser, für dessen Verständnis er alle Fäden der Erzählung sorgfältig zurechtlegt, alle Einzelheiten des Milieu allzu minutiös schildert. Die Person des Lesers ist ihm immer so nahe, dass er ihn öfter direkt apostrophiert wie z. B. in den ,,120 Tagen von Sodom" (7. Tag).


Wenn wir uns nun nach diesen Bemerkungen über den Marquis de Sade als Schriftsteller seiner Betrachtung als Menschen zuwenden, so muss zunächst ein Satz aus unserer früheren


') Wie z. B. in dem Verzeichnisse der Männer- und Frauen- namen in dem Entwurf zu dem Romane „Les journees de Flor- belle" einige Frauennamen in die Männerrubrik g-eraten. sind.


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Schrift als völlig falsch aufgegeben werden. Dort hatten wir Seite 456 (der dritten Auflage) ge- sagt : ,,Die von Sade vorgetragene Theorie des Lasters ist ein Produkt der Eevolution und findet in dieser zahlreiche Analogien."

Dieser Zusammenhang fällt gänzlich fort. Denn das Hauptwerk, das die Theorie des Lasters beinahe noch krasser zur Darstellung bringt, als die ,, Justine und Juliette", als die „Philosophie dans le Boudoir", ich meine die ,,120 Tage von Sodom", ist bereits volle vier Jahre vor der Eevolution, im November 1785, in der Bastille vollendet worden.

Namentlich der vierte Teil dieses Werkes liefert ein so schauerliches Gemälde sadistischer Verbrechen und Lustmorde, das Ganze wird so durchgängig von der Idee des Zusammenhanges zwischen Wollust und Verbrechen beherrscht, dass es keinem Zweifel mehr unterliegt, dass diese Ideen ohne den Einfluss der Eevolution kon- zipiert wurden und mehr oder weniger das origi- nale geistige Eigentum de Sades darstellen.

Kann hieraus ein anderer Schluss auf seinen Geisteszustand gezogen werden, als wir ihn in unserer früheren Schrift aussprachen, dass näm- lich de Sade nicht geisteskrank im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern nur ein Neuras theniker gewesen sei? •

Wir glauben auch heute noch an dieser Diagnose festhalten zu müssen, trotzdem jetzt die Idee des ,, Sadismus" als eine originelle


Bühren, Neue Forschung-en über de Sade.


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dem Marquis de Sa de zugesprochen werden muss.

Wir sahen, dass die Internierung des Mar- quis de Sade in Charenton aus politischen Be- weggründen erfolgte. Die Irrenärzte von Charenton haben de Sade nie für geisteskrank gehalten. Von E o y e r - C o 1 1 a r d war dies bereits in unserem ersten Werke mitgeteilt worden. Auch sein Nachfolger, Dr. Palluy, spricht nur von einer Perversität" des Marquis, die die Familie zu einer Greis tes- krankheit hätte stempeln wollen. Dasselbe Ur- teil fällt Baudot, der nur von ,, Keimen der Entartung" bei de Sade spricht und mit Kecht die ungeheure und eminent umsichtige schrift- stellerische Tätigkeit de Sades als wichtiges Argument gegen das Bestehen einer wirklichen Psychose anführt.

Ein anderer Laie, Herr Anatole France, fällt das folgende interessante und im allgemeinen zutreffende Urteil über den Greisteszustand des Marquis de Sade:

5, Wenn es sicher ist, dass der Marquis de Sade ein Kranker war, dann ist es noch heute unmöglich die klinische Diagnose seiner Krank- heit zu stellen, und die Pathologie muss in diesem Falle sich mit uns in das vage G-ebiet der psy- chologischen Analyse begeben. Hiernach muss bemerkt werden, dass die „Narrheit" des Mar- quis de Sade jedenfalls streng begrenzt war. In allen Beziehungen, die nicht das Geschlecht- liche betreffen, ist er normal, human und gross-


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mütig . . D e S a d e , der nur davon erzählte, was schon zu viel ist, hat niemals Kinder oder Prauen gemordet (v^ie der Marschall Grilles de Eaiz). Die indecente Flagellation der Rosa Keller und die an die Marseiller Dirnen verteilten Bonbons sind zwar böse Handlungen, aber reichen nicht an die scheusslichen Verstümmelungen eines Nero oder Eaiz heran. — Es ist sicher, dass die Manie de S a d e s niemals bis zum Morde schritt. "i)

Nun wissen wir zwar, dass die Verletzungen der Keller doch etwas ernsterer Art waren, als France sie hier hinstellt, aber dies kann nicht, darin trifft er das richtige, zu der Annahme einer wirklichen Geisteskrankheit bei de S a d e berech- tigen. Es ist ja allgemein bekannt, dass ähn- liche, ja noch schlimmere sadistische Akte heut- zutage von durchaus geistesgesunden In- dividuen begangen werden. Ja, würden die Geheimnisse mancher Bordelle und ,, Mas sage - Institute" entschleiert werden, man würde stau- nen über die dort vorgenommenen grausam-wol- lüstigen Akte und in Vergleichung mit diesen den Marquis de S a d e für einen harmlosen Men- schen halten. Der Fall des Erziehers D i p p o 1 d , der in diesem Jahre so grosses Aufsehen erregte, ist gewiss tausend Mal schlimmer als alle Misse- taten, die der Marquis de Sade jemals begangen hat, und doch haben die medicinischen Sachver-


1) Anatole France in seiner Ausgabe von de S a d e s .Dorci", S. 20—21.


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ständigen mit Recht selbst den Dippold für geistig zurechnungsfähig erklärt. Eben- so wie ich es oben bei de Sade getan habe, fassten die diesen Fall begutachtenden Aerzte den gesamten geistigen Habitus des Dippold ins Auge, der das Vorhandensein einer Geisteskrankheit ohne Zweifel ausschloss.

Was wir von de S ade s Leben wissen, berech- tigt uns nur zu der Behauptung, dass er eine abnorme Persönlichkeit, ein bizarrer, kom- plizierter Charakter war, in dessen Dasein das Geschlechtliche eine übermässig grosse Rolle spielte, wie bei vielen Neurasthenikern, und um so potenzierter hervortrat, je mehr durch die lange Einsamkeit der Gefängniszeit eine ein- seitige Entwicklung des Phantasielebens begün- stigt wurde. Alle Charakterzüge dieses Mannes, die uns bekannt geworden sind, die Launen und der leidenschaftliche Drang seiner Jugend, die brutalen Ausfälle gegen seine Verwandten, die temporäre Heuchelei, das Misstrauen, die Scha- denfreude, der Neid und die Eifersucht sind Kennzeichen einer neuras theni sehen Konstitu- tion, der auch edlere Züge nicht fehlten, wie Gross- mut, Mitgefühl, natürliche Höflichkeit und Ge- fälligkeit. Die herrlichen Abschiedsworte, die Aline vor ihrem Selbstmorde an Valcour schreibt, können nur aus einer alles menschliche Leid tief mitfühlenden Seele geflossen sein.i)


^) Es heisst dort u. a.: „Dieser Ausgang- ist schrecklich, da er uns für immer trennt. F ü r immer! Welches Wort, mein


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Das hat auch Anatole France richtig er- kannt, dass die hauptsächliche Abnormität de Sades in seinem geschlechtlichen Leben wur- zelt. Früh schon scheint das Sexuelle in seinem Leben ein mächtiges Uebergewicht gewonnen zu haben. Die Neigung zu Brutalitäten und Gewalt- tätigkeiten in seinem sexuellen Verkehr hat sich wohl schon in den zwanziger Jahren bei ihm ge- zeigt, wie die oben (S. 289) mitgeteilte Weige- rung des Kupplers Brissault, ihm ferner Mädchen zu liefern, beweist. Die Affäre Keller scheint nur eine von zahlreichen ähnlichen Epi- soden in seiner Lebensgeschichte gewesen zu sein. Die brutalen ,,raffinements de debauche" bei seinen Orgien waren wahrscheinlich mit Wollust betonte Misshandlungen. Sonst war aber de Sade als Libertin nicht schlimmer als so viele seiner Standesgenossen, die zum Teil ihn in ge-

Freund! Es ist nur zu wahr. Für immer werden wir getrennt. Es ist jetzt unmöglich, dass wir uns jemals angehören. Die Jahre werden sich häufen, die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen werden im Abgrunde der Zeiten verschwinden, Verbrechen und Tugenden werden sich vermischen, sich kreuzen, sich vermehren auf der Erde. Alles wird wechseln, alles wiedergeboren, alles zerstört werden unter dem Gewölbe des Himmels, ohne dass einer dieser Umstände jemals den- jenigen herbeiführen könnte, der Aline ihrem Valcour zurück- gäbe. Nein, mein Freund, alle Wassertropfen des Meeres, hundert millionenmal vervielfacht, würden noch nicht die schwächste Idee von der Zahl der Jahrhunderte geben, die den angegebenen Zeitraum bilden, der uns trennen wird. Und während dieser furchtbaren Zeit könnte keine einzige Kombination, kein einziger Akt der Autorität, und käme er selbst von Gott, die irdischen Bande wieder knüpfen, in denen wir uns so töricht gefielen." Aline et Valcour, Bd. IV, S. 294-295.


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sclilechtlichen Ausschweifungen noch übertrafen^ wie in dem zweiten Kapitel des vorliegenden Werkes gezeigt worden ist.

Die oben (S. 290) mitgeteilte Anekdote aus- der ,,Chronique scandaleuse" weist darauf hin^ dass de Sade auch homosexuelle Neigungen be- tätigt habe. Es wäre das nicht verwunderlich, da viele Lebemänner der damaligen Zeit, wie wir sahen, zur Abwechslung auch die Päderastie unter die grosse Zahl ihrer sexuellen Grenüsse aufnahmen. De Sade bekundet in seinen Schrif- ten eine so genaue Kenntnis der Männerliebe, dass es sogar wahrscheinlich ist, dass sie ihm nicht ganz fremd blieb.

Die grösste EoUe aber spielte das Greschlecht«  liehe in der Phantasie des Marquis de Sade. Wir wissen jetzt, dass die meisten seiner Ko- mane im Gefängnis oder der Irrenanstalt ge- schrieben wurden, wo ihm die Einbildungskraft ersetzen musste, was ihm die Wirklichkeit ver- sagte. Nun wissen wir, dass es eine Eigentüm- lichkeit der auf das Sexuelle gerichteten Phanta- sietätigkeit ist, ihr Objekt zu vergrössern, in Hyperbeln zu schwelgen und ungeheuerliche Orgien zu erleben, die in Wirklichkeit unmöglich wären. Auch unsere heutigen Masochisten und Sadisten versichern, dass die Wirklichkeit nie an die krassen Bilder ihrer Phantasie heranreiche, dass diese ihnen mehr bedeuteten als jene, durch die sie fast immer enttäuscht würden. Ganz so haben wir uns die erstaunliche Phantasietätig- keit des Marquis de Sade vorzustellen. Zu ge-


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wissen Zeiten wurde das Obscöne ihm zum Fetisch, in dessen Anblick, Ausmalung, Ver- grösserung, Verzerrung er schwelgte, bis es jene gigantischen, masslosen Formen erreicht hatte, die allein ihn befriedigen konnten. Zu anderer Zeit, namentlich dann, wenn seine Phantasie durch das wirkliche Erlebnis korrigiert wurde, konnte er Schriften verfassen, die nichts von dem Cha- rakter der obscönen Schriften erkennen lassen. Dies ist die einfache Erklärung des Eätsels, wes- halb de Sade Verfasser pornographischer und ,, moralischer" Schriften gewesen ist.

Herr Victor ien Sardou hat neuerdings zwei interessante Anekdoten über den Marquis de Sade in einem Briefe an Dr. C a b a n e s^) mit- geteilt, deren eine den Charakter de Sades recht drastisch beleuchtet, deren andere uns über das Schicksal seines Schädels Kunde gibt. Dieser Brief des berühmten französischen Dramatikers lautet :

„Mein lieber Doktor !

Ich habe soeben Ihre Studie über den Mar- quis de Sade gelesen, in der ich Ihnen einige Irrtümer und Lücken nachweisen könnte und deren Schlüsse ich ebenfalls nicht annehmen kann. Denn wenn man auch die Affaire von Arcueil übertrieben hat, so darf man die mit glühendem Wachs übergossenen Wunden der


1) „Lettre inedite de M, V. Sardou sur le marquis de Sade" in: Chronique medicale, 1902, No. 24, S. 807—808.


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Trau Keller nicht als Kleinigkeiten ansehen, oder den von der Familie de Sade redigierten lügenhaften Bericht über die Bonbonaffäre ernst nehmen, die einer Person von seinem Kange nicht die Verurteilung zum Tode eingebracht hätte, wenn die Sache so harmlos gewesen wäre, wie Sie zu glauben scheinen. Aber mein Brief ist nicht deshalb geschrieben, um noch einmal zu beweisen, dass dieser unreine Schurke sein Schicksal verdient hat. Ich will Ihnen zuerst be- stätigen, was Sie von seiner Exhumierung sagen. Diese wurde heimlich nächtlicher Weile von drei Personen vorgenommen, von denen eine mein alter Freund Dr. L o n d e^) war, wie er mir wenig- stens selbst erzählt, ein Schüler G-alls. Er blieb im Besitze des Schädels, der ihm gestohlen wurde, 2) so dass ich nicht die Genugtuung ge- habt habe, den Marquis nach Art Hamlets zu interpellieren, um ihm zu sagen, wie sehr ich der Monarchie und dem Kaiserreich dankbar bin, dass sie ihn als Missetäter und Narren einge- sperrt haben, und wie amüsant ich es fände, dass die Revolution seine bürgerlichen Tugenden da-


1) Charles Londe, geboren 1795 in Caen, studierte und promovierte 1819 in Paris, wurde nach dem Erscheinen seiner „G^^mnastique medicale" (1821) Mitglied der Academie de medecine (1825) und starb zu Paris am 15. Oktober 1862. — Vergl. B e c 1 a r d in „Bulletin de l'Academie de medecine", Oktober 1862, Bd. XXVIII, S. 31; Gazette des hopitaux, 1862, S. 124.

-) Wie Herr B e g i s mir erzählte, soll der Dieb, ein Arzt, ihn nach England gebracht haben, wo er noch irgendwo sich befinden soll.


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durch belohnt habe, dass sie ihn zum Sekretär der ,,Societe populaire de la section des Piques ernannte !

Ich will Ihnen auch noch einen Zug seines Charakters mitteilen, der sehr gut in die Psy- €hologie dieser Persönlichkeit hineinpasst.

Im Jahre 1855 ging ich bisweilen ins Hos- pital Bicetre, wo zwei Freunde Internes waren, und erging mich mit ihnen in dem G-ebäude. Ein alter G-ärtner, der den Marquis während seiner Internierung gekannt hatte, erzählte uns, dass es eine seiner Unterhaltungen gewesen sei, sich ganze Körbe voll der schönsten und teuersten Rosen, die man in der Gregend finden konnte, bringen zu lassen. — Er setzte sich dann auf einen Schemel, nahe einem schmutzigen Bach, der durch den Hof floss, nahm jede Rose, eine nach der anderen, betrachtete sie, beroch sie mit w^oUüstigem Ausdrucke und — zog sie dann durch den Kot des schmutzigen Grewässers und warf sie, wenn sie ganz voll Dreck und Kot war, weit fort, indem er dabei in ein Gelächter ausbrach !

Ist das nicht der ganze Marquis? Tausend Grüsse

y. Sardou."

Wenn diese letztere Geschichte wahr wäre, würde sie in der Tat einen interessanten Beitrag zur Kenntnis des Charakters des Marquis de S a d e darstellen und einen weiteren Beweis da- für liefern, dass er an sadistischen Akten — denn um einen solchen handelt es sich auch bei diesem


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pflanzlichen Objekt ohne Zweifel — auch in Wirk- lichkeit Gefallen fand, wie es ja schon verschie- dene Skandalaffären in seinem Leben lehrten.

Die Charakteristik der Persönlichkeit des Marquis de Sade wäre nicht vollständig, ohne den Hinweis auf seine Menschenkenntnis^ die uns durch manche treffenden Bemerkungen auf originelle und überraschende Weise offen- bart wird. Er war ein vorzüglicher Psychologe. Wie kongenial hat er selbst die Sophistendes Lasters geschildert, er, wohl der grösste von ihnen, den es je gegeben hat ! „Mögen sie kommen,'^ ruft er aus, mögen sie erscheinen, diese Apostel der Unzucht und des Lasters, die alle Yerirrungen legitimieren, die sie alle in der Natur nachweisen, weil sie die letztere für ebenso verderbt halten wie ihre Seelen, die es vorziehen, in nichts ein Verbrechen zu finden als gezwungen zu sein bei der Erinnerung an ihre eigenen zu zittern, die mit einem Worte ihre finstere Ruhe nur dadurch erkaufen, dass sie alle ihre Gewissensbisse er- sticken, mögen sie kommen, mögen sie kommen !"^)

An einer anderen Stelle geisselt er als. ,,grösstes LTnglück des Menschen" die Neigung, seine Begierden durch eine Theorie zu rechtfertigen, sie gewissermassen zu ent- schuldigen, dadurch, dass er sie in ein System bringt. Die Sünden des erwachsenen Menschen gehen nach de Sade aus seiner Lebensa n-


1) Aline et Valcour, Bd. I, S. 131 — 182.


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s c h a u u n g hervor. Ce sont dans ses principes in- variables qu'il tronve les lois de sa depravation.i)

Diese Erkenntnis von dem wahren egoisti- schen Ursprünge aller Sophismen des Lasters, wie sie in seinen furchtbaren Hauptwerken, am furchtbarsten aber in den ,,120 Tagen von Sodom, das durchgängige Thema und Leitmotiv bilden, ist also von de Sade selbst ausgesprochen wor- den. Ein G-eisteskranker würde sich nicht zu ihr haben erheben können.

Von feinstem psychologischen Verständnis zeugt auch die folgende Bemerkung über die Wirkung des Unglückes auf den Men- schen. ,,Dle Schule des Unglücks," sagt er, ,,ist nicht so gut wie die Einfältigen glauben . . . Das Unglück verhärtet das Herz des Menschen. Deshalb ist das niedere Volk immer grausamer als die Leute von guter Erziehung. Daher kann das Unglück zu nichts gut sein. Denn was die Seele verwundet, was die zarteren Empfindungen vernichtet, kann nur zum Verbrechen hinziehen. Der glückliche Mensch sucht jeden, der sich ihm nähert, ebenfalls glücklich zu machen. Unglück, Aerger und Kummer korrumpieren seine Seele, verhärten sie und führen ihn zu Schandtaten. "2)

Auch hat er die interessante Beobachtung gemacht, dass vornehme Leute nicht zuhören, wenn ein Unglücklicher ihnen seine Leiden er- zählt. Es scheint, dass der glückliche Mensch


1) Ibidem, Bd. I, S. 193.

2) Ibidem, Bd III, S. 381—382.


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durch die Schilderung des Unglücks anderer an- genehm erregt werde. Aber ausführliche Klagen darüber, die etwa den Hinweis auf die Möglich- keit seines eigenen Unglücks enthalten, erträgt er nicht und reagiert darauf mit Kälte und Zer- streutheit, i)

Es erinnert der erste Teil dieses Ausspruches an das bekannte Wort des Herzogs von Laroche- foucauld, dass in dem Unglück unserer Neben- menschen immer etwas sei, das uns angenehm berühre.

Dieser Tatsache entspricht eine andere, eben- falls von de Sade hervorgehobene. Nicht die schlechten Eigenschaften anderer demütigen unseren Stolz, sondern ihre Vorzüge. Die Eigen- liebe sucht am anderen gern seine Fehler her- vor, stellt diese ans Tageslicht, um ,,sich für seine Tugenden zu rächen". Daher fährt der ganz Schlechte immer noch besser als der ganz Gute. Et ce sont les hommes qui font notre sort. Re- flexion affligeante mais juste.^)

Auch für nationale Eigentümlich- keiten hat de Sade ein volles Verständnis. Er schildert z. B. recht ergötzlich die Impertinenz und Oberflächlichkeit der Franzosen, die in frem- den Ländern reisen, wofür er ein eigenes Beispiel, das er selbst in Italien erlebte, beibringt.


1) Ibidem, Bd. III, S. 196.

2) Ibidem, Bd. III, S. 330.

^) Ibidem, Bd. II, S. 212—213.


X. Das neuentdeckte Hauptwerk des Marquis de Sade : Die „120 Tage you Sodom'^

(Konzeption, Greschichte und Schicksale des Manuskripts, Beschreibung desselben, Analyse des Inhalts.)

Früh schon muss dem Marquis de Sade die Konzeption der Idee zu seinem Hauptwerke zu- teil geworden sein. Wenn er in allen übrigen Schriften, so weit sie überhaupt sexuelle Dinge berühren, diese mehr in dem allgemeinen Zusam- menhange der Handlung darstellte und entweder wie in der Justine und Juliette" wohl eine Schilderung zahlreicher geschlechtlicher Ver- irrungen und Laster in ihrer Beziehung zu einer bestimmten G-rundidee, hier der Wollust des Schmerzes in aktiver und passiver Beziehung, gab, also gewissermassen die Konsequenzen seiner sexuellen Theorie des Lasters an einer Eeihe von zufälligen Einzelfällen zeigte, oder in der „Philo- sophie im Boudoir" die allmähliche Ent- wicklung der sexuellen Perversionen bei einer bestimmten Person vorführte, so schwebte ihm doch als Hauptwerk eine systematische Darstellung des gesamten G-ebietes der sogenannten Psych opathia sexu-


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a 1 i s vor, eine Uebersicht über sämtliche Aber- rationen des G-e sohle cht s triebe s, wie er sie in seiner Zeit beobachten konnte. Er war der Erste, 100 Jahre vor v. Krafft-Ebing, der sich bemühte, einen wissenschaftlichen Einblick in die Ursachen und die Arten dieser mannigfaltigen sexuellen Ausartungen zu ge- winnen. Er war sich völlig klar über diese emi- nente wissenschaftliche Bedeutung einer solchen Einsicht. Dies bezeugt die denk- würdige Erklärung in der Einleitung zu den ,,120 Tagen von Sodom": ,,Wer diese Ver Irrun- gen feststellen und im einzelnen er- läutern könnte, würde vielleicht eine derwertvollstenundinteressantesten Arbeiten liefern, die man über die Sitten haben könnte."^) Und ohne Zweifel hat er recht, wenn er die Einleitung mit den Worten schliesst, dass ein ähnliches Werk sich weder bei den Alten noch bei den Neueren finde. Es war in der Tat der erste Versuch einer DarstellungsämtlichersexuellerAno- m a 1 i e n. Alle normalen Betätigungen der menschlichen Vita sexualis sollten ausdrücklich aus diesem eigenartigen Werke, dieser „Samm- lung" ausgeschlossen sein. 2)

1) Qui pourrait fixer et detailler ces ecarts feroit pent-etre un des plus beaux travaux que Ton put voir sur les moeurs et peut-etre un des plus interessants.

2j Imagine-toi que toutes les puissances honnetes ou pre- scrites par cette bete dont tu parles sans cesse, sans la connaitre et que tu appelles n a t u r e , que ces jouissanees, dis-je, seront expressement exclus de ce recueil."


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Die Gescliiclite dieses berühmten, wirk- lich von dem Marquis de Sade verfassten, so lange Zeit verschollenen und neuerdings von mir wiederaufgefundenen Werkes, dieser ersten und einzigen Schrift des 18. Jahrhunderts über die Psychopathia sexualis, diese Greschichte der ,,120 journees de Sodome ou l'ecole du libertinage" ge- hört zu den interessantesten Kapiteln der Biblio- graphie.

Das Originalmanuskript dieses Werkes, dessen Beschreibung und Schicksale weiter unten genau mitgeteilt werden sollen, wurde von dem Marquis de Sade in 37 Tagen in der Bastille geschrieben und zwar in den Abendstunden von 7 bis 10 Uhr, auf eine aus aneinander ge- klebten Papierstücken sich zusammensetzende lange Papierrolle (bände), die von ihm auf beiden Seiten beschrieben wurde, und zwar die eine Seite in der Zeit vom 22. Oktober bis zum 12. November des Jahres 1785,i) die andere vom 12. bis zum 27. November. 2) Das Ganze nahm also 37 Tage in Anspruch.

Diese Niederschrift geschah also 31/2 Jahre vor der Entlassung de Sades aus der Bastille. Bei dieser ging, worüber weiter unten Genaueres berichtet wird, das Manuskript verloren. Wir haben ja die Eeklamation de Sades, die sich gewiss auch auf diese Schrift mitbezog, kennen

1) Bemerkung im Manuskript der „120 Tage von Sodom", Anfang des 10. Tages.

2) Schlussbemerkung am Ende des ganzen Manuskripts.


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gelernt. Es ist kein Zweifel, class dieses Manu- skript nie wieder in de S a d e s Hände ge- langt ist.

Es ist nun möglich, dass bereits während der 31/2 Jahre seiner Aufbewahrung durch de Sade in der Bastille durch diesen selbst oder durch Andere Gerüchte über den Inhalt des- Manuskriptes in die Oef fentlichkeit drangen, oder auch, was ich für wahrscheinlicher halte, der Marquis de Sade nach dem Verluste des ersten Manuskriptes sich an die Ausarbeitung eines zweiten, vielleicht nach dem öfter erwähnten Brouillon des ersten, machte, welches einen ähnlichen Inhalt und Titel hatte. Denn es ist nicht anzunehmen, dass er die Idee zu diesem Hauptwerke seines Lebens ohne weiteres sollte aufgegeben und nicht eine E e k o n s t r u k t i o n. desselben sollte versucht haben.

Plötzlich taucht nämlich eine Erwähnung* dieses Werkes in dem 1797 erschienenen Teile des ,, Monsieur Nicolas" von Retif de la B re- tonn e auf! Man fragt sich, woher dieser die Kenntnis davon hatte. Die interessanteste und wichtigste Stelle darüber ist im elften Bande des ,, Monsieur Nicolas" (des Liseuxschen Neu- druckes) und lautet: ,,Icli habe endlich bemerkt, dass die Quelle der Zärtlichkeit des Herzens in den Organen der physischen Liebe ist. Indem ich immer an mir selbst das menschliche Herz, das ich zu entschleiern suche, studierte, habe ich die Ursache der ekelhaften Neigungen der Greise


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zu entdecken versucht, und habe sie in ihrer Im- potenz gefunden. Sie brauchen zu ihrer Auf- regung die obscönsten Ausdrücke, die empörend- sten Berührungen. Ich habe hier die Quelle der Grausamkeit der seit der Revolution ver- fassten verabscheuungs würdigen Werke, der Justine", der ,,Aline", des ,, Boudoir", der T h e o r i e du L i b e r t i n a g e " gefunden. Und wenn ich im achten Teile dieses Werkes den Ver- fasser nenne, dann tue ich das deshalb, um ihm zu zeigen, dass er bekannt ist, und um dadurch die Publikation der ,, Theorie", die noch nicht erscheint und die ich im Manuskript gelesen habe, zu verhindern. Der verderbte und blasierte G-reis will, da er selbst keinen Genus s mehr hat, auch nicht, dass die Erau ihn habe, sondern will, dass sie dabei leide, dass sie weine nach dem Grade ihrer Jugend und Schön- heit. Und wenn sie sehr schön, sehr hübsch, von vornehmer Geburt ist, so will er, dass sie in Martern umkomme. Je mehr sie zum Glücke be- stimmt schien, desto mehr Unglück soll sie er- dulden. Dies sind die Gedanken des infamen Dolmance in dem ,, Boudoir". i) Wenn jemals die ,, Theorie du Libertin age" erschei- nen sollte, w^orauf ich mich in diesem demo- ralisierten Jahrhundert gefasst mache, wird sie die grössten Verbrecher schaudern machen. Ich


1) Die Erstausgabe der „Philosophie dans le Boudoir" erschien 1795, also zwei Jahre vor Erscheinen dieses Teiles des „Monsieur Nicolas",


Dühren, Neue Forschungen über de Sacle.


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nehme heute am 1. Yendemiaire des Jahres Y (22. September 1797) Akt davon, dass man dort, in Nachahmung meines ,,PornogTaphe", vor- schlägt, Bureaux für den Preis der öffentlichen Erauen zu errichten, mit dem schrecklichen Zu- satz, dass die drei letzten der neun in diesem infamen Werke vorgeschlagenen Bureaux den Lebemännern Mädchen liefern sollen, die zur Marterung und Tötung bestimmt sein sollen, um den Yerbre ehern, die dieselbe Passion wie der Erfinder haben, einen wollüstigen Genuss zu bereiten. Man muss das Doppelte zahlen, wenn die Erau schwanger ist. Hier könnte man den schrecklichen Yerfasser erdolchen ! Und das ist noch nicht alles ! Am Ende des Manuskriptes findet man die Hinschlachtung eines hübschen Mädchens von 18 Jahren, mit Namen Angelika, die ihre Herrin, eine Marquise, den entsetzlichen Qualen überliefert, die ein Eräulein von 18 Jahren, die Marquise selbst und der Tiger Dolmance sie erdulden lassen. Das Ungeheuer von Yerfasser (monstre-auteur) bereitet eine Eortsetzung dieses schändlichen Werkes vor, dessen Einzel- heiten ich unterdrücke. Am Ende treten drei schöne, zarte, wohlerzogene Waisen auf, zwei Mädchen und ein Knabe, die man blindlings unter den Schutz dieser selben Marquise stellt. Das sind die Opfer, die in einer Eortsetzung zu der ,, Theorie du Libertinage" ge- foltert werden sollen, wie diese die Eortsetzung des ,, Boudoir" ist. 0 Re- gierung, komme diesem Schurken zuvor, der


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20 000 Frauen einen grausamen Tod geben kann, ivenn er von den Soldaten gelesen wird."i)

An einer anderen Stelle, im 16. Bande des ^, Monsieur Nicolas" (nicht in der Li seux sehen Ausgabe) bezeichnet Retif de la Bretonne die „Theorie du libertinage" als den Gipfelpunkt der obscönen Schriftstellerei des Marquis de Sade. Die ,, Justine", die ,, Philosophie dans le Boudoir" sind Nichts. ,,Alle Schrecken sind für die „Theorie du libertinage" aufbewahrt." Er erzählt dann, dass ein anderer die Kosten für die Kupfer zu diesem Schandwerke bestreite und berichtet, dass de Sade die „Theorie du liber- tinage", in seinem ,, unreinen Schlupf- winkel in Clichy" verfasst habe, wo seine grausame Seele sich mit diesen idealen Schänd- lichkeiten vergnüge, indem er dazu noch, wie man erzählt, das schreckliche Vergnügen hinzu- fügt, jede Woche eine Unglückliche, die ihm als JMaitresse dient, zur Ader zu lassen."^)

Aus diesen Mitteilungen ergibt sich, dass d e ■Sade ein Werk mit dem Titel „Theorie du X(ibertinage"in seiner petite maison in Clichy verfasst hatte. Dies spricht also schon für ein anderes Manuskript als das in der Bastille ver- fasste, jetzt wieder aufgefundene Originalmanu-


1) Monsieur Nicolas ou Le coeur humain devoile. Memoires intimes de Restif de la Bretonne. Paris 1883 (Liseux), Bd. XI, S. 207—208.

2) Vergl. P. L. Jacob, (Bibliophile) „Bibliographie et Iconographie de tous les ouvrages de Restif de la Bretonne", Paris 1875, S. 417—418.

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skript. Es miiss diese Schrift nach 1795 ge- schrieben sein, wenn sie wirklich eine Fortsetz- ung der 1795 erschienenen Philosophie dans le Boudoir" darstellen sollte, was wahrscheinlich ist, da in beiden ein Mann namens Dolmance vor- kommt. Dann aber muss sie dem Inhalte nach, gegenüber der E c o 1 e du L i b e r t i n a g e wie der Nebentitel des älteren Manuskriptes der ,,120 Tage von Sodom" lautete, gewisse Verände- rungen aufweisen. Denn weder die Bordell- projekte, noch die Persönlichkeiten der Marquise,, der Angelika, des Dolmance, der drei Waisen finden sich in diesem alten Manuskripte. Trotz- dem ist es nicht unwahrscheinlich, wie schon. Pisanus Praxi annahm,^) dass die ,, Theorie du Libertinage" eine wohl erweiterte Neubearbei- tung der ,,120 Tage von Sodom" gewesen ist. Wir erinnern uns, dass de Sa de seine Manuskripte häufig umarbeitete, neue Teile einfügte, die. Namen der Personen veränderte u. a. m. Auch ist es unwahrscheinlich, dass er nach Verlust des. ersten Manuskriptes die Idee einer Darstellung des Gesamtgebietes der Psychopathia sexualis. gänzlich fallen liess, er wird dieses Thema in ähnlicher Weise noch einmal bearbeitet haben.. AVas K e t i f de 1 a B r e t o n n e über den Inhalt der ,, Theorie du Libertinage" sagt, trifft auch auf die ,,Ecole du Libertinage" zu. Alle übrigen Schriften de Sades sind in Vergleichung mit dieser harmlose Pornographien. Denn die ,,120

^) P i s a n u s Fraxi: „Index libiorum pi'ohibilorum"y London 1877, S. 423.


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Tage von Sodom oder die Schule der Unzucht" stellen das furchtbarste G-emälde sexueller Aus- schweifungen dar, das je von einem Menschen entworfen worden ist, das aber leider in seinen Grundzügen richtig ist und in der Tat eine Psychopathia sexualis in systematischer Form, wenn auch in der äusseren Einkleidung eines Eomanes gibt.

Kehren wir jetzt zu dem ür - Manuskript dieses Werkes, das noch heute existiert, zurück und dessen genauer Titel, am Anfange des ersten Teiles, lautet : L e s 120 j o u r n e e s de Sodome ou l'Ecole du L i b e r t i nage ". Es gehörte zu denjenigen Handschriften, die de Sade bei seiner Fortführung aus der Bastille dort zurücklassen musste.i) Armou x de Saint Max im in soll es einige Tage später, bei der Zerstörung der Bastille, in dem ehemals von de Sade bewohnten Zimmer aufgefunden haben. Jedenfalls ist sicher, dass es in seinem Besitze sich befand und dass er es dem Grossvater des letzten Besitzers, dem Marquis de Y. übergab. i) X)ieser Marquis d e Y. ist der Marquis von Y i 1 1 e- 11 e u V e - T r a n s , in dessen Familie das Manu- skript drei Generationen hindurch verblieb, um dann, von mir entdeckt, durch Yermittelung eines


^) Die Legende berichtet, dass er gerade auf dieses Manu- skript sehr erpicht gewesen und noch einmal zurückgestürzt sei, um es zu holen. Aber es sei schon verschwunden gewesen.

-) Vergi. die authentische Darstellung bei P. F r a x i a. a. O.. S 422—424.


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Pariser Biichliändlers an einen deutschen Ama- teur, den ich darauf aufmerksam machte, für eine hohe Summe verkauft zu werden. Die frü- heren Besitzer hatten das Manuskript streng ge- hütet und es nur wenigen Personen, darunter zwei Freunden von Pisanus Fraxi gezeigt. • Der nähere Inhalt desselben ist nie bekannt gewor- den, selbst nicht den früheren Be- sitzern. Eine Kopie, die in den fünfziger Jah- ren des 19. Jahrhunderts versucht wurde und mir ebenfalls vorliegt, kam wegen der Schwierigkeit der Entzifferung des Originales nicht über den ersten Anfang hinaus und reicht nur bis zum 5. Tage der Erzählung.

Ich habe das nun in Deutschland befindliche Originalmanuskript einer genauen Prü- fung unterzogen und gebe auf Grund derselben folgende Beschreibung davon.

Es besteht aus einer langen P a p i e r r o 1 1 e,i) die sich zusammensetzt aus lauter kleinen, sorg- fältig aneinander geklebten einzelnen Blättern von 11 cm Breite. Das Ganze bildet eine 12 m 10 cm lange Eolle, die auf beiden Seiten beschrieben ist, so dass eine ,,premiere und eine ,,deuxieme" bände herauskommt, wie de Sade selbst im Texte diese beiden Seiten voneinander unterscheidet. Stellenweise, nament- lich am Anfang, ist das Papier fleckig, durch die Einwirkung einer Flüssigkeit (Wein?).

1) Ibidem, S. 423.

2) Das Papier ist mit einem Wasserzeichen von vier senkrechten Linien versehen.


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Der Text des Manuskriptes ist durchweg inder bekannten, charakteristischen, zierlichen Handschrift des Marquis de S a d e geschrieben, und zwar mit mikrosko- pisch kleinen Buchstaben, da er offenbar nicht viel Papier zur Verfügung gehabt hat. Wer einmal diese Handschrift im Originale ge- sehen hat, wird sie sofort wiedererkennen. So eigentümlich charakteristisch ist sie. Nament- lich fällt seine sonderbare spitzige Schreib- weise des p, des g, des r auf. Sehr treffend hat ein genauer Kenner der Handschrift, mit pikanter Anspielung auf den Inhalt der de S a d e sehen Schriften, dieselbe als aus lauter Lancetten • zusammengesetzt bezeichnet. Dieses Urteil stammt von einem Archivbeamten de Sevigne^ wie der frühere Besitzer des von uns erwähnten Manuskriptentwurfes ,,Les journees de Florbelle" unter dem 1. August 1847 am Ende dieses letzte- ren vermerkt hat. In der Tat sind es lauter kleine spitze Messerchen, die uns aus der Handschrift des Marquis de Sade wie drohend entgegen- starren !i)

Eine genaue Handschriftenvergleichung hat mir keinen Zweifel darüber gelassen, dass das Manuskript der ,,120 Tage von Sodom" in der Tat von der Hand des Marquis de Sade selbst geschrieben ist, besonders liefert das aus der


0 Ein Facsimile der Handschrift, sowie ein Porträt d e S a d e s , die der Luxusausgabe des vorliegenden Werkes beigegeben sind, können auf Anfrage beim Verleger auch einzeln bezogen werden.


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gleichen Zeit in der Bastille geschriebene Facsi- mile eines Briefes yom 3. Januar 1786 — unser Manuskript stammt aus dem November 1785 — , das von Ginisty mitgeteilt wird/) in seiner völligen Gleichheit den stringenten Beweis dafür. Zum Ueberfluss ist noch durch die Prü- fung eines ersten Pariser, gerichtlich vereidigten, Handschriftenverständigen mit absoluter Sicher- heit das Manuskript als von der Hand des Mar- quis de S a d e herrührend bezeichnet worden.

Aber auch der Inhalt und der Stil der Schrift gleicht völlig dem der übrigen obscönen Schriften de Sades. Dieselbe Ausdrucksweise, dieselben Ideen begegnen uns hier. Wir werden Uebereinstimmungen im einzelnen noch kennen lernen. Nur der Marquis de Sade kann dieses erstaunliche Werk geschrieben haben, das ge- wissermassen die Synthese, den Gipfelpunkt seines Schaffens bildet und schon von Pisanus F r a X 12) (wie vor ihm von E e t i f de 1 a B r e - tonne) als die wichtigste Schrift des V erfassers der ,, Justine und Juliette" bezeichnet worden ist.

Als Kuriosum sei erwähnt, dass der letzte französische Besitzer das Manuskript in einer extra angefertigten eigenartigen gedrechselten Holzkapsel (mit aufschraubbarem Deckel), die die Eorm eines — Priap hat, aufbewahrt hat.

Die äusserst schwierige Entzifferung der mikroskopisch kleinen, nur mit der Lupe lesbaren

^) P. GinivSty, „La Marquise de Sade". P]inschaltung: zwischen S. 40 und 41.

2) P. Fr axi a. a. O. S. 35.


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Handschrift, die ausserdem stellenweise durch Flecke fast unleserlich geworden ist, hatte, wie erwähnt, eine Abschrift bisher als unlösbares Unternehmen erscheinen lassen. Es ist jedoch einem tüchtigen deutschen Komanisten gelungen, diese Aufgabe in vollem Umfange zu lösen. Er hat eine zwar noch der Durchsicht bedürftige, aber im ganzen ausgezeichnete vollstän- dige Kopie des Originalmanuskriptes geliefert, die mir als Grundlage für die folgende Analyse gedient hat.


Der Titel dieses Hauptwerkes des Marquis •de Sade lautet: ,,Die 120 Tage von Sodom oder die Schule der Unzucht". Er drückt in •dieser präcisen Angabe vollkommen Grrundidee imd Inhalt der Schrift aus. Bei dem Worte ,,120 Tage" wird "man sofort an Boccaccios ,,Deca- merone" und dessen 10 Tage erinnert, und in der Tat handelt es sich auch in dieser Schrift um Erzählungen, die auf die Zeit von 4 Monaten (120 Tagen) verteilt werden und von vier ,,h i s t o- r i e n n e s Erzählerinnen vorgetragen werden, nnd zwar werden von jeder je einen Monat lang vier Erzählungen täglich (mit Ausnahme einiger Tage) vorgetragen. Aber es sind 120 Tage von Sodom, es ist eine Schule der Unzucht ! -,, Sodom" deutet auf den Inhalt der Erzäh- lungen, „Schule" auf die Gesellschaft hin, der sie vorgetragen werden. Vier in einem ein-


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samen, durch Wald und G-ebirge von der Aussen- weit abgesperrten Schlosse versammelte Wüst- linge aus vornehmem Stande lassen sich von eben- so vielen alten j^historiennes", ehemaligen Freu- denmädchen, jetzigen Kupplerinnen, die Er- fahrungen ihres langen der Unzucht gewidmeten Lebens mitteilen und im ganzen 600 sexuelle Perversionen schildern, die ihnen, den Wüst- lingen, zwar selbst nicht unbekannt sind, die sie aber gern in einem systematischen Zusammen- • hange sich auf diese Weise vorführen lassen, so dass dieselben für sie eine neue ,, Schule der Unzucht" bilden, deren Lehren sie sofort bei den zwischen die Vorträge fallenden sexuellen Orgien praktisch anwenden. Das Ganze zerfällt in eine Einleitung und vier Teile. Pisanus- Fraxi gibt an, dass 52 Kapitel vorhanden seien, jedoch ist eine solche Einteilung nach Kapiteln nicht angegeben, sondern die vier Teile sind nur nach den einzelnen Tagen der vier Monate November, Dezember, Januar, Februar gegliedert.

Gehen wir nunmehr zu einer kurzen Betrach- tung des Werkes selbst über.

Am Ende der Eegierung Ludwigs XIV.,. kurz vor dem Beginne der Eegentschaft, als das französische Volk durch die vielen Kriege des Sonnenkönigs verarmt war und nur wenige ,, Blut- sauger" sich in diesem allgemeinen Unglück be- reichert hatten, ersannen vier dieser letzteren die ,,singuliere partie de debauche", deren Dar- stellung den Inhalt des Werkes bildet. — Der


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Herzog von Blangis und sein Bruder, der Erz- bischof von — , hecken den Plan zuerst aus und teilen ihn dem berüchtigten Durcet und dem Präsidenten von Curval mit. Um inniger ver- bunden zu sein, heiraten sie vorher jeder die Tochter des anderen, machen gemeinschaftliche Kasse und setzen jährlich 2 Millionen für ihre Vergnügungen aus. Es werden 4 Kupplerinnen für die Herbeischaffung von Mädchen, 4 Kuppler für diejenige von Knaben engagiert; und 4 ga- lante Soupers wöchentlich in 4 petites maisons in 4 verschiedenen Stadtteilen von Paris veran- staltet. Das erste Souper ist nur für die Ge- nüsse der Päderastie bestimmt, wo 16 junge- Männer von 20 bis 30 Jahren als aktive und IG- Knaben von 12 bis 18 Jahren als passive Ob- jekte der Lust benutzt werden, bei diesen ,,orgieS' masculines, dans lesquelles s'executaient tout ce que Sodome et Gromorrhe inventerent jamais de plus luxurieux". Das zweite Souper ist den ,,filles du bon ton" d. h. der fashionablen Demi- monde gewidmet. Es sind ihrer 12 an der Zahl. Das dritte Souper versammelt die ,,feilsten und schmutzigsten Dirnen" der Stadt, im ganzen 100 1. Zum vierten Souper werden 20 Jungfrauen im


1) Hier bezeichnet der Herzog als den Zweck der Ehe:: „ Glaubt Ihr, dass ich eine Frau will, um eine Geliebte zu. haben? Ich will, dass sie allen meinen Launen dieiie, dass; sie eine Unzahl kleiner geheimer Ausschweifungen verberge, die der Mantel Hymens wunderbar verhüllt — wir Wüstlinge halten unsere Frauen für unsere Sklavinnen, ihre Eigenschaft, als Gattin macht sie uns untertäniger als wenn sie unsere- Maitressen wären".


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Alter von 7 bis 15 Jahren hinzugezogen. Aiisser- «dem findet jeden Freitag ein „secret" statt, dem 4 junge ihren Eltern entführte Mädchen und 'die 4 Frauen der Wüstlinge beiwohnen. Ein jedes solches Mahl kostet 10 000 Francs, dafür werden aber auch die Weine aller Länder, herrlichste Früchte mitten im Winter usw. dabei aufgetragen.

Nach diesen in Yergleichung mit dem Kom-

menden immer noch harmlosen Vorübungen treten

wir in die eigentliche Erzählung ein, die zu- nächst mit der Schilderung der vier Libertins beginnt. Diese Schilderung ist nicht scliönfärbe- risch, sie soll nicht verführen oder bestechen, nein, sie soll mit dem Pinsel der Natur selbst gemalt sein", die trotz aller Unordnung oft selbst •dann noch erhaben ist, wenn sie am meisten ver- derbt ist. ,, Wagen wir den Ausspruch: wenn das Verbrechen nicht immer das Zartgefühl der Tugend hat, ist es nicht immer erhabener, hat es nicht einen Charakter von Grösse, der es immer über die monotonen und weibischen Kelze der Tugend den Sieg davontragen lassen wird;"

Zunächst wird nun die Persönlichkeit des Herzogs von Blangis geschildert und eine genaue Skizze seiner Entwicklung, seines Wesens und seiner Triebe gegeben. Mit 18 Jahren Herr eines natürlich ungeheuren Vermögens, hat er dasselbe seitdem durch zahlreiche Schandtaten und Schwindeleien vergrössert, und schon in früher Jugend ist bei ihm ,,das Mass seiner Kräfte aucli •das Mass seiner Laster" geworden, zumal da die -Natui- ihm zugleich alle Neigungen gegeben hat,


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die hierfür günstig sind, die verbrecherischeste- und hartherzigste Seele" in Verbindung mit den. schändlichsten Passionen und Verirrungen. In- fam, hart, herrisch, barbarisch, Egoist, ebenso freigebig für seine Vergnügungen wie geizig gegen andere, Lügner, Grourmand, Trunkenbold, Feig- ling, Päderast, Blutschänder, Mörder, Brand- stifter, Dieb," das sind die angenehmen Eigen- schaften, mit denen de S a d e dieses Haupt der Wüstlingsgesellschaft ausstattet. Nur der Lasterhafte ist in den Augen des Herzogs, ein — Mensch 1 Für ihn handelt es sich nicht bloss um die Frage, stets das Schlechte zu tun, sondern noch, mehr darum, niemals das Gute zu- tun. Nicht gelegentlich muss man böse sein, um dann wieder der Allerweltsmoral zu folgen, son- dern systematisch und unaufhörlich. i) Man muss konsequent im Bösen sein und darf nicht ,,am Morgen bekämpfen, was man am Abend getan, hat," man darf nicht ,,vertueux dans le crime et criminel dans la vertu" sein. Der Herzog ist ohne Eeue von frühester Jugend an lasterhaft gewesen und will es auch bleiben. Denn seine Erfahrungen haben ihn fest davon überzeugt, dass ,,das Laster allein dem Menschen jene moralische und physische ,, Vibration" zuteil werden lässt, die die Quelle der ,,plus delicieuses voluptes" ist. Er gibt dann eine naturalistische Erklärung


0 Dies erinnert an die Ausführungen OttoWeining-ers. in seinem Werke „Geschlecht und Charakter", der zwar im Grunde das Gute zur Herrschaft bringen will, aber auch lieber das Böse triumphieren sieht als die — AllerweltsmoraL


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Rind Ableitung des Verbrechens. In der leblosen ^ind lebendigen Natur schlummern alle diese Keime des Verbrechens, die in grossen, erhabenen Menschen sich zu voller Herrlichkeit des Lasters -entfalten. Auf den Einwurf, dass die Begriffe „Eecht" und ,, Unrecht" doch auch aus der Natur stammen müssten, gibt der Herzog mit grösster Kaltblütigkeit die interessante Antwort, dass -diese Ideen nur relativ seien, dass der Stär- kere immer das gerecht finde, was der Schwächere als ungerecht ansehe, und dass, wenn man den Schwachen an die Stelle •des Starken setze und umgekehrt, ebenso die Auffassungsweise von Eecht und Un- recht sich ändern werde. Ist das nicht Herren- und Sklavenmoral" ganz ä la Nietz- s c h e'I Ist hier nicht der Gredanke, dass die Starken, die Mächtigen, die Herrscher eine andere Moral haben als die Schwachen, die Unterworfe- nen, die Sklaven, zum ersten Male klar und deut- lich ausgesprochen ? Ich will gewiss Nietzsche sonst nicht im geringsten mit dem Marquis de ■Sade vergleichen — aber hier ist ein Punkt der Uebereinstimmung, der nicht weggeleugnet wer- den kann.

So durch die ,, Philosophie" in seinen Lastern bestärkt, hat sich der Herzog von Blangis seit früher Jugend den schändlichsten und unerhör- testen Ausschweifungen hingegeben. Seine erste Heldentat ist die Ermordung seiner ihm in bezug auf das väterliche Vermögen hinderlichen Mutter, mit welcher er diejenige seiner mit ihm im Incest


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lebenden Schwester verbindet. Nach diesem •ersten Versuche auf der Bahn des Verbrechens gibt es für den Herzog keine Schranken mehr. Von den j^notwendigen Morden" geht er zu den Lustmorden" über. Mit 23 Jahren verbindet er sich mit drei „compagnons de vices", dejien er seine Philosophie eingeimpft hat und verübt mit ihnen allerlei Schandtaten. So halten sie eine Postkutsche auf der grossen Heerstrasse an, schänden die männlichen und v^eiblichen In- sassen, ermorden sie und bemächtigen sich ihrer Barschaft, und finden sich am selben Abend alle drei auf dem Opernballe ein, um ihr Alibi zu be- weisen. Dann werden zwei schöne Mädchen in den Armen ihrer Mütter vergewaltigt und massa- kriert usw. usw. Blangis ermordet seine Gattin, um ein reiches, aber ,, öffentlich entehrtes Mäd- chen", die Maitresse seines Bruders zu heiraten. Es ist die Mutter Alines, einer der Heldinnen unseres Romans. Diese zweite Gattin macht einer dritten Platz, diese einer vierten.

Nunmehr folgt eine naturgetreue Schilde- rung der körperlichen Persönlichkeit des Herzogs, der als ein wahrer Herkules oder Gigant in der Liebe dargestellt wird, wobei vielleicht die ähn- liche Schilderung in dem 1781 erschienenen „Petit-fils d'Hercule" dem Marquis de S ade als Vorbild gedient haben mag. Dieser 50 jährige Mann, dieser Riese, dieses „Meisterwerk der Natur" ist mit erstaunlichen geschlechtlichen Kräften begabt, die de Sade höchst originell ausmalt. Er ist im Zustande der „ivresse de vo-


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lupte" nicht mehr ein Mensch, sondern ein wil- der Tiger", aus dessen Augen Flammen sprühen, dessen Mund schäumt, der laut schreit, sich in. erschrecklichen Blasphemien ergeht, On l'eut pris j)our le dieu meme de la lubricite. Nachher ist er die G-leichgültigkeit und Apathie selbst. Hierauf werden die näheren Details dieser ab- norm gesteigerten Sexualfunktionen genau be- schrieben, ebenso die der passiven Päderastie, welchem Laster der Herzog seit 25 Jahren fröhnt. Seine Körperkräfte sind gewaltig, er ,, konnte ein Pferd zwischen seinen Beinen ersticken". Seine gastronomischen Excesse sind nicht weniger- enorm, er verschlingt ungeheure Mengen, hält dreimal täglich drei sehr lange und reichliche Mahlzeiten, trinkt jedes Mal dabei 10 Flaschen Burgunder ( ! ). Oft war man genötigt, den in der Trunkenheit Rasenden zu fesseln. Trotzdem, ist er eine im Grunde feige Natur und hat sich in mehreren Feldzügen durch seine Furcht blamiert.

Dieselben Charakterzüge, nur an einen bedeu- tend inferioren Körper geknüpft, weist der Bruder des Herzogs von Blangis, der Erzbischof auf. Die- selbe Tücke der Seele, dieselbe Neigung zum Verbrechen, dieselbe Verachtung der Religion, derselbe Atheismus, dieselbe Schurkerei, indessen ein feinerer und gewandterer Geist, der mit mehr Kunst seine Opfer ins Verderben stürzte, ein schlanker und leichter Wuchs, schwankende Ge- sundheit, zarte Nerven, mehr Raffinement in den Genüssen, eine mittelmässige Begabung, ge-


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scMechtlich sehr erregbar bis zum epileptischerL Anfall", das sind die von de Sade geschilderten Haupteigenschaften des 45 jährigen Erzbischofs, der schöne Augen, aber einen hässlichen Mund hat. Weiter werden die Einzelheiten seines effe- minierten Körpers beschrieben, die ihn besonders zur aktiven und passiven Päderastie befähigen. Er ist ebensolch ein Vielfrass wie sein Bruder, aber auch mit mehr Raffinement, eben derselbe Verbrecher, Kinderschänder, Eäuber, Mörder.

Der Doyen dieser edlen Gesellschaft ist der fast 60 jährige Präsident von Curval, der schon stark durch die Debauche mitgenommen ist. Er ist nur noch ein Skelett, gross, mager, trocken, mit braunen erloschenen Augen, einem lividen Mund, spitzem Kinn, langer Nase, „mit Haaren bedeckt wie ein Satyr" usw. usw. Impotent, be- darf er aller möglichen Reizungen und hat sich zu diesem Zwecke sogar der — Circumcision unterworfen ! Dieses äusserst unreinliche Scheu- sal schwelgt nur noch im widerlichsten Schmutz der Libertinage, ist beständig betrunken, betreibt das Verbrechen en gros. II se fit chercher des victimes partout, pour les immoler ä la perver- site de ses goüts. Sein ,, liebster Zeitvertreib" ist der Giftmord. Auch ist dieser Gemütsmensch Verfasser mehrerer Schriften gegen die Religion, die grossen Absatz und Erfolg gehabt haben.

Der vierte in diesem eigenartigen Bunde ist der 53 jährige Durcet, der als ein typischer Ef fe- minierter geschildert wird. Er ist klein, kurz, dick und fett, hat ein angenehmes, frisches Ge-

Dühren, Neue Forschungen über de Sade. 26


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sieht, eine sehr weisse Haut, der ganze Körper, besonders an den Hüften und dem Becken gleicht vollkommen dem eines Weibes, sogar ein weib- licher Busen ist bei ihm vorhanden, seine Stimme ist sanft und angenehm. Er ist natürlich bei dieser Körperbeschaffenheit Kynäde und von Jugend auf der Giton des Herzogs gewesen, hat aber eine ebensolche „tete depravee" wie seine G-enossen.

• „Das sind," so schliesst de Sade diese Schilderung, „die vier Verbrecher, lieber Leser, mit denen ich Dich einige Monate verbringen lassen will."

Jetzt kommen die vier Gattinnen dieser Helden des Lasters an die Reihe. Welch ein Kontrast !

Konstanze, die Frau des Herzogs und Tochter Durcets ist eine grosse, schlanke Frau, ,,wie zum Malen", wie wenn die Grazien selbst an ihrer Verschönerung Vergnügen gefunden hätten, aber die Eleganz ihres Wuchses tut ihrer Frische keinen Abbruch. Eine lilienweisse Haut, herrliche Körperformen vollenden den blendenden Ein- druck. Ihr ein wenig längliches Antlitz zeigt ausserordentlich edle Züge, mehr Majestät als Sanftmut und mehr Grösse als Feinheit, ihre Augen sind gross, schwarz,^ voll Feuer, ihr Mund ist sehr klein und mit prachtvollen Zähnen ge- schmückt. Auch die übrigen Reize entsprechen den geschilderten. Sie war ,, beinahe" Jungfrau, als der Herzog sie heiratete. Dieser ,, Engel von 22 Jahren" ist von ihrem Vater Durcet ,,melir


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als Kurtisane denn als Tochter erzogen worden", aber es ist ihm nicht gelungen, die natürliche Herzensgüte und Schamhaftigkeit in ihr zu zerstören.

xldelaide, die Frau Durcets und Tochter des Präsidenten von Curval, ist eine Schönheit ganz anderer Art wie die Brünette Konstanze. Sie ist 20 Jahre alt, sehr klein und zart, hat die schön- sten blonden Haare, über ihre ganze Person ist ein Schimmer von Sentimentalität verbreitet, namentlich prägt sich diese im Gesichte aus, so dass ihre Erscheinung wie die einer ,, Roman- heldin" wirkt, ihre sehr grossen blauen Augen drücken Zärtlichkeit und Decenz zugleich aus : ^wei grosse feine, seltsam geschwungene Augen- brauen schmücken ihre hohe, edle Stirn, sie hat eine leichte Adlernase, nur ein etwas grosser Mund ist ,,der einzige Fehler ihrer himmlischen Physiognomie". Aber wie anmutig sieht es aus, wenn sie den Kopf beim Zuhören ein wenig auf die rechte Schulter neigt ! Adelaide ist mehr die 5, Skizze, als das Modell der Schönheit", es schien als ob die Natur in ihr nur habe andeuten wollen, was sie in Konstanze zu so majestätischem Ausdrucke gebracht hatte. Dieses liebe, zarte, romantische Wesen sucht mit Vorliebe die Ein- samkeit auf, wo sie oft unfreiwillige Tränen ver- giesst, ,, Tränen, die man nicht genug studiert und die, wie es scheint, die Ahnung der Natur abzwingt." Der Präsident hat trotz aller An- strengungen ihr religiöses G-efühl nicht vernichten können. Oft hat sie heimlich gebetet, was ihr

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stets strenge Bestrafung von selten des Vaters und G-atten einträgt. Sie ist eine Wohltäterin der Armen, für die sie sich aufopfert.

Julie, die Gattin des Präsidenten und älteste Tochter des Herzogs ist gross und gut gewach- sen, obgleich ein wenig fett, hat die schönsten braunen Augen, eine hübsche Nase, anmutige Züge, schöne hellbraune Haare, aber einen sehr hässlichen Mund mit kariösen Zähnen. Gerade diese letztere Eigenschaft und eine Neigung zur Unreinlichkeit hat ihr die Liebe des Präsidenten erworben, eines enragierten Koprolagnisten. Ja,, er hat sie endlich so weit gebracht, dass sie „dem Wasser auf ewig Feindschaft erklärt hat. Ausser- dem ist dieses reizende Wesen Gourmandise und Säuferin und von leichtfertigem Sinne.

Ihre jüngere Schwester" Aline, in Wirklich- keit eine Tochter des Erzbischofs, zählt kaum 18 Jahre, hat ein pikantes, frisches, herausfor- derndes Gesichtchen, eine kleine Stumpfnase,, braune, lebhafte und ausdrucksvolle Augen, einen deliciösen Mund, einen zierlichen Wuchs, eine leicht braun gefärbte, aber weiche und schöne Haut. Der Erzbischof hat sie im Zustande tief- ster Unwissenheit gelassen, kaum kann sie lesen und schreiben, kennt den Begriff der Eeligion überhaupt nicht und hat ein noch ganz kindliches Wesen. Sie gibt drollige Antworten, spielt, liebt sehr ihre Schwester, verabscheut den Erzbischof und fürchtet den Herzog ,,wie das Feuer". Sie ist faul und lässig.

Nach dieser Einführung der Hauptpersonen


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der Erzählung entwickelt de S ade den Plan des Werkes, den „Gregens tand des sonderbaren Ver- gnügens", der von den vier Eoues erdacht wor- den ist. Es ist nach de Sade unter den Liber- tins eine ausgemachte Sache, dass die Sensa- tionen, die durch die Sprache, durch Worte vermittelt werden, ausserordentlich lebhafte Ein- drücke hervorrufen. Im Hinblick auf dieseTatsache haben die vier Wüstlinge den Plan ersonnen, sich mit allem zu umgeben ,,ce qui pouvait le mieux satisfaire les autres sens par la lubricite", und in dieser Situation sich alle verschiedenen Ver- irrungen der Unzucht, alle ihre Zweige, alle Varia- tionen, kurz alle sexuellen Perversionen mit agilen Einzelheiten und systematisch (par ordre) erzählen zu lassen! Hier weist de Sade schon 100 Jahre vor v. K r a f f t - Ebing auf die hohe wissenschaftliche Bedeutung eines solchen Unternehmens hin und verspricht sich von einer Sammlung und kriti- schen Ordnung der sexuellen Varietäten viel für die Kenntnis der menschlichen Natur und Sitten.

Nach langem Suchen finden die Libertins vier Erauen in höherem Alter, deren ,, Erfahrung" in einem langen Leben der ausschweifendsten Un- zucht sie in den Stand setzt, einen ,, zuverlässigen Bericht über ihre Erlebnisse" zu erstatten und alle sexuellen Verirrungen ihnen in zusammen- hängender Erzählung systematisch vorzuführen; Und zwar soll die erste nur die 150 ,, e i n f a g h- s t e n P e r V e r s i o n e n ", die gewöhnlichsten, wenigst raffinierten darstellen, die zweite soll


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eine gleiche Zahl (150) „seltsamerer und komplizierterer" sexueller Verirrungen vor- führen, bei denen ein oder mehrere Männer mit mehreren Frauen agieren, die dritte muss 150 ,,in Beziehung auf Gesetz, Natur und Keligion kriminelle Verirrungen" schildern. Da die Excesse dieser letzteren Kategorie zum Mord überleiten und diese Lustmorde mannigfaltigster Art sind, so soll die vierte Erzählerin 150 dieser verschiedenen ,, Torturen" zum besten geben.

Diese Erzählungen wollen die Libertins, um- geben von ihren G-attinnen und mehreren anderen ..Objekten" verschiedener Art, entgegennehmen und die durch die obscönen Schilderungen in ihnen erregten Begierden mit den Frauen oder den anderen Lustobjekten befriedigen.

Nunmehr werden uns die vier ,,historiennes"y die Erzählerinnen, vorgeführt, auf deren körper- liche Erscheinung es nach de Sade weniger an- kommt, als auf ihren ,, Geist" und ihre ,, Erfah- rung", die beide vorzüglich sind. Es sind vier ehemalige Prostituierte und Bordellwirtinnen, die 48 jährige Duclos, deren Erscheinung noch einigermassen angeht, die 50 jährige Chanville. eine wütende Tribade, die 52 jährige Martaine,. die wegen angeborener Atresie sich von Jugend auf der Pädikation hat unterwerfen müssen und endlich die 56 jährige Desgranges, das „personi- fizierte Laster", nur noch ein Skelett, der zehn Zähne, drei Finger, eine Ferse und ein Auge fehlen. Ausserdem hinkt dieses Scheusal und hat ein — Carcinom, das ihr allerdings erst von de


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S a d e in einer späteren Randnotiz beigelegt wird. Natürlich ist ihre Seele „le receptacle de tous , les vices". Es gibt kein Verbrechen, das nicht von ihr begangen worden ist. Uebrigens sind, was wohl kaum bemerkt zu werden braucht, die di'ei ersterwähnten alten Weiber auch keine Engel. Eine gewisse Naturtreue kann man in dieser drastischen Schilderung alter, ausgedien- ter Prostituierter nicht verkennen.

Nunmehr handelt es sich um die Herbeischaf- fung der ,,objets luxurieux" beider Geschlechter. Es sollen 8 Mädchen, 8 Knaben, 8 Männer und 4 Dienerinnen sein. Man bietet die berühmtesten Kupplerinnen und Kuppler Frankreichs auf, um das geeignetste Material zu bekommen, bei dessen Auswahl mit grösstem Raffinement verfahren wird. So werden von 130 von überall her mit Gewalt und List, aus Klöstern und Familien her- beigeschafften 12 bis 15 jährigen Mädchen, für die die Kupplerinnen 30 000 Francs erhalten, nur 8 ausgewählt. Das gleiche gilt von den Knaben; und Männern, die von den „agents de Sodomie" zusammengebracht werden. Auf dem Landgute des Herzogs findet zunächst die „Besichtigung" der Mädchen statt, die 13 Tage dauert, da an jedem nur 10 Mädchen absolviert werden, die vor dem Kreise der vier Wüstlinge ihre Reize ent- hüllen müssen, welche einer äusserst skrupulösen Prüfung unterworfen werden, deren nähere Ein- zelheiten sich der Mitteilung entziehen. Ebenso geht die Auswahl der 8 Knaben und. der 8 ak- tiven Päderasten vor sich. Endlich übertreffen


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die 4 Dienerinnen alles, was an E kelliaf tem sieh nur denken lässt. Die Kontrastwirkun- gen spielen überhaupt bei den Wüstlingen eine grosse Eolle.

Diese ganze Gre Seilschaft begibt sich nun auf das Schloss des Herzogs, den Schauplatz der viermonatlichen Erzählungen und Orgien, wo- hin schon zu diesem Zwecke Möbel, Lebensmittel, Weine usw. geschafft worden sind. Dieses ge- heimnisvolle Schloss liegt mitten im Walde, um den sich hohe, fast unübers teigliche Berge ziehen. Es ist von einer hohen Mauer und breitem Graben timgeben. Von aussen gewährt es einen ruhigen Anblick, es hat beinahe einen ,, religiösen An- strich", der der Libertinage noch grösseren Reiz gibt. Alle Zimmer des Schlosses gehen nach einem grossen inneren Hof. Im ersten Stocke ist eine grosse Galerie, von wo man in einen schönen Speisesaal gelangt, von dem aus grosse Schränke in Form von Türmen direkt in die Küche reicheUj ' so das s von dort aus die Speisen ohne weiteres noch ganz heiss hinaufbefördert werden können. Dieses Speisezimmer ist mit Ottomanen, herr- lichen Fauteuils, schönen Tapeten und allen anderen Bequemlichkeiten ausgestattet. Von hier geht man in das ebenfalls schon möblierte Ge- sellschaftszimmer" (salon de compagnie), an das ein ,, Versammlungszimmer" (cabinet d'assemblee) anstösst, iio: dem die Erzählungen der vier Alten stattfinden. Dieser Saal ist das eigentliche „Schlachtfeld", der Schauplatz der „assemblees, lubriques", und daher seinem Zwecke ent-


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sprechend eingerichtet. Er ist halbkreisförmig; in dem geraden Radius dieses Halbkreises be- finden sich vier grosse Nischen mit G-laswänden, in jeder steht eine schöne Ottomane. In der Mitte steht ein Thron für die Erzählerin, gerade gegen- über den für ihre Zuhörer bestimmten Nischen. Auf den Stufen am Eusse des Thrones befinden sich die ,,sujets de debauche", die die durch die Erzählungen aufgeregten Sinne der Libertins be- ruhigen sollen. Thron und Stufen sind mit schwarzem Sammet mit Groldfran|en bedeckt, die Nischen mit hellblauem Sammet ausgeschlagen. Jede Nische hängt mit einer mysteriösen Grarde- robe" zusammen, wohin sich der Libertin mit dem Objekte seiner Begierde zurückzieht, in der Kana- pees und j.tous les autres meubies necessaires aux impuretes de toute espece sich befinden. Zu beiden Seiten des Thrones erheben sich zwei bis zum Plafond reichende hohle Säulen, in die. die zu bestrafenden Personen eingesperrt werden. Alle dazu nötigen Marterwerkzeuge befinden sich in denselben, durch deren Anblick allein jene Sub- ordination hervorgerufen wird, d'oü nait presque tout le charme de la volupte dans l'äme des perse- cuteurs. Neben diesem grossen Saal liegt ein für die ,, geheimsten Vergnügungen bestimmtes dunkles Boudoir. Im anderen Elügel des Hofes liegen vier sehr schöne Schlafzimmer mit Bou- doirs und Garderoben, mit türkischen Betten aus dreifarbigem Damast und mit den der ,,lubricite la plus sensuelle" schmeichelnden Gegenständen des üppigsten Luxus ausgestattet. In dem zweiten


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Stockwerk sind die verschiedenen Zimmer für die Erzählerinnen, die Knaben, Mädchen, Dienerin- nen usw. Aus der Kapelle am Ende der G-alerie führt eine Wendeltreppe mit 300 Stufen in die Tiefen der Erde in eine Art von dunklem Gewölbe, das durch drei eiserne Türen verschlossen werden kann, und in dem alles, was ,,die grausamste Kunst und die raffinierteste Barbarei Schreck- liches erfinden konnte" zu finden ist. Hier ist der Verbrecher gleichsam erst bei sich zu Hause.

Dieses geheimnisvolle, unzugängliche Schloss nimmt am 29. Oktober, 8 Uhr abends die Gre Seil- schaft der vier Libertins mit ihrem ganzen Ge- folge auf. Wie bei einem Konklave werden auf Befehl des Herzogs sofort nach dem Einzüge alle Tore und Eingänge vermauert. Während der zwei Tage bis zum Beginn der Erzählungen und Orgien am 1. November dürfen die Opfer" der Euhe pflegen und die vier Verbrecher benutzen die Müsse, um die „Hausordnung" (Keglements) auszuarbeiten. Diese ist kurz die folgende : Lever um 10 Uhr vormittags, darauf Besuch bei den Knaben, um 11 Uhr Dejeuner (Chokolade, Bra- ten, Wein) in den Serails der Mädchen, das von diesen in adamitischem Kostüm knieend serviert wird, Diner von 3 bis 5 Uhr, wobei die Gattinnen und die Alten servieren, Kaffee im Salon ; Eintritt in den Erzählungssaal um 6 Uhr, wobei täglich die Kostüme gewechselt werden (asiatische, spa- nische, türkische, griechische Tracht, Nonnen-, Feen-, Magierinnen-, Witwenkostüm u. dgl. m.).


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Punkt 6 Uhr beginnt die historienne ihren Vor- trag, der 4 Stunden dauert und während dieser Zeit oft durch die verschiedenartigen Vergnü- gungen der Libertins unterbrochen wird. Um 10 Uhr Souper, dann beginnen die Orgien im salon d'assemblee, bei prachtvoller Beleuchtung. Dauer derselben bis 2 Uhr morgens. Ausser- dem wird jede der 17 Wochen des Aufent- haltes im Schlosse durch ein Fest gefeiert, und alle Sonntag abend findet die „correc- tion" der Mädchen und Knaben für begangene Unarten, Ungehorsam usw. statt, ebenso die der Erwachsenen. Nur lascive Reden sind gestattet. Der Name Gottes darf nie genannt werden, ausser in blasphemischer Weise. Auch darf niemand nüchtern sich zur Euhe begeben. Die niedrigsten und schmutzigsten Dienste müssen von den Mädchen und den G-attinnen ohne Widerrede ge- leistet werden.

Nach Vollendung dieser rigorosen Vor- schriften, an denen streng festgehalten wird, hält der edle Herzog am Abend des 31. Oktober im Salon eine Ansprache an die Frauen, in der er ihnen ihre entsetzliche Lage in der Gewalt so wollüstiger Verbrecher mit behaglicher Breite ausmalt und ihnen die ihrer harrenden schauder- haften Dinge mit sichtlichem Vergnügen schil- dert. Was schade es, wenn mal eine von ihnen dabei umkomme. Das beste, was einer Frau pas- sieren könne, sei doch ein früher Tod!

,,Nun, lieber Leser," ruft de S ade an dieser Stelle aus, wappne Dein Herz und Deinen Geist


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gegen die lasterliaf teste Erzählung, die es je ge- geben hat, da eine ähnliche Schrift sich weder bei den Alten noch bei den Neueren findet." 600 sexuelle Perversionen will er vorführen, die alle existieren. On a distingue avec soin chacuixe de ces passions par un trait en marge, au-dessus duquel est le nom qu'on peut donner ä cett'ö passion." Es ist gleichsam ein ,,Mahl von 600. verschiedenen Gerichten", die dem Appetit des Lesers dargeboten werden. Aber de Sade ist wohlwollend genug, seinen Lesern zu empfehlen, nicht von allen zu kosten !

Nunmehr nehmen die eigentlichen ,,120 Tage von Sodom" ihren xlnfang. Am L Novem- ber beginnt die Lucios ihren ausführlichen Bericht über die ,,150 einfachen Perversionen oder diejenigen erster Klasse", jeden Tag werden 5 derselben vorgeführt. Lie Erzählung wird häufig von Liskussionen und . Zwischen- bemerkungen der vier Libertins unterbrochen, oder auch von — Nachahmungen der berich- teten Verirrungen seitens derselben. Gewöhn-; lieh entnehmen auch die an das Ende der täg- lichen Erzählungen sich 'anschliessenden sexu- ellen Orgien ihren Inhalt den Berichten der ,,historienne". Nur dieser erste Teil, der die, Erzählungen der Lucios umfasst, ist in voller Breite und Weitschweifigkeit ausgeführt. Lann muss de Sade wohl das — Papier ausgegangen, sein. Lie folgenden drei Teile, nämlich Teil II, die von der Chanville vorgetragenen 150 kompli- zierten Perversionen (passions doubles), Teil III,


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die 150 von der Martaine dargestellten krimi- nellen Perversionen und Teil IV, die 150 von der Desgranges vorgetragenen mörderischen Perver- sionen werden nur noch mit wenigen Ausnahmen der Reihe nach aufgezählt und kurz skizziert. Die Duclos spricht im November, die Chanville im Dezember, die Martaine im Januar und die Desgranges im Februar.

Nachdem am letzten Tage des Februar die sämtlichen Erzählungen beendigt sind, beginnen grandiose Ausschweifungen mit ,,massacres'*, die allerdings auch schon vorher begangen worden waren. Am Schlüsse dieses erstaunlichen Opus gibt de Sade den folgenden furchtbaren

,, Compte du total. Massacres avant le 1er mars dans les orgies 10 Depuis le premier mars 20 Et il s'en retournent 16."

Doch damit noch nicht zufrieden fügt er als Krönung des Ganzen noch ,,supplices en Supplement" hinzu !

Dies ist in kurzen Zügen der Inhalt dieses ,,Opus sadicum" par excellence, in dem der Marquis de Sade alle Ideen seiner übrigen pornographischen Schriften, alle Erlebnisse, Er- fahrungen und Phantasien auf sexuellem Gebiete in einem furchtbaren, aber leider nur zu oft naturgetreuen Gesamtbilde zusammengefasst hat. Der Bericht über die 600 Beobachtungen geschlechtlicher Anomalien imd Perversionen zeugt von einer erstaunlichen Kenntnis dieser


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dunklen Seite im menschlichen Leben, hinter der unsere modernen Erfahrungen und Urteile viel- fach zurückbleiben. De Sade muss nach der Entdeckung der ,,120 Tage von Sodom" als der erste und einzige Schriftsteller des 18. J ahr- hunderts betrachtet werden, der den Versuch einer wissenschaftlichen Erklärung aller Erscheinungen der sogenannten Psych opathia sexualis gemacht hat. Wie diese beschaffen war, wollen wir im nächsten Kapitel beleuchten.


Xr. Die anthropologische Betrachtung der Psychopathia sexualis in de Sades Schriften.

(Allgemeines, verschiedene ursächliche Einflüsse auf die Vita sexualis, Sitten und Bräuche, Phantasie, Erregungstheorie, Aesthetik, System der Psychopathia sexualis.)

Es gibt zweierlei Möglichkeiten einer wissen- schaftlichen Untersuchung der sexuellen Ano- malien. Die eine Auffassung ist die klinische, ärztliche ; sie knüpft an und geht aus von ge- wissen krankhaften Erscheinungen, die sich bei Individuen mit abnormer Vita sexualis bemerk- bar machen und gründet auf diese pathologischen oder wenigstens vom normalen Zustande ab- weichenden Befunde ihre allgemeine, grundsätz- liche Anschauung vom Wesen der sexuellen Anomalien, die darnach fast gänzlich in den Bereich des Arztes fallen und als Degenerations- phänomene bezeichnet werden. Haussier und Kaan waren in den zwanziger bezw. vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts die ersten, die von dieser medicinischen Betrachtungsweise der sexu- ellen Yerirrungen ausgingen, bis dann im letzten Viertel dieses selben Jahrhunderjbs Richard


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von K r a f f t - E b i n g die moderne Sexualpatho- logie in ein umfassendes wissenschaftliches System brachte, das eigentlich mit dem Begriffe der Degeneration steht und fällt. Ihm folg- ten namhafte Forscher wie A. Eulenburg, A. Moll, V. Schrenck-Notzing, Have- lock E 1 1 i s u. a.

Weit hinaus über den begrenzten Gre- sichtskreis dieser klinischen Auffassung der sexuellen Perversionen geht jene Anschauung, welche die gemeinsamen, allgemein - menschlichen Erscheinungen in den sexu- ellen Anomalien festzustellen sucht und sie weniger aus pathologischen, als aus physio- logischen Ursachen erklärt, ohne jedoch das gelegentliche Vorhandensein der ersteren zu leugnen. M a n t e g a z z a und namentlich der, kürzlich auch in weiteren Kreisen durch seine anmutigen Werke über Frauenschönheit be- kannt gewordene, hervorragende Folklorist Dr. Friedrich S. Krauss haben zuerst in ihren Schriften dieser anthropologischen Be- trachtungsweise und Erklärung der Erscheinun- gen der ,,Psychopathia sexualis" das Wort ge- sprochen und schon angedeutet, wie wenig die Degeneration ursprünglich mit denselben zu tun gehabt hat. Neuerdings hat, namentlich an- geregt durch Dr. Krauss' wertvolle Untersuch- ungen über das Geschlechtsleben der Südslaven, Dr. Iw an Bloch den ersten Versuch einer syste- matischen Durchführung der anthropologischen Betrachtungsweise der Vita sexualis in den zwei


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Bändeii seine?.' Beiträge zur Aetiologie der Psyf ch.opat3h.ia sexualis-' gemacht: (Dresden 1902 ujX'^ 1903), welches Werk er zu einem noch, umfassen- deren System der '„ A n t h r o p o 1 o gi a s e x u - alis" umzuarbeiten beabsichtigt. Üebrigems scheinen auch in letzter Zeit so hervorragende; Sexualps3^chologen wie A, E u 1 e n b u r g wie er; es in seiner dem B l .o c h sehen Werke beigegebet- nen Vorrede ausspricht, und Havefcoek E11|S; in seiner neuesten auf breiter anthropologischer Basis aufgebauten Monographie über das ,,Ge- schlechtsgeführ':;^Würzburg 1903) sich von der rein medicinisclxen Auffassung ab - — und dieser viel zuverlässigere Eesultate gewährenden an- thropologischen Betrachtung/der sexuellen Ano- malien zugewandt zu haben.

Als ein Vertreter dieser letzteren muss nun auch nach den Ergebnissen meiner Untersucli- ung der Marquis de Sade angesprochen werden. Uebexall wo er sieh zu einer allgemeineren Be- trachtung der von ihm geschilderten sexuelleii Verirrungen erhebt, sucht er das Allgemein- menschliche, das von Kultur, Zivilisation, Krank- heit usw. Unabhängige in ihnen nachzuweisen. Auch ihm ist Krankheit nur ein zufälliger Spezial- fall unter den Ursachen der sexuellen Perver- sionen, die in gleicher Weise wie bei Kranken auch bei Gesunden vorkommen können.

Es lässt sicli nach de Sade. überall eine physische iG-rundlag!^ d^r j Liebe ; nachweisen;. Er ac ceptiert VjO 1 1 a i r q s Ans sprucji,: das s die Liebe der ,,Stoffi,fei}vJJatur den; die Einbil-


Düiiren, Neue Forschungen über de Sade.


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dungskraft ausgeschmückt hat". Die Grundzüge bleiben immer dieselben (Juliette III, 196). Den- noch ist es interessant und für die Wissenschaft ergebnisreich, die verschiedenen Formen der Liebe und der sexuellen Betätigung zu beob- achten, wie sie aus dieser mannigfaltigen und differenten Phantasie tätigkeit der einzelnen Völ- ker hervorgeht. De S ade hat als einer der ersten die Notwendigkeit einer Erforschung der Eth- nologie der Vita sexualis betont (Aline et Val- cour II, 56 — 57). Schon vor ihm hatte Po ul- lain de Saint e -F oix in den „Lettres d'une Turque ä Paris" (Amsterdam 1730) Gemälde der Liebe bei verschiedenen Völkern geliefert.

De Sad€ leitet daher aus diesen nationalen und Eassen-Verschiedenheiten die Tatsache ab, dass es kein einheitliches Schönheits- ideal gibt. Alles ist in dieser Beziehung Sache des „Geschmackes" d. h. der seelischen Auf- fassung und der Organisation. Daher hat die Schönheit nichts Wirkliches, sie ist gewisser- massen nur eine Funktion der menschlichen Seele und von der Beschaffenheit derselben abhängig. Unter Umständen kann, wie es ja wirklich be- obachtet wird, das uns hässlich Erscheinende anderen Völkern für schön gelten (Aline et Val- cour II, 57).

Ebenso wie der Schönheitsbegriff ist die Scham etwas Relatives. Sie ist überhaupt dem Menschen nicht angeboren, sondern anerzogen. „Die Scham," sagt Zame in „Aline und Valcour" (II, 218), „ist nur eine konventionelle Tugend, die


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^Natur hat uns nackt geschaffen, daher gefiel es ihr, dass wir so blieben." An einer anderen Stelle entwickelt sich eine interessante Diskussion über den Wert der Scham zwischen dem Präsidenten von Blamont und seiner Frau (ibidem I, 166). Letztere gibt ihrem Gratten zu, dass das Scham- gefühl in den verschiedenen Klimaten verschie- den sei, aber seine wirkliche Existenz könne nicht geleugnet werden. In den ,,120 Tagen von So- dom" (Erster Tag) wird das Erworbensein der Scham damit begründet, dass sie dem Kinde fehle. ,,La pudeur parle bien bas ä Tage que j'a- vais, et son silence au sortir des maisons de la nature n'est-il pas une preuve certaine que ce sentiment factice tient bien moins ä cette pre- miere mere qu'ä l'education." Bekanntlich neigt auch die neuere Wissenschaft zu der Annahme, dass das Schamgefühl nichts dem Menschen ur- sprünglich Eigenes ist, sondern sich erst mit der Kleidung entwickelt habe.i)

Die Bedeutung klimatischer Verhält- nisse für die Art und Intensität des Auftretens sexueller Regungen wird von de Sade sehr häufig mit Nachdruck hervorgehoben. ,,Man ahnt nicht," meint er, „bis zu welchem G-rade der Ein- fluss des Klimas von Bedeutung ist für körper- liche Zustände des Menschen, wie er ehrenhaft oder lasterhaft ist je nach der grösseren oder ge- ringeren Menge Luft, die auf seine Lungen


^) Vergl. J. Bloch, „Beiträge zur Aetiologie der Psychopathia sexualis", Dresden 1902, Bd. I, S. 139.

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drückt" (Aline et Valcour II, lOG). Man muss dem extrem heissen Klima einen grossen Anteil an der moralischen Korruption der Tropenbe- woliner zuschreiben (ibidem). In Europa liefern die südlichen Länder Italien und Spanien Bei- spiele für diesen irritierenden und stimulieren- den Einfluss heisser Klimate. ,,Hier, in diesen schönen Gegenden sah ich die Leidenschaften der Menschen tausendmal aufgeregter als in irgend einem anderen Lande Europas, dort habe ich sie zu Hesultaten kommen sehen, die man anderswo nicht ahnt. Es scheint, dass die über- mässige Hitze der Sonne und die Gewalt des

  • Aberglaubens ihnen einen Grad von Energie

geben, die anderen Menschen unbekannt ist . . O, glaubet mir, die Spanier sind diejenigen Men~ sehen, die am besten ihre wollüstigen Genüsse ausdenken und deren Einzelheiten am meisten raffinieren" (Justine IV, 154). Ebenso spiegelt sich die weiche, effeminierte" Luft Venedigs- in den ebenso beschaffenen sexuellen Vergnü- gungen der Venetianer wider (Juliette VI, 145)* Namentlich die Nähe von Vulkanen, die die Luft mit glühenden Exhalationen schwängern, scheint die sinnliche Leidenschaft mächtig zu entflam- men (Justine III, 14). Hierbei kommt de Sade auf die merkwürdige Idee eines Zusammenhanges- zwischen den Eruptionen der Erde und denjenigen der menschlichen Leidenschaften. ,,Wenn ich sehe, dass in Sodom wie in Florenz, in Gomorrha wie in Neapel, in der Umgebung des Aetna wie in der des Vesuv die A^'Vlker am meisten wider-


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iiatürliclien Lasteria frölinen, überzeuge ich miGli leicht, davoiXj dass die Unregelmässigkeit der menschlichen Triebe derjenigen der Natur gleicht, und dass überall wo diese letztere entartet, auch ihre Kinder, die Menschen, auf gleiche Weise verderbt werden" (Juliette III, 312—313).

Auch der Einfluss des Lebensalters wird

voh d e S a d e öfter in Betracht gezogen. Er weiss, dass das G-reisenalter die Entstehung schwerer sexueller Perversionen begünstigt. Da nun alle aus jenen leidenschaftlichen Trieben der Jugend hervorgehende ,, Metaphysik" der Liebe fehle, dieses wahre ,,Grrab der Wollust", so könne jetzt erst recht leigentlich das blosse sinnliche Baffine- ment" in den sexuellen Genüssen gepflegt werden. Der Greis kann nicht mehr Liebe ausstrahlen und ■einflössen, er ist auf sich allein angewiesen. Er will nicht mehr für das Weib geniessen, nur noch für sich selbst. Dieser Egoismu.s allein befähigt ihn, mit kaltem Blute alle Genüsse zu variieren, zu durchdenken, zu steigern, wozu ihm in der Jugend, im Eausche wahrer Leidenschaft die JBesinnung gefehlt haben würde (Juliette III, 197—199). Ja, das Fehlen der Liebe auf der anderen Seite, der Widerstand, der ihm begegnet, steigert noch den realen Genuss des Greises. D e Sade leugnet daher die Notwendigkeit einer Eeciprocität in der Liebe. Wer liebt, verzichtet auf eigenen Genuss, der nur dem anderen zuteil wird. Wer die Sinne wollüstig erregen will, soll das Herz beiseite lassen. Die „Kuhe der Gleich- gültigkeit ist etwas Köstliches für die Analyse


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der Sensationen". Allein mit sich beschäftigt^ unbekümmert um den Partner im Liebesgenusse^ geniesst man erst wahrhaft philosophisch'*" (Aline et Valcour III, 283). Als Ideal dieser Cyniker in der Liebe stellt er die Türken und Orientalen mit ihrem Harems leben hin. Der Sul- tan kommandiert seine Vergnügungen, ohne sich darum zu kümmern, ob man sie teilt". Er citiert auch eine Stelle aus Foutenelles ,,Dialogue des morts", die diese Ansicht bestätigt (Aline et Valcour II, 97).

Als Steigerungsmittel der physischen Liebes- genüsse gilt de Sade ferner die Einsamkeit^ das Bewusstsein der Weltferne. An einer Stelle in den ,,120 Tagen von Sodom" heisst es: ,,Man ahnt nicht, wie die Wollust durch die Sicherheit verbürgt wird, und was man unternimmt, wenn man sich sagen kann: ich bin hier allein, ich bin am Ende der Welt, allen xlugen verborgen und ohne dass irgend ein Geschöpf sich mir nähern könnte. Dann gibt es keine Zügel mehr^ kein Hindernis, die Begierden erheben sich mit einer Ungeduld, die keine Grenzen mehr kennt,, und die sie begünstigende Straflosigkeit erhöht in angenehmer Weise unseren Kausch. Es gibt dann keinen Gott und kein Gewissen mehr" (12(> Tage von Sodom, 14. Tag).

Auf der anderen Seite hält de Sade die Frage für wert einer wissenschaftlichen Unter- suchung, ob das übermässige Anwachsen der Einwohnerzahl in den grossen Städten ein begünstigender Faktor der ge-


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schlechtlichen Korruption sei. Er glaubt diese Frage bejahen zu müssen im Hinblick auf die gleiche Unsittlichkeit in den grossen Städten des Südens und Nordens, der romanischen und ger- manischen Völker. „La corruption des moeurs, quelque soit le sol ou le gouvernement, ne vient donc que du trop grand entassement des indi- vidus dans un meme lieu: tout ce qui fait masse se corrompt; et tout gouvernement qui ne vou- dra pas de corruption dans son sein, devra s'op- poser ä la trop grande population, et diviser sur- tout les associations pour en maintenir la purete" (Juliette III, 313 — 314). Als einen solchen ,,gouffre de perversite führt er namentlich Paris an, wo die schlechten Sitten gewissermassen die gute Luft ausmachen, wo die Schamlosigkeit An- mut ist, wo man die Natur nicht mehr kennt, sondern nur noch selbsterfundene Eaffinements der Wollust und Wo man einen Ehemann im Liede feiern würde, der nach einem Monat der Ehe noch in seine Frau verliebt wäre (Aline et Yalcour I, 70).

An solchen Stätten grosser Menschenanhäu- f ung sind natürlich die psychische An- steckung und Massensuggestion, die Nachahmung und last not least die Ver- führung am meisten für die grosse Verbrei- tung geschlechtlicher Ausartungen verantwort- lich zu machen. De Sade kennt und würdigt oft diesen gefährlichen Einfluss des Sexuellen als Massenerscheinung in Mode und Sitten. Am gefährlichsten, weil am unmittelbarsten wirkend


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erscheint ihm aber die direkte' Verfülirüilg, die „grosse Kunst einen jugendlichen Kopf zu er- hitzen". Er lässt den Präsidenten de Blamoiit diese „erhabene Wissenschaft" rühmen, die den Wüstling „durch die Wirkung der Leidenschaften zum Heirrh einer Seele" macht, und läSst ihn die einzelnen Bestandteile derselben erklären, das G-eheimnis der Verführung entschleiern (Aline et Valcour I, 221—222).

, ' Viele sexuelle Ausschreitungen sind weiter nichts als durch jahrhundertelangen Grebrauch geheiligte und eingebürgerte Sitten und Ge- wohnheiten verschiedener Völker, so z. B. die religiöse Prostitution, die G a s t - freundschaftsprostitution, das Jus primaenoctis. DeSade kennt die berühmte Pagode in Eambodja als Schauplatz der religiö- sen Prostitution (Juliette I, 125), kennt die Defloration der neuvermählten Frau durch Priester (ibidem I, 126), die Gastfreundschafts- prostitution in Lappland, der Tartarei, in ge- wissen Distrikten Amerikas (ibidem I, 122), bei den Hochzeiten in verschiedenen Ländern Euro- pas (I, 127), das Jus primae noctis in Schott- land und anderen Gegenden (I; 126). Er selbst scheint nach Aeusserungen in dem Eomane

Aline et Valcour" die ,,freie Liebe" der eigent- lichen Prostitution bei weitem vorzuziehen. Durch letztere würden die Laster nur verbreitet, während die reinere freiere Liebe sie im Zügel halte (Aline II, 225).

Aus demselben Grunde verwirft er den C ö -


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Ii bat, der die natürliclien Begierden unter- drücke und schlimmere künstliche an deren Stelle setze, oder wenn die natürlichen doch befriedigt würden, ihre Yerheimlichung und Beseitigung et- waiger Folgen derselben nötig mache (Aline et Yalcour III, 384).

Auch in einer anderen kirchlichen Einrich- tung des Mittelalters weist er sexuelle Grefahren nach, in der Inquisition, die hauptsächlich in der Erweckung und Begünstigung sadisti- scher Instinkte bei den Inquisitoren bestehen, wie solche Ausbrüche in Aline et Valcour" mehr- fach geschildert werden, wo die Marterung Leo- nores und Clementines und ihr Verhör vor dem Inquisitionstribunal, das aus lauter alten lüsternen Mönchen besteht, geschildert wird (Aline III, 336, 344, 353).

Zur Geschichte der sogenannten ,, Satans- m e s s e " liefert er ebenfalls einige interessante Beiträge. Er schildert solche obscön-blasphe- mische Feiern bei Zigeunern (Aline III, 206) und den Sekten der ,, Bulgaren" (bougres) und der Manichäer (ibidem III, 208).

Sehr interessant sind seine Mitteilungen über die niedrige Stellung der Frauen bei den Einge- borenen von Mittel- und Südafrika (Aline II, 74), die durch neuere Forscher bestätigt werden,^) ebenso wie seine Berichte über die Verachtung, mit der westafrikanische Neger ihre Frauen be-


1) Vergl. Ploss - Bartels, „Das Weib", 6. Aiiflao-e, Leipzig 1899, Bd. II, S. 457.


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handeln, wenn diese im Zustande der Schwanger- schaft sind (Aline II, 76). Eben dasselbe wird, wie er richtig angibt (ibidem), auch von den Süd- seeinsulanern berichtet. 2)

Ob die eigentümliche Eolle, die nach de Sade damals die Peitsche im Harem des afrika- nischen Königs von Butua spielte (Aline II, 65) auf wirklichen Verhältnissen beruht, konnte ich nicht verificieren. Auch auf die Schilderung des sadistischen Königs von Sennar (Aline III, 85) und des masochistischen Königs Ben Maacoro (ibidem III, 131) sei nur kurz hingewiesen. Afri- kanische Fürsten kamen schon damals nach Paris. So berichtet die ,,Chronique Scandaleuse" über einen Negerkönig von der Goldküste, der beson- ders von den vornehmen Pariser Damen sehr ver- hätschelt wurde und Details aus seinem Harem zum besten geben musste, ja sogar in Paris einige Proben seiner sexuellen Leistungsfähig- keit ablegte. 3)

Eine wichtige Quelle geschlechtlicher Kor- ruption erblickt de Sade auch in der öffent- lichen Verhandlung gerichtlicher Prozesse wegen geschlechtlicher Verbrechen. Es sei viel besser, letztere unbeachtet zu lassen, als sie durch einen Skandalprozess erst recht ans Licht zu ziehen. Die Oeffentlichkeit der Prozesse gegen die berüchtigten Giftmischer innen V o i s i n und Brinvilliers hätte hundert Verbrecher innen


1) Plo SS -Bart eis a. a. O., Bd, L, S. 699.

2) Ploss-Bartels a. a, O., Bd. I., S. 697—699.

^) I^a Chroniqne Scandaleuse ed. U z a n n e , S. 101 — 103.


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ähnliclier Art gezüchtet. Im Interesse der Sitten dürfe man von gewissen Lastern nicht einmal eine Ahnung haben (Aline et Valcour IV, 6).

Die Hauptursache der Entstehung sexueller Anomalien bei dem einzelnen Individuum ist nach de Sade die Phantasie. Dieser leb- haften Phantasietätigkeit ist es vor allem zuzu- schreiben, dass fast jeder Mensch irgend eine, wenn auch noch so leichte sexu- elle Abnormität aufweist (Aline et Val- cour III, 139), für die zwar de Sade noch eine besondere angeborene ,, Organisation" annimmt, die aber vorzüglich unter dem Einflüsse der Phan- tasietätigkeit zur Entwicklung gebracht wird.

Keine Funktion des menschlichen Körpers ist so sehr dem Einflüsse der Einbildungskraft unterworfen wie die Sexualfunktion, keine wird so sehr durch sie verändert, so leicht auf Ab- wege geleitet, korrumpiert, wie diese. Die Natur muss der „perfide corruption de l'esprit" weichen (Aline et Valcour I, 182). Das sexuelleVaria- tionsbedürfnis des Menschen — c'est la diversite, c'est le changement qui fait le bon- heur de la vie (Juliette III, ,191) — setzt die Phantasie unaufhörlich in Bewegung. Wie mono- ton wäre die Liebe, wenn die Objekte derselben nicht unaufhörlich wechselten und so immer neue Sensationen herbeiführten (Aline et Val- cour II, 95). Unter den Frauen haben die Fran- zösinnen die lebhafteste und beweglichste Phantasie, daher sie auch am meisten zu sexu- ellen Anomalien neigen. „Ach, Sie kennen nicht


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die lebhafte iind feurige Einbildiangskraft meiner; Französin, ein Nichts berauscht sie, ein NicKtfe verletzt sie^ und wie liebenswürdig der Liebende auch sei, wenn er der Kunst unkundig ist,: diese Phantasie, für die Chimären Götter sind, zu ent- flammen, hat er den Zweck verfehlt, den er er^ reichen "Vtill, er hat gefallen wollen und dies nicht verstanden" (Aline III, 362).

Je mehr abör der Mensch seiner Phantasiie in sexuellen Dingen freien Lauf lässt, desto mehr ist er versucht, schliesslich in ihr das Wes ent^ liehe zu erblicken und sie dem realen G- e - n u s s e zu substituieren. Es ist dies die Sexualphilosophie aller Libertins und über- sättigter Wüstlinge. Der Marquis de Sade lässt sie in den ,,120 Tagen von Sodoin" durch deii Mund Durcets verkünden (Ende des 8. Tages). Dieser erklärt : ,, Nicht im wirklichen Genus s liegt das Glück, n u r im Wunsche, in der Be- gierde, in der Vergleichung." Die „Vergnügungen, die man erwartet, sind die schönsten von allen" ^ (Aline et Yalcour III, 365). Der erträumte, bloss gewollte Genus s ist mehr wert als der wirklich erreichte. Belmor in der ,,Juliette" (III, 210) ist dann immer am glücklichsten, wenn er erotische Phantasien hat, deren Realisierung unmöglich ist ! Wenn solche „Phantome" in seiner Feuer- seele entstehen, ist er auf dem Gipfel des Ge- nusses. In diesem herrlichen Augenblicke gehört ihm die ganze Erde, es gibt keinen Widerstand für ihn, er ist allmächtig, verwüstet die ganze Erde, bevölkert sie wieder mit neuen Menschen,


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die -er wieder opfert^ begelit alle Verbrecheil, ver-^ htmdertf acht alle Sehr ecken und übertrifft darin die Ausgeburten der höllischsten Phantasie. ,,In Wahrheit, ich weiss nicht, ob die Wirklichkeit so viel wert ist wie diese Chinaaren, ob die G-e- nüsse, die man nicht hat, nicht hun^ deTtmal s ch öner sind als die, die man wirkliclr hat" (Juliette III, 211).

' Spricht hier nicht de Sade klar und deut- lich auch das psychologische G-eheimnis der Ent- stehung seiner eignen Werke aus? Er schildert ganz gewiss vielfach wirkliche Zustände, aber für ihn selbst sind diese Schilderungen Phan- tasien, die ihm die Wirklichkeit ersetzen sollen. ,, Liebe, die ihn nicht erreichte," schätzt er höher ein als wirklich genossene Liebe.

i i Höchst interessant sind ferner die Bemer- kungen des Marquis de Sade über die Bedeu-* tung anderer Affekte für die sexuellen Vor- gänge. Er ist der erste, der eine wissenschaftliche Err egungs theorie der Liebe formuliert hat.

Darnach kann die Erregung durch starke Affekte aucli die sexuellen Vorgänge mächtig beeinflussen, steigern, verändern und abnorm gestalten. ,,Alle Sensationen verstärken sich gegenseitig." Hochmut, Despotismus können direkt die geschlechtliche Wollust erhöhen, wo- für der mit physischer Gewalt einhergehende ge- schlechtliche Verkehr mancher männlichen Tiere mit ihren Weibchen ein Beispiel liefert (Aline et Valcour II, 99). Daher steigert der Hass bisweilen ebenfalls den physischen Genuss, und es ist mög-


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lieh, mehr Vergnügen von einer Frau zu empfan- gen, die uns hasst, als von einer, die uns liebt. Denn der ersteren muss man mit Gewalt ihre Gunstbezeugung entreissen. Sie ist die ,, Frucht eines Sieges, eines Kampfes" und daher hundert- mal begehrenswerter (Aline IV, 75). Eine Er- regung ähnlicher Art liefert der Anblick unglück- licher Menschen oder solcher, die nicht in der Lage sind, so zu geniessen wie wir, oder die lei- den. Dann kann man sich sagen: ,,Ich bin doch viel glücklicher als er." Daher wird niemals dort das Glück herrschen, wo die Menschen alle gleich sind und wo keine Unterschiede existieren. Es ist die Geschichte des Menschen, der den Wert der Gesundheit erst dann erkennt, wenn er krank gewesen ist" (Durcet in den „120 Tagen von Sodom", 8. Tag). Die Intensität erotischer Em- pfindungen ist also gewissermassen proportional der möglichst ausgebildeten Vorstellung von der Ueberlegenheit, dem Anderssein in der Seele des geniessenden Subjekts. Die Vorbedingung höch- ^ sten Genusses ist die Differenzierung, nicht das Homogene, das Gleichartige. Die Analyse anderer Empfindungen lehrt, dass in der Tat ein wahrer Kern in dieser Behauptung steckt, dass alles Gleichartige niemals so hoch in der Skala der Empfindungsintensität steht als Verschieden- artiges.

Die obscönen Eomane des Marquis de Sade sind gewissermassen nur eine Paraphrase des Satzes von dem Zusammenhange zwischen Schmerz und Wollust. Es ist ein Irrtum


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zu glauben, dass de Sade nur die aktive Schmerz zufügung, die Wollust der Grausamkeit als Grundidee seiner Werke proklamiert habe. Ebensosehr betont er die Rolle des passiven Schmer zerleidens in der Yita sexualis. Das Zu- fügen von Schmerz ist nur eine Abart jenes Machtrausches und jenes Gefühles des Anders- «  seins, das oben von Durcet auseinandergesetzt wurde. Auf der anderen Seite aber bemerkt ein anderer Teilnehmer an den sexuellen Orgien, der Präsident von Curval : ,,Man schreit vor Liebe wie vor Schmerz" (120 Tage von Sodom, 23. Tag) und drückt damit aus, dass auch der erdul- dete Schmerz wollustartige Gefühle hervor- rufen könne. Weiter ausgeführt wird diese Idee im zweiten Bande von ,,Aline et Valcour" (S. 306), wo de Sade an historischen Beispielen nach- weist, dass der Mensch sich zu allen Zeiten des Schmerzes als eines Steigerungsmittels der Wol- , lust bedient habe. Der heilige Lambert habe gesagt, dass wirkliche oder eingebildete Schmer- zen die Seele für alle Arten des Daseinsgefühles und Lebensgenusses empfänglicher machen. Car- danus erzählt in seiner Autobiographie, dass, wenn die Natur ihn nicht mit Schmerzen heim- suche, er sich solche selbst verschaffen würde. Ja, schon der seelische Schmerz bereitet Wol- lust, es gibt eine Süssigkeit des Unglücks. ,,I1 y a des larmes si douces dans nos situations," sagt Madame de Blamont (Aline et Valcour, I 228).

Aus der Erregungstheorie erklärt de Sade


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auf scharfsinnige Weise gewisse seltsame und auf" den ersten Blick unverständliche Aberra- tionen der normalen Libido sexualis, wie z. B. die Koprolagnie. Denn die Schönheit imd Kein- lichkeit ist etwas Einfaches, Hässlichkeit und Schmutz sind etwas „Ausserordentliches", und da nun alle ,, feurigen Phantasien ohne Zweifel immer das Ausserordentliche dem Gewöhnlichen vorziehen, namentlich in der Wollust", so er- klärt sich hieraus die Anziehungskraft häss- licher, selbst ekelhafter Dinge auf die Phan- tasie des Libertins. La commotion est bien plus forte, l'agitation doit donc etre plus vive. Da- her ziehen manche Männer eine männlich aus- sehende, hässliche, selbst schmutzige Frau einem frischen und hübschen Mädchen vor (120 Tage von Sodom, Einleitung). Hierher gehört auch der Genuss gewisser Aphrodisiaca, die dem nor- malen Menschen Ekel erregen würden (ibidem, 23. Tag).

De Sade sieht ferner auch in der verschie- denen ästhetischen Betrachtung und Be- wertung des menschlichen Körpers eine Ursache perverser Neigungen. Es unterliegt für ihn keinem Zweifel, dass der Frauenkörper in dieser Jjeziehung weit hinter dem männlichen Körper zurücksteht und ästhetisch nicht viel höher be- wertet werden kann, als die Erscheinung eines — Affen. Wenn man aufmerksam eine nackte Frau und einen nackten Mann nebeneinander be- trachte, so werde man sich leicht, a om Geschlecht- lichen ganz abgesehen, von dem grossen Unter-


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schiede dieser beiden Wesen überzeugen und erkennen, dass die Frau nur eine Degradation" des Mannes sei, wie auch die anatomische Unter- suchung der inneren Teile ergebe. Man glaubt Schopenhauers berühmte Zerpflückung und Kritik der angeblichen Schönheiten der Frau in seiner Abhandlung ,, lieber die Weiber" (Scho- p e n h a u e r s sämtliche Werke, herausgegeben von Eduard Grisebach, Bd. V, S. 654) vor sich zu haben, die Stelle, wo er von dem ,, niedrig gew^achsenen, schmalschultrigen, breithüftigen und kurzbeinigen Geschlecht" spricht, das nur der vom Geschlechtstrieb umnebelte männliche Intellekt das ,, schöne" habe nennen können, wenn man in der „Juliette" (III, 187—188) auf fol- gende Diatribe über den Leib der Frau stösst r ,,Deshabillez enfin cette idole de votre äme, se- ront-ce ces deux cuisses c o u r t e s et cagneuses qui vous t o u r n e r o n t 1 a c e r v e 1 1 e ? ou ce gouffre impur et fetide qu'elles soutiennent? Ah ! ce sera peut-etre ce tablier plisse qui, retombant en ondes flottantes sur ces memes cuisses, echauf- f era votre Imagination ? ou ces deux globes amol- lis et pendant jusqu'au nonibril?"

An eine andere den Medicinern nicht weniger bekannte Stelle des Anatomen Hyrtl über das Aufhören aller Illusionen bei dem Gedanken an eine ,, kreissende Pallas Athene", an die ,, jung- fräuliche Königin der Nacht im Wochenbette", an ,, Venus Anadyomene während der Menstrua- tion" usw., der aber dieser Autor gerechterweise auch andere freilich beiden Geschlechtern ge-


Dühren, Neue Forschungen über de Sacle.


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meinsame unappetitliche Funktionen zur Seite stellt,!) an diese Stelle wird man erinnert, wenn man bei de Sade liest: ,,Ne perdons jamais de vue que la femme qui essaie de nous captiver le mieux, cache certainement des defauts qui nous degoüteraient bientot si nous pouvions les connaitre. Que notre imagination les voie, ces details, qu'elle les soupgonne, qu'elle les devine ; et cette premiere Operation faite dans le moment oü l'amour nait parviendra peut-etre ä l'eteindre. Est-elle fille, certainement eile exhale c^uelque odeur malsaine, si ce n'est dans un temps, c'est dans l'autre : est-ce bien la peine de s'enthousias- mer devant un cloaque ? . . . Representez-vous la quand eile accouche, cette divinite de votre coeur etc." (Juliette III, 186—187). Dieser körperlichen Hässlichkeit des Weibes entspricht die seelische, von der de Sade ungefähr ein ebenso ab- schreckendes Bild entwirft (ibidem 188 — 189) wie in unseren Tagen Dr. Otto Weininger es in seinem durch den Selbstmord des Verfassers zu so trauriger Berühmtheit gelangten Werke Geschlecht und Charakter" (2. Auflage, Wien 1904) gezeichnet hat. Solch ein Misogyn ist auch Sarmiento in ,,Aline und Yalcour", der am lieb- sten alle Frauen vertilgen möchte und den Mann allein glücklich preist, der gelernt hat auf den Umgang mit diesem ,, niedrigen, falschen und schädlichen Geschlecht" ganz zu verzichten (Aline et Valcour II, 115).

1) Joseph. Hyrtl, „Lehrbuch der Anatomie des Menschen", 20. Aufl., Wien 1889, S, 276.


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Aus dieser Verachtung des Weibes, dieser ]\Iisog3aiie entspringen die hauptsächlichen Mo- tive der Päderastie, des geschlechtlichen Ver- kehrs zwischen Männern. Auf der anderen Seite .gibt de S a d e eine naturalistische Er- klärung der Päderastie, die er ebenso aus den Zwecken der Natur herleitet, wenn auch mit ganz anderer Begründung, wie Schopenhauer dies in dem bekannten Anhangskapitel zu seiner Metaphysik der Geschlechtsliebe" getan hat. Nach letzterem ist die Päderastie wesentlich eine Alterserscheinung, beruhend auf einer von der Natur selbst gewollten Umände- rung, Perversion des natürlichen Instinktes, zum Zwecke der Vermeidung einer Verschlech- terung der Nachkommenschaft.!) Nach de Sade gibt die Natur von vornherein einer gewissen Anzahl von Männern, diese gleich- geschlechtlichen Instinkte mit, da es nie in ihrer Absicht liegt, dass alle Keime des Lebens zum Wachstum und zur Fortpflanzung kommen sollen. 5, Die Propagation ist kein Gesetz der Natur, es ist nur eine Toleranz" (Aline et Valcour II, 121). Dieser Satz lässt sich sogar auch aus der beschränkten Zeit der Fort- pflanzungsmöglichkeit beim Weibe nachweisen. De Sade führt aus, dass bei einer Frau von 70 jähriger Lebensdauer zunächst volle 34 Jahre für die Fortpflanzung ausfallen, die ersten


^) Vergl. Arthur Schopenhauer, „Die Welt als ^ille und Vorstellung", Bd. II, S. 660— 668, ed. arisebach.

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14 Jahre bis zum Auftreten der Menstruation, und die letzten 20 Jahre, die Zeit zwischen dem 50. und dem 70. Lebensjahre. Von den übrig- bleibenden 36 Jahren, die für die rorti3flanzung zur Verfügung stehen, muss man drei Monate wenigstens in jedem Jahre abziehen, wo ihre Schwäche nach der Gravidität und dem Gebärakte sie verhindert, von neuem schwanger zu werden. Es bleiben im ganzen also nur 27 Jahre von 70 übrig, wo die Möglichkeit einer Fortpflanzung im Sinne der Natur gegeben ist. Dieser Ausfall beweist, dass die Natur die Propagation nicht als etwas Notwendiges betrachtet, zumal wenn man bedenkt, wieviel Keime durch den ge- schlechtlichen Verkehr während der Gravidi- tät gänzlich verloren gehen (Aline et Valcour II, 120 — 121). Ein weiterer Beweis hierfür ist die Tatsache, dass bei gewissen Männern der Trieb zum gleichen Geschlecht und n u r zu diesem sich schon in der Kindheit zeigt. De Sa.de scheint nach einer merkwürdigen Stelle in ,, Aline et Valcour" Anhänger der Lehre vom Ange- be r e n s e i n oder wenigstens von der sehr f r ü h e n Entwickelung der Homosexualität zu sein, wenn gerade er auch die übergrosse Zahl der Fälle von ,, Päderastie" auf während des Le- bens erworbene Neigungen zurückführt. i)


•) Die erwähnte Stelle lautet: „Et si ce pencLant n'etait })as naturel, en reeevrait-on les impressions des l'enfance? Ne cederait-il pas aux efforts de ceiix qui dirigent ce premier iige de rhomme. Qu'on examine pourtant les etres qui en Hont empreints; il se developpe, malgre toutes les digues-


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Zu den natürlichen, angeborenen Ursachen der Päderastie rechnet de Sade auch konge- nitale M i s s b i 1 d u n g e n wie z. B. Atresia va- ginae (120 Tage von Sodom, Einleitung). Von Völkerschaften, bei denen Homosexualität sehr verbreitet ist, nennt er die Zigeuner, die diesem ,,goüt triste et solitaire", dieser ,,depra- vation legere" grossen Geschmack abgewonnen haben (Aline et Valcour III, 221).


Während diese allgemeinen Betrachtungen "über die Erscheinungen der Psychopathia sexualis in allen pornographischen Schriften des Marquis de Sade sich finden, ist allein in den ,,120 Tagen von Sodom" der für die damalige Zeit einzige und daher historisch höchst interessante Versuch g'emacht worden, die sämtlichen geschlecht- lichen Verirrungen in systematischer Weise zu- sammenzustellen und durch eine grosse Zahl von Fällen zu illustrieren. Wohl kein modernes


qu'on lui oppose; il se fortifie avec les annees; il resiste anx avis, aiix soUicitations, aux terreurs d'une vie ä venir, aiix punitions, aux mepris, aux plus piquants attraits de l'autre sexe; est-ce donc l'ouvrage de la depravation, qu'un goCit qui s'annonce ainsi? et que veut-on qu'il soit, si ce n'est l'inspiration la plus certaine de la nature? Or. si cela est, l'offense-t-il? Insplrerait-elle ce qui Toutragerait? . . . Etu- dions-la mieux, cette indulgente nature, avant d'oser lui fixer des limites . . . Osons n'en point douter enfln, il n'est pa>^ dans les intentions de cette mere sage que ce goüt s'eteigne jamais; il entre au contraire dans ses plans." (Worte Sarmi- entos in „Aline et Valcour", II., 122—123)


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wissenschaftliches Werk über dieses Gebiet weist so viele Beobachtungen auf, wie sie in den 60O Fällen von de Sades Hauptwerk vorliegen.. Denn als solches, als Hauptwerk, gewissermassen. als Abschluss seiner Untersuchungen auf diesem Gebiete muss dieses eigenartige Manuskript auf- gefasst werden. Es wäre dringend zu wünschen, dass dasselbe durch den Druck wenigstens einem engeren Kreise von Aerzten, Juristen, Anthro- pologen, Psychologen und anderen ernsthaften Forschern, die menschliches Wissen auch auf diesem Gebiete erweitert wissen wollen, zugäng«  lieh gemacht würde. Denn die von de Sade mit- geteilten Fälle sexueller Anomalien scheinen zum grössten Teile der Wirklichkeit entnommen worden zu sein. Diese ver- schiedenartigen, seltsamen Typen der Maso- chisten, Koprolagnisten, Sadisten usw. begegnen uns auch noch heute. Man glaubt Fälle von Krafft-Ebing vor sich zu haben. Mit erstaun- lichem Scharfblick, mit genauester Kenntnis, aller psychologisch bedeutsamen Details hat de Sade dieses ungeheure dunkle Gebiet mensch- licher Verirrungen ins helle Licht gerückt, fast alle Möglichkeiten und Wirklichkeiten des Ge- schehens auf demselben erschöpft und so hundert Jahre vor v. Krafft-Ebing einen Ueberblick über alle diese Phänomene gegeben, der an Voll- ständigkeit, was die Tatsachen betrifft, selbst von einem modernen Forscher kaum übertroffen werden kann.

De Sade hat alle sexuellen Perversionen


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und Yerirrungen in vier grosse Gruppen ein- geteilt.

Die erste Gruppe umfasst die 150 ,,passions les plus simples et les ecarts les moins recherches ou les plus ordinaires". Es ist dies die wich- tigste Gruppe, da sie die am häufigsten vorkommenden und bei der grössten Zahl der Menschen mehr oder weniger leicht angedeuteten sexuellen Anomalien umfasst.

Die zweite Gruppe enthält die 150 ,,pas- sions plus singulieres et d'un ou plusieurs hommes avec plusieurs femmes" d. h. schon ungewöhn- lichere Perversionen und solche, zu denen ein grösserer Apparat und eine grössere Zahl von Personen erforderlich ist.

In der dritten Gruppe begegnen uns 150 ,,manies des plus criminelles et des plus outra- geantes, aux loix, ä la nature et ä la religion" d. h. die kriminellen, die Gesetze und die menschliche Natur in gleichem Masse verletzen- den sexuellen Yerirrungen.

Endlich umfasst die vierte Gruppe die mit schwereren Martern und Mord einhergehen- den geschlechtlichen Ausartungen (120 Tage von Sodom, Einleitung).

In der ,,Juliette" (III, 65) findet sich eine etwas andere Einteilung: 1. Goüts simples, worunter er Masturbation und alle möglichen Arten des Geschlechtsverkehrs zwischen Mann und Weib versteht ; 2. Eustigationset autres passionsirregulieres; 3. Goüts cruels; 4. Meutre. Von No. 2 sind die Eustigations in


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der Einteilung der „120 Tage von Sodom unter No. 1 mit aufgenommen und No. 3 ist mit No. 4 dort zu einer einzigen, der vierten Gruppe ver- schmolzen, so dass hier nur die ,,passions irre- gulieres" die zweite Grup]3e ausmachen.

Man sieht, dass das Einteilungsprinzip noch ein ziemlich primitives ist. Trotzdem sind im allgemeinen die einzelnen sexualpathologischen Typen richtig zusammengestellt worden.

Ich will im folgenden eine genauere Ueber- sicht nur über die erste und wichtigste, No. 1 — 150 umfassende Gruppe der einfachen, ge- wöhnlichen" sexuellen Anomalien geben. Hierzu rechnet de S a d e die Masturbation, den Exhibitionismus, die V o y e u r s , den Eetischismus, die Masochisten und K o - p r o 1 a g n i s t e n und alle 1 e i c Ii t e r e n Eormen von Sadismus (mit Ausnahme der in Gruppe II aufgeführten Fälle von S atanis mus und D e - f 1 or a t i onsmani e).

Von eigentlicher Masturbation werden nur 6 Fälle angeführt, nämlich No. 6, 7, 9, 36, 37 und 39, die verschiedene Arten der Onanie, darunter auch solche mit sadistischer und päde- rastischer Nüance uns vorführen.

Von grösserem Interesse sind schon die Fälle von Exhibitionismus; No. 1, 5, 16, 19, 20. No. 1 ist ein gewöhnlicher Exhibitionist, No. 5 spricht dabei schmutzige Worte, No. 16 be- gnügt sich völlig mit der bloss theore- tischen Einführung junger Mädchen in die Kenntnis des Lasters, No. 19 und 20 gehören


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SU jener Gru]3pe der auch neuerdings besciiric- benen Exhibitionisten, die sich mit dem eigenen Exhibitionismus nicht begnügen, sondern auch andere dazu verführen.

In No. 17 und 18 werden uns zwei Typen von Y o y e u r s vorgef ülirt, der eine ist aktiv, er beobachtet selbst den Geschleclitsakt anderer, der zweite ist passiver Y oyeur, er selbst will wälirend seiner sexuellen Tätigkeit beobachtet werden. Fall 130 zeigt uns einen Yoyeur, der an der Betrachtung einer der Masturbation sich hin- gebenden Frau sein G-enüge findet.

TyjDischer Fetischismus ist durch 7 Fälle vertreten. — No. 8 ist ein sehr interessanter Fall von Haarfetischismus. Ein 26 bis 30 jäh- riger ]\Iann lässt das Mädchen auf einem Tabu- xett sich niedersetzen und ihre herrlichen Haare entnadeln, bis sie zur Erde herabwallen, dann kämmt er sie mit einem Kamme, streichelt sie, küsst sie unter fortwährenden Lobhymnen auf die Schönheit derselben, die ganz allein ihn beschäftigt und in deren Anblick er offenbar die gesuchte sexuelle Befriedigung findet. — Eine andere Form des Haarfetischismus stellt Fall 141 dar, hier schneidet der Betreffende die Haare mit der Schere ab oder rasiert sie. — No. 10 ist ein Fall von ,, Gr e s ä s s f e t i s c h i s m u s No. 10 ist ein ,, M i 1 c h f e t i s c h i s t der dieser Manie bei jungen Ammen ( ! ) Befriedigung ver- schafft. In No. 12 stellt sich uns ein typischer Kleidungsfetischist vor, der die Frau nur in einem bestimmten Kostüm zu sehen wünscht,


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No. 22 ist ein Gerne Ii sfe tischist und No. 25 Imldigt jenem seltsamen Fetischismus, der nur an „hinkenden, blinden, lahmen, buckligenL Weibern" Gefallen findet oder sonstwie verun- stalteten weiblichen Wesen. Hier tritt das Feti- schistische in dieser Neigung dadurch be- sonders zu Tage, dass der Betreffende, ein alter Soldat, hauptsächlich die missgestalteten Stellen, liebkost.

Die grosse Mehrzahl der ersten Gruppe der ,,passions simples" wird durch die beiden Haupt- typen der Masochist en und Koprolag- nisten und der Sadisten gebildet. Erstere überwiegen an Zahl, weil die schwereren For- men des Sadismus in Gruppe TV zusammen- hängend behandelt werden.

Von grösstem Interesse ist es, dass wir be- reits hier alle jene symbolischen und leichteren. Formen des Masochismus antreffen, die für ge- wöhnlich wegen ihres Kaffinements als hoch- moderne psychosexuale Erfindungen gelten. Da^ ist zuerst No. 94, ein alter Hofmann, er muss. vor der Dirne eine Lektion hersagen wie- ein Schulknabe, muss bei jedem Fehler, den er- macht, niederknieen, um Schläge auf Hände und Gesäss zu empfangen, wie die Lehrer in der Schule es tun, wobei er mächtig angeschnauzt wird. — Ein anderer klassischer Fall ist No. 115. Ein Mann aus dem Volke muss den Masochisten in Gegenwart der Dirne mit Schmähungen über- häufen und fingieren, dass es seine Geliebte sei^ die der Masochist vor sich habe. Schliesslich.


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bedroht er letzteren mit dem Degen. Dieser fällt auf die Kniee, bittet demütig um Gnaxie, küsst. die Füsse des rohen Patrons, der ihn immer stärker beschimpfen und bedrohen muss, wobei der Masochist immer demütiger wird; er er- hält zuletzt Verzeihung unter der Bedingung, dass er eine ekelhafte koprolagnistische Handlung bei dem Manne vornimmt. Das Granze ist eine von dem Masochisten bestellte Sache. Zu diesem Falle erzählt de Sade die Geschichte des Mar- quis de . . . . , der, als man ihm das Urteil ver- kündigte, dass er in effigie verbrannt werden, sollte, in hochgradige sexuelle Erregung geriet». Ist er es selbst ? Nach den vier Punkten an Stelle' seines Namens (Sade) könnte man es annehmen., — Aehnlich wie 115 ist No. III, wo ein Mann sich zum Zwecke sexueller Erregung heftig be-^ schimpfen und mit Füssen treten lässt.

Andere auch heute noch bekannte Formen- des symbolischen Masochismus treten uns in. No. 120 und 122 entgegen. Der Präsident Mira- cout in No. 120 will, dass die Dirne ihn für einen — Esel halte und als solchen behandle. Er lässt sich am Stricke führen, macht i — a, lässt sich füttern, reiten usw. No. 122 spielt Pferd,, lässt sich blutig spornen und nachher diese: Stellen mit Spiritus einreiben.

Der Masochist des Falles 119 lässt sich an. allen Gliedern fesseln und sogar den Hals zu- sammenschnüren, wodurch der wollüstige Orgas- mus noch intensiver werden soll. No. 110 lässt ähnliche Manipulationen an den Genitalien mit


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sich vornehmen. In Fall 117 lässt sich ein Li- bertin — zum Schein begraben, in No. 125 lässt der Präsident der Rechnungskammer Foucolet alle Hinrichtungsarten an sich selbst durchpro- bieren. Die Dirne muss ihn hängen, kreuzigen, rädern, brandmarken, flagellieren und dabei mit heftigen Schimpfworten überhäufen, wobei er Gott und Menschen demütig um Verzeihung bittet.

Ausserordentlich gross ist die Zahl jener Masochisten, die in dem Erleiden wirklicher körperlicher Schmerzen eine sexuelle Befriedi- gung finden und daher in die Bordelle gehen, um sich dort den verschiedenartigsten Misshand- lungen zu unterwerfen. Die Hauptrolle spielt die p a ssive Flage IIa tion, die hier meist mit koprolagnls tischen Akten verbunden und mit den mannigfaltigsten Instrumenten vorgenommen wird und sich auf alle Körperteile erstreckt. No. 80 bis 88, 91, 93, 95, 96, 100, 102, 108, 113 sind solche Fälle von passivem Flagellantismus, wobei einmal (No. 88) die Flagellation von einem als Frau verkleideten Manne ausgeführt werden muss, in No. 91 das Opfer auf einer Art von Leiter festgebunden wird, wie man sieht, also eine Art von ,, Berkeley Horse" schon damals exis- tierte, i) auch Essigruten^) kommen zur Anwen- dung (No. 85), ebenso Disteln (No. 93), Ochsen-


^) Vergl. über diese berüchtigte englische Erfindung das Kapitel „Die Flagellomanie" im zweiten Bande meines Werkes „Das Geschlechtsleben in England", Berlin 1903, S. 433 ff.

2) Ebendaselbst S. 391.


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ziemer, mit denen ein Arzt traktiert wird (No. 96)^ einmal führen zwei Männer die Züchtigung aus (Xo. 113).

Andere Arten der Misshandlung zu maso- chistischen Zwecken sind : Nasenstüber (No. 90), Ohrfeigen (No. 89), Beissen (No. 124), Kneifen (No. 79), Stechen mit goldener Nadel (No. 92 und 105), mit dem Schusterpfriem (No. 99), Treten mit groben, mit scharfen Nägeln besetzten Schuhen (No. 112). Viele lassen sich mit glühen- den Gegenständen an verschiedenen Stellen ver- brennen, mit Feuerschippen (No. 97), mit glühen- den Zangen (No. 98), mit glühendem Wachs (No. 104), mit heissem Wasser (No. 126), das sogar in Körperöffnungen eingeführt wird (No. 106), mit S]3iritus, der angezündet wird (No. 119), mit glühendem Sand (No. 127), mit einem brennen- den Lichte (No. 121).

Noch andere lassen sich Haare ausreissen (No. 123) oder die orificia corporis durch über- grosse Instrumente schmerzhaft erweitern (No. 103, 107) oder verengern und zunähen (No. 118).

Auf den seltsamsten Einfall ist entschieden, der Masochist des Falles 114 gekommen. Dieser lässt sich erst weidlich verprügeln und dann durch das geöffnete Fenster auf einen eigens dafür her- gerichteten — Düngerhaufen im Hofe werfen, worauf er sofort aufspringt und unten durch eine kleine Pforte verschwindet !

De Sa de macht hierzu die erklärende Be- merkung: ,,Son morale etait excitee par les ap-


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prets qui precedaient, et son pliysique ne le de- venait que par Telan d'une chute."

Die Koprolag nisten scheinen in jener Zeit das Hauptkontingent der Bordellklientel aus- gemaclit zu haben. Denn fast die Hälfte der ersten Gruppe, 68 von den 150 Fällen derselben, wird von den mit dieser Perversion Behafteten .gebildet ! Freilich begnügen sich diese Koprolag- nisten des 18. Jahrhunderts nicht mit den zweifel- haften Genüssen unserer modernen Kopromanen, sondern sie greifen auch noch zum Speichel, zu Vomitus, Euctus, zu Placenta und Foeten als Ob- jekten ihrer perversen Gelüste ! Ich verzichte •auf ein näheres Eingehen auf diese scabröse Materie und erwähne nur, dass No. 2 — 4, 13 — 15, .21, 23, 24, 26, 28—35, 38, 40—78 Typen aller möglichen Arten von Koprolagnie enthalten, die wohl noch niemals eine so erschöpfende Dar- stellung gefunden hat.

In diese erste Gruppe hat de Sade auch noch die leichteren Formen des Sadismus a;uf genommen, die meist ideeller und symbolischer Natur sind.

Gleich in No. 101 wird uns ein 35 jähriger Graf vorgeführt, der eine ,,jouissance reelle" darin findet, Unglücklichen seine Hilfe zu verwei- gern und sie dazu noch beschimpft. De Sade macht hier ausdrücklich die Bemerkung, dass diese Manie angeboren und keine Folge der Depravation sei. Dieser Graf lässt sich auch mit Vorliebe von anderen ihre Leiden erzählen und trägt dann noch zu ihrer Vermehrung bei.


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Aehnliche Grelüste haben die Personen von IN"o. 136 und 137. Ersterer reisst die Schönheit eines jungen Mädchens herunter, findet alles hässlich an ihr, beschimpft sie, bis sie zu we i n e n -anfängt. Dies ist der Augenblick seines Genusses. No. 137 bereitet empfindsamen Mädchen durch ■erlogene traurige ramiliennachrichten Kummer, bis sie in Ohnmacht fallen.

Ein anderer Sadist hört gern ein Kind laut

schreien, während es von der Mutter gezüchtigt

wird (No. 140), einer verleitet Mädchen zum Diebstahl und zeigt sie an (No. 145), macht ver- heiratete Erauen unglücklich (No. 146). Der Prä- sident^) des Portes bedroht die Dirne mit einer Rute, läuft hinter ihr her, bis sie demütig in sich zusammenkriecht (No. 147), ein anderer Narr behandelt das Mädchen als Diebin (No. 144) oder als — Tier (No. 143). Einer wohnt mit Vorliebe Hinrichtungen bei (No. 134), sein Kollege — Niederkünften (No. 138) ! No. 139 ergötzt sich an dem Anblicke schwangerer Weiber als — Statuen, No. 135 verkehrt nur mit — zum Tode verurteilten Erauen ! No. 133 betrügt beim Spiel, No. 148 lässt Mädchen heftig in einer Schaukel schwingen, No. 150 wirft ihre Kleider ins Eeuer, No. 149 liefert seine Frau und Tochter den Ge- lüsten eines anderen aus und wohnt dem Akte bei. Einige Sadisten schwelgen in dem Gedanken des Todes. Diese Nekrophilen masturbieren sich


^) Hohe Juristen bilden einen un verhältnismässig- grossen Prozentsatz in de Sades Verzeichnis der sexuell Perversen.


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auf Särgen (No. 138) oder graben eben an einer kontagiösen Krankheit verstorbene junge Mäd- chen aus, um im Anblicke der Leiche dasselbe zu tun (No. 129). Der Herzog von Florville führt ein lebendes Mädchen in ein schwarz ausgesclila- genes Trauerzimmer, wo sechs Kerzen brennen. Das Mädchen muss sich tot stellen, es werden Dolche neben sie gelegt, die Herzgegend wird mit Blut eingeschmiert und der Herzog liebkost nun die „Leiche" (No. 142).

Endlich fügen andere Sadisten auch leichte Schmerzen zu (No. 131) oder Demütigungen wie Anspucken (No. 132).

Die zweite Gruppe der sexuellen Perver- sionen (Fall 151 — 300) sollte nach de Sade die ,,passions plus singulieres" und „doubles" um- fassen, d. h. die ungewöhnlicheren Ano- malien und diejenigen, die man damals im Bordelljargon ,,les petites ceremonies en passions doubles" nannte, bei denen kompliziertere Ver- hältnisse durch die grössere Zahl und Mehrheit von perversen Akten stattfanden (120 Tage von Sodom, Teil II, 16. Tag).

Zu diesen selteneren Perversionen rechnet de Sade die in dieser Gruppe aufgezählte De- florationsmanie, die Sucht nach Jungfrauen, die sich wieder in der verschiedenartigsten AVeise äussert und besondere Spezialitäten aufweist wie die Begierde nach jungfräulichen Nonnen und Jungfrauen vornehmen Standes. Ferner gehören hierher alle Arten von I n c e s t und die Fälle von sexuell betonter Gotteslästerung, der söge-


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nannte S a t a n i s m u s , der damals sehr häufig . gewesen sein muss, da de Sade über 25 verschie- dene Fälle desselben berichtet, in denen die Art der Blasphemie auf die mannigfaltigste Weise variiert wird, wobei alle kirchlichen Geräte und Feiern eine Rolle spielen.

Die dritte G-ruppe der kriminellen Perversionen umfasst vor allem die P ä d i k a - t i o n und die homosexuellen Praktiken, im ganzen etwa 30 Fälle, dann folgt die Sodomie, bei der Truthähne, Schwäne, Pferde, Ziegen und Ziegenböcke, Kühe, Stiere, Schlangen, Eselinnen, Schafe, Hunde, Affen u. a. m. als aktive oder passive Objekte der Lust benutzt werden. Ferner kommen hier verschiedene bisher nicht mitge- teilte Arten von Sadismus, Nekrophilie, Flagel- lation usw. vor, und schliesslich werden alle diese verschiedenen Perversionen kombiniert, wo- raus sich, wie es ja auch heute noch bei den meisten Fällen so ist, eine unabsehbare Kette neuer Variationen entwickelt. Uebrigens sind die sadistischen Akte hier bereits ernster Natur, ohne jedoch zum Tode zu führen.

Der Gipfelpunkt, das non plus ultra dieser Ausschweifungen wird endlich in der vierten Gruppe der ,,passions meurtrieres" erreicht, die die verschiedenen Arten des Lustmordes umfasst, und zwar ebenfalls 150 an der Zahl I Interessant ist dabei die in der Einleitung zu diesem vierten und letzten Teile ausgesprochene Ansicht des Marquis de Sade, dass jedes ,,genre de libertinage" geeignet sei, unter Um-

Dühren, Neue Forschung-en über de Sade. 29


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ständen die ^^meurtriers de debauche" zu züchten. Es genügt darauf hinzuweisen, dass hier alle Formen der Tötung vorkommen: durch scharfe Instrumente, Hängen, Gift, Zerreissen und Fressen durch Tiere, Rädern, Ersticken, Zer- schmettern durch ungeheure Steine, Verbrennen in den raffiniertesten Formen, Pulverexplosion, Herabstürzen in kochendes Wasser, aus dem Fenster, in einen Abgrund, Ertränken, Einführen von lebenden Tieren in verschiedene orificia cor- poris und Zunähen der letzteren. Lebendigbe- graben, Ermordung gravider oder gebärender Frauen, Enthauptung, Verhungern usw. usw. Eine besondere Spezialität, über die noch aus- führlich berichtet wird, sind die ,,meurtres de trahison" (No. 49 ff) und die ,,meurtres tres dou- loureux" (No. 74 ff), sowie die „meurtres mascu- lins" der Päderasten, die nur Lustmorde an männ- lichen Personen begehen (No. 109 ff).


XIL Sociologische und polltische An- schauimgen des Marquis de Sade

(Allgemeine Anschaiiiingen, Theorie des Verbrechens, social- politische Ideen, ein Staatsroman de S a d e s.)

Alle grösseren Schriften des Marquis de Sade, vor allem der gehaltreiche vierbändige Eoman ,,Aline et Valcour" enthalten höchst be- merkenswerte längere Ausführungen über nationalökonomische und politische Fragen, denen er offenbar das lebhafteste Interesse entgegengebracht hat. Damals waren ja in Frank- reich derartige Themata ein sehr aktueller G-egen- stand der Erörterung geworden, namentlich durch den Gegensatz der Merkantilisten und Physio- kraten.i) De Sade geht mit den ihm eigentüm- lichen philosophischen G-rundanschauungen an diese Fragen heran und gelangt bisweilen zu Ke- sultaten, die lebhaft an gewisse moderne Ideen erinnern. Hierbei verleugnet er nirgends seinen materialistischen und individualistischen Stand- 23unkt, den er öfter mit einer scharfsinnigen So- 23histik durchführt.


1) Man vergleiche über diese beiden Richtungen G-. Schmoller, „Grundriss der allgemeinen Volkswirtschafts- lehre", Leipzig 1901, Bd. I., S. 84—90.

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Das Hauptaxiom des Marquis d e S a d e . das nach ihm als oberstes G-esetz für die ganze Lehre von der Gesellschaft und dem Staate zu gelten hat, ist die natürliche Ungleich- heit der Menschen und Rassen. Er ist ein Vorläufer Grob ine aus und unserer modern- sten Eassenfanatiker. Welcher Sterbliche," ruft er aus, ,,ist einfältig genug, um aller Erfahrung zum Trotz zu behaupten, dass alle Menschen an Rechten und, an Kraft gleich geboren werden ! Nur ein Misanthrop wie Rousseau konnte ein solches Paradoxon aufstellen, er mochte gern diejenigen zu sich herabziehen, zu deren Grösse er sich nicht erheben konnte. Aber mit welcher Stirne, frage ich Euch, könnte sich der Pygmäe von 4 Fuss 2 Zoll mit dem hochgewachsenen, kräftigen Manne vergleichen, dem die Natur die Kraft und den Wuchs eines Herkules gegeben hat? Könnte man nicht ebensogut sagen, dass die Fliege dem Elefanten gleich sei?" (Justine IV, 4.)

Der Ursprung des Adels ist nur aus. dieser natürlichen Ungleichheit der Menschen zu erklären. Kraft, Schönheit, Wuchs, Beredsam- keit waren diejenigen Eigenschaften, die bei der Bildung der Gesellschaft ihren Besitzern ein Uebergewicht über die dieser Tugenden entbeh- renden Menschen gaben. Eine Familie, eine Ge- meinde, die gezwungen war, ihre Besitzungen zu verteidigen, wird gewiss zum Organisator dieser Verteidigung denjenigen erheben, der die oben genannten Eigenschaften in sich vereinigt. Ein-


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mal von dem Schimmer der Autorität umgeben, wird er dieselbe behalten und gegen schwächere Wesen geltend machen, wenn es not tut, mit Gewalt und Grausamkeit. Denn letztere ist immer nötig zur Erhaltung der Autorität (Justine IV, 4—5).

An verschiedenen Stellen seiner Schriften entwickelt de Sade aus diesem Gedankengange heraus Ideen, die mit denen Nietzsches über Herren- und Sklavenmoral eine ausser- ordentlich grosse Aehnlichkeit haben. Ich wiederhole nochmals, dass ich sonst keineswegs de Sade mit Nietzsche vergleichen wilL^) Während de Sades Ideen vom Geschlechtlichen ausgehen und immer wieder dahin zurückkehren, ist N i e t z s c h e gegenüber allem Sexuellen eigent- lich kühl bis ans Herz hinan. Es spielt in seinen Schriften nur eine sekundäre Kolle.

Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, dass die Lehre von der Abhängigkeit der Moral von der Macht bereits von d e S a d e klar und unzweideutig ausgesprochen worden ist. Die hier- auf sich beziehenden Stellen sind so zahlreich, diese Ansicht wird so bestimmt vorgetragen, dass niemand diese merkwürdige Uebereinstimmung zwischen d e Sade und Nietzsche wird leug- nen können.

Wir erwähnten schon jene Stelle aus der Einleitung zu den ,,120 Tagen von Sodom", wo

1) Auch Professor Hans Vaihinger hat in seiner Schrift „Nietzsche als Philosoph", Berlin 1902 (S. 40) auf cl e 8 a d e als einen Vorläufer Nietzsches hingewiesen.


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der Herzog von Blangis die Lehre verkündet, dass der Stärkere immer das jjgereclit" finde, was der Schwächere als „ungerecht" verdamme, und würden sie den Platz tauschen, so würde auch ihre Moral wechseln. Noch deutlicher heisst es in der „Justine": ,,Wir sind die Herren, sobald uns die Natur stärker gemacht hat, und können mit anderen schalten, wie wir wollen. Nur Einfältige oder Frauen könnten das schlecht finden, weil diese beiden Kategorien von Individuen, als zur Klasse der Schwachen gehörig, not- wendigerweise gegen uns Partei ergreifen müssen. Wer zweifelt daran, wer ist nicht davon über- zeugt, dass das G-esetz des Stärkeren das beste von allen sei, das einzige, wel- ches die Zustände der Welt regelt" (Justine IV, 9 — 10). Endlich wird in ,,Aline et Valcour" (II, 83) ausgeführt, dass die Natur selbst den Unter- schied zwischen Starken und Schwachen gewollt habe, dass eine „Kette allgemeiner, ab- soluter Pflichten" eine Chimäre sei, die höchstens gleich und gleich ver- binden könne, nie aber den Ueber- 1 e g e n e n mit dem Schwachen. Was könne es denn Gemeinsames geben zwischen einem, der alles vermöge, und einem, der nichts könne? Es handelt sich nicht darum, zu erfahren, welcher von beiden recht habe. Man dürfe überzeugt sein, dass der Schwächere immer unrecht habe.

Weiter stimmt auch darin de Sade mit Nietzsche überein, dass er annimmt, dass die jeweiligen Gesetze stets von der grossen Menge


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des Volkes, von den Sklaven, den ,, Schwachen" erfunden worden sind, um sich gegen die Aus- schreitungen der Machtgelüste der Herren zu schützen. ,,Se trouvant ä la fois le plus faible et le plus nombreux, il lui faut absolument des freins dont Thomme puissant n'a que faire, et qui ne peuvent lui convenir sous aucun rapport" (Justine IV, 8).

Alle ,, Gesetze" sind auf eine utopische G-leichheit der Menschen gegründet, die in der Wirklichkeit nicht vorkommt. Wie kann man eine natürliche Anlage durch das Gesetz auf- heben wollen? Dieses ,, moralische Heilmittel" verhält sich genau so wie ein physisches, von dem ein Charlatan rühmt, er könne alle Leiden damit heilen und mit dem er daher auch die verschieden- artigsten Menschen auf dieselbe schematische Weise kuriert (Justine IV, 7).

Die durch die grosse französische Eevolution verkündete Gleichheit ist nur die ,,Kache des Schwachen an dem Starken". De Sade kann nicht umhin zuzugeben, dass diese Eeaktion eine gerechte sei. II faut que chacun ait son tour. Alles muss wechseln, weil es in der Natur nichts Stabiles gibt, und die Eegierungen, die von Men- schen geleitet werden, müssen ebenso beweglich sein wie diese selbst (Juliette I, 215).

Diese Ungleichheit der lebenden Wesen führt zu einem ewigen K a m p fe ums Dasein in der Natur, der auch berechtigt ist und ohne Mitleid durchgeführt werden muss. Denn die Natur streut die Keime des Lebendigen in so


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verschwenderischer Fülle aus, dass nicht für alle Platz ist und die meisten zugrunde gehen müssen. Die Lehre von den ,,Vielzuvielen" ist sehr deut- lich bei de Sade ausgeprägt (z. B. Juliette I, 120).

Was liegt auch am Leben ! Ganz im Sinne Schopenhauers fasst de Sade an einer be- merkenswerten Stelle in den ,,120 Tagen von Sodom" (21. Tag) das Leben als eine Schuld auf, die durch die Misere des Daseins abgebüsst wird. Alles ist ja zufällig, relativ in demselben (Aline et Yalcour I, 228). Die Relativität von Gut und Böse ist für de Sade eine feststehende Tatsache (Aline et Valcour II, 82). Der ew^ige Wechsel in der Natur weist dem Bösen die- selbe Stellung an wie dem Guten. Welche Not- wendigkeit tugendhaft zu sein, wenn das Schlechte ebenso notwendig ist wie das Gute? Alles Geschehen ist notwendig. Die grosse Varia- tion in der Natur macht, sub specie aeterni be- trachtet, Böse und Gut zuletzt gleich (Aline II, 101.)

Da die Natur den Bösewicht ebenso vorge- sehen hat, wie den rechtschaffenen Menschen, so kann nach dieser Anschauung de Sade nur ein unbedingter Anhänger der Lehre vom ,,de- linquente nato", vom geborenen Verbrecher sein. Wenn alle unsere Handlungen die notwen- dige Folge der ersten Antriebe sind und alle von dem Bau unseres Körpers abhängen und von allen Einflüssen, die auf diesen wirken, so haben wir nicht einmal die Möglichkeit der Wahl, anders


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zu liaiidelii als wir gehandelt haben. Und der gerechte G-esetzgeber sollte nicht den Verbrecher bestrafen, sondern ihn höchstens aus der Gesell-- schaft entfernen. Wie kann man jemanden für etwas bestrafen, das zu tun er nicht vermeiden konnte ? Man denke sich ein Ei auf einem Billard und zwei von einem Blinden gestossene Kugeln, die eine geht an dem Ei vorbei, die andere trifft und zerbricht es. Ist es die Schuld des Blinden, der der vernichtenden Kugel den Stoss gegeben hat? Der Blinde ist die Natur, der Mensch ist die Billardkugel und das zerbrochene Ei ist das begangene Verbrechen (Aline II, 273 — 274).

Die Vergeltungstheorie muss dem- nach als ungerecht und schädlich bekämpft werden, da sie ihren Zweck verfehlt, den Ver- brecher nicht besser macht und dem Staate nichts nützt (Aline II, 247).

Man muss das Verbrechen studieren, sein Wesen erforschen, sich klar machen, dass alle Verbrechen nur einen einzigen Baum mit vielen Zweigen darstellen. Diesen auf das ge- naueste darzustellen, zu. zeichnen, wäre ein sehr verdienstvolles Unternehmen. Un tel tableau moral n'aurait-il pas son utilite ? et ne vaudrait- il pas bien un T e n i e r s ou un K u b e n s ? (Aline I, 137). Dann erst wird man dem Wesen des Verbrechens und der Möglichkeit seiner Aus- rottung näher kommen.

De Sa de zeichnet in seinen Werken ver- schiedene höchst realistisch aufgefasste Ver- brechertypen. Er weiss, dass es unverbesser-


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liehe Verbrecher gibt mit einer „sorte de per- versite, qni ne se corrige point. Viele Menschen begehen ein Verbrechen aus blosser Lust an demselben (Aline II, 261).

In der 5,Histoire de Zame" (siehe unten) sind diese Ideen noch weiter entwickelt worden.

Von Interesse sind de Sades Ansichten über die Quellen des Volkswohlstandes. An einigen Stellen des Komanes Aline et Val- cour" bekundet er sich als einen eifrigen Agra- rier, der die natürlichen Produkte des Bodens als die Hauptquellen des Nationalreichtums be- trachtet. Einem einfachen Dorfpfarrer legt er einen wütenden Ausfall gegen die die ländliche Bevölkerung aussaugenden und von dem Ertrage der Arbeit derselben lebenden Städter in den Mund (Aline I, 112). Was ist denn das Gold gegen die Früchte der Erde? (ibidem II, 49). Die Industrie ist erst dann eine Quelle des Eeich- tums, wenn man die Schätze der Natur, des Bodens für sie benutzen kann. Welchen Nutzen kann die Tuchindustrie bringen, wenn man die Wolle dazu von auswärts beziehen muss? (Aline II, 88 — 89). Man kann die Ertragsfähigkeit des Bodens noch gar sehr steigern (ibidem II, 90). Auf der anderen Seite freilich geht alles rück- wärts in einem Staate, wenn der Handel schwächer wird. Er ist für ein Volk das, was der Nahrungssaft für den Körper ist (Aline II, 87—88).

Nur soll man ihn nicht zu weit ausdehnen,


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und ihn möglichst auf das eigene Land be- schränken. Der Marquis de Sa de ist Gegner der französischen Kolonialpolitik und einer reinen Handelspolitik. Weshalb das Glück in fernen Landen suchen? Sind Zucker, Tabak^ Gewürze, Kaffee die Menschenopfer wert, die man für ihre Herbeischaffung bringt ? Frankreich ist ein durch die Natur so gesegnetes Land, dass diese Produkte leicht im eigenen Lande, in der südlichen Provence, in Korsika, in den pyre- näischen Provinzen gedeihen könnten. Auch die Tuchindustrie Hesse sich derjenigen Englands ebenbürtig machen. Die Möbelindustrie, das Kunstgewerbe ist in Frankreich höher entwickelt als in jedem anderen Lande. Seine Weine sind überall berühmt. Das Getreide ist so reichlich vorhanden, dass man davon exportiert usw. Wo- zu also ein Handel mit dem Ausland, wozu fremde Einfuhr? (Aline II, 199—201).

Auch auf politische Verhältnisse lässt de Sade manche interessante Streiflichter fallen.

So erkannte er schon damals die zukünftige Abhängigkeit Portugals von England. Er sieht wie sich England allmählich in Portu- gal einnistet und dieses für seine Zwecke be- nutzt. Die Engländer sind und werden immer für die Portugiesen sein „des tuteurs despotes". Sie haben sich des ganzen portugiesischen Handels bemächtigt und durch diesen den ihrigen zur Blüte gebracht. Man ,, sieht nur noch englische Kaufhäuser in Lissabon". Kurz, die Engländer


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haben die Portugiesen zum Gelächter Europas gemacht (Aline II, 85—87).

Noch merkwürdiger und ein erstaunliches Zeugnis für den politischen Scharfblick des Mar- quis de Sade ist die Prophezeiung der grossen Zukunft der Vereinigten Staaten von Amerika.^) ,,Die Republik Washingtons," sagt er, ,,wird allmählich sich vergrössern wie diejenige des 'Eomulus. Sie wird zuerst Amerika unterjochen, und dann die Erde erzittern machen" (Aline II, 282). Ist nicht schon ein Teil dieser Prophezeiung eingetroffen?

Ueberhaupt scheinen ihn derartige politische Zukunftsbilder mit Vorliebe beschäftigt zu haben. So hat er einen seltsamen Plan der Teilung Euro- pas in vier grosse Reiche entworf en. D i e s e r Plan ist im Manuskript erhalten, von dem ich eine Kopie nehmen konnte. Er ist mit wenigen Veränderungen in den Roman ,, Aline et Valcour" (III, S. 245 — 248) aufgenommen wor- den. Das betreffende Manuskript ist wahrschein- lich ein Teil des verloren gegangenen Manu- skriptes dieses Romans, da es mit d.en Seiten- zahlen 155 und 156 numeriert ist. Es besteht aus 2 Blättern = 4 Seiten.

Dieses berühmte politische Projekt besteht darin, Europa in vier grosse Republiken einzuteilen, die westliche, nördliche, östliche und südliche Republik.


1) Man muss bedenken, dass die neue Republik eben erst begründet worden war!


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Die westliche Republik wird gebildet au^ Frankreich, Spanien, Portugal, Majorka, Minorka, Gibraltar, Korsika, Sardinien, nach vorheriger Vertreibung aller Mönche und Ausrottung der Klöster.

Die nördliche Republik besteht aus Schwe- den, England, den Niederlanden, Belgien, West- falen, Pommern, Dänemark, Irland und Lappland.

Russland bildet die östliche Republik. Es soll aber den Türken, die dafür Europa verlassen müssen, alle seine asiatischen Besitzungen ab- treteni) und als Entschädigung dafür Polen und alle europäischen Besitzungen der Türkei be- kommen.

Die südliche Republik besteht aus ganz Deutschland, Ungarn, Italien, aus dem der Papst verjagt wird, Sizilien und allen Inseln zwischen diesem und der Küste von Afrika.

Ein ewiger Frieden soll zwischen diesen vier grossen europäischen Republiken herrschen. Sie sollen keinerlei Verbindung mit Amerika haben, sich auf den Handel untereinander be- schränken, und nur eine auf Moral gegründete^ dogmenfreie Religion haben. Danzig soll die freie Stadt sein, wo jede Republik einen Senat hat. Dort werden alle Streitfragen freundschaft- lich erledigt, dort tagt das Schiedsgericht, und sollte eine friedliche Lösung unmöglich sein, so sollen lieber je 10 Abgeordnete jeder Repu-


0 Die ihm ja nur im Falle des Handels mit China nütz- lich sein würden, den es (Russland) doch nie haben würde. (!)


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blik miteinander kämpfen, als dass man Millionen von Menschen dem Tode in einem Kriege aus- setzte (Aline et Yalcour III, 245—249).

Man muss gestehen, dass dieses interessante mid kühne Projekt grosser Staatenbünde in Europa auch eines von denjenigen ist, von denen man sagen kann, dass es die Zukunft eher für als gegen sich habe, wenn es auch aller Wahr- scheinlichkeit nicht in der Weise ausgeführt wer- den wird, wie de Sade sie hier mit unleugbarem Scharfsinne erdacht hat.


Wie ernsthaft sich der Marquis de Sade mit der ,, sozialen Frage" beschäftigt hat, zeigt die Schilderung eines utopischen Staats- wesens, die er seinem an so vielen interessanten Einzelheiten reichen Eomane ,, Aline et Yalcour" beigegeben hat. Es ist die Greschichte Z a m e s und seiner Insel in der fernen Südsee (Aline et Val- cour Bd. II, S. 164 — 322), einer der vielen fran- zösischen Staatsromane, an denen, wie wir in der Einleitung schon erwähnten, das 18. Jahrhundert so reich ist.

Zame, jetzt ein 70 jähriger Greis, hat in seiner Jugend von seiner Insel aus die Welt bereist und sich durch seine mannigfachen Studien auf dem Gebiete der Wissenschaften, Künste, der Tech- nik, Politik usw. zu einer Art von Universal- genie, von Eeformator entwickelt, der nach der Eückkelir in seine von der Natur reich ge-


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segnete Inselheimat daran geht, aus derselben und ihren Bewohnern einen Idealstaat, ein sozia- listisches Utopien zu machen.

Er geht von der Idee der G-leichheit aller Menschen aus. „Man hielt mir das als Chimäre entgegen. Ich merkte aber bald, dass diejenigen, die das sagten, dabei verlieren würden. Von diesem Augenblick an hielt ich ihre Durch- führung für möglich, was sage ich, von da an sah ich in ihr allein das Glück eines Volkes" (Aline II, 190).

Wo Ungleichheit herrscht, können die Men- schen nie glücklich sein. Nur Gleichheit schafft Glück (II, 191).

Die Vorbedingung hierfür ist, dass der Staat alleiniger Besitzer aller Güter ist, die Unter- tanen haben nur ihre Nutznies sung. Bei ihrem Tode verfügt der Staat über dieselben. Diese Gleichheit des Besitzes macht Luxus unmöglich, da niemand mehr als sein Nachbar haben darf. Auch die Stände sind gleich. Durch diese Gleich- heit wird Tatkraft und Vorwärts streben nicht ausgerottet, im Gegenteil wetteifert jeder mit dem anderen in Arbeit, Fleiss, Kunstfertigkeit und edler Lebensführung (Aline II, 220, 225 bis 226, 231).

Die Keligion ist eine reine, auf das Gute gegründete Naturreligion. Der Gottesdienst findet bei Sonnenaufgang im Freien auf einem hohen Berge statt. Die Sonne wird aber nicht selbst angebetet, sie ist nur das Symbol des Schöpfers, der in ihr verehrt wird. Kirchen gibt es nicht.


Gott kann man nicht in Tempel einscliliessen (Aline II, 287—288). Alle religiösen Streitig- keiten oder gar Verfolgungen sind streng ver- pönt (II, 195).

Alle L u X u s k ü n s t e sind verbannt, nur die ,,nützliclie Kunst" wird geduldet, wie Ackerbau, Anfertigung von Kleidern, Architektur (II, 241). Die Musik verweichlicht und verdirbt den Men- schen, nur einige einfache, primitive Instrumente dürfen gespielt werden (II, 282). Dagegen wer- den Theaterstücke aufgeführt, und sogar — Ehe- bruchsdramen als nützliche Schauspiele zuge- lassen (II, 297).

Etwas mehr Pflege wird auch den Wissen- schaften gewidmet. Ein Bestand von 50 000 Bänden ist vorhanden, der in einzelne kleine jeder- mann zugängliche Volks bibliotheken ver- teilt worden ist. Astronomie, Medizin, Bauwissen- schaft werden hauptsächlich betrieben. Theologie und Jurisprudenz gibt es nicht (II, 294 — 295).

Die sexuellen Verhältnisse sind die ein- fachsten, edelsten. Die Frauen werden verehrt, geachtet, geliebt. Zame macht darüber die schöne Bemerkung: ,,J'ai toujours cru que celui qui ne savait pas aimer les femmes, n'etait pas fait ^^our Commander aux hommes" (II, 273 — 274).

Doch sind Ehescheidung und Bigamie ge- stattet und werden nicht übel gerechtfertigt (II, 273, 219, 221). Gründe der Ehescheidung sind Krankheit, Verweigerung der ehelichen Pflicht, Misshandlung. Ehelose werden in besonderen Strassen untergebracht (II, 221 — 222). Im


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übrigen besteht eine grosse Freiheit im Verkehr zwischen den Geschlechtern, Ehegatten trennen sich öfter voneinander. Das stärkt nur die Liebe (II, 281).

Die Kleidung ist nach dem Alter geregelt. Grau ist die Farbe der Kleidung der Alten, grün die des mittleren Alters, rot die der Jugend (II, 178). Aehnliche Ideen hat Balzac später in einem seiner Komane ausgesprochen.

Alle Fleischspeisen sind verpönt. Es herrscht Vegetarismus. Weshalb nutzlos Blut vergiessen? Auch gibt Fleischnahrung ungesunde Säfte. Ausserdem wird viel Wert auf gutes, klares Wasser gelegt (II, 175). Das Getreide wird in grossen öffentlichen Provianthäusern auf- bewahrt (II, 296).

Die Erziehung ist eine staatliche, die Kinder verlassen früh das elterliche Haus und werden in besonderen Staats schulen auf er zogen (II, 219, 223).

Strafen gibt es nicht. Nur die öffentliche Meinung richtet. Selbst der Mörder wird nur mit Verbannung bestraft. Die Todesstrafe ist selbst ein Verbrechen. Die Gleichheit des Besitzes macht Diebstahl überflüssig. Incest, Notzucht, Ehebruch kommen nicht vor (II, 227, 234, 237, 239, 197, 246, 253, 268).

So hat angeblich Zame das Problem gelöst, den Menschen ä la Eousseau möglichst dem Naturzustande wieder zu nähern.


Dühren, Neue Forschungen über de Sade.


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Bibliographie.

(Yerzeiclmis der benutzten Schriften.)


30'


1. Die Sitten von Paris, moralisch und satirisch beschrieben. Aus dem Französi- schen übersetzt. G-otha, verlegts Christian Mevius 1750. 8^, VI, 106 S.

2. [Poinsinet de Sivry] La Berlue. A Londres, a l'enseigne du Lynx. 1759, 12 o, X, 166 Seiten. [Eine der berühmtesten und geist- reichsten Satiren auf die Sitten des Eokoko.]

3. Le Petit Pils d'Hercule, o. 0. 1701 (= 1781), kl. 8 0, XVI, 194 Seiten. [Seltene Erst- ausgabe dieser an interessanten Mitteilungen zur zeitgenössischen Sittengeschichte reichen, pornographischen Schrift, die 1787 unter dem Titel „LeLutteur,oule Petit-Fils d'Her- cule" und 1790 und 1797 unter dem Titel „L'Encyclopedie de la nature wie- dergedruckt wurde.]

4. lieber Paris und die Pariser von Friedrich Schulz. Erster Band. Berlin 1791 bei Friedrig Yieweg dem älteren. 8^, 544 Seiten.

5. Fragmente aus Paris, im lYten Jahr der französischen Republik von Friedrich Johann Lorenz Meyer Dr., Domherrn in Hamburg. Hamburg bei Karl Ernst Bohn


— 470 —

1798, 2 Bände, 8o, XVIII, 300 und X, 359 Seiten. [Berühmtes Werk, namentlich in Hinsicht auf die Beiträge zur Gelehrten- und Kunstgeschichte der Zeit.]

6. Heinzmann. Meine Frühstunden in Paris. Beobachtungen, Anmerkungen und Wünsche Frankreich und die Revolution be- treffend. Nebst Fragment einer kleinen Schweizer-Heise. Basel, auf Kosten des V er- fassers. 1800. 8 o, Y, 254 S. + 248 Seiten ,,Bey lagen". [Höchst interessante Sitten- schilderungen aus der Zeit des Direktoriums.]

7. Neues Paris, die Pariser und die Gärten von Versailles (Als eine Fortsetzung von Friedrich Schulzes : über Paris und die Pa- riser). Altona, bei J. F. Hammerich. 1801. 8 0, 433 S.

8. Paris, wie es jetzt ist, oder Neuestes Gemälde dieser Hauptstadt und ihrer Um- gebungen. In Briefen von einem reisenden Deutschen. Chemnitz bei Carl Mauke 1810. 8 0, VIII, 432 S.

9. Die geschichtlichen Persönlich- keiten in Jacob Casanovas Memoi- ren. Beiträge zur Geschichte des achtzehn- ten Jahrhunderts von F. W. Barthold. Erster Band. Berlin, Verlag von Alexander Duncker, 1846. 2 Bände. 8^, IV, 268 und 339 Seiten + XV Seiten Namen- und Sach- register.

10. Mes loisirs, ou Journal d'un bourgeois de Paris, de 1766 ä 1790 in: Nouvelle Eevue


— 471 —


Encyclopedique publiee par M. M. Firmin Didot Freies Tome lY, Paris 1847, p. 300 bis 302 (Affäre Keller).

11. Les Galant er ies du XVIIIe siecle par Charles M o n s e le t. Paris, Michel Levy Freres, Libraires-Editeurs, Eue Vivienne, 2 bis, et Boulevard des Italiens 15. A la Librai- rie Nouvelle. 1862. S% 312 Seiten.

12. [J. G-ay] Bibliographie des ouvrages relatifs ä TAmour, aux Femmes, au Mariage et des Livres Facetieux, Pantagrue- liques, Scatologiques, Satyriques etc. Par M. Le C. d'I[deville], 3e edition. Turin, J. Gay et Fils 1871; 8«, 6 Bände (Bd. YI, San Kemo 1873).

13. Pariser Zustände während der Kevolu- tionszeit von 1789—1800. Yon Adolf Schmidt, Jena, Maukes Yerlag (Hermann Dufft) 1874 und 1875, 2 Teile, 8«, XI, 336 + YIII, 336 Seiten.

14. Bibliographie et Iconographie de tous les ouvrages de Eestif de la B r e t o n n e etc. par P. L. Jacob, Biblio- phile. Paris, Auguste Lafontaine, Libraire. 36 — 37 Passage des Panoramas et 1 — 10 Galerie de la Bourse. 1875. Gr. 8o, XY, 510 Seiten.

15. Histoire de la Societe Frangaise pendant le Directoire par E d m o n d et Jules de Goncourt. Quatrieme Edi- tion. Paris, Librairie Academique Didier et


— 472 —


Cie.j Libraires-Editeurs. Quai des Augustins, 35. 1876. 8 0, 435 S.

16. Idee sur les Eomans par D. A. F. de Sade, publie avec preface, notes et docu- mente inedits par Octave Uzanne, Paris. Librairie Ancienne et Moderne. Edouard Rouveyre, 1 rue des Saint s -Peres 1878. 8 ^ XLYIII, 50 Seiten.

17. Geschichte der englischen Lite- ratur. Von H. Taine. Autorisierte deut- sche Ausgabe. Leipzig, Ernst Julius Günther, 1878—1880, 3 Bände, 8^, XVL 730 + 503 + 559 Seiten.

18. Les Cours et les Salons au dix- huitieme siecle par Louis Nicola r- dot. Paris, E. Dentu, Editeurs. Libraire de la societe des gens de lettres. Palais -Ro3'al, 15—17—19, Galerie d'Orleans. 1879. 8°, lY, 319 Seiten. [Enthält in feuilletonistischer Form zahlreiche interessante Einzelheiten aus der französischen Sittengeschichte des 18. Jahrhunderts.]

19. La Chronique Scandaleuse [von I Ul- bert], Publice par Octave Uzanne. Avec Preface, Notes et Index. Paris, A. Quantin, Imprimeur-Editeur. 7, rue Saint-Benoit 1879. Lex. 8 0, XIV, 325 Seiten. [Mit herrlichem Frontispiz von A. Lalauze.]

20. Le Theätre de la Revolution 1789 bis 1799. Avec documents inedits par Henri W e 1 s c h i n g e r. Paris, Ohara vay Freres,


— 473 -


Editeurs, 51 rue de Seine. 1880, 8«, VI, 524 Seiten.

21. A n e c d o t e s p i q u a n t e s de Bachaumont, Mairobert etc. pour servir ä l'histoire de la societe frangaise, ä la fin du regn e de Louis XV. (1762—1774) avec des notes et une table bio-bibliographique. Publiees par Jean G-ay. Bruxelles, G-ay et Douce, Edi- teurs 1881, 8^, lY, 321 S.

22. D o r c i ou la bizarrerie du Sort. Conte inedit par Le Mis de Sade. Publie sur le manu- scrit. Avec une Notice sur l'Auteur [von Ana-

•tole France]. Charavay Ereres Editeurs. Paris 1881. 8o, 61 Seiten.

23. Meine Elucht nach Paris im Winter 1790. Eür bekannte und unbekannte Ereunde geschrieben von August von Kotzebu e. Mit einer betrachtenden Einleitung (Paris im Jahre 1782) von D. Paulus Cassel, Berlin, Verlag von A. Hof mann & Comp. 1883. 8 0, 180 Seiten.

24. Monsieur Nicolas ou Le coeur humain devoile. Memoires intimes de Eestif de la Bretonne. Reimprime sur l'edition unique et rarissime publice par lui-meme en 1796. Tome XL Paris, Isidore Liseux, Editeur 1883. 8 0, 269 Seiten.

25. [de Sade] A 1 i n e e t V a 1 c o u r ou le Roman Philosophique. Ecrit ä la Bastille, un an avant la Revolution de Erance. Bruxelles, J. J. Gay. Libraire-Editeur. 1883. — 8 o.


4 Bände ^ ... XV, 272 Seiten, Bd. II : 361 Seiten, Bd. III: 437 Seiten, Bd. IV: 309 S.].

26. A u s d e m f r ü h e r e n F r a n k r e i c h. Kleine Abhandlungen von F e o d o r W e h 1. Minden in Westf. J. C. C. Bruns' Verlag. 1889. 80, VIII, 350 Seiten.

27. L. S. Mercier. Le Tableau de Paris. Nouvelle edition, avec notice. Paris, E. Dentu, Editeur. Libraire de la societe des gens de lettres. 3, Place de Valois, Palais-Eoyal. 1889. 8 0, XIII, 298 S. [Auszug aus dem grösseren gleichnamigen Werke.]

28. Edmond de Groncourt, Mademoi- seile Clairon d'apres ses correspondances et les rapports de police du temps. Paris, Gr. Charpentier et Cie., Editeurs. 11, rue de Grenelle, 1890. 80, VIII, 524 Seiten.

29. [Dr. Cabanes] La pretendue folie du Marquis de Sade, in: Le Cabinet secret de l'Histoire. Quatrieme Serie. Paris, A. Ma- loine, Libraire-Editeur, Place de l'Ecole de Medecine 23—25, 1900, 8«. [S. 259—320.]

30. Paul Ginisty, La Marquise de Sade, Paris, Bibliotheque-Charpentier. Eugene Fas- quelle, Editeur, 11 rue de Grenelle 1901. 8^, 226 S. [Enthält ausser anderen Abhandlun- gen: ,,La Marquise de Sade", S. 1—87 ; ,,Un amour platonique du Marquis de Sade", S. 89—134.]

31 . [O c t a V e U z a n n e] L'idee de Sadisme et l'erotologie scientifique in : Eugene Dühren : Le Marquis de Sade et son Temps, Berlin,


— 475 -


H. Barsdorl Paris, A. Michaion 1901, 8^ [S. V + XXIY]. Gedankenreiche Vorrede U z a n- n e s zu der französischen Ausgabe meines ersten Werkes über de Sade.

32. Der Marquis de Sade und seine Zeit. Ein Beitrag zur Kultur- und Sittengeschichte des 18. Jahrhunderts. Mit besonderer Be- ziehung auf die Lehre von der Psych opathia sexualis. Dritte, vollständig durchgesehene und bedeutend vermehrte Auflage. Berlin. Verlag von H. Barsdorf 1901. 8«, X, 537 S.

33. Das Geschlechtsleben in England. Mit besonderer Beziehung auf London. Von Dr. Eugen Dühren. Erster Band, Char- lottenburg, Barsdorf 1901; 8«, VIII, 445 S. [Inhalt : Ehe und Prostitution]. Zweiter Bd., Berlin NW. 7. M. Lilienthal 1903, S% VIII, 481 Seiten [Vornehme Gesellschaft, Mode, Kosmetik und Kurpfuscherei, Flagelloma- nie]. — Dritter Band. Ebendas. 1903, S^, XII, 535 S. [Sexuelle Perversionen, Theater, Kunst, Literatur, Bibliophilie, Sociologische Theo- rien, Bibliographie].

34. Virgile Josz. Fragen ard. Moeurs du XVIIIe siecle. Paris, Societe du Mercure de Erance, XV rue de l'Echancle-Saint-Germain. 1901. 8 0, 341 S.

35. E d m o n d e t J u 1 e s d e G o n c o u r t. Histoire de la Societe Erangaise pendant la revolution. Nouvelle Edition. Paris, Bibliotheque Char- pentier. 1901. 8 VI, 450 S.


— 476 —


36. Beiträge zur Aetiologie der Psy- cliopathiasexualis. Von Dr. med. I w a ii Bloch. Mit einer Vorrede von Geh. Medi- cinalrat Prof. Dr. Albert Eulenburg in Berlin. Dresden 1902, 1903. Verlag von H. E. Dohm. 8 o, XVI, 272 + XVIII, 400 S.

37. Bibliotheque du vieux Paris: G-aston Ca- pon. Les Petit es Maisons Galantes de Paris au XVIIIe siecle. Folies, Maisons de Plaisance et Vide-Bouteilles d'apres des documents inedits et des rapports de Police. Preface par E. Y v e - P 1 e s s i s. Orne de 16 planches hors texte. Paris, H. Daragon, Li- braire. 10, Eue Notre-Dame-de-Lorette 1902. 8°, XVI, 151 S. [Der Preis der gänzlich ver- griffenen wertvollen, nur in 430 Ex. gedruck- ten Schrift beträgt jetzt 20 — 25 Francs.]

38. Bibliotheque du vieux Paris : G a s t o n C a - pon. Les Maisons C loses au XVIIIe Siecle. Academies de filles et courtieres d'amours, Maisons Olandestines, Matrones, Meres-Abbesses, Appareilleuses et Proxenetes. Eapports de Police, Documents secrets. Notes personnelles des Tenancieres. Orne de deux eaux-fortes par A. Eobida. Paris, H. Da- ragon, Libraire. 30, rue Duperre. 1903. — 8 0, IV, 274 S. [Diese in 530 Exemplaren ge- druckte äusserst wertvolle, auf archivalischen Studien beruhende Monographie über das Pariser Bordellwesen des 18. Jahrhunderts ist bereits jetzt vergriffen und wird zwischen 20 und 30 Francs notiert.]


__ 477 —


39. Portraits Intinies du dix-liuitieme S i e c 1 e par Edmond et Jules de Gon- court. Etudes nouvelles d'apres les lettres autograplies et les documents inedits. Paris. Bibliotheque-Cliarpeiitier. Eugene Fasquelle, Editeur 11, rue de Grenelle. 1903. 8«, VIT, 497 Seiten.

40. Virgile Josz. Watteau. Moeurs du XYIIIe siecle. Paris, Societe du Mercure de France, XXYI, rue de Conde. 1903. S^, 497 S.

41. Unter dem Direktorium. Drei Novellen A'on Leo X o r b e r g. Mit Illustrationen von E u d. J e t Ii n a r. Zürich. Verlag von Cäsar Schmidt. 1903. 8«, 248 Seiten. [Dem „Eth- nologen Dr. Friedrich S. Krauss" zu- geeignete interessante kulturgeschichtliche Novellen der bekannten Wiener Schrift- stellerin.]

42. M i r a b e a u. Lettres ä Julie ecrites du donjon de Vincennes. Publiees et Commen- tees d'apres les manuscrits originaux et ine- dits par Dauphin Meunier avec la coUa- boration de G-eorges Leloir. Paris. Li- brairie Plön etc. 1903. Gr. 8o, IV, 463 Seiten. [Beide Veröffentlichungen (s. No. 43) gehören zu den wertvollsten Bereicherungen der Mir ab e au - Literatur und zeigen uns die- sen in einem neuen Lichte.]

43. Paul Göttin. Sophie de Monnier et Mirabeau d'apres leur correspondance se-


— 478 —


crete inedite (1775 — 1789). Avec trois por- traits, dont un en heliogravure d'apres H e i n- s i u s , deux fac-similes d'autographes, une table dechiffrante, et un plan du couvent des Saintes-Claires de Grien. — Paris, Librairie Plön. Plon-Nourrit et Cie, Imprimenrs-Edi- teurs, 8 rue Garanciere. 1903. G-r. 8^, CCLX^ 282 Seiten.

44. Les Mysteres de la Police. Premiere Partie. La Police en France depuis Louis XIY. jusqu'ä la revolution de 1789. Paris, Librairie Henri Aniere. J. Yictorion, Eue Dupuytren, 4. o. J. 8 0, 306 S.

45. Histoire de Justine ou les Malheurs de la Vertu. Par le Marquis de Sade. Illu- stree de 44 gravures sur acier.

Oll n'est point criminel pour faire la peintiire Des bizarres penchants qu'inspire la nature. 4 P>ände. En Hollande 1797 [Belgischer Neu- druck]. Kl. 8 0^ 347, 351, 356, 366 S.

46. Histoire de Juliette ou Les Prosperites

du Vice. Par le Marquis de Sade. Illu-

stree de soixante gravures sur acier.

On ri'est point criminel pour faire la peinture Des bizarres penchants qu'ins^Dire la nature.

En Hollande 1797 [Belgischer Neudruck]. 6 Bände. Kl. 8«, 371, 360, 357, 371, 369, 352 S.

47. Die Anmut des Erauenleibes von Dr. Friedrich S. Kraus s. Mit nahe an drei- hundert Abbild, nach Originalphotographien. Leipzig. A. Schumanns A^erlag 1904. Lex.


— 479 —


8 XYI, 304 S. [Eine geistreiche und origi- nelle Erörterung des Thenias vom Stand- punkte des Eolkloristen. Das Werk ist eine Fortsetzung der 1903 erschienenen ebenso fesselnden Streif züge im Reiche der Erauen- schönheit" desselben Verfassers.]

48. Gr e s c hie c h t u n d 0 h a r a k t e r. Eine prinzi- pielle Untersuchung. Von Dr. Otto VV e i - n i n g e r. Zweite, mehrfach verbesserte Auf- lage. A¥ien und Leipzig. Wilhelm Brau- müller. K. u. K. Hof- und Universitäts- buchhändler. 1904. Gr. 8«, XXIY, 608 S.

49. IndexLibrorumProhibitorum: being Notes Bio-Biblio-Iconographical and Critical, on Gurions and Uncommon Books. B y P i s a - n u s E r a X i. London : Privat ely Printed, MDGGGLXXYII. 4«, LXXYI, 542 S. (Auf- lage 250 Exemplare).

50. Hayn, Bibliotheca erotica curiosa Mona- censis. Yerzeichnis der französischen, eng- lischen, span., holländischen, italienischen, lateinischen etc. Erotica und Guriosa, von denen keine deutsche Uebersetzung bekannt ist. (Mit Marktpreisen und Anmerkungen.) Berlin 1889. 86 S., 12«.


Namen - Register.


A^ieline. Tänzerin 200, 234 Aeschylus 340 Aesop 345

Aigiiillon, Herzogin v. 22 Alba, Herzog' v. 229 A Ilain 35 .Allard 235 Andre, MUe. 134 Antonius Diogenes 345 Apnlejus 345 vVranda, Graf v. 55, 117 Arbignv, 35 Avelino, 267

d'Argens, Marquis 204, 347 d"Argenson, Marquis 41, 42,

45, 60, 118, 122, 126, 151, 162 Aristides A^on Milet 345 Aristoteles 270 Armoux de Saint Maximih

389

Arnold 289 Arnould, Sophie 61 Artois, Graf v. 3<), 40, 194, 231 As sei in 235 Astraudi 234, 235 Astruc, J. 342 Audinot, Mlle 43 Audinot, Theater des 212, 218, 219

liabet Desmarets 119,120, 134

Bachaumont 10, 17, 22, 23,29, 43, 71, 72, 103, 138, 145, 174, 200, 206, 215, 232, 256, 260, 264, 295

Baculard d'Arnaud 20, 346

Baffo, G. 262

Balzac 465

D Ii Ii 1^ e n , Neue F orecii untren ül


Bandole, Marquis de 171 Barbier 80, 100, 127, 257 Baronius 343 Barreau de Girac 58 Barreaux, de 347 Bartels, M., s. Ploss-Bartels Barthold, F. W. 47, 49, 50, 59, 92, 93, 201, 211, 212, 228, 236 Bastide, J. F. 76 Baudoin 55, 98, 101, 115—118 Baudoin de Quemadeuc 257 Baudot 338, 370 Baudouin 269, 270 Beauchamps 62 Beaufort 113

Beauharnais, Fann^^ de 245 Beauharnais, Josephine de 334

Beaujon, N. 60, 61 Beaumont, General 284 Beaupre 70 Beauvais, de 69 Beauvoisin 70, 102. 103, 294,

295, 298 Begis, A. 279, 328, 376 Bellanger, 191, 231 Benonville, de 179 Bentinck, Lord 56, 229 Bernage, de 69 Bernardiere, de la 303 Berne 101

Berry, Herzogin v. 149 Berryer J 10, 126, 152 Bertin 61, 112, 113 Bertrand 208 Besenval 45 Beze 207 Binet 266, 270

er de Sacle. 31


— 482 —


Biron, Herzog v. 171 Bloch, J. 184, 416, 417, 419 Blond3% Madame 135 Boccaccio 249, 345, 393 Boeme, de 173 Boileau, Abbe 347 Boisselet 91 Boissy, de III Bonaparte 259, 334, 335 Bonnac, de 234 Bonnet 270 Borel 269, 271 Bossort 172 Bo lieber 264 -268 Boudard de Saint -James 295

Bouffiers 45, 346 Bougainville 166, 344 Boulainvilliers, de 49 Boullongne, de 172 Bourbon-Conde, Prinz v. 41, 47

Bourbon -Penthievre, Prin- zessin V. 254 Bouret 62 Bonrgoin 113 Bouvard 61 Boyer 200 Boy er, Maitre 303 Branciforte, v. 176 Brantome 347

Breteuil, Marquis de 168, 235, 316

Breysig, K. 7

Breze 96, 97, 110

Br idaine 344

Brinvilliers 426

Brissault 40, 63, 86, 90, 91, 92,

98, 163, 198, 209, 289, 373 Brosse, de la 59, 238 Brunei, G. 280 lUiffon 50 Buisson 26() }Jurmann, Baronin v. ()9

Cabanes, VllI, 20K, 275, 279,

309, 331, 336, 339, 3.75 Cagliostro 24 Cahuzac 244


Cailhava 77

Calonne 24()

Calprenede, la 34o

Camargo 57, 227, 228

Cambrai, Erzbischof v. 163

Capon, Ct. 34, 35.38, 39,40,43, 48— 51,56— .58, 62—64, 67—70. 72-87, 89—92, 96, 100— 103^ 107, 109, 110, 115, 118, 120, 122—125, 129—131, 133—135, 137, 149, 150, 152, L58, 162. 163, 171—173, 176, 177, 179— 181, 190, 197— IQO, 207- 209. 216—219, 289

Oardanus 431

Carel, Miss 179

Carlier 63, 12^)

Carton 235

Cartouche 250

Casanova 57, 59, 92, 93

Casper, J. L. 335, 33<)

Cassel, P. 5, 26, 32

Cauvi, de 306

Caylus 223, 240, 245

Cazin 172, 246

Cellamare 123

Cervantes 34()

Challe 268, 26')

Chamfort 204

Champagne, Gräfin v. 14')

Charlus, Graf v. 64, l'^S

Charollais, Graf v. 41, 42, 126, 178, 198

Charollais, MUe de 47

Charpentier 81

Chartres, Herzog v. 34, 40, 81, 83, 131, 187, 207, 218, 229

Choderlos de Laclos II

Choiseul 7, 167

Clairon 02, 205. 232 — 233

Clement 127, 128

Clermont, de 57, 177

Coigny 63

Colignon 79

Commerson 33

Conde, Prinz v. 47, 283, 286, 299

Conti, Prinz v. 33,50. 207,283 Cook 18, 344


— 488 —


Coste 48

Göttin, P. 12, 13, 23, 37, Ö3—

55, 167, 168 Coustellier 87, 121—123 Coyer 75, 76 Cramayel, de 69 Crebillon (Als) 146, 238, 242,

244-246. 346 Crepet, E. 11

Crusenstolpe, M. J. v. 203 Curis, Herr v. 63

Dalliere 62

Dambrun 266, 268

Dangeville 90

Dante 345

Das eher 96, 97

Danvers, JiiUe 12, 13, 52, 324

Davenport, J. 29

David, J. J. 28

Delalive 72

Delaunay, Madame 134

Delavau 353

Delisle 40

De Lorme 35, 48, III, 112

Denerville 171

Dervieux 43, 134, 191, 198,

• 229—231 Deschanfoiirs 175 Deshayes 62 Desmarets 346 Dhosmont 101, 109—115 Diderot 59, 166, 238, 251, 252 Dippold 371, 372 Dogeron, von 190 Doligni 331 Doppet 209 Dorat 262, 265, 346 Donbiet, Madame 256 Drujon, F. 126 Dubarry 131, 164, 218, 219,

259, 294 Dubois, Mlle 49 Dubois, Kardinal 255 Dubuisson 102, 133 Duclos 246

Dncrai, Madame 134 ! Du Deffand, Madame 9, 22, 1 256, 305 I


Diihren, E. 30, 44, 102, 264,

299, 305, 331, 444 Dnlaurens 251, 252 Dnmesnil 179. 216 Duplessis 170, 353 Dupont 67 Dnras, Marquis de 51 Duras, Madame de 198 Durocher 115 Du Roure 250, 257 Düthe 39, 40, 83, 84 Duval 110

Egmont, Gräfin v. 71 Egmont, Graf v. 234 d'Egreville 235 Ehrenfels, v. 366 Eisen 76, 265, 266 Elisabeth, Madame 194, 315 Ellis, H. 416, 417 d'Est 201 d'Etiolles 235

EulenbLirg, A., VIIT, 416, 417 Eusebius 343

Fahre 91, 92

Fahre d'Eglantine 14, 66 Falke, J. 27 Faueonnier 217 Favre, de 183 Fenelon 18, 346 Fiel ding 346 Fillon 86, 87, 121-124 Fitz- James, Herzog V. 34. 229 Fleurieu, de 167, 318 Florence 117 Fodoas, Graf v. 104 Fontanieux, de 207 F ontenay-Laf osse 79 Fontenelle 422 Fougeret de Monbron 126 Fragonard 28, 264, 266-271 France, A., IX, 277, 342, 370, 371, 373

Fraxi, P. 266, 388, 389, 392, 394

Fresnay, de 70

Friedrich II (der Grosse),

König von Preussen 289 Fronsac, Herzog v. 48, 49, 63,

64. 71, 107


— -1:84 —


Oaillard de la Bataille 232

Galitzin, Prinz 294

Gall, Fr. J. 376

Galzard, J. 172

Garrick 233

Gaufridy 312, 321, 327

Gaussin 331

Gay, J. 14, 66, 121, 232, 255,

259, 262, 263, 272 Genlis, de 80, 84 Gentil Bernard 204 Geoffrin, Madame 256 Gerard 329, 330 Gervais 238 Gessner 347 Gesvre, Herzogin v. 199 Gibert 330

Ginisty, P., VIII, 18, 275, 279, 282—285, 291, 293 - 296, 306, 308, 309—328, 392

Gobineau 452

Godard d'Aucourt 244

Goethe 5

Gomberville 346

Gomez, de 346

Goncourt (E. und J. de) 17, 30, 37. 66, 94, 136, 139, 146, 189, 191, 194, 224, 225, 230, 231, 251, 252

Gonlin 209

Gourdan, Maclame 64, 69, 70,

131— J 33 Graffigni, de 346 Grammont, Herzog v. 51, 69,

198, 199, 217 G rand- Carteret, J. 269 Grandi 235 Grandval 201, 216 Granville, de 206 Grecourt 238, 262, 347 Greffulhe, de 82 Grimod de la Reyniere 196 Grisebach, B. 2()3, 433, 435 Guemenee, Fürstin 54 Guibert, Graf de 11 Guillotte 94, 95 Guimard 39, 43, 82, 145, 206,

217, 218, 229—232 Gutzkow, K. 230


Haussier 415

Hamilton, Miss 179

Hardy 299, 304, 305

Hatin, E. 256

Hecquet 82, 103, 104, 198

Heinel 180, 205, 228

Heinzmann 30, 31, 170, 178,

184—186, 202, 208, 209, 251,

2o4, 265 Helvetius III, 172, 173, 344 Henault 76 Herault 94, 96 Hericourt 133 Herodot 345 Hoi'n 271 Holbach (., 251 Horaz 345 Horst, Baron 56 Huerne de la Mothe 245 Huet 268, 347 Huss, Fräulein 61 Hyrtl 433, 434

Jamblichus 345 Janin, Jules 244, 27<» Imbert 10, 44, 48, 63, 131, 180.

181, 257, 290 Josz, V. 71, 147, 148, 175, 266.

270, 271 Jouvenet 80 Jouy, J. E. 242-244

Kaan 415

Karamzin 181, 182 Karl X. 30

Keller, Rosa 299—305, 3.73. 376 Keyser, 205, 207 Königs mark, Aurora v. 40 Kotz ebne, A v. 5, 32, 99, 142,

143, 227, 253 Y. Krafft-Ebing, R. 278. 3S2,

405, 416, 438 K V a u s s , Friedrich S. 1 95, 4 1 b,

478

La hatte 179 La Borde 206 La (jour 207 Ijaci'oix 219


— 485


Lacroix, P. (P. L. Jacob

Bibliophile) 27Q, 293, 387 Lafayette 346 Laferriere 134—135, 172 La Ferte, de 206 La Fontaine 238, 265, 347 Laforest 206

Lafosse 56, 118, 120, 162, 163, 172

La Gnerre 215 La Harpe 204 Lalauze 257 Lalouette 208 Lamballe 154, 207 Lambert 67 Lambesc, de 207 "Lamettrie 343 Lamotte 50 Lamoureux, J. 257 Lancret 227, 264, 265, 268 Landnmier 205 Langlois 262 Lany 294 Lärche^' 61 Larive 235 Larivee 33 Larocbefoiicauld 380 Launay, de 69, 309 Laura 281 Lauraguais, de 205 Lau zun. Herzog von 51, 149 Laval 229

LavaupoUier e, de 63 i^a Verite 169 Leclair 80 Lecomte 303 Lecouvreur, A. 49 Le Blanc 69 Le Duc 57 Leloir. G. 12, 37, 53 •Lemercier 221, 262 Le Mierre 290 Lemoine 179

Lenoir (Le Noir) 153 — 156,

231. 316, 328, 329 Lesczynski 18 Lespinasse, Mlle. de 11, 256 Ijetoriere, Marquis de 51 L e V a s s e u r 2 3 : 5 — 2 3 4


Lewis 345, 346 Liardot 30, 31 Liaucourt, de 207 Limonet 181 Linguet 204, 205, 344 Lions 298 Lobineau 344 Lombroso, C. 366 Londe 376 Long US 34b

Löwen dal, Graf von 176 Luc i an 345

Ludwig XIV 74, 195, 394 Ludwig XV 45, 69, 92, 93,

117, 152, 156, 177, 195, 201,

208, 214, 259 Ludwig XVI 39, 214 Luneau de Boisjermain

244—245 Lussan, de 346 Luxembourg 45 Lyoniois 36

Macchiavelli 344

Magny 85—86, 196, 258

Maille de Breze 299

Mantegazza 416

Manuel, P. 48, 182

Marals 34, 43, 50, 69, 86, 90,

92, 118, 120, 130, 131, 133,

152—153, 158, 163, 171, 179.

180, 223, 289 Mar che, Graf de la 34, 179,

218

Marcognet, General 284 Marie Antoinette 194, 253 bis 254

Marivaux 346 Marmontel 50, 59, 277, 346 , Martial 345 Martignan, de, 292 Martin 194, 215 Martinet 268

Matthisson, Fr. von 163—164 Maugiron, Graf von 28 Maurepas 237 Meibom 347

Merard de Saint- Just 77 Mesloy 215


— 486 —


Mesmer 24, 202— 20; 5 Messalina 66

Mercier, S. 19, 66, 67, 100,

151, 156, 185, 195, 228, 262 Mercier de Compiegne 99,

108, 148, 175, 213, 267, 347 Me unier, D. 12, 37, 53 — , Polizeiinspektor 48, 62, 69,

118, 152, 179, 223 Mensnier de Querion 197 Meyer, F. J. L. 220—221, 225,

228 Milton 347

Mirabeau, G. K. Graf von

12, 13, 37, 51-55, 167, 168, 204, 238, 240, 257, 292, 324, 347

Mire 235 Moll, A. 416 Mondorge 113, 114, 167 Monnier, Sophie de 12, 13, 23, 52- 54, 167, 168

Monroy, de 72 Monsarre, M. de 343 Mons^let, Gh., 188, 242, 244,

249, 262, 263 Montansier 213 Montesquieu 59, 238, 343 Montigny 34, 35, 70, lOl,

129—130

Montmorency, de 235 Montmorin, Marquis de 98,

116, 117, 209 Montreuil, de 283, 289, 293,

294, 318, 329 Monval, G. 279, 332 Mora, de 11 Morel 175 Morelly 19 Morfi 117

Morgan, Madame 134 Murin 31

Moritz, Marschall von Sachsen

13, 49-50 Morliere, de la 57 Moufle d'Angerville 128,

256

Mouhy, de 2()0


Namur 168 J^apoleon I. 284 Nassau, Prinzessin von 104 Necker 14

Nerciat, A. de 66, 240—241,

266 Nero 371

Nesle, Marquis de 64 Nicolardot, L. 161, 166, 167,

174, 204—205, 208, 237—23,8 Nico 1 et, Theater des 12, 220 Nietzsche, Fr. 65, 398, 453,

454

Nodier, Gh. 279 Norherg, 1.. 30 Noroyne, Abbe de 57 North, Lord 56 Noverre, 222, 223, 225—227, I 228

Ode 297

d Oppy, Madame 70, 130, 132 Orleans, Herzog A^on, siehe Chartres

Pagel, J. L., III— XV

Pagot de Villiers 235

Palissot 290

Palluy, M. 336, 337, 370

Palme 268

Parades, Graf v. 257

Paris, Justine, 58, 100, 113,

124—129, 209 Parny 262 Pascalin 175 Peixotte 164, 347 Pelleport, de 259 Peloutier 344 Penthievre, Herzog von 187 Persennat 63 Pertiiis, de 91, 92 Petit 215 Petrarca 281, 345 Petronius 345 Peuchet 174

Philipp (v. Orleans), Regent 166

Philippe Fgalite, siehe

Chartres. Picart 270


— 487 —


Pidansat de Mairobert 256, 257

Pierrecoiirt, Marqiiise de 69 Pilätre de Rozier 80 Pinon 303

Piron, A. 238, 256, 262, 266 Place, de la 35 Ploss-Bartels 425, 426 Poinsinet de Sivry 260 Polastron, Madame de 40 Polignac, Herzog-in von 39, 71, 254

Pompadour, Marquise de 45,

57, 188, 189, 201, 266 Popeliniere, de la 45, 46, 62,

216

Poullain de Saint-Foix 418

Preval 176

Preville 67, 331

Prevost 346

Prie, Marquis de 69

Prokop 37

Puymaure, Sibylle de 281

Queen sberry, Herzog- von 44 Quesnel 263 Qiiidor 330

<^uinet, Madame E. 338

Rabelais 261, 347 Raiz, Gilles de 371 — , Madame de, 199 Ramont 169 Ramusio 344 Ratcliffe, A. 346 Raucourt 180-182, 231 Ravaisson 169 Ravnal 344 Reboul, G. 177 Reg-nault 270

Retif de la Bretonne, N. E.

17, 19, 59, 266, 270, 280, 345,

346, 384—388, 392 Bicard 94, 95 Riccoboni, Madame 14, 346 Ricbardson 321, 346 Ricbelieu, Herzog- von 36,

44—48, 62, 64, 65, 71, 75,

131, 166, 173. 182, 196, 198 bis

109. 229, 255


Robe (de Beauveset) 238, 262

Rochebaron, de 306 Rochon de Chabannes 128' Rohan-Cbabot, von 34, 35, 149

Roh an, Kardinal 254 Roman, MUe. 92, 93 Romulus 460 Rosetti 206 Rousse, Madame 166 Rousseau, J. J. 16, 20, 23, 79,

238, 242, 243, 245, 291—292,

346, 452, 465 — , (Maler) 268

Rousset, MUe. de 291, 319 bis 328

Roussillon, R de 327 Royer-Collard 370 Roziere 209 Rubens 458 Rulhiere 36, 65

de S a d e , Donati en Alphonse

Francois, Marquis 4 ff Sade, Renee, Marquise de 283,

311—318, 328—330 — , Hugo de 281 — , Fabrice de 280, 281 — , Francois de 281 — , Louis Marie de 282—285 — , Armand de 285, 336—337 — , Madeleine Laure de 285 Sage 296, 297 Saimson 206 St. Auban 297 Saint-Aubin 266, 268—272 St. Fargeau 43 Saint-Formin 70 St. Germain 24 Saint- Julien, Madame de IQ,

68, 70 Salints, de 176 Sannazaro 347 Sardou, V., IX, 375—377 S artin es, de 86, 102, 153, 156,

231

Scarron 346

Schinfeldt, Gräfin von 104


— 488 —


Schmidt öl — . A. 191

Schmoller, G. 451 Schopenhauer 433, 435, 456 Schrenck - Notzing, v. 416 Schulz, Fr. 138—142, 143 bis 147, 154, 158, 159, 192—194, 214 Scuderi 346 Senac, Madame de 34 Seneca 345 Senneterre, de 200 Senneville, de 72 Sevigne, de 391 Sorau, de 315

Soubise, Prinz von 42,43,206,

229, 231 Stael, Madame de 14 Staimberg 98 Stendhal 11 Stephane 46 Storck, K. 223, 227—228 Surbois 328 Surville 47

Sybel, H. von 6, 7, 15, 16

Tacitus. 345

Taine, H. 6, 20

Talleyrand 254

Tallien, Madame 224—225

259, 334 Taravel 83 Tassoni 345

Tencin, de 167, 255, 256, 346 Teniers 457 Terrail, du 177 Terrasson, Abbe de 18 Terray, Abbe de 57, 166 Thevenin 101

The veno t de Morande 70,

258—259 Thierry 83 Tilly, Graf 204 Titon, M. 79, 80 Toustain de Loimery 245 Tremouille, de la 177, 197

D'Urfe 346

Uzanne, ü., VIII, 180, 257, 27<), 289, 290. 331, 344, 345, 426


Taihinger, H. 453 Vallee, de la 35 Valois, MUe. de 47 Agaren ne 70, 206 Vatteville, de 84 V andre uil 63 Vauvenargues 344 Vaxheim, de 69 V er gier 238 Veron, L. 143 Veronese, Camilla 84, 85 Vestris 225, 228 Villeneuve- Trans, de 389 Viller oy, Herzog von 69 — , Madame de 198 Villers 182 Villette, de 177 Villiaume 31 Vintimille 36 Virgil 345 Vischer, Fr. Th. 24 Voisenon 252, 256 Voisin 426

Voltaire 6, 58, 68, 175, 177,. 237, 277, 281—282, 340, 343^ 417

Vo3^er d'Argenson 199

Walpole, H. 9, 22, 305 AVangen, von 197—198 Warseberg, de 206 Washington 460 Watteau 28, 147, 264, 268, 270

Wehl, F. 9, 11

Weininger,0., XII— XIV, 362., 397 434

AVelschinger, H. 216,220,331 Württemberg, Pr in z von 114 — 115

X . . ., Jacobus 275, 276, 280^ Xenophon 345 Ximenes, Marquis de 101

Yve- Plessis, H. 74, 76

Zola 365


Druck von Pass & (Jarleb, Borlin W. 35.





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